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Zeppelin. Nähert man sich der Skulptur, ertönt<br />
karibische Musik (Bachata), die aus dem<br />
Inneren über das Periskop leise nach außen<br />
dringt. Lora Read evoziert mit der poetischen<br />
Installation unterschiedliche Assoziationen:<br />
den geschichtlichen Kontext von Mobilität in<br />
der Karibik, hier unbedingt mit dem Meer verquickt;<br />
die dennoch bestehende politische und<br />
gesellschaftliche Isolation der Karibik, oft nur<br />
durchbrochen von der globalen Verbreitung<br />
ihrer folkloristischen Popkultur; und nicht zuletzt<br />
die Verbindung zur utopische Vision<br />
des Kapitän Nemos (J. Vernes, 20.000 Meilen<br />
unter dem Meer), der auf der Suche nach<br />
einem nicht-territorial begrenzten Raum eine<br />
Reise durch die Unterwasserwelt unternimmt.<br />
Nach den territorialen Bedingungen, den<br />
wirtschaftlichen und politischen Folgen des<br />
Weltverkehrs auf dem Meer fragt auch Allan<br />
Sekula (*1951, USA) in seiner Videoarbeit<br />
Lottery of the Sea. Die essayistische Reise führt<br />
Sekula in den Pazifik zur Kollision eines U-Boots<br />
der USA mit einem japanischen Fischerboot,<br />
an den Panama-Kanal und zu der Frage nach<br />
Souveränität und Kontrolle dieser bedeutenden<br />
Wasserscheide, zur Ölpest an der spanischen<br />
Küste mit der dortigen Eigeninitiative der Bevölkerung<br />
und zu einem großen Immobilienprojekt<br />
an der Seefront in Barcelona. Die physischen<br />
Orte maritimen Handelns sind auch<br />
Schauplatz Zineb Sediras (*1963, Frankreich/<br />
England) neuester Arbeit Remnants of a<br />
Scattered Vessel. Die aus 15 fotografischen<br />
Lichtkästen unterschiedlicher Formate bestehende<br />
Arbeit zeigt das fragmentierte, leuchtende<br />
Portrait eines Schiffsskeletts vor der<br />
Küste Mauretaniens, einem Ort an dem Wüste<br />
und Meer aufeinander treffen. Die verfallenen<br />
Überreste des Schiffes beschreiben eine Form<br />
der Endgültigkeit, das Ende einer Reise. Dies<br />
ist insbesondere im Hinblick auf den Ort von<br />
Bedeutung: die Hafenstadt Nouadhibou.<br />
Sie ist heute oft Ausgangspunkt <strong>für</strong> die lebensgefährlichen<br />
Überfahrten von Migranten und –<br />
sie beherbergt den weltgrößten Schiffsfriedhof,<br />
der sowohl eine Navigations- als auch eine<br />
Umweltgefahr darstellt.<br />
Die großformatige, digitale Collage Alte<br />
Welt – Neue Welt von Stephan Huber (*1952,<br />
Deutschland) bringt als Versuch einer neuartigen,<br />
nicht-territorial bestimmten Kartographierung<br />
der Welt in mehrfacher Hinsicht<br />
Kerngedanken der Ausstellung auf den Punkt.<br />
Hubers Thema ist die Reinszenierung des<br />
Raumes. Alte Welt – Neue Welt zeigt die Erde<br />
in drei Phasen eines Umwandlungsprozesses.<br />
In der linken Bildhälfte kann die „Alte Welt“<br />
studiert werden, rechts die Formierung neuer<br />
Strukturen. Die „Neue Welt“ geht auf vier „Vulkanausbrüche“<br />
zurück, Sinnbilder, die <strong>für</strong> die<br />
realpolitische und philosophisch-theoretische<br />
Zäsuren stehen, deren grafische Entsprechungen<br />
als explodierende rote Blüten im Zentrum<br />
des Bildes auszumachen sind. Sie leiten formal<br />
auf die rechte Seite in eine rhizomartig chaotisch<br />
zerfleddert erscheinende Weltkarte über,<br />
in ein Fantasieland, in dem es keine territorial<br />
begrenzten Nationalstaaten mehr gibt und<br />
die Veranschaulichungsmethoden räumlicher<br />
Sachverhalte und geopolitischer Strukturen<br />
nur als diagrammatische Anleihen fungieren.<br />
Tiago Mestre (*1978, Portugal), der Ausstellungsarchitekt,<br />
ist auch mit sechs Fotografien<br />
aus der Serie Off-Screen-Space in der<br />
Ausstellung vertreten. Er thematisiert in beiden<br />
Medien das Format Ausstellung selbst. Er<br />
zeigt, dass dieses in hohem Maße selektiv und<br />
suggestiv funktioniert. Indem er Zwischenräume<br />
sichtbar werden lässt, will er die Konstruiertheit<br />
von Geschichte deutlich machen –<br />
ihr Schweigen an der einen, ihr Sprechen an<br />
der anderen Stelle.<br />
Die Ausstellungsarchitektur schafft einen<br />
konzentrierten Raum und gleichzeitig genug<br />
Offenheit, um die Konstruktion dahinter einsehbar<br />
zu machen. Sie lässt Lücken – bewusst,<br />
um das sonst Nicht-Gezeigte zu zeigen. Die<br />
inhaltliche Kritik der Ausstellung Liquid Archives<br />
an der Begrenztheit der terrestrischen Perspektive<br />
spiegelt sich damit in ihrer Architektur<br />
wider. Die Werke der KünstlerInnen, die Ausstellungsarchitektur<br />
und das inhaltliche Konzept<br />
verstärken sich gegenseitig. Dies knüpft an den<br />
derzeit zunehmenden Diskurs über Ausstellungspraxis<br />
an, der eine Reflexion der eigenen<br />
Tätigkeit fordert.<br />
Projekte <strong>2009</strong> | Liquid Archives<br />
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