Ein Abenteuer auf acht Beinen
Schaue dir einige Ausschnitte kostenlos im Preview an! Buch bestellen unter: http://www.1buch.de/1buch/showBook.php?book=152131
Schaue dir einige Ausschnitte kostenlos im Preview an!
Buch bestellen unter: http://www.1buch.de/1buch/showBook.php?book=152131
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Reinhard Wagner · Annika Wagner<br />
<strong>Ein</strong> <strong>Abenteuer</strong><br />
<strong>auf</strong> <strong>acht</strong> <strong>Beinen</strong><br />
Zwei Menschen und ein Hund<br />
wandern den Jakobsweg
Reinhard Wagner · Annika Wagner<br />
<strong>Ein</strong> <strong>Abenteuer</strong> <strong>auf</strong> <strong>acht</strong> <strong>Beinen</strong><br />
Zwei Menschen und ein Hund wandern den Jakobsweg<br />
<strong>Ein</strong>e Pilgerreise von der Haustür bis nach Spanien
Impressum<br />
Copyright: © 2013 Reinhard Wagner / Annika Wagner<br />
Druck: inmediaONE] GmbH, Gütersloh/München
Vorbemerkungen<br />
Hallo!<br />
Schön, dass Ihr den Weg zu uns gefunden habt!<br />
Hier geht es um unser Mammutvorhaben, zu dem wir im<br />
Februar 2013 gestartet sind: Unser Jakobsweg von der<br />
Haustür bis nach Santiago de Compostela.<br />
Unsere Wander- bzw. Pilgergemeinschaft bestand aus<br />
einem Trio: Der Opa (Reinhard), die Afrika (Annika) und<br />
die griechische Göttin (Annikas Hund Sira).<br />
Am Aschermittwoch sind wir von zu Hause aus, unserem<br />
Heimatort Helpenstell in der Gemeinde Windeck (Rhein-<br />
Sieg-Kreis), losgewandert. Unsere erste Etappe endete in<br />
Eitorf, Annikas und Siras derzeitigem Wohnort. Nach einer<br />
heimischen Henkersmahlzeit und einer letzten N<strong>acht</strong> in<br />
heimischen Federn m<strong>acht</strong>en wir uns über Lohmar <strong>auf</strong> den<br />
Weg nach Köln. Am Kölner Dom bogen wir dann <strong>auf</strong> den<br />
Kölner Jakobsweg (Via Coloniensis) ein bis nach Trier,<br />
weiter bis zur französischen Grenze, quer durch Frankreich<br />
über Metz, Dijon und Cluny bis Le Puy-en-Velay, schließlich<br />
<strong>auf</strong> der Via Podiensis über Conques und Condom bis<br />
St-Jean-Pied-de-Port und letztendlich über die Pyrenäen<br />
nach Spanien und dort <strong>auf</strong> dem berühmten Camino<br />
Francés über Pamplona, Burgos und León bis nach Santiago<br />
de Compostela. Zu guter Letzt gingen wir noch eine<br />
knappe Woche weiter bis zum „Ende der Welt“, dem Kap<br />
Finisterre, um dort unsere geplagten Wandersocken ins<br />
Feuerchen zu werfen und unseren Weg abzuschließen.<br />
Ende Juni 2013 traten wir dann den Heimweg an, diesmal<br />
allerdings <strong>auf</strong> schnellerem Wege mit Bruder/Sohn Basti,<br />
der uns mit seiner Freundin Dimi in Muxia mit dem Wagen<br />
abholte.<br />
Dieses Buch entstand <strong>auf</strong> der Basis unseres Blogs, den wir<br />
schon während der Vorbereitungsphase begonnen und<br />
anschließend im Verl<strong>auf</strong> unserer Pilgerreise nahezu täglich<br />
mit tagebuchartigen Aufzeichnungen fortgeführt haben.<br />
Viel Spaß beim Stöbern!<br />
5
Was und wie wir planten<br />
Annika<br />
Wenn Sira und ich ohne meinen Vater gepilgert wären,<br />
hätte meine Reiseplanung sehr einfach ausgesehen: Suche<br />
das blaugelbe Schild mit der stilisierten Muschel oder<br />
den gelben Pfeil, l<strong>auf</strong> ihnen nach, wenn du nicht mehr<br />
kannst, schlägst du dein Zelt <strong>auf</strong>, läufst am nächsten Tag<br />
weiter den Markierungen nach und kommst so irgendwann<br />
in Santiago de Compostela an. Das wäre mein Plan gewesen.<br />
Unorganisiert? Ja! Unvernünftig? Würde ich so nicht<br />
sagen. In meinem Jahr in Sambia habe ich festgestellt,<br />
dass die Dinge auch ohne Planung überraschend gut<br />
funktionieren können und man so sehr befreit leben kann,<br />
ohne Vorgaben und mit dem Vertrauen in ein bisschen<br />
Glück und dem "Es wird sich schon alles fügen"-<br />
Gedanken.<br />
Jetzt war es aber so, dass ich eben doch mit meinem Papa<br />
gewandert bin. Und trotzdem blieb meine Organisation<br />
ziemlich ähnlich bzw. ich verließ mich sehr <strong>auf</strong> Papas<br />
Planung. Das war zwar nicht sehr erwachsen von mir, aber<br />
was soll`s! Wenn ich schon mit meinem Papa loszog...<br />
Was meine sonstige Reiseplanung anging: Ich hatte mein<br />
Hundchen, seit ich es mir angeschafft hatte, <strong>auf</strong> diesen<br />
Trip vorbereitet. Seit Sira klein war, lernte sie, Geschirre zu<br />
tragen, Zug zu fahren, soviel wie möglich draußen zu sein<br />
und lange Strecken zu gehen.<br />
Mit ihr war ich auch bei Hundeschule und Tierarzt vorstellig<br />
geworden, um zu klären, ob sie für eine solche Unternehmung<br />
gerüstet war und was ich für sie an Reiseapotheke<br />
mitnehmen sollte. Außerdem hatte ich den Hunderucksack<br />
vom Tierarzt absegnen lassen.<br />
Ich selbst hatte mir auch noch einmal bei sämtlichen Ärzten<br />
Kontrolltermine geben lassen, um voll fit <strong>auf</strong> Tour zu<br />
gehen. Um uns an den täglichen Marsch mit Gepäck zu<br />
gewöhnen, gingen Sira und ich jeden Mittag mindestens<br />
zehn Kilometer, inzwischen auch mit Marschgepäck.<br />
Reinhard<br />
Jetzt kommt Papas Planung!!!<br />
Ich muss ja zugeben, dass ich in dieser Hinsicht etwas<br />
anders gestrickt bin als mein Töchterchen. Ich verstehe<br />
das jugendliche Bedürfnis, alles <strong>auf</strong> sich zukommen, sich<br />
überraschen zu lassen, einfach loszulassen. Diese <strong>Ein</strong>stellung<br />
kann beglückende Momente mit sich bringen. Kann!<br />
Es kann aber auch mal anders sein.<br />
Für mich steht und fällt eine gute Langstreckenwanderung<br />
mit der Qualität der Vorbereitung. Zum einen bringt mir<br />
diese Vorbereitung einen gewissen Grad an Sicherheit,<br />
zum anderen ist sie gleichzeitig ein immerwährender Quell<br />
der Vorfreude, die ich nicht missen möchte.<br />
Zunächst einmal stellte ich mir die Frage: Bist du körperlich<br />
fit für diese Unternehmung? Wanderungen in den letzten<br />
Jahren hatten mir gezeigt, dass ich 25 bis 30 Kilometer am<br />
Tag durch eine Mittelgebirgslandschaft noch relativ problemlos<br />
wandern konnte. Ich weiß mit meinen Grenzen und<br />
meinem "inneren Schweinehund" umzugehen. Trainingswanderungen<br />
in den letzten Wochen hatten bewiesen,<br />
dass ich noch gut dr<strong>auf</strong> bin. Bezüglich meines Körpers<br />
wollte ich es aber nochmal ganz genau wissen und hatte<br />
mich von den verschiedensten Fachärzten wieder mal<br />
durchchecken lassen. Keiner von ihnen hatte Bedenken.<br />
Nächste Frage: Reichen deine finanziellen Ressourcen?<br />
<strong>Ein</strong>e in "Fachkreisen" anerkannte Faustregel besagt: In<br />
Deutschland und in Frankreich muss der Jakobspilger mit<br />
drei Euro pro Kilometer rechnen, in Spanien mit einem<br />
Euro, Tendenz steigend. Das ist natürlich abhängig davon,<br />
wie und wo man schläft und was und wieviel man isst und<br />
trinkt, wieviel Besichtigungen (mit <strong>Ein</strong>tritt) man sich gönnen<br />
möchte und wie viel unvorhergesehene Ausgaben sich<br />
eventuell ergeben. Ich war mir sicher, dass ich mit einem<br />
sehr einfachen Leben unterwegs zurechtkomme und ausreichend<br />
Geld dafür in den letzten Monaten <strong>auf</strong> die hohe<br />
Kante legen konnte.<br />
Wie sieht es mit Kleidung und Ausrüstung aus? Noch nie<br />
war ich <strong>auf</strong> einem Weg unterwegs, der mich <strong>auf</strong> seinen<br />
3000 Kilometern durch drei Jahreszeiten und die unterschiedlichsten<br />
Naturräume führte. Hier mussten wir schon<br />
genau hinschauen und prüfen, ob wir richtig ausgestattet<br />
waren und ob trotzdem alles auch noch "tragbar" war.<br />
Wie und wo werden wir schlafen? Diese Frage bereitete<br />
uns wohl die meisten Kopfzerbrechen. Weder in Deutschland<br />
noch in Frankreich und erst recht nicht in Spanien<br />
konnten wir sicher sein, mit Sira in einer Pension oder<br />
einer Herberge unterzukommen. Ganz zu schweigen von<br />
den Übern<strong>acht</strong>ungskosten, die wochenlang <strong>auf</strong> uns zukamen.<br />
Deswegen blieb die Mitnahme eines Zeltes die einzige<br />
Antwort. Aber noch war Winter! Würden wir immer ins<br />
Zelt ausweichen können? Oder tat sich ab und zu auch<br />
einmal eine andere Tür <strong>auf</strong>...? Wie es dann wirklich war,<br />
kann man unter "Der Weg - Jeder Tag in Wort und Bild"<br />
nachlesen.<br />
Wie finden wir den richtigen Weg? Gängige Wanderführer<br />
und nahezu alle in Foren berichtende Jakobspilger waren<br />
der Meinung, dass der Weg durchgehend ausreichend<br />
markiert ist, so dass das Mitführen von Wanderkarten nicht<br />
notwendig war. Wir vertrauten dar<strong>auf</strong> und handelten entsprechend.<br />
Wie ist die Etappenplanung? Entgegen meiner sonstigen<br />
Gewohnheit, lagen diesmal die Tagesziele (bis <strong>auf</strong> die<br />
kurze Strecke nach Köln) noch nicht fest. Ich hatte zwar<br />
die gesamte Strecke mal in Etappen von durchschnittlich<br />
22-23 Kilometern <strong>auf</strong>geteilt (siehe "Landschaften und<br />
Etappen an unserem Jakobsweg"), allerdings nur um herauszufinden,<br />
wie lange ungefähr unsere Tour dauern wür-<br />
10
de. Außerdem schien mir dies auch eine tägliche Distanz<br />
zu sein, die wir Sira zutrauen konnten. Ruhetage waren<br />
keine anged<strong>acht</strong>, eher mal kürzerer Tagesetappen. Damit<br />
man nicht aus dem Tritt kam...<br />
Völlig unvorbereitet waren wir in der französischen und<br />
spanischen Sprache. Hier wollten wir es eben mit Händen<br />
und Füßen sowie mit unserem sprichwörtlichen Charme<br />
versuchen.<br />
Unterm Strich fand ich, waren wir gut vorbereitet!<br />
Das kam in den Rucksack<br />
Reinhard: "Zehn - Prozent - Hürde"? - Schaffen<br />
wir nicht!<br />
Die gängigen Jakobsweg-Führer sprechen eine<br />
eindeutige Sprache: "Sparen Sie am Gewicht Ihres<br />
Gepäcks!" oder "<strong>Ein</strong>en Pilgeranfänger erkennt man<br />
an seinem schweren Rucksack". Immer wieder wird<br />
die "Zehn - Prozent - Hürde" beschworen. "Nicht<br />
mehr als 10% des eigenen Körpergewichts gehören<br />
in den Rucksack!" - Ich weiß, ich weiß!<br />
Unsere Rucksäcke waren beide schwerer und wir<br />
freuten uns nicht darüber. Nebenbei: Ich habe den<br />
<strong>Ein</strong>druck, packt man alles ein, was in den Führern<br />
als notwendig angegeben wird, übersteigt das Gewicht<br />
diese "zehn Prozent" deutlich.<br />
Ich denke aber auch, dass Annika und ich unter<br />
besonderen Bedingungen losgingen, die etwas anders<br />
lagen als bei einer "normalen" Pilgerreise im<br />
Sommer <strong>auf</strong> dem Camino Francés. Erstens: Wir<br />
gingen von zu Hause aus und starteten nicht "erst"<br />
in St-Jean-Pied-de-Port. Unser Weg war mehr als<br />
drei Mal so lang. Zweitens: Wir starteten im tiefen<br />
Winter. Allein unsere Kleidung br<strong>acht</strong>e schon mehr<br />
<strong>auf</strong> die Waage. Drittens: Ab Spanien hatten wir unser<br />
Zelt dabei. Warum? Annikas Hund Sira würde in<br />
Spanien in den meisten Unterkünften keinen <strong>Ein</strong>lass<br />
finden. <strong>Ein</strong>en Platz alleine im Keller, im Stall oder<br />
angebunden im Hof möchten wir ihr nicht antun. Da<br />
legten wir ihr lieber eine Decke ins Vorzelt und sie<br />
wusste, dass wir in ihrer Nähe waren. Außerdem<br />
wollten wir uns in Spanien nicht an dem Wettrennen<br />
um freie Herbergsbetten beteiligen, sondern den<br />
Weg in unserem eigenen Tempo genießen, Sehenswertes<br />
in Ruhe anschauen und unsere Pausen<br />
so lange ausdehnen können, wie sie für uns wichtig<br />
und richtig waren.<br />
Fest stand aber auch: Was NICHT (mehr) gebraucht<br />
wurde, wurde nach Hause geschickt. Was NOCH<br />
NICHT gebraucht wurde, ließen wir uns nachsenden.<br />
In der unten <strong>auf</strong>geführten "Packliste" taucht<br />
aber ALLES <strong>auf</strong>. Weiterhin ist in der "Packliste" nicht<br />
nur <strong>auf</strong>geführt, was im oder am Rucksack für Gewicht<br />
sorgte, sondern auch die tägliche Wanderbekleidung<br />
und was man sich so alles zusätzlich an<br />
bzw. um den Körper hing.<br />
Wir haben jedes einzelne Kleidungs- bzw. Ausrüstungsstück<br />
gewogen... gewogen... gewogen..., dann<br />
einer sehr kritischen Prüfung unterzogen und doch<br />
noch das ein oder andere ausgesondert. Irgendwann<br />
musste es dann auch gut sein. Die Folgen eines zu<br />
schweren Rucksacks musste man/frau dann eben<br />
"tragen".<br />
11
Reinhard<br />
Transport/Schlafen:<br />
- Rucksack/-überzug<br />
- Isomatte<br />
- Schlafsack<br />
- JH-Leinenschlafsack<br />
- Seiden-Schlafsack<br />
Kleidung:<br />
- Anorak<br />
- Wanderschuhe<br />
- Crocs<br />
- Trekkinghose (mit Zipp)<br />
- Freizeithose<br />
- Fleecepullover<br />
- 2 Wandershirts<br />
- 1 Freizeithemd<br />
- 3 Funktionsunterhosen<br />
- 2 Funktionsunterhemden<br />
- 1 Funktionsunterhose (lang)<br />
- 2 P. Wandersocken<br />
- 1 P. Freizeitsocken<br />
- 1 P. dicke Socken<br />
- Regenhose<br />
- Poncho<br />
- Mehrzwecktuch (Buff)<br />
- Stirnband<br />
- Hut<br />
- kurze Gamaschen<br />
Körperpflege:<br />
- kl. Plastiktüte mit<br />
- Zahnbürste<br />
- Zahnpastakonzentrat<br />
- kl. Tube Shampoo (auch zum Waschen)<br />
- Trekkinghandtuch<br />
Sonstiges:<br />
- 5 Plastiktüten<br />
- 5 Zipptüten<br />
- Trekkingstöcke<br />
- Pilgermuschel<br />
- Stirnlampe<br />
- Sonnenbrillen<strong>auf</strong>satz<br />
- Ersatzbrille/-hülle<br />
- Ohropax<br />
- kl. Tagebuch (A5)<br />
- kl. Notizheft<br />
- Kugelschreiber<br />
- Digitalkamera mit Ladegerät<br />
- SD-Speicherkarten<br />
- Handy/-ladegerät<br />
- Taschenmesser<br />
- Sitzkissen<br />
- Schirm<br />
- Bauchtragetasche<br />
- Uhr<br />
Papiere:<br />
- Sicherheitsbauchgurt<br />
- Personalausweis<br />
- Pilgerausweis<br />
- JH-Ausweis<br />
- EC-Karte<br />
- Impfpass<br />
- Auslandskrankenversicherungskarte<br />
- Kopien von s.o.mit Notrufnummern<br />
Ernährung:<br />
- Brotbox<br />
- 2 Plastiktrinkflaschen<br />
- Plastikgabel/-löffel<br />
- Plastiktelle<br />
Annika<br />
Transport/Schlafen:<br />
