WIRTSCHAFT+MARKT Mindestlohn nur Einstieg (Vorschau)
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A 40799 ■ ISSN 0863-5323 ■ 22. Jahrgang ■ Dezember 2011 ■ Preis: EURO 3,50<br />
Wirtschaft&Markt<br />
Wirtschaft&Markt<br />
DAS OSTDEUTSCHE WIRTSCHAFTSMAGAZIN<br />
AUTO-EXPERTEN<br />
Flotte Flitzer in Sachsen<br />
SCHIFF-EXPERTEN<br />
Junge Seeleute in Rostock<br />
ROBOTER-EXPERTEN<br />
Eiserne Helfer in Ilmenau<br />
Securitas-Deutschland-Chef Manfred Buhl:<br />
<strong>Mindestlohn</strong> <strong>nur</strong> <strong>Einstieg</strong>
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Buttern im Nebel<br />
HELFRIED LIEBSCH<br />
Chefredakteur<br />
EDITORIAL<br />
Handwörterbuch Außenwirtschaft<br />
GER|MA|NY<br />
TRADE|&|IN|VEST *<br />
<br />
*<br />
GermanyTrade&Invest<br />
ist die Wirtschaftsförderungsgesellschaft<br />
der Bundesrepublik Deutschland.<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
was mögen Historiker in 2050 über 2011<br />
schreiben, angesichts heutiger Schlagzeilen,<br />
dieser Mischung aus himmelhoch<br />
jauchzend und zu Tode betrübt, aus<br />
Schönfärberei und Alarmismus?<br />
Je nun – dem Vorwurf der Schwarzmalerei<br />
entgeht der »Bericht der Bundesregierung<br />
zum Stand der Deutschen Einheit<br />
2011«. Da gleicht er den Vorläufern<br />
wie ein Ei dem anderen. Doch er schlägt<br />
auch andere Töne an. In dem neuen<br />
Bericht finden sich Formulierungen, die<br />
früher als Spinnerei, als linke zumal, abgetan<br />
wurden. Dazu zählt der Abschied<br />
des Aufbaus Ost vom Nachbau West. Verwiesen<br />
wird auf die Chance, dass die<br />
neuen Länder zu »Schrittmachern« für<br />
ganz Deutschland werden. Und der Innenminister<br />
sieht in der Bewältigung<br />
der demografischen Herausforderungen<br />
Ost sogar eine Blaupause für den Westen.<br />
Derlei Lobpreisungen nähren den Verdacht,<br />
dass nun Schluss sein soll mit der<br />
verstärkten Förderung Ost – obwohl der<br />
Angleichungsprozess stagniert. Deshalb<br />
immer wieder die Betonung, dass am<br />
Solidarpakt nicht gerüttelt wird, dass die<br />
Regierung sich für Milliardenzuflüsse<br />
aus Brüssel einsetzt und selbst bei ihren<br />
Hilfen zu bleiben gedenkt? Beziffern will<br />
die Bundesregierung ihre Versprechen<br />
nicht. Mit Verlaub, das 137-Seiten-Papier<br />
stochert im Nebel. Keine Antwort gibt es<br />
auf Fragen nach der Fachkräfteproblematik,<br />
Lohnuntergrenzen (S. 10), der sich<br />
verfestigenden Langzeitarbeitslosigkeit,<br />
nach der Zukunft der Investitions- und<br />
Innovationsförderung. Das ist ärgerlich,<br />
denn wenn Wirtschaft etwas braucht,<br />
dann verlässliche Rahmenbedingungen.<br />
»Wie viel Energiewende verträgt der<br />
Mittelstand?« (S. 6) will deshalb die Interessengemeinschaft<br />
der Unternehmerverbände<br />
Ostdeutschlands und Berlins bei<br />
einem Parlamentarischen Abend am 24.<br />
November in der Hauptstadt erörtern. Er<br />
lenkt die Aufmerksamkeit auf die eigentlichen<br />
Akteure des Aufbaus Ost – die mittelgroßen,<br />
kleinen und kleinsten Unternehmen.<br />
Die Rede ist von solchen mutigen<br />
Mittelständlern wie dem Ingenieur<br />
Rolf Rätzer. Er gehört zu der Handvoll<br />
Entschlossener, die das Dessauer Motorenwerk<br />
1993 in einem Management-<br />
Buy-out vor dem Ende bewahrten (S. 50).<br />
Da drängt sich Äsops Fabel von den<br />
Fröschen auf, die in einen Milchtopf fielen.<br />
