sichtbarer Linktext - Kreis Wesel
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Die Patientin, die Sie hier nur ausschnittsweise in diesem Bild sehen, hat innerhalb von 6<br />
Wochen insgesamt 11 Dekubitalulcera erlitten und hat massive spastische Kontrakturen.<br />
Unter Berücksichtigung dieser Bilddarstellung stellt sich auch einem Laien die Frage: Ist so<br />
etwas nicht vermeidbar? Das ist auch die Kernfrage, die der Expertenstandard zur<br />
Dekubitusprophylaxe stellt, nämlich: Sind Dekubitalgeschwüre letztendlich ein Pflegefehler?<br />
Ein zweites Bild macht vielleicht die Problematik von einer anderen Seite noch einmal<br />
deutlicher.<br />
Sie sehen hier einen Mann, einen Patienten von unten betrachtet, Sie sehen die beiden<br />
Gesäßbacken. Sie sehen ein Dekubitalulcus an der Analfalte und eins am Hodensack. Dass<br />
ein Patient ein Dekubitus am Hodensack erleidet, ist etwas, was ich vorher auch noch nicht<br />
so häufig in meiner pflegerischen Praxis gesehen habe. Die Ursache ist hier eine Urinflasche<br />
gewesen, die dem Patienten postoperativ auf einer Station angelegt wurde, um das<br />
Betteinnässen zu vermeiden. Man muss sagen, dass dieses Dekubitalgeschwür eine<br />
zumindest vermeidbare Schädigung und damit zunächst im zivilrechtlichen Sinne ein<br />
Pflegefehler ist. Das Krankenhaus, das hier dieses Dekubitalgeschwür „ausgelöst hat“, sah<br />
das übrigens nicht so. Hier bestand eher die Meinung, dass der Patient selber der Schuldige<br />
wäre, denn immerhin wäre er derjenige gewesen, der durch seine Bewegung in der<br />
Aufwachphase die Urinflasche verschoben hat und somit diese Urinflasche unter seinen<br />
Hodensack selber postiert hätte. Die Urinflasche wäre ja von der Schwester korrekt angelegt<br />
worden.<br />
Fassen wir zusammen:<br />
Solche Dekubitalgeschwüre an Stellen, die durch besondere Maßnahmen ausgelöst werden,<br />
sind sicherlich keine im klassischen Sinne, so dass hier auch nicht im klassischen Sinne<br />
über Dekubitusprophylaxe geredet werden kann.<br />
Dennoch lassen die klassischen Dekubitalgeschwüre, aber auch diese „Spezialitäten“, immer<br />
wieder die Frage zu:<br />
Lassen sich Dekubitalgeschwüre vermeiden oder nicht?<br />
Wir gehen, zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus Großbritannien und den USA,<br />
davon aus, dass Dekubitalgeschwüre weitgehend, aber nicht immer, vermeidbar sind. Wir<br />
vertreten die Auffassung, wenn die Pflege die Rahmenbedingungen hätte, unter denen<br />
Pflege eigentlich auch optimal stattfinden könnte, dann würden sich bis zu 90 % der heute<br />
entstandenen Dekubitalulcera vermeiden lassen.<br />
Es wird aber nicht so sein, dass wir in 10, 15 oder 20 Jahren - selbst wenn die<br />
Rahmenbedingungen besser wären - keine Dekubitalulcera mehr hätten. Es wird sicherlich<br />
immer ein restlicher, aber minimaler Teil bleiben und das ist auch so im Expertenstandard<br />
formuliert.<br />
Es geht nicht um die Abschaffung von Dekubitalulcera, sondern um ihre Minimierung.<br />
Ich betone nochmals, dass Dekubitalgeschwüre immer auch eine ethische Entscheidung<br />
fordern, die in der Praxis sehr schwierig zu treffen und zu fällen ist.<br />
Heute Morgen sagte an dieser Stelle ein Schüler: „Wenn wir bessere Rahmenbedingungen<br />
hätten, sprich mehr Personal, dann könne man seiner Meinung nach auch stündlich oder<br />
halbstündlich lagern, das wäre überhaupt gar kein Thema“. Darauf habe ich gesagt: „Wissen<br />
Sie, vielleicht, wenn ich 30 Jahre später bei Ihnen liege und gepflegt würde, ich weiß gar<br />
nicht, ob ich das möchte, dass halbstündlich jemand kommt. Ich persönlich hätte vielleicht<br />
den Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden“.<br />
Ich denke, das sind Dinge, die wir einfach unter diesen ethischen Gesichtspunkten sehen<br />
und öffentlich diskutieren müssen, was Dekubitalgeschwüre wirklich für Ursachen haben.<br />
Meiner Meinung nach gibt es diese öffentliche Diskussion in Deutschland bisher nicht, in<br />
Großbritannien z.B. schon. Dort erlitt eine 49jährige Frau massivste Dekubitalgeschwüre.<br />
Diese Frau untersagte die Lagerung, wurde an mehreren Stellen am Körper wund und starb<br />
schließlich an einer Sepsis (Blutvergiftung). Dieser Fall ging in England durch die<br />
Fachpresse, weil man sich an der Stelle gefragt hat: Wären wir nicht verpflichtet gewesen,