- Rucksack (Deuter Act Lite 35+10 SL) 1480g<br />
- Rucksacküberzug (Four Seasons, Size L) 124g<br />
- Bauchtragetasche (Jack Wolffskin)<br />
- Isomatte (Exped SynMat 7,5) 442g<br />
- Schlafsack (Marmot Wave II 0°C) 1730g<br />
- Fleeceschlafsack 650g<br />
Kleidung:<br />
- Anorak (Jack Wolffskin) 806g<br />
- Fleecejacke 348g<br />
- Regenponcho 420g<br />
- Wanderschuhe 914g<br />
- Crocs 307g<br />
- 2 Trekkinghosen 366g + 344g<br />
- Jogginghose 374g<br />
- 3 Wander-T-Shirts 109g + 99g + 122g)<br />
- 3 Funktionsunterhosen 3 x 45g<br />
- 2 Funktions-BHs2 x 59g<br />
- Merinowollunterwäsche121g o. + 155g u.<br />
- 2 P. Merino-Wandersocken 39g + 63g<br />
- 1 P. Freizeitsocken 39g<br />
- 1 P. dicke Wollsocken 77g<br />
- 2 Piratentücher 2 x 32g<br />
- leichtes Sommerkleid (dient, um den Hals gelegt,<br />
auch als Schal) 162g<br />
- Handschuhe (Ice Behr) 104g<br />
Körperpflege:<br />
- Zahnbürste 25g<br />
- Seifenstück in Plastiktüte 155g<br />
- Zahnpastakonzentrat 42g<br />
- Melkfett (Pflege für Menschen- und Hundefüße<br />
und Annis Neurodermitishaut) 252g<br />
- Nivea 163g<br />
- Tampons 17g<br />
- Trekkinghandtuch im Beutel 156g<br />
- Trekkingwaschlappen 15g<br />
Sonstiges:<br />
- 5 Globi-Plastiktüten<br />
- 1 Pumpbag mit Snozzel<br />
- Pilgermuschel 18g<br />
- Stirnlampe 104g<br />
12
- Schlafmaske 7g<br />
- Ohropax 10g<br />
- Digitalkamera mit Tasche, Speicherkarten, Ladegerät<br />
u.2 Ersatzakkus 486g<br />
- Handy/-ladegerät 200g<br />
- Sitzkissen 20g<br />
- "Leckerchen-Transporter"<br />
Papiere:<br />
- Personalausweis<br />
- Pilgerausweis<br />
- JH-Ausweis<br />
- EC-Karte<br />
- Auslandskrankenversicherungskarte<br />
- Siras und meinen Impfpass<br />
Ernährung:<br />
- 2 Plastiktrinkflaschen<br />
- leichte Tasse 102g<br />
- Plastikspork 10g<br />
- Plastikteller 71g<br />
Beide<br />
Transport/Schlafen:<br />
- leichtes 2-Pers.-Zelt (Nordisk Norheim SI)<br />
3030g<br />
- Isolier-Unterplane 670g<br />
- Kunststoffflickzeug<br />
Körperpflege:<br />
- Nagelknipser/-etui<br />
- Papiertaschentücher<br />
Reiseapotheke, ca. 600g:<br />
- pers. Wichtige Medikamente<br />
- Rollenpflaster<br />
- Wundpflaster<br />
- Mullbinde<br />
- Desinfektionsmittel<br />
- Schmerzgel (Voltaren)<br />
- Akutpillenset<br />
- Aspirin<br />
- Lippencreme<br />
- kleine Schere<br />
Sonstiges:<br />
- etwas Nähzeug<br />
- 3 gr. Sicherheitsnadeln<br />
- 2m Wäscheleine/-klammer/-bürste 140g<br />
- leichter Dreierstecker 66g<br />
- Bic-Mini-Feuerzeug 10g<br />
- kl. Schuhbürste<br />
- Lederwachs<br />
- 2 kl. Schwämme<br />
Papiere:<br />
- aktuelle(r) Führer<br />
- Unterkunftsverzeichnis<br />
- Etappenliste<br />
Ernährung:<br />
- leichtes Kochgeschirr 310g<br />
- Brennspiritus<br />
- Dosenöffner 8g<br />
- Flaschenöffner<br />
- wenige Lebensmittel<br />
- Magn.-/Kalciumtabletten<br />
Sira<br />
- Hunderucksack<br />
- Jägerleine<br />
- Halsband mit Adresstäschchen, Steuer- und<br />
Tassomarke<br />
- Blinkanhänger<br />
- Medipack<br />
- UL-Thermodecke<br />
- UL-Handtuch<br />
- Futter in zwei Tüten<br />
- Faltschüssel für Wasser<br />
- Kackabeutelchen<br />
13
Der Weg - Landschaften und Etappen<br />
Von unserem Heimatort aus ging es zunächst die Sieg<br />
abwärts, dann hoch <strong>auf</strong> die westlichen Ausläufer des Bergischen<br />
Landes, durch die Wahner Heide und ein paar<br />
Kilometer am Rhein entlang bis nach Köln.<br />
Helpenstell (Windeck) – Eitorf (23 km)<br />
Eitorf – Lohma (21 km)<br />
Lohmar – Köln-Wahn (23 km)<br />
Köln-Wahn – Köln-Zentrum (20 km)<br />
Ab Köln durchwanderten wir zunächst die Niederrheinische<br />
Bucht und überquerten dabei auch den Höhenzug der Ville<br />
(oder auch Vorgebirge). Bei Euskirchen begann der Aufstieg<br />
in die Voreifel, nach Bad Münstereifel betraten wir die<br />
Kalkeifel. Sobald wir bei Kronenburg das Obere Kylltal<br />
gekreuzt hatten, befanden wir uns in der Westlichen Hocheifel.<br />
Bis Prüm begleiteten uns die Höhenrücken der Schne(e)ifel.<br />
Hinter Prüm ging es hin<strong>auf</strong> <strong>auf</strong> die Prümer<br />
Kalkmulde. Nach Waxweiler führte uns der Weg über die<br />
wellige Hochfläche des Islek und wieder hinunter ins Enztal.<br />
Von hier ging es hin<strong>auf</strong> ins wellige Bitburger Gutland,<br />
der Kornkammer der Eifel. Nach Überquerung der Sauer<br />
erreichten wir Echternach (Luxemburg). Bald hinter<br />
Welschbillig kamen wir hinunter ins Moseltal nach Trier.<br />
Köln – Hürth/Vochem (19 km)<br />
Hürth/Vochem – Groß-Vernich (26 km)<br />
Groß-Vernich – Iversheim (23km)<br />
Iversheim – Blankenheim (23km)<br />
Blankenheim – Kronenburg (24 km)<br />
Kronenburg– Prüm (27 km)<br />
Prüm – Waxweiler (25 km)<br />
Waxweiler – Neuerburg (18 km)<br />
Neuerburg – Rohrbach (18 km)<br />
Rohrbach – Echternach (20 km)<br />
Echternach – Welschbillig (19 km)<br />
Welschbillig – Trier (24 km)<br />
353 km<br />
Südlich von Trier wanderten wir weiter durch den Saargau,<br />
streiften nahe Perl/Schengen nochmal die Grenze von<br />
Luxemburg, überquerten dann recht bald die deutsch –<br />
französische Grenze und befanden uns damit in Lothringen<br />
mit der Hauptstadt Metz. Südlich von Neufchateau begann<br />
die Region Champagne-Ardenne, in der wir die Hochebene<br />
von Langres durchquerten. Es folgte die Region Burgund<br />
mit den Städten Dijon und Beaune mit ihren Weinbergen<br />
und kleinen Winzerorten. Im Anschluss an Burgund betraten<br />
wir das Département Saone-et-Loire mit seinen geistlichen<br />
Zentren Cluny und Taizé. Damit näherten wir uns<br />
auch den ersten Ausläufern des Zentralmassivs. Wir stiegen<br />
hinab ins Tal der Loire, nur um dann wieder ins Zentralmassiv<br />
hin<strong>auf</strong>zugehen und damit die Auvergne zu erreichen.<br />
Mit Le Puy-en-Velay gelangten wir in die Hauptstadt<br />
des Départements Haute-Loire.<br />
Trier – Litdorf-Rehlingen (27 km)<br />
Litdorf-Rehlingen – Perl (20 km)<br />
Perl – Saint Marguerite (20 km)<br />
Saint Marguerite – Méchy (27 km)<br />
Méchy – Jouy-aux-Arches (24 km)<br />
Jouy-aux-Arches – Vandieres (18 km)<br />
Vandieres - Pont-a-Mousson (10 km)<br />
Pont-à-Mousson – Nancy (25 km)<br />
Nancy – Toul (26 km)<br />
Toul – Bagneux (17km)<br />
Bagneux - St. Elophe/Brancourt (21 km)<br />
St. Elophe/Brancourt - Pompierre (21 km)<br />
Pompierre – Bourg-Sainte-Marie (21 km)<br />
Bourg-Sainte-Marie – Montigny-le-Roi (28 km)<br />
Montigny – Langres (26 km)<br />
Langres – Auberive (30 km)<br />
Auberive - Grancy-le-Chateau (17 km)<br />
Grancy – Tarsul (27 km)<br />
Tarsul – Messigny-et-Vantoux (21 km)<br />
Messigny – Couchey (18 km)<br />
Couchey – Nuits-St.Georges (19 km)<br />
Nuits-St.Georges – Beaune/Chagny (21 km)<br />
Beaune/Chagny - Fontaines (30 km)<br />
Fontaines – Chevry/Poucy (16 km)<br />
Chevry/Poucy – St.Gengoux-le-National (19 km)<br />
St.Gengoux-le-National – Cluny (24 km)<br />
16
Cluny – Tramayes (18 km)<br />
Tramayes – Gros-Bois (20 km)<br />
Gros-Bois – Propieres (20 km)<br />
Propieres – Le Cergne (20 km)<br />
Le Cergne – Briennon (25 km)<br />
Briennon – St.Haon-le-Chatel (25 km)<br />
St.Haon-le-Chatel – St.Jean-St.Maurice-sur-Loire (21<br />
km)<br />
St.Jean … - Pommiers-en-Forez (20 km)<br />
Pommiers – Montverdun (21 km)<br />
Montverdun – St.Thomas-la-Garde (23 km)<br />
St.Thomas – Montarcher (21 km)<br />
Montarcher – Pontempeyrat (21 km)<br />
Pontempeyrat – Bellevue-la-Montagne (17 km)<br />
Bellevue-la-Montagne – Saint Paulien (16 km)<br />
Saint Paulien – Le Puy-en-Velay (16 km)<br />
Von Le Puy aus folgten wir der historischen Pilgerroute der<br />
„Via Podiensis“. Zunächst führte sie uns aus dem Becken<br />
von Le Puy <strong>auf</strong> die Hochebenen des Velay, weiter an den<br />
Rand der Allierschlucht und von dort hinunter zum Flussl<strong>auf</strong><br />
des Allier. Nach Überschreitung des Flusses ging es<br />
hin<strong>auf</strong> <strong>auf</strong> die Hochfläche der Margeride, dem Übergang<br />
zwischen der Region Haute-Loire im Osten und dem<br />
Aubrac-Massiv im Westen. Über 50 Kilometer führte der<br />
Jakobsweg nun durch die einsame und unwirtliche Landschaft<br />
des Aubrac, bevor er steil zum Tal des Lot abfiel<br />
und sich hier einige Kilometer am Lot-Ufer entlangschlängelte.<br />
Nach Verlassen des Lot-Tales leitete uns die Via<br />
Podiensis hin<strong>auf</strong> <strong>auf</strong> die von <strong>Ein</strong>samkeit geprägten Kalk-<br />
Hochflächen der Causses, die immer mal wieder von steil<br />
ins Gestein eingegrabenen Flusstälern durchschnitten<br />
waren. Hinter Moissac überquerten wir die Garonne und<br />
kamen damit in die Gascogne, die bereits zum Pyrenäenvorland<br />
zählt, mit den Städten Condom und Eauze. Südlich<br />
der Gascogne schloss sich die alte französische Provinz<br />
Béarn und das französische Baskenland an. In St-Jean-<br />
Pied-de-Port war das Ende der Via Podiensis erreicht.<br />
Le Puy-en-Velay – St.-Privat-d´Allier (24 km)<br />
St.-Privat – Sauges (19 km)<br />
Sauges – Le Rouget (26 km)<br />
Le Rouget – Aumont-Aubrac (22 km)<br />
Aumont-Aubrac – Nasbinals (27 km)<br />
Nasbinals – St.Chély-d´Aubrac (18 km)<br />
St.Chély – Espalion (23 km)<br />
Espalion – Golinhac (27 km)<br />
Golinhac – Conques (21 km)<br />
Conques – Livinhac-le-Haut (24 km)<br />
Livinhac – Figeac (25 km)<br />
Figeac – Gréalou (21 km)<br />
Gréalou – Limogne-en-Quercy (27 km)<br />
Limogne – Lalbenque (25 km)<br />
Lalbenque – Cahors (18 km)<br />
Cahors – Lascabanes (21 km)<br />
Lascabanes – Lauzerte (26 km)<br />
Lauzerte – Moissac (25 km)<br />
Moissac – St.-Antoine (29 km)<br />
St.-Antoine – Tarissan/Lectoure (22 km)<br />
Tarissan/Lectoure –Moncade/ La Romieu (21 km)<br />
Moncade/La Romieu – Condom (16 km)<br />
Condom – Lamothe (26 km)<br />
Lamothe – Monneton/Nogaro (25 km)<br />
Monneton/Nogaro – Aire-sur-l´Adour (28 km)<br />
Aire-sur-l´Adour - Pimbo (27 km)<br />
Pimbo – Pomps (25 km)<br />
Pomps – Sauvelade (26 km)<br />
Sauvelade – Bellevue/Lichos (30 km)<br />
Bellevue/Lichos – Ostabat / Larceveau (28 km)<br />
Ostabat/Larceveau – St.-Jean-Pied-de-Port (18 km)<br />
2001 km<br />
Nach St-Jean-Pied-de-Port führte der Jakobsweg über die<br />
Pyrenäen, über die Hügel und durch die Kornfelder von<br />
Navarra und die Weinanbaugebiete der La Rioja nach<br />
Burgos. Von Burgos bis León stand der Weg ganz im<br />
Zeichen der Meseta, der spanischen Hochebene. Wüstenhafte<br />
Weite, soweit das Auge reichte. Hinter León war der<br />
Weg gekennzeichnet von zwei hohen Bergpässen: Nach<br />
der Durchquerung der kargen Margatería stieg der Weg<br />
steil an zum Rabanal-Pass und genauso steil wieder hinunter<br />
in das grüne Bierzo, bevor er abermals zum O<br />
Cebreiro-Pass hin<strong>auf</strong>führte. Von hier aus verlief der Weg in<br />
17
der noch grüneren Hügellandschaft Galiciens, immer <strong>auf</strong><br />
das Ziel zu: Santiago de Compostela.<br />
St.-Jean-Pied-de-Port – Valcarlos (14 km)<br />
Valcarlos – Espinal (21 km)<br />
Espinal – Zubiri (15 km)<br />
Zubiri – Pamplona (20 km)<br />
Pamplona – Puente la Reina (25 km)<br />
Puente la Reina – Estella/Irache (22 km)<br />
Estella/Irache – Los Arcos (21 km)<br />
Los Arcos – Viana (19 km)<br />
Viana – Navarrete (22 km)<br />
Navarrete – Najera (17 km)<br />
Najera – Santo Domingo de la Calzada (24 km)<br />
Santo Domingo – Belorado(24 km)<br />
Belorado – Agés (28 km)<br />
Agés – Burgos (26 km)<br />
Villares de Orbigo – Santa Catalina (26 km)<br />
Santa Catalina – Manjarin (21 km)<br />
Manjarin – Molinaseca (19 km)<br />
Molinaseca – Pieros (25 km)<br />
Pieros – Trabadelo (18 km)<br />
Trabadelo – La Laguna (18 km)<br />
La Laguna – A Balsa (25 km)<br />
A Balsa – Sarria (16 km)<br />
Sarria – Portomarin (23 km)<br />
Portomarin - Palas de Rei (25 km)<br />
Palas de Rei – Boénte (21 km)<br />
Boénte – Santa Irene (26km)<br />
Santa Irene – Santiago de Compostela (24 km)<br />
Santiago de Compostela<br />
3836 km<br />
Burgos – Hornillos del Camino (22 km)<br />
Hornillos – Castrojeriz (21 km)<br />
Castrojeriz – Frómista (26 km)<br />
Frómista – Carrión de los Condes (20 km)<br />
Carrión de los Condes - Ledigos (24 km)<br />
Ledigos – Sahagun (18 km)<br />
Sahagun – Calzadilla de los Hermanillos (15 km)<br />
Calzadilla … - Mansilla de las Mulas (25 km)<br />
Von Santiago aus gingen wir durch hügelige Landschaften<br />
und kleine Dörfer bis zum Kap Finisterre an der Atlantikküste,<br />
zum „Ende der Welt“.<br />
Santiago – Negreira (23 km)<br />
Negreira – Vilaserío (14 km)<br />
Vilaserío – Olveiroa (22 km)<br />
Olveiroa – Estorde (21 km)<br />
Estorde – Fisterra (10 km)<br />
Fisterra - Kap Finisterre – Fisterra (10 km)<br />
Mansilla de las Mulas – León (19 km)<br />
Fisterra - Lires (16 km)<br />
Lires - Muxia (14 km)<br />
(Beginn Rückreise)<br />
León – Villar de Mazarife (22 km)<br />
2962 km<br />
Villar de Mazarife - Villares de Orbigo (18 km)<br />
18
8. April 2013<br />
Annika: Römerstraße mit Hindernissen<br />
Von Pontempeyrat bis Bellevue-la-Montagne (20 km)<br />
"<strong>Ein</strong> Bach muss <strong>auf</strong> Trittsteinen gequert werden." Na super.<br />
Noch am Abend liest Papa mir diese Zeile aus unserem<br />
Wanderführer vor und beschert mir eine schlaflose<br />
N<strong>acht</strong>. Ich frage mich, wie ich und meine Schissbutz Sira<br />
das wohl machen werden.<br />
Der Morgen begrüßt uns mit Schneefall. Erst nur ein bisschen,<br />
dann immer mehr. Mit Regenschutzhülle um den<br />
Rucksack steigen wir von Pontempeyrat steil über einen<br />
Feldweg <strong>auf</strong> in den "Parcours Naturel Régional Livrandois<br />
Forez".<br />
Hinter Orcerolles, einem Dörfchen <strong>auf</strong> der Anhöhe, folgen<br />
wir bald dem "Chemin de César", einem Teil der alten<br />
Römerstraße. Bis kurz vor unserem Tagesziel Bellevue-la-<br />
Montagne folgen wir ihr stetig, quasi immer geradeaus.<br />
Als wir in Orcerolles den Holzlader sehen, der am Beginn<br />
"unseres" Feldweges parkt, schwant uns Übles. In der<br />
Regel heißt das, Waldfahrzeuge und Forstmaschinen<br />
haben den weiteren Weg zerfurcht, der Regen hat alles<br />