Einer gab auf und ertrank. Der andere<br />
strampelte, bis er auf einem Butterklumpen<br />
stand und herausspringen<br />
konnte. Der Aufbau Ost, das sind gerade<br />
diese Unternehmer, die täglich strampeln<br />
müssen, um nicht unterzugehen.<br />
Sie buttern im Nebel. Fabelhaft, oder?<br />
Herzlichst<br />
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Beauftragten der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer aufgrund eines<br />
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INHALT<br />
WIRTSCHAFT & MARKT<br />
im Dezember 2011<br />
REPORT EXTRA REPORT<br />
SEITE 50 SEITE 35<br />
SEITE 47<br />
CHANCENREICHE MARKTNISCHE:<br />
Elektromotorenwerk Dessau setzt sich durch<br />
BOOMENDE GESUNDHEITSBRANCHE:<br />
Region Berlin-Brandenburg nutzt Chancen<br />
WACHSENDER LOGISTIKMARKT:<br />
Rostocker Spedition investiert am Hafen<br />
Editorial<br />
Aktuell<br />
3<br />
6<br />
Buttern im Nebel<br />
Interview, Nachrichten, Pro und Contra, Impressum<br />
Wirtschaft und Politik<br />
Report<br />
TITEL<br />
10<br />
14<br />
48<br />
50<br />
MANFRED BUHL, Vorsitzender der Geschäftsführung der SECURITAS Deutschland<br />
Holding, zu neuen Herausforderungen im Sicherheitsgewerbe, Facharbeiternachwuchs und<br />
zur Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen in der Branche<br />
ROBOTERSPEZIALIST METRALABS: Begleiter im Baumarkt<br />
CHEMIKALIE BISPHENOL A: Gefährliche Weichmacher<br />
ELEKTROMOTORENWERK DESSAU: Erfolg in der Nische<br />
Fotos: T. George, PictureDisk, T. Schwandt<br />
Bericht<br />
Porträt<br />
Interview<br />
Special<br />
W&M-Extra<br />
W&M-Service<br />
Verbands-News<br />
Ständige Rubriken<br />
W&M Privat<br />
Kolumnen<br />
16<br />
21<br />
32<br />
60<br />
19<br />
47<br />
20<br />
22<br />
26<br />
28<br />
35<br />
51<br />
58<br />
62<br />
64<br />
30<br />
66<br />
AIDA CRUISES: Attraktive Jobs auf allen Weltmeeren<br />
OSTSEE-GASPIPELINE: Landgang in Lubmin<br />
AUTOLAND SACHSEN: Werkbank im Wandel<br />
BRANDENBURG REGENERATIV: Grüner Quantensprung<br />
OPTIK-CLUSTER BERLIN-BRANDENBURG: Hightech-Produkt Licht<br />
ROSTOCKER SPEDITION GUSTKE: Ran an den Hafen<br />
Inhalt<br />
HARALD EISENACH, Vorstandsvorsitzender des Ostdeutschen Bankenverbandes e. V., zu<br />
wirtschaftlichen Entwicklungen in den neuen Bundesländern<br />
FÖRDERUNG: Investitionsbank Sachsen-Anhalt – Förderer und Partner des Mittelstandes<br />
FÖRDERBANKEN: Frisches Geld für Ideen<br />
GELDANLAGE: Finanz- und Versicherungswirtschaft – Kein sicherer Zins<br />
GESUNDHEITSLAND BERLIN-BRANDENBURG: Fachkräfte für heute und morgen<br />
Multimedia, Steuern, Recht, Geld<br />
INGENIEUR-NACHRICHTEN: Deutsche Bahn – Talent und Termine<br />
UV-AKTUELL: Nachrichten aus den Unternehmerverbänden<br />
Bücherbord, Leute & Leute, Leserbriefe<br />
HEINER FLASSBECK: Am Abgrund<br />
KLAUS VON DOHNANYI: Die Schmerzen der Freiheit<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 5
AKTUELL<br />
Fotos: DPA/Zentralbild (1), Archiv<br />
INTERVIEW<br />
HARTMUT BUNSEN,<br />
Sprecher der Interessengemeinschaft<br />
der Unternehmerverbände<br />
Ostdeutschlands<br />
und Berlins<br />
Energiewende, aber wie?<br />
W&M: Herr Bunsen, der ostdeutsche<br />
Mittelstand fragt: Wie viel Energiewende<br />
vertragen wir?<br />
BUNSEN: Eine im wahrsten Sinne<br />
des Wortes brennende Frage.<br />
Die Interessengemeinschaft der<br />
