WIRTSCHAFT+MARKT Gerechtigkeit geht anders (Vorschau)
A 40799 ■ ISSN 0863-5323 ■ 23. Jahrgang ■ April 2012 ■ Preis: EURO 3,50 Wirtschaft&Markt Wirtschaft&Markt DAS OSTDEUTSCHE WIRTSCHAFTSMAGAZIN EXTRA INNOVATION FACHKRÄFTE Meyers goldene Regeln TRIEBKRÄFTE Auftakt für Länderreports MARKTKRÄFTE Expansion bei Toreschluss SPD-Vize und Schweriner Sozialministerin Schwesig: Gerechtigkeit geht anders
- Seite 2 und 3: Alles in Ordnung Mit Lexware financ
- Seite 4 und 5: www.ilb.de
- Seite 6 und 7: AKTUELL Fotos: DPA/Zentralbild (1),
- Seite 8 und 9: AKTUELL Fotos: DPA/Zentralbild (5),
- Seite 10 und 11: GESPRÄCH Manuela Schwesig, Stellve
- Seite 12 und 13: MANUELA SCHWESIG mit W&M-Redakteure
- Seite 14 und 15: SERIE Für das Land betrachtet ist
- Seite 16 und 17: SERIE TOP 100 Unternehmen in Meckle
- Seite 18 und 19: SERIE INTERVIEW HARRY GLAWE, Minist
- Seite 20 und 21: BERICHT LOHNEND: Besucher in der Ro
- Seite 22 und 23: BERICHT Fotos: V. Kühne (3), Herme
- Seite 24 und 25: BERICHT Foto: Robert Knauf CeBIT-Na
- Seite 26 und 27: INTERVIEW Tillmann Stenger, Mitglie
- Seite 28 und 29: SPECIAL Fotos: PictureDisk, Simon,
- Seite 30 und 31: FIRMENBEISPIEL 2 Kalkuliertes Risik
- Seite 32 und 33: ANALYSE Wohin mit dem Geld? Wer wis
- Seite 34 und 35: ANALYSE Unternehmen, übertrug ihne
- Seite 36 und 37: KOLUMNE AUS GENFER SICHT Die Zukunf
- Seite 38 und 39: WIRTSCHAFTSPARTNER POLEN E-MOBILIT
- Seite 40 und 41: WIRTSCHAFTSPARTNER POLEN NACHRICHTE
- Seite 42 und 43: SERIE M arken acher ärkte Zabag An
- Seite 44 und 45: W&M-SERVICE DAS THEMA GRÜNDER Staa
- Seite 46 und 47: W&M-SERVICE DAS THEMA INTERVIEW ZUK
- Seite 48 und 49: W&M-SERVICE DAS THEMA ALTERSVORSORG
- Seite 50 und 51: BERICHT Hightech-Metalle Seltene Er
A 40799 ■ ISSN 0863-5323 ■ 23. Jahrgang ■ April 2012 ■ Preis: EURO 3,50<br />
Wirtschaft&Markt<br />
Wirtschaft&Markt<br />
DAS OSTDEUTSCHE WIRTSCHAFTSMAGAZIN<br />
EXTRA<br />
INNOVATION<br />
FACHKRÄFTE<br />
Meyers goldene Regeln<br />
TRIEBKRÄFTE<br />
Auftakt für Länderreports<br />
MARKTKRÄFTE<br />
Expansion bei Toreschluss<br />
SPD-Vize und Schweriner Sozialministerin Schwesig:<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>geht</strong> <strong>anders</strong>
Alles in Ordnung<br />
Mit Lexware financial office erledigen Sie den<br />
gesamten Bürokram in 5 Minuten am Tag.<br />
Darf es etwas mehr sein? Lexware financial office macht Buchungen, schreibt Rechnungen, bearbeitet<br />
Aufträge, rechnet Löhne und Gehälter ab, koordiniert Termine und vieles mehr. Mit diesem Alleskönner<br />
an Ihrer Seite können Sie sich voll auf Ihr Geschäft konzentrieren. „Fertig!“<br />
www.lexware.de
EDITORIAL<br />
Unheimliche Stille<br />
Warum nur einen Bereich, wenn Sie<br />
VIELE<br />
faszinierend finden.<br />
HELFRIED LIEBSCH<br />
Chefredakteur<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
nichts ist so fein gesponnen, alles kommt<br />
ans Licht der Sonnen. Jetzt schien es eine<br />
vom Bundesinnenministerium in Auftrag<br />
gegebene Ostdeutschland-Studie zu<br />
treffen. Sechs Institute sagen darin voraus,<br />
dass es den neuen Ländern auf<br />
absehbare Zeit nicht gelingen wird, das<br />
»mittlere Leistungsniveau« der alten Länder<br />
zu erreichen. Kaum Firmenzentralen<br />
im Osten, kaum Forschung und Entwicklung,<br />
kaum Steueraufkommen, kaum<br />
Wirkungen der Förderung. Die Forscher<br />
empfehlen, wenn auch nicht ganz<br />
schlüssig, faktisch einen Abschied von<br />
den Aufbau-Ost-Hilfen. Deshalb, so der<br />
mediale Aufschrei, habe die Bundesregierung<br />
das Papier verheimlicht.<br />
Wen kümmert es da, dass der sachsenanhaltische<br />
Ministerpräsident Haseloff<br />
behauptet, die Studie »ist seit langem bekannt<br />
und enthält absolut nichts Neues«.<br />
Nun, sie fand sich tatsächlich schon im<br />
September 2011 in der Schriftenreihe des<br />
Instituts für Wirtschaftsforschung Halle.<br />
Schlagzeilen machte sie nicht. Und seit<br />
das Papier mit den jetzt gewissermaßen<br />
unheimlichen Zahlen auf den Internet-<br />
Seiten des Innenministeriums steht,<br />
ruht es wieder sanft. Schade.<br />
Unheimlich still ist es auch um die vor<br />
einem Jahr verkündete Energiewende geworden,<br />
sieht man mal von Protesten gegen<br />
die Kürzung der Solarförderung ab.<br />
Die Wende scheint an Energie verloren<br />
zu haben. Der Winter ist vorbei, die<br />
schier unvermeidlichen Blackouts sind<br />
ausgeblieben. Einer der selbsternannten<br />
Wende-Motoren, Bundesumweltminister<br />
Norbert Röttgen, kehrt seinem Amt erst<br />
einmal den Rücken und dröhnt im nordrhein-westfälischen<br />
Wahlkampf.<br />
In den neuen Ländern drohen der Vorsprung<br />
bei erneuerbaren Energien und<br />
der zügige Netzausbau von einer Chance<br />
für den Mittelstand zu einem unkalkulierbaren<br />
Risiko zu werden. Da ist es den<br />
Unternehmerverbänden und den Industrie-<br />
und Handelskammern Ost nur zu<br />
danken, dass sie mit einem Energieforum<br />
am 10. und 11. Mai in Leipzig (S. 21)<br />
aus der ostdeutschen Interessenlage<br />
heraus Krach schlagen wollen.<br />
Musik wird laut Busch oft störend empfunden,<br />
dieweil sie mit Geräusch verbunden.<br />
Wir nehmen das in Kauf, wenn wir<br />
versuchen, mit den »Länderreports Innovation«<br />
(S. 14) für ein wenig Begleitmusik<br />
bei den wirtschaftlichen Bemühungen<br />
Ost zu sorgen. Die Korrespondenzen sind<br />
mit einem Blick rückwärts und zwei<br />
zuversichtlichen Blicken nach vorn geschrieben.<br />
Aber ohne jenen politischen<br />
Optimismus, der lediglich auf einem<br />
Mangel an Informationen beruht.<br />
Herzlichst<br />
Ihr<br />
Bei Deutschlands Engineering-Dienstleister<br />
Nr. 1 erleben Sie anspruchsvolle<br />
Projekte in den unterschiedlichsten<br />
Branchen. Ob Maschinenbau, Elektrotechnik,<br />
Schiffbau oder Windenergie –<br />
für welchen Bereich Sie sich auch<br />
entscheiden, bei FERCHAU steht Ihnen<br />
die ganze Welt des Engineerings offen.<br />
An über 50 Standorten bundesweit<br />
bieten wir Ihnen – genauso wie unseren<br />
mehr als 5.000 Mitarbeitern – die<br />
Chance, sich in jeder Branche und auf<br />
jedem Gebiet weiterzuentwickeln. Ganz<br />
nach Ihren Vorstellungen. Und auch<br />
darüber hinaus. Investieren Sie mit uns in<br />
Ihre eigene Zukunft und nutzen Sie Ihre<br />
individuellen Karrieremöglichkeiten bei<br />
FERCHAU.<br />
Bewerben Sie sich direkt unter der<br />
Kennziffer 2012-001-1800 bei Frau<br />
Jeannine Schultz. Denn was für unsere<br />
Kunden gilt, gilt für Sie schon lange:<br />
Wir entwickeln Sie weiter.<br />
FERCHAU Engineering GmbH<br />
Niederlassung Rostock<br />
Am Bahnhof 1<br />
18119 Rostock<br />
Fon +49 381 778938-0<br />
Fax +49 381 778938-27<br />
rostock@ferchau.de<br />
www.ferchau.de
www.ilb.de
INHALT<br />
WIRTSCHAFT & MARKT<br />
im April 2012<br />
SPECIAL BERICHT SERIE<br />
SEITE 22<br />
SEITE 28 SEITE 42<br />
BÜRGSCHAFTSBANKEN IM OSTEN:<br />
Hilfe auch in außergewöhnlichen Fällen<br />
LOGISTIK IN MITTELDEUTSCHLAND:<br />
Auch Wasserwege sollen ausgebaut werden<br />
TORESCHLUSS IM ERZGEBIRGE:<br />
Sicherheitstechniker expandieren weltweit<br />
Editorial<br />
Aktuell<br />
3<br />
6<br />
Unheimliche Stille<br />
Interview, Nachrichten, Pro und Contra, Impressum<br />
Gespräch<br />
Serie<br />
TITEL<br />
10<br />
14<br />
42<br />
MANUELA SCHWESIG (SPD), Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern, über<br />
wirtschaftliche Vernunft, soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> und den Fachkräftemangel<br />
LÄNDERREPORT INNOVATION: Mecklenburg-Vorpommern<br />
MARKEN-MACHER-MÄRKTE: Zabag Anlagentechnik GmbH: Sicherheit bei Toreschluss<br />
Fotos: V. Kühne, H. Lachmann, A. Simon<br />
Bericht<br />
Interview<br />
Special<br />
Analyse<br />
Sonderveröffentlichung<br />
W&M-Service<br />
Verbands-News<br />
W&M-Automobil<br />
Porträt<br />
Ständige Rubriken<br />
W&M-Privat<br />
Kolumnen<br />
20<br />
21<br />
22<br />
24<br />
41<br />
50<br />
52<br />
26<br />
28<br />
32<br />
34<br />
37<br />
44<br />
56<br />
58<br />
59<br />
60<br />
62<br />
64<br />
36<br />
66<br />
LIEFERANTENTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN: Partner um die Ecke<br />
FORUM OST: Wende ohne Energie?<br />
LOGISTIK IN MITTELDEUTSCHLAND: Tempo ist Trumpf<br />
CEBIT-NACHLESE: Suche leicht gemacht – Ideen für das Internet<br />
ENERGIEEINSPARUNG: Gewinnbringender Röhrenwechsel<br />
HIGHTECH-METALLE SELTENE ERDEN: Ressourcen-Monopoly<br />
DEUTSCHE ROHSTOFF AG: Sachsens Schatz<br />
TILLMANN STENGER, Vorstand der ILB: Neues Programm für kleine Firmen<br />
UNTERNEHMENSFINANZIERUNG/-FÖRDERUNG: Bürgschaftsbanken als Partner<br />
FINANZMÄRKTE 2012: Sichere Zuflucht<br />
NACHFOLGE IN FAMILIENBETRIEBEN: Rechtzeitige Übergabe<br />
WIRTSCHAFTSPARTNER POLEN: Innovative grüne Technologien<br />
Recht, Geld, Versicherung<br />
BBIK-AKTUELL: Stelen der Moderne<br />
NEUFAHRZEUG IM TEST: Volkswagen CC<br />
ARGENTA SCHOKOLADENMANUFAKTUR GMBH: Kreativer Gaumen<br />
UV-AKTUELL: GeAT AG, Erfurt: Fachkräfte-Meyers goldene Regeln<br />
UV-AKTUELL: Nachrichten aus den Unternehmerverbänden<br />
Bücherbord, Leute & Leute, Leserbriefe<br />
HEINER FLASSBECK: Die Zukunft der Schulden<br />
KLAUS VON DOHNANYI: Ostdeutschland braucht mehr Mut<br />
Inhalt<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 5
AKTUELL<br />
Fotos: DPA/Zentralbild (1), Archiv<br />
INTERVIEW<br />
STEFAN PAPIROW,<br />
Vorsitzender<br />
des Verbandes<br />
Deutscher<br />
Bürgschaftsbanken<br />
e. V. (VDB)<br />
Basel III schreckt nicht<br />
W&M: Herr Papirow, seit über 60<br />
Jahren gibt es in Deutschland Bürgschaftsbanken.<br />
2011 erhielten kleine<br />
und mittelgroße Unternehmen<br />
durch sie Bürgschaften und Garantien<br />
von 1,2 Milliarden Euro. Wie lief<br />
das Geschäft im Osten?<br />
PAPIROW: Unserer vorläufigen<br />
Übersicht zufolge haben die<br />
Bürgschaftsbanken hier etwa<br />
1.900 Bürgschaften und Garantien<br />
in Höhe von 329 Millionen<br />
Euro zugesagt.<br />
W&M: Daraus resultiert welches<br />
Kredit- und Beteiligungsvolumen?<br />
PAPIROW: Rund 424 Millionen<br />
Euro. Deutlich mehr als 2010.<br />
W&M: Die Nachfrage folgt also dem<br />
Konjunkturaufschwung?<br />
PAPIROW: Das lässt sich bejahen.<br />
Beinahe jede zweite Bürgschaft<br />
oder Garantie wird von<br />
Existenzgründern oder Unternehmensnachfolgern<br />
in Anspruch<br />
genommen.<br />
W&M: Wie funktioniert das?<br />
PAPIROW: Für kapitalschwache<br />
Betriebe sind Ausfallbürgschaften,<br />
Garantien oder stille Beteiligungen<br />
oft die einzige Chance,<br />
mit ihren Geschäftsideen voranzukommen.<br />
Wo die Hausbank<br />
ihre Taschen zuhält, setzen<br />
Bürgschaftsbanken und Beteiligungsgesellschaften<br />
an.<br />
W&M: Mit welcher Strategie?<br />
PAPIROW: Sie bieten den Hausbanken<br />
vor Ort offensiv ihre Leistungen<br />
an, nutzen örtliche Kontakte<br />
und gewerbliche Maßnahmen,<br />
um Kredite zu realisieren.<br />
W&M: Und wie reagiert der VDB als<br />
Interessenvertreter der 17 deutschen<br />
Bürgschaftsbanken auf Basel III?<br />
PAPIROW: Unser Credo heißt: An<br />
fehlenden Sicherheiten wegen<br />
mehr Eigenkapitalforderungen<br />
soll kein KMU-Kredit scheitern.<br />
Schon gar nicht im Osten.<br />
Interview: Peter Jacobs<br />
Siehe auch Seiten 26 bis 31<br />
Städteranking<br />
Leipzig unter den Top Ten<br />
Das Financial-Times-Group-Ranking für 2012/13<br />
zählt Leipzig zu den Aufsteigerstädten Europas.<br />
Sonneberger Loks<br />
TRADITIONSMARKEN<br />
Pionier Konstruktion – so sperrig<br />
bewarben die Sonneberger<br />
Modelleisenbahner vor 60 Jahren<br />
ihre ersten Dampfloks und<br />
H0-Gleise für den Spieltisch zu<br />
Hause. Unter der daraus abgeleiteten<br />
Abkürzung PIKO entwickelten<br />
sie aber bald eine<br />
Spitzenmarke für den internationalen<br />
Spielzeugmarkt. Am<br />
1. Mai 2012 jährt sich zum<br />
20. Mal der Tag, an dem der<br />
vom Aus bedrohte ehemalige<br />
VEB PIKO Sonneberg in die<br />
PIKO Spielwaren GmbH umgewandelt<br />
wurde. Grund zum<br />
Feiern gibt es in jedem Fall:<br />
PIKO zählt heute weltweit<br />
rund 500 Mitarbeiter, darunter<br />
auch einige Dutzend in China.<br />
I<br />
n drei Kategorien weist<br />
die aktuelle Studie »European<br />
Cities & Regions of<br />
the Future 2012/2013« der<br />
Messestadt Leipzig Spitzenpositionen<br />
unter den zukunftsfähigsten<br />
Städten Europas zu.<br />
Leipzigs erfolgreiche Ansiedlungsstrategie<br />
wird mit einem<br />
zweiten Platz in der Kategorie<br />
großer Städte und mit<br />
Platz fünf innerhalb der Kategorie<br />
als erfolgreichster Aufsteiger<br />
der letzten zwei Jahre<br />
bewertet. Bereits 2008/09 erreichte<br />
Leipzig nach London,<br />
Flandern und Paris Platz vier<br />
unter den attraktivsten Städten<br />
und Regionen für ausländische<br />
Direktinvestitionen.<br />
Rügener Käse<br />
Jede Nacht rollen zwei Milchtanklastzüge<br />
durch die Dörfer<br />
Rügens und sammeln ein, was<br />
die Inselbauern für die Käseproduktion<br />
in Bergen ermolken<br />
haben: 115.000 bis 118.000<br />
Liter Kuhmilch<br />
– Rohstoff<br />
für<br />
den »Rügener<br />
Badejungen«.<br />
Cremig-fest und weniger<br />
streng als das französische<br />
Urbild, hat es der Insulaner<br />
zum meistverkauften Camembert<br />
auf dem deutschen Käsemarkt<br />
gebracht. Produziert<br />
wird er seit den 50er Jahren<br />
nach einem Rezept, das ein<br />
Umsiedler aus Hinterpommern<br />
mitgebracht hatte: »Stolper<br />
Jungchen«. Inzwischen hilft der<br />
gute Name Rügens bei der<br />
Verbreitung auch im Westen.<br />
ARBEITSLOSENQUOTEN<br />
3,11 Millionen Männer und Frauen waren im Februar 2012<br />
von Arbeitslosigkeit betroffen – der niedrigste Stand seit 1991.<br />
Zahlenangaben Ost in Prozent (in Klammern: Februar 2011)<br />
Mecklenburg-Vorp.: 14,1 (14,8)<br />
Berlin: 13,2 (14,0)<br />
Sachsen-Anhalt: 12,8 (13,0)<br />
Brandenburg: 11,5 (12,2)<br />
Sachsen: 11,1 (12,4)<br />
Thüringen: 9,7 (10,4)<br />
Deutschland insgesamt: 7,4 (7,6)<br />
DER TREND in den neuen Ländern scheint sich etwas günstiger zu<br />
gestalten als im deutschen Durchschnitt. Von einer Angleichung der<br />
Arbeitslosenquoten West und Ost kann aber noch keine Rede sein.<br />
AUS DEN LÄNDERN<br />
Sachsen<br />
Seit dem Start im Jahr 2010 wurden<br />
vom Freistaat Sachsen 2.770<br />
Weiterbildungsschecks mit einem<br />
Zuschussvolumen von insgesamt<br />
8,3 Millionen Euro ausgereicht.<br />
Die bisher insgesamt vorgesehenen<br />
13 Millionen Euro sollen nunmehr<br />
aus Landes- und EU-Mitteln auf<br />
18 Millionen aufgestockt werden.<br />
Thüringen<br />
Zum 5. Internationalen Kongress<br />
Bauhaus.SOLAR 2012 in Erfurt im<br />
November dieses Jahres wurde<br />
zum dritten Mal europaweit der mit<br />
15.000 Euro dotierte Bauhaus.-<br />
SOLAR AWARD ausgelobt. Zu den<br />
Stiftern gehören SolarInput e.V.<br />
und Solarvalley Mitteldeutschland.<br />
Gefördert werden mit diesem<br />
Nachwuchswettbewerb herausragende<br />
Architektur- und Designprojekte,<br />
die einen innovativen<br />
Umgang mit erneuerbaren Energien<br />
unter Einbeziehung der Photovoltaik<br />
ermöglichen und neue visionäre<br />
Ideen für ressourcenschonende<br />
Technologien enthalten.<br />
Brandenburg<br />
In Südbrandenburg soll eine<br />
Energie-Universität Lausitz entstehen.<br />
Dafür werden die forschungsorientierten<br />
Studiengänge der<br />
Brandenburgischen Technischen<br />
Universität Cottbus (BTU) und die<br />
praxisnahen Studiengänge der<br />
Fachhochschule Senftenberg unter<br />
einem Dach zusammengefasst.<br />
Die IHK Cottbus bietet eine neue<br />
Lehrstellenbörse an. Die Internet-<br />
Plattform ist ein gemeinsames<br />
bundesweites Projekt der Industrieund<br />
Handelskammern. Mehr als<br />
21.000 Lehrstellen in 449 Berufen<br />
sind derzeit online im Angebot.<br />
www.ihk-lehrstellenboerse.<br />
Mecklenburg-<br />
Vorpommern<br />
Für die Investitionsförderung im<br />
Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe<br />
GRW stehen in Mecklenburg-<br />
Vorpommern für 2012 fast<br />
131 Milionen Euro zur Verfügung.<br />
Aus dem Europäischen Fonds für<br />
regionale Entwicklung (EFRE)<br />
können 93 Millionen Euro in das<br />
Bundesland fließen.<br />
Seit 1990 sind in Mecklenburg-Vorpommern<br />
20 Technologiezentren<br />
entstanden. Derzeit sind an diesen<br />
Standorten 470 Unternehmen mit<br />
mehr als 3.000 Beschäftigten tätig.<br />
670 der während der letzten zehn<br />
Jahre in den Technologiezentren<br />
gegründeten Unternehmen haben<br />
sich aus den Zentren gelöst und<br />
eigene Betriebsstätten eröffnet.<br />
6 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
AKTUELL<br />
WIRTSCHAFTSBILD<br />
DES MONATS<br />
BRIEF AUS BRÜSSEL<br />
Von THOMAS HÄNDEL,<br />
Europaabgeordneter<br />
Die Linke<br />
Crash aufgeschoben<br />
»Erfolgsmeldungen« allerorten:<br />
Griechenland sei gerettet, mit<br />
Schuldenschnitt, 130 Milliarden<br />
Euro Hilfskredit und dem<br />
verordneten Sparprogramm<br />
das Gröbste überwunden. Doch<br />
der Schein trügt.<br />
3.000 JAHRE GESCHICHTE begleiten den Bau der Nordeuropäischen Erdgasleitung (NEL) von Lubmin<br />
nach Niedersachsen. Bevor die Bagger zugreifen, sind die Archäologen mit ihren Detektoren unterwegs.<br />
Manchmal müssen die Rohrverleger warten, damit Fundstätten nicht beschädigt werden. Wirtschaftsinteressen<br />
kollidieren mit der Denkmalpflege. So wie hier nahe Parchim bei der Freilegung eines Brunnens<br />
aus der Zeit der Völkerwanderung. Vom Trassenterritorium Mecklenburg-Vorpommerns wurden bereits<br />
mehr als 300.000 Objekte früherer menschlicher Besiedlung abgesammelt. Das verteuert die Baukosten,<br />
erhellt aber unser Geschichtsbild. Kommende Generationen dürften es den Trassenbauern danken.<br />
KONJUNKTUR-BAROMETER<br />
Gebremste Kauflust im Osten<br />
Bloß keine Illusionen: Der leichte Anstieg der<br />
Kaufbereitschaft ostdeutscher Bürger lässt<br />
keine Konjunkturimpulse erwarten. Steigende<br />
Einkommen haben das Kaufverhalten nur<br />
regional beeinflusst. Insgesamt gesehen hat<br />
sich die Kaufkraft im Osten wegen der anziehenden<br />
Preise in den ersten drei Monaten des<br />
Jahres 2012 sogar rückentwickelt.<br />
Das ist, was die Konjunkturprognosen betrifft,<br />
ziemlich problematisch. Denn der Export<br />
schafft keinen Ausgleich. Er spielt in der Wirtschaft<br />
des Ostens eine wesentlich geringere<br />
Rolle als im Westen. Der Außenbeitrag (Export<br />
minus Import) trug 2011 nur knapp 0,4 Prozentpunkte<br />
zum BIP-Wachstum bei.<br />
Bremsend für Konjunkturimpulse durch Kauflust<br />
wirkt sich im Osten auch die Arbeitslosenquote<br />
aus. Sie liegt immer noch doppelt<br />
so hoch wie in den alten Bundesländern. Im<br />
vergangenen Jahr stieg die Zahl der Erwerbstätigen<br />
nur um 0,3 Prozent. 2012 wird die<br />
Von DR. HERBERT BERTEIT<br />
Arbeitslosenquote in Ostdeutschland wohl<br />
auf gleichem Niveau verharren, während der<br />
Niedriglohnsektor weiter zunimmt. Das fördert<br />
keine Kaufkraft.<br />
Und die Rentner? Ihr Bevölkerungsanteil im<br />
Osten liegt um ein Fünftel höher als im Westen.<br />
Sie beziehen meist nur die staatliche<br />
Altersversorgung. In den alten Bundesländern<br />
wird die Altersversorgung zu einem großen Teil<br />
von Lebensversicherung, Beamtenpensionen<br />
und Betriebsrenten mitgetragen. Laut Statistischem<br />
Bundesamt betrug das monatliche<br />
Bruttoeinkommen eines westdeutschen<br />
Rentnerhaushalts 2011 rund 2.800 Euro,<br />
im Osten dagegen nur rund 1.950 Euro.<br />
Die angekündigte Rentenerhöhung bringt keine<br />
nennenswerte Annäherung. Zwei Jahrzehnte<br />
nach der Wiedervereinigung bleiben wir auch<br />
in diesem Bereich von einer Gleichstellung<br />
noch weit entfernt. Der Binnennachfrage ist<br />
das nicht förderlich.<br />
Selbst bei nur 120 Prozent Verschuldung<br />
kann Griechenland<br />
die Zinszahlungen nur dann<br />
leisten, wenn die Wirtschaft<br />
wieder auf einen Wachstumspfad<br />
kommt. Das Sparpaket<br />
wirkt prozyklisch. Der Crash ist<br />
höchstens aufgeschoben. Die<br />
Wirtschaft wird weiter abgewürgt,<br />
eine neue Drehung der<br />
Abwärtsspirale angefügt. Und<br />
Spanien, Italien, Portugal,<br />
Irland sind längst nicht aus der<br />
Schusslinie. Der Widerstand der<br />
Menschen gegen weitere Sparorgien<br />
zwingt Irland, die Zustimmung<br />
zum Fiskalpakt an<br />
ein Referendum zu knüpfen.<br />
Spanien muss den Sparkurs<br />
mangels Rückhalt in der Bevölkerung<br />
gleich ganz verweigern.<br />
Der exportierte Sparwahn zeigt<br />
erste Schleifspuren in der deutschen<br />
Konjunktur. Forderungen<br />
von wichtigen Ökonomen nach<br />
Investitionen und Abkehr vom<br />
europäischen Sozialkahlschlag<br />
verhallen in Ignoranz. Aufwachen<br />
ist angesagt. Nach bald<br />
möglichen Regierungswechseln<br />
in Frankreich und anderen Ländern<br />
auch hierzulande. Der<br />
unsägliche Fiskalpakt ist noch<br />
zu stoppen. Bekommt er aber<br />
die Zweidrittel-Mehreit im Bundestag<br />
– also mit SPD und Grünen,<br />
sehe ich schwarz für die<br />
wirtschaftliche Entwicklung<br />
und viele Arbeitsplätze.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 7
AKTUELL<br />
Fotos: DPA/Zentralbild (5), VerBio, privat<br />
KURZ NOTIERT<br />
INNOVATION<br />
Forschender<br />
Mittelstand<br />
Mit einem Kongress in<br />
Berlin hat Ende März<br />
der VIU das 20. Jubiläum<br />
seiner Gründung gewürdigt.<br />
Als Partner von Parlamenten,<br />
Ministerien, Verbänden und<br />
Kammern widmet sich der<br />
Verband Innovativer Unternehmen<br />
(VIU) mehr als 3.000<br />
forschenden kleinen und<br />
mittleren Betrieben in den<br />
Bundesländern Ost und versteht<br />
sich zugleich als Interessenvertreter<br />
des forschenden<br />
Mittelstands in ganz Deutschland.<br />
Wichtige Programme<br />
des Bundeswirtschaftsministeriums<br />
wie das Zentrale Innovationsprogramm<br />
Mittelstand<br />
und INNO-KOM Ost tragen die<br />
Handschrift des VIU. Der VIU<br />
wurde 1992 als Ost-Zweckbündnis<br />
ins Leben gerufen,<br />
nachdem im Einigungsvertrag<br />
Existenz und Zukunft der<br />
Industrieforschung aus den<br />
ehemaligen Kombinaten und<br />
Großbetrieben der DDR mit<br />
ihren fast 90.000 Beschäftigten<br />
ignoriert worden waren.<br />
INTERNET<br />
Mit Glasfaser<br />
zügig im Netz<br />
Die Landesregierung von<br />
Brandenburg hat ein<br />
Projekt für schnelleren Zugang<br />
ins Internet gestartet.<br />
Das Entwicklungskonzept<br />
»Brandenburg – Glasfaser<br />
2020« soll die Versorgung des<br />
Landes mit schnellem Internet<br />
zügig verbessern. Es sieht<br />
unter anderem vor, Glasfaserkabel<br />
zugleich mit Gasleitungen<br />
zu verlegen. So kann eine<br />
schnellere Anbindung dünn<br />
besiedelter Räume an das<br />
Breitband-Internet erreicht<br />
werden. Die Kosten für einen<br />
nahezu flächendeckenden<br />
Ausbau bis 2020 werden auf<br />
150 Millionen Euro geschätzt.<br />
FOSSILE ENERGIE<br />
Erdöl am Bodden<br />
NACHRICHTEN AUS DEN REGIONEN<br />
Das in Vorpommern bohrende deutschkanadische<br />
Unternehmen CEP erwartet<br />
an drei Fundplätzen eine Fördermenge<br />
von zirka 18 Millionen Tonnen Erdöl.<br />
Mit Hilfe der so genannten 3D-Vibrationstechnik<br />
werden derzeit verschiedene Gebiete<br />
am Saaler Bodden,<br />
wo schon zu<br />
DDR-Zeiten Erdöl<br />
vermutet wurde,<br />
erneut überprüft.<br />
Anstelle<br />
der Geophysiker<br />
sind jetzt Elektroniker<br />
tätig, die<br />
Druckwellen bis<br />
in 3.000 Meter<br />
Tiefe aussenden<br />
und Ergebnisse<br />
anschließend per<br />
Computer auswerten.<br />
An dem<br />
Bohrplatz Saal bei Ribnitz-Damgarten (Foto)<br />
im Landkreis Vorpommern-Rügen ist die<br />
Firma Central European Petroleum in über<br />
2.500 Metern Tiefe bereits fündig geworden.<br />
MANAGER : TÜFTLER : ERFINDER<br />
Ein Maschinenbauer, der<br />
die Architekturszene eroberte<br />
CHRISTOPH RABE, (54) KERSTIN ZIMMERMANN, (53)<br />
Geschäftsführer der Bauconzept<br />
Planungsgesellschaft GmbH<br />
in Hohenstein-Ernstthal (Sachsen),<br />
hat den Gründerpreis 2012<br />
der KfW-Bankengruppe und der<br />
Zeitschrift SUPERillu in der Kategorie<br />
Marktführer erhalten. Der<br />
Preis ist mit 5.000 Euro dotiert.<br />
Dem einstigen Maschinenbauer und heutigen Chef des<br />
größten nach 1990 in Deutschland gegründeten<br />
Architektur- und Ingenieurbüros bescheinigt die Jury<br />
eine einzigartige Mischung von »Enthusiasmus und<br />
Kunstverstand«. Rabes Projekte sind längst legendär,<br />
in Deutschland und vielerorts preisgekrönt. Mit seinem<br />
von einst drei auf heute 112 Architekten und Planer<br />
angewachsenen Mitarbeiterstab entwarf er unter<br />
anderem das Uhrenmuseum in Glashütte und die<br />
Centrum Galerie in Dresden, projektierte die Rekonstruktion<br />
des Jugendstil-Schwimmbades in Zwickau<br />
und erwarb für die Gestaltung der neuen Radrennbahn<br />
Andreasried in Erfurt den Architekturpreis des Internationalen<br />
Olympischen Komitees (IOC). Aus seinem<br />
Ingenieurberuf übertrug er eine wichtige Erkenntnis in<br />
das Architekturgeschäft: »Die Präzision des Maschinenbaus<br />
lässt sich in Segmenten dem Bau zuordnen.«<br />
ERNEUERBARE ENERGIE<br />
Biogas aus Stroh<br />
Die Leipziger VERBIO AG hat am Standort<br />
Zörbig eine weltweit bisher einmalige<br />
Anlage zur Erzeugung von Biogas aus Stroh<br />
in Betrieb genommen.<br />
Seit 2010 produziert das Unternehmen Biogas<br />
an diesem Standort. Mit der Verarbeitung von<br />
Stroh zu Biogas <strong>geht</strong> das Unternehmen den<br />
nächsten Schritt zur energetischen Nutzung<br />
von agrarischen Restprodukten, die nicht in<br />
Zusammenhang mit der Nahrungsmittelkette<br />
stehen. Für die Anlage wurde VERBIO von der<br />
Deutschen Energieagentur mit dem Innovationspreis<br />
als »weltweit erste großtechnische<br />
Biogas-Raffinerie« ausgezeichnet.<br />
Eine Parfümsammlerin, die<br />
sich ein Privatmuseum aufbaute<br />
ist passionierte Sammlerin von<br />
Parfümflaschen. Sie hat sich<br />
auf ihrem Dachboden in Radebeul<br />
bei Dresden ein von Duftliebhabern<br />
geschätztes Privatmuseum<br />
eingerichtet. Die<br />
Radebeulerin fand zu ihrem<br />
Hobby, als sie vor 15 Jahren an<br />
der Auflösung einer Drogerie teilnahm. In ihren<br />
eigenen Vitrinen hütet sie mehr als 1.000 Flakons von<br />
etwa 100 verschiedenen Marken und damit gleichsam<br />
ein Kapitel Industriegeschichte der DDR. Beim Hauptproduzenten,<br />
dem Chemischen Kombinat Miltitz bei<br />
Leipzig, hatte man einst den Ehrgeiz, bekannte<br />
westliche Düfte zu kopieren, doch es fehlte an ätherischen<br />
Ölen. Weithin vergessen ist, dass es zu DDR-<br />
Zeiten auch mindestens 70 Kleinhersteller von<br />
Parfüms gab, die eher eine Art Kellerbetrieb führten.<br />
Spektakulärster Besitz der Sammlerin ist ein Kasten<br />
»Schwarzer Samt« von Florena. Der gelangte auf dem<br />
Umweg über den Westen zu ihr. Er gehörte einst<br />
Hildegard Knef, die ihn an ihre Putzfrau weitergab.<br />
Zimmermann erwarb die Florena-Kreation von einem<br />
Zwischenhändler und hütet sie wie einen kostbaren<br />
Schatz: »Daran lasse ich Besucher nicht mal riechen.«<br />
8 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
AKTUELL<br />
MESSETERMINE<br />
Mai 2012<br />
03.05., Schwerin<br />
nordjob Schwerin. Messe<br />
für Ausbildung+Studium<br />
05.05., Senftenberg<br />
Bildungsmesse<br />
Westlausitz<br />
08.05., Erfurt<br />
Rapid.Tech<br />
09.05., Leipzig<br />
LVFM Versicherungsund<br />
Fondmesse<br />
23.05., Berlin<br />
IT-Profits<br />
29.05., Dresden<br />
Zeitarbeitsmesse<br />
IMPRESSUM<br />
Wirtschaft & Markt<br />
Das ostdeutsche Wirtschaftsmagazin<br />
Magazin der Interessengemeinschaft<br />
der Unternehmerverbände<br />
Ostdeutschlands und Berlin<br />
Redaktionsanschrift:<br />
Zimmerstraße 55, 10117 Berlin<br />
Tel.: (030) 27 89 45-0, Fax: -23,<br />
E-Mail: wumberlin@t-online.de<br />
Internet: www.wirtschaftundmarkt.de<br />
Herausgeber:<br />
Klaus George<br />
george@wirtschaftundmarkt.de<br />
Chefredakteur:<br />
Helfried Liebsch,<br />
Tel.: (030) 27 89 45-0<br />
liebsch@wirtschaftundmarkt.de<br />
Stellvertretender Chefredakteur:<br />
Thomas Schwandt<br />
Tel.: (030) 27 89 45-0<br />
schwandt@wirtschaftundmarkt.de<br />
Redaktion:<br />
Peter Jacobs, Hans Pfeifer,<br />
Matthias Salm, Siegfried Schröder,<br />
Steffen Uhlmann<br />
Tel.: (030) 27 89 45-14<br />
Verlagsassistenz:<br />
Sten Seliger<br />
Tel.: (030) 27 89 45-11<br />
Gestaltung:<br />
Ralf Puschmann<br />
Tel.: (030) 27 89 45-13<br />
Titelfoto: Cornelius Kettler<br />
Druck: Möller Druck Berlin<br />
Autoren dieser Ausgabe:<br />
Thomas Bencard, Peter Jacobs,<br />
Matthias Kasper, Hannelore Koard<br />
Vertrieb und Anzeigenverwaltung:<br />
Tel.: (0331) 201 66-20<br />
vertrieb@wirtschaftundmarkt.de<br />
Verlag:<br />
W&M Verlagsgesellschaft mbH<br />
Parkstraße 2, 14469 Potsdam<br />
Tel.: (0331) 201 66-20, Fax: -99<br />
Geschäftsführender Gesellschafter:<br />
Michael Schulze<br />
schulze@wirtschaftundmarkt.de<br />
ISSN 086 353 23 Erscheint monatlich.<br />
Die Zeitschrift Wirtschaft&Markt ist das<br />
Magazin der Interessengemeinschaft der<br />
ostdeutschen Unternehmerverbände und<br />
Berlin. Die Mitglieder der Verbände erhalten<br />
die Zeitschrift im Rahmen ihrer<br />
Mitgliedschaft. Einzelpreis: 3,50 EURO;<br />
Jahresabonnement Inland 30,00 Euro<br />
inkl. 7% Mwst.; Ausland 37,00 Euro inkl.<br />
Porto. Sonderpreis für Studenten:<br />
(Nachweis) jährlich 20,00 EURO. Das<br />
Jahresabonnement gilt zunächst für ein<br />
Jahr (10 Ausgaben). Danch besteht die<br />
Möglichkeit, das Abonnement jederzeit zu<br />
kündigen.Namentlich gekennzeichnete<br />
Beiträge müssen nicht mit der Meinung<br />
der Redaktion übereinstimmen. Für unverlangt<br />
eingesandte Manuskripte und Fotos<br />
übernehmen wir keine Haftung. Nachdruck<br />
nur mit Genehmigung des Verlages.<br />
PRO<br />
& CONTRA<br />
BÄRBEL HÖHN,<br />
stellvertretende Vorsitzende<br />
der Bundestagsfraktion<br />
von Bündnis 90/Die Grünen<br />
Scheitert<br />
die Energiewende?<br />
Vor einem Jahr beschloss die Bundesregierung die<br />
Energiewende. Jetzt stagniert das Jahrhundertprojekt.<br />
Fährt Schwarz-Gelb die Energiewende an die Wand?<br />
Ein Jahr nach Fukushima<br />
JA<br />
und der Abschaltung der<br />
acht ältesten deutschen Atomkraftwerke<br />
hat die Energiewende<br />
ihren ersten Härtetest<br />
bestanden. Die schrillen Warnungen<br />
der Atomlobby entpuppten<br />
sich als Panikmache.<br />
Deutschland hat auch 2011<br />
wieder mehr Strom erzeugt als<br />
verbraucht. Wind, Sonne und<br />
Bioenergie sprangen für die<br />
stillgelegten Atommeiler ein.<br />
Selbst in klirrender Winterkälte<br />
blieb die Stromversorgung<br />
stabil. Und an der Börse liegen<br />
die Strompreise heute niedriger<br />
als im von der Atomkraft<br />
abhängigen Frankreich. Trotzdem<br />
ist das Gelingen der Energiewende<br />
nicht ausgemacht.<br />
Die Bundesregierung ist im<br />
Begriff, die gute Ausgangslage<br />
in Deutschland zu verspielen<br />
und will den Ausbau der Solarenergie<br />
brutal abbremsen.<br />
Zehntausende Beschäftigte<br />
müssen um ihre Jobs fürchten.<br />
Der Netzausbau kommt nicht<br />
voran. Ihren Klimafonds hat die<br />
Bundesregierung um fast die<br />
Hälfte gekürzt. Das heißt:<br />
Weniger Geld für Energieforschung,<br />
Elektroautos und erneuerbare<br />
Wärmeenergie. Es<br />
scheint, dass die Bundesregierung<br />
die Energiewende gar<br />
nicht zum Erfolg führen will.<br />
Wenn Rösler, Röttgen & Merkel<br />
so weitermachen, könnte das<br />
Projekt doch noch scheitern.<br />
MICHAEL KAUCH,<br />
umweltpolitischer Sprecher<br />
der FDP-Fraktion<br />
im Deutschen Bundestag<br />
NEIN<br />
Die Energiewende<br />
ist auf einem guten<br />
Weg. Union und FDP steigen<br />
nicht nur schneller aus der<br />
Kernkraft aus. Wir haben auch<br />
sieben Gesetze durchgesetzt,<br />
um in ein neues Energiezeitalter<br />
einzusteigen. Unsere<br />
Politik wirkt: Nie zuvor war der<br />
Anteil erneuerbarer Energien<br />
so hoch wie 2011, nie zuvor<br />
der Energieverbrauch so<br />
niedrig. Noch auf längere Zeit<br />
brauchen wir zum Ausgleich<br />
der schwankenden Windkraft<br />
konventionelle Kraftwerke.<br />
Deshalb fördern wir hocheffiziente<br />
Kraftwerke. Vor allem<br />
aber brauchen wir neue Netze.<br />
Mit der Bundesnetzagentur<br />
und frühzeitigem Dialog mit<br />
den Betroffenen beschleunigen<br />
wir die Planungen für neue<br />
Trassen. Mit der Kürzung der<br />
Solarförderung sorgen wir<br />
dafür, dass der Strompreisanstieg<br />
moderat bleibt. Zudem<br />
sorgt die Bundesregierung<br />
erstmals durch Marktanreize<br />
für eine der Nachfrage gerechte<br />
Stromeinspeisung aus<br />
erneuerbaren Energien. Die<br />
Gebäudesanierung wird mit<br />
1,5 Miliarden Euro pro Jahr<br />
finanziert. Und wer energetisch<br />
in sein Haus investiert,<br />
soll dies steuerlich geltend<br />
machen können. SPD und<br />
Grüne sollten im Bundesrat<br />
ihre Blockade gegen dieses<br />
sinnvolle Projekt aufgeben.<br />
INVESTITIONEN<br />
Siemens setzt auf BER<br />
Der Technologiekonzern Siemens<br />
errichtet in Ludwigsfelde bis 2014 ein<br />
neues Brenner-Testzentrum für Gasturbinen.<br />
Für die Standortwahl erwies<br />
sich die Nähe des künftigen Flughafens<br />
Berlin Brandenburg BER als<br />
mitentscheidend.<br />
Nestlé baut in Schwerin<br />
Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern<br />
Nestlé, weltweit führend in der<br />
Branche, baut in Schwerin ein Werk<br />
für Kaffeemaschinen-Kapseln, das<br />
vorrangig den deutschen, den skandinavischen<br />
und osteuropäischen<br />
Markt beliefern soll. Dafür werden<br />
rund 220 Millionen Euro investiert.<br />
Die Landesregierung hat 50 Millionen<br />
Euro Fördergeld in Aussicht gestellt.<br />
Durch die Großinvestition entstehen<br />
450 neue Arbeitsplätze.<br />
Dritter Sachsen-VW<br />
In Zwickau hat die Volkswagen Sachsen<br />
GmbH einen neuen Karosseriebau<br />
in Betrieb genommen (Foto).<br />
Ab 2013 wird dort neben Golf und<br />
Passat auch der Golf Variant gebaut.<br />
VW Sachsen strebt an dem westsächsischen<br />
Standort ein Produktionsziel<br />
von mehr als 300.000 Pkw<br />
pro Jahr an.<br />
Thüringer Sonnenstrom<br />
In Thüringen sind zurzeit rund 5.000<br />
Beschäftigte im Bereich der Solarbranche<br />
tätig. Von den 80 Produktionsunternehmen<br />
agieren acht<br />
weltweit. Die seit 1990 getätigten<br />
Investitionen von mehr als einer<br />
Milliarde Euro wurden von dem Freistaat<br />
mit 161,3 Millionen Euro bezuschusst.<br />
Ab 2020 soll Solarstrom<br />
19,8 Prozent des gesamten Thüringer<br />
Energieverbrauchs decken.<br />
Gezähmte Oder<br />
Im Oderbruch wird ein automatisiertes<br />
System für Wassermanagement<br />
installiert. Damit können künftig die<br />
36 Schöpfwerke und etwa 300 Stauanlagen<br />
gesteuert und flexibler den<br />
veränderten Grund- und Oberflächenwasserständen<br />
angepasst werden.<br />
Auf diese Weise sollen sich Schäden<br />
durch extreme Witterungsbedingungen<br />
weitestgehend minimieren<br />
lassen. Die Landesregierung hat<br />
für das Projekt 2,3 Millionen Euro zur<br />
Verfügung gestellt.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 9
GESPRÄCH<br />
Manuela Schwesig, Stellvertretende SPD-Vorsitzende und Ministerin für Arbeit,<br />
Gleichstellung und Soziales in Mecklenburg-Vorpommern, über wirtschaftliche<br />
Vernunft, soziale <strong>Gerechtigkeit</strong>, auskömmliche Entgelte und den Fachkräftemangel<br />
»Merkel redet nur vom Mindest<br />
Fotos: C. Kettler<br />
W&M: Frau Schwesig, die Bundes-SPD hat<br />
auf ihrer jüngsten Klausurtagung die Frage<br />
nach sozialer <strong>Gerechtigkeit</strong> auf den Wahlkampfschild<br />
für 2013 gehoben. Was ist ungerecht<br />
in Deutschland – und somit auch in<br />
Mecklenburg-Vorpommern?<br />
MANUELA SCHWESIG: Ungerecht ist,<br />
dass viele Menschen in ihrem Job fleißig<br />
arbeiten, aber nicht von den Billiglöhnen<br />
leben können. Wir setzen uns daher für<br />
einen flächendeckenden gesetzlichen<br />
Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro<br />
ein. Ungerecht ist, dass viele Frauen in<br />
Deutschland keine Chance haben, sich<br />
am Arbeitsleben zu beteiligen. Weil es an<br />
guten Bildungs- und Betreuungseinrichtungen<br />
fehlt. Insbesondere im Westen<br />
mangelt es an Kitas und Ganztagsschulen.<br />
Ungerecht ist auch, dass immer<br />
mehr Menschen die medizinische Versorgung<br />
als Zweiklassen-Medizin erleben<br />
und der Bundesgesundheitsminister<br />
jetzt auch bei der Pflege in ein Zweiklassensystem<br />
steuert.<br />
W&M: Der Ruf nach höheren Löhnen klingt<br />
nach Stimmenfang im Wahlkampf. Wollen<br />
Sie die Tarifautonomie in Frage stellen?<br />
MANUELA SCHWESIG: Im Gegenteil, sie<br />
ist wichtig und richtig. Uns <strong>geht</strong> es nicht<br />
um einen Eingriff in diese Autonomie,<br />
sondern um eine Lohnuntergrenze. Sie<br />
soll sicherstellen, dass jemand, der arbeitet,<br />
davon leben kann und später eine<br />
Rente erhält, mit der er nicht in Altersarmut<br />
stürzt. Es gibt im Nordosten übrigens<br />
viele Unternehmer, die einen Mindestlohn<br />
unterstützen. So der Präsident<br />
des Unternehmerverbandes in Vorpommern,<br />
Gerold Jürgens. Für Unternehmer,<br />
die sich um ordentliche Löhne bemühen,<br />
besteht die Gefahr, wegen Lohndumpings<br />
nicht mehr mithalten zu können.<br />
W&M: Andere regionale Unternehmerverbände,<br />
auch in Ihrem Land, sehen das <strong>anders</strong>.<br />
Hat sich nicht die Vereinigung der Unternehmensverbände<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
sehr entschieden gegen einen einheitlichen<br />
Mindestlohn ausgesprochen?<br />
MANUELA SCHWESIG: Das mag sein, es<br />
gibt unbestritten verschiedene Positionen.<br />
Schon regional, in Greifswald andere<br />
als in Schwerin. Das unterstreicht<br />
doch aber nur die Notwendigkeit, in diesem<br />
Streit Flagge zu zeigen.<br />
W&M: Flagge zeigen gegen die Unternehmer?<br />
MANUELA SCHWESIG: Noch einmal –<br />
nicht gegen, sondern für diejenigen, die<br />
Deutschland erfolgreich durch die Krise<br />
getragen haben. Das haben Arbeitnehmer<br />
und Arbeitgeber gemeinsam geschafft.<br />
Klar, dass in Zeiten wirtschaftlichen<br />
Aufschwungs auch beide Partner<br />
davon profitieren müssen. Deshalb unterstützt<br />
die SPD die Interessen der Arbeitnehmer.<br />
Das ist kein Eingriff in die<br />
Autonomie, sondern Rückenstärkung.<br />
W&M: Im Land regieren Sie mit der CDU, die<br />
sich gern als Wirtschaftspartei darstellt. Ein<br />
Streit auch in der Koalition? Bundesweit tut<br />
sich in Sachen Mindestlohn wenig.<br />
MANUELA SCHWESIG: In Schwerin gibt<br />
es darüber keinen Streit, weil sich die<br />
SPD mit der Notwendigkeit eines Mindestlohnes<br />
durchgesetzt hat. Auch die<br />
CDU im Land spricht sich für den Mindestlohn<br />
aus. Die Landesregierung hat<br />
im Februar im Bundesrat eine Mindestlohn-Initiative<br />
mehrerer Länder unterstützt.<br />
Überdies kann es nicht sein, dass<br />
die Steuerzahler jährlich mit sieben Milliarden<br />
Euro die Billiglöhne subventionieren,<br />
weil Menschen von diesen nicht<br />
leben können. Ich bin überzeugt von<br />
Leistungsgerechtigkeit. Jeder muss das<br />
leisten, was er leisten kann. Aber Arbeit<br />
muss sich lohnen.<br />
W&M: Wie wollen Sie Kritikern den Mindestlohn<br />
vermitteln?<br />
MANUELA SCHWESIG: Ein gewichtiges<br />
Argument ist der Fachkräftemangel. Er<br />
ist die größte Herausforderung für die<br />
Unternehmen in nächster Zeit. Es gibt<br />
keine Branche, die ohne Menschen auskommt.<br />
Technik ist ersetzbar, aber nicht<br />
die Menschen. Vor Jahren hatte Mecklenburg-Vorpommern<br />
jährlich 30.000 Schulabgänger,<br />
jetzt sind es 10.000. Um diese<br />
streiten sich die Unternehmen. Über die<br />
Lohnfrage wird sich künftig entscheiden,<br />
ob ein Unternehmen Fachkräfte hat<br />
oder nicht. Es ist eine Überlebensfrage<br />
für die Betriebe geworden. Und es ist eine<br />
ordnungspolitische Frage. Die Summe<br />
von sieben Milliarden Euro für die so genannten<br />
Aufstocker bräuchten wir dringend,<br />
um in Bildung zu investieren und<br />
damit in potenzielle Fachkräfte.<br />
W&M: Wissen Sie, was in Ihrem Land an<br />
Niedriglöhnen wirklich gezahlt wird?<br />
MANUELA SCHWESIG: Es gibt Branchen,<br />
etwa im Handwerk, da werden zwar tariflich<br />
vereinbarte Mindestlöhne gezahlt.<br />
Doch diese liegen weit unter den geforderten<br />
gesetzlichen 8,50 Euro Mindestlohn.<br />
In Mecklenburg-Vorpommern bewegt<br />
mich in dieser Frage eine Branche<br />
besonders, die Tourismuswirtschaft. Sie<br />
boomt und wird über eine verringerte<br />
Mehrwertsteuer extra subventioniert.<br />
Aber es gibt ein Lohnniveau, das nicht<br />
auskömmlich ist. Deshalb herrscht dort<br />
unter anderem auch Fachkräftemangel.<br />
W&M: Die Leute laufen einfach weg, arbeiten<br />
lieber in Call-Centern, wo mehr gezahlt wird<br />
und es geregelte Arbeitszeiten gibt.<br />
MANUELA SCHWESIG: Sie sagen es.<br />
W&M: Die SPD kämpft für höhere Löhne und<br />
soziale <strong>Gerechtigkeit</strong>, will aber keinen Lagerwahlkampf<br />
mehr. Die Speerspitze richtet sich<br />
nicht mehr gegen Kanzlerin Merkel, sondern<br />
allgemein gegen den Neoliberalismus. Worauf<br />
darf man da gespannt sein?<br />
MANUELA SCHWESIG: Unsere politische<br />
Kritik richtet sich nicht gegen die Person<br />
Merkel, sondern gegen ihre Politik, die<br />
Politik der Bundesregierung. Die ist davon<br />
geprägt, dass der Lohn der Arbeit<br />
nicht bei den Leuten ankommt. In der sozialen<br />
Marktwirtschaft muss Leistung<br />
bezahlt werden mit anständigem Lohn.<br />
W&M: Entschuldigung – laufen Sie da nicht<br />
bei Frau Merkel offene Türen ein?<br />
MANUELA SCHWESIG: Bei einer Lohnuntergrenze<br />
gab es vor nicht allzu langer<br />
Zeit sehr unterschiedliche Auffassungen,<br />
ob dieses Instrument richtig ist. Derweil<br />
10 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
lohn«<br />
wächst die Unterstützung bis in die Bundesregierung<br />
hinein. Aber: Frau Merkel<br />
redet nur vom Mindestlohn, ohne wirklich<br />
etwas zu machen. Da wird mit Erwartungen<br />
von Menschen gespielt. 1,4<br />
Millionen Menschen müssen in Deutschland<br />
aufstocken …<br />
W&M: Ihr Parteikollege Steinmeier sieht die<br />
Wirtschaftspolitik der SPD als eine Art grüne<br />
Industriepolitik. Die richtet sich weniger an<br />
kleine Betriebe und das Handwerk. Wie sieht<br />
das Angebot der SPD an den Mittelstand aus?<br />
MANUELA SCHWESIG: Die Wirtschaft<br />
lebt von kleinen und mittleren Betrieben,<br />