<strong>auf</strong>geweicht und wir müssen durch Matsch waten.<br />
Wir haben ja sooo Recht! Keine zweihundert Meter später<br />
ist der Forstweg so unangenehm matschig, dass wir <strong>auf</strong><br />
die Seitenränder ausweichen, sofern es welche gibt. Sira<br />
ist da ein bisschen gelackmeiert. Die Seiten des Weges<br />
sind oft voller Brombeerranken, also hat sie die Wahl zwischen<br />
gepiekst oder eingesaut werden. Rosige Aussichten!<br />
Sie hält es wie immer und hüpft leichtfüßig um den tiefsten<br />
Matsch herum und ich fliege am Ende der Leine hinterher.<br />
<strong>Ein</strong>e angemessene Form von Rache, finde ich...<br />
Nach einer Weile l<strong>auf</strong>en wir <strong>auf</strong> einen Bach zu, der sich<br />
über den Weg ergießt, vielleicht zwei Meter breit und mit<br />
einem dicken Stein in der Mitte. "Na, wenn das die Flussüberquerung<br />
mit Trittsteinen ist, hätte ich mich gar nicht so<br />
bekloppt machen müühühüüüü......!!!" Und schon hat Sira<br />
einen Satz über das kühle Nass gem<strong>acht</strong> und ich erwische<br />
so gerade noch den Trittstein. Papa l<strong>acht</strong> sich kaputt und<br />
ich wünsche ihm, dass er sich mindestens ein nasses Bein<br />
holt. Vergebens!<br />
Wir trotten weiter über teils schlammige, teils grausige<br />
Pfade und ich atme gerade innerlich <strong>auf</strong>, weil Sira und ich<br />
diese Schikane so gut überwunden haben, da tut sich vor<br />
uns ein rauschender, ca. vier Meter breiter Fluss <strong>auf</strong>, vielleicht<br />
einen halben Meter tief, rechts und links mit Stacheldraht<br />
umrandet und links am Draht entlang mit ein paar<br />
wackeligen, nicht vertrauenswürdigen Steinen ausgelegt.<br />
Ich wäge kurz ab. Für alle Scherzkekse zu Hause: Nein, da<br />
kann ich NICHT einfach so drüberspringen! Das konnte ich<br />
schon zu Schulzeiten nicht, dann wohl hier mit Rucksack<br />
und Hund erst recht nicht. Ok, ein Absturz wäre nicht lebensbedrohlich,<br />
aber bei der Kälte klitschnass weiterl<strong>auf</strong>en<br />
zu müssen, grenzt ziemlich ans Lebensbedrohliche.<br />
Also ran an die Sache! Der Hunderucksack wird ausgezogen,<br />
der Hund kommt an die Schleppleine, Papa hält Sira<br />
fest und ich mache mich mit Hunderucksack und Leinenende<br />
in der Hand an die Überquerung. Mithilfe des Stacheldrahtes,<br />
an dem ich mich entlanghangele, geht das<br />
Ganze einfacher als erwartet und Papa, der schon sensationslüstern<br />
die Kamera im Anschlag hat, wird enttäuscht.<br />
Ha! Sira m<strong>acht</strong> sich auch erstaunlich unerschrocken <strong>auf</strong><br />
den Weg und hat das Ganze schnell und unbeschadet<br />
hinter sich. Als auch Papa mehr oder minder trockenen<br />
Fußes den Bach überquert hat, ist Sira allerdings so n<strong>acht</strong>räglich<br />
beeindruckt von ihrer eigenen Courage, dass sie<br />
kurz an der Schleppleine durchdreht. Sie rennt vier- oder<br />
fünfmal wie ein <strong>auf</strong>gestochenes, albernes Huhn hin und<br />
her, bis sie sich wieder einkriegt und wir mit stolz erhobenen<br />
Häuptern weiterl<strong>auf</strong>en. Ha! Flussüberquerung: Check!<br />
Nach einer Weile, genauer gesagt nach knapp drei Stunden<br />
Marsch, gibt der konstante Regen-Schnee-Mix endlich<br />
<strong>auf</strong> und wir machen unsere erste Pause <strong>auf</strong> gefällten<br />
Bäumen. Na also, ist diese ganze Matsch erzeugende<br />
Forstarbeit doch zu etwas nutze!<br />
Heute passieren wir extrem wenig Orte! Durch Wald und<br />
Weiden folgen wir der Römerstraße immer weiter, bis es<br />
Zeit ist für unsere zweite Pause, wieder <strong>auf</strong> Forstgut.<br />
Während wir uns unsere Brote schmecken lassen, geht<br />
Sira ihrer neusten und liebsten Pausengestaltung nach:<br />
Buddeln! Mit Vorsicht fängt sie an zu scharren, bis sie<br />
schließlich mit Drecksklumpen um sich schmeißt und mit<br />
den Vorderbeinen komplett in ihrem neuen Meisterwerk<br />
liegt, den Hintern in die Höhe gestreckt. Wir sind amüsiert<br />
von diesem Vogel-Strauß-Anblick und Papa zückt seine<br />
Kamera.<br />
Ich weiß nicht, ob das am Tier Hund im Allgemeinen liegt<br />
oder ob es eine Sira-Spezialität ist, aber wie so oft <strong>auf</strong><br />
unserem Weg beendet sie ihre Aktion ab dem Moment, in<br />
dem Papa auch nur ans Fotografieren denkt. Man lässt<br />
sich schließlich nicht von jedem ablichten...<br />
Als uns wieder mal die Kälte hochtreibt, ist es Nachmittag.<br />
Und auch nach der Pause bleibt uns nichts erspart: In<br />
einer Senke dürfen wir uns wieder einen Weg suchen, der<br />
uns trotz breitflächiger Bachläufe und moorähnlicher Weideflächen<br />
einigermaßen trockenen Fußes vorankommen<br />
lässt. Als ich kurzzeitig keinen Ausweg mehr sehe, begebe<br />
ich mich in die offensichtlich schlammigen Untiefen unseres<br />
"Weges" - und stehe gleich dar<strong>auf</strong> knöcheltief im Modder.<br />
Sira ackert sich gefasst durch das Kneipp-Bad. Ich<br />
glaube, gerade ist sie froh, dass sie kein Chihuahua ist.<br />
Papa findet dann dummerweise doch noch einen trockeneren<br />
Weg. Gemeinheit!<br />
Bald verlassen wir den Wald und gelangen bei Monthiol<br />
kurzzeitig <strong>auf</strong> eine Teerstraße. Und siehe da: es ist hell!<br />
Die Sonne scheint! Und wir haben Fernsicht! In zig Kilometern<br />
Entfernung können wir die Berge mit ihren schneebedeckten<br />
Satteln erkennen. So weit konnten wir lange nicht<br />
mehr sehen.<br />
Wenig später erreichen wir unser "Hotel des Voyageurs" in<br />
Bellevue-la-Montagne.<br />
65
Und jetzt lieg ich hier und schreibe, während rechts von mir<br />
Papa unsere weitere Route plant und links von mir ein<br />
vollgefressener Hund zufrieden schläft, stöhnt und pupst.<br />
Was ein Pilger halt abends so m<strong>acht</strong>...<br />
Dani (Dienstag, 09 April 2013 09:06)<br />
Hahaha!!! Sehr amüsant. Nur Geduld. Der Sommer kommt<br />
schon noch.<br />
9. April 2013<br />
Reinhard: Frühstück-Franzose<br />
Von Bellevue-la-Montagne bis Saint-Paulien (13 km)<br />
Und jetzt? Was machen wir jetzt? Es ist gerade mal 12 Uhr<br />
und wir sind schon in unserem kargen Zimmer im Centre<br />
d'herbergement in St. Paulien. Zwar war für heute eine<br />
kurze Etappe angesetzt, dass sie aber nun sooo kurz<br />
werden würde, damit haben wir nicht gerechnet. In meinem<br />
Wanderführer gibt es für die Strecke Bellevue-la-Montagne<br />
bis St.-Paulien keine Kilometerangabe und bei Streckenskizzen<br />
ist eine Kilometerschätzung eigentlich immer<br />
Glücksache. Geschätzt hatte ich für heute 16 Kilometer,<br />
geworden sind es 13. Na gut!<br />
Beim allmorgendlichen Blick hinaus aus unserem Zimmerfenster<br />
sehen wir - eine schmutzig-graue Hauswand. Das<br />
bisschen Himmel, das zu erkennen ist, lässt keine verlässliche<br />
Wetterprognose für heute zu. Also geht es erst mal<br />
runter zum Frühstück. Der Patron des Hauses empfängt<br />
uns persönlich und weist uns ins Frühstücksprozedere ein.<br />
Bitte diesen Tisch benutzen, hier sind Teller, Tassen und<br />
Besteck, das Brot (Baguette) bitte selbst zuschneiden, hier<br />
Marmelade und Kaffee sowie heißes Wasser für Tee, im<br />
Kühlschrank die Butter und der Orangensaft. Voila! Nicht<br />
zu vergessen: Auf dem Tisch liegt bereits ein Croissant pro<br />
Person bereit. Fragen? Bon appetit!<br />
Dieses Sprüchlein lässt er jedem Gast zukommen, der<br />
zum Frühstück erscheint. <strong>Ein</strong>er dieser Gäste entspricht so<br />
voll und ganz meinem Vorurteil eines Frühstück-<br />
Franzosen. Er stellt eine Tasse Kaffee vor sich <strong>auf</strong> den<br />
Tisch, schneidet ein Stück Baguette längs <strong>auf</strong>, knickt jede<br />
Hälfte zusammen und tunkt sie in den Kaffee. Nachdem<br />
ca. drei Zentimeter mit Kaffee vollgesogen sind, wird das<br />
Stück zum Mund geführt und abgezutzelt. Fünf Minuten<br />
später ist das Baguette verzehrt, die Kaffeetasse voll Krümel<br />
und das Frühstück beendet.<br />
Bei uns dauert es etwas länger, aber wir haben es ja auch<br />
nicht eilig. Um kurz nach halb neun stehen wir in voller<br />
Montur vor dem Hotel und können endlich einen kritischen<br />
Blick zum Himmel werfen. Richtung Südosten ist der Ausblick<br />
klar und sehr weit. Die Berge dort sind noch von der<br />
Morgensonne beschienen und teilweise schneebedeckt.<br />
Richtung Südwesten sieht es schlecht aus, grau, wolkenverhangen,<br />
trübe. Ich sage bald einsetzenden Regen<br />
voraus. Anni mag diese Voraussagen gar nicht und meint,<br />
dass ich damit schlechtes Wetter immer nur her<strong>auf</strong>beschwöre.<br />
Das mag ja alles sein, trotzdem kommt der Regenschutz<br />
schon mal sicherheitshalber über den Rucksack.<br />
<strong>Ein</strong>e halbe Stunde später regnet es, erst leicht, dann immer<br />
heftiger. Zunächst verzichte ich noch <strong>auf</strong> meinen<br />
Regenschirm, um damit zu signalisieren, dass es sooo<br />
schlimm schon nicht werden wird. Als es dann doch sooo<br />
schlimm wird, zücke ich ihn doch und marschiere den Rest<br />
der Strecke unter ihm dahin.<br />
Ach ja, mein Regenschirm! Wohin hat er mich schon alles<br />
<strong>auf</strong> meinen Wanderungen begleitet, wie oft bin ich wohl<br />
schon seinetwegen belächelt worden. In den Alpen, in<br />
Schottland oder Irland z.B. m<strong>acht</strong>e es die Runde: "Da<br />
kommt einer mit einem riesigen Regenschirm!" Stimmt!<br />
Aber ich war obenrum meist relativ trocken, die anderen<br />
klitschnass.<br />
Anni ist da knallhart. Bei ihr muss wohl schon ein Wolkenbruch<br />
kommen, bis sie mal ihren Poncho benutzt. <strong>Ein</strong>en<br />
Schirm hat sie aus Gewichtsgründen sowieso nicht mit. Ihr<br />
Anorak scheint gut wasserdicht zu sein. Ob das bei dem<br />
Fell von Sira genauso ist, wissen wir nicht. Es wäre schön,<br />
wenn sie uns da mal was zu sagen könnte. Trotzdem<br />
haben wir nicht den <strong>Ein</strong>druck, als würde sie der Regen<br />
nachhaltig stören. Sie läuft, hüpft, springt genauso vor uns<br />
her wie immer, schnuppert am Boden lang oder zeigt<br />
wachsames Interesse an der jeweiligen Umgebung wie eh<br />
und je. In der Unterkunft kann sie sich dann außerdem der<br />
besonderen Zuwendung ihres Frauchens sicher sein, das<br />
sie anhaltend trockenrubbelt und ihr zusätzliche Streicheleinheiten<br />
zukommen lässt. Außerdem ist ihr ein Platz an<br />
der warmen Heizung immer sicher.<br />
Mit einem Phänomen, mit dem Anni und ich zu kämpfen<br />
haben, hat Sira mit Sicherheit nichts am Hütchen: Der<br />
l<strong>auf</strong>enden Nase! Bitteschön, warum ist das so??? Wir sind<br />
beide nicht die Spur von erkältet. Eigentlich ist das ja ein<br />
Wunder, bei Regen, dicker Nebelsuppe und Kälte, trotzdem<br />
oft verschwitzt von den Aufstiegen, dann Pausen bis<br />
zum einsetzenden Frösteln. Aber nichts da, wir sind gesund...<br />
und trotzdem läuft die Nase. Ich habe da schon mal<br />
an ein Tampon ged<strong>acht</strong>, aber wie sieht das denn aus? Der<br />
endlose <strong>Ein</strong>satz von Taschentüchern ginge mir auch <strong>auf</strong><br />
den Senkel, das m<strong>acht</strong> doch nur die Nase wund. Also da<br />
warte ich jetzt mal <strong>auf</strong> Tipps aus der Heimat.<br />
Um 11.30 Uhr stehen wir drei begossenen Pudel vor der<br />
Mairie (Bürgermeisteramt) von St. Paulien. Da das Centre<br />
d'herbergement, wo wir für heute zwei Betten vorreserviert<br />
haben, eine kommunale <strong>Ein</strong>richtung ist, glauben wir uns an<br />
der richtigen Stelle und fragen drinnen nach. Und richtig!<br />
Sofort wird eine Mitarbeiterin abgeordnet, die uns zu unserer<br />
Unterkunft begleitet, uns <strong>auf</strong>schließt und einweist. Wir<br />
bekommen unser eigenes Zimmer mit zwei Stockbetten<br />
und einem kleinen Heizlüfter, der dieses schnell <strong>auf</strong>heizt.<br />
Dusche und Toilette sind über dem Flur und eine kleine<br />
Kochecke gibt es auch. Die Pilger sind zufrieden. Hier<br />
können wir problemlos den Rest des Tages verbringen.<br />
Bei dem Haus handelt es sich übrigens um die alte Dorfschule.<br />
Das ist doch eine gute Idee! Alte, nicht mehr für<br />
schulische Zwecke nutzbare Schulgebäude in Herbergen<br />
umwandeln, das wäre doch was! Vielleicht kann man ja<br />
66
Dani (Montag, 29 April 2013 09:39)<br />
Hahaha! Die Sira! Wie geil. Ich frag mich nur, ob ihr überhaupt<br />
mal im Zelt schlafen werdet.<br />
26. April 2013<br />
Reinhard: Man trifft sich, man verliert sich<br />
Von Cahors bis Lascabanes (22 km)<br />
Gefrühstückt wird in der Früh in der "Sommerküche" unserer<br />
Gite. Was ist eine "Sommerküche"? Nun, in der "Sommerküche"<br />
kocht der Pilger seine Mahlzeiten praktisch<br />
Open Air, vor Regen eigentlich nur geschützt durch ein<br />
Dach, das gleichzeitig der Boden der darüber sich befindenden<br />
Garage ist. Diese Garage ist nur keine Garage,<br />
sondern der "Empfangsraum" für die im L<strong>auf</strong>e des Nachmittags<br />
einl<strong>auf</strong>enden Gäste. Hier bekommt man zur Begrüßung<br />
einen Saft serviert, zieht seine dampfenden Wanderstiefel<br />
aus, nimmt sich notwendige Utensilien aus dem<br />
Rucksack, die man mit <strong>auf</strong>s Zimmer nehmen möchte, und<br />
verstaut diesen dann in einem Schließfach. Von der Garage<br />
geht es über eine Wendeltreppe hinunter zur "Sommerküche"<br />
und zum Garten. An warmen und trockenen Tagen<br />
ist diese Küche wohl eine nette Angelegenheit, bei Regen,<br />
Wind und Kälte eher nicht so.<br />
Heute Morgen ist es hier aber trotz der frühen Stunde recht<br />
angenehm und der heiße Haferbrei mit untergerührten<br />
Bananenstückchen schmeckt richtig gut, der nicht minder<br />
heiße Kaffee sowieso. Der Pilgertag kann beginnen!<br />
Er beginnt mal wieder mit einem Fototermin. Viele Pilger<br />
wollen zum gleichen Zeitpunkt los und in der Garage<br />
herrscht großes Gedränge. Aber die Zeit, um Sira zu fotografieren,<br />
die sie alle gerade zum ersten Mal mit ihrem<br />
Rucksack sehen, muss noch sein. Da dabei auch noch<br />
immer ein paar Streicheleinheiten abfallen, lässt das Model<br />
