854.50 Kb - Katholisch-Theologische Privatuniversität Linz
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Er hat den Kindern den verbotenen Film vorgeführt und hat die geschmacklose Schallplatte<br />
aufgenommen.<br />
Er hat den Jüngling verführt und den Erwachsenen zum Dieb gemacht.<br />
Für ein paar Stunden hat er den Leib einer Frau gekauft.<br />
Er bezahlte die Mordwaffe und die Sargbretter.<br />
O Herr, ich bringe Dir diesen Geldschein dar, in seinen freudvollen<br />
und in seinen leidvollen Geheimnissen.<br />
Ich sage Dir Dank für all das Leben und die Freude, die er geschenkt hat,<br />
Ich bitte Dich um Verzeihung für das Böse, das er getan hat.<br />
Vor allem aber, Herr, bringe ich ihn Dir dar für alle Menschenarbeit, für alle Menschenmühe,<br />
deren Symbol er ist und die – endlich – morgen, unvergängliche Münze geworden, umgewechselt<br />
werden in Dein ewiges Leben.“ 2<br />
Selbstverständlich entsprechen die Bilder, die Formulierungen und die Beispiele dieses Gebets<br />
ganz dem Denken, Fühlen und dem Geschmack der frühen Nachkriegsjahre. Nicht jede<br />
Metapher ist wirklich originell. Eine gewisse Tendenz zu Stereotypen und Klischees ist unverkennbar.<br />
Doch es geht nicht darum, diesen Entwurf auf einer literarischen Ebene zu beurteilen,<br />
sondern auf die spirituelle Kraft aufmerksam zu machen, die der Sichtweise dieser Gebete<br />
zu Grund liegt. Die Welt wird nicht aufgeteilt in eine Welt des Sonntags und des Werktags,<br />
wovor bereits Hegel im frühen 19. Jahrhundert gewarnt hat, sondern durchgängig als<br />
eine unteilbare Wirklichkeit gesehen, die dem Menschen als sein Ort gegeben ist. Diesen Ort<br />
gilt es anzunehmen, in seiner ungeschminkten Realität zu sehen und im Licht des Glaubens zu<br />
deuten. Exemplarisch wird dies am Beispiel des Geldscheins durchgespielt. Es handelt sich<br />
nicht um irgendeinen Geldschein, sondern um einen konkret einmaligen, der auch eine einmalige<br />
Geschichte hat. Natürlich kann diese Geschichte nicht rekonstruiert werden. Zwar ist sie<br />
seinen „Falten“ eingeschrieben, aber diese werden „nie preisgeben“, was tatsächlich geschehen<br />
ist. Dennoch ist diese Geschichte nicht vergangen und vergessen. Sie wird neu ins Bewusstsein<br />
gerufen, indem der Geldschein im Gebet in den Horizont Gottes gestellt wird. Mühelos<br />
gelingt es der Fantasie, die sozialen Beziehungen lebendig werden zu lassen, in die das<br />
Geld verwickelt ist. So wird in der Betrachtung des Geldscheins das gesamte soziale Umfeld<br />
lebendig und anschaulich, in das sich der betende Mensch stellt. Das Geld wird weder verherrlicht<br />
noch verteufelt, sondern in seiner hohen Bedeutung für den gesellschaftlichen und<br />
den persönlichen Lebensprozess bewusst gemacht.<br />
2 QUOIST, M., Herr da bin ich. Gebete, Graz-Wien-Köln 1960, 45 f.<br />
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