Unternehmerverbände wird das<br />
auf einem parlamentarischen<br />
Abend in Berlin thematisieren.<br />
W&M: Die Politik hat ihr Wort doch<br />
schon gesprochen.<br />
BUNSEN: Ja, aber jetzt geht es<br />
um das Wie. Wir wollen klären,<br />
wie sich die neue Energiepolitik<br />
unter den regionalen Besonderheiten<br />
des Ostens auf den Mittelstand<br />
auswirkt.<br />
W&M: Welche konkreten Fragen stehen<br />
im Vordergrund?<br />
BUNSEN: Der Ausstieg aus der<br />
Kernenergie wird die Strompreise<br />
verteuern. Welche Konsequenzen<br />
hat das im KMU-Bereich? Ist<br />
ein wirtschaftliches und konkurrenzfähiges<br />
Handeln im internationalen<br />
Wettbewerb unter<br />
den veränderten Rahmenbedingungen<br />
überhaupt möglich?<br />
W&M: Ihre Prognose?<br />
BUNSEN: Die energiepolitische<br />
Kehrtwende der Bundesregierung<br />
wird tief greifende Auswirkungen<br />
auf alle Bereiche des gesellschaftlichen<br />
und wirtschaftlichen<br />
Lebens nehmen, die wir<br />
noch gar nicht alle kennen. Aber<br />
sie bietet dem Mittelstand auch<br />
neue Chancen.<br />
W&M: Zum Beispiel?<br />
BUNSEN: Wer rechtzeitig neue<br />
tragfähige Ideen für den effizienteren<br />
Umgang mit der Energie<br />
entwickelt, wird auf den Märkten<br />
der Zukunft erfolgreich sein.<br />
W&M: Ein weites Themenfeld für die<br />
Diskussion mit den Abgeordneten.<br />
BUNSEN: Wir werden nichts auslassen:<br />
Von der Strukturpolitik<br />
über Finanzen und Recht bis zu<br />
den Steuern.<br />
Interview: Peter Jacobs<br />
Energiewende<br />
Osten führt bei Ökostrom<br />
118 deutsche Regionen erstreben eine vollständige<br />
Versorgung mit Ökostrom. Der Osten ist Vorreiter.<br />
Zouma siegt im Test<br />
TRADITIONSMARKEN<br />
Das Elektrofahrrad Zouma<br />
Sport+ aus den Diamantwerken<br />
im erzgebirgischen Großhartmannsdorf<br />
ist bei einem<br />
E-Bike-Test der Stiftung Warentest<br />
als Sieger hervorgegangen.<br />
Den Ausschlag für die Bewertung<br />
gaben das neue getriebelose<br />
Antriebskonzept sowie die<br />
Bremsanlage mit einer einzigartigen<br />
Energierückgewinnungsfunktion.<br />
Die Marke Diamant<br />
existiert seit 1885. Alle DDR-<br />
Radrennfahrer, darunter Weltmeister<br />
Täve Schur, fuhren<br />
Diamanträder. Die Hartmannsdorfer<br />
Werke wurden nach<br />
1990 von der Schweizer Villiger-<br />
Gruppe übernommen.<br />
Im 21. Jahr der deutschen<br />
Einheit können die neuen<br />
Bundesländer einen<br />
überproportionalen Anteil an<br />
Windrädern, Biogas-, Solarund<br />
anderen Anlagen zur alternativen<br />
Energiegewinnung<br />
vorweisen. Brandenburg erreicht<br />
in diesem Jahr trotz seines<br />
hohen Anteils an Braunkohleverstromung<br />
für die Versorgung<br />
Berlins die 20-Prozent-Marke.<br />
Die Zahl der Beschäftigten<br />
in der Ökostrom-<br />
Industrie liegt höher als bei<br />
der Braunkohleverstromung.<br />
Deutschlandweit sind zurzeit<br />
insgesamt 340.000 Menschen<br />
für die Gewinnung alternativer<br />
Energien tätig.<br />
Traum vom Schaum<br />
Die einst sehr beliebte Plastikente<br />
von Badusan schwimmt<br />
wieder in Kinderbadewannen.<br />
Matthias Gabel, ein Radebeuler<br />
Maschinenbauer, hat die<br />
Markenrechte für Badusan<br />
samt allen<br />
Rezepten<br />
vom insolventen<br />
Hersteller<br />
Gerana<br />
Kosmetik erworben und im<br />
Gewerbegebiet Kesselsdorf<br />
bei Dresden eine Neuproduktion<br />