gerade hier. Ich sehe eine ganz neue<br />
Herausforderung. Wir müssen unsere Sozialsysteme<br />
neu denken. Wie können wir<br />
Selbstständige in der Kreativwirtschaft<br />
zum Beispiel besser absichern? Wer etwas<br />
leistet und bereit ist, ein Risiko einzugehen,<br />
der darf am Ende nicht bestraft<br />
werden, der muss eine Grundabsicherung<br />
haben. Wir brauchen eine Bürgerversicherung,<br />
in der es nicht mehr entscheidend<br />
ist, in welchem Arbeits- und<br />
Rechtsverhältnis man ist, sondern dass<br />
man arbeitet. Da ist die SPD schon weiter.<br />
W&M: Reden wir über eine andere von Ihnen<br />
angesprochenen <strong>Gerechtigkeit</strong>slücke – Stichwort<br />
Pflege. Was bringt Sie da auf die Palme?<br />
MANUELA SCHWESIG: Mich beunruhigt<br />
außerordentlich das Auseinanderdriften<br />
der Gesellschaft, eben auch bei Medizin<br />
und Pflege. Die Menschen spüren diese<br />
»Arbeit ist eine Frage<br />
sozialer Teilhabe.<br />
EIN KLASSENKAMPF<br />
zwischen Sozialem<br />
und Wirtschaft passt nicht.«<br />
Zweiteilung. Bei der Pflege will Minister<br />
Daniel Bahr eine private Zusatzversicherung<br />
einführen. Das werden sich aktuelle<br />
Pflegefachkräfte zum Beispiel nicht<br />
leisten können. Sie beziehen im Übrigen<br />
im Osten weniger Mindestlohn als im<br />
Westen. Das ist ein weiteres Argument<br />
für einen flächendeckenden Mindestlohn.<br />
Differenzierung in Ost und West<br />
produziert Ungerechtigkeit. Die Pflegefachkräfte,<br />
die sich heute nicht zusätzlich<br />
versichern können, werden später<br />
keinen Anspruch auf gute Pflege haben.<br />
Das ist das System Merkel und Bahr.<br />
W&M: Und Ihr Vorschlag?<br />
MANUELA SCHWESIG: Wir brauchen eine<br />
Bürgerversicherung, in die jeder nach<br />
seiner Leistungsfähigkeit einzahlt. Das<br />
ist eine Frage der sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />
W&M: Die SPD ist die Initiatorin der umstrittenen<br />
Rente mit 67. Geht es aber nicht vielmehr<br />
um Arbeit bis 67, aber differenziert?<br />
MANUELA SCHWESIG: Es gibt bestimmte<br />
Berufe, wo sogar Arbeit bis 65 schwer vorstellbar<br />
ist, zum Beispiel im Pflegebereich.<br />
Es sind geeignete Übergänge zu<br />
gestalten. Rente mit 67 ist solange unrealistisch,<br />
wie nicht über die Hälfte der Arbeitnehmer<br />
mit 65 noch in Arbeit sind.<br />
Ein Vorschlag der SPD ist es, die Erwerbsminderungsrente<br />
besserzustellen. So<br />
können Arbeitnehmer aus gesundheitlichen<br />
Gründen ausscheiden ohne große<br />
Abschläge. Vor Armut im Alter haben die<br />
Menschen die meiste Angst.<br />
W&M: Ein anderer wesentlicher Punkt in dieser<br />
Debatte ist aber – und darauf zielte unsere<br />
Frage –, genügend Arbeitsplätze für ältere<br />
Arbeitnehmer bereitzustellen. Welcher politischen<br />
Impulse bedarf es?<br />
MANUELA SCHWESIG: Wichtig ist es, die<br />
Fachkräfte zu sichern und die Leistungsfähigkeit<br />
lange zu erhalten. Da gewinnt<br />
betriebliches Gesundheitsmanagement<br />
enorm an Bedeutung. Mein Ministerium<br />
hat mit der Wirtschaft besprochen, wie<br />
wir gemeinsam Unternehmen beraten<br />
können, wie Gesundheitsförderung im<br />
Arbeitsalltag funktioniert. Konzepte für<br />
große Konzerne greifen aber im Osten<br />
nicht. 90 Prozent unserer Betriebe haben<br />
weniger als 20 Beschäftigte. Da gilt es, in<br />
den Firmen die speziellen Probleme zu<br />
erkennen und individuell zu helfen.<br />
W&M: Was tun Sie selbst?<br />
MANUELA SCHWESIG: Mein Ministerium<br />
legt dafür ein Projekt auf mit einem Volumen<br />
von einer Million Euro. Berater gehen<br />
in die Betriebe, die in der Regel nicht<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 11
MANUELA SCHWESIG mit W&M-Redakteuren Helfried Liebsch (l.) und Thomas Schwandt.<br />
das Personal und das Know-how für die<br />
Lösung solcher Probleme besitzen.<br />
W&M: Was passiert mit älteren, arbeitsfähigen<br />
Menschen, die länger ohne Job sind?<br />
MANUELA SCHWESIG: In Firmen gibt es<br />
weiterhin große Vorurteile gegenüber<br />
dieser Gruppe von Arbeitnehmern. Das<br />
Alter ist ein Problem, obwohl den Unternehmen<br />
Leute fehlen. Da muss unbedingt<br />
ein Umdenken einsetzen.<br />
W&M: Aber verstehen Sie nicht Unternehmer,<br />
wenn sie lieber jüngere Fachkräfte einstellen<br />
statt älterer Arbeitnehmer, die nur noch kurze<br />
Zeit bis zur Rente zur Verfügung stehen?<br />
MANUELA SCHWESIG: Die Unternehmer<br />
können es sich nicht mehr aussuchen.<br />
Und wir können die Leute nicht backen.<br />
Wir können nur dafür sorgen, dass die<br />
jungen Leute möglichst ausbildungsreif<br />
die Schule verlassen. Die Unternehmer<br />
sind gefragt. Es führt kein Weg daran vorbei,<br />
bei älteren Arbeitslosen genau hinzusehen,<br />
was können diese, welche Qualifikationen<br />
besitzen sie. Nachweislich<br />
profitieren Betriebe von den Erfahrungen<br />
älterer Mitarbeiter. Um diese für Arbeitgeber<br />
interessant zu machen, kann<br />
der Schwerpunkt in der Arbeitsvermittlung<br />
nicht mehr Qualifikation per Gießkanne<br />
sein. Maßgeschneiderte Angebote<br />
sind gefragt. Das funktionert aber nur<br />
gemeinsam mit den Unternehmern.<br />
W&M: Auch bei jüngeren Menschen ist das<br />
Arbeitskräftepotenzial nicht ausgereizt. Gehört<br />
nicht die Schulabbrecherquote im Nordosten<br />
zu den höchsten in Deutschland?<br />
MANUELA SCHWESIG: Wir setzen hier<br />
unter anderem mit Produktionsschulen<br />
an. Über produktive Arbeit in Betrieben<br />
sollen junge Menschen erleben, dass sie<br />
was können, dass es gut ist, einen Schulabschluss<br />
nachzuholen. Weder im Land,<br />
noch in ganz Deutschland können wir<br />
uns junge Leute ohne Schul- bzw. Berufsabschluss<br />
leisten. Mein Ziel ist es, dass<br />
alle jungen Menschen einen Schulabschluss<br />
und eine Ausbildung haben.<br />
W&M: Sie betonen leisten?<br />
MANUELA SCHWESIG: Ja, leisten. Soziale<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong> und wirtschaftliche Vernunft<br />
treffen hier zusammen. Die Gesellschaft<br />
kann leistungsfähige Menschen<br />
nicht bis ins hohe Lebensalter alimentieren,<br />
diese Potenziale ungenutzt lassen.<br />
W&M: Wirtschaftsminister Harry Glawe<br />
(CDU) hält es für möglich, die Zahl der Arbeitlosen<br />
im Land bis zum Ende der Legislatur<br />
von jetzt über 100.000 auf 70.000 zu senken.<br />
Was ist Ihre Zielvorgabe?<br />
ZUR<br />
PERSON<br />
Shootingstar der SPD<br />
Richtig aufgefallen ist Manuela Schwesig<br />
(37) zum ersten Mal 2007, als<br />
Schwerin bundesweit in die Schlagzeilen<br />
geriet. Die fünfjährige Lea-Sophie war<br />
einen qualvollen Hungertod gestorben.<br />
Als Vorsitzende der SPD-Fraktion in der<br />
Stadtvertretung forderte Schwesig damals<br />
vehement, diesen Fall von Kindesvernachlässigung<br />
rückhaltlos aufzuklären.<br />
Ihr Auftreten imponierte nicht nur<br />
den Genossen der engeren Umgebung.<br />
Die diplomierte Finanzwirtin ließ auch<br />
die Vorstände von Landes- und Bundes-<br />
SPD aufhorchen. Schwesig wurde ins<br />
Aufstiegsprogramm aufgenommen, die<br />
erste Stufe gezündet. Diese katapultierte<br />
sie im Oktober 2008 an die Spitze<br />
des Ministeriums für Soziales und Gesundheit<br />
in Mecklenburg-Vorpommern.<br />
Nur ein Jahr später erreichte der Shootingstar<br />
die Bundesumlaufbahn, wurde<br />
Partei-Vize. Vor der Bundestagswahl<br />
2009 holte Kanzlerkandidat Steinmeier<br />
sie in sein Team. Schwesig, geboren in<br />
Seelow (Brandenburg) und Mutter eines<br />
Sohnes, wechselte 2000 von Frankfurt<br />
(Oder) nach Schwerin. Sie schätzt die<br />
Ausgeglichenheit der Norddeutschen,<br />
umso mehr, als es ihr nach eigener Aussage<br />
schon mal passiert, bei der Arbeit<br />
»durch die Decke zu gehen«.<br />
MANUELA SCHWESIG: Ich sehe es ebenso<br />
optimistisch. Spannend wird sein, haben<br />
wir weniger, weil die Leute in Rente gehen?<br />
Oder weil mehr sozialversicherungspflichtige<br />
Arbeitsplätze zur Verfügung<br />
stehen? Was nicht passieren darf:<br />
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen stagniert,<br />
aber die der offenen Stellen steigt.<br />
Wenn wir es nicht schaffen, genug Leute<br />
zu vermitteln, wird es gefährlich. Spricht<br />
sich das herum, werden sich keine Firmen<br />
mehr ansiedeln. Ziel muss es sein,<br />
den realen Fachkräftebedarf zu decken.<br />
W&M: Was heißt das für Ihre Arbeitsmarktpolitik<br />
konkret?<br />
MANUELA SCHWESIG: Gemeinsam mit<br />
der Bundesarbeitsagentur haben wir<br />
Schwerpunkte gesetzt. So wollen wir<br />
verstärkt Alleinerziehende in den ersten<br />
Arbeitsmarkt vermitteln.<br />
W&M: In der Arbeitslosenstatistik bewegt<br />
sich oben viel, unten beim Sockel der Langzeitarbeitslosen<br />
wenig. Schreiben Sie die ab?<br />
MANUELA SCHWESIG: Nein! Bei Langzeitarbeitslosen<br />
mit Vermittlungshemmnissen<br />
streben wir mit den Betrieben individuelle<br />
Lösungen an. Arbeit ist eine Frage<br />
sozialer Teilhabe. Ein Klassenkampf zwischen<br />
Sozialem und Wirtschaft passt<br />
nicht, beides verträgt sich unheimlich<br />
gut, wenn von den Menschen her gedacht<br />
wird. Die Wirtschaft braucht sie.<br />
W&M: Kommen wir noch einmal auf den<br />
Anfang zurück. Unlängst hat SPD-Chef Gabriel<br />
angemerkt, auch eine Kanzlerkandidatin<br />
sei nicht ausgeschlossen. Wer könnte die erste<br />
SPD-Spitzenkandidatin werden?<br />
MANUELA SCHWESIG: Das verrate ich Ihnen<br />
nicht.<br />
W&M: Wäre es nichts für Sie?<br />
MANUELA SCHWESIG: Nein. Ich bin Arbeitsministerin<br />
in Mecklenburg-Vorpommern,<br />
das macht mir Spaß. Ich freue<br />
mich, dass ich auch auf Bundesebene<br />
Themen bewegen kann. Ich finde überhaupt,<br />
in kleinen Bundesländern wie<br />
hier in Ostdeutschland müssen wir den<br />
Anspruch haben mitzumischen.<br />
W&M: Wie müssen wir uns den Bundestagswahlkampf<br />
2013 in MV vorstellen: Am Vormittag<br />
Friede, Freude, Eierkuchen mit der<br />
CDU im Kabinett, am Nachmittag Wahlkampf<br />
gegen die Union?<br />
MANUELA SCHWESIG: In der großen Koalition<br />
haben wir erreicht, dass die CDU<br />
bei Themen, die wir als Sozialdemokraten<br />
für richtig halten, mitmacht.<br />
W&M: Ist das ein Beitrag zur Marginalisierung<br />
der CDU?<br />
MANUELA SCHWESIG: Nein. wir haben<br />
mit unseren Themen die Wähler überzeugt,<br />
und das musste der Koalitionspartner<br />
akzeptieren.<br />
W&M: Frau Ministerin, wir bedanken uns für<br />
das Gespräch.<br />
&<br />
12 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
Copyright by<br />
Je komplexer ein Projekt, desto präziser<br />
muss man zusammenarbeiten.<br />
Am besten mit uns.<br />
Corporate Finance. Bei der Finanzierung von Unternehmensübernahmen,<br />
Projekten, Leasing und anderen<br />
Steuer- oder Bilanzkonzepten im In- und Ausland<br />
sind wir der ideale Partner – für Unternehmen wie für<br />
die öffentliche Hand. Denn wir sind die Spezialisten,<br />
die gemeinsam mit Ihnen eine exakt auf Ihre Ziele abgestimmte<br />
Finanzierung erarbeiten. www.helaba.de
SERIE<br />
Für das Land betrachtet ist Mecklenburg-Vorpommern<br />
in den letzten<br />
zwei Jahren ausgerechnet an seiner<br />
schwächsten Flanke stark in die Offensive<br />
gekommen. Das Exportvolumen der<br />
Wirtschaft wuchs von 2009 bis 2011 jährlich<br />
um 20 Prozent und belief sich im<br />
vergangenen Jahr auf 7,2 Milliarden Euro.<br />
Das bedeutet ein Plus von 1,2 Milliarden<br />
Euro gegenüber 2010.<br />
Fast die Hälfte des Auslandsumsatzes<br />
entfiel auf das verarbeitende Gewerbe.<br />
Laut Wirtschaftsministerium in Schwerin<br />
waren dies 3,2 Milliarden Euro. Besonders<br />
bemerkenswert: Der vorwiegend<br />
auf dem internationalen Markt agierende<br />
Schiffbau, und deshalb früher eine<br />
feste Größe in der Exportbilanz, fiel als<br />
solche zuletzt aus. Die Werften im Land<br />
kämpfen noch immer mit den Folgen der<br />
schweren Finanz- und Wirtschaftskrise,<br />
der Umsatz schrumpfte 2011 um 7,1 Prozent.<br />
Andere Branchen wie Automotive,<br />
Maschinenbau und auch Nahrungsgüter<br />
sprangen in die Bresche.<br />
Auf dem Cover ihrer aktuellen Studie<br />
der 100-Top-Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern<br />
hat die Nord/LB einen<br />
Fingerzeig auf den sich vollziehenden Paradigmenwechsel<br />
in der Wirtschaft des<br />
Landes gegeben. Windräder zieren das<br />
Titelblatt der Studie von 2011 statt traditionelle<br />
Impressionen aus Schiffbau oder<br />
der Hafenwirtschaft. Im Ranking der umsatzstärksten<br />
Unternehmen, die 2010 jeweils<br />
mehr als 50 Millionen Euro erwirtschafteten,<br />
verdrängte hinter der führenden<br />
Ernährungsbranche der Maschinenbau<br />
den Schiffbau auf den dritten Rang.<br />
Das veränderte Kräfteverhältnis spiegelt<br />
sich in den Top-Ten der 100 führenden<br />
Unternehmen. Mit dem Rostocker<br />
Windkraftanlagenbauer Nordex SE auf<br />
Platz fünf und Hydraulik Nord Parchim<br />
auf Platz zehn schafften es zwei Nicht-<br />
Schiffbaubetriebe des verarbeitenden Gewerbes<br />
in die oberste Ranking-Etage. Mit<br />
den P+S-Werften behauptet sich auf Platz<br />
acht lediglich noch ein klassischer<br />
Schiffbaubetrieb. Mit 2.500 Beschäftigten<br />
bei Nordex, fast 2.000 bei den P+S-<br />
Werften und rund 1.500 bei Hydraulik<br />
Nord entfällt gut ein Fünftel der insgesamt<br />
27.100 Beschäftigten in den Top-<br />
Ten-Unternehmen auf diese drei, die ein<br />
Umsatzvolumen von 1,5 Milliarden Euro<br />
auf sich vereinen. »Das verarbeitende Gewerbe<br />
erhöht den Anteil an der Wirtschaftsleistung,<br />
die Struktur verbreitert<br />
sich«, stellt dazu Harry Glawe (CDU),<br />
Wirtschaftsminister in MV, fest. Laut Statistik-Amt<br />
wurden im Land von den 299<br />
verarbeitenden Betrieben mit über 50 Beschäftigten<br />
2011 insgesamt 11,1 Milliarden<br />
Euro umgesetzt - plus 10,6 Prozent.<br />
Fotos: T. Schwandt; privat<br />
REPORT<br />
MECKLENBURG–VORPOMMERN<br />
Innovationsoffensive<br />
Lückenschluss 2020<br />
Die Wirtschaft zwischen Rügen und Müritz verlässt traditionelle<br />
Pfade. Das verarbeitende Gewerbe gewinnt mit mehr Forschung<br />
und Entwicklung weit über die Landesgrenzen hinaus an Gewicht.<br />
Charakteristisch für das verarbeitende<br />
Gewerbe in MV ist es, dass in den zurückliegenden<br />
zwei Jahrzehnten etliche<br />
Produktionsstätten entstanden sind, deren<br />
Hauptzentralen zumeist jenseits der<br />
Elbe zu finden sind. Neben Industriebetrieben<br />
wie dem Hafenkranbauer Liebherr<br />
und dem Großröhren-Hersteller<br />
EEW in Rostock sind dies unter anderem<br />
Firmen im Automotive-Bereich (TRW Airbag<br />
Systems; Webasto) und der Luftfahrtindustrie<br />
(Flamm AG).<br />
Überdurchschnittlich stark vertreten<br />
in der Verarbeitung ist die Ernährungsbranche.<br />
Namhafte Unternehmen wie<br />
Oetker, Pfanni und Kamps haben den<br />
agrarisch geprägten Nordosten für sich<br />
entdeckt und sich besonders in Westmecklenburg<br />
angesiedelt. Der Nahrungsmittel-Konzern<br />
Nestlé hat sich jetzt eingereiht.<br />
Kürzlich gab der Branchenprimus<br />
bekannt, bis Ende 2013 in Schwerin<br />
ein Werk zur Produktion von Kaffeekapseln<br />
zu bauen. 220 Millionen Euro werden<br />
investiert, 450 Jobs entstehen. Die<br />
Ernährungswirtschaft im Land hat dato<br />
15.000 Beschäftigte und bringt es auf einen<br />
Umsatz von 3,7 Milliarden Euro.<br />
Diese »importierte« Wertschöpfung<br />
kann aber nur bedingt dazu beitragen,<br />
bis zum Jahr 2020 eine sich selbst tragende<br />
Wirtschaft zu etablieren. Mecklenburg-Vorpommern<br />
wird dieses Ziel nur<br />
erreichen können, wenn sich nachhaltige<br />
mittelständische Strukturen aus sich<br />
selbst heraus entwickeln und festigen.<br />
Die Top-100 in Mecklenburg-Vorpommern<br />
belegen, dass der Nordosten auf<br />
diesem Weg bereits ein gutes Stück vorangekommen<br />
ist.<br />
14 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
SERIE<br />
Mit AIDA Cruises steht auf Platz eins<br />
eine Reederei, deren Stunde Null Mitte<br />
der 90er Jahre in Rostock schlug. Mit der<br />
Kreierung des Clubschiff-Konzepts erschloss<br />
das Unternehmen einen völlig<br />
neuen Markt in der Kreuzschifffahrt. Maritime<br />
Pauschalreisen erfreuen sich eines<br />
wachsenden Zuspruchs. Nach Angaben<br />
des Deutschen ReiseVerbandes (DRV)<br />
buchten 2011 rund 1,4 Millionen Passagiere<br />
in Deutschland eine Hochsee-<br />
Kreuzfahrt. Gegenüber 2010 ist das ein<br />
Plus von 13,8 Prozent. AIDA Cruises hat<br />
mit einer Flotte von derzeit acht Clubschiffen<br />
daran großen Anteil und steuert<br />
weiter auf Wachstumskurs. 5.100 Mitarbeiter<br />
zählt AIDA mit Sitz im Rostocker<br />
Stadthafen. Mit dem geplanten Ausbau<br />
der Flotte bis 2016 auf zwölf Schiffe »wer-<br />
FAKTEN<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
Einwohner: 1,64 Millionen<br />
Unternehmen: 53.800 kleine und<br />
mittlere Betriebe (2009)<br />
Exporte: 7,2 Milliarden Euro (2011)<br />
BIP: 35,8 Mrd. Euro (2010)<br />
(Quelle: Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern)<br />
den wir die 9.000-Marke knacken«, blickt<br />
Steffi Harder, Direktorin für Personalentwicklung<br />
bei der Reederei, voraus.<br />
Zu den unternehmerischen Erfolgsgeschichten,<br />
die ihren Ursprung in MV<br />
haben, gehören in Rostock die Medizintechnikfirma<br />
DOT GmbH mit heute 250<br />
Beschäftigten sowie die Planungsgesellschaft<br />
Inros Lackner AG mit mehr als 200<br />
Mitarbeitern. Beim führenden Software-<br />
Haus des Landes, der SIV.AG in Roggentin,<br />
sind 258 Menschen in Arbeit und der<br />
Fertighaus-Hersteller Scanhaus in Marlow<br />
beschäftigt 267 Leute.<br />
Allen diesen Unternehmen ist eigen,<br />
dass sie mit einer Produktidee an den<br />
Start gingen und diese zur Marktreife<br />
führten. Diesen Prozess will die Wirtschaftspolitik<br />
im Land mit intensiver<br />
Förderung der Verbundforschung forcieren.<br />
»Seit 2007 sind 113 Millionen Euro in<br />
Innovationsprojekte von Wissenschaft<br />
und Wirtschaft ausgereicht worden«,<br />
sagt Stefan Rudolph, Staatssekretär im<br />
Wirtschaftsministerium. Kleinere und<br />
mittlere Betriebe, denen für Forschung<br />
und Entwicklung häufig Mittel und Kapazitäten<br />
fehlen, »sollen so Zugang zu<br />
wissenschaftlichen Einrichtungen erhalten,<br />
um schneller und auf höchstem wissenschaftlich-technischen<br />
Niveau zu innovativen<br />
Produkten zu kommen«. Nur<br />
mit solchen gelingt es, sich im internationalen<br />
Wettbewerb durchzusetzen.<br />
Mit zwei Universitäten in Rostock und<br />
Greifswald und weiteren Hochschulen in<br />
Wismar, Stralsund und Neubrandenburg<br />
verfügt das Land über nicht wenig wissenschaftliches<br />
Potenzial. Und befindet<br />
sich doch erst am Anfang einer langen<br />
Aufholjagd, wie die Anzahl der Patentanmeldungen<br />
in den Bundesländern verdeutlicht.<br />
Wurden 2010 zum Beispiel in<br />
Bayern über 13.000 Innovationen aus der<br />
Industrie und den Universitäten zum Patent<br />
angemeldet, lag diese Zahl in MV<br />
unter 180. Im ostdeutschen Vergleich<br />
führt Sachsen mit 1.250 Anmeldungen.<br />
Rudolph sieht in der Verbundforschung<br />
den entscheidenden Wachstumsmotor<br />
für die Wirtschaft. »Wir brauchen<br />
mehr Wachstum«, nur so gerät das Land<br />
in die Lage, die Leistungsbilanz aus eigener<br />
Kraft ausgeglichen gestalten zu können.<br />
Aktuell existiere immer noch eine<br />
Wertschöpfungslücke von 3,5 Milliarden<br />
Euro, die MV lediglich mit Transferleistungen<br />
zu schließen vermag. Im Jahr<br />
2004 betrug dieses Defizit sechs Milliarden<br />
Euro. »Das letzte Stück des Weges<br />
wird aber das schwierigste«, mahnt Rudolph,<br />
denn die Milliarden-Zuweisungen<br />
vom Bund und der Europäischen Union<br />
werden bis zum Ende des Jahrzehnts degressiv<br />
»auf Null abgeschmolzen«. &<br />
KOLUMNE<br />
THOMAS<br />
SCHWANDT,<br />
stellvertretender<br />
Chefredakteur und<br />
W&M-Korrespondent<br />
in Mecklenburg-<br />
Vorpommern<br />
Küste und Könner<br />
Behielte der 1898 verblichene Reichskanzler<br />
Otto von Bismarck recht, dann lebt es sich<br />
in Mecklenburg-Vorpommern im krisengerüttelten<br />
Heute trotz täglicher Welt- oder<br />
wenigstens Europa-Untergangsszenarien<br />
sehr entspannt. Der Eiserne Kanzler wollte<br />
bekanntlich im Endstadium der Welt nach<br />
Mecklenburg gehen, »denn dort <strong>geht</strong> sie<br />
50 Jahre später unter«.<br />
Entspannt leben lässt es sich im Land zwischen<br />
Mecklenburger Bucht und Stettiner<br />
Haff auch ohne Bismarcks Verspätungstheorie.<br />
Im norddeutschen Tourismusland<br />
Nr. eins bedarf es nur kurzer Wege, um<br />
nach der Arbeit in reizvoller Landschaft<br />
und am Meer zu landen. Schiffegucken liebe<br />
ich als waschechter Jung’ von der Küste<br />
immer noch. Auch wenn die Werften nicht<br />
mehr so viele Schiffe wie in besseren Tagen<br />
bauen. Das Durchhalte- und noch stärker<br />
das Umstellungsvermögen der Werftarbeiter<br />
hat mich in den letzten 20 Jahren sehr<br />
beeindruckt. Nach dem Zusammenbruch<br />
des DDR-Schiffbaus haben sie einen unvergleichlichen<br />
Strukturwandel gemeistert.<br />
Eine einschlägige Erfahrung, die geholfen<br />
haben mag, in der jüngsten Krise den<br />
Schiffbau nicht einfach auf Grund zu setzen.<br />
Die Werften haben das Ruder herumgeworfen,<br />
steuern jetzt mit Spezialschiffund<br />
Offshore-Projekten stringent auf Innovations-Kurs.<br />
Dieser ist in allen Branchen<br />
der einzige, wirklich Erfolg versprechende<br />
in dem strukturschwachen Flächenland.<br />
Am Anfang steht die Idee. Daran mangelte<br />
es im Land nie. Hier flog in den 30er Jahren<br />
das erste Düsenstrahlflugzeug der Welt,<br />
hier stehen der Schleudersitz, die künstliche<br />
Leber und last but not least der Strandkorb<br />
ganz oben auf der Liste weltbekannter<br />
Erfindungen aus Meck-Pomm.<br />
Das Spannendste aber sind die Menschen,<br />
die in den Betrieben daran mitwirken, dieses<br />
Land täglich neu zu erfinden. Die ihre<br />
Ideen vor Ort verwirklichen und die Entwicklung<br />
vorantreiben wollen. Weil sie an<br />
dieses Land glauben. Da bin ich bei ihnen.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 15
SERIE<br />
TOP 100 Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern<br />
Von AIDA bis Alternative Energien – Beschäftigung<br />
Rang Unternehmen Branche Mitarbeiter<br />
(2010)<br />
Umsatz<br />
(in Mio. Euro)<br />
Sitz<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
11<br />
13<br />
14<br />
15<br />
16<br />
17<br />
18<br />
19<br />
20<br />
21<br />
22<br />
23<br />
24<br />
25<br />
26<br />
27<br />
28<br />
29<br />
30<br />
31<br />
32<br />
33<br />
34<br />
35<br />
36<br />
37<br />
38<br />
39<br />
40<br />
41<br />
42<br />
43<br />
44<br />
45<br />
46<br />
47<br />
48<br />
49<br />
50<br />
AIDA Cruises<br />
Deutsche Bahn AG (K) **<br />
Universitätsklinikum Rostock AöR<br />
Deutsche Post DHL (K)<br />
Nordex SE (K)<br />
Scandlines GmbH (K)<br />
Damp Holding AG (K)<br />
P+S WERFTEN GmbH<br />
OHG NETTO Supermarkt GmbH & Co.<br />
Hydraulik Nord GmbH Parchim (K)<br />
Braun Gruppe (K)<br />
RIEMSER Arzneimittel AG (K)<br />
Telegate AG<br />
MediClin Mecklenburg-Vorpommern (K)<br />
Unser Heimatbäcker GmbH<br />
Bildungszentrum Nordost K.-D. Schnoor<br />
Reederei F. Laeisz GmbH<br />
E.ON e.dis AG<br />
KMG Kliniken plc (K)<br />
coop eG<br />
Energiewerke Nord GmbH<br />
Dussmann Service Deutschland GmbH<br />
De Mäkelbörger Backwaren GmbH<br />
Liebherr-MCCtec Rostock GmbH<br />
Eisengießerei Torgelow GmbH<br />
Egger Holzwerkstoffe GmbH & Co. KG<br />
SYKES Enterprises B.V. & Co. KG<br />
Stadtwerke Schwerin GmbH (K)<br />
Stadtbäckerei Junge GmbH<br />
OstseeSparkasse Rostock<br />
Webasto Neubrandenburg GmbH<br />
Dr. Oetker Tiefkühlprodukte GmbH<br />
optimal media GmbH<br />
RSAG Rostocker Straßenbahn AG<br />
Sparkasse Vorpommern<br />
WSN Sicherheit und Service GmbH (K)<br />
TRW Airbag Systems GmbH<br />
Franziska Stolle GmbH & Co. Brenz KG<br />
WEMAG AG (K)<br />
WEMAG AG<br />
Stadtwerke Rostock AG<br />
Bodden-Kliniken Ribnitz-Damgarten GmbH<br />
Fruchtquell Getränke GmbH & Co. KG<br />
Sparkasse Mecklenburg-Schwerin<br />
HANSA-Milch Mecklenburg-Holstein eG (K)<br />
Travel Charme Hotels & Resorts<br />
ml&s manufacturing GmbH & Co. KG<br />
Unternehmensgruppe Graal-Müritz (K)<br />
AKG Reha-Zentrum GmbH & Co. KG<br />
Stadtwerke Stralsund GmbH (K)<br />
WIRO Wohnen in Rostock GmbH (K)<br />
Piepenbrock Dienstleistungen Gruppe (K)<br />
Rügen Fisch Gruppe (K)<br />
Kreuzfahrten<br />
Verkehrsgewerbe<br />
Gesundheitswesen<br />
Logistik<br />
Windenergieanlagen<br />
Fährreederei<br />
Gesundheitswesen<br />
Schiffbau<br />
Einzelhandel<br />
Maschinenbau, Elektronik<br />
Mischkonzern (Pharma, Food)<br />
Chemische Industrie<br />
Dienstleistungen (Call-Center)<br />
Gesundheitswesen<br />
Ernährungsgewerbe<br />
Bildungswesen<br />
See- und Küstenschifffahrt<br />
Energieversorgung<br />
Gesundheitswesen<br />
Einzelhandel<br />
Abbau/Entsorgung<br />
Dienstleistungen<br />
Ernährungsgewerbe<br />
Maritime Krantechnik<br />
Metallindustrie<br />
Holzbearbeitung<br />
Dienstleistungen (Call-Center)<br />
Energie- und Wasserversorg.<br />
Ernährungsgewerbe<br />
Finanzdienstleistungen<br />
Metallindustrie<br />
Ernährungsgewerbe<br />
Medienindustrie<br />
Personenbeförderung<br />
Finanzdienstleistungen<br />
Dienstleistungen<br />
Automobilzulieferer<br />
Ernährungsgewerbe<br />
Energieversorgung<br />
Energieversorgung<br />
Energieversorgung<br />
Gesundheitswesen<br />
Ernährungsgewerbe<br />
Finanzdienstleistungen<br />
Ernährungsgewerbe<br />
Gastgewerbe<br />
Elektroindustrie<br />
Gesundheitswesen<br />
Gesundheitswesen<br />
Energie- und Wasserversorg.<br />
Wohnungswesen<br />
Dienstleistungen<br />
Ernährungsgewerbe<br />
5.100<br />
4.143<br />
3.100<br />
3.000<br />
2.504<br />
2.200<br />
2.029<br />
1.977<br />
1.600<br />
1.494<br />
1.300<br />
600<br />
1.300<br />
1.280<br />
1.250<br />
1.200<br />
1.188<br />
1.122<br />
942<br />
916<br />
912<br />
910<br />
900<br />
860<br />
744<br />
740<br />
727<br />
721<br />
692<br />
684<br />
670<br />
656<br />
650<br />
625<br />
621<br />
590<br />
582<br />
565<br />
529<br />
347<br />
521<br />
510<br />
501<br />
482<br />
476<br />
470<br />
460<br />
450<br />
245<br />
442<br />
439<br />
436<br />
430<br />
(-)<br />
(-)<br />
265,0<br />
(-)<br />
972,0<br />
569,0<br />
182,2<br />
406,5<br />
1.129,7<br />
100,5<br />
250,0<br />
110,0<br />
124,6<br />
110,3<br />
49,0<br />
22,4<br />
(-)<br />
(-)<br />
61,0<br />
247,5<br />
286,4<br />
24,7<br />
54,0<br />
203,9<br />
100,0<br />
300,0<br />
(-)<br />
182,8<br />
41,7<br />
(-)<br />
273,3<br />
(-)<br />
85,0<br />
31,8<br />
(-)<br />
17,1<br />
226,6<br />
166,0<br />
644,1<br />
500,2<br />
219,3<br />
32,7<br />
101,5<br />
(-)<br />
331,5<br />
38,7<br />
110,6<br />
25,7<br />
16,1<br />
108,0<br />
194,4<br />
12,0<br />
110,1<br />
Rostock<br />
Schwerin<br />
Rostock<br />
Neubrandenburg<br />
Rostock<br />
Rostock<br />
Stralsund<br />
Stralsund<br />
Stavenhagen<br />
Parchim<br />
Greifswald<br />
Insel Riems<br />
Neubrandenburg<br />
Waren/Müritz<br />
Pasewalk<br />
Demmin<br />
Rostock<br />
Demmin<br />
Güstrow<br />
Güstrow<br />
Lubmin<br />
Rostock<br />
Neubrandenburg<br />
Rostock<br />
Torgelow<br />
Wismar<br />
Pasewalk<br />
Schwerin<br />
Elmenhorst<br />
Rostock<br />
Neubrandenburg<br />
Wittenburg<br />
Röbel<br />
Rostock<br />
Greifswald<br />
Neubrandenburg<br />
Laage<br />
Brenz<br />
Schwerin<br />
Schwerin<br />
Rostock<br />
Ribnitz-Damgarten<br />
Dodow<br />
Schwerin<br />
Upahl<br />
Ostseebad Binz<br />
Greifswald<br />
Graal-Müritz<br />
Graal-Müritz<br />
Stralsund<br />
Rostock<br />
Neubrandenburg<br />
Sassnitz<br />
** (K) = Konzernangabe<br />
(-) = Keine Angabe<br />
Im Januar 2012 veröffentlichte die NORD/LB ihre aktuelle Studie zur Beschäftigungslage in Mecklenburg-<br />
Vorpommern. Im Mittelpunkt dieser Betrachtung steht das Ranking »Die 100 größten Unternehmen in<br />
16 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
REPORT<br />
MECKLENBURG–VORPOMMERN<br />
SERIE<br />
durch Tradition und Innovation<br />
Rang Unternehmen Branche Mitarbeiter<br />
(2010)<br />
51<br />
52<br />
53<br />
54<br />
55<br />
56<br />
57<br />
58<br />
59<br />
59<br />
61<br />
62<br />
63<br />
64<br />
65<br />
66<br />
67<br />
68<br />
68<br />
70<br />
71<br />
72<br />
73<br />
74<br />
75<br />
76<br />
77<br />
78<br />
79<br />
80<br />
81<br />
82<br />
82<br />
84<br />
85<br />
85<br />
87<br />
88<br />
89<br />
90<br />
91<br />
92<br />
92<br />
94<br />
95<br />
96<br />
97<br />
98<br />
99<br />
100<br />
Durtrack GmbH<br />
DBDialog Telefonservice GmbH<br />
EURAWASSER Nord GmbH<br />
Seetel Hotel Gruppe (K)<br />
Wachdienst in Mecklbg. GmbH & Co. KG<br />
Hanse Yachts AG<br />
Siemens AG<br />
Palmberg Büroeinrichtungen GmbH<br />
Neubrandenburger Stadtw. GmbH (K)<br />
Sky Deutschland Service Center GmbH<br />
Datenverarbeitungszentrum MV GmbH<br />
Stadtwerke Greifswald GmbH (K)<br />
Gegenbauer Holding SA & Co. KG<br />
Hair-Cosmetic-Team GmbH<br />
Gummi Bear Süßwaren GmbH & Co. KG<br />
Sana-Krankenhaus Rügen GmbH<br />
Backhus Backwaren GmbH & Co. KG<br />
Simeonsbetriebe Nord GmbH<br />
Sparkasse Neubrandenburg-Demmin<br />
Perry & Knorr Parchim GmbH<br />
MEDIAN Kliniken GmbH & Co. KG (K)<br />
arcona HOTELS & RESORTS<br />
IBRo Funk und Marketing GmbH<br />
Autohaus Kittner Gruppe (K)<br />
Commerzbank AG<br />
Ilim Nordic Timber GmbH<br />
ALBA Nord GmbH<br />
Grand Hotel Heiligendamm<br />
Hotel Arkona - Dr. Hutter e.K.<br />
Seehafen Rostock Umschlags-GmbH (K)<br />
Neubrandenburger Wohnungs-GmbH<br />
ScanHaus Marlow GmbH (K)<br />
Sparkasse Mecklenburg-Nordwest<br />
YARA GmbH & Co. KG<br />
SIV AG<br />
MAPLAN GmbH<br />
BAU-REIN Rostock GmbH<br />
Darguner Brauerei GmbH<br />
DOT GmbH (K)<br />
NORD/LB Girozentrale<br />
Hauptgenossenschaft Nord AG<br />
Unternehmensgr. F. Schultz Nachfolger<br />
IBR – Reinigungsgesellschaft mbH<br />
Industrie- und Büroreinigungs-GmbH<br />
Boizenburger Fliesenf. GmbH & Co. KG<br />
Fastphone Telemarketing GmbH<br />
Dienstleistungs-GmbH in Vorpommern<br />
HSE-Haustechnik GmbH<br />
INROS-LACKNER AG<br />
HTG Hoch- u. Tiefbau Gadebusch GmbH<br />
Betonerzeugnisse<br />
Dienstleistungen (Call-Center)<br />
Wasserversorgung<br />
Gastgewerbe<br />
Dienstleistungen<br />
Schiffbau<br />
Elektroindustrie<br />
Herstellung von Möbeln<br />
Energie- und Wasserversorg.<br />
Dienstleistungen (Call-Center)<br />
EDV<br />
Energie- und Wasserversorg.<br />
Dienstleistungen<br />
Friseur<br />
Ernährungsgewerbe<br />
Gesundheitswesen<br />
Ernährungsgewerbe<br />
Arbeitskleidung<br />
Finanzdienstleistungen<br />
Dienstleistungen<br />
Gesundheitswesen<br />
Gastgewerbe, Hotellerie<br />
Dienstleistungen (Call-Center)<br />
Einzelhandel<br />
Finanzdienstleistungen<br />
Holzbearbeitung<br />
Abfallentsorgung<br />
Gastgewerbe<br />
Gastgewerbe<br />
Frachtumschlag und Lagerei<br />
Wohnungswesen<br />
Baugewerbe<br />
Finanzdienstleistungen<br />
Chemische Industrie<br />
Dienstleistungen<br />
Maschinenbau<br />
Dienstleistungen<br />
Ernährungsgewerbe<br />
Medizintechnik<br />
Finanzdienstleistungen<br />
Agrarhandel<br />
Kraftfahrzeugbranche<br />
Dienstleistungen<br />
Dienstleistungen )<br />
Baugewerbe<br />
Dienstleistungen (Call-Center)<br />
Dienstleistungen<br />
Baugewerbe, Haustechnik<br />
Dienstleistungen<br />
Baugewerbe<br />
430<br />
428<br />
424<br />
420<br />
405<br />
401<br />
400<br />
395<br />
392<br />
392<br />
368<br />
365<br />
363<br />
349<br />
344<br />
335<br />
332<br />
324<br />
324<br />
300<br />
299<br />
294<br />
292<br />
290<br />
288<br />
287<br />
286<br />
284<br />
280<br />
274<br />
271<br />
267<br />
267<br />
262<br />
258<br />
258<br />
257<br />
254<br />
250<br />
248<br />
242<br />
231<br />
231<br />
230<br />
226<br />
223<br />
211<br />
207<br />
204<br />
200<br />
Umsatz<br />
(in Mio. Euro)<br />
78,0<br />
(-)<br />
66,7<br />
25,8<br />
(-)<br />
65,0<br />
55,0<br />
60,2<br />
147,4<br />
11,4<br />
43,1<br />
73,5<br />
7,0<br />
7,5<br />
76,3<br />
(-)<br />
14,4<br />
13,8<br />
(-)<br />
(-)<br />
25,1<br />
14,2<br />
(-)<br />
95,7<br />
(-)<br />
76,9<br />
32,2<br />
13,4<br />
23,1<br />
28,2<br />
60,6<br />
42,1<br />
(-)<br />
307,0<br />
26,9<br />
22,8<br />
4,7<br />
106,2<br />
(-)<br />
(-)<br />
271,1<br />
43,6<br />
8,4<br />
8,4<br />
23,9<br />
4,8<br />
7,6<br />
17,9<br />
16,1<br />
37,7<br />
Sitz<br />
Möllenhagen<br />
Schwerin<br />
Rostock<br />
Seebad Ahlbeck<br />
Rostock<br />
Greifswald<br />
Rostock<br />
Schönberg<br />
Neubrandenburg<br />
Schwerin<br />
Schwerin<br />
Greifswald<br />
Schwerin<br />
Schwerin<br />
Boizenburg<br />
Bergen auf Rügen<br />
Güstrow<br />
Rostock<br />
Neubrandenburg<br />
Parchim<br />
Heiligendamm<br />
Rostock<br />
Roggentin<br />
Rostock<br />
Rostock<br />
Wismar<br />
Schwerin<br />
Bad Doberan-Heiligend.<br />
Ostseebad Binz<br />
Rostock<br />
Neubrandenburg<br />
Marlow<br />
Wismar<br />
Poppendorf<br />
Roggentin<br />
Schwerin<br />
Rostock<br />
Dargun<br />
Rostock<br />
Schwerin<br />
Neubrandenburg<br />
Rostock<br />
Sassnitz<br />
Sassnitz<br />
Boizenburg<br />
Pasewalk<br />
Lubmin<br />
Gadebusch<br />
Rostock<br />
Gadebusch<br />
Abdruck mit freundlicher Genehmigung von: NORD/LB Regionalwirtschaft, Friedrichswall 10, 30159 Hannover<br />
Mecklenburg-Vorpommern«, welches W&M mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt wurde.<br />
Die genannten Unternehmensdaten resultieren aus dem Geschäftsjahr 2010.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 17
SERIE<br />
INTERVIEW<br />
HARRY GLAWE,<br />
Minister für<br />
Wirtschaft, Bau<br />
und Tourismus<br />
in Mecklenburg-<br />
Vorpommern<br />
REPORT<br />
MECKLENBURG–VORPOMMERN<br />
Fotos: T. Schwandt; Artoss; MWBT<br />
Fit mit Verbundforschung<br />
W&M: Herr Minister, Innovationen sind<br />
ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.<br />
Wie ist es um das Potenzial von Forschung<br />
und Entwicklung in MV bestellt?<br />
GLAWE: Innovationen und innovative<br />
Produkte gibt es viele bei uns im Land.<br />
Neuartige Blutgefäßstützen kommen<br />
aus Rostock, in Stralsund werden Rotorblätter<br />
neuen Typs für Windturbinen<br />
entwickelt und in Neubrandenburg<br />
wird an einer umweltfreundlichen<br />
Hochtemperatur-Brennstoffzelle geforscht.<br />
Potenzial ist da, es gibt aber<br />
noch viel zu tun. Wir haben daher die<br />
Verbundforschung – Kooperationen von<br />
Hochschulen und Unternehmen – eingeführt.<br />
Forschung und Entwicklung<br />
sind ein Kraftakt für die meist kleinen<br />
Firmen in Mecklenburg-Vorpommern.<br />
W&M: Das Wirtschaftsministerium forciert<br />
besonders die Verbundforschung. Warum?<br />
GLAWE: Viele Firmen werden erst über<br />
diese Förderung in die Lage versetzt,<br />
sich mit Forschung und Entwicklung zu<br />
befassen und die Potenziale der Wissenschaft<br />
unseres Landes zu nutzen. Die<br />
Hochschulen orientieren sich in der Forschung<br />
mehr und mehr an Erfordernissen,<br />
die von den Unternehmen vorgegeben<br />
sind. Vor fünf Jahren sind wir mit<br />
der Verbundforschung gestartet. Inzwischen<br />
setzt jede Hochschule im Land<br />
Projekte in der Verbundforschung um.<br />
258 solcher Projekte sind bisher mit<br />
einem Volumen von 72,1 Millionen Euro<br />
gefördert worden. Das ist ein großer Erfolg.<br />
Verbundforschung ist ein Schwerpunkt<br />
unserer Technologiepolitik.<br />
W&M: Auf welchen Wirtschaftsfeldern hat<br />
MV die größten Chancen, zum Innovationstreiber<br />
zu avancieren?<br />
GLAWE: Zukunftschancen sehen wir vor<br />
allem in den wachstumsstarken Bereichen<br />
Energie, Ernährung, Gesundheit,<br />
Informations- und Kommunikationstechnologien,<br />
Maschinenbau und<br />
Elektrotechnik sowie Mobilität. Zukunft<br />
im Land entsteht, wenn wir es schaffen,<br />
an den globalen Wachstumsmärkten zu<br />
partizipieren und diesen Prozess im Einklang<br />
von Wirtschaft, Wissenschaft und<br />
Politik zu gestalten.<br />
Strukturwandel im Schiffbau<br />
Maritime Moderne<br />
Werften und Zulieferbetriebe an der Ostseeküste nutzen das junge<br />
Geschäftsfeld der Erneuerbaren Energien als Chance zum Wandel.<br />
Besonders im Fokus stehen Spezialschiffe und Offshore-Projekte.<br />
Im Vergleich mit dem märchenhaften<br />
Schweriner Schloss ist die Offshore-<br />
Konverterplattform »BorWin beta«<br />
ein schmuckloser Stahlkoloss. In der<br />
Höhe aber wird die Umrichterstation in<br />
Zukunft das Wahrzeichen der Landeshauptstadt<br />
übertreffen. Im Baudock von<br />
Nordic Yards in Warnemünde beeindruckt<br />
die Größe. An den Seiten bleibt<br />
kaum Luft zwischen Plattform und Dockwänden.<br />
Die Warnemünder Schiffbauer<br />
sind in der Stahlverarbeitung seit Jahrzehnten<br />
Meister ihres Fachs. Doch derzeit<br />
fügen sie tonnenschwere Stahlelemente<br />
nicht mehr zu Schiffen. »BorWin<br />
beta«, ab Ende 2012 in der Nordsee im<br />
Test, ist ein weithin sichtbarer Beleg für<br />
eine neue Ära in der maritimen Industrie<br />
in Mecklenburg-Vorpommern.<br />
Die Krise von 2008/09 erwischte die<br />
Werften im Land mit voller Wucht. Aufträge<br />
brachen weg, über 1.500 Jobs gingen<br />
verloren, Banken zogen sich aus der<br />
Schiffsfinanzierung zurück. Ohne das<br />
Engagement der staatlichen KfW IPEX-<br />
Bank gäbe es heute nicht einmal mehr<br />
die Chance zum Wandel. Diese aber haben<br />
die Werften in Stralsund und Wolgast<br />
(P+S) und Wismar und Warnemünde<br />
(Nordic Yards) entschlossen angepackt.<br />
Weg vom wenig gewinnträchtigen und<br />
krisenanfälligen Containerschiffbau hin<br />
zu werthaltigen Spezialprojekten.<br />
Die Energiewende im vorigen Jahr hat<br />
den Werften ein neues Geschäftsfeld<br />
eröffnet. Für Offhore-Windparks wird<br />
maritim-technologisches Know-how benötigt.<br />
Von der Konstruktion über Trans-<br />
port und Montage bis hin zu Fragen von<br />
Sicherheit und Service auf dem Meer.<br />
Nordic Yards hat von Siemens bereits den<br />
dritten Auftrag zum Bau einer Offshore-<br />
Konverterplattform erhalten. Werfteigner<br />
Vitaly Yusufov sagte hierzu: »Damit<br />
stärken wir unsere Position im Markt für<br />
innovative Offshore-Lösungen signifikant<br />
und zeigen klar unsere Entwicklung<br />
hin zu einer Spezialwerft.«<br />
Auch am Strelasund wird konsequent<br />
der Spezialisierungskurs gefahren. Im<br />
Mai werden auf der Volkswerft Stralsund<br />
zwei Fährschiffe für die Scandlines-<br />
Reederei getauft. Für eine asiatische Reederei<br />
soll noch 2012 ein Offshore-Spezialschiff<br />
fertiggebaut werden. Werften-Chef<br />
Dieter Brammertz sieht auf diesem<br />
Markt »erhebliches Potenzial«. Nach seiner<br />
Aussage bearbeitet der Schiffbaubetrieb<br />
derzeit mögliche Projekte im Wertvolumen<br />
von drei Milliarden Euro.<br />
Viele der über 250 maritimen Zulieferer<br />
im Land haben ebenso auf die Krise<br />
reagiert und ihre Leistungsangebote unter<br />
anderem auf den Offshore-Markt zugeschnitten.<br />
Für kleine und mittlere Betriebe,<br />
die bisher bei Onshore-Energieprojekten<br />
im Geschäft waren, ergeben<br />
sich neue Absatzchancen. Die Kavelstorfer<br />
Firma H+F Industrie Data zum Beispiel<br />
lieferte bisher Automatisierungs-<br />
Technik für Solar- und Windkraftanlagen.<br />
Nach Aussage von Olaf Schulz,<br />
Vertriebsleiter bei H+F, sondiert das Unternehmen<br />
derzeit Möglichkeiten, künftig<br />
auch bei Offshore-Projekten unter anderem<br />
mit Nordic Yards zu kooperieren.<br />
18 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
Artoss GmbH<br />
Nanotechnologie in der Medizin<br />
Rostocker Unternehmen liefert Biomaterial für Knochenaufbau<br />
TOP-PRODUKT: Mit NanoBone lässt sich<br />
Knochensubstanz schnell wieder aufbauen.<br />
lapatit (HA), das dem körpereigenen im<br />
Knochen sehr ähnelt, ist dabei in eine<br />
hochporöse Kieselgelmatrix eingebettet.<br />
Innerhalb der ersten zwei Wochen wird<br />
aus der Kieselgelmatrix während des Matrixwechsels<br />
eine organische Matrix. Ein<br />
großer Vorzug dieses Nanotech-Verfahrens<br />
gegenüber bisher am Markt etablierter<br />
Knochenersatz-Produkten ist es, dass<br />
das synthetische HA-Granulat im Verlauf<br />
der Knochenneubildung im Körper komplett<br />
wieder abgebaut wird, ohne Rückstände<br />
zu hinterlassen.<br />
Bisher wurde NanoBone erfolgreich<br />
vor allem zur Remodellierung von Knochen<br />
in der Dentalmedizin eingesetzt.<br />
Mehr als 100.000 Behandlungen weltweit<br />
belegen die klinische Praxistauglichkeit.<br />
In einem weiteren Entwicklungsschritt<br />
sind die 16 Mitarbeiter der Artoss GmbH<br />
Das Rostocker Unternehmen Artoss<br />
GmbH leistet Aufbauarbeit im<br />
wahrsten Sinne des Wortes. Mit<br />
dem neuartigen synthetischen Knochenaufbaumaterial<br />
NanoBone. Die beiden<br />
Rostocker Physiker Prof. Thomas Kerber<br />
und Dr. Walter Gerike hatten sich im<br />
Jahr 2003 entschlossen, das an der Universität<br />
Rostock initiierte und begonnene<br />
NanoBone-Projekt auszugründen und<br />
gemeinsam zu einem marktreifen Produkt<br />
zu entwickeln.<br />
Kernidee der biomedizinischen Innovation<br />
ist es, die künstliche Regeneration<br />
von Knochen an den natürlichen Prozessen<br />
im menschlichen Körper anzulehnen.<br />
Die neue Knochenersatz-Technologie<br />
NanoBone basiert auf verschwindend<br />
kleinen Nanostrukturen, was die Knochenneubildung<br />
fördert und forciert.<br />
Das eingesetzte nanokristalline Hydroxyim<br />
Technologiezentrum Warnemünde<br />
seit Herbst vergangenen Jahres dabei,<br />
neue Produktvarianten auf den Markt zu<br />
bringen. »NanoBone eignet sich auch für<br />
den Knochenaufbau in der Orthopädie«,<br />
sagt Geschäftsführer Gerike. Er sieht im<br />
Knochenersatz bei größeren Schäden<br />
beispielsweise an der Wirbelsäule oder<br />
im Hüftbereich des Menschen »weltweit<br />
einen Milliardenmarkt«. Artoss möchte<br />
daran in Zukunft kräftig partizipieren.<br />
Um als junges mittelständisches Unternehmen<br />
diese Herausforderung stemmen<br />
zu können, baut die Artoss GmbH<br />
weiterhin auf die Unterstützung der<br />
Bürgschaftsbank Mecklenburg-Vorpommern.<br />
»Die Bürgschaftsbank begleitet unsere<br />
Firma bereits seit der Gründung«,<br />
blickt Gerike auf die bisherige erfolgreiche<br />
Kooperation zurück. Als stiller Kapitalgeber<br />
ermögliche das in Schwerin ansässige<br />
Geldinstitut die notwendigen Investitionen,<br />
um die angestrebten globalen<br />
Marktanteile erobern zu können.<br />
»Je größer diese werden, um so mehr<br />
Geld muss in die Hand genommen werden«,<br />