es sich gerne gefallen.<br />
Für Anni und mich hält die Garage noch eine Überraschung<br />
bereit. Auf dem Boden liegt eine Personenwaage.<br />
Eigentlich wohl dafür ged<strong>acht</strong>, seinen Rucksack zu wiegen<br />
(warum auch immer), aber wir stellen uns selbst dr<strong>auf</strong>.<br />
Danach konstatieren wir einmütig, dass die Waage defekt<br />
sein muss. Soooviel Gewicht können wir bis jetzt nicht <strong>auf</strong><br />
dem Jakobsweg liegengelassen haben. Oder doch??<br />
Über die Pont Valentre, dieselbe Brücke über die Lot, über<br />
die wir gestern nach Cahors hineinmarschiert sind, verlassen<br />
wir die Stadt auch wieder. Dann geht es <strong>auf</strong>wärts! So<br />
richtig! Nur knappe zehn Minuten lang, aber die haben es<br />
in sich. Hohe Steinstufen lassen uns nach oben keuchen<br />
und bringen den Kreisl<strong>auf</strong> in Schwung. Gut, dass ich mir<br />
unten noch die Jacke ausgezogen habe, sonst würde ich<br />
jetzt im eigenen Saft schmoren.<br />
Oben angekommen, wird es mir aber bald schon wieder<br />
kühler. Der Himmel ist das erste Mal nach einigen Tagen<br />
bedeckt und ein empfindlicher Wind weht. Aber ich bin <strong>auf</strong><br />
Betriebstemperatur, die Jacke bleibt, vorläufig jedenfalls<br />
noch, aus.<br />
Die Jakobswegmarkierung führt uns nun sicher über die<br />
größtenteils landwirtschaftlich genutzte Kalkhochfläche der<br />
Quercy Blanc. Seit Le Puy ist es aber nicht mehr die Muschel,<br />
die uns leitet, sondern der an Bäume oder Felsen<br />
<strong>auf</strong>gemalte rot-weiße Balken aller französischen Fernwanderwege.<br />
Als GR 65 wird er uns noch bis St.-Jean-Pied-de-<br />
Port am Fuße der Pyrenäen begleiten.<br />
Manchmal habe ich mit diesem Balken aber auch meine<br />
Probleme. Ich werde ab und zu das Gefühl nicht los, dass<br />
neu hinzugekommene Gite-Betreiber versuchen, <strong>auf</strong> die<br />
Streckenführung <strong>Ein</strong>fluss zu nehmen. Gites ABSEITS des<br />
Weges bekommen weniger Gäste, deshalb will man AM<br />
Weg liegen. Und dann muss die Streckenführung mal eben<br />
geändert werden, um dies zu erreichen. So auch heute.<br />
Die tatsächliche Strecke passt anfangs für einige Kilometer<br />
vorne und hinten nicht mit meiner Karte und der Streckenbeschreibung<br />
zusammen, schlägt sinnlose Haken - führt<br />
dabei aber an zwei Gites in benachbarten kleinen Dörfern<br />
vorbei. Nach zwei Stunden erst sind wir in dem zweiten<br />
dieser Dörfer, wo ich schon eine Stunde früher sein wollte.<br />
Aber was soll's, heute haben wir Zeit.<br />
Zeit auch zum Rasten! Währenddessen überholen uns<br />
andere Pilger. Kaum noch bekannte Gesichter sind dabei.<br />
Aber so ist es halt. Man trifft sich irgendwann und irgendwo,<br />
wandert ein Stück zusammen oder auch nicht, übern<strong>acht</strong>et<br />
in derselben Unterkunft oder auch nicht. Nie verabschiedet<br />
man sich so richtig, immer nur ein "Bis bald!"<br />
oder "Wir sehen uns bestimmt noch!" - und dann verliert<br />
man sich doch aus den Augen. Manchmal eigentlich schade!<br />
Doch jeder hat seinen eigenen Weg, seinen eigenen<br />
Rhythmus. So mancher freut sich über eine neu gefundene<br />
Gemeinschaft, die meisten wollen ihren Weg alleine gehen.<br />
Von Les Mathieux geht es wieder bergab, mit der Folge,<br />
dass es nach Labastide-Marnhac erneut berg<strong>auf</strong> geht.<br />
Danach ist die Landschaft wieder rauer, kein Ackerbau<br />
mehr, sondern hartes, trockenes Weidegras mit verdorrten<br />
Büschen oder ebenfalls etwas traurig aussehenden Eichenbäumchen.<br />
Ich habe den <strong>Ein</strong>druck, dass hier kein<br />
brennendes Streichholz hinfallen darf, dann brennt alles<br />
wie Zunder. So lange ist es seit dem letzten Regen nun<br />
auch nicht her, aber die Oberfläche (Kalkstein) hält das<br />
Wasser eben nicht lange. Der Boden, gerade auch <strong>auf</strong><br />
dem Weg, ist knochenhart und gerissen. Ab morgen kann<br />
sich das ändern, es ist Regen vorhergesagt.<br />
Und er kündigt sich schon an. <strong>Ein</strong>e Stunde vor Zieleinl<strong>auf</strong><br />
in Lascabanes wird es dunkler und es beginnt leicht zu<br />
sprühen. Poncho oder Regenschirm lohnen sich nicht, als<br />
wir aber in unserer Unterkunft ankommen, sind die Anoraks<br />
und Sira gut nass.<br />
Zunächst teilen wir uns das Zimmer mit zwei Frauen, wohl<br />
Mutter und Tochter. Als sie Sira sehen, sind sie not<br />
amused. Sie beschweren sich bei der Chefin des Hauses:<br />
Der Hund stinkt! Als die Chefin uns nicht rausschmeißt,<br />
verlangen sie ein anderes Zimmer und bekommen auch<br />
eins. Na prima, passt doch! Wenn Sira mal nicht im Regen<br />
87
nass wird, stellen wir sie einfach unter einen Wasserschlauch,<br />
damit sie ordentlich stinkt. Von wegen Zimmeralleinbenutzung<br />
und so...<br />
Sebastian (Freitag, 26 April 2013 23:09)<br />
Das war nicht der Hund, das waren deine Stinkefüße!<br />
Immer alles <strong>auf</strong> die arme Sira schieben...<br />
Mama Ingrid (Sonntag, 28 April 2013 00:06)<br />
Hihi, ged<strong>acht</strong> hab ich mir das auch schon, Basti. Was<br />
meinst du, wie die Ladies geschaut hätten, wenn Sira<br />
ausquartiert worden, der Gestank aber geblieben wäre?<br />
Das scheinen sowieso zwei herzensgute, voll erleuchtete<br />
Pilgerinnen gewesen zu sein…<br />
Dani (Montag, 29 April 2013 09:46)<br />
Bisher habt ihr ja mit Sira echt Glück gehabt. Ich halte<br />
weiter die Daumen.<br />
27. April 2013<br />
Annika: Bis nach Spanien sind wir versorgt...<br />
Von Lascabanes bis Lauzerte (25 km)<br />
Die N<strong>acht</strong> im Doppelzimmer mit unserem stinkenden Hund<br />
haben wir genossen. In dem Zimmer, in das die beiden<br />
stänkernden Frauen umziehen wollten, war nur noch ein<br />
Bett frei, so dass die Tochter <strong>auf</strong> dem Sofa im Wohnzimmer<br />
schlafen musste. Tja... ich habe es ihr gegönnt. Wegen<br />
dieser zwei Protestmiezen haben wir uns gestern den<br />
ganzen Tag unwohl gefühlt. Und aus der Gastgeberin war<br />
auch kein Lächeln herauszubekommen. Wir haben uns im<br />
Zimmer verkrochen, bis wir heute Morgen nach einem<br />
schnellen Frühstück die Kurve kratzen konnten. Auf der<br />
ganzen Tour habe ich mich noch kein einziges Mal so<br />
unwillkommen gefühlt wie hier. Und ein regennasser Hund<br />
und mangelnde Sprachkenntnisse sind mir da auch nicht<br />
Grund genug. Wie dem auch sei. Wir haken die Sache ab<br />
und machen uns um <strong>acht</strong> Uhr <strong>auf</strong> die Socken.<br />
Nach circa dreihundert Metern ist Papas Sehnsucht nach<br />
unserer herzigen Unterkunft scheinbar zu stark: Er muss<br />
zurück. Kameraakku samt Ladegerät vergessen! Mit zehn<br />
Minuten Verzögerung und ein paar guten Wünschen und<br />
Komplimenten zweier freiwilliger Feuerwehrmänner im<br />
Gepäck l<strong>auf</strong>en wir aus Lascabanes hinaus.<br />
Wirklich freundlich sieht der Himmel nicht aus, aber immerhin<br />
regnet es nicht. Immerhin! Auch den Rest des<br />
Tages bleiben die angekündigten Schauer aus, bis sie uns,<br />
zwanzig Minuten vorm Tagesziel, doch noch kurz erwischen.<br />
Gerade den Ortsausgang von Lascabanes hinter uns<br />
gelassen, wird Sira unruhig. Den Grund sehe ich schnell:<br />
<strong>Ein</strong> Pilger vor uns. Oder besser noch: eine Pilgerin! Blond.<br />
Ziemlich forscher Schritt. Hm, könnte Anne sein... Sira ist<br />
schon bei dreihundert Metern Distanz <strong>auf</strong> der sicheren<br />
Fährte. Das MUSS Anne sein! Als Sira verzweifelt beginnt,<br />
ihr nachzuhechten und auch zu bellen, wird Anne endlich<br />
<strong>auf</strong>merksam. Sie begrüßt uns mit Gebrüll, tätschelt Sira<br />
und wir erzählen uns von den letzten Tagen. Wir gehen ein<br />
Stück zusammen, l<strong>auf</strong>en aber bald wieder getrennt. Anne<br />
legt, genauso wie wir, sehr viel Wert <strong>auf</strong> ihr eigenes<br />
Schritttempo. Da wir nunmal schneller sind, ziehen wir<br />
davon. In kürzester Zeit überholen wir nun immer wieder<br />
Pilger, meist Zweiergruppen.<br />
Die kalkhaltigen Wirtschaftswege, die in den letzten Tagen<br />
blendend und mehlig-staubig waren, haben sich durch den<br />
Regen über N<strong>acht</strong> zu einer fiesen Panade entwickelt. Bei<br />
jedem Schritt tritt man in eine Art Gipsmasse, die sich an<br />
den Sohlen festkrallt und die Schuhe sehr schwer m<strong>acht</strong>.<br />
Bei jedem weiteren Schritt steht man wie <strong>auf</strong> Ballons.<br />
Wenn wir zwischendurch mal wieder <strong>auf</strong> Asphalt dürfen,<br />
versuchen wir verzweifelt, die Pampe abzubekommen. Gar<br />
nicht so leicht... Außerdem ist dieser Bodenbelag nach<br />
Regen eine echt glitschige Angelegenheit. Da schlingert<br />
man ganz schön.<br />
Auf einem längeren Stück <strong>auf</strong> der Landstraße sind wir alle<br />
drei baff: <strong>Ein</strong> weiterer Pilgerhund treibt sich da vorne nebst<br />
menschlichem Anhang herum! Allerdings ein weitaus kleineres<br />
Exemplar als Sira. Von jetzt an hechtet Sira - wer<br />
hätte es auch anders erwartet - dem kleinen Bruder im<br />
Geiste nach, bis wir ihn erreicht haben. Ihm ist Siras Rucksack<br />
gar nicht geheuer. Er bellt und knurrt und will nicht so<br />
recht Freund werden. Ich unterhalte mich kurz mit den<br />
Besitzern. Seit gestern sind sie nun für zwei Wochen unterwegs.<br />
Die Frau trägt einen Rucksack <strong>auf</strong> dem Rücken<br />
und eine Art Sporttasche vor dem Bauch. Wenn Fiffi müde<br />
wird oder Pfotenprobleme hat, kommt er da rein. Jau, das<br />
würde mir noch fehlen! Mir die müde Sira vor den Bauch<br />
schnallen... Jeder so, wie er meint. Wir wünschen viel<br />
Glück und ziehen davon.<br />
In Montcuq kommen uns zwei verzweifelt kichernde Frauen<br />
entgegen. Offensichtlich haben sie sich im Ort verl<strong>auf</strong>en<br />
und unser Wanderzeichen nicht mehr gefunden. Erleichtert<br />
ziehen sie von hier aus vor uns her, bis sie nach dreihundert<br />
Metern wieder einen Abzweig verpassen und um ein<br />
Haar falsch gel<strong>auf</strong>en wären. Mädels, bisschen <strong>auf</strong>merksamer<br />
bitte! Wir weisen sie <strong>auf</strong> den richtigen Weg und verlieren<br />
sie bald wieder.<br />
Nun l<strong>auf</strong>en wir durch Hohlwege, die inzwischen <strong>auf</strong>fallend<br />
dicht werden. Die Bäume und Sträucher bekommen Blätter.<br />
Sie werden saftig grün. Auch die Weinstöcke <strong>auf</strong> den<br />
Feldern beginnen zu treiben. Das Leben kommt zurück in<br />
Wald und Wiese! Ich bin begeistert.<br />
Als wir gerade aus dem Wäldchen in einen Wiesenabschnitt<br />
gelangen, bleibt Sira plötzlich wie angewurzelt<br />
stehen. Zwei große Hunde nähern sich schweigend, aber<br />
wie eine geschlossene Mauer. Wir aktivieren Papas<br />
Schirm. Nur für den Fall... Aber es ist gar nicht nötig. Die<br />
88
zwei werden von der Besitzerin zurückgerufen und kuschen.<br />
Wir passieren problemlos.<br />
Kurze Zeit später ist es wieder Zeit für einen Zwischenstopp:<br />
Regen setzt ein. Also Rucksack ab, Fleece aus,<br />
Regenjacke an, Rucksackpelerine drüber und weiter<br />
geht's.<br />
Auf dem lehmigen Boden sehen wir vermehrt kleine Hufabdrücke,<br />
die vermutlich von einem Pilgeresel stammen.<br />
Da der Boden gestern fest gewesen ist, muss er heute<br />
diese Fußabdrücke in den Boden gestanzt haben. Vielleicht<br />
sehen wir ihn ja die Tage noch. Auf jeden Fall denke<br />
ich bei hakeligen, schwierigen Wegabschnitten immer<br />
wieder an den Armen. Vor allem bei Brücken und Bächen,<br />
da man ja weiß, wie störrisch ein Esel Arbeitsverweigerung<br />
betreiben kann. Ich wünsche dem Eselpilger im Geiste<br />
alles Gute.<br />
Bald erreichen wir am Fuß des Berges von Lauzerte einen<br />
Intermarché-Supermarkt. Juhuu, da kann die Anni wieder<br />
Großeinkäufe machen!!! Tut sie dann auch, allerdings ist<br />
das immer noch im Rahmen. Heute gibt es lecker Cordon<br />
Bleu mit Salat. Hmmm!<br />
Und als ich abends mit dem Hund mein Ründchen drehe<br />
und in die Fenster der Leute schaue, wirkt es fast, als<br />
wären wir noch mitten im Mittelalter. Alte Kessel an den<br />
Wänden, schöne große Gasherde- und Backöfen. Und<br />
alles wirkt so warm und gemütlich.<br />
Während ich blogge, reserviert uns Papa die Unterkünfte<br />
der kommenden Tage. Und er hat einen L<strong>auf</strong>. Bis St-Jean<br />
sind wir nun versorgt mit Unterkünften.<br />
Ich glaub´s ja immer noch nicht. Nicht mehr sooooo lange,<br />
dann sind wir tatsächlich <strong>auf</strong> dem "echten", dem spanischen<br />
Hauptweg. Ich glaub´s ja nicht!!!<br />
Sebastian (Sonntag, 28 April 2013 10:56)<br />
Ihr könntet Sira auch mal ein Stückchen tragen, finde ich...<br />
Dani (Montag, 29 April 2013 09:55)<br />
Also dass der Vatter ´nen forschen Schritt dr<strong>auf</strong> hat, weiß<br />
ich ja. Aber Anni?! Hut ab!<br />
Mama Ingrid (Dienstag, 30 April 2013 00:13)<br />
Hihihaha, Anni mit ´nem Riesenbeutel vorm Bauch, und<br />
Sira sitzt drin! Ich schrei mich weg...<br />
Aber ich find’s süß von den Leuten, dass sie ihr Hündchen<br />
nicht allein lassen wollten und es mitschleppen, und es hat<br />
nun mal nicht Siras lange Beine<br />
29. April 2013<br />
Reinhard: Eselverfolgung<br />
Von Lauzerte bis Moissac (27 km)<br />
In der Gite Ancien Carmel in Moissac, einem ehemaligen<br />
Karmeliterkloster hoch über der alten Stadt an der Garonne,<br />
gibt es eine der wenigen Duschen, wo der Duschkopf<br />
richtig installiert ist. Ich meine, man muss ja schon zufrieden<br />
sein, wenn richtig heißes Wasser rauskommt. Wie viel<br />
schöner wäre es aber, wenn man den Duschkopf auch<br />
noch <strong>auf</strong> die richtige Höhe r<strong>auf</strong>- oder runterschieben oder<br />
ihn in dem korrekten Anstellwinkel positionieren könnte.<br />
Stattdessen passt man nicht mit geradem Rücken drunter<br />
oder muss den Duschkopf sogar selbst in die Hand nehmen<br />
oder er schlappt lustlos runter und das Wasser trifft<br />
einen nicht einmal. Hier stimmt alles! Pluspunkt für Moissac!<br />
Aber jetzt mal von vorne: In Lauzerte beginnt der neue<br />
