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Platform3 2010<br />
Marlene Rigler<br />
Zahlen und Realitäten 2: Das innovative, kulturelle<br />
und künstlerische Modell Platform3 soll<br />
aus heutiger Sicht zumindest zwei weitere Jahre<br />
Münchens Kulturlandschaft bereichern. Zwei<br />
städtische Institutionen sind es auch, die sich<br />
zur Schaffung eines solchen Ortes zusammengeschlossen<br />
haben: Münchens Referat <strong>für</strong><br />
Arbeit und Wirtschaft und sein Kulturreferat.<br />
3: Platform3 befindet sich im dritten Obergeschoss<br />
eines Industrie-Komplexes an der<br />
südlichen Peripherie Münchens, vereint drei<br />
unterschiedliche Raumnutzungsmodelle<br />
(Veranstaltungs-, Büro- und Atelierräume),<br />
zur Förderung ebenfalls dreier Berufsprofile:<br />
Kulturmanager, Gebäudetechniker, Künstler.<br />
4 +1: Insgesamt vier Volontäre arbeiten jeweils<br />
<strong>für</strong> die Dauer eines Jahres an Projekten, die an<br />
Platform3 konzipiert, realisiert und präsentiert<br />
werden. Bereichert wird dieses Team jedes<br />
Jahr durch eine Stipendiatin/einen Stipendiaten<br />
der Robert Bosch Stiftung.<br />
: Aus dieser idealen Ausgangssituation ergeben<br />
sich <strong>für</strong> eine junge Kulturinstitution<br />
schier unendliche Entwicklungsmöglichkeiten:<br />
vernetztes, transdisziplinäres Arbeiten, das<br />
Raum schafft <strong>für</strong> die Verwirklichung flexibler,<br />
dem aktuellen gesellschaftlichen und künstlerischen<br />
Diskurs entlehnte Veranstaltungsmodelle;<br />
ein Paradigmenwechsel, der nicht nur<br />
die Präsentation und Mediation von Werken<br />
neu entwirft, sondern auch deren spezifischen<br />
Produktionskontext berücksichtigt: das Atelier,<br />
als zugleich physischer und mentaler Raum<br />
künstlerischen Schaffens. Die vor Ort konkret<br />
erfahrbare <strong>Kunst</strong>produktion ist daher idealer<br />
Ausgangspunkt <strong>für</strong> Vermittlung. Dasselbe Prinzip<br />
der „gelebten Praxis“ lässt sich auch auf<br />
die tagtägliche Projektarbeit übertragen, die<br />
der Komplexizität des Berufsfeldes Kulturmanagement<br />
/Veranstaltungstechnik Rechnung<br />
trägt und dessen zunehmende Internationalisierung<br />
reflektiert: vernetzt wird an der Platform3<br />
in München ebenso wie im europäischen und<br />
weltweiten <strong>Kunst</strong>- und Kulturkontext. Ein Dialog<br />
über und mit der <strong>Kunst</strong>welt entsteht – mit dem<br />
Erfolg, dass diese die Reise in den Münchner<br />
Süden gerne auf sich nimmt.<br />
Utopien und Denkmodelle Platform3 denkt<br />
nach über Platform3: ein notwendiger, autoreflexiver<br />
Gestus, der Profil und Erscheinungsform<br />
eines <strong>Kunst</strong>- und Kulturbetriebs heute<br />
und hier – im München des Jahres 2010 –<br />
beleuchtet. Hinzu tritt das Nachdenken über<br />
die Pertinenz kulturellen und künstlerischen<br />
Arbeitens vor dem Hintergrund einer ökonomisch<br />
instabilen Gegenwart. Gerade die<br />
Krisensituation führt zur Auseinandersetzung<br />
mit Begriffsfeldern, die <strong>Kunst</strong> und Kultur bisher<br />
gerne weit von sich wiesen: Von Arbeit und<br />
Wirtschaftlichkeit ist plötzlich die Rede, Produktivität,<br />
Vermarktung und sogar messbare<br />
Erfolge werden dem Kulturbetrieb abverlangt.<br />
Was besonders in Europa jahrzehntelang als<br />
symbolisches Kapital der Eliten (Bourdieu)<br />
galt oder als Produkt einer westlichen Wertegesellschaft<br />
problematisiert wurde (Adorno),<br />
mutiert in jüngster Zeit zum Standortfaktor:<br />
Kulturbetriebe versprechen Urbanität und<br />
Diskursivität in infrastrukturell benachteiligten<br />
Vierteln. Der Kontakt mit der sozialen Realität<br />
hat <strong>Kunst</strong> und Kultur nachhaltig ihres Elfenbeinturmes<br />
beraubt. Ein Blick zurück auf die<br />
historischen Avantgarden bestätigt: Gerade<br />
in Krisenzeiten spielen <strong>Kunst</strong> und Kultur eine<br />
zentrale Rolle. Künstlerische Produktion reagiert<br />
schnell und kompromisslos auf gesellschaftliche<br />
Umwälzungen, kulturelle Diskurse<br />
werden zu wichtigen Trägern von Emotion<br />
und Vision. Mehr noch, Utopien kursieren<br />
plötzlich wieder. Dank ihrer erlebt man die<br />
Gegenwart als ebenso (ökonomisch) gespannt<br />
wie (intellektuell) spannend.<br />
Gerade weil sich <strong>Kunst</strong> und Kultur im<br />
zwanzigsten Jahrhundert als besonders krisenresistent<br />
gezeigt haben, ist es vorteilhaft,<br />
ihnen in der aktuellen Lage gebührend Platz<br />
zu bieten. Nichts erscheint also naheliegender,<br />
als den Kernpunkt der Krise selbst zum<br />
Thema kultureller und künstlerischer Projekte<br />
zu machen: Arbeit.<br />
Anstösse | Platform3 2010<br />
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