sinniert Gerike. Und fügt lächelnd<br />
hinzu: »No risk, no fun.« Auch habe die<br />
vom Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern<br />
seit gut fünf Jahren<br />
intensiv geförderte Verbundforschung<br />
im Land zusätzliche Möglichkeiten geschaffen,<br />
die Entwicklung des Rostocker<br />
Unternehmens und weiterer innovativer<br />
Produkte voranzutreiben.<br />
Die Artoss GmbH arbeitet inzwischen<br />
europaweit mit mehr als 20 Universitäten<br />
und Forschungseinrichtungen im Inund<br />
Ausland zusammen, unter anderem<br />
in der Schweiz mit den Universitäten in<br />
Genf, Zürich und Bern. »Dies ist in der<br />
Medizin elementar«, begründet Artoss-<br />
Geschäftsführer Gerike die breite Zusammenarbeit.<br />
Nur auf Basis solcher engen<br />
internationalen Kooperationen lassen<br />
sich ganz neue Produktanwendungen<br />
entwickeln, kann auf die spezifischen Bedürfnisse<br />
der Kunden in den verschiedenen<br />
Regionen reagiert werden. Und es<br />
hilft entscheidend, das Knochenaufbaumaterial<br />
NanoBone in der medizinischen<br />
Welt bekannt zu machen. »Der weltbeste<br />
Knochenersatz nutzt aus unternehmerischer<br />
Sicht wenig, wenn niemand da<br />
draußen davon weiß«, so Gerike. &<br />
Texte zum Report Mecklenburg-Vorpommern:<br />
Thomas Schwandt
BERICHT<br />
LOHNEND: Besucher in der Rostocker Stadthalle<br />
beim 10. Lieferantentag 2011.<br />
Lieferantentag Mecklenburg-Vorpommern<br />
Partner um die Ecke<br />
Mit einer eigenen jährlichen Messe für Einkäufer und<br />
Logistiker in Rostock bietet die mittelständische Wirtschaft im<br />
Norden ihren Unternehmen ein Podium zur Präsentation.<br />
Der Lieferantentag Mecklenburg-<br />
Vorpommern hat im Kalender<br />
von Firmenchefs seit über zehn<br />
Jahren einen festen Platz. Aus gutem<br />
Grund: So eine Vielzahl regionaler Kontaktmöglichkeiten<br />
zwischen Vertrieb auf<br />
der einen und Einkauf auf der anderen<br />
Seite an einem Tag, an einem Ort gibt es<br />
sonst nirgendwo. »Das Prinzip ist einfach«,<br />
sagt Peter Friedrichs, einer der Regisseure<br />
des Lieferantentages in Rostock.<br />
»Es ist wie vor der Ehe. Einen Partner findet<br />
nur, wer nicht daheim herumsitzt«.<br />
Friedrichs gehört als Vorsitzender der<br />
Regionalgruppe MV des Bundesverbandes<br />
Materialwirtschaft (BME) zum zwölfnikation<br />
einerseits zwischen den Ausstellungsmachern<br />
und andererseits zwischen<br />
den Teilnehmern. Das präsentierte<br />
vielfältige Produktspektrum reicht<br />
von A wie Allesreiniger bis Z wie Zurrgurte.<br />
Gezeigt werden außerdem Dienstleistungen<br />
wie Laserschneiden oder Werkzeugschärfen.<br />
Die Ausstellerzahl ist seit Jahren konstant<br />
hoch. »Gerne würden sich noch<br />
mehr Unternehmen beteiligen, aber es<br />
fehlt an Platz. Für den diesjährigen Lieferantentag<br />
am 28. März war die Rostocker<br />
Stadthalle schon Ende Januar des Jahres<br />
ausgebucht«, resümiert Friedrichs. Derzeit<br />
wird mit der Messe- und Stadthallengesellschaft<br />
über einen Umzug der Veranstaltung<br />
in die größere Halle der Hansemesse<br />
in Rostock-Schmarl verhandelt.<br />
Friedrichs: »Das wäre ein großer Schritt.<br />
Aber wir müssen das genau durchrechnen.<br />
Schließlich stemmen wir die aufwendige<br />
Veranstaltung ehrenamtlich<br />
und tragen das wirtschaftliche Risiko.«<br />
Der Lieferantentag war vor elf Jahren<br />
von Mittelständlern in MV aus der Taufe<br />
gehoben worden. Friedrichs hatte in seiner<br />
Zeit als Unternehmer oft die Erfahrung<br />
gemacht, dass die Angebote von Firmen<br />
»um die Ecke« nicht genügend bekannt<br />
sind in den jeweiligen Branchen.<br />
»Viele Einkäufer kennen zwar ihre Lieferanten<br />
für Standardteile, haben aber<br />
häufig Probleme, für Bemusterung oder<br />
Nullserie den richtigen Praxispartner zu<br />
finden. Weil es sich oft um kleinere Firmen<br />
handelt, die in der Regel nicht auf<br />
größeren Messen anzutreffen sind, wissen<br />
die suchenden Einkäufer selten etwas<br />
von deren Existenz.« Die Idee für den<br />
regionalen Lieferantentag war geboren.<br />
Die Handwerkskammer Ostmecklenburg-Vorpommern<br />
und die IHK zu Rostock<br />
sind seit Jahren institutionelle Partner<br />
der Veranstaltung. 2012 waren erstmals<br />
alle drei Wirtschaftskammern des<br />
Landes mit im Boot. »Dieses breite Engagement<br />
unterstützt das Anliegen, den<br />
Lieferantentag bekannter und populärer<br />
zu machen«, so Christine Grünewald,<br />
IHK-Geschäftsführerin in Rostock.<br />
Zum Rahmenprogramm zählen auch<br />
Fachvorträge. Beispielsweise zum Thema<br />
Gestaltung von Einkaufskooperationen.<br />
Dieses Thema hält BME-Regionalchef<br />
Friedrichs für besonders relevant im Nordosten.<br />
»Die Wirtschaft bei uns ist geprägt<br />
von kleinen Firmen ohne Einkaufsabteilungen,<br />
wie sie Konzerne haben. Kooperationen<br />
auf diesem Gebiet können<br />
daher sehr kostensparend sein.«<br />
Lenart Schenk<br />
&<br />
Informieren,<br />
Vernetzen, Initiieren, Vermarkten<br />
Innovationsstandort mit Meerblick: BioCon Valley® bündelt die<br />
Kräfte von Life Science bis Gesundheitswirtschaft in Mecklenburg-<br />
Vorpommern.<br />
Wir unterstützen Sie bei Ihren Aktivitäten am Wissenschafts- und<br />
Wirtschaftsstandort im „hohen Norden“.<br />
Sprechen Sie uns an!<br />
köpfigen Team, das den Lieferantentag<br />
alljährlich und ehrenamtlich organisiert.<br />
Darin liegt auch begründet, warum<br />
der finanzielle Aufwand für die einzelnen<br />
Teilnehmer durchaus überschaubar<br />
bleibt. Ein weiterer Vorteil ist die ungezwungene<br />
und fachorientierte Kommuwww.bcv.org<br />
info@bcv.org
BERICHT<br />
Vor hochkarätigem forum in Leipzig<br />
Wende ohne Energie?<br />
Um nicht zu den Verlierern der Energiewende zu werden, planen<br />
die Unternehmerverbände und IHK der neuen Bundesänder für den<br />
10. und 11. Mai in Leipzig das erste ostdeutsche Energieforum.<br />
Als sich jüngst Bundeswirtschaftsminister<br />
Philipp Rösler (FDP) mit<br />
den Spitzen der Unternehmerverbände<br />
Ostdeutschlands und Berlins traf,<br />
stieß eine seiner Bitten auf Unverständnis.<br />
Es ging um das Gesetz zur energetischen<br />
Gebäudesanierung. Man will<br />
energetische Maßnahmen an Wohngebäuden<br />
steuerlich begünstigen. Rösler<br />
ermunterte die Unternehmer, nochmals<br />
mit den Ministerpräsidenten über die<br />
Gebäudesanierung zu sprechen. Denn<br />
die neuen Länder lehnen das Gesetz ab.<br />
Eben hier fuhr ihm der sächsischen<br />
Verbands-Vize Mathias Reuschel in die<br />
Parade. Der Leipziger Architekt sieht das<br />
Vorhaben als Wachstumsschub für die alten<br />
Länder. Im Osten sei bereits nach<br />
dem energetischen Standard saniert worden.<br />
Diese Modernisierungen wäre dann<br />
auch in die Beleihungsfähigkeit der Gebäude<br />
eingepreist worden. Der Bestand<br />
Ost bilde im Grunde einen anderen<br />
Markt als die »energetisch jungfräulichen<br />
Gebäude« im Westen, so Reuschel.<br />
OSTLÄNDER BESONDERS BELASTET<br />
Die Unternehmerverbände fragen sich<br />
zu einem, wie viel Energiewende der hiesige<br />
Mittelstand verträgt, und zum anderen,<br />
ob der der Bundesregierung die Energie<br />
zur Wende abhanden gekommen<br />
ist. Nach Beobachtung von Sachsens UV-<br />
Präsident Hartmut Bunsen lasten die Folgen<br />
des abrupten Richtungswechsels in<br />
besonderem Maße auf den Firmen zwischen<br />
Ostsee und Vogtland. Vor diesem<br />
Hintergrund bereiten die ostdeutschen<br />
Verbände jetzt ein eigenes Ostdeutsches<br />
Energieforum vor. Es findet am 10./11.<br />
Mai in Leipzig statt und wird von Bunsen<br />
als »Denkfabrik und Kontaktplattform<br />
mit hochkarätiger Besetzung« angekündigt.<br />
Philipp Rösler ist Schirmherr. Zugesagt<br />
haben auch EU-Energiekommissar<br />
Günther Oettinger, Ex-Bundesumweltminister<br />
Prof. Dr. Klaus Töpfer und Vattenfall-Chef<br />
Tuomo J. Hatakka.<br />
NETZAUSBAU WIRD SCHWERPUNKT<br />
Im Mittelpunkt der Debatten dürfte der<br />
zu forcierende Netzausbau stehen, um<br />
den maßgeblich ostdeutschen Ökostrom<br />
zu den Hauptabnehmern im Süden und<br />
Westen der Republik zu transportieren.<br />
Gerade dies stelle die neuen Länder »vor<br />
eine extreme Bewährungsprobe«, so Bunsen.<br />
Sein Brandenburger Amtskollege<br />
Eberhard Walter moniert zudem, dass<br />
der Bund in Sachen Energiewende noch<br />
nicht seine Hausaufgaben gemacht hat.<br />
Unklar sei vor allem, wer die Kosten für<br />
die 4.300 Kilometer Netzleitungen trägt,<br />
die deutschlandweit neu entstehen müssen.<br />
Nach bisheriger Lesart wären das<br />
jene Regionen, in denen die grüne Energie<br />
erzeugt wird – doch damit trügen vor<br />
allem die Ostländer die Hauptlast des<br />
Netzausbaus, während die Nutzer in<br />
Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen<br />
die großen Gewinner<br />
seien. Diese Schieflage lässt sich schon<br />
jetzt beobachten, etwa im bundesweiten<br />
Strompreise-Atlas: München kommt mit<br />
Gelb, Köln mit Grün, Nürnberg sogar mit<br />
Dunkelgrün davon – während der Osten<br />
rot sieht. Hier ist der Saft aus der Steckdose<br />
am teuersten. Da aber der Strompreis<br />
ein Standortfaktor ist, wächst das<br />
Ungleichgewicht zwischen West und Ost.<br />
Auch Thüringens Wirtschaftsminister<br />
Matthias Machnig (SPD) fordert deshalb<br />
nun statt einer regionalen eine »bundesweite<br />
Umlage für Netzentgelte«. Denn<br />
die Kosten, die für den Netzausbau, für<br />
die Steuerung der Verteilung und die<br />
Einspeisevergütung – selbst bei Windflaute<br />
– anfallen, werden ausschließlich<br />
auf die Stromkunden im jeweiligen Netz-<br />
IN LEIPZIG DABEI: EU-Kommissar Oettinger<br />
und Ex Bundesumweltminister Töpfer.<br />
gebiet umgelegt. Und da im Osten die<br />
größten Anlagen stehen, führt dies<br />
zwangsläufig zu einer regionalen Abwälzung<br />
der eigentlich gesamtdeutschen<br />
Mehrbelastungen, letztlich also zur<br />
Wettbewerbsverzerrung. In den neuen<br />
Ländern sind allein 42 Prozent der gesamten<br />
Windkraftleistung Deutschlands<br />
installiert – gut das Doppelte dessen, was<br />
sie selbst verbrauchen. Damit lägen die<br />
Energiekosten 20 Prozent über denen im<br />
Westen, so Bunsen. Er fordert darum »ein<br />
Energiekonzept, das die besonderen Verhältnisse<br />
im Osten berücksichtigt«.<br />
Hierzu suchen die Verbände in Leipzig<br />
einen »Dialog zwischen Politik, Wirtschaft<br />
und Wissenschaft« über die Auswirkungen<br />
der Energiewende. Dass der<br />
Osten dabei weiß Gott nicht am Katzentisch<br />
sitzt, resultiert für Bunsen schon<br />
aus den nüchternen Fakten: Ohne die<br />
neuen Länder mit ihren hohen Ökostromressourcen<br />
sowie angesichts der<br />
Tatsache, »dass hier die grundlastfähige<br />
Braunkohle zur Verfügung stehe, kann<br />
die Energiewende nicht gelingen«, gibt<br />
er zu bedenken.<br />
Harald Lachmann<br />
www.ostdeutsches-energieforum.de &<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 21
BERICHT<br />
Fotos: V. Kühne (3), Hermes GmbH<br />
Koopkurrenz in internationalen<br />
Luftverkehrsallianzen« – das ist das<br />
Lieblingsthema von Frank Himpel,<br />
Professor an der Hochschule Anhalt<br />
in Bernburg. Der Logistiker grinst. »Das<br />
aus Kooperation und Konkurrenz zusammengesetzte<br />
Wort beschreibt eine Zusammenarbeit<br />
von Unternehmen, die im<br />
Wettbewerb zueinander stehen.« Sagt<br />
der Professor und doziert dann über Allianzen,<br />
die Hochschule und das Institut<br />
Logistik in Bernburg. Beide Häuser stehen<br />
nicht in Koopkurrenz zueinander,<br />
sie bilden eine noch junge Allianz.<br />
Frank Himpel gründete 2011 das Institut<br />
für Logistik, unterzeichnete im Februar<br />
einen Kooperationsvertrag mit der<br />
Hochschule Anhalt. Und befasst sich nun<br />
mit 14 Studenten damit, wie Verkehrsund<br />
Warenströme funktionieren, wie<br />
man sie optimieren kann. »Abseits von<br />
politischem Kalkül entwickeln wir Ideen<br />
für die Branche.« Da <strong>geht</strong> es auch um<br />
Luftverkehrsallianzen. Ein Beispiel ist<br />
gleich vor der Haustür: Die Deutsche-<br />
Post-Tochter DHL Express und Lufthansa<br />
Cargo sind mit Aerologics auf dem<br />
Flughafen Leipzig/Halle eine einzigartige<br />
Partnerschaft eingegangen, um die<br />
Frachtlogistik zu optimieren.<br />
Das Studienbild Master Logistik und<br />
Luftverkehrsmanagement zu etablieren,<br />
ist das erklärte Institutsziel. Neben Vorlesungen<br />
stehen Projekte sowie Planspiele<br />
und Simulationskonzepte im Fokus.<br />
Zum Beispiel der Ameisen-Algorithmus:<br />
Eine Methode, die auf der Beobachtung<br />
der Ameisen bei der Futtersuche basiert<br />
und die Ordnung in den äußerlich chaotisch<br />
anmutenden Bewegungen der Insekten<br />
beschreibt. Studenten analysieren<br />
auf dieser Grundlage Verkehrsströme in<br />
St. Petersburg, andere versuchen, die<br />
Containerlogistik im chinesischen Hochseehafen<br />
Ningbo zu optimieren. Die DB<br />
Schenker betreut im An-Institut Studenten<br />
mit Abschlussarbeiten im Luftverkehrsbereich.<br />
1,2 MILLIONEN KARTONS IM REGAL<br />
Ein Zukunftsthema in Sachsen-Anhalt,<br />
so Himpel, sei nachhaltige Logistik. Klimawandel,<br />
CO 2 -Emissionen, Kraftstoffverbrauch<br />
und steigende Energiekosten<br />
würden zu Überlegungen anregen, welche<br />
Vor- und Nachteile es hat, beispielsweise<br />
Blumen aus Afrika einzufliegen,<br />
ob es Alternativen gibt. Aber auch kleine<br />
praktische Dinge interessieren: In der<br />
Hochschulmensa steht man immer eine<br />
geschlagene Stunde nach Bier an. Warum<br />
<strong>geht</strong> das nicht schneller? Himpel und<br />
seine Studiosis untersuchten, wie die »Logistik«<br />
optimal zu steuern wäre. Und?<br />
Der Professor lächelnd: »Theoretisch ist<br />
Logistik in Mitteldeutschland<br />
Tempo ist Trumpf<br />
Sachsen-Anhalt etabliert sich als Logistik-Drehscheibe in Europa.<br />
W&M besuchte zwei Güterumschlagszentren: Hermes-Versandhaus<br />
Haldensleben und Wasserstraßenkreuz Magdeburg.<br />
das Problem gelöst, aber die Umsetzung<br />
in die Praxis erweist sich als schwierig.«<br />
Durchorganisiert bis auf den Punkt ist<br />
dagegen schon alles in Haldensleben. Jedenfalls<br />
dort, wo die Hermes Fulfilment<br />
GmbH ein Großteil des Distanzhandels<br />
der Muttergesellschaft Otto Group und<br />
externer Kunden logistisch abwickelt.<br />
Susanna Wieghardt arbeitet im Besucherservice.<br />
»Mit einer Nutzfläche, die 26<br />
Fußballfeldern entspricht, zählt das Versandzentrum<br />
zu den größten in Europa.«<br />
Im Eilgang <strong>geht</strong> es durch das Hermes-<br />
Reich: »Täglich werden bis zu 40.000 Kartons<br />
mit Waren aus aller Welt geliefert.«<br />
Das meiste kommt als Seefracht, wird<br />
in Hamburg oder Rotterdam auf Laster<br />
verladen. Besonders eilige Produkte gelangen<br />
auf dem Luftweg nach Frankfurt/<br />
Main oder Leipzig/Halle und dann auf<br />
den Autobahnen in die Börde. Hermes<br />
Haldensleben, ein wichtiger Kunde für<br />
DHL Express und Lufthansa Cargo, wird<br />
täglich vom Airport Leipzig/Halle mit<br />
Waren beliefert. Bis zu zehn Prozent<br />
macht die Luftfracht bei Hermes aus.<br />
Im Haldenslebener Lager sind in riesigen<br />
Regalen 1,2 Millionen Kartons verstaut.<br />
»Aneinandergereiht würden sie<br />
eine 600 Kilometer lange Strecke ergeben.<br />
Die Lagerhaltung ist chaotisch«, sagt<br />
Frau Wieghardt. Bitte? »Nein, das heißt,<br />
die Waren werden IT-gesteuert keinem<br />
festen Lagerplatz zugewiesen, sondern<br />
dort abgelegt, wo gerade etwas frei ist.«<br />
Bis zu 300.000 Sendungen werden täglich<br />
in dem Lager bewegt.<br />
Auf der Überholspur ist Hermes hier<br />
mit dem »weltweit größten automatischen<br />
Retourenlager«, 2011 eingeweiht.<br />
Mit einer Kapazität von einer Million Artikeln,<br />
die in Spezialwannen lagern. An<br />
30 Arbeitsplätzen auf zwei Ebenen werden<br />
in Spitzenzeiten bis zu 15.000 Artikel<br />
pro Stunde in den Versandprozess eingeschleust.<br />
Der Clou: Es funktioniert mit<br />
erheblich weniger Energie als sonst üblich.<br />
Und alles im rasanten Tempo.<br />
22 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
BERICHT<br />
GÜTER ÜBERS WASSER: Der Hafen in Magdeburg schlägt jährlich über zwei Millionen Tonnen um.<br />
Rasant entwickelte sich auch der Standort.<br />
Betriebsleiter Thomas Herrlich liefert<br />
stichpunktartig die Chronologie zu<br />
Hermes Haldensleben: 1994 in Betrieb<br />
genommen, vier Mal erweitert. 2011 Abschluss<br />
des letzten Bauabschnitts – mit<br />
einem 30.000 Quadratmeter großen Reservelager<br />
im Gewerbegebiet Südhafen,<br />
drei Kilometer vom Stammgelände entfernt.<br />
360 neue Mitarbeiter wurden eingestellt.<br />
»3.000 sind es insgesamt in Haldensleben.<br />
Damit sind wir einer der<br />
größten Arbeitgeber in Sachsen-Anhalt,<br />
das Gros Frauen.«<br />
Otto Group hat bisher über 470 Millionen<br />
Euro in Haldensleben investiert. Betriebsleiter<br />
Herrlich begründet: »In Sachsen-Anhalt<br />
stimmt alles. Die günstige<br />
Lage. Die Anbindung an die Autobahn.<br />
Die Verkehrsstruktur. Die Hilfe von Kommune<br />
und Land; die Leute sind kooperativ,<br />
um alles schnell umzusetzen.«<br />
Tempo ist Trumpf. Der neue Südhafen<br />
in Haldensleben ist in nur zehn Monaten<br />
entstanden: vom Rapsfeld zum modernen<br />
Logistikzentrum mit einer Lagerfläche<br />
von 35.000 Quadratmeter.<br />
AUSBAU DER WASSERWEGE<br />
Die Logistikbranche boomt, und damit<br />
wachsen die Herausforderungen. Der<br />
sich gut entwickelnde Wirtschaftsraum<br />
Mitteldeutschland ist neben der Straße<br />
und Schiene auf die Wasserstraße angewiesen.<br />
Mit 600 Kilometern schiffbarer<br />
Binnenwasserstraße, 18 Häfen und Umschlagstellen,<br />
11.000 Kilometern Straßennetz,<br />
darunter vier Autobahnen in Nord-<br />
Süd- und Ost-West-Richtung, und einem<br />
dichten Eisenbahnnetz ist Sachsen-Anhalt<br />
gut aufgestellt. Dabei gewinnt die<br />
multimodale Verkehrsanbindung zunehmend<br />
an Bedeutung für die Region.<br />
Klaus Klang, Staatssekretär im Magdeburger<br />
Verkehrsministerium, macht sich<br />
HAUSHOCH: Regallager von Hermes<br />
für die Bundeswasserstraßen in ganz Ostdeutschland<br />
stark. Die Hinterlandhäfen<br />
werden für die großen Seehäfen wie<br />
Hamburg existenziell. Denn mittel- oder<br />
langfristig werde es ein Umdenken geben<br />
wegen steigender Umweltbelastung<br />
und Kraftstoffpreise.<br />
Der Ausbau der Wasserstraßen ist eines<br />
der heiß umstrittenen Themen zwischen<br />
Ländern und dem Bund. Bundesverkehrsminister<br />
Peter Ramsauer (CSU)<br />
will einen Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik.<br />
Künftig soll nur noch Geld<br />
in stark befahrene Wasserstraßen fließen.<br />
Für die neuen Bundesländer, aber<br />
auch den gesamten deutschen Norden<br />
hätte das dramatische Folgen. Zumal der<br />
Mittellandkanal noch gar nicht zu Ende<br />
ausgebaut ist und die derzeitigen Verkehrszahlen<br />
daher nicht auf die Zukunft<br />
hochgerechnet werden können.<br />
Das müsse die Bundesregierung bei<br />
ihren Infrastrukturplanungen berücksichtigen,<br />
lautet die Forderung zur Ertüchtigung<br />
der Elbe und des Magdeburger<br />
Hafens für die Hinterlandanbindung<br />
des Hamburger Hafens.<br />
Binnenhäfen wie Magdeburg könnten<br />
auf der Elbe wichtige Güterumschlagszentren<br />
werden. Das würde eine stärkere<br />
Industrie- und Gewerbeansiedlung nach<br />
sich ziehen und zusätzliche Arbeitsplätze<br />
schaffen. Und schließlich gehe es<br />
nicht nur um Container, sondern auch<br />
um hochwertige, sperrige und Schwerlastgüter<br />
wie Flügel von Windkraftanlagen,<br />
die nicht über die Straße transportiert<br />
werden könnten, so Klang.<br />
ROTORENFERTIGUNG NAH AM FLUSS<br />
Das sieht Ulf Möbius, Außenbezirksleiter<br />
Niegripp des Wasser- und Schifffahrtsamtes<br />
Magdeburg, genauso. Und weist<br />
auf Reserven beim Güterverkehr hin. An<br />
die 2,3 Millionen Tonnen Waren werden<br />
im Jahr im Magdeburger Hafen umgeschlagen.<br />
Über 2.700 Gütertransportschiffe<br />
mit insgesamt 13.850 Containern<br />
passierten 2011 das Stadtgebiet Magdeburg.<br />
Die Wasserstraße nutzen im Hafengebiet<br />
ansässige Unternehmen wie<br />
Deutschlands größter Windkraftanlagenbauer<br />
Enercon. Die Firma fertigt in<br />
unmittelbarer Nähe seine Rotoranlagen<br />
und Betonelemente für den Turmbau.<br />
Derweil rüstet sich Magdeburg als<br />
Tiefwasserhafen: Seit dem Jahr 2006 wird<br />
eine Niedrigwasserschleuse gebaut. Das<br />
Becken ist schon befahrbar, das Pumpwerk<br />
wird noch errichtet. Bei Bedarf<br />
kann dann die Schleuse den direkten Zugang<br />
von der Elbe in den Verbindungskanal<br />
zum Hafen und Mittellandkanal abschotten.<br />
Ist die Schleuse dicht, wird im<br />
Hafen auch bei Niedrigwasserstand der<br />
Elbe eine konstante Wassertiefe von vier<br />
Metern gewährleistet. So können Binnenschiffe<br />
den Hafen vom Mittellandkanal<br />
aus ganzjährig ansteuern.<br />
Dana Micke<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 23
BERICHT<br />
Foto: Robert Knauf<br />
CeBIT-Nachlese<br />
Suche leicht gemacht –<br />
Ideen für das Internet<br />
Auf der Computermesse glänzten einige Aussteller mit innovativen<br />
Konzepten. Wirtschaft & Markt stellt einige Highlights vor.<br />
Semantic Web, frei übersetzt »verstehendes<br />
Web«, ist eine Idee von<br />
Tim Berners-Lee, dem Erfinder des<br />
World Wide Web. Sie soll den Computer<br />
befähigen, Daten nicht nur zu lesen,<br />
sondern auch zu verstehen. Mit dem Semantic<br />
Product Server (SPS), einem Forschungsobjekt<br />
der Otto-von-Guericke-<br />
Universität Magdeburg, können Produkte<br />
anhand ihrer Merkmale gesucht und<br />
gefunden werden. »Marinierte gelbe<br />
Karotten ohne Zucker mit einem Schuss<br />
Tabasco«, lautet die Suche – und die Maschine<br />
reagiert. Für Diplom-Informatiker<br />
Robert Neumann stellt »die semantische<br />
Produktsuche alles bisher Dagewesene in<br />
den Schatten.«<br />
Die Suche ist besonders auch in Videoarchiven<br />
Herausforderung. In einem verbesserten<br />
Verfahren zeigt das HPI – Hasso-Plattner-Institut<br />
aus Potsdam, wie der<br />
Benutzer möglichst einfach auf die<br />
wachsenden Informationsmengen zugreifen<br />
kann. Dem Nutzer wird die Möglichkeit<br />
geboten, ein großes Videoarchiv<br />
zu entdecken und zu erkunden. Während<br />
klassische Suchmaschinen auf konkrete<br />
Suchanfragen Treffer liefern, bietet<br />
die explorative Suche des Semantic<br />
Media Explorers auch Unterstützung,<br />
wenn bereits die Formulierung einer präzisen<br />
Suchanfrage schwerfällt.<br />
Eine neuartige Lösung für die Suche<br />
von Videos und Filmen zeigt auch Professor<br />
Dr. Maximilian Eibl von der Technischen<br />
Universität Chemnitz mit dem<br />
Projekt AMPOPA. »Damit finden wir aus<br />
beliebigen audiovisuellen Medien zum<br />
Beispiel Objekte und Personen und können<br />
auch Texte erkennen. Aus den Tonspuren<br />
werden Sprache und Informationen<br />
zum Sprecher extrahiert«. AMPORA<br />
bedeutet Automated Moving Picture Annotator<br />
und kann aus Medien wie Video,<br />
Audio oder Standbild Daten auslesen.<br />
Ein ganz anderes Feld beackert der<br />
Schüler-Institut SITI e. V.: Autorennen.<br />
Das in Havelberg ansässige Institut weckt<br />
durch eine zweispurige Rennbahn Aufmerksamkeit,<br />
auf deren 20 Meter langen<br />
ARCHIVIERUNG LEICHT GEMACHT: Medieninformatiker der TU Chemnitz testen die<br />
automatische Identifizierung (Projekt AMPOPA) von Objekten und Personen in Videofilmen.<br />
Spur sind die beiden Wagen bis zu 60<br />
km/h schnell. »Unsere Miniflitzer schaffen<br />
die Strecke in ein bis zwei Sekunden«,<br />
sagt Maximilian Thiel. Die Formel-future-Miniautorennen,<br />
vom Schüler-Institut<br />
entwickelt, betreibt Rennwagen, die sich<br />
durch Spoiler, Radsätze und Bodenfreiheit<br />
aerodynamisch konfigurieren lassen.<br />
Die Teile werden in einer eigenen<br />
Schüler-Gießerei gefertigt.<br />
Die Hand als Objekt ist ein neuer Ansatzpunkt<br />
der IT. Prothesen sollen den<br />
Funktionsumfang ersetzen, doch erfüllen<br />
vorhandene Exemplare nur einen geringen<br />
Teil der nötigen Funktionen einer<br />
künstlichen Hand. Das will das Neurohand-Projekt<br />
der Universität Leipzig mit<br />
der Fakultät der Computerwissenschaft<br />
und Mathematik jetzt ändern. »Die filigrane<br />
künstliche Hand entspricht der<br />
Anatomie der menschlichen Hand und<br />
ermöglicht ein weitestgehend natürliches<br />
Bewegungsspektrum«, sagt Professor<br />
Dr. Martin Bogdan. Ein selbstorganisierendes,<br />
künstliches neuronales Netz<br />
verarbeitet diese Signale und setzt sie in<br />
Steuersignale für eine biologisch inspirierte<br />
künstliche Hand um.<br />
Ein anderes Gebiet hat die Cuculus<br />
GmbH im Visier: Smart Metering. Das<br />
Unternehmen aus Ilmenau hat mit der<br />
ZONOS Plattform für Smart Metering<br />
eine Multi-Spartenlösung (Strom, Wasser,<br />
Gas, Heizung) aufgebaut und kann<br />
mit Produkten verschiedener Hersteller,<br />
auch im Parallelbetrieb, umgehen. Das<br />
Unternehmen hat kürzlich den Preis für<br />
ein erfolgreiches Jungunternehmen in<br />
Thüringen bekommen.<br />
Mit »3D-Geo-Stripping« stellt die Martin-Luther-Universität<br />
Halle-Wittenberg<br />
schließlich ein interaktives Verfahren<br />
zur Darstellung von geologischen Gegebenheiten<br />
vor. Das erstmals im Fachgebiet<br />
angewandte Verfahren hat die<br />
Arbeitsgruppe der Hydro- und Umweltgeologie<br />
entwickelt und verknüpft das<br />
jeweilige Bild der Erdoberfläche mit einem<br />
3D-Modell des geologischen Untergrunds<br />
im entsprechenden Aufnahmewinkel.<br />
»Die interaktive Nutzung des<br />
Betrachters ermöglicht ein gestuftes Freilegen<br />
und Entdecken des in 3D modellierten<br />
geologischen Untergrunds einfach<br />
nur durch die Bewegung des Mauszeigers«,<br />
erklärt Professor Dr. Peter<br />
Wycisk, Leiter der Arbeitsgruppe. Auf der<br />
Internet-Plattform www.3d-geology.de<br />
zeigen die Bildbeispiele faszinierende<br />
Möglichkeiten der wissenschaftlichen Informationsvermittlung<br />
über horizontale<br />
und vertikale Schnitte, eine abgedeckte<br />
und herausgestanzte Erdoberfläche oder<br />
ein geologisches Untergrundrelief.<br />
Dr. Manfred Buchner<br />
&<br />
24 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
Wir sind da, wo was fehlt.<br />
Mit Thüringen-Dynamik.<br />
Der günstige Investitionskredit<br />
der Thüringer Aufbaubank.<br />
Nutzen Sie die Vorteile von Thüringen-Dynamik für Ihr Unternehmen.<br />
> Förderdarlehen bis 2 Millionen Euro<br />
> Günstige Zinsen<br />
> Tilgungsfreie Anlaufzeit<br />
Informieren Sie sich jetzt unter www.aufbaubank.de<br />
Thüringer Aufbaubank. Die Förderbank.
INTERVIEW<br />
Tillmann Stenger, Mitglied des Vorstandes der Investitionsbank des Landes<br />
Brandenburg (ILB) über die Exzellenzregion, abnehmende Fördermittel und neue<br />
Wege, um Unternehmen bei Innovationen und Wachstum weiter zu unterstützen<br />
»Neues Programm für kleine Firmen«<br />
Foto: ILB<br />
W&M: Herr Stenger, über die Förderung der<br />
neuen Länder wird heftig diskutiert. Klar ist,<br />
dass die Fördermittel zurückgehen. Wie wird<br />
sich das auf die Wirtschaft im Osten und speziell<br />
in Brandenburg auswirken?<br />
STENGER: In der kommenden Förderperiode<br />
2014 bis 2020 wird Brandenburg<br />
in der Tat weniger EU-Mittel bekommen.<br />
Der Grund dafür ist eigentlich positiv,<br />
denn das hat etwas mit der guten wirtschaftlichen<br />
Entwicklung unseres Landes<br />
zu tun. Und auch die Bundeszuweisungen<br />
im Rahmen des Solidarpaktes<br />
werden zurückgehen. Als Konsequenz<br />
werden Zuschüsse an Bedeutung verlieren<br />
müssen, sie werden durch zinsgünstige<br />
Darlehensprogramme ersetzt. So<br />
haben wir aus Eigenmitteln die Produktreihe<br />
Brandenburg-Kredit aufgelegt.<br />
W&M: Sind Sie bei der Vergabe von Fördermitteln<br />
kritischer geworden?<br />
STENGER: Heute überlegen wir genau, in<br />
welchen Bereichen Förderung noch notwendig<br />
und sinnvoll ist und welche<br />
Bereiche der private Kapital- und Bankensektor<br />
übernehmen kann. Wir konzentrieren<br />
uns zum Beispiel auf die<br />
Neuansiedlungen von Unternehmen und<br />
eine Basisförderung im Bereich kleiner<br />
und mittlerer Unternehmen.<br />
W&M: Wie fällt Ihre Bilanz nach gut 20 Jahren<br />
Förderung aus?<br />
STENGER: In den vergangenen 20 Jahren<br />
wurden hierzulande sehr gute Arbeitsaber<br />
auch Lebensbedingungen geschaffen.<br />
Wir haben eine exzellente Infrastruktur<br />
in der Metropolregion Berlin-<br />
Brandenburg. Jüngstes Beispiel ist der<br />
neue Flughafen BER. Wirtschaftsnah arbeitende<br />
Hochschulen, eine breit aufgestellte<br />
Forschungslandschaft, klug entwickelte<br />
Gewerbegebiete und natürlich<br />
höchst wettbewerbsfähige Unternehmen<br />
in unseren Branchenclustern gehören<br />
ebenso zu den Vorteilen unseres Landes.<br />
Viele Technologiezentren sorgen darüber<br />
hinaus für den Wissenstransfer.<br />
W&M: Welchen Anteil hat die ILB daran?<br />
STENGER: Die Investitionsbank des Landes<br />
Brandenburg hat diese positive Entwicklung<br />
mit zahlreichen Partnern in<br />
Wirtschaft, Politik und Verwaltung von<br />
Anbeginn begleitet: Seit 1990 haben wir<br />
in Brandenburg mit einer Förderung von<br />
31 Milliarden Euro Investitionen in Höhe<br />
von 66 Milliarden Euro angeschoben. Allein<br />
in der Wirtschaft wurden fast 40 Milliarden<br />
Euro investiert und 135.000 neue<br />
Arbeitsplätze geschaffen.<br />
W&M: Wird das auch außerhalb so wahrgenommen?<br />
STENGER: Ja. Brandenburg wurde 2011<br />
erneut Sieger im bundesweiten Dynamik-Ranking<br />
der Initiative neue soziale<br />
Marktwirtschaft. Auf europäischer Ebene<br />
wurden wir im vergangenen Jahr als<br />
»Europäische Unternehmerregion« ausgezeichnet<br />
und 2011 von der EU-Kommission<br />
als »Exzellenz-Region« geehrt.<br />
W&M: Unternehmen brauchen Planungssicherheit<br />
und Unterstützung bei Finanzierungen.<br />
Wie sorgen Sie trotz abnehmender Fördermittel<br />
dafür?<br />
STENGER: Angesichts knapper werdender<br />
Landesmittel streben wir an, im Bereich<br />
der gewerblichen Förderung in der<br />
neuen EU-Förderperiode 2014–2020 stärker<br />
auf Darlehen anstelle von Zuschüssen<br />
zu setzen. Außerdem beabsichtigen<br />
wir, die nationale Kofinanzierung für die<br />
EU-Mittel, die bisher vom Land aus dem<br />
Haushalt getragen wurde, durch Mittel<br />
der ILB zu ersetzen. Wir können uns vorstellen,<br />
in der neuen Programmperiode<br />
für die gewerbliche Wirtschaft revolvierende<br />
Fonds in einem Umfang von rund<br />
300 Millionen Euro aufzulegen, die dem<br />
Land dann langfristig für die Wirtschaftsförderung<br />
zur Verfügung stehen.<br />
ZUR<br />
PERSON<br />
Von Anfang an dabei<br />
Tillmann Stenger begann seine berufliche<br />
Laufbahn als Volkswirt bei der WestLB,<br />
wechselte 1988 zur Investitionsbank NRW,<br />
um dann 1991 den Aufbau der ILB in Potsdam<br />
zu organisieren. 1992 übernahm er<br />
die Leitung des Vorstandsstabes, 1994<br />
die Leitung des Kredit- und Beteiligungsgeschäftes<br />
und 1996 die Leitung der Abteilung<br />
Öffentliche Kunden. Von 2008 bis<br />
2010 war Stenger als Bereichsleiter Unternehmenssteuerung<br />
für Strategie, Personal,<br />
Kommunikation, Programmbetreuung<br />
und -finanzierung sowie Recht verantwortlich.<br />
Seit Januar 2011 ist Tillmann Stenger<br />
Mitglied des Vorstandes der Investitionsbank<br />
des Landes Brandenburg (ILB).<br />
W&M: Das Förderprogramm Gemeinschaftsaufgabe<br />
zur Verbesserung der regionalen<br />
Wirtschaftsstruktur, kurz GRW-G ist zum<br />
Jahresende 2011 ausgelaufen. Nach dem – etwas<br />
ungewöhnlichen – Motto »aus eins mach<br />
zwei« gibt es nun zwei neue Programme als<br />
Nachfolger. Was ist neu?<br />
STENGER: Kleine Unternehmen mit<br />
nicht mehr als 49 Beschäftigten und<br />
einem Investitionsvolumen bis 1,5 Millionen<br />
Euro erhalten über das vereinfachte<br />
»Wachstumsprogramm für kleine Unternehmen«<br />
auch künftig unabhängig von<br />
Branche und Zuordnung zu einem Cluster<br />
die für ihre Region zulässigen Höchstfördersätze<br />
von 40 oder 50 Prozent. Bei<br />
Investitionen ab 1,5 Millionen Euro der<br />
mittleren und großen Unternehmen<br />
werden wir stärker auf die wettbewerbsfähigsten<br />
Branchen und Cluster setzen.<br />
Das geförderte Unternehmen muss Clusterbereichen<br />
zugeordnet sein. Der zu erreichende<br />
Fördersatz hängt ausschließlich<br />
davon ab, welche Struktureffekte erfüllt<br />
werden, also Beschäftigungseffekte,<br />
Innovationspotenzial, Lohngerechtigkeit<br />
sowie Energieeffizienz.<br />
W&M: Welche Vorteile gibt es für Unternehmen?<br />
Und welche Nachteile?<br />
STENGER: Günstigere Bedingungen wurden<br />
für kleine Unternehmen bis 49 Mitarbeiter<br />
und einem Investitionsvolumen<br />
bis 1,5 Millionen Euro geschaffen. Bei<br />
mittleren und großen Unternehmen<br />
achten wir stärker als bisher auf Struktureffekte:<br />
Wenn ein zu hoher Einsatz<br />
von Leiharbeitern erfolgt, ist eine Förderung<br />
ausgeschlossen. Die Anerkennung<br />
von förderfähigen Kosten wird abgesenkt,<br />
wenn bei Erweiterungsinvestitionen<br />
nicht genügend Dauerarbeitsplätze<br />
geschaffen werden. Für sogenannte<br />
strukturbestimmende Vorhaben mit<br />
einem Investitionsvolumen von mehr<br />
als 25 Millionen Euro und mehr als 50<br />
neuen Arbeitsplätzen bestehen Ausnahmemöglichkeiten.<br />
W&M: Welche Laufzeit hat das Angebot?<br />
STENGER: Es gilt bis Ende 2013 und für<br />
alle bisher nicht entschiedenen Fälle.<br />
W&M: Wie reagiert die Wirtschaft?<br />
STENGER: Von den kleinen Unternehmen<br />
erfahren wir bei den Verbesserungen<br />
positive Reaktionen. Natürlich werden<br />
die Veränderungen nicht bei allen<br />
26 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
INTERVIEW<br />
auf positive Resonanz stoßen, manches<br />
Unternehmen hat lieber einen Zuschuss<br />
als ein Darlehen. Aber letztlich kommt<br />
es auch hier auf die Ausgestaltung an.<br />
Für viele Investitionen kann durch ein<br />
anteiliges GRW-G Nachrangdarlehen,<br />
dem Brandenburg-Kredit Mezzanine<br />
oder dem Brandenburg-Kredit für den<br />
Mittelstand eine wirksame Erhöhung der<br />
öffentlichen Mittel und auch der Eigenkapitalausstattung<br />
über unsere Produktpalette<br />
erreicht werden.<br />
W&M: Vor kurzem hat die ILB die Förderzahlen<br />
für 2011 vorgestellt. Wie viele Vorhaben<br />
wurden begleitet? Welche Rolle spielen<br />
die Sonderbedingungen der Jahre des Konjunkturpaketes<br />
II?<br />
»Zuschüsse verlieren<br />
an Bedeutung, sie werden durch<br />
ZINSGÜNSTIGE DARLEHEN<br />
ersetzt.«<br />
STENGER: Zunächst einmal: Die ILB ist<br />
als Bank gewachsen, konnte das Ergebnis<br />
erneut steigern und hat ihr sichtbares<br />
Eigenkapital aus eigener Kraft gestärkt.<br />
Die Bank hat 2011 über 1,14 Milliarden<br />
Euro für rund 4.300 Vorhaben zugesagt.<br />
Das Zusagevolumen liegt – bereinigt um<br />
die Sondereffekte der Mittelausreichung<br />
aus dem Konjunkturpaket II und der<br />
Flughafenfinanzierung – auf hohem Niveau.<br />
Im Zehn-Jahres-Vergleich 2001 bis<br />
2011 liegt dieses Volumen auf dem<br />
Durchschnittswert von 1,17 Mrd. Euro.<br />
W&M: Großen Wert legten Sie darauf, dass<br />
über die Hälfte der Zusagen für Kredite und<br />
Zuschüsse im vergangenen Jahr auf Eigenprodukte<br />
der ILB entfallen sind.<br />
STENGER: 57 Prozent beziehungsweise<br />
653 Millionen Euro des Zusagevolumens<br />
entfallen 2011 auf Eigenprodukte der ILB.<br />
Diese Entwicklung verstärkt sich Jahr<br />
für Jahr bei Stückzahl sowie Volumen.<br />
Die ILB trägt damit zur Entlastung des<br />
Haushalts bei und erhöht den Spielraum<br />
für künftige Förderungen.<br />
W&M: Wie funktioniert das denn konkret?<br />
STENGER: Als Förderinstitut bieten wir<br />
besonders zinsgünstige Darlehensprogramme<br />
an, zum Beispiel im Rahmen<br />
der Brandenburg-Kredit Familie. Die<br />
Zinssubvention hierfür bekommen wir<br />
nicht aus einem öffentlichen Haushalt,<br />
sondern erwirtschaften diese selbst. In<br />
den letzten Jahren haben wir aus eigenen<br />
Erträgen, die wir auf den Geld- und<br />
Kapitalmärkten erwirtschaftet haben,<br />
einen sogenannten ILB-Förderfonds aufgelegt,<br />
aus dem wir unsere Darlehen subventionieren.<br />
Insgesamt haben wir bisher<br />
über 37 Millionen Euro eingezahlt.<br />
Weitere 10 Millionen Euro werden wir<br />
voraussichtlich in diesem Jahr zuführen.<br />
W&M: Mangelnde Eigenkapitalausstattung<br />
ist die Achillesferse bei den meisten Unternehmen<br />
Ost. Kann die ILB hier trotz knapper<br />
werdender Mittel unterstützen?<br />
STENGER: Öffentliche Fonds zur Eigenkapitalausstattung<br />
sind notwendig, da<br />
private Kapitalgeber im Venture Capital-<br />
Bereich in Ostdeutschland und im Frühphasenbereich<br />
sowie in der vorwiegend<br />
kleinteiligen Struktur zurückhaltend<br />
agieren. Die Nachfrage bestätigt unser<br />
Engagement: Die ILB-Eigenkapitalfonds,<br />
der BFB Wachstumsfonds Brandenburg<br />
und der BFB Frühphasenfonds Brandenburg,<br />
zeigen eine sehr gute Resonanz.<br />
Wir verzeichnen Anfragen im dreistelligen<br />
Bereich. Aktuell arbeiten wir an der<br />
Konzeption neuer Beteiligungsfonds, für<br />
die wir EU-Mittel einwerben wollen, die<br />
in den kommenden Jahren ausgereicht<br />
werden. Insgesamt wollen wir ein Volumen<br />
von 50 bis 100 Millionen Euro erreichen.<br />
Auch die Etablierung von Fonds<br />
ohne EU-Mittel als Refinanzierungsquelle<br />
ist Bestandteil unseres Planungsprozesses.<br />
W&M: Kann sich die brandenburgische Wirtschaft<br />
bei ihrer Bewältigung auf die ILB als<br />
starke und zuverlässige Partnerin verlassen?<br />
STENGER: Die ILB begleitet den Aufbau<br />
des Landes seit 20 Jahren mit der Förderung<br />
und Finanzierung. Gemeinsam mit<br />
unseren Partnern haben wir so eine<br />
Wirtschaftsstruktur entwickelt, die ein<br />
gutes Fundament für die Zukunft darstellt.<br />
Die Investitionsbank wird das Land<br />
auch künftig bei der Entwicklung der regionalen<br />
Wirtschaft unterstützen. Dazu<br />
gehört insbesondere die Förderung der<br />
Branchencluster und des Innovationspotenzials,<br />
aber auch die Mitwirkung beim<br />
Wechsel von Zuschüssen hin zu innovativeren<br />
Finanzierungen Dabei setzen wir<br />
vor allem auf zinsgünstige Darlehensprogramme<br />
und Eigenkapital stärkende<br />
Instrumente für kleine und mittlere Unternehmen.<br />
Fragen: Ulrich Conrad<br />
&<br />
PROGRAMME<br />
Angebote der ILB<br />
ZUSCHÜSSE<br />
GRW – Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung<br />
der gewerblichen Wirtschaft<br />
Wichtigstes Förderprogramm für die<br />
regionale Wirtschaft. Kleine Unternehmen<br />
mit nicht mehr als 49 Beschäftigten und<br />
einem Investitionsvolumen bis 1,5 Mio. Euro<br />
erhalten auch künftig unabhängig von Branche<br />
und der Zuordnung zu einem Cluster, die<br />
für ihre Region geltende Höchstförderung<br />
von 40 oder 50 Prozent.<br />
RENplus<br />
Richtlinie zur Förderung des Einsatzes<br />
Erneuerbarer Energien, von Maßnahmen<br />
zur Erhöhung der Energieeffizienz und der<br />
Versorgungssicherheit.<br />
Forschung und Entwicklung – Richtlinie für<br />
kleine und mittlere Unternehmen (KMU)<br />
Verbesserung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit<br />
durch Entwicklung neuer<br />
Verfahren und Produkte.<br />
Impulsprogramm zur Förderung von Netzwerken<br />
in den Regionen Brandenburgs<br />
Für Netzwerke, die sich überwiegend aus<br />
Unternehmen der Branchenkompetenzfelder<br />
zusammensetzen.<br />
DARLEHEN<br />
Brandenburg-Kredit für den Mittelstand<br />
Langfristige Finanzierung von<br />
Investitionen und Betriebsmitteln.<br />
Brandenburg-Kredit Ländlicher Raum<br />
Brandenburg-Kredit Mikro<br />
Langfristige Finanzierung von Investitionen<br />
und Betriebsmitteln (nur bei Ablehnung<br />
durch die Hausbank) für kleine Unternehmen<br />
und freiberuflich Tätige bis drei Jahre nach<br />
Geschäftsaufnahme.<br />
ILB Wachstumsprogramm<br />
Koopdarlehen für Mittelstand<br />
Langfristige anteilige Finanzierung von<br />
Investitionen in Form eines Innenkonsortiums<br />
gemeinsam mit der Hausbank.<br />
EIGENKAPITAL<br />
BFB Wachstumsfonds Brandenbg. (BFB II)<br />
Für technologieorientierte KMU in Brandenburg<br />
in der Früh- und Wachstumsphase.<br />
BFB Frühphasenfonds Brandenburg<br />
Beteiligungen bis zu einer Million Euro in<br />
jungen, innovativen Unternehmen in der<br />
Seed- und Start-up-Phase.<br />
BK Mezzanine<br />
KMU-Nachrangdarlehen bis zu zwei Millionen<br />
Euro.<br />
Hasso-Plattner-Ventures II<br />
Junge Unternehmen der IT- und<br />
Clean-Tech-Branche.<br />
Information und Beratung<br />
ILB-Kundencenter, Tel.: (03 31) 660 22 11<br />
E-Mail: kundencenter@ilb.de<br />
Internet: www.ilb.de<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 27
SPECIAL<br />
Fotos: PictureDisk, Simon, privat (2)<br />
Für viele Unternehmen sind Ausfallbürgschaften,<br />
Garantien oder stille<br />
Beteiligungen oft die einzige Möglichkeit,<br />
ihre wirtschaftlichen Vorhaben<br />
zu realisieren. Dort, wo die Hausbank<br />
ihre Grenzen sieht, setzen Bürgschaftsbanken<br />
und Beteiligungsgesellschaften<br />
an. Ausreichende Rentabilität, Bonität,<br />
ein tragfähiges Konzept und gute Zukunftsaussichten<br />
auf dem Markt sind jedoch<br />
auch hier gefragt. Denn gefördert<br />
werden nur funktionierende Unternehmen.<br />
Insbesondere die jüngste Finanz- und<br />
Wirtschaftskrise verdeutlichte die Rolle<br />
der insgesamt 17 in Deutschland existierenden<br />
Bürgschaftsbanken und Beteiligungsgarantiegesellschaften<br />
der Länder<br />
sowie der 14 Mittelständischen Beteiligungsgesellschaften.<br />
Ihr Part auf dem<br />
Markt der Finanzierungsmöglichkeiten<br />
spiegelte sich in einer außergewöhnlich<br />
hohen Bürgschaftsnachfrage wider. Mit<br />
dem Konjunkturaufschwung im vergangenen<br />
Jahr normalisierte sich diese<br />
Nachfrage, die mittelständischen Unternehmen<br />
zeigten sich stabiler im operativen<br />
Geschäft und in ihrer Entwicklung.<br />
Bürgschaftsbanken<br />
Hilfe bei zu dünner<br />
Kapitaldecke<br />
Unternehmerisches Handeln erfordert Kapital. Die Finanzierung<br />
von Existenzgründungen oder Wachstum wird von den Hausbanken<br />
allein nicht gedeckt. Da kommen die Bürgschaftsbanken ins Spiel.<br />
NACHFRAGE UNGEBROCHEN<br />
Die Bürgschaftsnachfrage verharrt jedoch<br />
auch nach der Krise auf hohem Niveau.<br />
Nach vorläufigen Zahlen des Verbands<br />
Deutscher Bürgschaftsbanken e.V.<br />