Pilgertag mit einem üppigen Frühstück, Töchterchen hatte<br />
ja gestern noch gut eingek<strong>auf</strong>t. Wenn man aber nun nicht<br />
alles im Rucksack mitschleppen will, muss man zusehen,<br />
dass man einiges weggegessen bekommt. Diese Weisheit<br />
beherzigen wir wieder mal - was mir nicht gut bekommt.<br />
Ich komme nicht richtig in Schwung, bin etwas kurzatmig,<br />
kann dem Tempo von Anni kaum folgen. Erst nach der<br />
ersten Pause läuft wieder alles wie geschmiert.<br />
Nach dem gestrigen Abendregen scheint, als wir die Tür<br />
der Gite d'Epoche ins Schloss ziehen, die Morgensonne. In<br />
den Gassen ist es noch ruhig, schließlich ist Sonntag. Das<br />
Wehrdorf Lauzerte entstand im Zuge des Hundertjährigen<br />
Krieges, als die Grafschaften begannen, ihre Grenzen und<br />
strategisch wichtigen Punkte durch befestigte Ortschaften<br />
vor den englischen Truppen zu schützen. Viele der Häuser<br />
am Marktplatz und entlang der Straßen, durch die wir jetzt<br />
den Ort wieder verlassen, sind in den letzten Jahren renoviert<br />
worden. Fassaden aus dem Mittelalter bis zur Renaissance,<br />
Arkaden, altes Fachwerk - herrlich!<br />
Im Ort treffen wir keine Pilger. Schon alle weg? Oder noch<br />
beim Frühstück? Die Antwort haben wir bald. Sira zieht<br />
wieder, zur Freude von Anni, an der Leine, gibt ihre hochkehligen<br />
Ungeduldslaute von sich und vollführt 180°-<br />
Sprünge. Pilgerfreunde (irgendwo) voraus! Das passiert<br />
mehrere Male. <strong>Ein</strong> Trüppchen nach dem anderen holen wir<br />
ein, meist bekannte Gesichter. <strong>Ein</strong> "Bon jour!", ein Lächeln,<br />
manchmal auch ein Tätscheln über Siras Kopf sind immer<br />
drin.<br />
Es gibt aber jemanden, den wir ums Verrecken nicht einkriegen:<br />
Den Esel!!! Seit drei Tagen zieht er vor uns her,<br />
äppelt <strong>auf</strong> den Weg und hinterlässt seine frischen Hufspuren<br />
im regen<strong>auf</strong>geweichten Boden. Entweder ist er mit<br />
seinem Pilgerherrn sehr zügig unterwegs und m<strong>acht</strong> nie<br />
Pause - oder er ist doch ein Phantom.<br />
Vielleicht sind meine Schmerzen in der rechten Schulter ja<br />
auch nur Phantomschmerzen. Ich fürchte aber nicht. Zu<br />
Hause muss doch mal ein Onkel Doktor dr<strong>auf</strong> gucken.<br />
Jetzt hilft nur Gymnastik im Wanderschritt: Schulterrollen,<br />
89
Armkreisen u.a. Dazu immerwährendes Verlagern der<br />
Rucksackriemen und leises Jammern.<br />
In unserem Pilgerführer werden für den heutigen Tag nur<br />
150 Höhenmeter im Anstieg ausgewiesen. Ich weiß nicht,<br />
wo die Buchautorin wirklich hergegangen ist, aber das sind<br />
mit Sicherheit mehr. Auf vielen Feldwegen, und erst recht<br />
in den Hohlwegen, ist der Boden glitschig und nicht leicht<br />
zu begehen. Die Schuhe und die Innenseiten unserer<br />
Hosen sehen entsprechend aus. Wir beschließen, <strong>auf</strong>s<br />
Putzen oder Waschen vorläufig zu verzichten, da alles am<br />
nächsten Tag sowieso wieder dreckig wird. Rationalisieren<br />
des Alltags nennt man so was.<br />
Frühling nennt man, was sich hier in der Natur oder in den<br />
Gärten abspielt. Viele Obstbäume sind schon verblüht, die<br />
Kastanien, an denen wir vor wenigen Tagen noch nicht mal<br />
Blätter gesehen haben, haben jetzt schon ihre Blütenkerzen<br />
<strong>auf</strong>gesetzt, und der Flieder sieht nicht nur toll aus,<br />
sondern duftet auch schwer.<br />
Vor einem Bauernhof sitzt ein rastender Pilger am Wegesrand<br />
an einem kleinen Tisch mit Kaffee und etwas Kuchen.<br />
Dabei steht die Honor-Box. Was früher vielleicht mal als<br />
nett gemeinte Erfrischung und Aufmunterung für die Pilger<br />
ged<strong>acht</strong> war, ist meines Er<strong>acht</strong>ens oft zu einer kleinen<br />
Abzocke geworden: <strong>Ein</strong> Euro für einen kleinen Kaffee im<br />
Mini - Plastikbecher? Muss man sich an Pilgern bereichern?<br />
Trotzdem bin ich dr<strong>auf</strong> und dran, mir einen zu<br />
gönnen, wenn nicht wieder ein keifender Hund <strong>auf</strong> uns<br />
zurennen würde. Anni möchte weiter, zu tief sitzt noch der<br />
Schock vom Schäferhund-Biss. Also weiter!<br />
<strong>Ein</strong> paar Kilometer weiter, an der Auberge de l'Aube Nouvelle,<br />
dann doch eine angenehme Rast. Sira trifft einen<br />
netten Hundefreund, mit dem sie sich sofort gut versteht<br />
und in den Spielmodus übergeht, Anni und ich werden von<br />
einem englischen Ehepaar bewundert, das gerade Frankreich<br />
<strong>auf</strong> derselben Route besucht wie vor genau 50 Jahren<br />
- <strong>auf</strong> seiner Hochzeitsreise. Alle Pilger, die wir im L<strong>auf</strong>e<br />
des Morgens überholt haben, kommen jetzt wieder an uns<br />
vorbeigezogen. Das ist wie beim Formel-1-Rennen und<br />
seinen Boxenstopps: Man liegt im Rennen vorne und muss<br />
dann zum N<strong>acht</strong>anken raus. Andere haben so Gelegenheit,<br />
sich nach vorne zu schieben, müssen aber bald selbst<br />
raus und die Reihenfolge ändert sich wieder. Mit der ersten<br />
überholenden Pilgergruppe ist aber auch Siras Freund<br />
verschwunden - schade! Nach den unschönen Erfahrungen<br />
wäre das vielleicht eine ganz nette Therapie gewesen.<br />
Kurz vor Moissac ändert sich die Landschaft. Nach vielen<br />
Tagen <strong>auf</strong> den kargen Hochebenen, kommen wir jetzt ins<br />
Tal der Garonne, in die Gascogne. Es geht bergab, an<br />
Weinhängen und Obstbäumen vorbei. Viele Obstbaumreihen<br />
sind inzwischen mit großen Netzen abgespannt - den<br />
Vögeln keine Chance!<br />
Die Abteikirche St. Pierre in Moissac ist beeindruckend.<br />
Während ich sie und den berühmten Kreuzgang des ehemaligen<br />
Klosters besichtige, warten Anni und Sira draußen.<br />
Sie langweilen sich nicht. Immer wieder sind sie Anl<strong>auf</strong>station<br />
von Passanten und Touristen, die sie nach ihrer<br />
Pilgerschaft befragen. Sira kann natürlich nicht antworten,<br />
ist aber trotzdem der Star.<br />
In unserer Unterkunft "Ancien Carmel" beziehen wir das<br />
"Lassie-Zimmer". Anni ist von der Gastfreundschaft ganz<br />
begeistert, da haben wir kürzlich ja auch schon mal andere<br />
Erfahrungen gem<strong>acht</strong>. Sie telefoniert gerade mit einem<br />
ihrer großen Brüder - und Sira liegt zufrieden neben ihr <strong>auf</strong><br />
ihrer Decke und schläft. Morgen muss sie wieder ran.<br />
Mama Ingrid (Dienstag, 30 April 2013 00:05)<br />
Die Sira, die Süße! Was sie wohl schreiben würde zu all<br />
dem? Es fasziniert mich immer zu lesen, was sie für ein<br />
"Pilgerhund" geworden ist, dass sie die anderen Pilger<br />
schon von weitem freudig erschnüffelt! Offensichtlich hat<br />
sie die ihr entgegengebr<strong>acht</strong>en Aufmerksamkeiten und<br />
Streicheleinheiten fest <strong>auf</strong> der positiven Haben-Seite gespeichert.<br />
DU, Reinhard? DU kannst Annis Tempo kaum folgen? Alle<br />
Achtung, Anni, das heißt was!<br />
Schade, schade, dass es mit den Fotos wieder nicht<br />
klappt, neben allem anderen bin ich neugierig <strong>auf</strong> den<br />
kleinen Pilger-Esel, aber den habt ihr ja eh noch nicht vor<br />
die Linse bekommen, oder?<br />
Viel Spaß im "Lassie-Zimmer".<br />
Dani (Dienstag, 30 April 2013 09:28)<br />
Also sommermäßig seid ihr uns mittlerweile um einiges<br />
voraus. Ich halte die Daumen, dass die Schulter nicht<br />
schlimmer wird.<br />
29. April 2013<br />
Sira: Jetzt sag ICH mal was!<br />
Von Moissac bis Saint-Antoine (32 km)<br />
Frauchen hat sich ein blödes neues Spielzeug gek<strong>auf</strong>t. Sie<br />
hat jetzt ein eigenes Stöckchen. <strong>Ein</strong> großes. Und sie will es<br />
ganz für sich alleine haben. Immer, wenn ich mal ein bisschen<br />
daran rumknabbern oder es durch die Gegend<br />
schleudern will, sagt sie: "Frollein, bleibst du wohl von<br />
meinem Pilgerstab!" Dann soll sie doch nicht so ein leckeres<br />
Hölzchen k<strong>auf</strong>en... Und ewig wedelt sie damit vor<br />
meiner Nase rum. Das finde ich gemein. Immer, wenn ich<br />
ein leckeres Reh oder einen schwitzigen Pilger in der Nase<br />
hab und losstürmen will, stört mich der blöde Stock, den<br />
Frauchen dann immer ausgerechnet <strong>auf</strong> "meiner Seite"<br />
benutzen muss. Aber irgendwann mal, wenn sie nicht<br />
<strong>auf</strong>passt, dann schnappe ich ihn mir und kaue ihn kurz und<br />
klein. Ich krieg hier sowieso viel zu selten mal was Ordentliches<br />
zu kauen. Zuhause hab ich immer ein Stöckchen<br />
und Knochen und Schweineohren und sowieso ganz viele<br />
tolle Sachen. Hier muss ich mir immer die Mühe machen,<br />
mir mein Spielzeug selbst zu suchen und es dann auch<br />
noch zu tragen, bis wir fertig sind mit L<strong>auf</strong>en. Und manchmal<br />
dauert es seeehr lange, bis wir fertig sind. Heute war<br />
so ein "manchmal".<br />
90
Erst mal bin ich heute mit Bauchschmerzen wach geworden.<br />
Ich glaube, das kommt von der leckeren Lasagne, die<br />
die netten Leute von unserem Schlafplatz mir gegeben<br />
haben. Sie war sooooo lecker! Aber auch viel zu viel. Aber<br />
wenn man schon mal so was Gutes bekommt, esse ich<br />
eben so viel wie möglich. Und jetzt ist mir schlecht. Ich<br />
wollte heute Morgen noch nicht einmal frühstücken.<br />
Heute N<strong>acht</strong> haben wir in einem tollen Haus geschlafen.<br />
Alle waren so nett zu mir und in dem kleinen Garten roch<br />
es ganz lecker nach Katze. Gesehen hab ich sie aber<br />
nicht. Leider! Die hätte mir noch besser geschmeckt als<br />
Lasagne!<br />
Heute Morgen verarztet mir Frauchen wie jeden Tag meine<br />
Ohren und meine Füße. An die Creme und die blöden<br />
Tropfen fürs Ohr hab ich mich längst gewöhnt. Da halte ich<br />
ganz still, bis es zu doll kitzelt und ich mich schütteln muss.<br />
Aber seit die Creme für meine Füße leer ist, sprüht mein<br />
Frauchen mir so ein komisches Zeug <strong>auf</strong> die Füße. Das<br />
kitzelt schrecklich! Zum Glück kriegen wir bald wieder<br />
Melkfett. Das <strong>Ein</strong>cremen mag ich viel lieber als das Sprühen.<br />
Als Frauchen mir den Rucksack <strong>auf</strong>geschnallt hat, bin ich<br />
wie jeden Morgen ganz hibbelig. Bald geht es los. Ich kann<br />
es nicht mehr abwarten und tigere im Kreis durch unser<br />
Zimmer. Frauchen und Papa fluchen dann immer, weil ich<br />
überall vorhaue, auch vor ihre Kniekehlen, aber das ist mir<br />
egal. Bis wir gehen, mache ich weiter.<br />
Alles ist etwas anders als sonst. Mit uns spaziert ein neues<br />
Geräusch: das "Klackklack!" von Frauchens neuem Spielzeug.<br />
Ich hab mich bald dran gewöhnt und widme mich<br />
Wichtigerem: dem Stadtmagazin. Frauchen nennt das<br />
immer so, weil ich besonders in Städten an jedem Blumenkübel<br />
stehen bleiben und schnuppern muss, wer dort so<br />
alles hingepieselt hat. So erfahre ich das Neueste vom<br />
Neuen und wer was zu sagen hat. Wie Zeitung lesen eben.<br />
Und hier dann eben nicht nur Zeitung, sondern Stadtmagazin.<br />
Bald kommen wir an den kleinen Kanal. Hier finde ich es<br />
langweilig. Keine Enten, kein Stadtmagazin mehr. Aber<br />
dafür hab ich bald wieder Pilger in der Nase. Ich rufe sie,<br />
ich versuche sie zu kriegen, aber Frauchen lässt mich ja<br />
nicht. Ich glaube, sie versteht nicht, dass wir alle zusammen<br />
bleiben müssen. Das m<strong>acht</strong> man doch so als Rudel!<br />
Und wenn sie schon nicht dafür sorgt, muss ich das halt<br />
tun. Ich gebe zumindest mein Bestes, sofern das mit der<br />
lästigen Strippe möglich ist, die mich und mein Frauchen<br />
den ganzen Tag verbindet.<br />
Nach einiger Zeit gehen wir <strong>auf</strong> einen Berg. Die anderen<br />
Pilger leider nicht. Da sehe ich ein, dass ich sie nicht kriegen<br />
kann und l<strong>auf</strong>e gemütlich neben meinem Frauchen<br />
her. Das ist manchmal auch ganz schön.<br />
Oben <strong>auf</strong> dem Berg will Papa weiter <strong>auf</strong> der Straße bleiben.<br />
Frauchen möchte aber lieber den spannenden Weg<br />
über den Feldweg, durch den Wald und ins Tal und wieder<br />
hin<strong>auf</strong> gehen. Und dann verstehe ich die Welt nicht mehr:<br />
Papa geht tatsächlich in eine andere Richtung als wir! Das<br />
darf doch wohl nicht wahr sein! Sogar mein kleines Rudel<br />
ist zu dumm, um zusammen zu bleiben! Immer wieder dreh<br />
ich mich nach hinten um, aber Papa kommt nicht nach. Als<br />
wir ein Stück gel<strong>auf</strong>en sind und ich die Hoffnung fast <strong>auf</strong>gegeben<br />
habe, treffen wir uns aber zum Glück wieder.<br />
Immerhin!<br />
Bald machen wir Pause. Frauchen holt wie immer erstmal<br />
meine Wasserschüssel raus und legt mir eine Handvoll<br />
Futter hin. Aber ich hab keinen Hunger. Mir ist noch immer<br />
etwas übel von der Lasagne. Als ich gerade ein Schläfchen<br />
mache, schrecke ich plötzlich <strong>auf</strong>: ein kleiner hässlicher<br />
Hundemann schleicht sich an. Zum Glück ist das kein<br />
großer Kerl, denn <strong>auf</strong> die bin ich im Moment nicht gut zu<br />
sprechen. Trotzdem weiß ich nicht so recht, was ich tun<br />
soll, also knurre ich vorsichtshalber. Das findet er doof. Er<br />
geht weg, bevor ich ihn beschnuppern kann. Mmh, so war<br />
das nun auch nicht gemeint. Ich winsele ihm nach, schaue<br />
hilfesuchend mein Frauchen an, aber das zuckt nur die<br />
Schultern. Der kleine Fremdling mit den krummen <strong>Beinen</strong><br />
trappelt davon, ohne sich nochmal nach mir umzudrehen.<br />
Püh, dann eben nicht!<br />
Bald sind wir in Malause, wieder am langweiligen Wasser.<br />
Dafür hab ich endlich wieder Pilger in der Nase und im<br />
Blick, die ich versuchen kann zu kriegen. Als wir wieder<br />
Pause machen, kommen sie ganz von selbst. Ich wedle mit<br />
dem Schwänzchen und werde dafür zu Belohnung von<br />
jedem kurz getätschelt, der vorbeikommt. Fotos haben sie<br />
ja alle schon.<br />
Bis nach Espalais l<strong>auf</strong>en wir jetzt ganz langweilig an der<br />
Straße entlang und Frauchen nervt mich immer wieder mit<br />
ihrem blöden neuen Stöckchen vor meiner Nase.<br />