(BDU) erhielten kleine und mittelgroße<br />
Unternehmen im Jahr 2011 Bürgschaften<br />
und Garantien von insgesamt rund 1,2<br />
Milliarden Euro. Das ermöglichte ein<br />
Kredit- und Beteiligungsvolumen von<br />
knapp 1,7 Milliarden Euro. 7.300 Unternehmen<br />
konnten so ihre Marktposition<br />
sichern oder ausbauen und nicht zuletzt<br />
in Arbeitsplätze investieren.<br />
Dr. Stefan Papirow, Vorsitzender des<br />
BDU, erklärt dazu: »Auf diese Weise war<br />
die Finanzierung insbesondere kleiner<br />
Unternehmen gesichert, häufig allerdings<br />
nur zu höheren Preisen und mit<br />
mehr Absicherung.« Die ist durch Bürgschaftsbanken<br />
vielfältig. Wachstumsund<br />
Investitionsfinanzierungen werden<br />
ebenso nachgefragt wie Leasingfinanzierungen<br />
und Betriebsmittel, die klassische<br />
Kontokorrentfinanzierung.<br />
Fast jede zweite Bürgschaft oder Garantie<br />
nehmen Existenzgründer und Unternehmensnachfolger<br />
in Anspruch. Allein<br />
im vergangenen Jahr konnten über<br />
3.000 Unternehmen mit einem verbürgten<br />
Kredit- und Beteiligungsvolumen von<br />
rund 500 Millionen unterstützt werden.<br />
574 Beteiligungsfinanzierungen für<br />
kleine und mittlere Unternehmen zum<br />
Beispiel ermöglichten, die Liquidität zu<br />
erhöhen und die wirtschaftliche Eigenkapitalquote<br />
zu steigern. Dadurch konnten<br />
diese mit Hilfe der Mittelständischen<br />
Beteiligungsgesellschaften ihre Bilanzrelation<br />
verbessern.<br />
Auf das Spannungsfeld von Chancen<br />
und Risiko verweist Dr. Thomas Drews,<br />
Geschäftsführer der Bürgschaftsbank<br />
Mecklenburg-Vorpommern: »Die Chancen<br />
relativieren sich zumeist, wenn Existenzgründer<br />
an den Start gehen mit wenig<br />
oder gar keinem Eigenkapital.« Derartige<br />
Fehler am Anfang potenzieren<br />
sich in aller Regel in der Wachstumsphase<br />
der Firma. Jungunternehmer sollten<br />
sich trotz und gerade wegen der Möglichkeiten<br />
an Unterstützung gründlich darüber<br />
Gedanken machen, wie sie ihre Firma<br />
finanzieren, wie sie die Finanzierung<br />
gestalten können. Ziel der Bürgschaftsbank<br />
sei es, so Drews, in den ersten drei<br />
Jahren das Risiko des Scheitern möglichst<br />
zu minimieren. Bewährt habe sich<br />
hierbei auch die Begleitung von in Unternehmensfragen<br />
erfahrenen Mentoren.<br />
Sicherheiten sind auch zukünftig gefragt,<br />
denn die mittelständischen Unternehmer<br />
in Deutschland blicken optimistisch<br />
in die Zukunft. Das KfW-ifo-Mittelstandsbarometer<br />
belegt einen Anstieg<br />
der Geschäftserwartungen in kleinen<br />
und mittleren Firmen im Februar 2012.<br />
Mit der verstärkten Finanzmarktregulierung<br />
und Basel III erwarten Experten<br />
neue Herausforderungen für die Kreditinstitute,<br />
die auch die Kreditversorgung<br />
des Mittelstands zu beeinträchtigen drohen.<br />
Zwar werde die Kreditfinanzierung<br />
auch künftig eine wichtige Rolle spielen,<br />
prognostizieren Fachleute, doch steige<br />
die Bedeutung von alternativen Finanzierungsmöglichkeiten.<br />
Es zeichnet sich also ab, dass der Förderauftrag<br />
der Bürgschaftsbanken, in jeweiligen<br />
Projekten besondere Risiken zu<br />
übernehmen, in Zukunft noch aktueller<br />
wird.<br />
&<br />
28 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
FIRMENBEISPIEL 1<br />
Qualität täglich gebacken<br />
Die Bäckerei-Kette Exner im brandenburgischen Beelitz ist seit Jahren<br />
auf Expansionskurs. Im harten Wettbwerb besteht das Unternehmen durch<br />
hohe Qualität, top-qualifizierte Mitarbeiter und langjährige Kreditpartner.<br />
SECHS RICHTIGE<br />
FÜR DIE<br />
UNTERNEHMENS-<br />
FINANZIERUNG<br />
Er war schon auf dem Weg in die Schweiz<br />
und nach Frankreich: Als Tobias Exner<br />
seinen Gesellenbrief in der Hand hielt,<br />
lockte ihn die weite Welt. Doch es kam<br />
<strong>anders</strong>. Sein Vater erkrankte an einer<br />
Mehlstaub-Allergie und der Sohn wurde<br />
in der Bäckerei im brandenburgischen<br />
Beelitz gebraucht. Seither lebt der<br />
Bäckermeister auf der Überholspur.<br />
HILFE BEIM EIGENKAPITAL<br />
Exner ist Unternehmer und Wirbelwind,<br />
strategischer Planer und Macher. Nur so<br />
konnte er den Familienbetrieb, den sein<br />
Vater 1976 als Pächter übernahm, erfolgreich<br />
durch stürmische Wendezeiten<br />
und rasantes Wachstum steuern. Dabei<br />
Bürgschaftsbank Brandenburg. Die war<br />
vom Konzept überzeugt und stellte den<br />
Kontakt zur Berliner Volksbank her, mit<br />
der er immer noch zusammen arbeitet.<br />
Das neue Firmengebäude wurde gebaut.<br />
»Ohne die Bürgschaftsbank gäbe es<br />
heute die Erfolgsgeschichte der Bäckerei<br />
Exner nicht« ist der Unternehmer überzeugt.<br />
Die sprang auch ein, als Exner mit<br />
33 Jahren ohne Eigenkapital die Bäckerei<br />
von seinem Vater übernahm. Dr. Milos<br />
Stefanovic, Sprecher der Geschäftsführung<br />
der Bürgschaftsbank Brandenburg<br />
erklärt: »Wir verstehen uns als Teil<br />
des Mittelstands und setzen auf eine<br />
enge Zusammenarbeit mit der Hausbank<br />
und dem Unternehmer«.<br />
Klassik<br />
bis 1,25 Mio. Euro<br />
gewerbliche Kredite<br />
aller Art<br />
Landesbürgschaftsprogramm<br />
für den<br />
Mittelstand<br />
bis 2 Mio. Euro<br />
gewerbliche Kredite<br />
ANSPRUCH: Tobias Exner setzt auf hohe<br />
Produkt- und Servicequalität im Geschäft.<br />
strebten Exner und sein Vater, mit dem<br />
er die Bäckerei bis 2008 gemeinsam führte,<br />
gar kein Wachstum an. Doch 1995<br />
platzte die Backstube aus allen Nähten<br />
und eine neue Produktionsstätte musste<br />
her. Die Hausbank sendete positive Signale,<br />
zögerte schließlich, forderte höhere<br />
Umsatzzahlen und damit den Ausbau<br />
des Filialnetzes. Als die Zeit drängte, kam<br />
plötzlich eine Absage.<br />
»Für mich war das wie ein Schlag«, erinnert<br />
sich Exner. Er wandte sich an die<br />
EXZELLENTE AUSBILDUNG<br />
Über zehn Millionen Euro investierte das<br />
Unternehmen in den letzten fünfzehn<br />
Jahren. Heute hat die Bäckerei Exner<br />
rund 300 Mitarbeiter und vierzig Filialen.<br />
Im März wurde in Wannsee Nummer<br />
41 eingeweiht. »Eine Investition bedingt<br />
die nächste« so Tobias Exner. Denn die<br />
Bäckerei werfe nicht ausreichend Gewinn<br />
ab. Dort, wo die Fläche es erlaubt,<br />
entsteht ein Café. Das bringt Umsatz.<br />
Doch überproportional steigende Kosten<br />
für Personal, Rohstoffe und Energie belasten<br />
den Gewinn. »Also müssen wir produktiver<br />
werden« so der 36-Jährige.<br />
Er sieht den zukünftigen wirtschaftlichen<br />
Erfolg in der Verbesserung von Logistik,<br />
Verwaltung und Produktion. Zudem<br />
legt der Unternehmer Wert auf Qualitätsführerschaft<br />
und exzellente Ausund<br />
Fortbildung seiner Mitarbeiter. Nach<br />
neun Monaten Umbau entstand für rund<br />
eine Million Euro im Oktober 2011 ein<br />
weiteres Gebäude für Produktion und<br />
Verwaltung. Ausgestattet mit einer kompletten<br />
Ladeneinrichtung werden die<br />
Mitarbeiter in Warenpräsentation, Bedienung<br />
der Steinbacköfen und Kaffeezubereitung<br />
geschult. Für den Betriebswirt<br />
des Bäckerhandwerks eine wichtige Voraussetzung,<br />
um seinen Anspruch an Produkt-<br />
und Servicequalität zu erfüllen.<br />
Viel Zeit für die Schweiz und Frankreich<br />
hat Tobias Exner immer noch<br />
nicht. Aber vielleicht holt er sich die<br />
Welt mit einem Aupair ins Haus. Denn<br />
Expansion ist auch in der vierköpfigen<br />
Familie angesagt. Die soll noch um zwei<br />
Kinder wachsen.<br />
Bürgschaft ohne<br />
Bank (BoB)<br />
bis 400.000 Euro, Antragstellung<br />
direkt bei<br />
Bürgschaftsbank,<br />
Bürgschaftsurkunde<br />
bleibt zwei Monate<br />
gültig.<br />
Handwerkersofortkredit<br />
bis 100.000 Euro, stark<br />
vereinfachtes Verfahren,<br />
Unterstützung durch<br />
Betriebsberater der<br />
Kammern, Kreditentscheidung<br />
innerhalb<br />
von 5-10 Werktagen<br />
Unternehmersofortkredit<br />
bis 100.000 Euro, stark<br />
vereinfachtes Verfahren,<br />
Unterstützung durch<br />
Betriebsberater der<br />
Kammern, Kreditentscheidung<br />
innerhalb<br />
von 5-10 Werktagen<br />
KapitalPLUS<br />
Bürgschaft und Beteiligung<br />
aus einer Hand,<br />
stufenweise, auch in<br />
kleinen Tranchen,<br />
schnelle Bearbeitung<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 29
FIRMENBEISPIEL 2<br />
Kalkuliertes Risiko im Fassadenbau<br />
Die S+T Fassaden GmbH aus Tessin bei Rostock hat mit dem gigantischen<br />
Metalldach der Ferrari World in Abu Dhabi ihr Meisterstück geliefert.<br />
Mut zum Risiko ist eines der Erfolgsgeheimnisse der Fassaden-Spezialisten.<br />
Ihren Ursprung hat die S+T Fassaden<br />
GmbH in Kiel (Schleswig-Holstein), wo sie<br />
1991 gegründet worden ist. Seit 2004 leitet<br />
Bernd Schröter den Betrieb, in den er<br />
1993 eintrat und der seit mehreren Jahren<br />
seinen Hauptsitz in dem Städtchen<br />
Tessin in Mecklenburg-Vorpommern hat.<br />
Im Grunde ist das Unternehmen regional<br />
verankert. Die meisten Aufträge<br />
werden in Deutschland abgewickelt. Objekte<br />
wie eine Gesamtschule in Porta<br />
Westfalica, ein Straßenbahn- und Betriebshof<br />
in Potsdam oder die Justizvollzugsanstalt<br />
Sehnde tragen die Handschrift<br />
der Tessiner Spezialisten.<br />
Doch 2009 erregte die Firma mit einem<br />
spektakulären Projekt weit über die bundesdeutschen<br />
Grenzen hinaus große Aufmerksamkeit.<br />
»Die Ferrari World Abu<br />
Dhabi ist für uns ein bedeutendes Referenzprojekt«<br />
erklärt Schröter. »Wir hatten<br />
Glück und verfügten aufgrund der<br />
Komplexität der Freiformfläche über ein<br />
wirkungsvolles Alleinstellungsmerkmal.<br />
So konnten wir für das gigantische Dachprojekt<br />
einen guten Preis erzielen«.<br />
CHANCE BEHERZT GENUTZT<br />
Dennoch war der Schritt in das Elf-Millionen-Projekt<br />
ein Risiko für das Unternehmen<br />
mit 45 Mitarbeitern, das im vergangenen<br />
Jahr 13,6 Millionen Euro Umsatz<br />
erwirtschaftete. Risiko ist für Schröter<br />
die eine Seite einer Medaille, Chance die<br />
andere. Die muss ein erfolgreicher Unternehmer<br />
erkennen und ergreifen. Entscheidend<br />
für den 43-Jährigen ist jedoch,<br />
dass die wirtschaftlichen Risiken verifizierbar<br />
und durch Eigenkapital gedeckt<br />
sind. »Alles andere ist Harakiri« ist er sich<br />
sicher. Zusätzlich legt Schröter Wert auf<br />
eine gesunde Streuung der Aufträge. Nur<br />
auf ein oder zwei spektakuläre Großprojekte<br />
zu setzen, sei viel zu riskant.<br />
KNOW-HOW SICHERT POSITION<br />
Kernkompetenz des mittelständischen<br />
Betriebes sind hochwertige Aluminium-<br />
Fassaden, -Dächer und -Fenster. S+T Fassaden<br />
ist eines der wenigen spezialisierten<br />
Unternehmen für die gesamte Außenhaut<br />
von Gebäuden. Das erfordert qualifizierte<br />
Fachkräfte und Innovationen.<br />
Beispielsweise das patentierte Thermokopplungselement<br />
für Dach- und Fassadensysteme.<br />
Eine stille Beteiligung der<br />
Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft<br />
Mecklenburg-Vorpommern mbH<br />
(MBMV) in Höhe von 300.000 Euro sicherte<br />
2006 das Kapital für die Entwicklung<br />
und Markteinführung. »Unternehmerische<br />
Wege erfordern häufig einen besonderen<br />
Finanzbedarf, der nicht immer allein<br />
von der Hausbank gedeckt werden<br />
kann« erklärt MBMV-Geschäftsführer Dr.<br />
Thomas Drews. Voraussetzung sei, dass<br />
Vorhaben wirtschaftlich sinnvoll sind.<br />
Ökonomisch sinnvoll war für die S+T Fassaden<br />
kürzlich auch eine Ausfallbürgschaft<br />
der Bürgschaftsbank MV.<br />
RISIKOBEWUSST: Bernd Schröter, Chef der S+T Fassaden GmbH.<br />
30 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
SIE HABEN<br />
DIE IDEE<br />
...wir sichern<br />
mit Bürgschaften für Kredite Ihre<br />
wirtschaftliche Entwicklung.<br />
Speziell Existenzgründern sichern<br />
wir den Start mit dem Programm<br />
„Bürgschaft ohne Bank“ (kurz<br />
BoB).<br />
AUSDAUERND: Yadegar Asisi managt erfolgreich Langzeitprojekte.<br />
FIRMENBEISPIEL 3<br />
Im Panorama der Wirtschaftlichkeit<br />
Künstler Yadegar Asisi ist erfolgreich mit Panoramen, die Traumwelten<br />
erstehen lassen. Jahrelange Vorbereitung und finanzielle Absicherung<br />
der Kunstprojekte erfordern unternehmerisches Denken und Handeln.<br />
...wir stärken<br />
die Eigenkapitalbasis Ihres<br />
Unternehmens mit Hilfe von Garantien<br />
für Beteiligungen der<br />
Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft<br />
(MBG).<br />
...wir motivieren<br />
Mitarbeiter mit Garantien für<br />
Arbeitnehmerbeteiligungen bei<br />
ihrem Engagement im eigenen<br />
Unternehmen.<br />
Musik erklingt, die Nacht legt sich über<br />
das antike Pergamon und ein Fest beginnt.<br />
Der Besucher wird ein Teil der Szenerie<br />
und spürt, wie ihn die Atmosphäre<br />
gefangen nimmt. Ein Traum? Nein, seit<br />
September 2011 im Ehrenhof des Berliner<br />
Pergamon Museums zu erleben.<br />
Mit seinen Panoramen ermöglicht Yadegar<br />
Asisi eine neue emotionale Form<br />
des Erlebens, Staunens und der Sehkultur.<br />
Der in Wien geborene Sohn persischer<br />
Emigranten ist seit jeher fasziniert<br />
von »Zauberbildern«. Diese brachte er<br />
mit Buntstiften auf Papier. Panoramen,<br />
die ihre Blütezeit im 19. Jahrhundert erlebten,<br />
sind für den Künstler und Architekt,<br />
das optimale Kunstmedium. Hier<br />
kann der 57-Jährige seine Leidenschaft<br />
für Architektur und Malerei miteinander<br />
verbinden. In Leipzig und Dresden betreibt<br />
er jeweils eigene »Panometer«.<br />
SPANNENDE IMPULSE<br />
Von der Idee bis zur Eröffnung vergehen<br />
drei bis fünf Jahre. Durchschnittlich kostet<br />
ein Projekt eine Million Euro, bei Pergamon<br />
waren es dreieinhalb Millionen.<br />
Eine Summe, die Asisi mit seiner 2005<br />
gegründeten GmbH zumeist vorfinanzieren<br />
muss. Für das Panorama im Pergamon<br />
Museum legte der Professor für<br />
Freie Darstellung im Fachbereich Architektur<br />
die betriebswirtschaftlichen Daten<br />
der letzten sieben Jahre vor. »Als Unternehmer<br />
bin ich bei den hohen Investi-<br />
tionskosten und Zeitvorläufen auf zügige<br />
Entscheidungen angewiesen«, sagt<br />
Asisi. Um Planungssicherheit zu erhalten,<br />
sei ein schnelles Nein genauso wertvoll<br />
wie eine Zusage. Oft dauert es länger.<br />
Dann heißt es: durchhalten. »Wenn ich<br />
nicht für meine Ideen brennen würde,<br />
könnte ich das nicht«, sagt Asisi. Für das<br />
Panorama im Pergamon erhielt der<br />
Künstler Unterstützung von der Bürgschaftsbank<br />
Berlin. »Berlin ist eine lebendige<br />
und kreative Stadt. Mit unserem Engagement<br />
tragen wir dazu bei, in dem<br />
wir Unternehmern wie Yadegar Asisi die<br />
Möglichkeit bieten, Neues zu wagen und<br />
damit der Stadt spannende Impulse zu<br />
verleihen«, so Waltraud Wolf, Geschäftsführerin<br />
der Bürgschaftsbank in Berlin.<br />
KÜNSTLER UND UNTERNEHMER<br />
Mit seinem 45-köpfigen Team muss der<br />
Geschäftsführer der Asisi GmbH alles allein<br />
übernehmen: Von der Konzeption<br />
über die Akquise von Finanzmitteln bis<br />
zur Vermarktung. »Ich fühle mich nicht<br />
als Unternehmer, muss jedoch unternehmerisch<br />
denken und handeln.« Und der<br />
Künstler ergänzt: »Dabei hilft mir das<br />
strukturierte Denken des Architekten.«<br />
Mittlerweile sorgen die zwei Panometer<br />
in Dresden und Leipzig für einen regelmäßigen<br />
Cash Flow und Liquidität.<br />
Texte zum Special »Bürgschaftsbanken«:<br />
Sabine Dörr<br />
...wir sprechen mittelständisch<br />
Berlin braucht eine pulsierende Wirtschaft.<br />
Ideen mutiger Existenzgründer unterstützen wir<br />
ebenso wie das Wachstum etablierter Unternehmen.<br />
Dabei stehen wir allen Branchen offen: kleinen<br />
Handwerksbetrieben ebenso wie mittelständischen<br />
Unternehmen.<br />
Unsere Gesellschafter sind die IHK und die<br />
Handwerkskammer, Wirtschaftsverbände sowie<br />
Kredit- und Versicherungsunternehmen.<br />
Mitglied im<br />
Verband deutscher<br />
Bürgschaftsbanken<br />
BBB BÜRGSCHAFTSBANK<br />
zu Berlin-Brandenburg GmbH<br />
Schillstraße 9<br />
10785 Berlin<br />
Telefon 030/311 004-0<br />
Telefax 030/311 004-55<br />
info@buergschaftsbank-berlin.de<br />
www.buergschaftsbank-berlin.de
ANALYSE<br />
Wohin mit dem Geld? Wer wissen<br />
will, welche Immobilieninvestments<br />
lohnend sind, muss<br />
nur schauen, wo die Reichen dieser Welt<br />
ihr Geld anlegen. Die UHNWIs – das sind<br />
Ultra high net worth individuals, also die<br />
Ultrareichen – investieren durchschnittlich<br />
35 Prozent ihres Vermögens in<br />
Grundstücke und Gebäude – vornehmlich<br />
in London, New York oder Monaco,<br />
neuerdings auch in den asiatischen<br />
Boomtowns. Doch Luxuswohnungen in<br />
London sind längst zu teuer, Apartments<br />
in Shanghai oder Mumbai ebenso und<br />
in Monaco ist der Platz knapp. Was den<br />
deutschen Markt betrifft, so stehen vor<br />
allem westdeutsche Metropolen im Süden<br />
und Südwesten hoch in der Gunst<br />
der auf Wohnimmobilien fixierten Anleger.<br />
Doch hier »frisst Gier Hirn«, da gilt<br />
das Gesetz der Lemminge und die Losung<br />
»So viel Geld kann nicht irren«.<br />
Denn in München, Stuttgart oder Frankfurt<br />
am Main werden die höchsten Mieten<br />
und Eigentumspreise erzielt. Preise<br />
und Mieten steigen wegen der hohen<br />
Nachfrage weiter, die Renditen gehen indes<br />
zurück.<br />
Finanzmärkte 2012<br />
Sichere<br />
Zuflucht<br />
Volatile Börsen, magere<br />
Anleihezinsen, grassierende<br />
Staatsverschuldung und<br />
das Gespenst der Inflation<br />
am Firmament: Anlegern<br />
wird die Flucht in die Sachwerte<br />
empfohlen. An vorderster<br />
Stelle stehen Immobilien.<br />
Doch beim »Betongold« glänzt<br />
auch nicht alles.<br />
DAS GUTE LIEGT SO NAH<br />
Also Finger weg von der Eigentumswohnung<br />
im Münchener Nobelwohnort Bogenhausen.<br />
Wie wär’s stattdessen mit<br />
Dresden, Leipzig, Erfurt oder Jena? Die<br />
meisten Anleger werden das für abwegig<br />
halten, völlig zu Unrecht. Das Mietsteigerungspotenzial<br />
in Potsdam, Jena, Erfurt,<br />
Dresden, Weimar und Leipzig war in<br />
jüngster Zeit ähnlich hoch wie in westdeutschen<br />
Städten, stellte der Immobilieninvestor<br />
und Immobiliendienstleister<br />
Patrizia Immobilien AG fest. Mit einem<br />
gravierenden Unterschied: Die Preise<br />
sind in den ostdeutschen Städten deutlich<br />
niedriger und damit die Renditen<br />
höher. Und das Leerstandsrisiko spielt<br />
dort auch kaum noch eine Rolle. Ganz<br />
im Gegenteil: Bis zum Jahr 2025 – so die<br />
Prognose von Patrizia – ist der Bedarf<br />
hoch. In Dresden liegt er bei rund 40.500<br />
Wohnungen, in Leipzig bei 37.500, in<br />
Potsdam bei knapp 16.000, in Erfurt bei<br />
15.000 und in Jena bei gut 8.000 Wohnungen.<br />
»Ostdeutsche Städte bieten somit<br />
interessante Investmentchancen für<br />
Wohnimmobilien«, ist man bei Patrizia<br />
überzeugt.<br />
Wenn es um Immobilieninvestments<br />
<strong>geht</strong>, steht meist der »Klassiker«, die Büroimmobilie,<br />
im Zentrum der Aufmerksamkeit.<br />
Das ist auch gegenwärtig nicht<br />
falsch. Ungeachtet von Krisengipfeln und<br />
Euro-Hysterie herrscht auf den deutschen<br />
Büromärkten überwiegend gute<br />
Laune. Sowohl bei Büro- wie bei Einzelhandelsimmobilien<br />
greifen Investoren<br />
zu. Der deutsche Immobilieninvestmentmarkt<br />
legte 2011 um rund 22 Prozent zu<br />
und dieses Niveau könnte auch 2012 gehalten<br />
werden, prognostizieren die Researcher<br />
von Jones, Lang, LaSalle (JLL). Im<br />
Mittelpunkt stehen Core-Immobilien,<br />
also Objekte in besten Lagen, mit hoher<br />
Qualität und Mietern bester Bonität auf<br />
der Basis lang laufender Verträge. Weil<br />
die Banken mit der Finanzierung knausern,<br />
ist es die Stunde der eigenkapitalstarken<br />
Investoren, spekulative Objekte –<br />
erst bauen, dann Mieter suchen – gibt es<br />
kaum noch. Weil die Nachfrage nach<br />
Prime- und Core-Immobilien weiter das<br />
Angebot übersteigt, sind die Preise hoch<br />
und die Renditen schmal.<br />
BESSERE AUSSICHTEN FÜR FONDS<br />
Private Anleger tätigen Immobilieninvestments<br />
meist über Fonds. Einige Offene<br />
Immobilienfonds waren in den vergangenen<br />
zwei Jahren in die Bredouille<br />
geraten und mussten die Rücknahme<br />
von Anteilsscheinen zeitweise einstellen,<br />
mehrere Fonds werden sogar abgewickelt.<br />
Künftig werden private Anleger<br />
vor solchen Malaisen besser geschützt –<br />
allerdings greifen die neuen Regeln erst<br />
ab 2013. Neu- und Bestandskunden<br />
müssen eine Kündigungsfrist von zwölf<br />
Monaten einhalten, bevor sie ihre<br />
Fondsanteile zurückgeben können. Darüber<br />
hinaus müssen Neukunden ihre<br />
Fondsanteile zukünftig mindestens 24<br />
Monate im Depot halten. Für Kleinanleger<br />
gilt ab 2013 eine Öffnungsklausel,<br />
die es ihnen erlaubt, halbjährlich Fondsanteile<br />
im Wert von bis zu 30.000 Euro<br />
zurückzugeben. Das bedeutet, dass Privatanleger<br />
zukünftig jährlich bis zu<br />
60.000 Euro ihres Fondsvermögens »flüssig«<br />
machen können.<br />
Eine weitere Möglichkeit, in Immobilien<br />
zu investieren, stellen Beteiligungen<br />
dar. Besonders aussichtsreich sind Projektentwicklungsfonds.<br />
Dabei kauft der<br />
Initiator Bestandsobjekte oder Grundstücke,<br />
baut oder saniert und verkauft<br />
die Wohnungen vorab. Renditen zwischen<br />
acht und zwölf Prozent – bezogen<br />
auf den Fonds – sind möglich. Was Anleger<br />
neben Geld benötigen, ist Vertrauen<br />
in die Seriosität und das Know-how des<br />
Investors. Insgesamt werden die Bedingungen<br />
für Beteiligungen besser. Die Zeit<br />
der windigen Steuersparmodelle ist vorbei<br />
und die Branche ändert gerade ihr<br />
Image. Aus dem »grauen« Kapitalmarkt<br />
soll – nicht zuletzt dank strengerer Aufsicht<br />
und besserer Qualifikation der Berater<br />
– ein »weißer« werden. Trotzdem:<br />
Prospekte, Anlageobjekte und Seriosität<br />
des Investors genau prüfen, denn blindes<br />
Vertrauen führt meist zu Verlusten.<br />
EIGENTUM MACHT AUCH REICH<br />
Wer kein Eigenheim will, hat eine andere<br />
Option, die gerade en Vogue ist: Ferienimmobilien.<br />
In den südlichen EU-<br />
Krisenstaaten stehen jetzt zahlreiche<br />
Schnäppchen zum Verkauf. In Griechenland<br />
fielen die Preise um bis zu 30 Prozent,<br />
in Spanien um bis zu 50 Prozent, so<br />
Schätzungen der Deutschen Schutzvereinigung<br />
Auslandimmobilien e. V.<br />
Doch auf der Suche nach Geldanlagen<br />
in Ferienimmobilien setzen interessierte<br />
Anleger, <strong>anders</strong> als vor 15 Jahren, nicht<br />
mehr vorrangig aufs Ausland. Eine aktuelle<br />
Marktstudie im Auftrag des Ferienhausvermittlers<br />
HomeAway und des<br />
Immobilienmaklers Engel & Völkers zu<br />
privaten Ferienimmobilien 2011 weist<br />
eine eindeutige Präferenz für die heimischen<br />
Gestade aus. »Vor allem Objekte an<br />
der deutschen Nord- und Ostseeküste sowie<br />
auf den Ostsseeinseln erfreuen sich<br />
steigenden Beliebtheit«, so das Ergebnis<br />
der Studie. Die Gründe liegen auf der<br />
Hand: Urlaub in Deutschland boomt, der<br />
Markt ist – im Unterschied zu Spanien,<br />
Portugal oder Griechenland – sicher,<br />
Ferienhausbesitzer können die Immobilien<br />
gleichzeitig als Kapitalanlage und –<br />
bei Vermietung – als zusätzliche Einkommensquelle<br />
nutzen und die Wertentwicklung<br />
ist zumeist positiv.<br />
Hans Pfeifer<br />
&<br />
32 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
Milchschokolade<br />
Erfinder: Gottfried Heinrich Jordan<br />
und August Friedrich Timaeus<br />
Deutschland, Dresden, 1839<br />
FürSievorOrtinMitteldeutschland:<br />
in Chemnitz, Dresden, Erfurt, Halle,<br />
Leipzig und Magdeburg.<br />
Passende Zutaten. Made in Germany.<br />
Für den Mittelstand in Mitteldeutschland.<br />
Aus einer genialen Idee und den richtigen Zutaten entstand in Dresden<br />
einst die erste Milchschokolade. Für die richtigen Zutaten bei ganzheitlichen<br />
Finanzlösungen sorgt die Sachsen Bank. Als Unternehmen<br />
der LBBW-Gruppe bieten wir speziell dem Mittelstand in unserer Region<br />
das umfassende Leistungsspektrum eines erfahrenen, flexiblen Finanzdienstleisters,<br />
verbunden mit der individuellen Kundenbetreuung<br />
einer eigenständig agierenden Regionalbank. Weitere Informationen<br />
unter www.sachsenbank.de<br />
Ein Unternehmen der LBBW-Gruppe
ANALYSE<br />
Unternehmen, übertrug ihnen Firmenanteile.<br />
Dass diese teils kreditfinanziert<br />
sind und sich nicht zuletzt dadurch neue<br />
Investitionen stemmen lassen, rührt indes<br />
nicht aus der Spezifika ostdeutscher<br />
Mittelständler, die nach 1990 oft recht<br />
kapitalschwach starteten.<br />
Laut der Studie »Generationswechsel<br />
im Mittelstand«, die das Mannheimer<br />
Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung<br />
(ZEW) mit dem Institut für Mittelstandsforschung<br />
der Uni Mannheim<br />
2011 vorlegte, nutzen zwar vier Fünftel<br />
der 2,6 Millionen eigentümergeführten<br />
mittelständischen Betriebe in Deutschland<br />
Umsatzerlöse zur Finanzierung ihrer<br />
Geschäftstätigkeit. Doch der Anteil<br />
von Gewinnen am Gesamtvolumen der<br />
Firmenfinanzierung liegt bei nur 46 Prozent.<br />
Fast gleichauf rangieren, wie die<br />
Studie zeigt, Bankdarlehen (43 Prozent),<br />
während nur gut ein Viertel (27 Prozent)<br />
aus eigenen Rücklagen stammt. Weitere<br />
20 Prozent sind Beteiligungskapital.<br />
Gerade bei Firmenübergaben schlägt<br />
sich diese vergleichsweise geringe Eigenkapitaldecke<br />
in Familienbetrieben deutlich<br />
nieder. Wie das von der in Leipzig<br />
ansässigen Sachsen Bank in Auftrag gegebene<br />
Dossier zeigt – es beleuchtet<br />
deutschlandweit alle Firmenübergaben<br />
in Familienbetrieben zwischen 2002 und<br />
2008 –, stehen die meisten internen<br />
Übernehmer vor teils erheblichen finanziellen<br />
Herausforderungen. Über die<br />
Hälfte (56 Prozent) der Nachfolger erwarb<br />
die Unternehmensanteile durch<br />
Kauf und/oder Beteiligung. Knapp ein<br />
Drittel der Firmen wurde verschenkt. Elf<br />
Prozent wechselten per Erbschaft den<br />
Eigentümer.<br />
Nachfolge in Familienbetrieben<br />
Rechtzeitige Übergabe<br />
Jährlich stehen in Deutschland 71.000 inhabergeführte Betriebe vor<br />
der Nachfolgefrage. Diese wird in drei von fünf Fällen familienintern<br />
geklärt. Eine Studie zeigt, die neuen Chefs benötigen beim Start<br />
oft eine Fremdfinanzierung. Familienbetriebe werden indes weniger<br />
vererbt oder verschenkt, sondern an den Nachwuchs verkauft.<br />
Es ist ein gleitender Übergang, den<br />
Martin Bergmann (Foto: M.) angeschoben<br />
hat, um sein Lebenswerk<br />
peu à peu seinen Söhnen zu übertragen.<br />
Viel Kraft, unternehmerische Findigkeit<br />
und erhebliches Geld flossen in die Familienfirma,<br />
seit der heute 61-Jährige den<br />
Betrieb nach der deutschen Einheit reprivatisierte.<br />
Mittlerweile ist es eine weltweite<br />
Topadresse für dezentrale Kläranlagen.<br />
Da weitere Branchen hinzukamen,<br />
gibt es seit 2007 die Bergmann AG.<br />
Hier sind auch die Söhne Martin jr.<br />
(38, re.) und Lars (34) – der eine Bauingenieur,<br />
der andere Kaufmann – mit im<br />
Boot. Sie führen jeweils schon eines der<br />
Tochterunternehmen und rückten auch<br />
in den Vorstand auf, wo der Senior vorerst<br />
noch der Chef ist. Doch aus dem operativen<br />
Geschäft hat er sich inzwischen<br />
zurückgezogen. Auch sonst hätten beide<br />
Söhne längst »ihre Entscheidungs- und<br />
Verantwortungsbereiche, in die ich ihnen<br />
nicht mehr reinrede«, erzählt er.<br />
Nicht zuletzt beteiligte Martin Bergmann<br />
sen. die Jungen auch finanziell am<br />
FRÜHZEITIGE ÜBERGABEREGELUNG<br />
Gut 80 Prozent jener »Firmenerben«, die<br />
selbst Geld auftreiben mussten, benötigten<br />
hierzu Fremdmittel. Die kamen<br />
dann zu 64 Prozent von der Hausbank<br />
und zu einem offenbar recht großen Teil<br />
auch von externen Beteiligungsgebern.<br />
Exakte Zahlen zu jenen »stillen« Teilhabern,<br />
die oft nach einigen Jahren wieder<br />
ausgezahlt waren, nennt die Studie indes<br />
nicht. In 37 Prozent der Fälle konnten<br />
auch Fördertöpfe angezapft werden.<br />
Sofern der Nachfolger aus der eigenen<br />
Familie oder der Firma kommt, bürgt der<br />
Alteigentümer jedoch zumeist für die<br />
Hypothek. Oft gewährt er auch Ratenzahlungen<br />
auf den Kaufbetrag. Doch<br />
auch bei Erbschaften oder Schenkungen<br />
traten immer wieder Finanzierungsprobleme<br />
auf, da dann Erbschaft- bzw.<br />
Schenkungsteuer entrichtet werden<br />
musste und gegebenenfalls weitere Erben<br />
auszuzahlen waren.<br />
Die Studie zeigt, dass bei einer Schenkung<br />
– im Gegensatz zur Erbschaft – die<br />
Eigentumsanteile häufig bereits frühzeitig<br />
übertragen werden. Denn bei einem<br />
solchen Stabwechsel zu Lebzeiten des<br />
»Patriarchen« lassen sich teils hohe Freibeträge<br />
nutzen. Ist auch noch dessen<br />
Frau Miteigentümerin, verdoppeln sich<br />
jene steuerbegünstigten Freiräume, die<br />
alle zehn Jahr neu angesetzt werden können,<br />
quasi noch. So zahlten nur zehn Prozent<br />
der befragten Jungunternehmer, in<br />
deren Familien solch ein langfristiges<br />
Übergabemanagement praktiziert wurde,<br />
überhaupt noch Erbschaft- oder<br />
Schenkungsteuer auf die übernommenen<br />
Firmenanteile. Mithin sei es ratsam,<br />
eine Übergabe strategisch zu planen, raten<br />
die Verfasser.<br />
ALTEIGENTÜMER WEITER IM BOOT<br />
Zugleich zeigt die Analyse, dass bei<br />
43 Prozent der 8.600 Familienbetriebe,<br />
die im Untersuchungszeitraum weitergereicht<br />
wurden, die Übergabe von Eigentum<br />
und Geschäftsführung nicht im sel-<br />
34 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
ANALYSE<br />
ben Jahr erfolgte. Offenkundig handelt<br />
es sich wie auch bei der Bergmann AG<br />
um einen längerfristigen Prozess, bei<br />
dem der Patriarch auch finanziell an<br />
Deck bleibt. Häufig spielen Alteigentümer<br />
somit selbst dann weiter eine<br />
wichtige Rolle, wenn sie nicht mehr an<br />
der Geschäftsführung beteiligt sind. In<br />
etwa zwei Dritteln aller Fälle war der<br />
Alteigentümer noch bis acht Jahre nach<br />
Firmenübergabe weiter im Unternehmen<br />
aktiv. Allerdings sinken zumeist<br />
seine Anteile in dem Maße, wie die Geschäftsführungsübergabe<br />
zurückliegt.<br />
15 Prozent der aktiven Alteigentümer<br />
hielten zudem noch Anteile, ohne Führungsfunktionen<br />
im Unternehmen<br />
wahrzunehmen.<br />
BEIRAT IN DER FÜHRUNGSETAGE<br />
Eine Ausnahme bilden externe Übergaben.<br />
Sie machen im Durchschnitt ein<br />
Fünftel aller Fälle in mittelständischen<br />
Familienunternehmen aus. Ein weiteres<br />
Fünftel entfällt auf Neubesitzer, die zwar<br />
nicht zur Familie gehören, aber bereits<br />
teils langjährig in der Firma tätig waren.<br />
Vor allem jene externen Neubesitzer<br />
übernehmen nicht nur wesentlich<br />
schneller mit der Geschäftsführung<br />
auch sofort alles Eigentum, sie verzichten<br />
auch weitaus häufiger (42 Prozent)<br />
auf ein weiteres Engagement des Vorgängers.<br />
Grundsätzlich, so zeigt die Studie,<br />
ist in solchen Fällen die Zusammenarbeit<br />
von Alt- und Neu-Chef wesentlich<br />
problematischer.<br />
Bei familieninternen Stabwechseln<br />
scheint man da eher zum Konsens gezwungen.<br />
Allerdings würden Probleme<br />
eher verharmlost, während sie ein externer<br />
Nachfolger konsequenter benenne.<br />
Die Studie bilanziert, dass auch gemischte<br />
Lösungen gut funktionieren<br />
können. So steht der Stuttgarter Olymp<br />
GmbH, die die Familie Herzog über vier<br />
Generationen vom kleinen Handwerksbetrieb<br />
zum europäischen Marktführer<br />
für die Ausstattung von Frisiersalons<br />
puschte, sowohl ein familieninterner als<br />
auch ein externer Geschäftsführer vor.<br />
Zur Unterstützung seines Sohnes Marc<br />
Herzog gründete der Senior überdies vor<br />
der Übergabe einen Beirat in der Unternehmensführung,<br />
der die Abhängigkeit<br />
der 350-Mitarbeiter-Gruppe »von der Familie<br />
auf das für das Unternehmen Positive<br />
reduzieren« soll. Dazu wird das Gremium,<br />
in dem auch noch der Vater sitzt,<br />
von einem familienfremden Manager geführt.<br />
Und offenbar mit Erfolg: Ende des<br />
Jahres 2008 übernahm die Stuttgarter<br />
Firma ihren größten Konkurrenten.<br />
Kritisch wird es in dem Dossier dagegen<br />
gesehen, wenn potenzielle Firmennachfolger<br />
nicht frühzeitig den angestammten<br />
Geschäftspartnern vorgestellt<br />
werden, etwa Bankern, Steuerberatern<br />
und Wirtschaftsprüfern. Dies sei vor allem<br />
in kleineren Firmen zu oft der Fall.<br />
Der Kronprinz oder die Kronprinzessin<br />
sollte stattdessen schon möglichst zeitig<br />
als Beisitzer fungieren, um dann nach<br />
und nach in eine aktive Rolle und damit<br />
in die finanzielle Verantwortung hineinzuwachsen.<br />
Dies steigert nach Expertenmeinung<br />
auch deren Akzeptanz nach<br />
außen. Denn gerade zwischen der Hausbank<br />
und dem Unternehmer bestehe »oft<br />
ein besonderes Vertrauensverhältnis«,<br />
das sich auch bei der Abwicklung auszahle,<br />
bestätigt in diesem Zusammenhang<br />
Peter Kröger, Bereichsleiter Unternehmenskunden<br />
der Sachsen Bank.<br />
Laut der Mannheimer Studie zeichnen<br />
sich die meisten Übergaben durch einen<br />
erfolgreichen Due-Diligence-Prozess<br />
aus. Vor allem familieninternen Nachfolgern<br />
bleiben so oft böse Überraschungen<br />
erspart. Beispielsweise trat nur bei gut<br />
jeder zehnten Übergabe später ein »unerwarteter<br />
Finanzierungsbedarf« auf. Eher<br />
betraf dies dann externe Nachfolger, für<br />
die die betriebswirtschaftliche Prüfung<br />
der Firma vor der Übernahme naturgemäß<br />
deutlich schwerer ist.<br />
Aus diesem Kreis von Unternehmern<br />
klagte denn auch nahezu jeder Fünfte<br />
über einen sich plötzlich auftuenden<br />
zusätzlichen Finanzierungsbedarf, um<br />
zum Beispiel Erneuerungs- bzw. Erweiterungsinvestitionen<br />
bestreiten zu können,<br />
die für das erfolgreiche Fortbestehen<br />
der Firma unverzichtbar sind.<br />
FLEXIBLE FINANZIERUNGSMODELLE<br />
Doch auch in diesem Fall weiß die Hausbank<br />
womöglich Abhilfe, wie ein Beispiel<br />
aus Sachsen zeigt. Teil eines langfristigen<br />
Finanzierungsplanes für einen<br />
Dresdener Schleifkörperhersteller war<br />
eine Mietkauf-Lösung für den Erwerb<br />
neuer Maschinen. Diese »sehr flexible<br />
und nachhaltige« Finanzierungslösung<br />
schone die Liquidität des Betriebes und<br />
biete der Bank zugleich eine Sicherheit<br />
in Form der Technik, betonte der Geschäftsführer.<br />
Das halte ihm finanziell<br />
den Rücken frei für zwei neu entwickelte<br />
Patentlösungen, für die es zwar Fördergelder<br />
gebe – jedoch nur bei eigener Ko-<br />
Finanzierung.<br />
Harald Lachmann<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 35
KOLUMNE<br />
AUS GENFER SICHT<br />
Die Zukunft<br />
der Schulden<br />
Von HEINER FLASSBECK, Genf<br />
Internet: www.flassbeck.com<br />
zung gibt, dann würden sich am nächsten<br />
Tag auch im Saarland jede Menge<br />
Professoren und Lehrer der Physik empören.<br />
Politiker, die solches Zeug verzapften,<br />
seien strohdoof, weil sie immer noch<br />
nicht begriffen hätten, dass es einen zigmal<br />
bewiesenen Satz der Thermodynamik<br />
gibt, der unbestreitbar zeigt, dass<br />
Energie nur umgewandelt, nicht aber<br />
vernichtet werden kann.<br />
Die Ökonomen können – oder wollen<br />
– aber offensichtlich nicht wahrhaben,<br />
was ebenso unbestreitbar ist, nämlich<br />
die Tatsache, dass Menschen nur sparen<br />
können, wenn andere sich verschulden.<br />
Wer das sagt, nimmt der Verschuldung<br />
sofort das Bedrohliche, weil es ja nur<br />
noch um die Frage <strong>geht</strong>, wer sich verschuldet,<br />
nicht um die Frage, ob sich<br />
überhaupt einer verschuldet. Auch würde<br />
man den Bürgern verdeutlichen, dass<br />
es keinen Sinn macht, jeden Tag über die<br />
Verschuldung herzuziehen, wenn man<br />
selbst dazu über eigenes Sparen beiträgt.<br />
Mit einer konsequenten Kritik der Verschuldungskritik<br />
könnten sich die Ökonomen<br />
eine große Reputation erwerben,<br />
als eine Wissenschaft, die in der Lage ist,<br />
primitive Vorurteile zu korrigieren und<br />
komplexe Zusammenhänge zu erklären.<br />
Aber die Ökonomen wollen offenbar<br />
keinen wichtigen wissenschaftlichen<br />
Satz aufstellen, der öffentliche Vorurteile<br />
korrigiert. Anders ist ihr Verhalten<br />
Als ich kurz vor der Landtagswahl am<br />
25. März im Saarland durch dieses<br />
Bundesland gefahren bin, war<br />
ich nicht wenig überrascht ob der Slogans<br />
der Parteien. Die CDU macht auf<br />
mit der Aussage ihrer Spitzenkandidatin<br />
»Ich will Zukunft ohne Schulden«. Die<br />
SPD hält hart dagegen, dass sie für einen<br />
neuen Politikstil sei. Wohlgemerkt:<br />
Nicht für eine neue Politik. Offensichtlich<br />
haben sich beide Parteien längst auf<br />
die Zukunft ohne Schulden geeinigt, was<br />
ja auch die explizite Festlegung der saarländischen<br />
SPD auf die konsequente Umsetzung<br />
der Schuldenbremse nahelegt.<br />
Die sie als Abwehrargument gegen eine<br />
rot-rote Koalition nutzte.<br />
Zukunft ohne Schulden. Man hätte<br />
stattdessen auch schreiben können »Zukunft<br />
ohne Investitionen«. Denn wenn es<br />
keine Schulden gibt, gibt es auch keine<br />
Ersparnisse, und wenn es keine Ersparnisse<br />
gibt, gibt es keine Investitionen,<br />
weil ja dann alles aufgegessen oder sonst<br />
wie verbraucht wird. Das also ist es, was<br />
die CDU den Kindern hinterlassen will:<br />
Eine Welt, in der nicht investiert werden<br />
kann, weil ja niemand Schulden machen<br />
will. Weil Schulden tabu sind, heißt das,<br />
können wir die Welt nicht mehr für unsere<br />
Kinder lebenswerter machen. Die<br />
Welt muss exakt bleiben, wie sie jetzt ist.<br />
Man fragt sich, ob die Menschen, die<br />
über einen solchen Slogan entscheiden,<br />
es wirklich nicht besser wissen. Oder ob<br />
sie so infam sind, den Menschen einen<br />
solchen unsinnigen Slogan unterzujubeln,<br />
da sie genau wissen, dass das am<br />
Stammtisch gut ankommt. Aber was<br />
richten sie damit an? Was ist mit den<br />
Kindern, die zur Schule fahren, den Slogan<br />
lesen und in ihrem kindlichen Urteil<br />
sagen, jawohl, das müssen die Politiker<br />
jetzt endlich einmal machen, wir wollen<br />
eine schuldenfreie Zukunft.<br />
Andererseits wird es auch im Saarland<br />
Menschen geben, die sehr gut verstehen,<br />
welcher Unsinn da als politische Strategie<br />
verkauft wird und wie das Volk entweder<br />
zugrunde regiert oder zugrunde<br />
belogen wird. Wie kann man verantworten,<br />
all das für ein paar Stimmen zu riskieren,<br />
die Verirrung der einen und die<br />
Frustration der anderen?<br />
Ich frage mich aber auch, warum<br />
nicht mehr Ökonomen auf die Barrikaden<br />
gehen. Würden die Politiker hinschreiben,<br />
wir wollen in Zukunft die Energie,<br />
die wir haben, so effizient verbrauchen,<br />
dass nichts mehr davon übrig<br />
bleibt, weil es dann keine Luftverschmutnicht<br />
zu deuten. Sie würden damit ja<br />
auch gegen das beliebte Vorurteil argumentieren,<br />
dass der Staat und seine Verschuldung<br />
die Wurzel allen Übels ist.<br />
Wenn es gegen solche Vorurteile <strong>geht</strong>, ist<br />
der Mut der Ökonomen schnell ganz<br />
klein und die Wissenschaftlichkeit wird<br />
ruckzuck vergessen. So etwas würde ja<br />
wie Keynesianismus klingen, der doch<br />
für alle Übel der Welt verantwortlich gemacht<br />
werden muss. Oder, noch schlimmer,<br />
man müsste die Frage beantworten,<br />
wer sich verschulden soll, wenn der Staat<br />
sich in Zukunft nicht mehr verschuldet,<br />
weil die allseits beliebte Schuldenbremse<br />
für den öffentlichen Sektor wirkt.<br />
Ja, dann müsste man sagen, man fände<br />
es doch ganz schön, wenn sich die<br />
Ausländer weiter verschulden würden,<br />
weil die Deutschen so viel sparen. Dumm<br />
ist nur, dass wir den meisten der verschuldeten<br />
Ausländer momentan verklickern,<br />
sie seien pleite – weswegen sich<br />
das mit der weiteren Verschuldung nicht<br />
so gut macht. Oder man müsste sagen,<br />
die deutschen Unternehmen könnten<br />
sich mal wieder verschulden und investieren,<br />
statt ebenso wie die privaten<br />
Haushalte zu sparen.<br />
Dann müsste man aber auch die Frage<br />
beantworten, wie die im Geld schwimmenden<br />
deutschen Unternehmen dazu<br />
bewegt werden können, sich für mehr Investitionen<br />
zu verschulden. Unausweichlich<br />
wäre die Frage, ob nicht die Steuern<br />
für die Unternehmen wieder erhöht werden<br />
oder die Unternehmen endlich mal<br />
wieder anständige Löhne bezahlen sollten.<br />
In diesem Fall hätten sie zwar weniger<br />
Gewinne, aber wohl viel mehr Anreize<br />
zu investieren, weil die Nachfrage ja<br />
steigen würde. Oder, aber das ist vollends<br />
des Teufels, man müsste sagen, die Deutschen<br />
sollten mal weniger sparen, weil<br />
man niemanden findet, der diese Ersparnisse<br />
investiert. Aber was ist dann mit<br />
der Rente, die doch nur gesichert werden<br />
kann, wenn die Leute mehr sparen?<br />
Das sind alles keine erbaulichen Themen<br />
und vor allem keine, mit denen<br />
man sich als Ökonom beliebt machen<br />
würde. Das lässt man mal lieber und beklagt<br />
lauthals die hohe Verschuldung<br />
und fordert gleichzeitig die Menschen<br />
zum Sparen auf, um die Zukunft sicherer<br />
zu machen. Darüber kann man schöne<br />
Vorträge bei Versicherungen halten<br />
für Honorare, die einem beunruhigende<br />
Gedanken an die eigene Zukunft nehmen.<br />
Soll das dumme Volk doch weiter<br />
denken, Schulden seien gefährlich. &<br />
Foto: Torsten George<br />
36<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
WIRTSCHAFTSPARTNER POLEN<br />
Innovative »Grüne Technologien«<br />
Kräftiger Wind aus Polen<br />
Foto: Enercon<br />
Polnische Unternehmen entdecken immer mehr Green-Tech als eine Chance für wirtschaftlichen Erfolg.<br />
Die polnische Regierung fördert diese Entwicklung mit speziellen Wettbewerben und Programmen.<br />
Das Thema »Grüne Technologien«<br />
spielt in der polnischen Wirtschaft<br />
zunehmend eine gewichtigere<br />
Rolle. Zumal sich die Überzeugung<br />
durchsetzt, dass Green-Tech neben dem<br />
Umweltschutz auch einen wirtschaftlich<br />
lukrativen Markt verheißt. Das Ministerium<br />
für Umwelt in Polen unterstützt<br />
diesen Trend. Seit drei Jahren veranstaltet<br />
das Ministerium den Wettbewerb<br />
»GreenEvo«. Er soll dazubeitragen, die<br />
Entwicklung und Verbreitung von »Grünen<br />
Technologien« in der polnischen<br />
Wirtschaft zu beschleunigen.<br />
In dem Wettbewerb um die konkurrenzfähigsten<br />
und innovativsten Technologien<br />
stellen polnische Unternehmen<br />
ihre neuen technologischen und umweltfreundlichen<br />
Lösungen vor. Unter<br />
anderen in den Bereichen Saubere Kohletechnologien,<br />
Energiesparsamkeit, Erneuerbare<br />
Energien und Abfalllagerung.<br />
Wie sehr sich mit innovativen Lösungen<br />
auf dem Gebiet »Grüne Technologien«<br />
auch neue Exportchancen für die<br />
polnischen Unternehmen ergeben, zeigt<br />
sich zum Beispiel am Omnibushersteller<br />
Solaris Bus & Coach aus Poznan (Posen).<br />
Das vor 15 Jahren gegründete Unternehmen<br />
hat sich mit seinen umweltschonenden<br />
Oberleitungs-, Hybrid- und Elektrobussen<br />
längst einen Namen auch auf<br />
dem hart umkämpften deutschen Markt<br />
gemacht und hier einige Aufträge an<br />
Land ziehen können.<br />
Jüngstes Beispiel: Die in der Kooperationsgemeinschaft<br />
Mittlerer Niederrhein<br />
zusammengeschlossenen fünf Verkehrsunternehmen<br />
haben sich im Rahmen<br />
der Beschaffung 2012 zum dritten Mal<br />
in Folge für Modelle von Solaris entschieden.<br />
Die Lieferung umfasst 44 komfortable<br />
Niederflur-Linienbusse der Urbino-<br />
Familie von Solaris.<br />
Zur Erzielung von Synergien schreiben<br />
die Verkehrsunternehmen der nordrhein-westfälischen<br />
Städte Mönchengladbach,<br />
Krefeld, Neuss und Viersen sowie<br />
des Kreises Heinsberg im Rahmen einer<br />
Beschaffungsgemeinschaft die Lieferung<br />
neuer Linienbusse gemeinsam aus. In<br />
der diesjährigen Ausschreibung unterbreitete<br />
Solaris das beste Angebot und<br />
wurde damit als Lieferant für alle Fahrzeuge<br />
ausgewählt.<br />
Die Lieferung wird 24 Niederflurbusse<br />
»Urbino 12« in Standardlänge sowie 20<br />
Gelenkbusse »Urbino 18« umfassen. Solaris<br />
konnte im Jahr 2010 erstmals 17 Busse<br />
an mehrere Partner der Kooperationsgemeinschaft<br />
Mittlerer Niederrhein liefern.<br />
2011 entschieden sich bereits alle<br />
fünf Unternehmen für Solaris und bestellten<br />
zusammen 27 Urbino-Fahrzeuge.<br />
Zudem lieferte Solaris im Rahmen separater<br />
Bestellungen neun diesel-elektrische<br />
Hybridbusse an beteiligte Verkehrsbetriebe.<br />
Inklusive der in diesem Jahr<br />
erwarteten Fahrzeuge werden damit fast<br />
100 Solaris-Busse am Mittleren Niederrhein<br />
unterwegs sein. Auf den folgenden<br />
Seiten finden Sie einen ausführlichen Bericht<br />
über die Erfolgsgeschichte des Busherstellers<br />
Solaris aus Poznan.<br />
Mit der breiten Einführung und Nutzung<br />
von Green-Tech verbindet die polnische<br />
Regierung auch das Ziel, die Klimaschutzvorgaben<br />
der Europäischen Union<br />
zu erreichen. So soll der Anteil Erneuerbarer<br />
Energien an der Energieerzeugung<br />
im Land von aktuell zirka fünf Prozent<br />
auf 15 Prozent bis zum Jahr 2020 erhöht<br />
werden. Ein wesentliches Element hierbei<br />
ist neben dem Ausbau des Windkraft-<br />
Sektors auch die gezielte Förderung des<br />
Anbaus von Biomasse und die Stromerzeugung<br />
aus Biogas. Dazu hat die Regierung<br />
das Programm »Innovative Energien<br />
– Energie aus der Landwirtschaft«<br />
gestartet. Mehr dazu auf Seite 40.<br />
Weitere Informationen finden Sie<br />
unter www.greenevo.gov.pl<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 37
WIRTSCHAFTSPARTNER POLEN<br />
E-MOBILITÄT<br />
Flotten-Versuch<br />
In Polen ist eines der europaweit<br />
größten Projekte zur Einführung von<br />
Elektromobilen gestartet worden.<br />
Fotos: Solaris (2); Impact, Poldanor (2)<br />
In Sachen Elektromobilität führt in Polen<br />
kein Weg vorbei an der Firma EVC-<br />
GROUP.EU. Sie verfügt über ein Fachservice-Netz,<br />
das sich mit der Anpassung<br />
von E-Antrieben in herkömmlichen Autos<br />
mit Verbrennungsmotor beschäftigt.<br />
Die Gesellschaft kann dieses Jahr über<br />
1.000 Elektroautos liefern. Die Produktionskapazität<br />
wird verdoppelt. Partner<br />
der EVC-GROUP ist die Firma Green<br />
Capital City sp. z o.o. Sie realisiert das<br />
Projekt der kommerziellen Einführung<br />
einer E-Autoflotte, das rund 2.000 Kraftfahrzeuge<br />
umfasst. Es ist das größte<br />
Projekt der Elektromobilität in Polen<br />
und eines der größten in Europa.<br />
Alle Fahrzeuge, die Green Capital City<br />
bestellt, sind mit dem Telematiksystem<br />
ausgestattet, das den Zugang zu allen<br />
technischen Parametern der E-Antriebssysteme<br />
via Internet sicherstellt. Im ersten<br />
Halbjahr der Projektpraxis werden<br />
die Messdaten der Autos erfasst, die in<br />
DREIRAD: E-Mobil Re-Volt aus Polen.<br />
dieser Zeit mehr als 1,5 Millionen Fahrkilometer<br />
zurücklegen werden.<br />
Die E-Autos mit dem Elektroantrieb von<br />
EVC-GROUP.EU erzielen mit einer Batterieladung<br />
eine durchschnittliche<br />
Reichweite von mehr als 150 Kilometern.<br />
Bei der Ladung durch Anschluss an<br />
230V-Steckdosen wurde gar eine Tagesreichweite<br />
von über 250 Kilometern erreicht.<br />
Die E-Autos haben die gleiche<br />
Funktionalität wie Autos, die mit Verbrennungsmotor<br />
fahren. Der Großteil<br />
der technischen Lösungen ist in Polen<br />
entworfen worden. Ein Beispiel ist die<br />
Lösung, beim Umrüsten auf Elektroantrieb<br />
das Originalgetriebe und andere<br />
Teile des Antriebssystems aus dem konventionellen<br />
Auto zu verwenden.<br />
Solaris Bus & Coach<br />
Erfolg mit Öko-Bussen<br />
In Poznan produziert ein Trendsetter der europäischen Busbranche.<br />
Das Unternehmen Solaris setzt auf Innovationen zur E-Mobilität<br />
mit Oberleitungsbussen, Hybridbussen und neuen Elektrobussen.<br />
Solaris Bus & Coach aus Poznan (Posen)<br />
ist einer der führenden europäischen<br />
Bushersteller mit einer<br />
Präsenz in 24 Ländern. Die beispiellose<br />
Solaris-Erfolgsgeschichte begann dabei<br />
erst vor 15 Jahren. Am 22. März 1996 verließ<br />
der erste Bus die Werkshallen in<br />
Bolechowo bei Posen und markierte damit<br />
den ersten Schritt in der Vision der<br />
Unternehmensgründer Krzysztof und<br />
Solange Olszewski.<br />
Die Umwelt und die urbane Lebensqualität<br />
profitieren ganz besonders von<br />
der konsequenten Ausrichtung auf zukunftsfähige<br />
Elektromobilität. Schon<br />
seit 2001 fahren Solaris-Oberleitungs-<br />
Busse auf Europas Straßen, heute ist Solaris<br />
europaweit Trolleybus-Marktführer.<br />
Im vergangenen Jahr konnte der 500. Bus<br />
vom Typ »Solaris Trollino« an seinen Betreiber<br />
übergeben werden. Er fährt auf<br />
leisen Reifen im polnischen Lublin.<br />
Im Jahr 2006 präsentierte sich Solaris<br />
als Trendsetter und bot als erster europäischer<br />
Bushersteller einen Stadtbus<br />
an, der mit serienmäßiger Hybridtechnologie<br />
ausgestattet ist. Ganz der Unternehmensphilosophie<br />
folgend diktiert Solaris<br />
seinen Kunden auch beim Hybridbus keine<br />
unpassenden Lösungen, sondern bietet<br />
mit dem größten Angebot diesel-elektrischer<br />
Antriebskonzepte für jeden Einsatzzweck<br />
den passenden Hybridbus an.<br />
Das Spektrum reicht vom »Urbino 12 Hybrid«<br />
in Standardlänge, dessen Komponenten<br />
komplett im Fahrzeug untergebracht<br />
sind und damit keine aufwendigen<br />
Dacharbeitsstände in Werkstätten<br />
benötigen, bis zum Gelenkbus »Urbino<br />
18 Hybrid«. In der Ausführung mit seriellem<br />
Hybridsystem verfügt dieser mit<br />
Batterien und Supercaps über gleich<br />
zwei Energiespeicher sowie einen Plugin-Anschluss<br />
zur stationären Ladung und<br />
nutzt damit soviel elektrische Energie<br />
wie möglich.<br />
Die umfangreichen Erfahrungen im<br />
Bau und Betrieb von Oberleitungsbussen<br />
und Hybridbussen sind auch in vollem<br />
Umfang in die Entwicklung des ersten<br />
Solaris-Elektrobusses eingeflossen. Der<br />
»Solaris Urbino electric« eröffnet neue<br />
38 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
WIRTSCHAFTSPARTNER POLEN<br />
NACHRICHTEN<br />
UMWELTSCHONEND: Innovationsstarker Trolleybus (l.) bzw. Elektrobus von Solaris.<br />
Möglichkeiten für den emissionsfreien<br />
Nahverkehr von morgen.<br />
»Der Diesel ist tot – lang lebe die Elektrizität!«<br />
Was Solaris-Gründer Krzysztof<br />
Olszewski bereits zur Vorstellung des<br />
ersten Solaris-Hybridbusses vor sechs Jahren<br />
sagte, gilt heute erst recht für den<br />
Elektrobus »Solaris Urbino electric«.<br />
Emissionsfrei, leise und unabhängig von<br />
steigenden Dieselpreisen – der »Solaris<br />
Urbino electric« garantiert eine nachhaltige<br />
zukunftsfähige Mobilität.<br />
DAS<br />
UNTERNEHMEN<br />
In 24 Ländern präsent<br />
Solaris Bus & Coach ist ein polnischer<br />
Omnibushersteller mit Firmensitz nahe<br />
Posen, zentral gelegen zwischen den<br />
europäischen Hauptstädten Warschau<br />
und Berlin. Solaris zählt zu den führenden<br />
Herstellern der europäischen<br />
Omnibusbranche und bietet eine breite<br />
Palette an modernen Stadtbussen,<br />
Überlandbussen, Oberleitungsbussen<br />
und Bussen für spezielle Einsatzzwecke.<br />
Seit Produktionsbeginn vor gut 15 Jahren<br />
haben über 8.000 Busse dieses<br />
Werk verlassen. Der Export von Solaris-<br />
Bussen begann im Jahr 2000 und trägt<br />
heute wesentlich zum Wachstum des<br />
Unternehmens bei. Mittlerweile verkehren<br />
Solaris-Busse in 24 Ländern.<br />
Deutschland ist der größte Exportmarkt<br />
des polnischen Herstellers.<br />
Mit bis zu 100 Kilometern Reichweite<br />
und einer Ladezeit von nur vier Stunden<br />
bietet der neue »Solaris Urbino electric«<br />
flexible Einsatzmöglichkeiten im Personennahverkehr.<br />
Seine Basis ist der bewährte<br />
Midibus »Alpino 8,9 LE«. Durch<br />
die konsequente Umsetzung des Low-Entry-Konzepts<br />
bietet der Solaris-Elektrobus<br />
trotz seiner bescheidenen Dimensionen<br />
von nur 8,9 Meter Länge und 2,4 Meter<br />
Breite viele Sitzplätze – ausstattungsabhängig<br />
sind bis zu 29 feste Sitze sowie<br />
zwei Klappsitze möglich. Niederflurige<br />
Einstiege sorgen für barrierefreien und<br />
bequemen Zugang, für Kinderwagen und<br />
Rollstuhlfahrer steht eine Mehrzweckfläche<br />
gegenüber der zweiten Tür zur<br />
Verfügung.<br />
Den Antrieb des »Solaris Urbino electric«<br />
liefert der Solaris-Systempartner<br />
Vossloh Kiepe. Das deutsche Unternehmen<br />
nutzte seine jahrzehntelange Kompetenz<br />
als Spezialist für elektrische Traktionsausrüstungen<br />
auch für den »Solaris<br />
Urbino electric«. Dieser beschleunigt<br />
sanft und stufenlos auf im Stadtverkehr<br />
übliche 50 km/h.<br />
Solaris-Vorstandsvorsitzende Solange<br />
Olszewska kommentiert: »Dieser Elektrobus<br />
ist eine echte Revolution im öffentlichen<br />
Nahverkehr und ein großer Schritt<br />
zu neuen Einsatzmöglichkeiten für elektrische<br />
Fahrzeuge. Wir bieten mit dem<br />
Solaris Urbino electric einen Bus, der unsere<br />
Städte durch Lärmminderung und<br />
Emissionsfreiheit lebenswerter macht.«<br />
WIRTSCHAFTSZONE<br />
Deutsche Firmen<br />
Seit Dezember 2011 sind in Kostrzycko-<br />
Slubicka drei Ansiedlungen deutscher<br />
Unternehmen genehmigt worden.<br />
In der Sonderwirtschaftszone Kostrzycko-<br />
Slubicka wird das deutsche Unternehmen<br />
Stenqvist Poland GmbH einen Papierverpackungen<br />
produzierenden Betrieb in<br />
Kostrzyn an der Oder bauen. Das Unternehmen<br />
wird über 80 neue Arbeitsplätze<br />
schaffen. Die Investitionen werden sich<br />
auf mindestens 16 Millionen PLN (poln.<br />
Zloty) belaufen. Die Investition soll im<br />
Dezember 2012 abgeschlossen sein.<br />
Klaus Borne, ein Hersteller von Polstermöbeln<br />
aus Barlinek, wird eine Möbelfabrik<br />
in Gorzów Wielkopolski bauen,<br />
in die er bis Ende 2015 mindestens<br />
67,5 Millionen PLN investieren will. Er<br />
hat vor, wenigstens 50 Mitarbeiter einzustellen.<br />
Guri Vital, ein Produzent aus<br />
der Pharmaindustrie, wird Nahrungsergänzungsmittel<br />
in einem neuen Werk in<br />
Kostrzyn herstellen. Das Fünf-Millionen-<br />
PLN-Projekt, wird bis Ende 2013 realisiert<br />
werden. Der Investor plant wenigstens<br />
zwölf Arbeitsplätze zu schaffen.<br />
ÖKO-STROM<br />
Berichtigungsfaktor<br />
Für eine differenziertere Förderung von<br />
Erneuerbaren Energien werden in Polen<br />
alle drei Jahre die Bedingungen geprüft.<br />
Die polnische Regierung hat vorgesehen,<br />
bei der Förderung von Öko-Strom einen<br />
so genannten »Berichtigungsfaktor“ für<br />
erneuerbare Energiequellen einzuführen.<br />
Der »Berichtigungsfaktor« wird alle drei<br />
Jahre durch den Wirtschaftsminister des<br />
Landes bestimmt werden und soll für<br />
die jeweilige erneuerbare Energiequelle<br />
fünf Jahre lang gelten. Durch diesen<br />
Korrekturfaktor soll es eine differenzierte<br />
Förderung je nach Energiequelle geben.<br />
Bei der Bestimmung des »Berichtigungsfaktors«<br />
durch den Wirtschaftsminister<br />
sollen Kriterien wie technischer Fortschritt,<br />
die Analyse der Produktionskosten<br />
für die Energie in der jeweiligen<br />
Quelle sowie die nationale Energiepolitik<br />
berücksichtigt finden.<br />
Eingeführt wird außerdem ein Mindestförderzeitraum<br />
von 15 Jahren. Damit soll<br />
das Investitionsrisiko reduziert werden,<br />
das sowohl in finanzieller als auch in<br />
gesellschaftlicher Hinsicht nicht unerheblich<br />
ist, wie von staatlicher Seite dieser<br />
administrative Schritt der Regierung<br />
begründet wird.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 39
WIRTSCHAFTSPARTNER POLEN<br />
NACHRICHTEN<br />
Biogas in Polen<br />
Gezielte Förderung<br />
Staatliche Unterstüzung bietet<br />
beste Chancen für Investitionen in<br />
landwirtschaftliche Biogasanlagen.<br />
Zur Erreichung der Klimaziele der<br />
Europäischen Union beabsichtigt die<br />
polnische Regierung, den Anteil der Erneuerbaren<br />
Energien an der Energieerzeugung<br />
von aktuell etwa fünf Prozent<br />
auf 15 Prozent bis 2020 zu erhöhen. Bis<br />
2030 liegt die Zielmarke bei 30 Prozent.<br />
Den größten Anteil bei Erneuerbaren<br />
Energien hat derzeit in Polen die Windkraft,<br />
die sich seit Jahren rasant entwickelt<br />
hat. Aktuell setzt Polens Regierung<br />
in den Gesetzesvorgaben und<br />
Förderrichtlinien auf die Entwicklung<br />
MODERN: Biogasanlage von Poldanor SA.<br />
dezentraler Energieversorgung und<br />
eröffnet so neue Chancen für Biomasse<br />
und -gas aus agrarischer Erzeugung.<br />
In Polen sind 18,5 Millionen Hektar Land<br />
landwirtschaftlich genutzt, das sind<br />
1,5 Millionen mehr als in Deutschland.<br />
Damit sind die benötigten Rohstoffe<br />
zum Betrieb von Biogasanlagen in Polen<br />
ausreichend vorhanden. Das Biomassepotenzial<br />
ermöglicht die Erzeugung<br />
von fünf Milliarden Kubikmeter Biogas.<br />
Dabei ist kalkuliert, dass vor allem<br />
Agrar-Nebenprodukte sowie Reststoffe<br />
aus Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie<br />
verwendet werden. Zudem<br />
sollen Pflanzen (inkl. Energiepflanzen)<br />
angebaut werden, die als Substrat in den<br />
Biogasanlagen dienen sollen.<br />
Erneuerbare Energien<br />
Gesetz auf drei Säulen<br />
Der Verkauf von Zertifikaten fördert auf Polens Energiemarkt die<br />
Produktion von Öko-Strom. Die Regeln dafür wurden überarbeitet.<br />
Anlässlich der Teilnahme Polens<br />
als Partnerland der BioGasWorld<br />
Messe 2012 hat die Abteilung für<br />
Handel und Investitionen der Botschaft<br />
der Republik Polen in Deutschland zusammen<br />
mit der Rechtskanzlei von Zanthier<br />
& Schulz eine neue Broschüre über<br />
die rechtlichen Rahmenbedingungen für<br />
Investoren auf dem polnischen Biogasmarkt<br />
herausgegeben. In der Broschüre<br />
werden auch Bestimmungen des Entwurfes<br />
des erneuerbaren Energiegesetzes<br />
vom Dezember 2011 in Kürze dargestellt.<br />
Anders als in Deutschland wird die<br />
Produktion von Energie aus erneuerbaren<br />
Energiequellen (EE) in Polen nicht<br />
durch eine gesetzlich festgelegte Einspeisevergütung,<br />
sondern durch ein System<br />
des Verkaufs von Zertifikaten geregelt.<br />
Den Kaufpreis müssen die polnischen<br />
Energieversorgungsunternehmen (EVU)<br />
durch eine gesetzlich festgelegte Pflicht<br />
zum Erwerb der Zertifikate bezahlen.<br />
Nach der Gesetzesnovelle von 2010,<br />
deren Regelungen teilweise erst zum<br />
01.01.2011 in Kraft getreten sind, können<br />
bei der Produktion von Biogas oder elektrischer<br />
Energie aus Biogas grundsätzlich<br />
zwei Arten von Zertifikaten generiert<br />
und verkauft werden: die grünen<br />
Zertifikate und die braunen Zertifikate.<br />
Beide Zertifikate werden nur gewährt,<br />
wenn der Strom aus einer erneuerbaren<br />
Energiequelle hergestellt wird. Wird Biogas<br />
in einer hocheffektiven Kraft-Wärme-<br />
Kopplungs-Anlage verbrannt, können<br />
die EE-Produzenten zusätzlich Zertifikate<br />
für die Produktion von Energie unter<br />
Einsparung von Primärenergie – wegen<br />
erhöhter Energieeffizienz – erhalten. Das<br />
sind die gelben und violetten Zertifikate.<br />
Aus dem derzeitigen polnischen Energiegesetz<br />
von 1997 soll nach den Plänen<br />
der Regierung das sogenannte Energieregulierungspaket<br />
entstehen, bestehend<br />
aus dem Energiegesetz, dem Gasgesetz<br />
und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz.<br />
Durch diese Änderung sollen die derzeitigen<br />
Vorschriften des Energiegesetzes<br />
geordnet, vereinfacht, verbessert und an<br />
die Bestimmungen des EU-Rechts angepasst<br />
werden. Im Dezember 2011 wurden<br />
die drei Gesetzesentwürfe vom Wirtschaftministerium<br />
veröffentlicht. Demgemäß<br />
soll das Energieregulierungspaket<br />
am 1. Juli 2012 (und teilweise am 1. Januar<br />
2015) in Kraft treten. Aus den Bestimmungen<br />
des Entwurfes zu den<br />
Förderungsmechanismen für erneuerbare<br />
Energiequellen <strong>geht</strong> hervor, dass<br />
das Zertifikatsystem aufrechterhalten<br />
werden soll und es somit auch künftig<br />
keine feste Einspeisevergütung wie in<br />
Deutschland geben wird. Das System soll<br />
aber eine ähnliche Sicherheit wie Einspeisetarife<br />
gewähren.<br />
HERAUSGEBER<br />
Botschaft der Republik Polen<br />
Abteilung für Handel und Investitionen<br />
Leipziger Platz 2, 10117 Berlin<br />
Projektleiter: Jan Masalski, Botschaftsrat<br />
Tel.: +49 (30) 20 62 26 70<br />
info@wirtschaft-polen.de<br />
www.berlin.trade.gov.pl<br />
BIOGASANLAGE: Die polnische Firma Poldanor SA produziert Öko-Strom.<br />
40 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
BERICHT<br />
Energieeinsparung<br />
Gewinnbringender<br />
Röhrenwechsel<br />
Vom 15. bis 20. April findet in Frankfurt am Main die weltgrößte<br />
Messe für Licht und Gebäudetechnik light+building statt.<br />
Schwerpunkt ist die Energieeffizienz. Da ist noch viel drin, denn die<br />
meisten Unternehmen verpassen immer noch Energiesparchancen.<br />
Rund 500 Millionen defekte Leuchtstoffröhren<br />
werden in Europa und<br />
in den USA jedes Jahr ausgewechselt<br />
– in Lagerhalle, in Produktionsgebäuden<br />
und Werkstätten, in Büros, in Geschäften<br />
und Einkaufszentren, in Hotels<br />
oder auf Bahnhöfen. Wer die alte Röhre<br />
nur durch eine neue ersetzt – und das ist<br />
die Regel – schmeißt gewissermaßen das<br />
Geld zum Fenster raus. Denn längst gibt<br />
es Alternativen in Gestalt der LED Tube,<br />
der Röhre, die mit Licht emittierenden<br />
Dioden bestückt ist. LED Tubes sind zwar<br />
teurer als herkömmliche Leuchtstoffröhren,<br />
dafür haben sie aber entscheidende<br />
Vorteile.<br />
BEISPIELRECHNUNG<br />
Einsatz von LED Tubes in einem Gewerbebetrieb<br />
ZERTIFIZIERTER HERSTELLER<br />
Ulrike Scheerer, Geschäftsführerin der<br />
ONTOPx LED GmbH: »LED-Leuchtmittel<br />
geben bereits beim Einschalten die volle<br />
Leuchtmenge ab, enthalten – <strong>anders</strong> als<br />
die meisten Energiesparlampen – kein<br />
giftiges Quecksilber, strahlen in angenehmeren<br />
Lichttönen und leben deutlich<br />
länger bei äußerst geringem Leuchtkraftverlust.<br />
Und sie sparen im Vergleich<br />
zu herkömmlichen Leuchtstoffröhren<br />
bis zu 70 Prozent Energie.« Das mittelständische<br />
Unternehmen ONTOPx aus<br />
Eppstein im Taunus hat als erster Hersteller<br />
von LED-Leuchtmitteln sowohl die<br />
Zertifizierung durch den Technischen<br />
Überwachung-Verein als auch durch den<br />
Verband der Elektrotechnik, Elektronik,<br />
Informationstechnik erreicht.<br />
Vorhandene Leuchtstoffröhren können problemlos gegen LED Tubes<br />
ausgetauscht werden. Die Investition amortisiert sich innerhalb sehr<br />
kurzer Zeit durch Energieeinsparungen und geringeren Wartungskosten:<br />
Alte Leuchtstoffröhren* Ersatz durch LED Tubes**<br />
Anzahl der Röhren 100 Tubes 100 Tubes<br />
Einsatzzeit 300 Tage/Jahr, 12 h/Tag 300 Tage/Jahr, 12 h/Tag<br />
Stromverbrauch 24.480 kWh/Jahr 8.280 kWh/Jahr<br />
Kosten 3.672 Euro/Jahr 1.242 Euro/Jahr<br />
CO 2 -Ersparnis<br />
9,9 t/Jahr<br />
Amortisationszeit<br />
20 Monate<br />
* T8, 1.500 mm, Stromverbrauch: 68 W/h, Strompreis: 0,15 Euro/kWh, Kosten je Röhre (inkl. Austausch):<br />
10 Euro/Jahr, Lebensdauer: 714 Tage/Röhre;<br />
** T8, 1.500 mm, Stromverbrauch: 23 W/h, Strompreis: 0,15 Euro/kWh, Kosten je Röhre: 49,95 Euro,<br />
Lebensdauer: 3.571 Tage/Röhre;<br />
Quelle: ONTOPx LED GmbH, LightDec® Tubes<br />
TUBES PASSEN IN ALTE FASSUNGEN<br />
LED-Leuchtmittel gibt es aber nicht nur<br />
als Röhren, sondern auch als Spots,<br />
Decken- und Flächenstrahler, Panele und<br />
Straßenleuchten. Sie spielen ihre Vorteile<br />
am ehesten bei langen Brenndauern<br />
aus. Im Bereich der mittelständischen<br />
Unternehmen sind beispielsweise Tankstellen,<br />
Einzelhändler mit langen Öffnungszeiten,<br />
Produktionsbetriebe, Werkstätten<br />
und Hotels geradezu prädestinierte<br />
Einsatzorte.<br />
Wer die Leuchtstoffröhren gegen LED<br />
Tubes austauscht, muss nicht gleich die<br />
ganze Lampe wechseln, denn die Tubes<br />
passen in die vorhandenen Fassungen.<br />
Auf die bei Leuchtstoffröhren unabdingbaren<br />
Vorschaltgeräte kann auch verzichtet<br />
werden, was die LED Tube an<br />
Elektronik benötig, ist in die Röhre bereits<br />
integriert. Trotz der höheren Anschaffungskosten<br />
amortisieren sich LED<br />
Tubes wegen der deutliche niedrigeren<br />
Strom- und Wartungskosten und der längeren<br />
Lebensdauer oft schon nach kurzer<br />
Zeit (siehe Beispielrechnung).<br />
ANGENEHME FARBEN UND STÄRKEN<br />
Warum viele Unternehmen beim Ersatz<br />
von Leuchtstoffröhren auf die Kosteneinsparung<br />
verzichten, erklärt ONTOPx-<br />
Geschäftsführerin Scheerer mit der<br />
Macht der Gewohnheit sowie mit immer<br />
noch vorhandenen Vorurteilen gegenüber<br />
LED-Leuchtmitteln. Doch mit den<br />
lichtschwachen Funzeln der ersten Generation<br />
haben die heutigen Produkte<br />
nichts mehr zu tun. Unternehmen, die<br />
auf LED-Leuchtmittel umgerüstet haben,<br />
loben das gleichmäßige und flimmerfreie<br />
Licht, das in von den Mitarbeitern<br />
als angenehm empfundenen Farben und<br />
Stärken strahlt.<br />
Den zügigen Einsatz von LED Tubes<br />
behindert aber auch die Marktmacht der<br />
großen Leuchtmittel- und Leuchten-<br />
ULRIKE<br />
SCHERER,<br />
Geschäftsführerin<br />
der ONTOPx<br />
LED GmbH.<br />
hersteller, die am weiteren Absatz ihrer<br />
etablierten Produkte interessiert sind, ist<br />
Ulrike Scheerer überzeugt.<br />
Natürlich hat die Sache auch eine Umwelt-<br />
und Klimawirkung. Wo Energie eingespart<br />
wird, sinkt auch die Freisetzung<br />
des Klimakillers CO 2 . In Deutschland<br />
werden 15 Prozent des verbrauchten<br />
Stroms für Beleuchtung eingesetzt. Den<br />
größten Anteil daran hat die Beleuchtung<br />
in Industrie, Gewerbe, Handel und<br />
Dienstleistungseinrichtungen.<br />
Würden ineffiziente Lampen und<br />
Leuchten durch solche höherer Effizienz<br />
ersetzt und bessere Steuerungen eingesetzt<br />
werden, könnte im Jahre 2015 allein<br />
durch wirtschaftliche Maßnahmen<br />
der Stromverbrauch um rund 16 Terawattstunden<br />
niedriger sein, so das Umweltbundesamt.<br />
Wer in seinem Betrieb<br />
demnächst alte Leuchtstoffröhren durch<br />
LED Tubes ersetzen lässt, spart nicht<br />
nur Betriebskosten, sondern verbessert<br />
die Ökobilanz des Unternehmens ganz<br />
erheblich.<br />
Peter Kanne<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 41
SERIE<br />
M arken<br />
acher<br />
ärkte<br />
Zabag Anlagentechnik GmbH<br />
Sicherheit bei<br />
Toreschluss<br />
Firmengründer Michael Simon<br />
hat mit Ideen und einem starken Team<br />
die Zabag Anlagentechnik GmbH<br />
im erzgebirgischen Grünhainichen<br />
zu einem Top-Hersteller für Pforten<br />
und Umzäunungen gemacht. Sie<br />
genügen höchsten Sicherheitsanforderungen.<br />
Das sächsische Unternehmen<br />
expandiert seit Jahren kontinuierlich.<br />
Königshäuser, Botschaften und<br />
Betreiber von Kernkraftwerken zählen<br />
zu der Schar internationaler Kunden.<br />
Fotos: H. Lachmann<br />
42 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
MANGELWARE LEHRLINGE<br />
Verstärkt wurde in letzter Zeit auch die<br />
Niederlassung, die die Ostdeutschen im<br />
westfälischen Paderborn unterhalten.<br />
Hier hatte Zabag 2007 einen Mitbewerber<br />
gekauft. »Ossis übernehmen Wessis,<br />
die nun den Service für Ossis machen«,<br />
schmunzelt Simon ein wenig über den<br />
Deal, der ihm und seinem Mitgesellschafter<br />
Rico Heinrich da gelungen war.<br />
Mittlerweile beschäftigt Zabag 99 Mitarbeiter.<br />
»Längst sollten es über hundert<br />
sein«, ärgert sich Simon. »Doch finde mal<br />
einer heutzutage gutes Personal.« Im ingenieurtechnischen<br />
wie im handwerklichen<br />
Bereich – etwa Schweißer und Elektriker<br />
– fehle es an geeigneten Leuten.<br />
Lehrlinge seien rar im Erzgebirge, vor<br />
allem solche, die nicht mit Mathe und<br />
Physik auf Kriegsfuß stünden. Fünf hätte<br />
er im letzten Herbst gern genommen,<br />
nur für einen entschied er sich.<br />
Dennoch schwört der bodenständige<br />
Unternehmer, der sich seit kurzem sogar<br />
»Botschafter des Erzgebirges« nennen<br />
darf, auf die Berge wie auf seine Truppe.<br />
Sie hätten einen guten Stamm an Facharbeitern,<br />
auch dank der Industrie, die hier<br />
einst angesiedelt war – dkk Scharfen-<br />
K<br />
ann ein Eisentor, und sei es noch<br />
so fest aus edlem Stahl verschweißt,<br />
einen mittelschweren Lkw aufhalten,<br />
wenn der mit gut 40 Sachen darauf<br />
zu donnert? »Es muss halten!«, versichert<br />
Michael Simon. Zumindest wenn es das<br />
Siegel von Zabag am Pfosten kleben habe.<br />
»Wie wir das gemacht haben?« Der 53-<br />
jährige schaut zufrieden: »Wir integrierten<br />
in die Toranlage ein Stahlseil, das die<br />
tonnenschweren Aufprallkräfte dann in<br />
den Boden ableitet.« Konkret ging es<br />
um die Dubliner Niederlassung des Softwaregiganten<br />
Microsoft.<br />
Tore sind Simons Element. Dabei fasst<br />
dieses Wort eigentlich viel zu kurz angesichts<br />
der raffinierten Zugangsanlagen,<br />
Drehkreuze und Schrankensysteme, die<br />
er mit seinem Team plant, projektiert<br />
und fertigt. Die Konstruktionen aus<br />
Grünhainichen schützen heute Botschaften,<br />
internationale Flughäfen, Atomkraftwerke,<br />
Gefängnisse und forensische<br />
Anstalten. Wahlweise bestücken die<br />
Sachsen die Hightech-Pforten auch mit<br />
elektronischen Schleusen, Lichtschranken<br />
oder Einrichtungen, die das Kennzeichen<br />
jedes passierenden Fahrzeuges<br />
erfassen. In Zeiten von weltweitem Terror<br />
lasse sich praktisch jeder noch so unbescheidene<br />
Sicherheitswunsch erfüllen,<br />
versichert Simon. Größte Herausforderung<br />
sei bisher eine Atomwiederaufbereitungsanlage<br />
in Bayern gewesen.<br />
US-BOTSCHAFT UND ANDERE KUNDEN<br />
Nahezu jede ihrer Anlagen ist ein Unikat.<br />
»Bei uns gibt es nichts von der Stange,<br />
wir arbeiten auftragsbezogen«, sagt der<br />
Maschinenbauingenieur, der längst auch<br />
Profi für Lasertechnik und IT-Finessen<br />
ist. »Unsere Stärke besteht darin, dass wir<br />
sehr individuell arbeiten können.« Darum<br />
bezögen die Kunden sie bereits früh<br />
in die Planung ein; dann seien sie bis zur<br />
Endmontage vor Ort unverzichtbar.<br />
Kunden hat Zabag weltweit, von England<br />
bis Indien, von Skandinavien bis<br />
Afrika. In Schweden und Finnland umfriedeten<br />
sie zuletzt vier Kernkraftwerke,<br />
in Stockholm die US-Botschaft, in Delhi<br />
die der Bundesrepublik, am Frankfurter<br />
Airport das Terminal 3. Voriges Jahr ließ<br />
sich sogar das saudische Königshaus im<br />
Erzgebirge zwei Teleskop-Schiebetore<br />
maßschneidern. Zabag arbeitet für Siemens,<br />
Daimler, Bosch. »Alles überaus kritische<br />
Kunden«, sinniert Simon respektvoll.<br />
Wenn dort mal ein Defekt in der<br />
Zugangssicherung auftrete, müsse man<br />
in vier, fünf Stunden vor Ort sein, bei Gefängnissen<br />
sogar nach drei.<br />
Simon hat das Unternehmen von Null<br />
aufgebaut. Das Firmenkürzel Zabag steht<br />
heute für Zugangsanlagenbau. Einst lei-<br />
tete sich das von Zaunbau Grünhainichen<br />
ab. Michael Simon begann seine<br />
Karriere ähnlich wie Bill Gates: In einer<br />
Garage fertigte er mit zwei Partnern Zäune<br />
für Eigenheime und Sportplätze. Vorher<br />
waren sie in der ostdeutschen Motorradschmiede<br />
MZ Zschopau tätig. Doch<br />
als die Entlassung drohte, suchten sie<br />
ihr Heil in der Selbstständigkeit. 1990<br />
war das. Seither <strong>geht</strong> es steil bergauf.<br />
»Zäune machen wir seit 1999 nicht<br />
mehr«, berichtet Simon, der Hauptgeschäftsführer.<br />
Dass sie tief im Erzgebirge,<br />
quasi »hinter den sieben Bergen« liegen,<br />
wie er es lächelnd nennt, sieht er dabei<br />
als Vorteil. So haben sie sich »unbeobachtet<br />
von der Konkurrenz« entwickeln können.<br />
Sie bauten neu, erweiterten mehrfach<br />
das Werk, investierten Millionen.<br />
Heute sind sie eine Top-Adresse im verschwiegenen<br />
Metier. »Wir spielen in einer<br />
Liga, wo man empfohlen wird, wo<br />
SCHRANKEN-SPEZI: Zabag-Chef Michael<br />
Simon verkauft Spezialtechnik weltweit.<br />
Kunden auf einen zukommen«, so der<br />
Manager, der sich auch ein passables<br />
Englisch zugelegt hat. Vor allem der Auslandsmarkt<br />
wachse extrem: »Im Januar<br />
haben wir nur für Schweden gearbeitet,<br />
den Februar über für die Schweiz.«<br />
2011 wuchs der Auftragseingang um<br />
60 Prozent gegenüber dem Vorjahr, womit<br />
zwangsläufig auch die Wartezeiten<br />
für die Kunden zunahmen. Simon stellte<br />
letztes Jahr zehn neue Leute ein, setzte<br />
sieben Millionen Euro um. Bisher wurden<br />
die Aufträge auf einer gut 4.000 Quadratmeter<br />
großen Fläche realisiert, nahe<br />
dem Wasserwerk in Grünhainichen.<br />
Doch mittlerweile reichen diese Kapazitäten<br />
weder vorn noch hinten. So eröffnete<br />
vor gut einem Jahr im osterzgebirgischen<br />
Rechenberg-Bienenmühle<br />
eine zweite Produktionsstätte. Zabag<br />
übernahm hier mehrere Produktionshallen<br />
sowie einen umfangreichen Maschinenpark<br />
von der einstigen Niederlassung<br />
eines amerikanischen Unternehmens,<br />
das Baugruppen für Bagger produziert<br />
hatte. Nunmehr entstehen auch hier<br />
SERIE<br />
Schiebe- und Standardtore aus Stahl, Aluminium<br />
und Edelstahl. Mithin konnte<br />
das sächsische Unternehmen seine Fertigungsmöglichkeiten<br />
vor allem in den<br />
Bereichen Metall- und Blechbearbeitung<br />
erweitern. Überdies verfüge die Firma in<br />
Rechenberg-Bienenmühle nun auch über<br />
Platz, sehr große Toranlagen zu fertigen,<br />
freut sich Simon. Daneben will der Firmenchef<br />
zudem eine Lohnfertigung für<br />
andere Firmen aufnehmen.<br />
stein oder der Spinnereimaschinenbau<br />
in Flöha. Seit 1995 bildete Zabag gut 25<br />
Lehrlinge aus.<br />
Auch Simons Tochter und Sohn arbeiten<br />
bereits im Unternehmen. Aber nicht<br />
gleich im Management. »Sie sollen selbst<br />
erfahren, wie schwer der Mond ist«, beschreibt<br />
es der Vater. Es hätte ihn gestört,<br />
wenn sie gleich oben eingestiegen wären,<br />
ohne sich bei der altgedienten Belegschaft<br />
erste Sporen erarbeitet zu haben.<br />
Das Bild mit dem Mond kommt dabei<br />
nicht von ungefähr. Nachdem Michael Simon<br />
früher ein leidenschaftlicher Karnevalist<br />
war, legt er nunmehr eine tiefe<br />
philosophische Ader in sich frei. Ja, es sei<br />
schon irgendwie auch die Suche nach<br />
dem Sinn des Lebens, räumt er ein. Er<br />
macht sich Gedanken, was die Welt in<br />
ihrem Innersten zusammenhält, wofür<br />
es zu streiten, wofür es zu leiden lohnt.<br />
Und er wirkt, als sei er hierbei ziemlich<br />
im Reinen mit sich.<br />
Harald Lachmann<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 43
W&M-SERVICE<br />
DAS<br />
THEMA<br />
GRÜNDER<br />
Staat reduziert<br />
Zuschüsse<br />
Der Gründungszuschuss fördert<br />
Arbeitslose beim Start<br />
in die Selbständigkeit. Doch<br />
nun gibt es weniger Geld.<br />
Es ist eine Gesetzmäßigkeit:<br />
Verharrt die Arbeitslosigkeit<br />
auf hohem Niveau, versucht der<br />
Staat Arbeitslose mit Zuschüssen<br />
aller Art und Lobpreisungen<br />
von Eigeninitiative und Unternehmergeist<br />
in die Selbständigkeit<br />
zu locken. Brummt die<br />
Wirtschaft hingegen, werden<br />
die Förderprogramme radikal<br />
zusammengestrichen. Dann sollen<br />
Arbeitslose gefälligst die<br />
freien Stellen in der Wirtschaft<br />
abdecken. So geschah es auch<br />
zu Beginn dieses Jahres. Statt<br />
1,9 Milliarden Euro stehen nun<br />
nur noch eine Milliarde Euro an<br />
Haushaltsmitteln zur Verfügung.<br />
Die wichtigsten Änderungen<br />
benennt Dr. Andreas Lutz,<br />
Fachautor des Ratgebers »Gründungszuschuss<br />
und Einstiegsgeld«<br />
(Linde Verlag, 4. akt. Auflage<br />
2011, 216 Seiten, 19,90<br />
Euro): »Man muss den Gründungszuschuss<br />
zwei Monate<br />
früher beantragen. Die Grundförderung<br />
(Arbeitslosengeld I<br />
plus 300 Euro) fließt sechs statt<br />
bisher neun Monate. Zudem bekommt<br />
nicht mehr jeder den<br />
Zuschuss: Die Vergabe erfolgt<br />
nach Ermessen im Rahmen der<br />
deutlich gekürzten Budgets.<br />
Man muss sich also mehr Mühe<br />
bei der Antragstellung geben<br />
als bisher.« Aus der Sicht des<br />
Gründungsexperten Lutz ein<br />
Ärgernis, denn Experten haben<br />
dem Förderinstrument<br />
hinsichtlich seiner Effizienz eigentlich<br />
ein gutes Zeugnis ausgestellt.<br />
Lutz: »Weniger als zehn<br />
Prozent der Geförderten<br />
werden wieder arbeitslos, rund<br />
70 Prozent bleiben hauptberuflich<br />
selbständig.« Und die<br />
Gehälter, betont Lutz, liegen einige<br />
Jahre nach der Förderung<br />
im Durschschnitt deutlich über<br />
dem Verdienst anderer ehemals<br />
Arbeitsloser.<br />
MOBBING<br />
Mehr als nur<br />
ein Streit<br />
Nicht jeder Zwist im Unternehmen<br />
erfüllt den Tatbestand<br />
des Mobbings, so<br />
ein aktuelles Urteil.<br />
Um einen solchen Streit als<br />
Mobbing zu qualifizieren,<br />
muss es zu gezielten Beleidigungen,<br />
Einschüchterungsversuchen<br />
oder Erniedrigungen<br />
kommen. Länger andauernder<br />
Zwist erfüllt nicht<br />
automatisch die Voraussetzungen<br />
für das so genannte<br />
Mobbing im Unternehmen.<br />
Dazu gehöre die Schaffung<br />
eines feindlichen Umfeldes,<br />
so das Landesarbeitsgericht<br />
Hamm in einem Urteil (Az. 11<br />
Sa 722/10).<br />
Geklagt hatte ein Oberarzt<br />
gegen seinen früheren Chef.<br />
Von diesem fühlte er sich schikaniert<br />
und wollte Einkommenseinbußen<br />
aufgrund<br />
einer notwendig gewordenen<br />
ärztlichen Behandlung ausgeglichen<br />
sehen.<br />
Die Richter jedoch waren<br />
überzeugt, dass der Beklagte<br />
die Grenzen eines sozial- und<br />
rechtsadäquaten Verhaltens<br />
in typischen beruflichen Konfliktsituationen<br />
nicht überschritten<br />
habe.<br />
IM UNTERNEHMEN<br />
HOTEL<br />
Aufzug in die<br />
Katastrophe<br />
Eine fehlerhaft programmierte<br />
Aufzugsanlage verursachte<br />
bei drei Hotelgästen<br />
schwere Verletzungen.<br />
Ein Generalunternehmer war<br />
mit dem Umbau eines historischen<br />
Gebäudes zu einem Hotel<br />
beauftragt. Er ließ durch<br />
einen Subunternehmer eine<br />
Aufzugsanlage einbauen.<br />
2006 trat ein Schaden auf, bei<br />
dem aus den Rohrleitungen<br />
der Fernwärmeanlage im Untergeschoss<br />
massiv Heißwasser<br />
austrat. Der Wasserdampf<br />
löste Brandalarm aus. Darauf<br />
fuhr der Aufzug automatisch<br />
ins Erdgeschoss und blieb<br />
dort mit offener Tür stehen.<br />
Drei Hotelgäste stiegen ein.<br />
Statt ins Obergeschoss fuhr<br />
der Aufzug wegen eines erneuten<br />
Alarms aber ins Untergeschoss.<br />
Dort öffnete sich die<br />
Tür und das eindringende<br />
Heißwasser fügte den Hotelgästen<br />
schwere Verbrennungen<br />
zu. Dafür haftet nun der<br />
Generalunternehmer. Seine<br />
Werkleistung sei mangelhaft,<br />
weil die Aufzugssteuerung<br />
nicht fachgerecht programmiert<br />
war (OLG Hamm, Az. I-<br />
21 U 167/10).<br />
VERKEHRSZENTRALREGISTER<br />
Fast neun Millionen Sünder<br />
Verkehrsminister Peter Ramsauer will die Verkehrssünderkartei<br />
reformieren. Ein Vorhaben, dass eine große Zahl der Bundesbürger<br />
betrifft. Immerhin haben fast neun Millionen Autofahrer<br />
Punkte in Flensburg gesammelt.<br />
Im VZR registrierte Personen am 1. Januar 2011 8.995.000<br />
Im Jahr 2010 registrierte Zuwiderhandlungen<br />
Straftaten 273.000<br />
Ordnungswidrigkeiten 4.383.000<br />
Drogenverstöße 175.000<br />
Unfallflucht 36.000<br />
Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt<br />
URTEIL AKTUELL<br />
Der Fall und DIE FOLGEN<br />
Haftung für<br />
Geldautomaten<br />
DER FALL: Ein Kunde erhielt<br />
eine Kreditkarte. Für diese<br />
war der Höchstbetrag für<br />
Bargeldauszahlungen auf 1.000<br />
Euro pro Tag begrenzt. Einen<br />
Verlust der Karte musste der<br />
Kunde unverzüglich melden.<br />
Bis zum Eingang dieser Verlustmeldung<br />
sollte er nur bis zu einem<br />
Höchstbetrag von 50 Euro<br />
haften. Nun kam es von seinem<br />
Konto zu sechs Abhebungen zu<br />
je 500 Euro, wobei die persönliche<br />
Identifikationsnummer<br />
(PIN) verwendet wurde. Der Beklagte<br />
widersprach den Abbuchungen<br />
und kündigte den<br />
Kreditkartenvertrag. Die Bank<br />
hingegen verlangte den Abbuchungsbetrag<br />
zurück und<br />
argumentierte, der Beklagte<br />
habe die Geheimhaltungspflicht<br />
seiner PIN verletzt.<br />
DAS URTEIL: Zunächst bekam<br />
die Bank in zwei Instanzen<br />
Recht. Sie beriefen sich auf<br />
die Rechtsprechung des BGH,<br />
wonach bei einer Verwendung<br />
der Originalkarte der Beweis<br />
des ersten Anscheins dafür<br />
spreche, dass der Kunde seine<br />
Sorgfaltspflichten vernachlässigt<br />
habe. Der BGH (Az. XI ZR<br />
370/10) stellte aber nun klar,<br />
dies gelte nur bei der Verwendung<br />
der Orginalkarte, nicht<br />
bei einer von Betrügern erstellten<br />
Kartenkopie. Im übrigen<br />
gelte die Haftungsbegrenzung<br />
für den Kunden auf 50 Euro<br />
auch bei schuldhafter Verletzung<br />
seiner Sorgfaltspflichten.<br />
Außerdem sei die maximale<br />
Abhebungsgrenze von 1.000<br />
Euro einzuhalten gewesen.<br />
DIE FOLGEN: Die Banken<br />
müssen nun beweisen, dass die<br />
Orginalkarte eingesetzt wurde.<br />
Dies dürfte schwer fallen. Kunden<br />
werden einwenden, ihre<br />
Karte sei gestohlen und die<br />
Daten für eine Kopie ausgelesen<br />
worden. Außerdem müssen<br />
Banken dafür sorgen, dass<br />
Abhebungsgrenzen in jedem<br />
Fall eingehalten werden.<br />
44 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
W&M-SERVICE<br />
URLAUB<br />
Alkohol sorgt<br />
für Ärger<br />
Eigener Alkohol an Bord<br />
eines Kreuzfahrtschiffes<br />
wird von den Reedereien<br />
nicht gern gesehen.<br />
Ein Reisender wollte zwei Flaschen<br />
Whiskey mit an Bord eines<br />
Kreuzfahrtschiffs nehmen.<br />
Doch die Reederei lehnte ab.<br />
Schließlich gäbe es ja auch<br />
eine Bordbar. Als er sich weigerte,<br />
die Flaschen abzugeben,<br />
wurde er des Schiffes verwiesen.<br />
Das Amtsgericht Frankfurt<br />
(Az. 385 C 2455/10) zeigte dafür<br />
kein Verständnis. Unter anderem<br />
musste die Reederei Schadenersatz<br />
für die entgangenen<br />
Urlaubsfreuden und die Erstattung<br />
der Kosten für den Rückflug<br />
leisten. Der Verweis wäre<br />
nur dann gerechtfertigt gewesen,<br />
wenn das Verhalten des<br />
Mannes Auswirkungen auf<br />
Schiff, Besatzung oder Passagiere<br />
gehabt hätte. Doch eine<br />
solche Gefahr gehe von zwei<br />
Flaschen Whiskey nicht aus<br />
und der Mann sei auch nicht<br />
angetrunken gewesen.<br />
DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />
Rund neun Millionen Deutsche teilen ein<br />
gemeinsames Schicksal: Ihre Verkehrssünden<br />
sind im so genannten Verkehrszentralregister<br />
erfasst. Bei 52 Millionen Führerscheininhabern<br />
ein hoher Anteil. Frauen – so die Zahlen, die für<br />
2010 veröffentlicht wurden – sind davon weit<br />
weniger betroffen. Lediglich 22 Prozent der<br />
registrierten Sünder sind weiblichen Geschlechts.<br />
Insgesamt wurden 47 Millionen<br />
Punkte angehäuft. 5.000 Fahrverbote werden<br />
pro Jahr ausgesprochen. Künftig werden es<br />
jährlich 500 Führerscheinentzüge mehr sein,<br />
prognostiziert das Bundesverkehrsministerium,<br />
das die Flensburger Kartei grundlegend<br />
reformieren will. Statt des bisher differenzierten<br />
Systems von einem bis sieben Punkten gibt<br />
es künftig nur noch einen Punkt für schwere<br />
RECHT IM ALLTAG<br />
FREIZEIT<br />
Augen auf<br />
beim Dauerlauf<br />
Erst von einem Schwan attackiert,<br />
dann über ein Erdloch<br />
gestolpert – ein Jogger<br />
wurde vom Pech verfolgt.<br />
Zumindest für den Sturz wollte<br />
er die Gemeinde haftbar machen.<br />
Doch auch hier hatte er,<br />
in Ahnlehnung an die alte Fußballerweisheit,<br />
»erst kein<br />
Glück und dann kam auch<br />
noch Pech dazu«. Der Jogger<br />
war auf dem Moseluferweg gelaufen.<br />
Dort musste er einem<br />
wild gewordenen Schwan ausweichen.<br />
Dabei stolperte er am<br />
Rand des Weges über ein Loch<br />
im Asphalt. Die Unebenheit<br />
hielt er der Gemeinde als Verletzung<br />
des Verkehrssicherungspflicht<br />
vor. Doch das OLG<br />
Koblenz (Az. 5 U 196/11) ließ<br />
ihn <strong>anders</strong> als die Vorinstanz<br />
abblitzen. Unebenheiten seien<br />
bei einem Uferweg immer einzukalkulieren.<br />
Auch wenn er<br />
vor einem brünftigen Schwan<br />
fliehen müsse, habe der Jogger<br />
den Zustand des Weges im<br />
Auge zu behalten.<br />
Künftig jährlich 500 Fahrverbote mehr<br />
AUTOKAUF<br />
Vorführwagen<br />
kann neu sein<br />
Auch bei Vorführwagen<br />
kann eine Verpflichtung zur<br />
Angabe des Spritverbrauchs<br />