Die nächste Pause machen wir bei einem Mann und einer<br />
Frau, die ganz nett zu meinen Menschen sind. Sie kriegen<br />
was zu trinken und dürfen <strong>auf</strong> das Klo und werden sogar<br />
gefragt, ob sie was essen möchten. Wieso fragt mich eigentlich<br />
keiner?!? So eine leckere dampfende Kartoffel<br />
oder ein Stück von dem duftenden Käse würde ich schon<br />
nehmen. Mir ist gar nicht mehr übel! Ich würde aber auch<br />
die Katze nehmen, die ich hier <strong>auf</strong> jedem Sitzkissen erschnuppere<br />
und die mich fast verrückt m<strong>acht</strong>. Das Gemeine<br />
ist ja, dass Frauchen lange vor mir gesehen hat, dass<br />
der Leckerbissen in den Dachbalken der offenen Scheune,<br />
in der wir sitzen, hoch über uns herumklettert. Als ich sie<br />
dann endlich bemerke, will ich sie unbedingt kriegen. Ist<br />
mir jetzt egal, ob Frauchen dabei fast vom Stuhl fällt! Aber<br />
leider hat die sich schnell wieder im Griff und sagt mir (wie<br />
immer, wenn ich was mache, was ihr nicht gefällt), ich solle<br />
mich hinlegen und den Mund halten. Ich motze noch ein<br />
bisschen. Dann hab ich mich gerade beruhigt, als plötzlich<br />
ein riesiges Monster vor mir steht. Es hat auch so Taschen<br />
an wie ich, ist aber viiiiel größer, riecht komisch und hat so<br />
lange Haare am Po! Frauchen und Papa freuen sich sehr,<br />
weil wir schon die ganzen letzten Tage die Fußspuren und<br />
die Köttel von diesem Monstrum verfolgen. Der Mann, der<br />
mit dem Monster gekommen ist, erzählt, er hätte schon viel<br />
von uns und besonders von mir erzählt bekommen. Der<br />
Eselmann fotografiert uns, Papa fotografiert den Eselmann<br />
und dessen Esel und ich bin froh, als wir weitergehen und<br />
ich mich endlich nicht mehr <strong>auf</strong>regen muss. Und sogar da<br />
sagt Frauchen, ich soll die Klappe halten! Wenn ich mich<br />
so fürchte! Manchmal verstehe ich mein Frauchen nicht.<br />
91
Als wir weiter durch den Ort gehen, rieche ich überall noch<br />
mehr köstliche Katzen. Und dann sehe ich eine direkt vor<br />
mir! Ich versuche sie mit aller Kraft und einem schnellen<br />
Haps zu kriegen, aber mein Frauchen ist blöderweise<br />
immer noch stärker. Außerdem schimpft sie ganz doll mit<br />
mir. Das ist mir aber im Moment egal, denn das blöde<br />
Fellknäuel sitzt immer noch an der gleichen Stelle. Ich<br />
stemme mich weiter gegen mein lästiges Anhängsel, werde<br />
aber einfach weggezogen. Manno!<br />
In Auvillar finden meine Menschen es sehr schön, aber mir<br />
ist langweilig, weil es einfach nur eine alte Stadt mit vielen<br />
Steinen ist.<br />
Als wir unter der Autobahn hergehen, klingelt Frauchens<br />
Telefon. Irgendwie weiß ich, jetzt ist was in der Luft. Papa<br />
telefoniert mit Johan, das kann ich hören. Sie verabreden<br />
ein Treffen heute Abend in der Unterkunft. Jipieh! Dann<br />
wächst unser Rudel wieder! Und den Johan mag ich besonders<br />
gern, obwohl der mir nie was von seinem Essen<br />
gibt.<br />
Den Rest des Weges kann ich es nicht erwarten, zu unserem<br />
Schlafplatz zu kommen. Ich ziehe und ziehe und<br />
Frauchen nervt mit ihrem Stöckchen. Und dann fängt es<br />
auch noch an zu regnen.<br />
Irgendwann kommen wir endlich an. Ich bin nass und<br />
kaputt und will einfach nur den Rucksack ausziehen und<br />
schlafen. Hier im Flur ist aber alles voller Leute. Viele<br />
kenne ich nicht, aber Anne, Johan und Nanni sind wenigstens<br />
auch da. Frauchen und Papa müssen unbedingt noch<br />
einen Begrüßungsdrink nehmen und einchecken. Mir<br />
reicht's. Ich knalle mich mit Sack und Pack mitten in die<br />
kalte Küche und es ist mir egal, ob alle über mich drübersteigen<br />
müssen und ich müffle.<br />
Als wir nach dem langen Tag in unser Zimmer kommen,<br />
legt Frauchen mir meine Decke vor die Heizung, gibt mir<br />
Futter und Wasser, verarztet mich und gibt mir eine lange<br />
Massage. Und wenn sie das m<strong>acht</strong>, sind für mich fast die<br />
Mühen des Tages vergessen. Und wenn ich mich dann <strong>auf</strong><br />
meiner Decke zusammenrolle und zufrieden seufzend<br />
einschlafe, träume ich bald von all dem, was ich den ganzen<br />
Tag erlebt habe. Und ich erlebe eine ganze Menge!<br />
Mama Ingrid (Mittwoch, 01. Mai 2013)<br />
Hab Siras Geschichte vorgelesen, Amelie saß <strong>auf</strong> meinem<br />
Schoß und hat gebannt zugehört. Wieso Sira <strong>auf</strong> einmal<br />
reden kann, mussten wir ihr natürlich erst mal erklären.<br />
Vielen Dank für die reizende Story.<br />
Habt ihr den Esel endlich doch eingeholt!<br />
Dani (Donnerstag, 02 Mai 2013 08:35)<br />
Sehr geil, Sira!<br />
Sebastian (Donnerstag, 09 Mai 2013 19:53)<br />
Dieser <strong>Ein</strong>trag hat mir wirklich Spaß gem<strong>acht</strong>, so was darf<br />
Sira öfter schreiben!!<br />
30. April 2013<br />
Annika: Wieder vereint!<br />
Von Saint-Antoine bis Lectoure (26 km)<br />
Ab sieben Uhr herrscht heute reges Treiben in unserem<br />
Zimmer. Johan und Nanni, die im Zelt geschlafen haben,<br />
kommen heute Morgen zum Frühstück in unser großzügiges,<br />
altmodisches und irgendwie nach Katzenpipi riechendes<br />
Appartement. So schmeckt das Frühstück gleich viel<br />
besser. Außerdem verströmt die Gemeinschaftstoilette im<br />
Flur einen eigenartigen Geruch nach Zahnarztpraxis. Es ist<br />
doch immer wieder spannend, in was für unterschiedlichen<br />
Unterkünften man schläft.<br />
Pünktlich um <strong>acht</strong> ziehen wir, frisch vereint mit Hanni und<br />
Nanni, in ein neues <strong>Abenteuer</strong>. Bei dem gleichen Nieselregen<br />
wie bei unserem ersten gemeinsamen Morgen vor fünf<br />
Wochen. Das ist ja nicht unbedingt motivierend! Und nach<br />
der gestrigen Mammutetappe komme ich nur schwer in<br />
Gang.<br />
Meine erste Amtshandlung ist eine Demonstration gegen<br />
Siras Pilgerjagd. Das klappt sogar <strong>auf</strong> Kommando. Und<br />
Sira sprintet los, hüpft hoch und bellt <strong>auf</strong> komischer Frequenz.<br />
Die Neuankömmlinge finden es amüsant.<br />
Nach der ersten Steigung können wir auch gleich einen<br />
Pilgerstopp samt Honor-Box präsentieren. Das begeistert!<br />
Natürlich halten wir, obwohl es für eine Pause eigentlich<br />
viel zu früh ist. Auf Bänken unterm Wellblechdach gibts<br />
gekochte Eier von den Hofhühnern und einen Kaffee, der<br />
Tote <strong>auf</strong>erstehen lässt. Die vier Plastikbecher sind nicht so<br />
wirklich sauber, aber Genügsamkeit gehört eben auch zum<br />
Pilgerdasein. Nach dem kurzen Boxenstopp führt der weitere<br />
Weg über Feldwege, die den gestrigen Nachmittag<br />
nicht unbeschadet überstanden haben: Sie sind matschig!<br />
Jeder Schritt strengt an, weil wir ständig abrutschen beim<br />
Berg<strong>auf</strong>- oder Bergabl<strong>auf</strong>en. Nach einiger Zeit <strong>auf</strong> Wiesenpfaden<br />
sind Hosen und Schuhe nicht nur schlammig,<br />
sondern auch richtig nass. Nach einem matschigen Anstieg<br />
bis Miradoux haben wir uns eine Pause redlich verdient.<br />
Wir suchen angestrengt nach einem trockenen,<br />
idealerweise auch warmen Plätzchen. Dani, wir haben<br />
euch hier frühlingswettertechnisch gar nicht sooooo viel<br />
voraus, glaube ich. Ich finde es heute wieder ziemlich kühl.<br />
Wir sind froh, als wir wenigstens in den nicht abgeschlossenen<br />
Vorraum des Salle des Fétes, des Dorfhauses,<br />
schlüpfen können. Wir setzen uns <strong>auf</strong> den Boden, Sira<br />
bekommt ihre Decke ausgebreitet und Johan und Nanni<br />
kochen Tee <strong>auf</strong> ihrem Spirituskocher. Hach, das kann man<br />
fast gemütlich nennen! Als wir nach über einer Stunde<br />
endlich wieder losziehen, ist Sira trotzdem so durchgefroren,<br />
dass sie wieder Muskelkrämpfe im Oberschenkel hat.<br />
Mann, das ist ja wie im Februar in der Eifel!<br />
92
Wir entscheiden, die parallel zur Straße verl<strong>auf</strong>enden<br />
Pfade zu meiden und l<strong>auf</strong>en direkt <strong>auf</strong> dem wenig befahrenen<br />
Asphalt. Wo es sich nicht vermeiden lässt, rutschen<br />
und schlittern wir über Schlamm- und Glitschpisten.<br />
Bald erreichen wir Castet-Arrouy, ein niedliches, blumiges<br />
Dörfchen. Scheinbar haben alle Pilger sich dieses Örtchen<br />
als Pausenplatz ausgesucht. Hier wuseln weitaus mehr<br />
Rucksackträger als <strong>Ein</strong>wohner herum. Sira wird gleich von<br />
zwei Hunden begrüßt, die sie so misstrauisch beäugt, dass<br />
sie bald das Weite suchen. Wir treffen auch wieder <strong>auf</strong><br />
Anne, die Sira die Reste ihrer Pastete mit Brot überlässt.<br />
Nach ein paar Sätzen l<strong>auf</strong>en wir weiter, immer an der<br />
Landstraße entlang. Autofahrer grinsen und winken bei<br />
unserem Anblick.<br />
Als wir von der Straße in einen Feldweg abzweigen, muss<br />
ich innerlich lachen. Scheinbar gibt's heute nur zwei Möglichkeiten:<br />
Matsch oder Landstraße. Jetzt ist mal wieder<br />
Matsch angesagt. Bis kurz vorm Ziel waten und balancieren<br />
wir durch die Landschaft, immer <strong>auf</strong> der Suche nach<br />
festem Tritt.<br />
Ziemlich geschafft und schmutzig erreichen wir unsere<br />
Unterkunft in Tarissan. Johan und Nanni bekommen ihren<br />
Zeltplatz gezeigt und wir die Kette, an der wir Sira im Garten<br />
festmachen können. "Neenee. Ist nicht. Hund im Zimmer<br />
hatten wir gesagt." - "Neenee, im Zimmer geht aber<br />
nicht, ist alles neu und schön. Und der Holzboden." -<br />
"Neenee, aber der Hund ist lieb und sauber und schläft bei<br />
uns."... Ratlose Gesichter...<br />
"Na gut, wir haben da auch noch ein unrenoviertes Zimmer.<br />
Da kann aber nicht geheizt werden. Und der Hund<br />
soll nicht <strong>auf</strong> den Teppich."<br />
Das Zimmer ist zu <strong>acht</strong>zig Prozent mit Teppich ausgelegt.<br />
Ich nicke. "Essen?"- "Nein, danke, brauchen wir nicht, nur<br />
schlafen." Leichte Unzufriedenheit <strong>auf</strong> dem Gesicht der<br />
Hausherrin. ´Tschuldigung, leider keine Halbpension-<br />
Luxuspilger. Als Johan und Nanni sich in der Gemeinschaftsküche<br />
im renovierten Teil der Herberge einen Tee<br />
kochen wollen, schickt man sie weg. Dafür hätten sie nicht<br />
bezahlt. Später gesellen sie sich zu uns. Wir kochen in<br />
unserer unrenovierten Küche und essen, um gegen die<br />
Kälte anzukommen, in unserem Zimmer in Decken gehüllt.<br />
Irgendwie fühlen wir uns komisch. Als ginge es hier auch<br />
bloß ums Geld. Leider fällt uns das nicht zum ersten Mal<br />
<strong>auf</strong>. Naja, ich liege unter der warmen Decke in einem Bett,<br />
das genügt mir vorerst. Und Johan und Papa schauen<br />
Champions League beim Herbergsvater. Immerhin!<br />
Mama Ingrid (Donnerstag, 02 Mai 2013 00:17)<br />
Na ja, für Siras Füße sind diese Schlammwege sicher die<br />
reinste Fango-Packung und machen ihr bestimmt mehr<br />
Spaß als Asphalt-Trampeln.<br />
Sebastian (Donnerstag, 09 Mai 2013 20:07)<br />
Unter der Decke liegen kostet extra!<br />
1.Mai 2013<br />
Reinhard: Unter Deckenbergen<br />
Von Lectoure bis La Romieu (24 km)<br />
"Madrid kaputt!" - Michel fasst kurz und knapp das Ereignis<br />
treffend zusammen. Wie Recht der Mann hat! Im Champions-League-Halbfinale<br />
verliert Borussia Dortmund zwar mit<br />
0:2 gegen Real Madrid, aber nach einem 4:1 Hinspielerfolg<br />
stehen die Ruhrpott-Jungs jetzt im Endspiel. Im Wohnzimmer<br />
von Ginette und Michel, dem Gastgeberehepaar unserer<br />
Gite, haben Johan, Pilgerfreund Jean George aus dem<br />
Elsass, Michel selbst und ich die Freude, diesem denkwürdigen<br />
Ereignis beizuwohnen. Johan, als heißer Dortmund-<br />
Fan, ist 96 Minuten lang dem Herzschlag nahe. Nanni<br />
schläft derweil bereits in ihrem Zelt, muss aber natürlich<br />
nach Johans Rückkehr mit hängenden Augenlidern den<br />
Triumph Johans teilen. <strong>Ein</strong> Mann muss sich eben auch mal<br />
mitteilen können.<br />
Für Anni und mich ist die N<strong>acht</strong> nur halbgut. In Ermangelung<br />
eines funktionierenden Heizkörpers haben wir die<br />
N<strong>acht</strong> über mehrere Decken über uns angehäuft. Je länger<br />
wir nun aber darunter liegen, umso mehr haben wir das<br />
Gefühl, plattgedrückt zu werden. Wenn wir Finger- oder<br />
Fußspitzen jedoch mal kurz frische Luft atmen lassen<br />
wollen, sind diese in Sekunden schockgefroren. Erholsamer<br />
Schlaf hält sich also in Grenzen.<br />
Als Nanni und Johan am Morgen um kurz vor 7 Uhr von<br />
ihrer Zeltwiese zu uns ins Zimmer kommen, um das Bad<br />
und die Küche mitzubenutzen, hält Johans gute Laune<br />
immer noch an, wird aber doch beträchtlich eingetrübt, als<br />
<strong>auf</strong> einmal Gite-Betreiberin Ginette in der Tür steht. Offensichtlich<br />
möchte sie sich davon überzeugen, dass die<br />
beiden Camper nicht die N<strong>acht</strong> in unserem Zimmer verbr<strong>acht</strong><br />
haben. Dann müsste dafür schließlich noch kassiert<br />
werden. Johan kann wahrheitsgemäß diesen Verd<strong>acht</strong><br />
zurückweisen, ist aber stinksauer <strong>auf</strong> Madame. Michel, der<br />
Fußball-Fan, liegt ihm da schon eher.<br />
Gemütlich marschieren wir los, heute haben wir es nicht<br />
weit. Es ist noch keine Stunde vergangen, da ziehen wir in<br />
Lectoure ein. Der 45 Meter hohe Glockenturm der Kathedrale<br />
St.-Gervais et St.-Protais erhebt sich eindrucksvoll vor<br />
uns. Für diesen kleinen Ort ein gewaltiges Bauwerk. Ich<br />
kann natürlich nicht daran vorbeigehen und muss einen<br />
Blick reinwerfen. Kein Mensch ist um diese Zeit drin, dafür<br />
empfängt mich leise Kirchenmusik vom Band. <strong>Ein</strong>fach<br />
schön! In diesen Momenten werde ich tatsächlich immer<br />
etwas andächtig.<br />
Johan ist in dieser Zeit <strong>auf</strong> dem Weg zu einem großen<br />
Supermarkt, die Vorräte sind <strong>auf</strong>gebraucht. Anni und Nanni<br />
haben derweil schon ein kleines Café gefunden, das über<br />
ein Wifi-Netzwerk verfügt. Beide haben einiges hochzuladen<br />
und hoffen, das hier tun zu können. <strong>Ein</strong> großer Erfolg<br />
wird das nicht, dafür schmecken mir der Kaffee und der<br />