in der Werbung bestehen.<br />
In der Werbung für Neuwagen<br />
müssen laut Pkw-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung<br />
Angaben zum Kraftstoffverbrauch<br />
des angebotenen<br />
Fahrzeugs gemacht werden.<br />
Gilt dies auch für einen<br />
Vorführwagen, der bereits 500<br />
Kilometer gefahren war? Der<br />
BGH (Az. I ZR 190/10) entschied:<br />
»Bietet ein Händler ein<br />
Fahrzeug mit einer geringen<br />
Kilometerleistung (bis 1.000<br />
Kilometer) an, ist davon auszugehen,<br />
dass er dieses Fahrzeugs<br />
zum Zwecke des Weiterverkaufs<br />
erworben hat. Damit<br />
habe der Vorführwagen Neuwageneigenschaften,<br />
wie sie in<br />
der auf EU-Recht basierenden<br />
Verordnung definiert sind. Erst<br />
bei höherer Laufleistung ist<br />
davon auszugehen, dass der<br />
Wagen auch der Eigennutzung<br />
des Händlers diene.<br />
Von MATTHIAS SALM,<br />
Wirtschaftsjournalist, Berlin<br />
und zwei Punkte für sehr schwere Verstöße.<br />
Führerscheinentzug droht schon bei acht statt<br />
bisher 18 Punkten. Nicht sicherheitsrelevante<br />
Verstöße wie das unerlaubte Einfahren in Umweltzonen<br />
sollen künftig nicht mehr erfasst<br />
werden. Ein Punkteabbau durch Nachschulungen<br />
entfällt, dafür verjähren die Punkte nun.<br />
Das leidige Weiterleben des angehäuften Punktebestands<br />
bei neuen Verstößen wird abgeschafft<br />
– dies ist die vermutlich beste Nachricht.<br />
Die Kritik, dass unterschiedliche<br />
Verkehrsverstöße nun gleich bewertet werden,<br />
kontert das Bundesverkehrsministerium mit<br />
einschlägigen Studien, denen zufolge die Anzahl<br />
der Eintragungen der beste Indikator für<br />
ein erhöhtes Verkehrsrisiko seien, nicht die<br />
Zahl der Punkte oder die Art der Verstöße.<br />
➔<br />
Recht KOMPAKT<br />
GASTRONOMIE<br />
Besser aufpassen<br />
Heißer Kaffee auf der Hose – in<br />
anderen Teilen der Erde gibt es in<br />
solchen Fällen vor Gericht reichlich<br />
Schadenersatz.<br />
In Deutschland gilt hingegen meist<br />
die Devise: selber aufpassen. So<br />
auch im Fall einer Kundin, die am<br />
Drive-in eines Fast-Food-Restaurants<br />
einen Kaffee orderte. Der landete<br />
brühheiß auf ihren Beinen. Schmerzensgeld<br />
gab es dennoch nicht. Die<br />
Richter am LG München I (Az. 30 S<br />
3668/ 11) befanden, dass die<br />
Kundin auch bei einem vom Mitarbeiter<br />
unsachgemäß aufgebrachten<br />
Plastikdeckel auf dem Pappbecher<br />
für die Abwendung von Gefahren in<br />
erster Linie eigenverantwortlich sei.<br />
STREIKBRECHER<br />
Ohne Erlaubnis<br />
Für den Einsatz von Streikbrechern<br />
muss der Arbeitgeber keine Erlaubnis<br />
vom Betriebsrat des betroffenen<br />
Betriebs einholen.<br />
Dies wäre nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts<br />
(Az. 1 ABR 2/10) eine<br />
ernsthafte Beeinträchtigung der Arbeitskampffreiheit.<br />
Eine rechtzeitige<br />
Information des Betriebsrates muss<br />
allerdings erfolgen.<br />
VERSETZUNG<br />
Unerwünschter Flirt<br />
Ein Bankmitarbeiter stellte einer<br />
Kundin nach. Den Missbrauch der<br />
Kundendaten sankitionierte die<br />
Bank mit einer Versetzung.<br />
Dafür bekam die Bank allerdings vor<br />
dem Landesarbeitsgericht Rheinland-<br />
Pfalz (Az. 10 Sa 329/11) einen Rüffel.<br />
Der Mitarbeiter hatte sich aus<br />
den Kundendaten die Handynummer<br />
einer Kundin besorgt und dieser per<br />
SMS Avancen gemacht. Es war nicht<br />
der erste Versuch des verheirateten<br />
Mannes, mit der Kundin anzubandeln.<br />
Die fühlte sich allerdings von<br />
dem liebestollen Bankberater belästigt<br />
und beschwerte sich bei der<br />
Bank, die den Mitarbeiter umgehend<br />
zwangsversetzte. Die Versetzung traf<br />
den Mitarbeiter auch finanziell, da die<br />
neue Stelle mit gut 300 Euro weniger<br />
dotiert war. Zu drastisch sei die Reaktion<br />
ausgefallen, urteilten die Richter.<br />
Erst hätte eine Abmahnung erfolgen<br />
müssen. Der Missbrauch der Kundendaten<br />
zur privaten Kontaktaufnahme<br />
stellte aus der Sicht der Arbeitsrichter<br />
kein besonders schweres Fehlverhalten<br />
dar.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 45
W&M-SERVICE<br />
DAS<br />
THEMA<br />
INTERVIEW<br />
ZUKUNFTSTRENDS<br />
Umweltkosten<br />
werden steigen<br />
Zehn große Zukunftstrends<br />
werden das Wachstum aller<br />
Unternehmen weltweit beeinflussen,<br />
meldet KPMG.<br />
Als die relevanten Faktoren in<br />
den nächsten 20 Jahren identifiziert<br />
die Unternehmensberatung:<br />
Klimawandel, Energie<br />
und Treibstoff, materielle<br />
Ressourcenknappheit, Wasserknappheit,<br />
Bevölkerungswachstum,<br />
Wohlstand, Urbanisierung,<br />
Ernährungssicherheit,<br />
Verfall der Ökosysteme<br />
sowie Entwaldung.<br />
In Summe müssten sich Unternehmen<br />
vor allem auf steigende<br />
Umweltkosten einstellen,<br />
resümiert die Studie. Ressourcenknappheit,<br />
Klimawandel<br />
und das Wachstum in den<br />
Schwellenländern übten auf<br />
Länder und Gesellschaft einen<br />
immer größeren Druck aus.<br />
Die Folgen seien steigende<br />
Kosten für die Wirtschaft.<br />
Nach Angaben von KPMG-Geschäftsführer<br />
Peter Ertl sind<br />
die externen Umweltkosten in<br />
elf Hauptindustriesektoren<br />
seit 2002 um 50 Prozent gestiegen.<br />
Nur: In Geschäftsberichten<br />
tauchten die Kosten meist<br />
nicht auf, weil sie oft monetär<br />
nicht zuzuordnen seien. Müssten<br />
Industriefirmen die Umweltkosten<br />
mit einbeziehen,<br />
verringerte sich ihr Gewinn<br />
auf Basis 2010 im Durchschnitt<br />
und in US-Dollar um 41 Cent.<br />
Auf eine entsprechende Berichtspflicht<br />
sollten sich Unternehmen<br />
nach KPMG-Meinung<br />
jedoch einstellen.<br />
Chance der Entwicklung sei:<br />
Wer ein strategisches Nachhaltigkeitsmanagement<br />
betreibe,<br />
erarbeite sich einen Wettbewerbsvorteil.<br />
In Deutschland<br />
dokumentieren mittlerweile<br />
73 Prozent der Dax-und MDax-<br />
Unternehmen ihre Bemühungen<br />
um Nachhaltigkeit mit<br />
einem eigenen Bericht. Mehr<br />
zur Studie der KPMG unter:<br />
www.kpmg.com<br />
AUTOMOBIL<br />
Technologien<br />
als Motor<br />
Der internationale Automobilmarkt<br />
soll 2012 um<br />
vier Prozent wachsen.<br />
Das wird nicht einfach.<br />
Schon jetzt machen deutsche<br />
Automarken 20 Prozent der<br />
weltweit verkauften Fahrzeuge<br />
aus, so der Verband der Automobilindustrie<br />
(VDA). Nachdem<br />
deutsche Autobauer am<br />
Jahresanfang schon die Millionen-Marke<br />
beim Absatz in<br />
den USA geknackt hätten, erwartet<br />
VDA-Präsident Matthias<br />
Wissmann für das laufende<br />
Jahr auf dem US-Markt<br />
weiteres Wachstum – weltweit<br />
sogar vier Prozent. Allerdings<br />
werde das »ein sehr hartes<br />
Arbeitsjahr«. Mehr als 20<br />
Milliarden Euro habe die Automobilindustrie<br />
in den letzten<br />
Jahren in Forschung und<br />
Entwicklung investiert. Das<br />
zahle sich jetzt aus. Davon<br />
profitieren auch die Zulieferer:<br />
Die Analysten der equinet<br />
Bank raten zum Kauf der Kabelspezialisten<br />
Leoni (WKN<br />
540 888) mit einem Kursziel<br />
von 41 Euro. Die Nürnberger<br />
meldeten starke Q4-Zahlen.<br />
AKTIENMARKT<br />
MASCHINENBAU<br />
Positiver Blick<br />
in die Zukunft<br />
Die Maschinenbauer haben<br />
von einem starken<br />
Jahr 2011 profitiert und<br />
genießen gute Aussichten.<br />
Mit bis zu fünf Prozent<br />
Wachstum rechnet der Verband<br />
Deutscher Maschinenund<br />
Anlagenbau (VDMA)<br />
2012. Vor allem im Bereich<br />
Bau- und Baustoffmaschinenbauer,<br />
Holzverarbeitungsmaschinen,<br />
Kunststoff- und<br />
Gummimaschinen sowie<br />
Werkzeugmaschinen seien<br />
die Hersteller optimistisch.<br />
Im vergangenen Jahr boomte<br />
die deutsche Maschinenbau-<br />
Branche geradezu und legte<br />
um satte zehn Prozent zu. Als<br />
stabile Abnehmer deutscher<br />
Maschinen hätten sich Länder<br />
wie China, Russland oder Brasilien<br />
erwiesen. Mit »kaufen«<br />
empfehlen die Experten von<br />
Close Brother Seydler den General-Standard-Wert<br />
von<br />
M.A.X. Automation (WKN 658<br />
090). Der Konzern sei auf Umwelttechnik<br />
und Industrieautomation<br />
fokussiert und sehe<br />
dort nach eigenen Angaben<br />
noch Wachstumspotenzial.<br />
DAX BÖRSENSTARS<br />
+<br />
WKN 519000 BMW + 26,20%<br />
WKN 716460 SAP + 24,51%<br />
WKN A1EWWW Adidas + 23,59%<br />
WKN 766403 Volkswagen + 22,31%<br />
WKN 648300 Linde + 20,84%<br />
BMW: Der Autobauer legte im Jahr 2011 das beste Ergebnis seiner Unternehmensgeschichte<br />
hin. Zudem wollen die Münchner den Rekordkurs in diesem Jahr halten<br />
Kurs-Performance 1 Jahr; Schluss: 12.03.2012<br />
DAX BÖRSENFLOPS<br />
–<br />
WKN 803200 Commerzbank - 61,31%<br />
WKN 725750 Metro - 44,80%<br />
WKN 823212 Deutsche Lufthansa - 34,28%<br />
WKN KSAG88 K+S - 33,47%<br />
WKN 750000 ThyssenKrupp - 31,04%<br />
Commerzbank: Die jüngste Kapitalerhöhung konnte dem Papier keinen weiteren<br />
Schwung geben. Nach der Januar-Kursrally scheinen Anleger zunächst noch abzuwarten.<br />
Kurs-Performance 1 Jahr; Schluss: 12.03.2012<br />
Quelle: W&M, ohne Gewähr<br />
HANS JOACHIM<br />
REINKE<br />
Vorstandsvors.<br />
Union Investment<br />
zur Finanztransaktionssteuer<br />
Privatanleger zahlen<br />
W&M: Herr Reinke, warum wehrt<br />
sich die Fondsbranche gegen eine<br />
Finanztransaktionssteuer?<br />
REINKE: Wir lehnen die FTT<br />
nicht grundsätzlich ab. Doch<br />
wenn auch Investmentfonds<br />
belastet würden, träfe es vor<br />
allem private Vorsorgesparer.<br />
Die Zeche sollen also diejenigen<br />
zahlen, die nun wirklich<br />
nicht die Verursacher der<br />
Finanzkrise sind und sowieso<br />
schon über Rettungsschirme<br />
zur Kasse gebeten werden.<br />
Fondssparer würden zudem<br />
gleich mehrfach besteuert:<br />
Beim Kauf und Verkauf von Anteilsscheinen<br />
und bei Transaktionen<br />
innerhalb des Fonds.<br />
W&M: Wie stark würde die private<br />
Rente leiden?<br />
REINKE: Wenn sich das Konzept<br />
der EU-Kommission<br />
durchsetzt, erhalten private<br />
Fonds-Sparer, zum Beispiel bei<br />
einer Riester-Rente, eine signifikant<br />
niedrigere Rentenzahlung.<br />
Bei einem Vertrag mit<br />
40 Jahren Laufzeit und 100 Euro<br />
monatlicher Sparleistung<br />
drückt die Steuer die Auszahlung<br />
im Alter um mehr als<br />
14.000 Euro.<br />
W&M: Wird die Finanzindustrie<br />
auch zur Kasse gebeten?<br />
REINKE: Finanzhäuser würden<br />
durch die FTT keinen nennenswerten<br />
Beitrag zur Bewältigung<br />
der Finanzkrise leisten<br />
müssen. Betroffen wäre für sie<br />
nur der Eigenhandel. Denn die<br />
Besteuerung der Kundengelder<br />
dürften sie an die Kunden weiterreichen.<br />
W&M: Wann kommt die FTT?<br />
REINKE: Geplant ist aktuell<br />
Anfang 2014. Allerdings werden<br />
derzeit unterschiedliche<br />
Konzepte diskutiert. Da Steuerangelegenheiten<br />
in der EU im<br />
Einstimmigkeitsprinzip entschieden<br />
werden müssen, wird<br />
eine Einigung der Staaten<br />
noch dauern.<br />
46 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
W&M-SERVICE<br />
Foto: BHW Bausparkasse<br />
WARBURG<br />
Nebenwerte<br />
nach vorn<br />
Ein von Warburg Invest aufgelegter<br />
neuer Fonds will<br />
die Ertragschancen deutscher<br />
Nebenwerte nutzen.<br />
Laut Anbieter setze der »Warburg<br />
– D – Fonds Small&Mid-<br />
Caps Deutschland« auf die<br />
ertrags- und eigenkapitalstärksten<br />
Small- und Mid-Caps<br />
Deutschlands. Sie verzeichneten<br />
nicht nur eine höhere Rendite<br />
gegenüber Large-Caps,<br />
sondern sie böten auch mehr<br />
Investitionsmöglichkeiten,<br />
weil Nebenwerte den größten<br />
Teil deutscher börsennotierter<br />
Unternehmen stellen. Ein hoher<br />
Spezialisierungsgrad sowie<br />
eine langfristige Unternehmensstrategie<br />
sorgten zudem<br />
häufig für eine führende<br />
Marktstellung. Das Produkt<br />
verfolgt laut Warburg Invest<br />
einen Bottom-Up-Ansatz und<br />
verzichtet auf eine Gewichtung<br />
der Aktien nach Sektor<br />
oder Benchmark.<br />
WKN: A0LGSG<br />
GELD & ANLAGE<br />
DEKA<br />
Nachhaltigkeit<br />
steht im Fokus<br />
Die Deka-Bank hat drei<br />
Fonds aufgelegt, die Nachhaltigkeit<br />
und Rendite miteinander<br />
vereinen sollen.<br />
Die neue Produktreihe »Deka-<br />
Nachhaltigkeit« enthält<br />
nach Anbieterangaben drei<br />
Ausführungen: einen Aktienfonds,<br />
einen Rentenfonds sowie<br />
einen Mischfonds. Die<br />
Fondsstrategie verbinde dabei<br />
Nachhaltigkeits- mit klassischen<br />
Anlagekriterien. Nachhaltigkeit<br />
aber entscheidet die<br />
Auswahl: So würden Unternehmen<br />
ausgeschlossen, die gegen<br />
definierte Nachhaltigkeitskriterien<br />
verstoßen. Aus den<br />
verbliebenen Papieren wähle<br />
das Management die besten<br />
ihrer Klasse aus. Damit werde<br />
der Fonds Anlegern gerecht,<br />
die verstärkten Wert auf eine<br />
nachhaltige Lebensweise<br />
legen.<br />
WKN: Nachh. Aktien: DK1A47<br />
WKN Nachh. Renten: DK1A48<br />
WKN Nachh. Balance: DK1A49<br />
FIDELITY<br />
Langfristige<br />
Dividende<br />
Die Investmentgesellschaft<br />
Fidelity setzt auf einen<br />
neuen Dividendenfonds<br />
mit Inflationsschutz.<br />
Investieren will der »Global<br />
Dividend Fund« nach Aussage<br />
des Anbieters in Unternehmen<br />
mit soliden Geschäftsmodellen<br />
und langfristigen Dividendenzahlungen.<br />
Mit den aktuell<br />
niedrigen Zinsen und der<br />
positiven Entwicklung von<br />
Dividendenfonds gegenüber<br />
Anleihenfonds könne der<br />
Anleger von einem regelmäßigen<br />
Einkommen profitieren.<br />
Das Fondsmanagement setze<br />
auf gesunde Bilanzen, günstige<br />
Bewertungen sowie geringe<br />
Schwanken gegenüber dem<br />
Markt. Ohne Länder- oder<br />
Branchen-Benchmark investiere<br />
der Fonds in 50 Unternehmen<br />
weltweit.<br />
WKN: (Monatl. Ausschütt.):<br />
A1JSY2; WKN (vierteljährl. Ausschütt.):<br />
A1JSY0 - WKN (Thes.):<br />
A1JSY4<br />
➔<br />
Geld KOMPAKT<br />
MITTELSTAND<br />
Mut statt Krise<br />
Der deutsche Mittelstand trotzt<br />
laut Ernst & Young dem Krisengerede.<br />
Ein Viertel der Befragten<br />
will zusätzlich Personal einstellen.<br />
Das aktuelle Mittelstandsbarometer<br />
der Beratungsgesellschaft verzeichnet<br />
bei fast jedem dritten Mittelständler<br />
eine steigende Investitionsbereitschaft.<br />
42 Prozent der<br />
Unternehmen sehen sich besser<br />
aufgestellt als 2008. Sorgen macht<br />
sich etwa die Hälfte der Befragten<br />
über die hohen Energie- und Rohstoffpreise,<br />
gefolgt von Fachkräftemangel<br />
und Schuldenkrise.<br />
IMMOBILIEN<br />
Attraktive Alternative<br />
DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />
Asiens Blue Chips: Kurschancen bei überschaubarem Risiko<br />
Wegen der Schuldenkrise in Europa soll die<br />
Wirtschaft in der Euro-Zone laut Internationalem<br />
Währungsfonds im Jahr 2012 um 0,5 Prozent<br />
schrumpfen. Für das deutsche Bruttoinlandsprodukt<br />
sehen die Experten einen Zuwachs<br />
von 0,3 Prozent. Das sind bescheidene<br />
Aussichten für den Aktienmarkt. Deutlich besser<br />
sehen dagegen die Prognosen für den asiatischen<br />
Wirtschaftsraum aus. Zuwachsraten<br />
von über acht Prozent in China und sieben Prozent<br />
in Indien lassen steigende Kurse an den<br />
lokalen Aktienmärkten erhoffen. Hinzu kommt,<br />
dass die Bewertungen der asiatischen Dividendentitel<br />
nach der Korrektur im Vorjahr wieder<br />
auf ein günstiges Niveau zurückgefallen sind.<br />
So liegt das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis<br />
der Top-Werte Asiens zwischen zehn<br />
und elf. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis beträgt<br />
Von GERD RÜCKEL,<br />
CEFA-Wertpapieranalyst, Frankfurt/M.<br />
im Durchschnitt moderate 1,5. Was kann also<br />
schief gehen, wenn die Aktien attraktiv bewertet<br />
sind? Die größte Gefahr <strong>geht</strong> von Europa<br />
aus. Eine Verschlechterung der Konjunktur hier<br />
würde die ausfuhrorientierten asiatischen<br />
Märkte treffen – allen voran China. Dazu kommen<br />
hausgemachte Probleme. Indien kämpft<br />
derzeit mit einem Doppeldefizit in Haushalt und<br />
Leistungsbilanz. Dennoch: Wer mit etwas Spannung<br />
im Depot leben kann, der investiert einen<br />
Teil seines frei verfügbaren Vermögens in einen<br />
Aktienfonds mit Anlageschwerpunkt auf asiatischen<br />
Standardwerten. Zur Eingrenzung des<br />
Währungsrisikos ist darauf zu achten, dass der<br />
Fonds nicht in US-Dollar, sondern in Euro notiert.<br />
Ausnahme: Wegen der düsteren Aussichten<br />
für Japans Wirtschaft sollte die Region vom<br />
Fondsmanagement noch gemieden werden.<br />
BETONGOLD im Aufwärtstrend<br />
Die Deutsche Bank hält Immobilien<br />
aktuell für attraktiver als Staatsanleihen.<br />
Das Finanzhaus rät Privatanlegern<br />
zu dieser Assetklasse.<br />
Insbesondere gilt dieser Rat des<br />
Bankhauses zum Schutz vor Kursschwankungen.<br />
Immobilien ermöglichten<br />
eine Risikostreuung und bei<br />
sorgfältiger Auswahl eine nachhaltig<br />
positive Rendite. Deutschland zähle<br />
zu den bevorzugten Märkten im Immobiliensektor,<br />
so Chef-Anlagestratege<br />
Ulrich Stephan.<br />
UNTERNEHMEN<br />
Starke Marken<br />
Für neun von zehn befragten<br />
deutschen Unternehmen trägt<br />
die Marke zum Erfolg bei,<br />
meldet PricewaterhouseCoopers.<br />
Rund die Hälfte der Unternehmen<br />
schätzt den Anteil des Markenwerts<br />
am Unternehmenswert auf 50 Prozent,<br />
ermittelte eine Studie von<br />
PricewaterhouseCoopers in Kooperation<br />
mit Uni Hamburg, Markenverband<br />
und GfK bei 500 Unternehmen.<br />
Schon knapp ein Drittel der<br />
Befragten ermittelt den Wert ihrer<br />
Marke anhand monetärer Bewertungsmodelle<br />
und quantifiziert<br />
nicht-monetäre Größen wie Image,<br />
Bekanntheit und Loyalität.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12<br />
47
W&M-SERVICE<br />
DAS THEMA<br />
ALTERSVORSORGE<br />
Zwangvorsorge<br />
für Selbständige<br />
Selbständige sollen nach dem<br />
Willen der Bundesregierung<br />
mehr vorsorgen und zwar<br />
obligatorisch.<br />
Es <strong>geht</strong> um knapp 3,5 Millionen<br />
Selbständige, die nicht über ein<br />
Versorgungswerk in der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung abgesichert<br />
sind. Unter denen sind<br />
besonders viele Kleinstunternehmer,<br />
die sich die Altersvorsorge<br />
sparen, weil sie kein ausreichendes<br />
Einkommen haben.<br />
Während die Bundesarbeitsministerin<br />
Ursula von der Leyen<br />
die Selbständigen in der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung am<br />
besten aufgehoben sieht, plädieren<br />
CSU und FDP für eine<br />
Wahlfreiheit zwischen gesetzlicher<br />
Rentenversicherung und<br />
privater Rente.<br />
Die Wahlfreiheit wirft die Frage<br />
nach der Art der Absicherung<br />
auf. Weil die Riester-Rente Selbständigen<br />
versperrt ist, bliebe<br />
nur die Rürup-Rente oder die<br />
ungeförderte private Rentenversicherung.<br />
Die Rürup-Rente<br />
erweist sich indes als wenig<br />
tauglich und das nicht nur wegen<br />
der bescheidenen Renditen.<br />
Lohnend für Selbständige wird<br />
die Rürup-Rente erst, wenn die<br />
eingezahlten Beiträge steuerlich<br />
geltend gemacht werden können.<br />
Das dürfte bei den wirklich<br />
bedürftigen Selbständigen nur<br />
in sehr geringem Umfang der<br />
Fall sein.<br />
Abgesehen davon können Rürup-Renten<br />
wie auch Privatrenten<br />
zum Verlustgeschäft<br />
werden. Bei konventionellen<br />
Tarifen ist die Garantie gering,<br />
bei fondsgebundenen Policen<br />
ohne Garantie sind Verluste<br />
nicht auszuschließen und bei<br />
Fondspolicen mit Beitragsgarantie<br />
sind die Garantien so<br />
teuer, dass zu Rentenbeginn<br />
bei vielen Verträgen auch nicht<br />
mehr übrig ist als die eingezahlten<br />
Beiträge. Nach Abzug<br />
der Inflation bleibt das ein<br />
Minusgeschäft.<br />
TRANSPORT<br />
Hilfe für den<br />
Mittelstand<br />
IM UNTERNEHMEN<br />
Mit »CargoEasy« bietet die<br />
Helvetia Versicherung ein<br />
einfach zu handhabendes<br />
Produkt für Mittelständler.<br />
Wie wichtig der Abschluss einer<br />
Warentransport-Versicherung<br />
gerade für mittlere und<br />
kleine Unternehmen ist, zeigt<br />
die Fülle der Schäden. Die<br />
Haftung der Spediteure ist begrenzt.<br />
Für kleinere Unternehmen<br />
bis zu einem Umsatz<br />
von fünf Millionen Euro kann<br />
ein einziger Schaden schon<br />
existenzbedrohend werden.<br />
Für diese Zielgruppe gibt es<br />
ab sofort die »Helvetia CargoEasy«.<br />
Der Tarif wurde speziell<br />
für kleinere Firmen entwickelt,<br />
die allgemeine Handelsgüter<br />
(zum Beispiel<br />
Baustoffe, Möbel, Textilien)<br />
national oder international<br />
beziehen und versenden, und<br />
denen daran gelegen ist, dass<br />
diese Güter die Gefahren der<br />
Beförderung und damit verbundene<br />
Lagerungen gut<br />
überstehen. Als umfassender<br />
Allgefahren-Schutz schützt<br />
CargoEasy vor allen Gefahren,<br />
denen die Güter während der<br />
Versicherungsdauer ausgesetzt<br />
sind.<br />
GESUNDHEIT<br />
Zusatzschutz<br />
vom Chef<br />
Betriebliche Krankenzusatzversicherungen<br />
(bKV)<br />
sind der neueste Trend der<br />
Versicherungswirtschaft.<br />
In jüngster Zeit sind gleich<br />
mehrere Unternehmen mit<br />
betrieblichen Krankenzusatzversicherungen<br />
auf den<br />
Markt gekommen. Die Versicherer<br />
bauen darauf, dass die<br />
Unternehmen im Wettbewerb<br />
um qualifizierte Arbeitskräfte<br />
zusätzliche soziale Leistungen<br />
bieten möchten. Zugleich<br />
sind diese Versicherungen oft<br />
mit einem Gesundheitsmanagement<br />
gekoppelt, was dazu<br />
beitragen kann, den Krankenstand<br />
im Unternehmen zu<br />
senken. Wenn der Arbeitgeber<br />
die Kosten für die betriebliche<br />
Krankenzusatzversicherung<br />
seiner Mitarbeiter übernimmt,<br />
wirkt das für diese<br />
viel nachhaltiger als eine Gehaltserhöhung.<br />
Für den Arbeitgeber<br />
lohnt sich die bKV,<br />
denn nach einem Urteil des<br />
BFH zählen die Beiträge zu<br />
den Sachbezügen. Bis zu einer<br />
Höhe von 44 Euro pro Monat<br />
bleiben sie steuer- und sozialabgabefrei.<br />
Höhere Beiträge<br />
können versteuert werden.<br />
VERSICHERUNGSBETRUG<br />
Für viele nur ein Kavaliersdelikt<br />
»Es ist in meinen Augen ein Kavaliersdelikt, wenn man die<br />
Versicherung einmal mehr bezahlen lässt, als unbedingt nötig<br />
wäre.« Diese These bejahten in einer Umfrage:<br />
Geschlecht<br />
männlich<br />
weiblich<br />
Quelle: GfK Marktforschung<br />
21 %<br />
22 %<br />
Region<br />
Norddeutschl.<br />
Ostdeutschl.<br />
Süddeutschl.<br />
Westdeutschl.<br />
17 %<br />
24 %<br />
26 %<br />
18 %<br />
PENSIONSZUSAGEN<br />
Trügerische<br />
Sicherheit<br />
Pensionszusagen für Geschäftsführer<br />
müssen regelmäßig<br />
überprüft werden. Eine<br />
Aufgabe für Experten.<br />
Viel zu selten werden aber Versicherungsfachleute<br />
einbezogen.<br />
Zu diesem Ergebnis kommt eine<br />
Untersuchung des Hamburger Industrieversicherungsmaklers<br />
Gossler,<br />
Gobert & Wolters. Für die<br />
Studie »Unternehmerversorgung<br />
2012« wurden 98 Firmen befragt.<br />
Etwa 70 Prozent der Unternehmen<br />
lassen ihre Verträge regelmäßig<br />
überprüfen. Von den befragten<br />
Unternehmen beteiligen<br />
jedoch nur 13 Prozent ihre Versicherungsexperten<br />
an der Überprüfung.<br />
Steuerberater und Wirtschaftsprüfer<br />
sind jedoch bei jedem<br />
zweiten Unternehmen an<br />
den Überprüfungen beteiligt. Das<br />
kann allerdings zur Falle werden.<br />
Denn Gegenstand der Überprüfung<br />
sollte nicht nur die Erfüllung<br />
der rechtlichen und steuerlichen<br />
Rahmenbedingungen sein,<br />
sondern auch die Frage, ob die gebildeten<br />
Rücklagen für eine spätere<br />
Versorgung der Geschäftsführer<br />
auch wirklich ausreichen. Ist<br />
dies nicht der Fall, kann es zu Liquiditätsengpässen<br />
kommen.<br />
Ein weiteres Problemfeld stellt<br />
die Kongruenz von Versorgungsverpflichtungen<br />
und Finanzierung<br />
dar. Dabei spielen die realitätsnahe<br />
Berücksichtigung biometrischer<br />
Risiken, die<br />
Übereinstimmung von Endalter<br />
und Leistungsbeginn, Versicherungsdauer<br />
und Dynamikregelungen<br />
eine große Rolle.<br />
Besonders akut ist die Deckung<br />
der Leistungszusagen durch adäquate<br />
Finanzierungsprodukte.<br />
Besonders bei den mit Versicherungen<br />
abgedeckten Zusagen<br />
können sich Unterdeckungen ergeben,<br />
weil sich aufgrund der<br />
allgemeinen Zinsentwicklung<br />
und der sinkenden Überschüsse<br />
die Kapitalstöcke nicht in der<br />
anfangs prognostizierten Weise<br />
entwickelt haben. Weitere regelmäßig<br />
zu überprüfende Merkmale<br />
stellen der Studie zufolge<br />
die Dynamisierung der Leistungen<br />
und der Insolvenzschutz dar.<br />
48 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
W&M-SERVICE<br />
Foto: Picture Disk<br />
GEBÄUDE<br />
Police für die<br />
Photovoltaik<br />
Solaranlagen am Eigenheim<br />
schützt jetzt eine neue<br />
Police der Inter Allgemeine<br />
Versicherung.<br />
Den Solarmodulen auf dem<br />
Eigenheimdach drohen viele<br />
Gefahren. Das fängt bei Montagefehlern<br />
an und endet beim<br />
Schneedruck. Reparaturen<br />
oder Ersatz können teuer werden.<br />
Die Inter Allgemeine<br />
Versicherung bietet Versicherungsschutz<br />
für auf dem<br />
Gebäudedach befestigte oder<br />
in den Baukörper integrierte<br />
netzgekoppelte Photovoltaik-<br />
Anlagen auf Ein- und Zweifamilienhäusern.<br />
Bedingungen: Die Anlage<br />
muss von einem Fachbetrieb<br />
installiert und abgenommen<br />
worden sein und der Hauseigentümer<br />
muss die Anlage<br />
selbst betreiben und nutzen.<br />
Im Ernstfall ersetzt die Versicherung<br />
den Neuwert der<br />
Anlage sowie Bezugs- und<br />
Installationskosten.<br />
DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />
Abschied von den Garantien<br />
Ein Klassiker ist tot: Die deutsche Kapitallebensversicherung.<br />
Für das Neugeschäft<br />
taugt der einstige Vertriebsrenner kaum noch.<br />
Seitdem die garantierte Verzinsung mit dem<br />
Jahreswechsel 2011/12 von ohnehin schon<br />
mageren 2,25 auf 1,75 Prozent gesunken ist<br />
und die Versicherer bei Kapitalmarktzinsen von<br />
einem Prozent kaum mehr Überschüsse erwirtschaften,<br />
ist die Luft raus. Noch ärger kommt<br />
es ab 2013, wenn die neuen Eigenkapitalrichtlinien<br />
der Europäischen Union gelten werden.<br />
Die Lebensversicherung nach deutschem Vorbild<br />
ist dann endgültig passé, denn solche dauerhaften<br />
Garantien kosten die Unternehmen<br />
jede Menge Geld, das sie mit Eigenkapital unterlegen<br />
müssten. Wer vorsorgen will, muss<br />
also umdenken. Die Verbraucher werden sich<br />
aber daran gewöhnen müssen, dass künftig<br />
PRIVAT<br />
REISERÜCKTRITT<br />
Storno für den<br />
Parkplatz<br />
Auch das Risiko eines vorab<br />
bezahlten Parkplatzes am<br />
Flughafen bei Reiserücktritt<br />
lässt sich versichern.<br />
Für das neue Produkt kooperiert<br />
die HanseMerkur Reiseversicherung<br />
AG mit der AP-<br />
COA Parking Holdings GmbH.<br />
Die Kosten für den Versicherungsschutz<br />
sind nach Angaben<br />
der HanseMerkur gering:<br />
Drei Euro kostet der Stornoschutz<br />
für Parkgebühren von<br />
bis zu 100 Euro, neun Euro für<br />
Parkplatzgebühren von bis zu<br />
250 Euro. Voraussetzung für<br />
die Erstattung der Parkplatzgebühr<br />
ist der Eintritt des<br />
Versicherungsfalles in der<br />
Reiserücktrittsversicherung<br />
der HanseMerkur. Die versicherten<br />
Ereignisse sind u. a.:<br />
unerwartete schwere Erkrankung,<br />
Tod, schwere Unfallverletzung,<br />
Schwangerschaft,<br />
Impfunverträglichkeit, Verlust<br />
des Arbeitsplatzes oder Aufnahme<br />
einer Arbeit.<br />
ALTERSVORSORGE<br />
Rente und<br />
Pflege vereint<br />
Bei der VorteilsRente der<br />
Nürnberger steigt die<br />
lebenslange Altersrente bei<br />
Pflegebedürftigkeit.<br />
Die Anhebung fällt umso<br />
größer aus, je früher die Pflegebedürftigkeit<br />
eintritt. Inklusive<br />
Überschussrente kann<br />
im Pflegefall nahezu eine Verdoppelung<br />
der monatlichen<br />
Zahlungen erreicht werden.<br />
Die VorteilsRente kann auch<br />
im Rahmen der betrieblichen<br />
Altersversorgung (bAV) als<br />
Direktversicherung oder Unterstützungskasse<br />
genutzt werden.<br />
Bei der Direktversicherung<br />
sind – nach Paragraf 3 Nr.<br />
63 EStG – Beiträge bis zu 224<br />
Euro im Monat (vier Prozent<br />
der Beitragsbemessungsgrenze<br />
GRV West) steuer- und sozialabgabenfrei.<br />
Dadurch haben<br />
Arbeitnehmer die Möglichkeit,<br />
sich schon mit einem sehr<br />
günstigen Nettoaufwand eine<br />
erhöhte Altersrente im Pflegefall<br />
zu sichern.<br />
Von HANS PFEIFER,<br />
Versicherungsjournalist, Berlin<br />
viel weniger garantiert ist. So werden die Versicherer<br />
Verträge anbieten, bei denen die Garantie<br />
erst zu Rentenbeginn wirksam wird. Vorbei<br />
dürfte es auch mit laufenden Überschussbeteiligungen<br />
sein. Schlussüberschüsse erhält<br />
jedoch nur, wer den Vertrag bis zum Ende<br />
durchhält. Da sind Verluste programmiert. Vieles<br />
spricht jedoch dafür, die Vorsorge von der<br />
Versicherung zu trennen. Das erfordert aber<br />
eine steuerliche Gleichbehandlung von Fondssparplänen<br />
und Versicherungssparen. Noch<br />
wird das Fondssparen diskriminiert. Denn die<br />
Erträge einer Kapitallebensversicherung werden<br />
nur zur Hälfte besteuert. Verbraucher kaufen<br />
deshalb Fondssparpläne im Versicherungsmantel,<br />
als Fondspolicen. Das ist unnötig teuer.<br />
Es wäre höchste Zeit, das letzte Steuerprivileg<br />
der Lebensversicherung zu streichen.<br />
➔Assekuranz KOMPAKT<br />
ALTERSVORSORGE<br />
Gemeinsam planlos<br />
70 Prozent der Paare entscheiden<br />
bei langfristigen Geldanlagen und<br />
Altersvorsorge gemeinsam, doch<br />
selten koordiniert.<br />
Das ist das Ergebnis einer Studie<br />
im Auftrag des Deutschen Instituts<br />
für Altersvorsorge. Dabei stehen<br />
die Paare unter erheblichem Druck.<br />
Denn durch die Finanzkrise sind sie<br />
verunsicherter denn je. Das Ergebnis<br />
sind oft schlecht geplante Vorsorgeaktivitäten.<br />
VORSORGE: Schwierige Planung<br />
RENTE MIT 67<br />
Lücken schließen<br />
Seit Jahresbeginn gilt das Altersgrenzenanpassungsgesetz,<br />
das Rentenalter<br />
steigt schrittweise<br />
von 65 auf 67 Jahre.<br />
Das erfordert neue Vorsorgeaktivitäten.<br />
Wer vorher in Rente gehen<br />
möchte, muss dauerhaft Abschläge<br />
von 0,3 Prozent pro Monat einkalkulieren.<br />
Dieser Ausfall kann mit<br />
einer Zeitrente überbrückt werden.<br />
OLDTIMER<br />
Preiswerte Policen<br />
Automobile Oldtimer erfreuen<br />
sich wachsender Beliebtheit und<br />
die Zahl der historischen Fahrzeuge<br />
wächst rasant.<br />
Es muss nicht immer ein Mercedes<br />
300 SL Flügeltürer sein, der mit einer<br />
Versicherungssumme von rund einer<br />
halben Million Euro zu Buche schlägt.<br />
Auch unter ehemaligen Massenprodukten<br />
sind Exemplare mit Potenzial<br />
wie beispielsweise der 2 CV.<br />
Die Zahl der Fahrzeuge mit historischem<br />
H-Kennzeichen ist in den vergangenen<br />
fünf Jahren um 37 Prozent<br />
gewachsen. Immer mehr Versicherer<br />
bieten preiswerte Policen.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 49
BERICHT<br />
Hightech-Metalle Seltene Erden<br />
Ressourcen-Monopoly<br />
Auf dem globalen Rohstoffmarkt ist ein Wettrennen um Seltene Erden entbrannt. China mit den größten<br />
Lagerstätten diktiert die Spielregeln und verknappt die Ausfuhren. Engpässe und hohe Preise drohen.<br />
Neodym, Dysprosium, Yttrium –<br />
Zungenbrechernamen, die nach<br />
Science-Fiction klingen und bis<br />
vor kurzem nur Experten geläufig waren.<br />
Die einen bringen Energiesparlampen<br />
zum Leuchten, die anderen sind<br />
hochmagnetisch. Inzwischen ist die Rohstoffgruppe<br />
der »Seltenen Erden« in aller<br />
Munde, weil China, das 97 Prozent davon<br />
fördert, den Export drosselt und so die<br />
Preise hochschnellen. Peking erwägt gar,<br />
die Ausfuhr einiger Seltener Erden ab<br />
dem Jahr 2015 zu stoppen.<br />
Der Kampf um die wertvollen Naturressourcen<br />
in China wird mit harten<br />
Bandagen geführt. Die Industrieländer<br />
pochen auf fairen Zugang. Die Europäische<br />
Union, die USA und Japan brachten<br />
den Fall am 13. März in Genf vor die Welthandelsorganisation<br />
(WTO) und setzten<br />
dadurch ein bei Handelsstreitigkeiten<br />
übliches mehrstufiges Schlichtungsver-<br />
fahren in Gang. Peking kritisiert die Klage<br />
in scharfer Form. Die Entscheidung<br />
könne die Handelsbeziehungen schädigen<br />
und »nach hinten losgehen«, so die<br />
Staatsagentur Xinhua.<br />
In den Industrienationen schrillen die<br />
Alarmglocken. In einer Umfrage des<br />
Deutschen Industrie- und Handelskammertages<br />
bezeichnet die Hälfte der befragten<br />
Firmen ihre Rohstoffversorgung<br />
als kritisch. Der Bundesverband der<br />
Deutschen Industrie gründete jetzt eine<br />
»Allianz zur Rohstoffsicherung«. Ein privatwirtschaftliches<br />
und gewinnorientiertes<br />
Unternehmen, das sich im Interesse<br />
der Gesellschafter – darunter Bayer,<br />
BASF, BMW, Daimler und ThyssenKrupp<br />
– weltweit an Rohstoffexplorationsvorhaben<br />
beteiligt.<br />
duziert, vor allem Braunkohle und Erdgas;<br />
zugleich aber mussten natürliche<br />
Ressourcen für mehr als 109 Milliarden<br />
Euro importiert werden, so die Deutsche<br />
Rohstoffagentur in einem aktuellen Bericht.<br />
Die Bundesregierung hat mit der<br />
»Rohstoffstrategie« eine übergeordnete<br />
Marschroute vorgegeben: Rohstoffpartnerschaften<br />
mit ressourcenreichen Ländern.<br />
Den Anfang machten die Mongolei<br />
und Kasachstan, bestens ausgestattet mit<br />
Seltenen Erden. Rohstoffe für Know-how.<br />
Bei den Seltenen Erden handelt es<br />
sich um metallische chemische Elemente<br />
(siehe Infokasten), ohne die sich kaum<br />
noch ein modernes Industrieprodukt<br />
herstellen lässt. Windturbinenbauer<br />
brauchen Neodym für die Generatorenfertigung.<br />
Autozulieferer nutzen Lanthan<br />
für die Herstellung von Katalysatoren.<br />
Die Optische Industrie setzt Ceroxid<br />
als Poliermittel ein. Kein iPod, kein Elektromotor,<br />
kein modernes Waffensystem<br />
funktioniert ohne Seltene Erden.<br />
»Sie sind überall drin«, betont Prof.<br />
Frank Edelmann, Lehrstuhl für Anorganische<br />
Chemie an der Otto-von-Guericke-<br />
Universität Magdeburg. Der 57-Jährige<br />
und seine Mitarbeiter beschäftigen sich<br />
seit 20 Jahren mit der metallorganischen<br />
Chemie der Seltenen Erden. Dabei <strong>geht</strong><br />
es vor allem um die Grundlagenforschung,<br />
die Erschließung neuer Verbindungsklassen<br />
und Molekülstrukturen.<br />
HOCHLEISTUNGSFÄHIGE MAGNETE<br />
Apropos Windturbinen. Die sind auf<br />
Hightech-Magnete angewiesen, viel stärker<br />
und langlebiger als konventionelle<br />
Magnete – trotzdem erheblich leichter.<br />
Fotos: Harald Lachmann, Sven Wied<br />
ROHSTOFFE FÜR KNOW-HOW<br />
Fünf von sechs Explorationen (Erkundungen)<br />
scheitern. Das Risiko soll auf viele<br />
Schultern verteilt werden. Bis zu einer<br />
Milliarde Euro will die Allianz in Schürfrechte,<br />
Förderfirmen und Beteiligungen<br />
aufbringen. China beabsichtigt, etwa<br />
50 Milliarden Dollar bis 2015 allein in<br />
Afrika in Rohstoffe, vor allem in Seltene<br />
Erden, zu investieren.<br />
Die deutsche Wirtschaft ist auf Rohstoffe<br />
angewiesen. 2010 wurden Rohstoffe<br />
im Wert von 17,7 Milliarden Euro pro-<br />
HIGHTECH-TAFEL: Seltene Erden sind überall drin.<br />
50 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
BERICHT<br />
Frank Edelmann erklärt: »Ein Magnet besteht<br />
normalerweise aus Eisen. Doch mit<br />
der Zeit entlädt er sich und lässt in der<br />
Leistung nach. Kombiniert man aber das<br />
Eisen mit Neodym – in einer großen<br />
Windturbine können davon 260 Kilo enthalten<br />
sein – und Bor, entmagnetisiert<br />
sich der Magnet praktisch nicht mehr. So<br />
können besonders leistungsstarke und<br />
langlebige Magnete gebaut werden.«<br />
Übrigens wird bereits heute nahezu jede<br />
zweite Windkraftanlage in China errichtet,<br />
so das Freiburger Öko-Institut.<br />
Bittere Ironie: Nachhaltiges Wirtschaften,<br />
grüne Technologien erfordern<br />
Ressourcen wie Seltene Erden, die nur in<br />
endlichen Mengen vorhanden sind, beim<br />
Abbau zu Umweltbelastungen führen<br />
und sich auf der Welt ungleich verteilen.<br />
Nur Staaten, die sich den Zugang zu den<br />
wichtigen Rohstoffen sichern, können<br />
im 21. Jahrhundert boomen.<br />
KOSTSPIELIGER ABBAU<br />
Die Seltenen Erden wurden gegen Ende<br />
des 18. Jahrhunderts erstmals in Form<br />
oxidierter Mineralien entdeckt. Allerdings<br />
konnte man mit dem Fund nichts<br />
anfangen. Damals brauchte die Welt diese<br />
Elemente nicht. Die Mineralien sind<br />
meist pulverförmig und fühlen sich erdig<br />
an. In Wirklichkeit sind es 17 Metalle.<br />
Der Name »Seltene Erden« führt also in<br />
die Irre. Besonders selten sind sie nicht,<br />
nur in der Natur fein verteilt. Das seltenste<br />
stabile Seltene-Erden-Metall Thulium<br />
kommt 200-mal häufiger vor als Gold.<br />
»Die Seltenen Erden lassen sich oft in<br />
der Erdkruste finden, allerdings nur selten<br />
in hohen Konzentrationen, oft auch<br />
versteckt in anderen Erzen. Die Metalle<br />
treten im Boden als Mineralien immer<br />
gemischt auf; sie lassen sich aufgrund ihrer<br />
ähnlichen Eigenschaften nur schwer<br />
trennen. Zudem enthalten die Lagerstätten<br />
oft Uran und Thorium, so dass bei<br />
der Aufbereitung radioaktive Rückstände<br />
anfallen. Entsprechende Sicherheitsstandards<br />
sind nötig, die aber machen<br />
den Abbau noch kostspieliger. Tatsächlich<br />
selten sind Vorkommen, wo sich der<br />
Abbau auch wirklich lohnt«, erklärt<br />
Frank Edelmann.<br />
BEDARF STEIGT RAPIDE<br />
Im Jahr 2015 wird die Industrie weltweit<br />
voraussichtlich rund 185.000 Tonnen Seltene<br />
Erden verbrauchen, das sind 50 Prozent<br />
mehr als 2010. Wenn China seine<br />
üppigen Reserven, die für die moderne<br />
Technologie essenziell geworden sind,<br />
sparsamer verkauft, dann muss sich die<br />
übrige Welt schleunigst wieder um ihre<br />
eigenen Lagerstätten kümmern. Die gibt<br />
es durchaus.<br />
ERDEN-KENNER: Prof. Frank Edelmann.<br />
In China schlummern ein Drittel der<br />
Vorräte, in den USA 13 Prozent. In den<br />
GUS-Staaten, in der Mongolei, Australien<br />
und Kanada gibt es auch beträchtliche<br />
Vorkommen. Bis vor über 20 Jahren waren<br />
die USA in der Förderung Seltener Erden<br />
weltweit führend – vor allem Dank<br />
des Bergwerks Mountain Pass in der kalifornischen<br />
Mojave-Wüste, das im Jahr<br />
2000 dicht gemacht wurde. Der US-Bergbaukonzern<br />
Molycorp aktiviert die Mine<br />
wieder. 2013 könnte es soweit sein.<br />
CHINA DE FACTO MONOPOLIST<br />
Als vor Jahren Mineralien und Metalle zu<br />
Niedrigpreisen gehandelt wurden, trennten<br />
sich viele Konzerne von ihren Bergbautöchtern.<br />
Das Geschäft war zu<br />
schmutzig, zu unlukrativ. China hat sein<br />
Millionenheer billiger Arbeitskräften genutzt,<br />
auf Kosten von Arbeitsschutz und<br />
Umweltstandards konkurrenzlos günstig<br />
FAKTEN<br />
Metalle besonderen Typs<br />
Seltene Erden sind Hightech-Metalle.<br />
14 Elemente der Seltenen Erden zählen<br />
im Periodensystem zur Gruppe der<br />
Lanthanoide, drei gehören zur Scandiumgruppe,<br />
insgesamt gibt es also<br />
17 Seltene Erden. Die Metalle eignen<br />
sich wegen ihrer elektrischen, magnetischen,<br />
chemischen und optischen<br />
Eigenschaften für viele technische<br />
Anwendungen. Ob Apple, Sony, Volkswagen<br />
oder BMW – sie alle müssen die<br />
begehrten Rohstoffe in China kaufen.<br />
Brisanz hat der Kampf um die Seltenen<br />
Erden, weil sie auch für das Militär<br />
wichtig sind: zur Anwendung kommen<br />
sie bei Motoren für Kampfjets, Raketenabwehrsysteme<br />
und Nachtsichtgeräte.<br />
den Abbau vorangetrieben. Mit dem de<br />
facto Monopol hat Peking ein Instrument<br />
in der Hand, um Weltmarktführer<br />
im Hochtechnologiesektor zu werden.<br />
»China benötigt immer mehr dieser<br />
Metalle für die eigene Volkswirtschaft.<br />
Da gibt es schon einen Wettbewerb um<br />
die Materialien.« Die Preise hätten sich<br />
inzwischen teilweise verzehn-, verzwanzigfacht,<br />
so Matthias Buchert. Der Forscher<br />
vom Ökoinstitut Darmstadt untersuchte<br />
mit Wissenschaftlern der TU<br />
Clausthal, der Daimler AG und der Materialtechnologie-Gruppe<br />
Umicore die Bedeutung<br />
Seltener Erden für die Elektromobilität.<br />
Fazit: Vor allem Dysprosium<br />
ist knapp. Steigt die Nachfrage wie prognostiziert,<br />
wird 2030 nur ein Fünftel<br />
des Bedarfs gedeckt. Jetzt wird nach neuen<br />
Rohstofflagerstätten gesucht.<br />
ENGPÄSSE DROHEN<br />
Das Gros der Projekte, meinen Experten,<br />
wird jedoch auf der Strecke bleiben, weil<br />
diese nicht profitabel sind. Bis zu einer<br />
Milliarde Euro muss investiert werden,<br />
um eine Mine zu erschließen. Dabei vergehen<br />
von der ersten Erkundung bis zur<br />
Produktion zehn, 15 Jahre. Es wird also<br />
dauern, bis die nötigen Kapazitäten geschaffen<br />
sind – bis dahin drohen ernsthafte<br />
Engpässe.<br />
Vielversprechende Projekte gibt es in<br />
Australien und den USA, die aber wurden<br />
bisher kaum ausgebeutet. Mitteleuropas<br />
einziges Explorationsprojekt für<br />
Seltene Erden befindet sich im sächsischen<br />
Storkwitz bei Leipzig. Aufgespürt<br />
wurden sie schon in den Siebzigern von<br />
DDR-Bohrtrupps. Der Arbeiter- und Bauern-Staat<br />
hatte nach Uran gesucht und<br />
am Überraschungsfund wenig Interesse.<br />
Unter Ackerland lagern an die 38.000<br />
Tonnen mit einem Metallwert von mehr<br />
als 1,5 Milliarden US-Dollar. Auch unter<br />
Einhaltung westlicher Umweltstandards<br />
verspricht das einen ordentlichen Gewinn.<br />
Kein Riesenprojekt, mehr eine Notfallversorgung.<br />
Die Heidelberger Deutsche<br />
Rohstoff AG, die sich 2007 die Erkundungsrechte<br />
an dem Vorkommen<br />
sicherte, hat im Januar die Firma »Seltenerden<br />
Storkwitz« gegründet, mit 2,2 Millionen<br />
Euro Grundkapital.<br />
Nach jahrelanger Vorarbeit will sie<br />
nun Ernst mit der Ausbeutung machen.<br />
Ende März/Anfang April beginnen die<br />
Probebohrungen in 700 Meter Tiefe. Mit<br />
den Ergebnissen will die Firma dann weiteres<br />
Geld von Investoren einsammeln.<br />
Denn nur wenn Storkwitz nach einem<br />
international anerkannten Rohstoffstandard<br />
bewertet ist, öffnen Risikokapitalgeber<br />
die Brieftasche.<br />
Dana Micke<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 51
BERICHT<br />
Michael Conrad hat den Platz an<br />
der Sonne. Doch er merkt es gerade<br />
nicht. Zum einen pfeift der<br />
Wind trotz erster März-Wärme noch immer<br />
gehörig an der Spitze der Bohrlafette,<br />
die er soeben geentert hat. Zum<br />
anderen muss er sich konzentrieren: Mit<br />
einer langen Zange hantiert er an der<br />
Winde des Seilkernbohrgerätes.<br />
Geschafft! Er klettert herab. Es kann<br />
weitergehen. Bohrmeister Norman Henkel<br />
wirft das Aggregat wieder an. Conrad<br />
und Norman Lange, der dritte im Trupp,<br />
wissen nun ohne viele Worte, was sie zu<br />
tun haben am Rohrgestänge. Jeder Griff<br />
sitzt unter ihren Handschuhen.<br />
»Die Zeit drängt«, ruft Henkel aus seinem<br />
Führerstand herüber. »231 Meter<br />
tief sind wir bisher, morgen wollen wir<br />
möglichst 250 Meter weit im Berg sein.«<br />
Ja, sicher, das sei drin, wiederholt er auf<br />
Nachfrage. Der Gottesberg erweise sich<br />
bisher als ein sehr dankbares Gestein<br />
zum Bohren: fast nur Granit sowie halt<br />
Greisen, also jene körnigen, grauen<br />
Quarz- und Glimmerschichten, in denen<br />
das Zinn lagert. 15 bis 20 Meter schaffen<br />
sie unter diesen Bedingungen am Tag.<br />
Wobei die Tage von dem Bohrtrupp<br />
aus Thüringen derzeit voll ausgelastet<br />
werden. Im Dreischicht-Betrieb rücken<br />
sie dem Fels zuleibe – fünf Wochen am<br />
Deutsche Rohstoff AG<br />
Sachsens Schatz<br />
Im Erzgebirge wird wieder nach wertvollen Rohstoffen geschürft.<br />
Extrem gestiegene Marktpreise machen einen Abbau rentabel.<br />
Die Deutsche Rohstoff AG aus Heidelberg investiert drei Millionen<br />
Euro in Bohrtests auf der Suche nach Zinn. Prognosen aus der DDR<br />
deuten auf ein großes Vorkommen im sächsischen Gottesberg hin.<br />
Fotos: Harald Lachmann<br />
ERKUNDER: Wochenlanges Bohren am<br />
Gottesberg im Dreischichtbetrieb.<br />
Stück, sieben Tage die Woche und seit<br />
Ende Februar auch rund um die Uhr. Nur<br />
in der eisigen Phase vor wenigen Wochen,<br />
als das Quecksilber teils weit unter<br />
20 Grad in den Keller rutschte, hatten sie<br />
pausieren müssen. »Ab zehn Grad minus<br />
friert das Spülmittel für die Bohrkrone<br />
ein«, erläutert Henkel, während er Knöpfe<br />
drückt, Hebel bedient und behutsam<br />
mit zwei Joysticks manövriert.<br />
Er weiß halt, wie sehr der Mann an<br />
den Steuerhebeln im wahrsten Wortsinn<br />
den Bohrerfolg in der Hand hat. Unaufhörlich<br />
kontrolliert er Andruck, Drehmoment,<br />
Spüldruck, Spülungsrate und<br />
Bohrfortschritt. Selbst kleinste Unregelmäßigkeiten<br />
entgehen ihm nicht. Man<br />
merkt, er ist Profi mit internationalen<br />
Erfahrungen. Im Herbst vergangenen<br />
Jahres bohrte sein Trupp in Sibirien – am<br />
weltgrößten Trinkwasserbrunnen für die<br />
Stadt Chabarowsk.<br />
Sehr gleichmäßig frisst sich die mit<br />
Kunstdiamanten besetzte Bohrkrone in<br />
den Berg. Die Arbeitsbühne, auf der Conrad<br />
und Lange hantieren, vibriert nur<br />
wenig. Auch die Geräuschkulisse, die das<br />
blaue Bohrgerät erzeugt, hat nicht den<br />
Dezibel-Pegel eines Presslufthammers.<br />
Es klingt eher wie ein Lkw im Standlauf.<br />
Nur hin und wieder, wenn Gestängeteile<br />
aneinander schlagen, scheppert es.<br />
Das sei auch gut so, befindet Dr. Jörg<br />
Reichert. Er winkt den Männern von der<br />
Brunnenbau Conrad GmbH aus Bad Langensalza<br />
zu. »Wir bohren hier ja praktisch<br />
schon im Vorgarten des nächstgelegenen<br />
Grundstücks«, sagt der Chefgeologe<br />
der Deutschen Rohstoff AG (DRAG).<br />
Das Unternehmen schürft derzeit auch<br />
im erzgebirgischen Geyer nach Zinnvorkommen.<br />
In Kürze, so hofft er, werden<br />
sie in Storkwitz bei Delitzsch auf Seltene<br />
Erden stoßen. All dies geschehe im öffentlichen<br />
Raum. »Da sind wir schon<br />
sehr auf das Wohlwollen der Anrainer<br />
angewiesen«, berichtet Reichert, der<br />
auch Chef der neu gegründeten Sachsenzinn<br />
GmbH ist.<br />
Aber <strong>anders</strong>, als sie es bei anderen Explorationsunternehmen<br />
vielfach erlebten,<br />
treffen die Erkunder im Erzgebirge<br />
und Vogtland durchweg auf Verständnis.<br />
Schon in der Bürgerversammlung, zu der<br />
die Einwohner des 100-Seelen-Dorfes<br />
Gottesberg geladen waren, »gab es kaum<br />
eine kritische Frage«, erinnert sich Reichert.<br />
Die Leute hier lebten halt seit Generationen<br />
mit dem Bergbau, fast jeder<br />
habe einen Knappen oder Steiger in der<br />
Familie, schmunzelt er geradezu dankbar:<br />
»Hier passt einfach alles.«<br />
Ein Blick unter die Arbeitsbühne<br />
zeigt: Der Bohrer schneidet den Erzkörper<br />
im Granit nicht senkrecht an, sondern<br />
um 30 Grad aus dem Lot versetzt.<br />
Den Winkel hat der Chefgeologe dem<br />
Trupp vorgegeben. Er orientierte sich bei<br />
den Planungen für den optimalen Bohr-<br />
52 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
BERICHT<br />
verlauf an einem Lagerstättenmodell,<br />
das schon drei Jahrzehnte alt ist. Denn<br />
im Grunde betreiben sie hier nur Bestätigungsbohrungen<br />
für die Erkundungen<br />
zu DDR-Zeiten, erzählt er: »Die Lagerstätte<br />
vor Ort und in Geyer sind bereits sehr<br />
solide erkundet.«<br />
Warum dann erneut Bohrungen? Reichert,<br />
von Haus aus Ostdeutscher, grient<br />
ein wenig. Zum einen traue wohl mancher<br />
Geldgeber aus dem asiatisch-australischen<br />
Raum, die heute den Investorenpool<br />
für diese Exploration bilden,<br />
nicht recht den Befunden aus alten planwirtschaftlichen<br />
Zeiten. Zum anderen<br />
habe man seinerzeit auch noch mit anderer<br />
Technologie und kleinerem Gerät<br />
gebohrt. Die 101 Millimeter starken Bohrkerne,<br />
die Henkels Mannschaft nun heraufholt,<br />
seien halt aussagefähiger als die<br />
60er Kerne von damals. Und für die Tin<br />
International Ltd. in Brisbane, die die<br />
DRAG für die avisierte Schatzhebung in<br />
Sachsen bereits gegründet hat, zählten<br />
nur Erzgehalt-Analysen auf Basis des internationalen<br />
JORC-Standards.<br />
Reichert verfeinerte das alte Modell<br />
und legte die Bohrtiefen fest. Unterm<br />
Gottesberg rückt der Bohrtrupp an drei<br />
verschiedenen Stellen exakt 400 Meter<br />
weit dem Fels ins Mark. Der Geologe<br />
weiß, dass ein späterer Aufschluss in diesen<br />
Teufen finanziell herausfordert.<br />
Doch er hält es für lohnend. Die Zinnpartikel<br />
im Erz wären hier sehr groß: »Sie<br />
eignen sich damit ausgezeichnet für die<br />
Weiterverarbeitung«, sagt er, während er<br />
zur Arbeitsbühne hinaufsteigt. Gleich<br />
rechts neben der Treppe liegen flache<br />
Kästen mit runden Gesteinsproben. Es<br />
sind die Bohrkerne, die in den letzten<br />
Stunden gezogen wurden.<br />
HOHER ZINNGEHALT IM ERZ<br />
Der Geologe nimmt einen Bohrkern in<br />
die Hand und nickt bestätigend. »Hier,<br />
diese feinkörnigen Partien«, weist er auf<br />
graue Stellen im Material, »das ist Greisen-Erz.<br />
Darin ist das Zinn enthalten.« Behutsam<br />
streicht er über die Oberfläche<br />
des rund ein Meter langen Stücks. Beim<br />
Gottesberger Vorkommen wird von einem<br />
Zinngehalt zwischen 0,24 und 0,3<br />
Prozent ausgegangen, so Reichert. Mithin<br />
ließen sich aus einer Tonne Erz bis<br />
zu drei Kilo Zinn auslösen. Beachtlich,<br />
wenn man hört, dass es bei Gold oft<br />
kaum ein Gramm je Tonne ist.<br />
Ein neuer Bohrkern kommt ans Tageslicht.<br />
Für die Männer das Zeichen: Sie<br />
sind einen Meter tiefer eingedrungen.<br />
»Meter für Meter Bohrfortschritt ein weiterer<br />
Kern – damit schaffen wir letztlich<br />
eine lückenlose Dokumentation, was die<br />
Stärke der Erzzone betrifft«, ergänzt<br />
Michael Conrad, auch ein alter Haudegen<br />
im geologischen Metier.<br />
Mit Überraschungen müsse man im<br />
Bergbau freilich immer rechnen, erzählen<br />
die drei. Gerade jenes schräge Anbohren<br />
des Vorkommens sei nicht ohne.<br />
Zwar verspreche es eine höhere Aussagekraft<br />
zur Mächtigkeit der einzelnen<br />
Schichten. Doch es erleichtere nicht<br />
eben das Bohren. »Die horizontalen Zugkräfte<br />
wirken ganz <strong>anders</strong>«, erlebt es<br />
Henkel Tag für Tag neu. Und ein Bohrloch<br />
sei selbst im Granit nicht so starr,<br />
wie man meinen könne: »Es <strong>geht</strong> durch<br />
verschiedene Schichten, weichere und<br />
härtere. Da driftet der Bohrer schnell<br />
mal weg. «<br />
Bis zu Ostern dieses Jahres sollen alle<br />
Bohrungen in Gottesberg beendet sein.<br />
»Zeit ist hier richtig Geld«, weiß Geologe<br />
Reichert. Doch er scheint guter Dinge –<br />
LEXIKON<br />
Zinnland Sachsen<br />
Das Bergwerk Altenberg im sächsischen<br />
Osterzgebirge produzierte mit einigen<br />
Unterbrechungen von 1440 bis 1991<br />
Zinn und war bei seiner Schließung die<br />
letzte aktive Zinnmine in Europa. Danach<br />
rechnete sich die Förderung unter<br />
Tage nicht mehr. Erst mit dem Anstieg<br />
von Rohstoffbedarf und Weltmarktpreisen<br />
wuchs wieder das Interesse. Ab<br />
2006 ließ Sachsen deshalb 139 Bergbaureviere<br />
hinsichtlich Qualität und<br />
Quantität der Vorkommen, vor allem<br />
von Zink, Kupfer, Wolfram, Fluss- und<br />
Schwerspat sowie Zinn, neu bewerten.<br />
Die beiden Lagerstätten Gottesberg und<br />
Geyer, in denen die Sachsenzinn GmbH<br />
in Chemnitz – eine Tochter der Deutsche<br />
Rohstoff AG – Bestätigungsbohrungen<br />
durchführt, enthalten zusammen<br />
180.000 Tonnen Zinn.<br />
JORC-Standard<br />
Als Maßstab für international verbindliche<br />
Aussagen zur Verfügbarkeit von<br />
Rohstoffen (Reserven und Ressourcen)<br />
gilt heute der australische JORC-Standard<br />
(Joint Ore Reserves Committee).<br />
Anhand dieser Zahlen können Anleger<br />
die Abbaugesellschaften untereinander<br />
vergleichen sowie zukünftige Chancen<br />
und Risiken einer Investition besser<br />
abwägen. Der JORC Code ist definiert<br />
und für jede Gesellschaft bindend.<br />
Nach anfänglichen Differenzen schlossen<br />
sich in den 1990er Jahren auch<br />
Südafrika, Großbritannien, Kanada und<br />
die USA dem australischen Standard<br />
an. Er ist damit auch für die Erzvorkommen<br />
in Sachsen bindend.<br />
nicht nur, dass sie dies schaffen, sondern<br />
auch, was das Ergebnis der Erkundungen<br />
betrifft. Er schließt nicht mehr aus, dass<br />
sie die bisherigen Prognosen gar noch<br />
nach oben korrigieren.<br />
Schon jetzt wird unter dem 800 Meter<br />
hohen Gottesberg das womöglich größte<br />
Zinnvorkommen der Welt vermutet –<br />
120.000 Tonnen des auf dem Rohstoffmarkt<br />
stark gefragten Wertmetalls. Nach<br />
BOHRKERN: Dr. Jörg Reichert erhofft sich<br />
aus den Proben Rückschlüsse auf Zinnerz.<br />
dem gegenwärtigen Marktpreisniveau<br />
sind das rund 2,7 Milliarden Euro.<br />
Auch Anja Ehser teilt die Zuversicht<br />
ihres Chefs. Bei ihr in einer Industriebrache<br />
am Rande der Chemnitzer City landen<br />
alle Bohrkerne. Ihr Part wie auch der<br />
ihrer Kollegin Sandy Bülow besteht darin,<br />
die zuvor in Viertel aufgesägten Bohrproben<br />
optisch zu sichten und danach zu<br />
loggen, wie es Geologen nennen.<br />
Zur Linken ihr Laptop, vor sich das<br />
Bohrschema aus DDR-Zeiten und in der<br />
Rechten ein so genanntes Niton-Gerät,<br />
mit dem sich zügig der Metallgehalt im<br />
Bohrkern scannen lässt: Was dem Laien<br />
im ersten Moment etwas monoton erscheint,<br />
erlebt die junge Leipzigerin<br />
auch als ein kleines Abenteuer. Denn<br />
jede Probe sei halt <strong>anders</strong>, ein Unikat,<br />
sagt sie. Mithin weiß sie eher als jeder andere,<br />
wie viel Zinn da zuweilen im Stein<br />
schlummert. »Zuweilen ein ganzes Prozent«,<br />
verrät sie.<br />
Letzten Aufschluss würden dann aber<br />
weitere Analysen in Schweden und Kanada<br />
geben, ergänzt Dr. Jörg Reichert. Erst<br />
wenn diese Ergebnisse vorliegen, können<br />
verbindliche Aussagen nach JORC-Standard<br />
vorgenommen werden: »Ich gehe<br />
mal davon aus, dass wir es im Sommer<br />
dieses Jahres genau wissen.«<br />
Harald Lachmann<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 53
NACHRICHTEN<br />
Fotos: H.-W. Oertel<br />
pitcom GmbH Plauen<br />
Einsatz bei Bombardier<br />
Eine Logistik-Innovation aus dem Vogtland ist jetzt bei einem<br />
ersten Großunternehmen im Einsatz. In Görlitz hilft sie, die<br />
Produktion von Schienenfahrzeugen rationeller zu gestalten.<br />
Der Hersteller von Schienenfahrzeugen<br />
Bombardier Transportation<br />
nutzt am Standort Görlitz als<br />
erstes Großunternehmen eine sächsiche<br />
Logistikinnovation. Im Vorfeld wurden<br />
über 6.000 bewegliche Arbeitsmittel wie<br />
Leitern, Schweißgeräte und Bohrmaschinen<br />
mit RFID-Tags ausgestattet. Die Informationen<br />
darauf – so Inventur- und Prüfergebnisse<br />
– werden wie ein Barcode mit<br />
einem pitcom-Handy ausgelesen und an<br />
eine Datenbank übermittelt.<br />
Als Entwickler innovativer Geschäftsprozesslösungen<br />
hat die in Plauen ansässige<br />
pitcom GmbH eine Software entwickelt,<br />
die NFC-fähige Mobiltelefone<br />
mit dem RFID-Standard »verheiratet«.<br />
Handelsübliche Handys mit spezieller<br />
Software-Konfiguration eröffnen beim<br />
mobilen Controlling jetzt auch über die<br />
Bau- und Sicherheitsbranche hinaus kostensparende<br />
Perspektiven auch bei Inventurprozessen.<br />
Die »magicguard24« genannte<br />
Innovation zur mobilen Datenerfassung<br />
in Echtzeit wurde am Jahresende<br />
mit dem Vodafone Enterprise Innovation<br />
Award 2011 ausgezeichnet.<br />
Bombardier Transportation in Görlitz,<br />
mit annähernd 1.200 Beschäftigten auf<br />
dem weiträumigen, 339 Hektar großen<br />
Gelände vor allem als Hersteller von Doppelstockzügen<br />
bekannt, nutzt die Mehrwerthandys<br />
inzwischen für die Inventarisierung<br />
mobiler Grundmittel. Wurde<br />
beispielsweise ein Schweißgerät, Hebezeug<br />
oder Druckgefäß turnusgemäß auf<br />
seine Zuverlässigkeit hin überprüft, hält<br />
der Wartungsmechaniker nur sein Handy<br />
an den RFID-Tag. Sofort werden die<br />
Echtzeitsignale des Prüfers in eine Datenbank<br />
eingespeist. Das System regeneriert<br />
automatisch den nächsten Prüftermin<br />
und signalisiert diesen mit »Vorwarnzeit«.<br />
Für Wolfgang Ernst, bei<br />
Bombardier in Görlitz verantwortlich für<br />
Maschinen und Medien, »optimiert die<br />
Kommunikations-Innovation die logistischen<br />
Abläufe enorm.« Zudem entstehe<br />
eine manipulationssichere Datenbasis.<br />
Für sein System hat pitcom (www.pitcom.de)<br />
ein Konzept für Businesskunden<br />
entwickelt. Es fügt die Netzinfrastruktur<br />
von Vodafone mit den sogenannten Unkaputtbar-Handys<br />
des US-Herstellers<br />
SONIM und der eigenen Softwarelösung<br />
zusammen. So lassen sich mobile Informationsprozesse<br />
optimieren. Die Bandbreite<br />
reicht von der Erfassung von Arbeitszeiten,<br />
Tätigkeitsmerkmalen und<br />
Ereignissen bis zu Geo-Koordinaten.<br />
Außerdem unterstützt das System die<br />
»flexible Personaldisposition«, den Zugriff<br />
von Teamleitern auf Dienstpläne<br />
und Aufgaben der Mitarbeiter.<br />
&<br />
NACHRICHT<br />
HANNOVER MESSE<br />
Brandenburger<br />
und Berliner dabei<br />
Umweltschutz-Technologien wachsen<br />
mit der Informationstechnik zusammen –<br />
ein Trend, der auf der Hannover Messe<br />
vom 23. bis 27. April im Mittelpunkt<br />
steht.<br />
Der Veranstalter, die Deutsche Messe AG,<br />
hat dafür den Begriff »greentelligence«<br />
kreiert, ein Kompositum aus »green und<br />
intelligence«. Das Partnerland China<br />
präsentiert seine intelligenten Lösungen<br />
für die Nachhaltigkeit. Der Premierminister<br />
der Volksrepublik China Wen Jiabao<br />
wird am 22. April 2012 mit Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel die Messe eröffnen.<br />
Die zentralen Themen der Hannover<br />
Messe sind die Industrieautomation<br />
und IT, Energie- und Umwelttechnologien,<br />
Industrielle Zulieferung, Produktionstechnologien<br />
und Dienstleistungen<br />
sowie Forschung und Entwicklung.<br />
Wie in den Vorjahren ist die Region Berlin-<br />
Brandenburg mit mehreren Gemeinschaftsständen<br />
auf der Messe vertreten,<br />
die von den Industrie- und Handelskammern<br />
und den Wirtschaftsfördereinrichtungen<br />
der Länder organisiert werden.<br />
Erstmalig dabei sind die Stände »Clean<br />
Technologies« (Halle 26, Stand D08) und<br />
»Elektromobilität« (Halle 25). Weitere<br />
Gemeinschaftsstände haben die Themen<br />
»Automation« (Halle 9, Stand A36), »Energie«<br />
(Halle 13, Stand C40), »Forschungsmarkt«<br />
(Halle 2, Stand C31) und »Zulieferindustrie«<br />
(Halle 5, Stand B16).<br />
Manfred Ronzheimer<br />
EINFACHER, SCHNELLER, SICHERER: Der Anwendung der Innovation aus Plauen bei dem Görlitzer Schienenfahrzeughersteller.<br />
54 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
Jetzt<br />
E-PAPER<br />
testen:<br />
wirtschaftundmarkt.de<br />
Wirtschaft & Markt, das ostdeutsche Wirtschaftsmagazin:<br />
Bei uns<br />
muss niemand<br />
Modelmaße<br />
haben, um<br />
auf den Titel<br />
zu kommen.<br />
Format reicht.<br />
WIRTSCHAFT& MARKT<br />
Der Osten aus erster Hand<br />
Redaktion Wirtschaft & Markt, Zimmerstraße 55, 10117 Berlin; Tel.: 030-278 94 50
BBIK-AKTUELL<br />
MEINUNG<br />
BBIKaktuell<br />
Brandenburgische Ingenieurkammer<br />
Körperschaft des öffentlichen Rechts<br />
AKTUELLE<br />
NACHRICHTEN<br />
Fotos: Archiv, BBIK<br />
Von WIELAND SOMMER,<br />
Präsident der BBIK<br />
Wichtiges Ehrenamt<br />
In diesen Wochen wählen die Mitglieder<br />
der Brandenburgischen Ingenieurkammer<br />
zum fünften Mal ihr<br />
Parlament – die Delegierten für die<br />
Vertreterversammlung. Die Wahl<br />
stellt die Weichen, mit welchen Persönlichkeiten<br />
sich die BBIK im gesellschaftlichen<br />
Leben des Landes<br />
positioniert und den Berufsstand<br />
der überwiegend freiberuflich tätigen,<br />
planenden und selbständigen<br />
Ingenieurinnen und Ingenieuren<br />
präsentiert, unterstützt und voranbringt.<br />
Die Mitglieder der 5.Legislatur<br />
werden die Entwicklung des<br />
Berufsstandes durch die von ihnen<br />
geprägte Berufspolitik unmittelbar<br />
bestimmen. Sie nehmen in der<br />
öffentlichen Diskussion mit der<br />
Vertretung des Berufsstandes entscheidenden<br />
Einfluss auf die wirtschaftlichen<br />
und berufspolitischen<br />
Rahmenbedingungen der Berufsausübung.<br />
Ein Ehrenamt mit herausragender<br />
Bedeutung!<br />
Positive Ergebnisse prägten die<br />
4.Legislaturperiode: Mit der Novellierung<br />
des Brandenburgischen Ingenieurgesetzes<br />
wurde die Pflichtmitgliedschaft<br />
für bauvorlageberechtigte<br />
Ingenieure im Gesetz verankert.<br />
Die Zusammenarbeit mit<br />
den Berliner Kammern wurde per<br />
Vereinbarung festgeschrieben. Im<br />
Prüfungsausschuss für Prüfsachverständige<br />
der BBIK legen seit 2011<br />
Ingenieure und Architekten aus Berlin<br />
die Prüfungen für energetische<br />
Gebäudeplanung ab, um die amtliche<br />
Anerkennung zu erlangen. Mit<br />
zwei Baukulturpreisverleihungen<br />
und der Veranstaltungsreihe »Ingenieure<br />
treffen Schule« machte die<br />
BBIK in der Öffentlichkeit auf die<br />
Tätigkeit des Berufsstandes aufmerksam.<br />
Unsere regionalen Mitgliederversammlungen<br />
stehen für<br />
die Mitgliedernähe der BBIK. Die<br />
neue Vertreterversammlung wird<br />
die positiven Erfahrungen der bisherigen<br />
vier Legislaturen fortführen<br />
und neue Impulse geben. Nehmen<br />
Sie als BBIK-Mitglied Ihr verbrieftes<br />
Wahlrecht wahr. Noch besser:<br />
Stellen Sie sich zur Kandidatur für<br />
ein Ehrenamt zur Verfügung.<br />
AUSSCHREIBUNG<br />
Strikte<br />
Trennung<br />
Die Kopplung der Auftragsvergabe<br />
nach VOB und von<br />
Prüfsachverständigenleistungen<br />
ist unzulässig.<br />
Sie widerspricht dem Bauordnungsrecht.<br />
Bei der Prüfung<br />
der sicherheitstechnischen<br />
Gebäudeausrüstung dürfen<br />
nur Prüfsachverständige tätig<br />
werden, die nicht selbst an<br />
den betreffenden Vorhaben<br />
planend oder bauausführend<br />
tätig waren beziehungsweise<br />
keinem Unternehmen angehören,<br />
welches planend oder<br />
bauausführend am Vorhaben<br />
beteiligt war (Paragrafen 3<br />
Absatz 2 und 4 BbgPrüfSV).<br />
Das schließt eine Ausschreibung<br />
der Prüfsachverständigenleistungen<br />
im Rahmen<br />
von Ausschreibungen gemäß<br />
VOB/A aus. Gemäß Paragraf 5<br />
Absatz 1 der Brandenburgischen<br />
Sicherheitstechnischen<br />
Gebäudeausrüstungs-Prüfverordnung<br />
(BbgSGPrüfV) hat<br />
der Bauherr oder der Betreiber<br />
selbst die Prüfung durch<br />
den Prüfsachverständigen zu<br />
veranlassen. Darauf verweist<br />
das Ministerium für Infrastruktur<br />
und Landwirtschaft.<br />
Dort waren Hinweise eingegangen,<br />
dass bei öffentlichen<br />
Bauvorhaben die Prüfsachverständigenleistung<br />
als Bestandteil<br />
der Leistungsverzeichnisse<br />
ausgeschrieben<br />
wurden.<br />
Änderungen vorbehalten<br />
NORMENPORTAL<br />
Exklusiv für<br />
Mitglieder<br />
Als Service können BBIK-<br />
Mitglieder DIN-Normendokumente<br />
des Beuth Verlags<br />
vergünstigt abrufen.<br />
Grundlage dieses exklusiven<br />
Angebots für Mitglieder der<br />
Ingenieurkammern ist eine<br />
Rahmenvereinbarung, die die<br />
Bundesingenieurkammer<br />
mit dem Verlag zum online-<br />
Bezug von DIN-Normendokumenten<br />
abgeschlossen hat.<br />
Das Normenportal (www.normenportal-ingenieure.de)<br />
ist<br />
rund um die Uhr an 365 Tagen<br />
im Jahr zugänglich.<br />
Die Normen können nicht<br />
nur am Bildschirm gelesen,<br />
sondern auch ausgedruckt<br />
werden.<br />
Für dieses exklusive Angebot<br />
wurden aus mehreren<br />
tausend DIN-Normen und<br />
technischen Regeln, die derzeit<br />
im Bauwesen gültig sind,<br />
in Zusammenarbeit mit den<br />
Ingenieurkammern der Länder<br />
rund 500 am häufigsten<br />
abgerufene DIN-Normendokumente<br />
ausgewählt.<br />
Zusätzlich zu diesem Grundpaket<br />
können die Eurocodes<br />
(www.eurocode-online.de),<br />
deren bauaufsichtliche Einführung<br />
für den 1. Juli 2012<br />
vorgesehen ist, sowie die Texte<br />
der Vergabe- und Vertragsordnung<br />
(VOB) für Bauleistungen<br />
zu Sonderkonditionen<br />
bezogen werden.<br />
KALENDER<br />
WETTBEWERB<br />
Attraktive<br />
Preise<br />
Unter dem Motto »Ingenieure<br />
treffen Schule«<br />
ruft die BBIK Schüler<br />
und Studenten zu einem<br />
Fotowettbewerb auf.<br />
Die Ausschreibung vom<br />
1. April bis 31. Oktober<br />
2012 gilt in zwei Alterskategorien,<br />
von 14 bis 18<br />
und von 19 bis 25 Jahre.<br />
Gesucht werden lebendige<br />
und authentische Bilder mit<br />
besonderem Blick für herausragende<br />
ingenieurtechnische<br />
Leistungen. Den Bestplatzierten<br />
winken attraktive<br />
Preise, darunter ein Stuntworkshop<br />
für zwei Personen<br />
im Filmpark<br />
Babelsberg/Potsdam, ein<br />
Auto für ein Wochenende<br />
vom Autohaus Babelsberg,<br />
eine Übernachtung im NH<br />
Hotel Dresden, außerdem<br />
Eintrittskarten und Gutscheine<br />
für Freizeit-, Kulturund<br />
Sportveranstaltungen.<br />
Schirmherrinnen des Wettbewerbs<br />
sind die Ministerinnen<br />
für Wissenschaft, Forschung<br />
und Kultur, Prof. Dr.-<br />
Ing. Dr. Sabine Kunst, und<br />
für Bildung, Jugend und<br />
Sport, Dr. Martina Münch.<br />
Einsendeschluss ist der<br />
31. Oktober 2012 (Eingang<br />
in der BBIK). Die Preisverleihung<br />
findet im IV. Quartal<br />
2012 statt. Die Wettbewerbsarbeiten<br />
werden danach<br />
an verschiedenen<br />
Orten im Land Brandenburg<br />
ausgestellt.<br />
Informationen:<br />
www.ingenieure-treffenschule.de<br />
25.04.2012 Neuruppin Regionale Mitgliederversammlung der Regionen Prignitz, Ostprignitz-Ruppin<br />
und Oberhavel<br />
23.05.2012 Hangelsberg Regionale Mitgliederversammlung der Regionen Frankfurt (Oder), Oder-Spree<br />
und Märkisch-Oderland<br />
15.06.2012 Potsdam 17. Brandenburgischer Ingenieurkammertag<br />
56 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
BBIK-AKTUELL<br />
Fotos: Ullner<br />
BDVI<br />
20 Jahre in<br />
Brandenburg<br />
Das 20-jährige Jubiläum<br />
des Berufsstandes in<br />
Brandenburg würdigte der<br />
BDVI mit einem Festakt.<br />
Der Bund der Öffentlich bestellten<br />
Vermessungsingenieure<br />
zählt im Lande derzeit<br />
rund 150 freiberuflich tätige<br />
Vermessungsingenieure. Als<br />
verdienter Berufskollege wurde<br />
auf dem Festakt Kammermitglied<br />
Dipl.-Ing. Peter Hartmann<br />
für sein ehrenamtliches<br />
Engagement im Verband<br />
auf Landes- und Bundesebene<br />
mit der silbernen Ehrennadel<br />
des BDVI geehrt. Er ist seit<br />
acht Jahren aktives Vorstandsmitglied<br />
der BDVI-Landesgruppe<br />
Brandenburg und<br />
auch BBIK-Mitglied. Die Grußworte<br />
der Landesregierung<br />
überbrachte Infrastrukturminister<br />
Jörg Vogelsänger. Die<br />
Festansprache hielt Minister<br />
a. D. Reinhold Dellmann.<br />
BAUZUSTAND<br />
Schlechte<br />
Straßen<br />
Viele Bundes- und Landesstraßen<br />
im Land Brandenburg<br />
sind in einem<br />
mangelhaften Zustand.<br />
Schon vor dem Winter<br />
2010/2011 wiesen 56 Prozent<br />
der Landesstraßen eine Bauzustandsnote<br />
von schlechter<br />
als 3,5 auf. Bei 26 Prozent<br />
der Landesstraßen war die<br />
Zustandsnote von 4,5 bereits<br />
überschritten. Ab einem solchen<br />
Wert müssen in der Regel<br />
Erhaltungsmaßnahmen<br />
oder Verkehrsbeschränkungen<br />
eingeleitet werden. Das<br />
ergibt sich aus der Antwort<br />
des Ministers für Infrastruktur<br />
und Landwirtschaft auf<br />
eine kleine Anfrage des Abgeordneten<br />
Rainer Genilke<br />
(CDU). Zudem gibt es in Brandenburg<br />
über 700 Brückenbauwerke,<br />
die eine durchschnittliche<br />
Nutzungsdauer<br />
von 70–80 Jahren aufweisen.<br />
Architektur<br />
THEMA<br />
Stelen aus Edelstahl machen<br />
auf herausragende<br />
Bauten der »Moderne«<br />
der Jahre 1919 bis 1933 aufmerksam.<br />
Mit dieser gemeinsamen<br />
Aktion wollen die Ingenieurkammer<br />
und die<br />
Architektenkammer in Brandenburg<br />
das Bewusstsein für<br />
die Vielfalt und Bandbreite<br />
sowie für die hohe Qualität<br />
des Bauschaffens schärfen.<br />
Die Stelen informieren mit<br />
Inschriften und Bildern über<br />
legendäre Bauobjekte. Bisher<br />
stehen 13 Stelen, etwa vor der<br />
Zollbausiedlung Memelland<br />
in Brandenburg/Havel, vor der<br />
Grundschule Erich-Kästner in<br />
Frankfurt (Oder) sowie vor<br />
dem Regattahaus und dem<br />
dazugehörigen Musikpavillon<br />
AKTUELL<br />
Stelen der Moderne<br />
Ein Fotowettbewerb, Stelen aus Edelstahl und<br />
eine Ausstellung. Die BBIK würdigt die Qualität<br />
des Bauschaffens im Land Brandenburg.<br />
DIE STELEN erläutern herausragende Bauwerke.<br />
in Potsdam. Für weitere Stelen<br />
werden noch Sponsoren gesucht.<br />
TURM UND WOHNHÄUSER<br />
Herausragende architektonische<br />
und ingenieurtechnische<br />
Leistungen der Gegegenwart<br />
würdigt eine Ausstellung mit<br />
über 50 Wettbewerbsarbeiten,<br />
die vom 2. bis 17. April in den<br />
Bahnhofspassagen Potsdam<br />
gezeigt wird. Präsentiert werden<br />
die im Rahmen des<br />
Brandenburgischen Baukulturpreises<br />
2011 eingereichten<br />
Entwürfe. Sie zeigen, wie<br />
Architekten und Ingenieure<br />
generationengerecht planen<br />
und bauen und neue konstruktive<br />
und technische Systeme<br />
mit hoher Funktiona-<br />
KURZ<br />
NOTIERT<br />
BAURECHT<br />
Digitale Fassung<br />
Auf Basis des Europarechtsanpassungsgesetzes<br />
Erneuerbare<br />
Energien (EAG EE, BGBl I 2011,<br />
S. 619) erfolgte eine Änderung<br />
von Paragraf 3 Abs. 1 Nr. 6 des<br />
Hochbaustatistikgesetzes (HBau-<br />
StatG). Deshalb wurde mit Wirkung<br />
ab 1. Januar 2012 die Baugenehmigungsstatistik<br />
um Abfragen<br />
zu den Merkmalen »Art der<br />
Warmwasserbereitung und hier<br />
für vorgesehene Energie«, »Anlagen<br />
zur Lüftung«, »Anlagen zur<br />
Kühlung« sowie »Art der Erfüllung<br />
des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes«<br />
erweitert. Der Erhebungsbogen<br />
für Baugenehmigung/<br />
Baufertigstellung wurde dementsprechend<br />
inhaltlich geändert<br />
bzw. erweitert. Für Baugenehmigungen,<br />
die dem Amt für Statistik<br />
Berlin-Brandenburg seit dem Erhebungsmonat<br />
Januar 2012 gemeldet<br />
werden, sind nur noch neue<br />
Erhebungsbögen für die Bearbeitung<br />
geeignet. Redaktionell<br />
überarbeitet wurde auch der Erhebungsbogen<br />
für Bauabgang.<br />
Informationen: Amt für Statistik<br />
Berlin-Brandenburg, Tel.: (03 31)<br />
81 73 – 17 77; http://www.statistik-bw.de/baut/html/index.htm)<br />
lität und Energieeffizienz entwickeln.<br />
Zu sehen sind in der<br />
Ausstellung u. a. der sanierte<br />
Wasserturm in Finow, Institutsbauten<br />
in Potsdam, ein saniertes<br />
und umgenutztes<br />
Denkmal in Eisenhüttenstadt,<br />
Freianlagen und Brücken sowie<br />
Wohnhäuser. Unter dem<br />
Titel »Baukultur vor Ort« wird<br />
die Ausstellung auch in weiteren<br />
Städten in Brandenburg<br />
gezeigt werden.<br />
ADRESSE<br />
Brandenburgische Ingenieurkammer<br />
Schlaatzweg 1, 14473 Potsdam<br />
Tel.: (03 31) 743 18 0, Fax: 743 18 30<br />
E-Mail: info@bbik.de<br />
Internet: www.bbik.de<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 57
Foto: Volkswagen<br />
AUTOMOBIL<br />
Gut vier Jahre nach dem<br />
Debüt legt der edelste<br />
Vertreter der Passat-<br />
Baureihe seinen bisherigen<br />
Modellnamen ab und tritt<br />
nur noch als VW CC auf. Die<br />
Abkürzung CC steht »Comfort<br />
Coupe« und macht bei Design,<br />
Technik und Ausstattung<br />
dem Namen alle Ehre.<br />
Die neue Optik mit stark verchromtem<br />
Kühlergrill rückt<br />
den CC näher an den noblen<br />
großen Bruder Phaeton. Die<br />
Motorhaube wirkt mächtiger.<br />
Der gesamte Bereich der Front<br />
wurde überarbeitet, bekam<br />
schärfere Linien und – gemäß<br />
der Marken-Optik – mehr Elemente<br />
verpasst, die in die<br />
Breite ziehen. Der CC wird als<br />
Viersitzer ausgeliefert mit gut<br />
konturierten Sportsitzen vorn<br />
und ebenfalls ausgeprägten<br />
Einzelsitzen hinten.<br />
Das komplette Ambiente<br />
wirkt edler und hochwertiger<br />
und lässt sich mit unterschiedlichen<br />
Materialien und<br />
Farben dem persönlichen<br />
Geschmack ebenso anpassen<br />
wie dem Geldbeutel. Das neue<br />
viersitzige Gestühl bietet den<br />
hinten Sitzenden mehr Kopfraum,<br />
für Sitzriesen aber leider<br />
immer noch nicht genug.<br />
Die lassen sich vielleicht mit<br />
VolkswagenCC<br />
Comfort Coupe veredelt<br />
Die Wolfsburger Autobauer haben dem Modell CC<br />
ein markantes Facelifting verpasst. Auch innen<br />
glänzt die Limousine mit passablen Neuerungen.<br />
dem größeren Knieraum trösten.<br />
Viel Aufmerksamkeit hat<br />
VW den Fahrgeräuschen gewidmet.<br />
Ein neuer Unterboden,<br />
mehr Dämmmaterial<br />
und akustisch optimierte<br />
Scheiben an der Front und an<br />
den Seiten sorgen für ein an-<br />
genehm niedriges Innengeräuschniveau.<br />
Im Optionspaket<br />
finden sich viele Assistenzsysteme,<br />
wie sie sonst nur<br />
in der Oberklasse zu Hause<br />
sind. Als erster Volkswagen erhält<br />
der CC eine Kombina-tion<br />
aus dem Spurwechselassistenten<br />
und dem Spurhalteassistenten.<br />
Das System warnt vor<br />
Autos im toten Winkel oder<br />
beim Verlassen der Spur, und<br />
die Lenkung hält dagegen,<br />
wenn die Spur nicht frei ist<br />
oder der Fahrer unbeabsichtigt<br />
seine Spur verlässt.<br />
Beim Antrieb <strong>geht</strong> der CC<br />
mit wahlweise drei leistungsstarken<br />
Benzinern (160 bis<br />
300 PS) und zwei Dieseln (140<br />
und 170 PS) zur Sache. Hinzu<br />
gesellt sich ein Blue-TDI-Motor<br />
mit ebenfalls 140 PS, der<br />
bereits die erst ab Herbst geltenden<br />
strengen Grenzwerte<br />
der Euro-6-Norm erfüllt und<br />
sich mit 4,7 Litern auf 100 km<br />
begnügt. Ein echter Sparmeister<br />
seiner Klasse.<br />
Auf den ersten Blick wirkt<br />
der CC nicht wie ein Schnäppchen:<br />
die Preise starten bei<br />
31.800 Euro für den 1.8 TSI<br />
(160 PS). Also doch ein Design-<br />
Zuschlag gegenüber dem normalen<br />
Passat? Unterm Strich<br />
nicht, denn für den CC gibt es<br />
keine Ausstattungslinien, für<br />
die Käufer anderer VW-Modelle<br />
extra zur Kasse gebeten<br />
werden. Fazit: Die vielen praktischen<br />
Assistenzsysteme und<br />
das hohe Komfortniveau machen<br />
den CC zum idealen Geschäfts-<br />
und Reisefahrzeug.<br />
Hans Jürgen Götz<br />
Autopflege<br />
Frühjahrsputz im Fuhrpark<br />
Nach dem Winter steht für Firmenautos eine Runderneuerung auf dem Wartungsprogramm.<br />
W&M gibt Tipps, wie die Spuren widriger Wetterwochen wirkungsvoll beseitigt werden.<br />
WINTERDRECK WEGWASCHEN<br />
Gegen den Schmutz und das<br />
Salz des Winters empfiehlt sich<br />
ein Durchgang in der Waschanlage<br />
mit Vor- und Unterbodenwäsche.<br />
Wichtig: Türeinstiege<br />
mit mildem Reinigungsmittel,<br />
viel Wasser und weichem<br />
Schwamm von Hand säubern.<br />
Motor mit starkem Strahl<br />
abspritzen. Bei Benutzung<br />
eines Dampfstrahlers auf Elektrik<br />
und Elektronik achten.<br />
KRATZER BESEITIGEN<br />
Nach der Außenreinigung Lack<br />
und Kunststoffflächen konrollieren.<br />
Hochwertige Lackpolitu-<br />
ren entfernen feine Kratzer effizient.<br />
In schlimmeren Fällen<br />
helfen Kratzer-Polituren. Gehen<br />
Kratzer bis auf die Grundierung<br />
des Lacks, größere<br />
Folgeschäden durch professionelle<br />
Reparatur vermeiden.<br />
FELGEN GRÜNDLICH REINIGEN<br />
Bei der Frühjahrswäsche verdienen<br />
Alufelgen besonderes<br />
Augenmerk. Mit säurefreiem<br />
Felgenreiniger vorsprühen, damit<br />
sich hartnäckiger Bremsstaub<br />
wirklich gut lösen kann.<br />
Eine spezielle Felgenversiegelung<br />
zum Schluss erleichtert<br />
die nächste Reinigung.<br />
FÜR DURCHBLICK SORGEN<br />
Auf Autoscheiben bildet sich<br />
mit der Zeit an der Innenseite<br />
ein feiner Schmutzschleier,<br />
der bei ungünstigen Gegenlichtverhältnissen,<br />
etwa bei<br />
heller Sonne, zu extremer<br />
Sichtbeeinträchtigung führen<br />
kann. Mit Glasreiniger sorgen<br />
Sie für klare Verhältnisse. Feine<br />
Kratzer im Glas sind mit<br />
Scheibenpolitur entfernbar.<br />
GUMMIS PRÜFEN<br />
Die Scheibenwischer prüfen.<br />
Sie dürfen nicht schmieren.<br />
Reinigen Sie die Gummis. Bilden<br />
sich danach beim Wischen<br />
immer noch Schlieren oder<br />
Streifen, müssen die Wischerblätter<br />
ausgetauscht werden.<br />
Erneuern sie das Wischwasser<br />
und steigen auf Scheibenreiniger<br />
für den Sommer um.<br />
INNENRAUM SÄUBERN<br />
Polster und Fußmatten gründlich<br />
absaugen. Mikrofasertücher<br />
eignen sich für nahezu<br />
alle Oberflächen wie Armaturentafel<br />
und Verkleidungen. In<br />
hartnäckigen Fällen Kunststoffpflegemittel<br />
verwenden.<br />
Und bitte nicht vergessen:<br />
Kofferraum entrümpeln!<br />
Hans Jürgen Götz<br />
&<br />
58<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
PORTRÄT<br />
Fotos: U. Toelle/Super Illu<br />
Argenta Schokoladenmanufaktur GmbH<br />
Kreativer Gaumen<br />
Der Weißenfelser Unternehmer Wolfgang Dietrich lässt sich vom<br />
Geschmack und Kaufverhalten der Kunden inspirieren und hat<br />
eine traditionsreiche Schokoladenmarke zu neuem Leben erweckt.<br />
Das Büro des Chefs der Argenta<br />
Schokoladenmanufaktur GmbH<br />
befindet sich an ungewöhnlichem<br />
Ort. Vom Wintergarten seines<br />
Hauses in Weißenfels aus führt Wolfgang<br />
Dietrich sein Unternehmen. Im Kellerbereich<br />
des Hauses sind weitere Büros<br />
für acht Mitarbeiter untergebracht. Fast<br />
entschuldigend erklärt Ehefrau Ursula:<br />
»Dies war alles mal <strong>anders</strong> geplant, aber<br />
es ist im Laufe der Jahre so gewachsen.«<br />
Die Produktionsstätte mit Verkaufsladen<br />
befindet sich dagegen am Rande<br />
der Stadt, in der Naumburger Straße.<br />
Täglich verlassen bis zu 28 Lkw das<br />
Weißenfelser Werksgelände, beladen mit<br />
Schokoladenartikeln. 50 Sorten werden<br />
derzeit produziert. Darunter Verkaufshits<br />
wie »Brockensplitter«, die »Feinen<br />
Tröpfchen« und »Nougattütchen«. Die<br />
diesjährige Osterproduktion ist gelaufen.<br />
Dietrich ist Schokoladen-Fachmann.<br />
Auf dem Esstisch in seinem Büro stehen<br />
Tüten, Schachteln und Päckchen. Hier<br />
wird genascht. »Erstens muss man ständig<br />
die eigene Produktqualität überprüfen.<br />
Zweitens werden Neuentwicklungen<br />
immer wieder verkostet. Und drittens<br />
muss ich auch wissen, was die Konkurrenz<br />
so macht«, sagt der 61-Jährige.<br />
Bei all der beruflichen Nascherei ist<br />
der gebürtige Merseburger rank und<br />
schlank geblieben. Ein sportlicher Typ,<br />
gekleidet in legeren schwarzen Jeans, kariertem<br />
Oberhemd und dicker Strickjacke.<br />
Nichts mit Geschäftsanzug und<br />
Krawatte. »Ich habe den typischen Geschmack<br />
eines Otto Normalverbrauchers«,<br />
sagt Dietrich. Trendige Geschmackskreationen<br />
wie Schokolade mit<br />
Chili mag er nicht. Die Firma konzentriert<br />
sich auf das, was seit jeher den<br />
ostdeutschen Naschkatzen geschmeckt<br />
hat. Da wird verfeinert und verbessert.<br />
Oder <strong>anders</strong> beschrieben: Was dem Chef<br />
schmeckt, das wird produziert.<br />
Dietrich brütet unentwegt neue Projekte<br />
aus, auch im Gespräch hält es ihn<br />
nicht lange auf seinem Stuhl. Unruhig<br />
läuft er hin und her. Selbst neben seinem<br />
Bett lägen immer Stift und Block, erklärt<br />
Ehefrau Ursula, um Einfälle und Gedanken<br />
schnell notieren zu können. Einen<br />
aktuellen kreativen Einfall hat er jüngst<br />
auf der Süßwarenmesse in Köln präsentiert:<br />
ein »Dip-Ei«. Einen Oster-Kalenderkranz<br />
hatte er ebenfalls im Gepäck. »Wir<br />
sind damit einzigartig in Europa, weil<br />
verpackungstechnisch nur wir diesen<br />
Kranz fertigen.« Für die innovativen Produkte<br />
wird im eigenen Haus getüftelt. Im<br />
Sommer dieses Jahres kommt seine<br />
»Dschungelsafari« für Kinder auf den<br />
Markt. Eine Nougat-PuffreisTafel ist in<br />
Arbeit. Neu sind auch die pastellfarbenen<br />
Schaumtiere. Sein »Weihnachtswilli«<br />
war im zurückliegenden Weihnachtsgeschäft<br />
deutschlandweit ein Renner.<br />
Der Argenta-Chef ist nicht in der Branche<br />
groß geworden. Er studierte weder<br />
Lebensmitteltechnologie noch Lebensmittelchemie.<br />
Von Hause aus ist er Mathematiker.<br />
Zu DDR-Zeiten programmierte<br />
er Werkzeugmaschinensysteme.<br />
Dafür hat er einst den Nationalpreis für<br />
Wissenschaft und Technik erhalten.<br />
»Darauf bin ich immer noch stolz.«<br />
Von seinem kreativen Geist hat auch<br />
Ehefrau Ursula beruflich profitiert. Als<br />
PRALINEN PRALL: Der Argenta-Chef<br />
Wolfgang Dietrich und Ehefrau Ursula.<br />
sie sich mit dem Gedanken trug, im<br />
Wohnhaus der Familie ein Eiscafé aufzumachen,<br />
baute Ehemann Dietrich ihr die<br />
erste Eismaschine. Das Gerät hat längst<br />
ausgedient. Das Eiscafé existiert noch.<br />
Mit der Wende kam für Wolfgang<br />
Dietrich das Ende seiner Programmierer-<br />
Tätigkeit. Aber eine neue Idee war schon<br />
geboren. Er gründete eine Handelsagentur<br />
und verkaufte Ernährungsprodukte<br />
der Marken Kathi, Dr. Quendt, Halloren,<br />
Viba, Wurzener Nahrungsmittel oder<br />
Zetti. »Das war eine Zeit, in der ich<br />
enorm viel gelernt habe.«<br />
So beobachtete er nicht nur stetig den<br />
Süßwarenmarkt, sondern auch das<br />
Kaufverhalten von Kunden und die Verkaufsstrategie<br />
der Discounter. »Auffallend<br />
ist, wie sehr sie auf regionale Produkte<br />
setzen und diese stark bewerben«,<br />
resümiert Dietrich. Und es fiel ihm auf,<br />
das in klassischen Hersteller-Ländern der<br />
Süßwarenbranche wie Sachsen-Anhalt<br />
und Sachsen nach 1990 etliche Marken<br />
verschwanden, die bis dahin in einem<br />
guten Ruf gestanden hatten wie »Elbflorenz«<br />
aus Dresden und »Argenta« aus<br />
Wernigerode.<br />
2002 kaufte Dietrich die Marke »Argenta«.<br />
Seit 2004 werden die Argenta-Produkte<br />
nicht mehr im Harz, sondern im<br />
anhaltinischen Weißenfels in der Schokoladenmanufaktur<br />
produziert. 13 Millionen<br />
Euro investierte der Unternehmer.<br />
Die Stadt unterstützte das Vorhaben,<br />
das Land Sachsen-Anhalt half, auch<br />
EU- Fördergelder flossen. Für den beruflichen<br />
Seiteneinsteiger arbeiten mittlerweile<br />
70 Leute und erwirtschaften bis zu<br />
16 Millionen Euro Umsatz pro Jahr.<br />
Momentan wird die Schokoladenmanufaktur<br />
um ein Drittel in der Fläche erweitert.<br />
»Wir benötigen mehr Lagerkapazitäten,<br />
wollen die Pralinenproduktion<br />
erhöhen und freie Kapazitäten für neue<br />
Produktlinien haben.«<br />
Für seinen Mut und sein Engagement<br />
erhielt der Weißenfelser 2009 den Unternehmerpreis<br />
des Ostdeutschen Sparkassenverbandes.<br />
»Wenn ich vorab gewusst<br />
hätte, was da auf mich zukommt, dann<br />
hätte ich diesen Job gar nicht erst gemacht,«<br />
bekennt der Geehrte im Rückblick<br />
auf die Anfänge. Er habe ja nicht<br />
mal gewusst, wie viel Geld man braucht.<br />
Und wie viel Verantwortung es zu schultern<br />
gilt. Urlaub oder Freizeit kennt Dietrich<br />
seit Jahren nicht. Für’s Hobby – er<br />
sammelt leidenschaftlich Uhren – bleibt<br />
keine freie Minute. Doch wenn er mal<br />
nicht eine neue Schokoladenidee ausspinnt,<br />
gönnt er sich einen entspannten<br />
Blick vom Wintergarten aus auf seine Galerie<br />
von 70 Zeitmessern.<br />
Daniela Sell<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 59
UV-AKTUELL<br />
Zeitarbeitsfirma bester Arbeitgeber in Thüringen<br />
Fachkräfte-Meyers goldene Regeln<br />
Bundesweit tobt ein Streit um die Leiharbeit. Gewerkschafter warnen vor Missbrauch. Unternehmer<br />
schwören auf sie. Dazu passt eine Nachricht: Die größte einheimische Personaldienstleisterin<br />
Thüringens, die GeAT AG, wurde unlängst als eine der besten Firmen Deutschlands ausgezeichnet.<br />
Ende Januar dieses Jahres,<br />
tief im Westen,<br />
im Duisburger Landschaftspark-Nord.<br />
Die Industriekulisse<br />
beeindruckt, Tatort-Legende<br />
Götz George alias<br />
Horst Schimanski könnte jeden<br />
Moment um die Ecke biegen.<br />
Im Rampenlicht der Jahresveranstaltung<br />
2012 des<br />
Benchmarkingprojekts »Top<br />
Job« stehen die besten mittelständischen<br />
Arbeitgeber<br />
Deutschlands. Ex-Bundeswirtschaftsminister<br />
Wolfgang<br />
Clement zeichnet sie aus.<br />
Im vergangenen Jahr hat<br />
die Universität St. Gallen das<br />
Personalmanagement von<br />
bundesweit 147 Unternehmen<br />
untersucht und deren 34.000<br />
Mitarbeiter interviewt. Zu den<br />