Crêpe draußen <strong>auf</strong> der kleinen, von den ersten einfallenden<br />
Sonnenstrahlen erwärmten Straßenterrasse köstlich.<br />
Johan kommt zurück mit einer Fehlanzeige. Der Supermarkt<br />
hat geschlossen! Heute ist schließlich der 1. Mai,<br />
einer der höchsten Feiertage in Frankreich.<br />
93
Auf unserem Weg aus Lectoure heraus, setzt sich die<br />
Sonne immer mehr durch. Es wird beständig wärmer und<br />
damit Zeit zum Zippen! <strong>Ein</strong>e hervorragende Erfindung,<br />
mittels Reißverschlüssen aus langen Wanderhosen Shorts<br />
zu machen. Anoraks, Fleecejacken oder Pullis verschwinden<br />
im Rucksack - wir verspüren endlich mal wieder Wärme<br />
<strong>auf</strong> der Haut. <strong>Ein</strong>ige Feldwege vermeiden wir heute,<br />
nehmen dafür lieber kleine Straßen, auch wenn sie geringe<br />
Umwege bedeuten. Durch Matsch zu schlingern, ist für uns<br />
jetzt mal keine wünschenswerte Option.<br />
Kurz vor dem winzigen Ort Mersolan kommen wir an einen<br />
Picknickplatz. Unmittelbar davor steht ein Holzhäuschen,<br />
kaum größer als ein Gartenhäuschen. Sein einziger<br />
Zweck: dem vorbeiziehenden Pilger eine kleine Auswahl<br />
an Lebensmitteln und Getränken zur Verfügung zu stellen,<br />
die diese gerne annehmen. Zwei der Kunden sind Johan<br />
und ich. Brot, Käse, etwas Süßes und zu trinken. Zufrieden<br />
machen wir uns damit am Picknicktisch breit.<br />
Mit am Tisch sitzt zunächst noch ein älterer schweigsamer<br />
Pilger. Dann steht er <strong>auf</strong> und zieht mit schweren Schritten<br />
weiter. Er m<strong>acht</strong> keinen guten <strong>Ein</strong>druck. Wer weiß, welche<br />
Schicksale sich hinter manchem verbergen, der <strong>auf</strong> dem<br />
Jakobsweg unterwegs ist. Ich glaube, so einige machen<br />
das nicht nur zum reinen Vergnügen. Bei einer nächsten<br />
Rast bei einem größeren Teich stoßen wir wieder <strong>auf</strong> ihn.<br />
Genauso wie uns umschwirren ihn Hunderte von kleinen,<br />
<strong>auf</strong>dringlichen Fliegen. Während wir schnell wieder flüchten,<br />
bleibt er noch im Gras sitzen, den Blick geradeaus<br />
gerichtet. Wir versuchen, die Rast <strong>auf</strong> einem Hügel nachzuholen,<br />
werden aber wieder von Fliegen vertrieben. Während<br />
wir uns wieder die Rucksäcke <strong>auf</strong>werfen, kommt der<br />
alte Herr schwer atmend an uns vorbei. Wir können es<br />
kaum mitansehen. Johan fragt ihn spontan, ob er ihm den<br />
Rucksack tragen soll. Er lehnt lächelnd, aber bestimmt ab.<br />
Was hat dieser Mensch wirklich zu tragen?!<br />
Bei steigenden Temperaturen nähern wir uns unserem<br />
Etappenziel, den wenigen Häusern von Moncade und<br />
unserer dortigen Gite. Nanni und Johan wollen noch einen<br />
Kilometer weiter bis La Romieu. Wir haben dort keine<br />
Unterkunft wegen Sira bekommen, die beiden aber wollen<br />
ihr heute <strong>auf</strong> den Tag genau fünfjähriges gemeinsames<br />
Glück in einem Mobil-Home <strong>auf</strong> dem dortigen Campingplatz<br />
verbringen. Wir verabreden uns für morgen und sie<br />
ziehen sich in die Zweisamkeit zurück.<br />
Zehn Minuten später sind wir drei Pilger mit den <strong>acht</strong> <strong>Beinen</strong><br />
in unserer Gite Beausoleil zunächst noch eine Weile<br />
alleine, dann kommt eine <strong>acht</strong>köpfige Gruppe dazu. Das<br />
Palaver, das sie nach ihrem Abendessen veranstalten, ist<br />
nicht ohne. Hoffentlich wecken sie Anni nicht wieder <strong>auf</strong>.<br />
Sie schläft friedlich neben mir im Bett, mit ihrem kleinen<br />
Teddy im Arm.<br />
Dani (Donnerstag, 02 Mai 2013 08:48)<br />
Die Fliegen dürften das Gleiche denken wie Sira den ganzen<br />
Tag: "Hmmmmmm, lecker Pilger...!"<br />
2. Mai 2013<br />
Annika: Pilgernächte<br />
Von La Romieu bis Condom (16 km)<br />
Um 2:30 Uhr ist meine N<strong>acht</strong> vorerst vorbei. Irgendwie<br />
habe ich es geschafft, meinen Schlafsack so zu verdrehen,<br />
dass der Reißverschluss an den Füßen <strong>auf</strong> meiner rechten<br />
und an meinen Schultern <strong>auf</strong> der linken Seite ist. Außerdem<br />
bin ich wohl so tief hineingerutscht, dass ich meine<br />
Füße komisch abschnüre. Ich versuche, das Ganze durch<br />
Hin- und Herrutschen zu korrigieren, komme aber nicht so<br />
recht weiter. Ich quäle mich aus dem warmen Bett und<br />
muss mein gesamtes Bett neu richten. Danach kann ich<br />
endlich weiterschlafen.<br />
Die wuselige Achtergruppe in unserem Haus konnte mich<br />
gestern Abend nicht vom Schlafen abhalten. Ohropax for<br />
president! Heute Morgen ist sie allerdings schon wieder so<br />
schnatterig beschäftigt, dass sie mich ganz hektisch<br />
m<strong>acht</strong>.<br />
Nach dem gestrigen Tag schmeiße ich mich optimistisch in<br />
Sonnencreme und kurze Hose, werde aber ziemlich<br />
schnell eines Besseren belehrt: Der Boden ist nass, es hat<br />
geregnet. Kalt ist es auch. Egal, so lang man läuft, ist es<br />
auszuhalten.<br />
In Le Romieu, der Stadt der Katzen, treffen wir verdammt<br />
wenig lebende Exemplare an, dafür sitzen allerdings mehrere<br />
steinerne Ausführungen in den Fenstern am Marktplatz.<br />
Außerdem stehen mehrere Plastikschalen mit Futter<br />
<strong>auf</strong> dem Boden, überall im Ort, einfach so, als läge jedem<br />
das Wohl der Samtpfoten am Herzen.<br />
Papa und Nanni schauen sich das Kloster an, Sira muss<br />
wie immer draußen bleiben. Ich also auch. Johans Interesse<br />
fürs Kloster hält sich auch in Grenzen, also warten wir<br />
am Marktplatz. In unserer Nähe sitzt ein Japaner. Wir<br />
kommen ins Gespräch und er erzählt, er trage 17 Kilo <strong>auf</strong><br />
dem Rücken und l<strong>auf</strong>e 30-40 km am Tag, von Le Puy bis<br />
Santiago. Er schläft jede N<strong>acht</strong> im Zelt. Er grüßt uns noch<br />
grinsend und zieht dann strammen Schrittes fort.<br />
Mannomann, wenn der zierliche Kerl das wirklich so<br />
durchzieht bis zum Ende, alle Achtung!<br />
Nach einer Weile entscheide ich mich doch, meine Niederlage<br />
gegen den Wettergott einzusehen; Ich tausche die<br />
Zipp-Hose gegen meine "Winterhose". Wenigstens für<br />
heute. Als die zwei ihre Besichtigung beendet haben,<br />
ziehen wir gemütlichen Schrittes los Richtung Condom.<br />
Nach einem Stück festem Asphalttritt, gelangen wir bald<br />
wieder <strong>auf</strong> einen Feldweg, der uns bergab schlingern lässt.<br />
Der Regen der letzten N<strong>acht</strong> hat den Pfad wieder zur<br />
Schlammpiste gem<strong>acht</strong>. So langsam vermiest einem das<br />
wirklich die unbefestigten Wege. Da freut man sich fast <strong>auf</strong><br />
Teer, da weiß man, was man hat.<br />
Bald passieren wir eine Hauseinfahrt, an der nur ein kleines<br />
Schild mit der Aufschrift "donativo" steht. Donativo<br />
heißt Spenden, Spenden ist gut, also hin da. Wir wittern an<br />
dem Haus eine Honor-Box. Und wir behalten Recht. <strong>Ein</strong><br />
Tisch mit Stühlen, Kaffee, Tee, Keksen, Stempelbox und<br />
94
terzahl nach Santiago an. Dem munteren Pilger führen sie<br />
vor Augen, wie schnell die Kilometer vergehen. Den erschöpften<br />
Pilger bringen sie vielleicht zur Verzweiflung,<br />
weil der Pilgertag anscheinend nie enden will.<br />
In Boente, unserem Tagesziel, zeigt einer dieser Steine<br />
noch 45 Kilometer an. In drei Tagen werden wir in Santiago<br />
sein. Irgendwie nicht zu fassen. So langsam glaube ich<br />
dran.<br />
Die "Albergue-Bar Boente" nimmt uns tatsächlich <strong>auf</strong> - mit<br />
Hund. Während einige andere Pilger in einem Schlafsaal<br />
zusammengedrängt werden, bekommen wir einen anderen<br />
kleinen Schlafsaal ganz für uns allein. Wer sagt eigentlich,<br />
dass es schwer sei, mit einem Hund <strong>auf</strong> dem Camino zu<br />
pilgern?<br />
Draußen beginnt es zu regnen. Lernen wir jetzt auch mal<br />
das typisch galicische Regenwetter kennen?<br />
17. Juni 2013<br />
Annika: Tropfsteinhöhle<br />
Von Boente bis Santa Irene (25 km)<br />
Schon vor dem Frühstück hat Papa den Kaffee <strong>auf</strong>. Oder<br />
eben nicht. Hierzu muss man erklären, dass ich, so oft es<br />
geht, versuche, den Morgenkaffee mit dem heißen Wasser<br />
aus dem Hahn herzustellen. Nur, wenn dort wirklich kaltes<br />
Wasser rauskommt, wird meine Faulheit besiegt und ich<br />
packe den rußenden Kocher aus. Heute entscheide ich,<br />
dass das Leitungswasser heiß genug ist und nutze den<br />
Kochtopf als Schale für unser Müsli. Papa will die Tassen<br />
mit Wasser füllen und kommt maulig zurück. "Das war ja<br />
wohl mal gar nix! Eiskalt, die Plörre! Das kann man ja<br />
keinem Esel ins Ohr schütten..." Ich grinse und schweige.<br />
Nachdem er zehn Minuten lang still gelitten hat, erlöse ich<br />
ihn und k<strong>auf</strong>e ihm an der Bar unserer Herberge einen<br />
heißen Kaffee. Der Tag kann beginnen.<br />
Ich bin heute sowas von gut in der Zeit! Wenn es nach mir<br />
ginge, hätten wir um 7.20 Uhr unterwegs sein können.<br />
Papa braucht länger. Er nimmt noch Blog-Korrekturen vor.<br />
Naja, auch so sind wir um zehn vor <strong>acht</strong> parat, das ist<br />
immer noch früh genug.<br />
Das Wetter am Morgen ist nicht unbedingt viel besser als<br />
das am Vorabend. Es regnet zwar gerade nicht, aber dicke<br />
Wolken verhängen den Himmel, alles ist nass und ungemütlich<br />
und kalt und die richtige Wanderlust mag nicht<br />
<strong>auf</strong>kommen. Und wie sollen die Waldwege erst aussehen<br />
nach dem Regen?!?<br />
Es ist weniger schlimm als erwartet und wir erreichen bald<br />
Rivadiso. Aus der Herberge kommen gerade fröhlich unser<br />
Ben und Lukas, ein junger Österreicher. Ben hatte gestern<br />
keine Lust mehr weiter zu l<strong>auf</strong>en, also wandern wir nun<br />
zusammen nach Arzúa.<br />
Nach gemeinsamem <strong>Ein</strong>k<strong>auf</strong> und einer Rast ziehen die<br />
Zwei allein weiter. Sie haben heute einen weiten Weg vor<br />
sich, da sie ihren frühen Stopp in Rivadiso wieder ausgleichen<br />
müssen. Wir verabschieden uns und bleiben noch<br />
einen Moment.<br />
Sira benimmt sich komisch seit ein paar Tagen. Keine<br />
Sorge, sie ist nicht krank oder so. Sie verhält sich nur<br />
komisch. Vielen Artgenossen, teilweise auch wirklich sympathischen<br />
Rüden gegenüber ist sie <strong>auf</strong>fallend zickig. Das<br />
kenne ich von ihr seit Monaten nicht. Gestern bei unserer<br />
Mittagsrast an einer Bar hat sie quasi durchgehend gefiept<br />
und gejammert. <strong>Ein</strong>en Grund konnte ich nicht erkennen.<br />
Heute bei unserer Rast ist sie wieder irgendwie knatschig.<br />
Sie knurrt und fiept in Richtung der Sonne, die blass durch<br />
die Wolken hindurchscheint. Ok, das ist ihr grundsätzlich<br />
nie geheuer, aber heute steigert sie sich regelrecht rein.<br />
Sie setzt sich sogar schutzsuchend unter den Tisch, immer<br />
noch maulend. Erst als ich ihr Schutz hinter mir biete, ist<br />
sie zufrieden.<br />
Ich frage mich in solchen Momenten, welcher Teufel sie<br />
gerade reitet. Merkt sie, dass das Ende der Reise näher<br />
rückt? Hat sie genug von immer neuen, ständig wechselnden<br />
Bekanntschaften? Oder projiziere ich hier etwas <strong>auf</strong><br />
den Hund, was vielleicht eigentlich gar nicht da ist? Ich<br />
habe das Gefühl, ihr reicht es. Na gut, sie hat ihre Dienste<br />
geleistet und lang ist es jetzt ja auch nicht mehr.<br />
Auch nach der Pause behält sie ihre Mauligkeit. Sie zieht<br />
durchgehend, egal ob mit oder ohne Pilger voraus. Ich bin<br />
mal wieder ausreichend genervt, um von Papa Ablöse<br />
einzufordern. Er willigt wie immer ein. Was würde ich hier<br />
bloß ohne ihn machen?<br />
Als die beiden vorausjagen, komme ich nicht mehr nach.<br />
Ich falle zurück und bleibe stehen. Mein Blick schweift über<br />
die Weiden. Es ist mal wieder warm geworden. Bald ist das<br />
hier alles vorbei. Dann müssen wir nicht mehr bangen,<br />
wenn Regen vorhergesagt ist. Dann müssen wir morgens<br />
nicht mehr dreimal überlegen, ob uns auch ja nicht zu kalt<br />
oder zu warm wird den ganzen Tag über. Ich muss mich<br />
nicht mehr täglich mit Sira herumzanken und bin nicht<br />
mehr andauernd <strong>auf</strong> Papa angewiesen. Schade eigentlich.<br />
Bei all der Vorfreude <strong>auf</strong> zu Hause und meiner Begeisterung,<br />
das Ziel zu erreichen, vergesse ich manchmal, was<br />
wir hier jeden Tag für ein <strong>Abenteuer</strong> erleben und was für<br />
ein Glück wir haben, dass uns das so lange, in der Intensität<br />
und mit so viel Glück möglich ist, auch gesundheitlich.<br />
Wir haben hier eine tolle Zeit erlebt und ein bisschen traurig<br />
bin ich doch.<br />
Während ich so vor mich hin sinniere, wandert meine Hand<br />
zu der kleinen Tasche am Hüftgurt meines Rucksacks. Es<br />
ist Zeit für ein Klümmek (=Bonbon). Ich greife in die Tasche<br />
und ziehe sie angeekelt wieder raus. Aus den Karamell-<br />
und Hustenbonbons, die wir noch in Frankreich gek<strong>auf</strong>t<br />
haben, ist im L<strong>auf</strong>e der Zeit und der Sonnenstunden<br />
ein großer, klebriger Klumpatsch geworden, der sich nicht<br />
mehr auseinander dividieren lässt. Und mein Pfefferspray<br />
mittendrin. Na lecker. Unverrichteter Dinge ziehe ich den<br />
Reißverschluss einfach wieder zu. Das mache ich sauber,<br />
wenn ich zu Hause bin.<br />
Schon während wir durch den Wald l<strong>auf</strong>en, zieht sich der<br />
Himmel langsam aber bedrohlich zu. Bald hält neben uns<br />
162
ein Auto. <strong>Ein</strong>e deutsche Frau steigt aus und sagt, sie sei<br />
so begeistert, dass sie mal eben aussteigen und den Hund<br />
anfassen müsse. Nach dem üblichen Smalltalk über das<br />
Wandern mit Hund fragt sie, ob Sira eine Pilgermuschel<br />
hätte. Ich verneine und sie bittet uns, bis zu ihrem Haus mit<br />
Kaffee- und Kuchenstand zu l<strong>auf</strong>en und dort einen Moment<br />
zu warten. Das tun wir auch und werden von zahlreichem<br />
Hundegebell aus einem Freigehege und einem kleinen Fiffi<br />
begrüßt, der um uns herum springt. Sira und er sind sich<br />