besten Firmen und Institutionen<br />
gehört die Gesellschaft<br />
für Arbeitnehmerüberlassung<br />
Thüringen, die Erfurter GeAT<br />
AG. Bereits zum zweiten Mal.<br />
In diesem Jahr landete das<br />
Zeitarbeit-Unternehmen auf<br />
Platz vier der Top 100 Arbeitgeber<br />
Deutschlands.<br />
Ausgerechnet eine Firma<br />
aus dem Freistaat Thüringen!<br />
Matthias Machnig, dort Landesminister<br />
für Wirtschaft,<br />
Arbeit und Technologie, hatte<br />
im vergangenen Jahr bundesweit<br />
Schlagzeilen gemacht.<br />
Mit einer Initiative gegen den<br />
Missbrauch von – Zeitarbeit.<br />
Firmen mit einem hohen<br />
Leiharbeiteranteil erhalten<br />
im Freistaat nur noch eingeschränkt<br />
Fördermittel oder<br />
gar keine. Die Begründung:<br />
Die Zeitarbeiter bekämen bedeutend<br />
weniger Entgelt als<br />
Stammkräfte (s. W&M 3/2012).<br />
Helmut Meyer, der ebenso<br />
visionäre wie umtriebige<br />
Gründer und Vorstandssprecher<br />
der GeAT, hält im Gespräch<br />
mit W&M diesen<br />
Machnig-Vorstoß nicht für erwähnenswert.<br />
Er ist längst zu<br />
anderen Ufern unterwegs.<br />
Fachkräftemangel, equal-pay<br />
oder Mindestlohn sind seine<br />
Stichworte. Er würdigt indes<br />
die Bemühungen des Ministers<br />
um Unternehmensansiedlungen,<br />
überhaupt die<br />
Nähe der Landesregierung<br />
zur Wirtschaft. Da sieht Meyer<br />
viel Licht: »Wir profitieren<br />
von den Ansiedlungen.«<br />
Es versteht sich, dass der<br />
GeAT-Inhaber ein Herold in eigener<br />
Sache ist. Für ihn ist die<br />
Zeitarbeit ein integrativer<br />
Bestandteil modernen, flexiblen<br />
Wirtschaftens. Ein kaum<br />
zu überschätzender Wettbewerbsvorteil.<br />
Kein Jobkiller,<br />
sondern ein Weg aus der Arbeitslosigkeit<br />
– für viele Menschen<br />
die schier einzige reale<br />
Chance, wieder in Lohn und<br />
Brot zu kommen. Nach Einschätzung<br />
von Gesamtmetall-<br />
Präsident Martin Kannegiesser<br />
sichert Zeitarbeit gar ein<br />
Fünftel der Arbeitsplätze in<br />
der deutschen Metall- und<br />
Elektroindustrie. Mit der<br />
GeAT, die mit annähernd<br />
1.700 Beschäftigten größte<br />
einheimische Anbieterin von<br />
Personaldienstleistungen in<br />
Thüringen ist, sieht sich Meyer<br />
auch als ein Zukunftssicherer<br />
des Landes.<br />
WER KOMMT, DER BLEIBT<br />
Zumal der unweit von Koblenz<br />
Gebürtige hier sesshaft<br />
geworden ist. Angefangen hat<br />
er hier am 15. November 1990<br />
– als Beamter im Beitrittsgebiet.<br />
Ursprünglich abgeordnet<br />
für ein paar Tage, sind es<br />
Jahrzehnte geworden. Das<br />
wichtigste an der neuen Heimat<br />
sei, dass er hier tolle<br />
Teams gefunden habe, sagt<br />
der ehemalige Leiter eines<br />
Arbeitsamtes. 1995 gehörte er<br />
zu den GeAT-Gründern im<br />
Rahmen eines Management<br />
buy-outs, der Übernahme<br />
einer Fördergesellschaft des<br />
Landes. Das Kapital stammte<br />
auch aus dem Verkauf seines<br />
Häuschens im Rheinischen.<br />
Von den Mitarbeitern der ersten<br />
Stunde sind die meisten<br />
noch dabei. »Wer die Probezeit<br />
übersteht und den Arbeitsvertrag<br />
unterschreibt,<br />
der bleibt«, erklärt er.<br />
Stichwort Mindestlohn. Seit<br />
Anfang Januar 2012 wird in<br />
der Branche ein Mindestlohn<br />
gezahlt – jetzt 7,01 Euro die<br />
Stunde im Osten und 7,89<br />
Euro im Westen, ab Anfang<br />
November werden es dann<br />
7,50 Euro Ost und 8,19 Euro<br />
West sein. Meyer hält das für<br />
einen »Meilenstein in der Geschichte<br />
und einen Erfolg für<br />
die Zukunft der Zeitarbeit«.<br />
Was er nicht erzählt: Er<br />
gehört zu den Vätern dieser<br />
von den Tarifpartnern vor der<br />
gesetzlichen Festlegung ausgehandelten<br />
Lohnuntergrenze.<br />
Der GeAT-Durchschnitts-<br />
EINGESPIELTES TEAM: Friedrich W. Schmitz, Gudrun Wegner und Helmut Meyer (v.l.n.r.).<br />
60 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
UV-AKTUELL<br />
Fotos: Torsten George<br />
lohn liegt bei 8,37 Euro die<br />
Stunde. »Ich hätte nicht Hunderte<br />
von Leuten an Bord«, so<br />
Meyer, »wenn draußen mehr<br />
bezahlt würde.«<br />
Thüringen ist ein mittelständisch<br />
geprägtes Land.<br />
Meyer selbst versteht sich als<br />
Mittelständler, als Familienunternehmer<br />
und als Partner<br />
des Mittelstands. Keine zehn<br />
seiner Kunden haben mehr<br />
als 20 Beschäftigte. Und zu<br />
den GeAT-Prinzipien gehört,<br />
höchstens fünf Prozent der<br />
eigenen Belegschaft an jeweils<br />
einen Kunden zu verleihen.<br />
Das sichert die Arbeitsplätze<br />
und schützt vor Risiken.<br />
Wie Meyer überhaupt auf<br />
Nachhaltigkeit schwört. Zu<br />
seinen goldenen Regeln zählen:<br />
»Liquidität vor Expansion,<br />
Rentabilität vor Umsatz,<br />
Zukunftssicherung vor Aktienwertsteigerung.«<br />
PUNKTGENAU: Gezielte Qualifizierung an der GeAT-Akademie.<br />
BRATWURST STATT PAELLA<br />
Zeitarbeit gilt nicht von ungefähr<br />
als Seismograph des Arbeitsmarktes.<br />
Und Helmut<br />
Meyer wäre kein erfolgreicher<br />
Mittelständler, wenn er auf<br />
Veränderungen nicht unternehmerisch<br />
reagierte. Stichwort<br />
Fachkräftemangel. Mit<br />
der bereits 2004 gegründeten<br />
und im Juni 2011 neu formierten<br />
GeAT Akademie bietet die<br />
Gesellschaft fachspezifische<br />
Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen<br />
an.<br />
Akademie-Chefin Gudrun<br />
Wegner spricht nicht nur pro<br />
domo, wenn sie die Vorzüge<br />
einer punktgenauen Vorbereitung<br />
der Arbeitnehmer auf<br />
ihren künftigen Job preist.<br />
»Eine Qualifizierung ins<br />
Blaue hinein gibt es nicht<br />
mehr. Jedenfalls nicht bei<br />
uns«, sagt sie und verweist<br />
auf eine Übernahmegarantie<br />
nach den Lehrgängen.<br />
Der Thüringerin, die aus<br />
der Nähe von Bad Berka<br />
stammt, kommt ihre langjährige<br />
Vernetzung im Lande zugute<br />
– nicht nur mit Firmen,<br />
sondern auch mit Bildungseinrichtungen<br />
und anderen<br />
Institutionen. Darauf schwört<br />
die ehemalige Leiterin der<br />
Niederlassung Erfurt. So<br />
könnten die Akademie-Strukturen<br />
schlank gehalten werden<br />
und die praktische Ausbildung<br />
werde ohnehin am<br />
besten bei dem jeweiligen<br />
GeAT-Kunden absolviert. Ein<br />
halbes Hundert dieser Kunden<br />
hat die Firma gegenwärtig,<br />
die sich in 14 Niederlassungen<br />
und drei Regionalbüros<br />
gliedert.<br />
Gudrun Wegners Plädoyer<br />
für Netzwerke bekräftigt Friedrich<br />
W. Schmitz. Er ist neben<br />
Hartmut Meyer Geschäftsführer<br />
der Meyer Fachkräfte<br />
FAKTEN<br />
Die Gesellschaft für Arbeitnehmerüberlassung<br />
Thüringen<br />
AG blickt auf 23.450<br />
Einstellungen von Arbeitssuchenden<br />
von 1995 bis<br />
Ende 2011 und auf 10.086<br />
Integrationen in dauerhafte<br />
Beschäftigungen am ersten<br />
Arbeitsmarkt im Land zurück.<br />
Damit ist fast jeder zweite<br />
Leiharbeiter unterdessen<br />
fest angestellt worden.<br />
Die Zahl der Zeitarbeiter<br />
nimmt überall in Deutschland<br />
zu. Nach einer aktuellen<br />
Studie wird der Markt für<br />
Leiharbeit in diesem Jahr erneut<br />
um elf Prozent wachsen<br />
– nach 19 Prozent im Jahr<br />
2011. Damit würde erstmals<br />
die jahresdurchschnittliche<br />
Anzahl von über einer Millionen<br />
Zeitarbeitern im Jahr<br />
2012 überschritten. 2011<br />
waren es noch 982.000.<br />
In den vergangenen zehn<br />
Jahren hat sich die Zahl der<br />
Leiharbeiter verdreifacht.<br />
GmbH, einer weiteren Firma<br />
der Gesellschaft für Personaldienstleistungen.<br />
Der Name<br />
ist Programm – eine Reaktion<br />
auf den veränderten Markt<br />
und zugleich Notwendigkeit<br />
einer Grenzüberschreitung.<br />
Denn mit der im November<br />
2009 gegründeten Fachkräfte-<br />
Firma wagte sich Meyer nach<br />
Sachsen-Anhalt und da stört<br />
die Festlegung auf »Thüringen«<br />
im Firmennamen. Seit<br />
September vergangenen Jahres<br />
gibt es zudem Niederlassungen<br />
in Sangerhausen und<br />
Wolfen. Auf ein Büro in Köln<br />
sollen jeweils eins in Regensburg<br />
und Bayreuth folgen.<br />
Nach den Visionen und Plänen<br />
des geschäftsführenden<br />
Gesellschafters Helmut Meyer<br />
agiert das Fachkräfte-Unternehmen<br />
künftig sogar europaweit.<br />
Der Anfang ist gemacht<br />
– mit der Fachowcy Firmy<br />
Meyer Sp. z o.o in Jawor<br />
(Polen). Auch Schmitz denkt<br />
längst daran, Fachkräfte beispielsweise<br />
in Spanien zu akquirieren.<br />
»Bei einer Jugendarbeitslosigkeit<br />
von fast 50<br />
Prozent dort, überlegt vielleicht<br />
dieser oder jene, ihr<br />
Glück hierzulande zu suchen«,<br />
überlegt er laut. »Und<br />
womöglich findet diese oder<br />
jener, dass die Bratwurst besser<br />
schmeckt als eine Paella.«<br />
Mit Schmitz’ Neigung zu<br />
Netzwerken hat es noch eine<br />
besondere Bewandtnis. Der in<br />
Wuppertal geborene Betriebswirt,<br />
der zuvor als selbstständiger<br />
Immobilienberater tätig<br />
war, sich selbst aber mehr als<br />
Teamarbeiter bezeichnet, bekleidet<br />
eine ehrenamtliche<br />
Funktion. Er ist Vorstandsmitglied<br />
im Thüringer UV und<br />
schon deshalb an Informations-<br />
und Erfahrungsaustausch<br />
interessiert.<br />
EQUAL PAY, ABER RICHTIG<br />
Die derzeitigen Tarifverhandlungen<br />
in der Metall- und<br />
Elektroindustrie im Nordosten<br />
sind Mitte März abgebrochen<br />
worden. Der neuralgische<br />
Punkt ist der Umgang<br />
mit der Zeitarbeit. Dabei <strong>geht</strong><br />
es um die alte Gewerkschaftsforderung<br />
nach »gleichem<br />
Lohn für gleiche Arbeit« – auf<br />
Neudeutsch um equal pay,<br />
um gleiche Bezahlung – und<br />
es <strong>geht</strong> um Mitbestimmung<br />
über den Einsatz der Leiharbeiter<br />
durch die Betriebsräte.<br />
Helmut Meyer ist langjähriges<br />
MINISTER ÜBERZEUGT: Meyer<br />
im Dialog mit Ressortchef Rösler.<br />
Mitglied der Tarifkommission<br />
von Gewerkschaften und der<br />
iGZ, dem interressenverband<br />
Deutscher Zeitarbeitsunternehmen.<br />
Er ist für »equal pay,<br />
aber vernünftig«.<br />
Natürlich könne ein Leiharbeiter<br />
nicht so bezahlt werden<br />
wie eine Stammkraft, die<br />
zehn Jahre oder länger den<br />
Job macht. Andererseits müsse<br />
es eine Befristung der Leiharbeit<br />
geben, eine Übernahme,<br />
wenn jemand schon geraume<br />
Zeit den Arbeitsplatz<br />
ausfüllt. Aber Meyer sieht viel<br />
Bewegung in der Diskussion<br />
zwischen Unternehmern und<br />
Gewerkschaftern. Er traut<br />
sich sogar ein Voraussage gegenüber<br />
W&M zu: »Gehen Sie<br />
mal davon aus, dass das Thema<br />
equal pay bis zur Bundestagswahl<br />
2013 abgeräumt ist.«<br />
Helfried Liebsch<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 61
UV-AKTUELL<br />
GESCHÄFTSSTELLEN<br />
der Unternehmerverbände<br />
Unternehmerverband Berlin e.V.<br />
Präsident: Armin Pempe<br />
Hauptgeschäftsführer: Andreas Jonderko<br />
Geschäftsstelle:<br />
Ingrid Wachter (Sekretariat)<br />
Frankfurter Alllee 202, 10365 Berlin<br />
Tel.: (030) 981 85 00, 981 85 01<br />
Fax: (030) 982 72 39<br />
E-Mail: mail@uv-berlin.de<br />
Unternehmerverband Brandenburg e.V.<br />
Präsident: Eberhard Walter<br />
Hauptgeschäftsstelle Cottbus:<br />
Roland Kleint<br />
Schillerstraße 71, 03046 Cottbus<br />
Tel.: (03 55) 226 58, Fax: 226 59<br />
E-Mail: uv-brandenburg-cbs@t-online.de<br />
Bezirksgeschäftsstelle Potsdam:<br />
Bezirksgeschäftsführer: Hans-D. Metge<br />
Hegelallee 35, 14467 Potsdam<br />
Tel.: (03 31) 81 03 06<br />
Fax: (03 31) 817 08 35<br />
Geschäftsstelle Frankfurt (Oder):<br />
Geschäftsführer: Detlef Rennspieß<br />
Perleberger Str. 2, 15234 Frankfurt (O.)<br />
Tel.: (03 35) 400 74 56<br />
Mobil: (01 73) 633 34 67<br />
Unternehmerverband Rostock und<br />
Umgebung e.V.<br />
Präsident: Frank Haacker<br />
Geschäftsführerin: Manuela Balan<br />
Geschäftsstelle:<br />
Wilhelm-Külz-Platz 4, 18055 Rostock<br />
Tel.: (03 81) 242 58 -0, 242 58 -11<br />
Fax: 242 58 18<br />
Regionalbüro Güstrow:<br />
Am Augraben 2, 18273 Güstrow<br />
Tel.: (038 43) 23 61 12, Fax: 23 61 17<br />
Unternehmerverband Norddeutschland<br />
Mecklenburg-Schwerin e.V.<br />
Präsident: Rolf Paukstat<br />
Hauptgeschäftsführer: Wolfgang Schröder<br />
Geschäftsstelle:<br />
Brunnenstraße 32, 19053 Schwerin<br />
Tel.: (03 85) 56 93 33, Fax: 56 85 01<br />
Unternehmerverband Thüringen e.V.<br />
Präsident: Peter Baum<br />
Geschäftsstelle:<br />
IHK Erfurt<br />
Arnstädter Str. 34, 99099 Erfurt<br />
Tel.: (03 681) 42 00 50, Fax: 42 00 60<br />
Unternehmerverband Vorpommern e.V.<br />
Präsident: Gerold Jürgens<br />
Leiter d. Geschäftsst.: Wolfgang Kastirr<br />
Geschäftsstelle:<br />
Am Koppelberg 10, 17489 Greifswald<br />
Tel.: (038 34) 83 58 23, Fax: 83 58 25<br />
Unternehmerverband Sachsen e.V.<br />
Präsident: Hartmut Bunsen<br />
Vizepräs.: Dr. W. Zill, Dr. M. Reuschel,<br />
U. Hintzen<br />
Geschäftsführer: Rüdiger Lorch<br />
www.uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Chemnitz:<br />
Leiterin: Gabriele Hofmann-Hunger<br />
Marianne-Brandt-Str. 4, 09112 Chemnitz<br />
Tel.: (03 71) 49 51 29 12, Fax: -16<br />
E-Mail: chemnitz@uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Dresden:<br />
Repräsentant: Klaus-Dieter Lindeck<br />
Antonstraße 37, 01097 Dresden<br />
Tel.: (03 51) 899 64 67, Fax 899 67 49<br />
E-Mail: dresden@uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Leipzig:<br />
Leiterin: Silvia Müller<br />
Riesaer Straße 72 – 74, 04328 Leipzig<br />
Tel.: (03 41) 257 91-20, Fax: -80<br />
E-Mail: leipzig@uv-sachsen.org<br />
Unternehmerverband Sachsen-Anhalt e.V.<br />
Präsident: Jürgen Sperlich<br />
Geschäftsstelle Halle/Saale<br />
Berliner Str. 130, 06258 Schkopau<br />
Tel.: (0345) 78 23 09 24<br />
Fax: (0345) 78 23 467<br />
UV Sachsen<br />
Hilfe für Menschen mit Behinderungen<br />
Unternehmen suchen Arbeitskräfte, Menschen mit Behinderungen suchen<br />
einen Arbeitsplatz. In Südwestsachsen bietet der Unternehmerverband für<br />
das Problem eine Lösung, indem er auf die Firmen zu<strong>geht</strong>.<br />
Die Sorgen vieler Unternehmer<br />
sind verständlich,<br />
wenn es um Beschäftigung<br />
von Menschen<br />
mit Behinderungen <strong>geht</strong>:<br />
Sind das wirklich Qualifizierte?<br />
Arbeitnehmer mit Behinderungen<br />
verursachen mehr<br />
Kosten und wenn sie sich als<br />
ungeeignet erweisen, wird<br />
man sie nicht wieder los.<br />
SERVICE AUS EINER HAND<br />
So lauten die gängigsten Bedenken<br />
und Vorurteile. Sie<br />
treffen aber in den seltensten<br />
Fällen zu, weiß Wolfgang Degner,<br />
geschäftsführender Vorstand<br />
des Sozialen Förderwerks<br />
e.V. in Chemnitz.<br />
»Meistens denken wir beim<br />
Stichwort Behinderung an<br />
Rollstuhlfahrer, das ist aber<br />
nur ein kleiner Teil der Menschen<br />
mit Behinderungen.«<br />
Richtig hingegen sei, dass viele<br />
Menschen mit Behinderungen<br />
über gute und sehr gute<br />
Qualifizierungen verfügen<br />
und vielseitig einsetzbar sind.<br />
Beispielsweise der Verkäufer<br />
mit Diabetes oder eine Ingenieurin<br />
mit überstandener<br />
Krebserkrankung, der blinde<br />
EDV-Fachmann oder der gehörlose<br />
Zeichner.<br />
Vielfach sind diese Menschen<br />
hoch motiviert und<br />
möchten entsprechend ihrer<br />
Qualifikation und nach ihren<br />
Fähigkeiten eingesetzt werden.<br />
Wenn sie bei der Arbeitsagentur<br />
als arbeitssuchend<br />
gemeldet sind, heißt das aber<br />
noch lange nicht, dass sie einen<br />
passenden Job finden.<br />
Dafür gibt es eine Reihe von<br />
Ursachen. Zum Beispiel wird<br />
zu wenig auf Arbeitgeber zugegangen<br />
und nach ihren<br />
konkreten Bedarf gefragt. »Es<br />
muss gelingen, die Unternehmen<br />
für die Beschäftigung<br />
von Menschen mit Behinderungen<br />
zu sensibilisieren«,<br />
sagt Gabriele Hofmann-Hunger,<br />
Leiterin der der Repräsentanz<br />
Südwestsachsen des<br />
Unternehmerverbandes. »Förderungen<br />
für behinderte Arbeitnehmer<br />
gibt es viele», ergänzt<br />
Wolfgang Degner, »Info-<br />
Broschüren und Flyer für<br />
Arbeitgeber oder der Verweis<br />
auf gesetzliche Regelungen allein<br />
reichen aber nicht«. Der<br />
GABRIELE HOFMANN-HUNGER, Leiterin der Repräsentanz Südwestsachsen<br />
des UV Sachsen e.V., und Dr. Wolfgang Degner, Geschäftsführender<br />
Vorstand Soziales Förderwerk e.V., haben gemeinsam das<br />
»support«-Netzwerk für sächsische KMU auf die Beine gestellt.<br />
Arbeits- und Fachkräftemangel<br />
führt auch nicht automatisch<br />
dazu, dass sich die Beschäftigungschancen<br />
für diese<br />
Menschen verbesserten.<br />
SERVICE AUS EINER HAND<br />
Aus dieser Erkenntnis heraus<br />
hat der UV Sachsen gemeinsam<br />
mit dem Sozialen Förderwerke<br />
e. V. vor zwei Jahren das<br />
Projekt »support« initiiert. Es<br />
handelt sich um ein Dienstleistungsnetzwerk<br />
für sächsische<br />
kleine und mittelständische<br />
Unternehmen, das allen<br />
Leistungen rund um die Beschäftigung<br />
schwerbehinderter,<br />
behinderter und von<br />
Behinderung bedrohter Menschen<br />
aus einer Hand anbietet.<br />
Finanziert wird das Projekt<br />
aus Mitteln der betrieblichen<br />
Ausgleichsabgabe, also<br />
durch Geld, das Betriebe mit<br />
20 und mehr Beschäftigten<br />
zahlen müssen, wenn sie die<br />
Vorgaben zur Beschäftigung<br />
Behinderter nicht oder nicht<br />
vollständig erfüllen.<br />
»Dieser unternehmenszentrierte<br />
Ansatz ist das Neue«,<br />
sagt Gabriele Hofmann-Hunger.<br />
Außer in Chemnitz gibt<br />
es ähnliche Projekte nur noch<br />
in Nordrhein-Westfalen und<br />
in Schleswig-Holstein. Es habe<br />
sich gezeigt, dass die meisten<br />
KMU durchaus aufgeschlossen<br />
sind. In großen Unternehmen<br />
gibt es Personalabteilungen<br />
und vielfach auch Erfahrungen<br />
mit dem Einsatz von<br />
behinderten Arbeitnehmern.<br />
Darauf können KMU meistens<br />
nicht zurückgreifen. Deshalb<br />
ist »support« auch mehr als<br />
nur das Zusammenführen<br />
von behinderten Menschen<br />
mit Arbeitskräfte suchenden<br />
Unternehmern. »Das funktioniert<br />
nur, wenn die Unternehmer<br />
alle Dienstleistungen aus<br />
einer Hand erhalten«, weiß<br />
Gabriele Hofmann-Hunger.<br />
62 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
UV-AKTUELL<br />
Fotos: UV Brandenburg<br />
»Support« sucht Arbeitnehmer<br />
entsprechend den Anforderungen<br />
der Unternehmen,<br />
berät Firmen zur behindertengerechten<br />
Ausstattung von<br />
Arbeits- und Ausbildungsplätzen,<br />
klärt Förderungsmöglichkeiten<br />
zu Zuschüssen,<br />
berät Arbeitgeber im Umgang<br />
mit behinderten Menschen,<br />
entwickelt Strategien zur<br />
Konfliktbewältigung im Arbeitsbereich.<br />
Bisher wurden<br />
rund 2.800 Unternehmen in<br />
Südwestsachsen kontaktiert.<br />
Der Erstkontakt per Telefon<br />
erfolgt übrigens durch Menschen,<br />
die beim Berufsbildungswerk<br />
für Blinde und<br />
Sehgeschädigte als Call-<br />
Agents ausgebildet werden. In<br />
den gut zwei Jahren, die »support«<br />
tätig ist, wurden 180<br />
Stellen für behinderte Menschen<br />
akquiriert, darunter 49<br />
Ausbildungsplätze.<br />
SERVICE AUS EINER HAND<br />
Es gehe aber nicht nur um die<br />
Anzahl der Vermittlungen,<br />
betont Wolfgang Degner, sondern<br />
um die Gewinnung der<br />
Unternehmen. Untersuchungen<br />
zu Folge sind KMU besonders<br />
geeignet für die dauerhafte<br />
Eingliederung von Menschen<br />
mit Behinderungen.<br />
Stimmen die Bedingungen,<br />
passen Unternehmen und<br />
Arbeitskraft zusammen, ergeben<br />
sich nicht selten langfristige<br />
Beschäftigungsverhältnisse.<br />
»Wenn jemand einen<br />
Behinderten nur wegen der<br />
Förderung einstellt, funktioniert<br />
das nicht; wenn es aber<br />
funktioniert, dann ist die Förderung<br />
richtig und wichtig«,<br />
betont Wolfgang Degner. Fördermittel<br />
fließen z. B. als Eingliederungszuschüsse,<br />
für die<br />
Ausgestaltung des Arbeitsplatzes<br />
oder für die personenspezifische<br />
Ausrüstung.<br />
»Support« ist das erste Projekt<br />
der Allianz Arbeit und<br />
Behinderung in Sachsen. Der<br />
UV Sachsen gehört zu den<br />
Gründungsmitgliedern. Über<br />
die eigene Klientel hinaus ist<br />
der UV bestrebt, die Dienste<br />
von »support« auch anderen<br />
Verbänden anzubieten, was<br />
auch schon erfolgreich war.<br />
&<br />
Hans Pfeifer<br />
NACHRICHTEN<br />
VOLLER SAAL: Jahresempfang im Haus am Brandenburger Tor.<br />
UV Brandenburg<br />
Vom Autohaus zur Festung<br />
Innere Sicherheit als Thema des Jahresempfangs,<br />
der zusammen mit der LBB in Berlin stattfand<br />
Am Ende platzte Reinhard<br />
Schulze der Kragen.<br />
Es hielt den Chef des<br />
Cottbuser Autohauses Schulze<br />
nicht mehr auf seinem<br />
Stuhl: »Wissen Sie eigentlich,<br />
dass wir die Autohäuser im<br />
Land inzwischen zu Festungen<br />
ausgebaut haben? Warum<br />
nutzen Sie die Möglichkeiten<br />
moderner Informationstechnik<br />
nicht besser, um<br />
die Verbrecher zu jagen?«<br />
Staatssekretär Bernd Krömer,<br />
der seinen Chef, den Berliner<br />
Innensenator Frank Henkel,<br />
an diesem Abend vertrat,<br />
schaute ein bisschen zerknirscht<br />
drein, als er mit diesen<br />
Fragen bestürmt wurde –<br />
und räumte Handlungsbedarf<br />
ein. Zuvor hatte er auf dem<br />
Jahresempfang des Verbandsbezirks<br />
Potsdam-Berlin des<br />
brandenburgischen Unternehmerverbands<br />
eine allenfalls<br />
durchwachsene Bilanz<br />
des Kampfes gegen die Kriminalität<br />
in Berlin gezogen.<br />
Seine Tour d’horizon reichte<br />
dabei vom Rechtsextremismus,<br />
über brennende Autos<br />
bis hin zu Verkehrsdelikten.<br />
Eingangs hatte er geklagt,<br />
dass in Berlin in den letzten<br />
Jahren über 4.000 Polizeibeamtenstellen<br />
abgebaut wurden.<br />
250 neue Stellen hat jetzt<br />
der neue Senat geschaffen.<br />
Das sei gut so, denn in Berlin<br />
ist 2011 die Zahl der Einrüche<br />
z. B. um ein Viertel gestiegen.<br />
Bei der Veranstaltung am<br />
8. März in Kooperation mit<br />
dem Forum Mittelstand der<br />
Landesbank Berlin AG (LBB),<br />
eröffnet von Heino Henke,<br />
LBB, und Dr. Burkhard Greiff,<br />
UV-Präsidiumsmitglied, war<br />
kein Stuhl im Liebermann-<br />
Haus am Brandenburger Tor<br />
leergeblieben. Am Ende blieb<br />
dagegen offen, wie konkret<br />
die Polizei das von Reinhard<br />
Schulze geschilderte Problem<br />
an<strong>geht</strong>. Der Leiter des Arbeitskreises<br />
Mittelstandspolitik<br />
des Unternehmerverbandes<br />
Brandenburg war übrigens<br />
bei dem Forum in der Hauptstadt<br />
nicht an der falschen<br />
Stelle. Die Spur vieler Autodiebstähle<br />
in Brandenburg<br />
führt nach Osteuropa. Und<br />
nach Berlin.<br />
Helfried Liebsch<br />
UV ROSTOCK<br />
Kooperation<br />
im Norden<br />
Die Unternehmerverbände<br />
von Mecklenburg-Schwerin,<br />
Rostock und Umgebung<br />
sowie Vorpommern hatten<br />
im Herbst 2011 eine engere<br />
Kooperation vereinbart.<br />
In diesem Sinne schalteten<br />
die Präsidenten Rolf Paukstat,<br />
Frank Haacker und Gerold<br />
Jürgens am 9. März ihren gemeinsamen<br />
Internet-Auftritt<br />
frei. Das Portal ist unter der<br />
Adresse www.unternehmerverbaende-mv.com<br />
erreichbar<br />
und vereinigt die Auftritte aller<br />
drei Verbände. Das Zusammengehen<br />
bietet viele Vorteile.<br />
Die Dienstleistungen der drei<br />
Verbände kommen nun allen<br />
Mitgliedern zugute.<br />
+ TERMINE+<br />
TERMINE<br />
UV Brandenburg<br />
1. Juni, 10 bis 13 Uhr: Jahresmitgliederversammlung<br />
des<br />
UV Brandenburg in Cottbus<br />
UV Sachsen<br />
26. April, 13 Uhr: Ordentliche<br />
Jahreshauptversammlung 2012<br />
des UV Sachsen, Günnewig<br />
Hotel Chemnitzer Hof, Theaterplatz<br />
4, 09111 Chemnitz.<br />
UV Rostock und<br />
Umgebung<br />
18. April, 10 bis 15 Uhr: Unternehmertag<br />
»Innovationsmotor<br />
Mittelstand – Innovationen aus<br />
Mecklenburg-Vorpommern«,<br />
Hotel Neptun, Seestraße 19,<br />
18119 Rostock-Warnemünde.<br />
20. April, 20 Uhr: Unternehmerball<br />
Rostock, Hotel Neptun,<br />
Seestraße 19, 18119 Rostock-<br />
Warnemünde.<br />
UV Berlin<br />
17. April, 18.30 Uhr: Unternehmerstammtisch<br />
zum Thema<br />
»Notfallmanagement für<br />
Unternehmen und Unternehmer«,<br />
Kooperationspartner<br />
Bernstorff & Kollegen / Hölscher-Winkler,<br />
Schillstraße 9,<br />
10785 Berlin.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 63
W&M-PRIVAT<br />
CHINA<br />
Überholen<br />
ohne Einholen<br />
Chinas Wirtschaftsmetropole<br />
Shanghai belegt in der PISA-<br />
Studie Platz eins. Das Erfolgsprinzip<br />
wurde von einem<br />
Mann entwickelt, der seit<br />
2.500 Jahren tot ist: Konfuzius.<br />
Er predigte Lernen und<br />
Disziplin – genau das, womit<br />
sich die Chinesen im globalen<br />
Wettbewerb an die Spitze<br />
katapultieren werden. In einem<br />
weitausholenden Report<br />
betrachten Spiegel-TV-Chefredakteur<br />
Aust und ein langjähriger<br />
China-Korrespondent<br />
das spannende Experiment<br />
vom Überholen ohne<br />
einzuholen aus der Nahsicht<br />
– ein unentbehrlicher Reiseführer<br />
für Leute, die in China<br />
Geschäfte machen wollen.<br />
Stefan Aust/Adrian<br />
Geiges, Mit Konfuzius<br />
zur Weltmacht,<br />
Quadriga Verlag,<br />
288 Seiten,<br />
19,99 EUR<br />
Begreifen eines<br />
Wunders<br />
Zu verstehen ist China für<br />
Europäer eigentlich nicht.<br />
Jedenfalls nicht für Gelegenheitsreisende.<br />
Landolf<br />
Scherzer versucht es trotzdem.<br />
Sein Erfolgsbuch »Immer<br />
geradeaus. Zu Fuß durch<br />
Europas Osten« mag ihn dazu<br />
ermutigt haben. Nun hat er<br />
bei Leuten recherchiert, die<br />
am Yangtse leben. Was ist<br />
für Sie ein guter Tag, was ein<br />
schlechter? Wie sehen Sie<br />
die Zukunft? Am Ende fühlt<br />
man sich tatsächlich ein<br />
bisschen chinesisch.<br />
Landolf Scherzer,<br />
Madame Zhou und<br />
der Fahrradfriseur,<br />
Aufbau Verlag,<br />
304 Seiten mit<br />
Abbildungen,<br />
19,99 EUR<br />
BÜCHERBORD<br />
Energiegeschichte<br />
Frühzeit an der Trasse<br />
Den russischen Gas-Segen, der die europäischen<br />
Energiebilanzen stabilisiert, verdanken wir nicht<br />
nur der Ostseepipeline. Es begann schon 1969.<br />
Eine TV-Sequenz vom<br />
8. November 2011 hat<br />
sich dem beunruhigten<br />
deutschen Energieverbraucher<br />
tief eingeprägt: Bundeskanzlerin<br />
Merkel und der russische<br />
Präsident Medwedjew<br />
drehen in Lubmin am Greifswalder<br />
Bodden das große Rad,<br />
welches ein Ventil darstellen<br />
soll, das den Weg für sibirisches<br />
Erdgas aus der Ostseepipeline<br />
in das mitteleuropäische<br />
Verbundnetz freigibt.<br />
Die Attrappe wackelt ein bisschen,<br />
aber der Staatsakt gelingt.<br />
Den deutschen Fernsehzuschauer<br />
durchströmt das<br />
wärmende Gefühl, dass in<br />
weniger als sechs Jahren ein<br />
wirtschaftliches Jahrhundertprojekt<br />
gelungen sei.<br />
Keiner der Laudatoren, die<br />
an diesem Tag Danksprüche<br />
austauschen, nimmt Bezug<br />
auf den eigentlichen Anfang<br />
dieser strategischen wirtschaftlichen<br />
Partnerschaft.<br />
Das liegt schon 42 Jahre zurück.<br />
Ein Bundeswirtschaftsminister<br />
namens Karl Schiller,<br />
heute zu Unrecht fast vergessen,<br />
und der sowjetische<br />
Außenhandelsminister Patolitschew<br />
plauderten 1969 auf<br />
der Hannover-Messe über Erdgas.<br />
Ein elektrisierendes Thema<br />
angesichts der heraufziehenden<br />
Ölkrise. Schon im<br />
Februar 1970 unterschrieben<br />
beide einen Vertrag über Gaslieferungen<br />
aus der Sowjetunion<br />
gegen Röhren für den<br />
Pipelinebau aus Deutschland.<br />
Ein politisch riskanter<br />
Deal, der viel heißen Streit<br />
auslöste in der Zeit des Kalten<br />
Krieges. Die Sowjetunion war<br />
angewiesen auf Technik aus<br />
dem Westen und wirtschaftlichen<br />
Beistand ihrer östlichen<br />
Bruderländer. Die DDR<br />
zumindest ging nicht ungern<br />
ein auf das Tauschgeschäft<br />
von Bauleistungen gegen<br />
künftige Gaslieferungen. Obgleich<br />
die Kosten kaum absehbar<br />
waren und sich am Ende,<br />
Berechnungen des Bonner Energieministeriums<br />
zufolge,<br />
auf mehr als sieben Milliarden<br />
Mark beliefen.<br />
Wie auch immer: 25.000<br />
zumeist junge Deutsche aus<br />
der DDR waren damals dabei,<br />
als in den russischen Weiten<br />
1.750 Kilometer Gasspipelines<br />
verlegt wurden. Mit Enthusiasmus<br />
und für gutes Geld.<br />
Die Partei- und Staatsführung<br />
hatte das Projekt zum »Zentralen<br />
Jugendobjekt« ausgerufen<br />
und mit sozialistischem<br />
Pathos versehen: Drushba,<br />
Freundschaft! So der Name<br />
der ersten Trasse durch die<br />
Ukraine.<br />
Drei Beteiligte – ein Fotograf,<br />
ein »Kulturnik« und ein<br />
Baufacharbeiter erinnern sich<br />
jetzt in einem lebensprallen<br />
Buch an diese harte Zeit in<br />
brennender Steppensonne<br />
und sibirischer Kälte. Durchaus<br />
stolz, dabei gewesen zu<br />
sein, als die deutsch-russische<br />
Erdgaspartnerschaft begann.<br />
Peter Jacobs<br />
HAJO OBUCHOFF/LUTZ WABNITZ/<br />
FRANK MICHAEL WAGNER<br />
Die Trasse. Ein Jahrhundertbau<br />
in Bildern und Geschichten<br />
Das Neue Berlin, 176 Seiten,<br />
200 Abbildungen im Duoton-Druck<br />
FINANZMÄRKTE<br />
Gehebelt<br />
und gerebelt<br />
Es <strong>geht</strong> um Tausende Milliarden<br />
Euro. Aber woher<br />
kommen sie und wohin verschwinden<br />
sie ? Finanzkrisen<br />
bleiben ein Dauerbrenner<br />
für die Politik. Da wird<br />
munter von »den Märkten«<br />
schwadroniert, die man nicht<br />
verärgern dürfe. Da wird an<br />
den Börsen »gehebelt« und<br />
der kleine Anleger und<br />
Steuerzahler wird gerebelt.<br />
Ein welterfahrener Hamburger<br />
Wirtschaftsjournalist<br />
zeigt auf, wer die Krise schürt<br />
und dann kräftig absahnt.<br />
In seinem Buch <strong>geht</strong> es um<br />
die Macht des Finanzkapitals,<br />
das die Politik vor sich hertreibt.<br />
Und er bietet eine<br />
Denkalternative an zum profitablen<br />
Irrsinn: Nachdenken<br />
über einen »demokratischen<br />
Markt«.<br />
Hermannus<br />
Pfeiffer, Der<br />
profitable Irrsinn,<br />
Ch. Links Verlag ,<br />
256 Seiten,<br />
16,90 EUR<br />
BESTSELLER<br />
Wirtschaftsbuch<br />
1. Walter Issacson: Steve Jobs.<br />
Bertelsmann (24,99 EUR)<br />
2. Martin Wehrle: Ich arbeite<br />
in einem Irrenhaus<br />
Econ (14,99 EUR)<br />
3. Dirk Müller: Crashkurs<br />
Droemer (19,99 EUR)<br />
4. Ulrich Wickert: Redet Geld,<br />
schweigt die Welt. Hoffmann und<br />
Campe (19,99 EUR)<br />
5. Joachim Käppner: Berthold<br />
Beitz. Die Biographie<br />
Berlin Verlag (19,90 EUR)<br />
6. Michale Lewis: Boomerang.<br />
Campus Verlag (24,99 EUR)<br />
7. Norbert F. Pötzl: Beitz.<br />
Heyne (22,99 EUR)<br />
8. Joseph Vogl: Das Gespenst des<br />
Kapitals. – diaphanes (14,90 EUR)<br />
9. Carmine Gallo: Überzeugen wie<br />
Steve Jobs. Ariston (18,99 EUR)<br />
10. Sahra Wagenknecht: Freiheit<br />
statt Kapitalismus<br />
Eichborn (19,99 EUR)<br />
64 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12
W&M-PRIVAT<br />
LEUTE & LEUTE<br />
LESERPOST<br />
N<br />
eulich steckte hinter<br />
dem Scheibenwischer<br />
meines Autos ein Zettel,<br />
mit dem mir jemand unter<br />
der Überschrift »Pargferboot!!!«<br />
die folgende Botschaft<br />
übermittelte: »Wenn sie sich<br />
mit ihre schrotkiste nich verbissen,<br />
haben sie morgen einen<br />
platten.«<br />
Analphabet müsste man<br />
sein! Oder meinetwegen Analfabet.<br />
Die Rechtschreibung<br />
des Großen Unbekannten ist<br />
in einem ganz wichtigen<br />
Punkt den Fachleuten vom<br />
Rat für deutsche Rechtschreibung<br />
weit voraus. Sie leistet<br />
im Computerzeitalter, was die<br />
Experten mit ihrer Schreibreform<br />
nicht leisteten – die<br />
überfällige Kleinschreibung<br />
der Substantive.<br />
Ich kenne einen, der arbeitet<br />
auf dem Bau. Für den ist<br />
Orthographie (Ortographie,<br />
Orthografie oder Ortografie?)<br />
sowieso bloß Kokolores. Auf<br />
seiner Baustelle, sagt er, komme<br />
die Großschreibung ebenso<br />
zu ihrem Recht wie die<br />
Kleinschreibung, das AR-<br />
BEITSTEMPO werde immer<br />
größer, der arbeitsschutz dagegen<br />
immer kleiner geschrieben.<br />
Zur Erinnerung: 1996 wurde<br />
die »Reform« in Deutschland<br />
eingeführt. Seitdem ist<br />
sie unzählige Male korrigiert<br />
und geändert, also reformiert<br />
Karrikatur und Zeichnung: Rainer Schwalme<br />
Vorerst<br />
gescheitert<br />
Ernst Röhl wäre lieber<br />
Analphabet<br />
worden, und zwar mit dem<br />
Ergebnis, dass heutzutage<br />
überhaupt keiner mehr richtig<br />
durchsieht. Das Legasthenikerchaos<br />
triumphiert.<br />
Von dem Willen getragen,<br />
eine Rechtschreibung zu<br />
schaffen, die auch Linkshändern<br />
behagt, platzierten die<br />
Reformer jede Menge Schelmenstreiche:<br />
das Pappplakat,<br />
die Nulllösung, den Tollpatsch<br />
mit dem Doppel-L, das<br />
Känguru ohne H, den Grisli<br />
ohne Doppel-Z und ohne Ypsilon,<br />
den Seeelefanten mit vier<br />
bis fünf E, die neue ß-Regel<br />
nicht zu vergessen, nach der<br />
die Scheiße Scheiße bleibt,<br />
bloß aus dem Stuß ist Stuss<br />
geworden. Und längst hat sich<br />
herumgesprochen, dass es bei<br />
der Schreibreform weniger<br />
um Rechtschreibung ging, als<br />
um den Kampf zweier Giganten,<br />
um den maximalen Ertrag<br />
beim Vermarkten erstens<br />
des neuen Dudens vom Dudenverlag<br />
und zweitens des<br />
neuen Wahrig von Bertelsmann.<br />
Inzwischen schreibt jeder,<br />
wie er mag. Das Werk der<br />
Freistilreformer ist in die Geschichte<br />
eingegangen als Dudenzauber<br />
mit beschränkter<br />
Hoffnung, und die Regeln, die<br />
alle naselang erneuert werden,<br />
sind den Deutschen inzwischen<br />
herzlich egal. Dieses<br />
Egal-Gefühl haben die Experten<br />
erfolgreich nicht nur auf<br />
PISA-Schüler übertragen, sondern<br />
auch auf Deutschlehrer,<br />
in deren Adern einst rote Tinte<br />
floss. Eine berühmte Autorität<br />
immerhin fand auch<br />
lobende Worte. »Die Rechtschreibreform«,<br />
scherzte Loriot,<br />
»ist völlig in Ordnung,<br />
wenn man weder schreiben<br />
noch lesen kann.«<br />
Prof. Dr. h. c. mult. Hans<br />
Zehetmair, Vorsitzender des<br />
Rates für deutsche Rechtschreibung,<br />
aber bekennt zerknirscht:<br />
»Die deutsche Rechtschreibung<br />
ist in verheerendem<br />
Zustand.« Er beklagt,<br />
dass heutzutage jeder fünfte<br />
Fünfzehnjährige als Analphabet<br />
gelten müsse.<br />
Das Pikante: Zehetmair ist<br />
einer der Hauptverantwortlichen<br />
für die Schlechtschreibreform.<br />
&<br />
Editorial<br />
Heft 03-2012<br />
Dass heutzutage das Durchschnittsalter<br />
von Ingenieuren<br />
bei 50 Jahren liegt, ist nicht zu<br />
beklagen. Wenn in Aussicht<br />
steht, dass wir bald erst mit 67<br />
in die Rente kommen, könnte<br />
sich das ja noch erhöhen. Zu<br />
kritisieren ist, dass es in den<br />
großen Firmen kaum Ausbildungskonzepte<br />
gibt, die unsereinen<br />
vor einer Entwertung<br />
seiner Berufserfahrung bewahren<br />
und uns helfen, noch über<br />
die nächsten Jahre zu kommen.<br />
Die 35.000 Euro Abgangsprämie<br />
von Siemens zum Beispiel<br />
wären da besser angelegt.<br />
Gunter Kratzsch, per E-Mail<br />
Solarindustrie<br />
Heft 03-2012<br />
Zu befürchten ist, das bei<br />
einem Abtritt der Akteure<br />
First Solar und Oder Sun der<br />
Vorhang über dem Trauerspiel<br />
Solarstadt Frankfurt (Oder)<br />
endgültig fällt. Hätte die Landesregierung<br />
die Fördermittel<br />
in Projekte gesteckt, die den<br />
Brandenburgern die Braunkohlezumutungen<br />
erträglicher<br />
machen, wäre das energiepolitisch<br />
besser gewesen.<br />
Hinterher ist man eben klüger.<br />
Heike Wirth, Spremberg<br />
Frachtdrehkreuz<br />
Heft 03-2012<br />
Man muss den Entscheidern<br />
ein großes Kompliment machen,<br />
die in den neunziger Jahren<br />
den Ausbau des Flughafens<br />
Leipzig/Halle weit genug entfernt<br />
von beiden Stadtgebieten<br />
vorantrieben. Die DHL mit<br />
ihrem Nachtflugbedarf hätte<br />
sich sonst niemals dort ansiedeln<br />
können. Man denke nur<br />
an den Ärger der Berliner mit<br />
ihren Flugrouten, wenn in<br />
Schönefeld der Großflughafen<br />
in Betrieb <strong>geht</strong>. Wäre man hier<br />
nicht so kurzsichtig gewesen<br />
und hätte sich für das 30 Kilometer<br />
entfernte Sperenberg<br />
entschieden, käme jetzt mehr<br />
Freude auf.<br />
Dr. Clemens Sudermann, Mahlow<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 04/12 65
KOLUMNE<br />
Ostdeutschland braucht mehr Mut<br />
Ganz zu Beginn, als der Aufbau Ost<br />
noch ein Abenteuer war, da wussten<br />
wir, wie es gehen könnte: Man<br />
müsste nur der kraftvollen Initiative lange<br />
unterdrückter Menschen genug Raum<br />
geben, Platz schaffen. Planungshindernisse<br />
waren aus dem Weg zu räumen:<br />
Steuerpräferenzen zu gewähren; im Westen<br />
längst lästige bürokratische Hürden<br />
zu vermeiden: Kurz, der politisch gewonnenen<br />
Freiheit sollte ein hohes Maß an<br />
wirtschaftlicher Freiheit folgen. Und die<br />
Hoffnung war, dass es so – in entgegengesetzter<br />
Richtung wie einst in den USA<br />
– heißen könnte: Young man go East!<br />
Es gibt viele Gründe, warum es so<br />
nicht kam: Es gab Widerstände im Westen<br />
gegen allzu viele Vorteile für die<br />
»neuen« Länder; wirklich wirksame<br />
Steuervorteile wurden deswegen nicht<br />
gewährt. Westdeutsche Regelsysteme<br />
wanderten aber mit westdeutscher Beamtenschaft<br />
nach Osten; bald sah es in<br />
den Behörden aus wie im Westen – nur<br />
ohne dessen Steuerkraft!<br />
Statt einer Aufholjagd durch mehr<br />
Freiheit gab es Ausgleich durch mehr<br />
Geld. Der Aufbau Ost wurde mit Transferzahlungen<br />
finanziert; meist mit erhöhten<br />
Schulden, aber auch durch Entbehrungen<br />
im Westen. Die Infrastruktur<br />
vieler westdeutscher Städte und Landschaften<br />
legt Zeugnis davon ab. 1,5 Billionen<br />
Euro – rund 1.500 Milliarden! – hat<br />
das Projekt bis heute gekostet und der<br />
Transfer West nach Ost beträgt wohl<br />
noch immer zwischen 60 Milliarden und<br />
70 Milliarden Euro pro Jahr.<br />
Ob das Geld immer gut ausgegeben<br />
wurde, mag man bestreiten. Aber es waren<br />
die ostdeutschen Ministerpräsidenten<br />
– auch solche, die aus Westdeutschland<br />
kamen – die immer wieder auf<br />
einer Förderpolitik nach dem Prinzip<br />
Gießkanne bestanden.<br />
Schließlich, etwa um das Jahr 2000,<br />
machten sich einige von uns auf, um<br />
eine letzte »Kurskorrektur« des Aufbaus<br />
Ost zu erzwingen: Statt der Gießkanne<br />
wollten wir eine konzentrierte Förderung<br />
von Wachstumskernen und eine<br />
industriepolitisch gezielte Forschungsförderung.<br />
Nachdem in den 90er Jahren<br />
ein solcher Ansatz von einer egoistischen<br />
Front landespolitischer Gefälligkeitspolitik<br />
erstickt wurde, und schon zu Beginn<br />
der Wiedervereinigung eine radikale,<br />
marktpolitische Förderung blockiert<br />
worden war, blieb aus unserer Sicht nur<br />
ZUR SACHE<br />
Betrachtung<br />
zur wirtschaftlichen Lage<br />
Von Dr. Klaus von Dohnanyi<br />
dieser Weg übrig. Aber Edgar Most und<br />
ich, die beiden Vorsitzenden der Arbeitsgruppe<br />
»Kurskorrektur Aufbau Ost«, hatten<br />
ein mit vielen Fachleuten einstimmig<br />
erarbeitetes Konzept kaum vorgelegt,<br />
da schallte uns schon entgegen:<br />
»Planwirtschaft« oder »Rückfall in alte<br />
Zeiten« und so weiter. Dabei hatten doch<br />
unsere Gegenüber, die Bundesminister<br />
Manfred Stolpe und Wolfgang Clement,<br />
strategisch selber nichts zu bieten.<br />
So stehen wir heute, wo wir stehen:<br />
Resignation greift um sich; der Abstand<br />
zwischen Ost und West in Deutschland<br />
gilt als verfestigt; einzuholen sei der Westen<br />
nicht mehr, so heißt es.<br />
Ich kann mich mit einer solchen Haltung<br />
nicht abfinden. Angesichts der anstehenden<br />
Debatte über die Zukunft des<br />
Länderfinanzausgleichs wird jedoch die<br />
Lücke nicht mehr mit finanzieller Förderpolitik<br />
zu schließen sein. Der aktuelle<br />
Bericht des Bundesministeriums des<br />
Innern »Wirtschaftlicher Stand und Perspektiven<br />
für Ostdeutschland« enthält<br />
zwar wieder eine Vielzahl guter Ratschläge,<br />
aber er könnte, wie so viele seiner<br />
Vorläufer, im Aktenständer verstauben.<br />
Was also ist zu tun? Wenn es schon auf<br />
der Ebene einer bundesweiten Förderpolitik<br />
für einen grundsätzlichen Wandel<br />
des noch immer nicht vollendeten Projekts<br />
»Aufbau Ost« nur geringe Aussichten<br />
gibt, dann sollten die ostdeutschen<br />
Länder doch wenigstens selbst versuchen,<br />
Vorreiter für einen neuen Ansatz<br />
zu werden. Und der kann – wenn es denn<br />
mehr Geld nicht geben kann und wird –<br />
nur lauten: Lasst uns mehr Initiative<br />
durch mehr Freiheit gewinnen!<br />
Betrachtet man nämlich unseren<br />
noch immer sehr unvollkommenen Föderalismus<br />
im internationalen Vergleich,<br />
dann zeigt sich, dass Länder und<br />
Kommunen bei uns auch heute noch<br />
nicht soviel politischen Spielraum haben,<br />
wie etwa die Staaten der USA, wie<br />
die Kantone der Schweiz, wie Provinzen<br />
in Kanada oder Australien. Überall gibt<br />
es dort zum Beispiel regionale Unterschiede<br />
bei den Einkommensteuersätzen,<br />
größere Spannen bei Grundsteuern<br />
oder auch erhebliche Varianten im öffentlichen<br />
Dienstrecht. Bei uns haben<br />
sich aber gerade die ostdeutschen Politiker<br />
immer wieder gegen Zu- und Abschläge<br />
bei den Einkommensteuern gewehrt,<br />
angeblich weil dann die »reichen«<br />
Länder weitere Standortvorteile gewinnen<br />
könnten.<br />
Mit soviel Ängstlichkeit, soviel Gleichheitsstreben,<br />
so wenig Selbstvertrauen<br />
werden wir die Lücke zwischen Ost und<br />
West nie schließen können. Solange sich<br />
die ostdeutschen Politiker im Finanzausgleich<br />
in eine Liga der »Nehmerländer«<br />
einspannen lassen, so lange wird auch<br />
der Abstand West-Ost fortbestehen. Nur<br />
wer sich mehr politische Freiheit erobert,<br />
nur der kann die Ost-Nachteile<br />
noch einmal überwinden. Angst und<br />
Gleichmacherei sind Wachstumsbremsen;<br />
ohne Risikobereitschaft kann man<br />
den Stärkeren niemals einholen.<br />
Wenn David die Schleuder weggelegt<br />
hätte, um sich mit einer Truppe<br />
schwacher Faustkämpfer zu verbinden –<br />
Goliath hätte ihn einfach zermalmt.<br />
Nur Mut, Fantasie, die Lust auf Freiheit<br />
und auf Eigenverantwortung sind die<br />
Fähigkeiten, mit denen ostdeutsche Politiker<br />
die anstehende Runde des Länderfinanzausgleichs<br />
erfolgreich bestehen<br />
könnten. Mehr Geld ist nicht mehr<br />
die Antwort – mehr Freiheit wäre sie<br />
aber sehr wohl.<br />
&<br />
66 WIRTSCHAFT & MARKT 04/12