<strong>auf</strong> Anhieb sympathisch und spielen lange und ausgelassen<br />
miteinander. Wir trinken Tee und unterhalten uns<br />
lange über den Tierschutz. Ihre fünf Hunde sind allesamt<br />
arme Tiere gewesen, einer ein krepierender Kettenhund,<br />
der Nächste nachgel<strong>auf</strong>en, wieder einer überfahren und<br />
mehr tot als lebendig von ihr zum Tierarzt geschleppt. Die<br />
Tiere beeindrucken mich durch ihr tolles Sozialverhalten,<br />
ihre blinde Folgsamkeit und ihre Grundfreundlichkeit, auch<br />
der bullige Kampfhund.<br />
Während wir uns unterhalten, kommt ein uns bekanntes<br />
Gesicht aus dem Haus: Anke hat nach einer kurzen aber<br />
heftigen Migräne-Attacke hier Zuflucht gefunden. Sie durfte<br />
zwei Stunden schlafen, jetzt geht es ihr besser und sie<br />
zieht mit uns weiter. Der zugezogene Himmel hat sich zu<br />
einem handfesten Regen entwickelt, der auch bis zum<br />
Abend durchhält.<br />
Durch weitere Hohlwege und Wälder kommen wir voran.<br />
Für eine weitere Rast kauern wir uns zu viert in eine Bushaltestelle.<br />
Wir sehen dem Regen zu. Der klitschnasse<br />
Hund drückt sich gegen mein warmes Bein, um nicht zu<br />
frieren.<br />
Der Weg zum Ziel kann gar nicht schnell genug vergehen.<br />
Bei Regen ziehen wir in Santa Irene ein. In der öffentlichen<br />
Herberge weist man Anke ein Bett zu und zeigt uns die<br />
Pferdebox für den Hund. Mit der grundsätzlichen Thematik<br />
komme ich klar, aber das Wasser, das in der leicht abschüssigen<br />
Seite der Box steht und vor sich hinfault, m<strong>acht</strong><br />
mir das Ganze nicht unbedingt sympathischer. Das Wissen,<br />
dass ich mit Sira diese Schlafstätte teilen werde, erst<br />
recht nicht. Die Frau von der Herberge guckt nur ungläubig,<br />
als ihr klar wird, dass ich bei meinem Hund bleiben<br />
werde.<br />
Papa würde gern mit uns leiden, aber der faulende See in<br />
unserer Box lässt nur Platz für einen Menschen nebst<br />
Hund. Ich bin ganz froh, dass er sich das hier nicht mit<br />
antun muss. Schweren Herzens geht er rein und ich baue,<br />
wie so oft in letzter Zeit, unser Zuhause für eine N<strong>acht</strong>. Ich<br />
kehre, versuche, das stetig nachl<strong>auf</strong>ende und deshalb<br />
tropfende Wasser im Trog zu stoppen, stelle Eimer unter,<br />
lege Alumatten aus, pumpe Matratzen <strong>auf</strong>, lege Schlafsäcke<br />
zurecht und ziehe alles an, was ich habe. Es wird kalt<br />
werden.<br />
Papa und Anke kommen abwechselnd immer wieder mit<br />
schlechtem Gewissen vorbei, um mir irgendwie etwas<br />
Gutes zu tun. Abends liege ich eng an Sira gekuschelt in<br />
meinem Schlafsack, das Wasser, das durch die Abflussrinne<br />
fließt, klingt wie eine Tropfsteinhöhle und der Regen<br />
scheppert <strong>auf</strong>s Dach. Während mir mal wieder kurz übel<br />
wird von dem Geruch des faulenden Brackwassers neben<br />
uns, denke ich mir: Es geht auch schlimmer. Das Wasser<br />
könnte auch noch von oben kommen.<br />
Dani (Mittwoch, 19 Juni 2013 13:11)<br />
Schwesterchen, ihr seid echt ein tolles Rudel! Hut ab!<br />
19. Juni 2013<br />
Reinhard: Santiago!!!<br />
Von Santa Irene bis Santiago de Compostela (24 km)<br />
Wir haben es tatsächlich geschafft! Nach 18 Wochen und<br />
fast 2900 Kilometern sind wir in Santiago de Compostela.<br />
Schon gestern Nachmittag standen wir vor der Kathedrale.<br />
Heute gönnen wir uns einen Tag Ruhe. Ab morgen begeben<br />
wir uns <strong>auf</strong> den "Nachschlag" über Kap Finisterre nach<br />
Muxia. Aber der Reihe nach!<br />
Mir gefällt es n<strong>acht</strong>s in Santa Irene überhaupt nicht, Anni<br />
und Sira in diesem feuchten Loch, was sich Pferdebox<br />
nennt, zu wissen. Ich hätte beiden gerne Gesellschaft<br />
geleistet, aber wenn ich mich dazu gelegt hätte, hätte einer<br />
von uns aus Platzmangel <strong>auf</strong> jeden Fall im Wasser gelegen.<br />
So schlafe ich etwas unruhig im Schlafsaal und treffe<br />
Anni am Morgen relativ wohlbehalten beim Packen vor der<br />
Pferdebox an. Um 8 Uhr sind wir wieder unterwegs.<br />
Der Regen, der noch in der N<strong>acht</strong> kräftig niederging, hat<br />
inzwischen einem klaren Himmel Platz gem<strong>acht</strong>. Aber das<br />
täuscht wohl. Für den Nachmittag und die kommende<br />
N<strong>acht</strong> ist wieder Regen vorhergesagt. Anged<strong>acht</strong> hatten<br />
wir eine Zeltübern<strong>acht</strong>ung <strong>auf</strong> dem Monte de Gozo, fünf<br />
Kilometer vor Santiago. Die Regenaussichten ändern<br />
unseren Plan. Wir beschließen durchzugehen, heute schon<br />
Santiago zu erreichen.<br />
Viele Pilger, die wir heute treffen, haben ein Flackern in<br />
den Augen. Sie fiebern offensichtlich dem Ziel entgegen,<br />
freuen sich <strong>auf</strong> Santiago. Das m<strong>acht</strong> ihre Schritte schneller,<br />
sie unterhalten sich lauter, lachen mehr als sonst. Die<br />
Pausen werden kürzer, sie wollen ankommen, endlich<br />
ankommen. Für manche Pilger wird es auch wirklich Zeit.<br />
Langsam nur noch setzen sie Schritt vor Schritt, die Augen<br />
blicken wie durch einen Tunnel zwei Meter vor die Füße<br />
<strong>auf</strong> den Boden. <strong>Ein</strong>ige tun mir wirklich leid.<br />
Auch wir Drei haben nun einen zügigen Schritt dr<strong>auf</strong>. Es<br />
sind nicht nur die nun doch immer mehr <strong>auf</strong>ziehenden<br />
Wolken, die uns treiben. Es ist etwas anderes. Im Kopf bin<br />
ich noch gar nicht so weit. Ich kann mir nicht vorstellen,<br />
bald vor der Kathedrale zu stehen.<br />
Dann geht es Schlag <strong>auf</strong> Schlag. Von einer Anhöhe hinter<br />
Amenal sehen wir <strong>auf</strong> die Landebahn des Flughafens von<br />
Santiago bei Labacolla, wo wir kurz danach eine Ryanair-<br />
Maschine in den Himmel steigen sehen. Wahrscheinlich ist<br />
sie u.a. voll mit Pilgern, die ein oder zwei Tage zuvor <strong>auf</strong><br />
dem Kathedralenvorplatz standen und sich über das Ende<br />
ihrer Pilgerschaft freuten.<br />
163
Für die Pilger des Mittelalters war Labacolla aus einem<br />
ganz anderen Grund wichtig. An einer Stelle am Ortsausgang,<br />
wo in einem kleinen Wald zwei kleine Bäche zusammenfließen,<br />
pflegten sie sich nochmals zu waschen,<br />
bevor sie dann feierlich in Santiago einzogen. Noch heute<br />
ist diese un<strong>auf</strong>fällig gelegene, historische Waschstelle am<br />
Weg zu sehen. Als wir dort vorbeikommen, ist von sich<br />
waschenden Pilgern nichts zu sehen. Vielleicht wissen<br />
aber auch die heutigen Pilger eher als die früheren, dass<br />
es nochmal einen ordentlichen Hügel hin<strong>auf</strong>geht, den<br />
Monte de Gozo. Was nützt das Waschen, wenn man doch<br />
wieder ins Schwitzen kommt!<br />
Monte de Gozo heißt "Berg der Freude" und bezieht sich<br />
<strong>auf</strong> das große Glücksgefühl, das die Pilger damals erfüllte,<br />
als sie nach all den Strapazen und Gefahren endlich das<br />
ersehnte Pilgerziel Santiago de Compostela vor sich sahen.<br />
Mag sein, dass bei mir dieses Gefühl nicht <strong>auf</strong>kommt,<br />
weil man die damaligen Bedingungen nicht mit den heutigen<br />
vergleichen kann oder weil Baumanpflanzungen und<br />
Büsche kaum einen ungehinderten Blick <strong>auf</strong> Santiago<br />
zulassen. Vielleicht lenkt aber auch das gewaltige Denkmal,<br />
das an den Besuch von Papst Johannes Paul ll. erinnert,<br />
etwas ab. Ich jedenfalls möchte hier oben nur nochmal<br />
eine Rast machen, bevor es zum großen Finale <strong>auf</strong><br />
dem Camino Francés kommt. Viele übern<strong>acht</strong>en nochmal<br />
hier oben in der großen Herberge oder in den anderen<br />
zahlreichen Übern<strong>acht</strong>ungsmöglichkeiten, um am nächsten<br />
Morgen erholt die letzten fünf Kilometer bis zur Kathedrale<br />
zurückzulegen. Sollen sie! Wir wollen jetzt noch runter.<br />
Bei der kurzen Rast treffen wir noch Sylvia aus Bochum<br />
und gemeinsam geht es nun die wenig befahrene, aber<br />
von vielen Pilgern begangene kleine Straße steil nach<br />
Santiago hinunter. Bald merken wir, dass Santiago nicht<br />
nur das Ziel eines Pilgerweges oder eine ehemalige Kulturhauptstadt<br />
Europas ist, sondern zu allererst eine Großstadt.<br />
Der Autolärm nimmt zu, wir gehen durch Vorstädte<br />
und entlang stark befahrener Straßen, überqueren Kreisverkehre<br />
und Zebrastreifen an Fußgängerampeln. Aber<br />
anders als in anderen Großstädten zieht ein Lindwurm an<br />
Pilgern in die Stadt ein und jeder von ihnen weiß, dass er<br />
es gleich geschafft hat. Dann werden die Straßen schmaler,<br />
werden zu Gassen. Die Altstadt ist erreicht. Wir sehen<br />
einen ersten Turm der Kathedrale vor uns. Dann gehen wir<br />
durch ein großes Tor - und stehen <strong>auf</strong> dem Praza do Obradoiro,<br />
dem Hauptplatz vor der Kathedrale. Wir gehen bis<br />
ganz in seine Mitte, dann setzt Anni sich <strong>auf</strong> das Pflaster,<br />
Sira setzt sich daneben, nur ich bleibe stehen.<br />
In diesem Moment ist jeder mit seinen Gedanken und<br />
Gefühlen allein - und das ist gut so. Irgendwann steht Anni<br />
<strong>auf</strong> und wir nehmen uns in den Arm. Irgendwann kommen<br />
dann andere Pilger, bekannte oder auch unbekannte Gesichter.<br />
Wir lachen miteinander, klopfen uns <strong>auf</strong> die Schultern,<br />
umarmen uns. Auch Sira bekommt reichlich Streicheleinheiten.<br />
Fotokameras und Handys kommen zum <strong>Ein</strong>satz,<br />
zum Abschied wird gewunken oder sich noch einmal<br />
in den Arm genommen. Es gibt sie wirklich, diese Art von<br />
großer Gemeinschaft <strong>auf</strong> dem Camino.<br />
Auf dem Platz gibt es zwei Blickrichtungen, entweder in<br />
Richtung Kathedrale, dem magischen Ziel aller Pilger, oder<br />
in die Fotokameras. Die Fotos sind gem<strong>acht</strong>, die Kathedrale<br />
werden wir morgen <strong>auf</strong>suchen, ohne Gepäck und in aller<br />
Ruhe. Wir müssen noch anderes erledigen.<br />
Zunächst geht es zum nahegelegenen Pilgerbüro. Hier gibt<br />
es gegen Vorlage der Stempelpässe die lang erhoffte<br />
Pilgerurkunde Compostela. Eigentlich nur ein Stück Papier<br />
mit einer lateinischen Aufschrift, mit der wie seit hunderten<br />
von Jahren die zurückgelegte Pilgerschaft bestätigt wird.<br />
Für fast alle Pilger eine schöne Erinnerung, für mich auch.<br />
Nachdem wir sie (endlich!) im Besitz haben, drängen wir<br />
uns durch die bevölkerten Gassen nahe der Kathedrale<br />
und finden bald das Touristenbüro für Galicien, wo wir uns<br />
noch Material für den Weg nach Finisterre und Muxia<br />
abholen.<br />
Jetzt brauchen wir "nur" noch eine Unterkunft. Anni regelt<br />
das hervorragend im Touristenbüro der Stadt Santiago.<br />
<strong>Ein</strong>e Pension etwas außerhalb des Altstadtbereichs nimmt<br />
uns mit Sira <strong>auf</strong>. <strong>Ein</strong> Stein fällt uns vom Herzen und gegen<br />
18 Uhr sind wir <strong>auf</strong> unserem kleinen, aber feinen Zimmer.<br />
Die richtige Unterkunft für unseren morgigen Ruhetag.<br />
Der Ruhetag fängt an wie immer: Um 6 Uhr klingelt Annis<br />
Handywecker. Sie muss mit Sira raus. Ich merke nichts<br />
davon, schlafe weiter. Als Anni zurückkommt, legt sie sich<br />
wohlig grunzend wieder hin. Genauso hatte sie sich das<br />
am Abend vorher ausgemalt. Sira ist irritiert und fragt sich<br />
wohl, was los ist.<br />
Als ich um 9 Uhr <strong>auf</strong>stehe, schlafen beide noch. Ruhetage<br />
sind schon was Feines! Wie noch am Abend zuvor verabredet,<br />
werden wir heute den ersten Teil des Tages getrennt<br />
verbringen. Ich möchte in die um 12 Uhr beginnende Pilgermesse<br />
in die Kathedrale, für Anni leider nicht möglich<br />
wegen Sira. Sie will dafür reichlich faulenzen, auch nicht<br />
schlecht für einen Ruhetag. Ich frühstücke leise und mache<br />
mich dann aus dem Staub. <strong>Ein</strong>e halbe Stunde später stehe<br />
ich vor der Kathedrale, umrunde sie ein Mal und gehe<br />
dann hinein. Pilger und Touristen bevölkern sie jetzt schon<br />
in Mengen. Viele der Pilger sind wohl gerade erst vom<br />
Monte de Gozo herunter gekommen.<br />
Langsam nehme ich die Atmosphäre dieser besonderen<br />
Kirche in mich <strong>auf</strong>, gehe wie Hunderttausende vor mir den<br />
schmalen Gang hinter dem Hauptaltar hin<strong>auf</strong>, um oben<br />
hinter die Jakobusfigur zu treten, ihm meine Hände <strong>auf</strong> die<br />
Schultern zu legen und dort, einer ewig alten Tradition<br />
gehorchend, für einen kurzen Moment innezuhalten. Ich<br />
steige hinunter zur Krypta unter dem Altar und sehe den<br />
Sarkophag mit den Reliquien des Apostels Jakobus und<br />
kann mich auch hier einer gewissen Ergriffenheit nicht<br />
entziehen.<br />
Als die Pilgermesse beginnt, ist die Kathedrale gefüllt. <strong>Ein</strong>e<br />
Nonne mit herrlicher Stimme singt liturgische Lieder und<br />
zahlreiche Pilger stimmen mit ein. Ich schaue mich um und<br />
sehe in viele Gesichter, die ich vom Weg her kenne. Wir<br />
nicken, winken oder lächeln uns zu, freuen uns, dass wir<br />
uns hier noch einmal wiedersehen, wahrscheinlich ein<br />
letztes Mal. Von der Messe selbst bekomme ich wegen der<br />
spanischen Sprache nicht viel mit, fühle mich aber sehr<br />
stark eingebettet in ein Geschehen, das meine Pilgerreise<br />
nach Santiago hier und jetzt abschließt.<br />
164
Mitte Februar 2013 starteten Reinhard Wagner und seine<br />
Tochter Annika in ihrer Heimatgemeinde Windeck (bei Köln)<br />
ihren gemeinsamen Jakobsweg von der Haustür bis nach<br />
Santiago de Compostela und sogar noch darüber hinaus bis<br />
zum Kap Finisterre und nach Muxia. Annikas Hund Sira war<br />
immer an ihrer Seite. Durch drei Jahreszeiten, über viereinhalb<br />
Monate und fast 3000 Kilometer zog sich ihr Weg bis<br />
zum Ziel. Beeindruckende Landschaften, unvergessliche Erlebnisse<br />
und herzliche Begegnungen mit anderen Menschen<br />
entlang und <strong>auf</strong> ihrem Weg verschafften ihnen „<strong>Ein</strong> <strong>Abenteuer</strong><br />
<strong>auf</strong> <strong>acht</strong> <strong>Beinen</strong>“.