gestartet. Der nach<br />
Rosskastanien duftende, in<br />
den traditionellen Behältnissen<br />
Flasche, Fisch, Ente und<br />
Schwein abgefüllte Badeschaum<br />
wird vor allem online<br />
und in Tante-Emma-Läden<br />
vetrieben. 2011 sollen wieder<br />
50 Tonnen abgesetzt werden.<br />
GEFÖRDERTE INVESTITIONEN<br />
Regionale Aufteilung der durch GRW- und ERP-Mittel geförderten<br />
Investitionen in den ostdeutschen Bundesländern<br />
■ Investitionen/Einwohner; ■ Einwohnerzahlen in Tausend<br />
Berlin<br />
Brandenburg<br />
Mecklenb.-Vorp.<br />
Sachsen<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Thüringen<br />
0 10.000 20.000 30.000<br />
DIE GEWERBLICHE WIRTSCHAFT in den neuen Ländern wurde<br />
laut Bundeswirtschaftsministerium in den Jahren seit 1990 mit mehr<br />
als 20.000 Euro pro Einwohner aus GRW- und ERP-Mitteln gefördert.<br />
AUS DEN LÄNDERN<br />
Sachsen<br />
Seit ihrer Gründung hat die Wirtschaftsförderung<br />
Sachsen GmbH<br />
rund 430 Unternehmensansiedlungen<br />
begleitet. Dabei sind mehr<br />
als 47.300 Arbeitsplätze entstanden,<br />
hauptsächlich in den Branchen<br />
Mikroelektronik/IKT, Mobilität<br />
(v. a. Automobilindustrie, Logistik),<br />
Maschinen- und Anlagenbau<br />
sowie Umwelttechnik/Energie.<br />
Die betreffenden Firmen haben im<br />
Freistaat Sachsen bisher über<br />
sieben Milliarden Euro investiert.<br />
Thüringen<br />
In Thüringen wird am 8. Dezember<br />
zum ersten Mal der Preis für Innovative<br />
Gründungen vergeben. Die<br />
Stiftung für Technologie, Innovation<br />
und Forschung Thüringen (STIFT)<br />
hat ein Preisgeld von 10.000 Euro<br />
zur Verfügung gestellt. Insgesamt<br />
ist der Gründerpreis Thüringen<br />
2011 mit 60.000 Euro dotiert.<br />
Die Thüringer Aufbaubank (TAB)<br />
erhält von der Europäischen Investitionsbank<br />
(EIB) ein Globaldarlehen<br />
in Höhe von 100 Millionen<br />
Euro. Das Geld ist für den Ausbau<br />
der kommunalen Infrastruktur im<br />
Land bestimmt. Die TAB hatte 2008<br />
und 2009 EIB-Darlehen von insgesamt<br />
125 Millionen Euro erhalten,<br />
die an 40 Kreditnehmer gingen.<br />
Brandenburg<br />
Seit 2001 gibt es in allen Kreisen<br />
und kreisfreien Städten Brandenburgs<br />
so genannte regionale<br />
Lotsendienste, die erwerbslose<br />
Gründerinnen und Gründern bei der<br />
Existenzgründung mit Rat und Tat<br />
unterstützen. Das Arbeitsministerium<br />
unterstützt diese Gründungen<br />
jährlich mit 7,6 Millionen Euro aus<br />
ESF- und Landesmitteln. Inzwischen<br />
haben die Lotsendienste insgesamt<br />
11.500 Menschen erfolgreich in<br />
die Selbständigkeit begleitet.<br />
Der Anteil ausländischer Studenten<br />
in Brandenburg liegt deutlich über<br />
dem Bundesdurchschnitt. An der<br />
Technischen Universität Cottbus<br />
sind 25 Prozent, an der Europa-<br />
Universität Viadrina Frankfurt (Oder)<br />
40 Prozent Kommilitonen nichtdeutscher<br />
Herkunft immatrikuliert.<br />
Berlin<br />
Das Jüdische Museum in Berlin hat<br />
zusammen mit dem Energiedienstleister<br />
Johnson Controls den European<br />
Energy Service Award gewonnen.<br />
Das Museum reduzierte im<br />
Rahmen eines so genannten Energiespar-Contracting<br />
den Energieverbrauch<br />
um insgesamt 46 Prozent<br />
und die CO 2 -Emissionen um<br />
jährlich 1.800 Tonnen.<br />
6 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
AKTUELL<br />
WIRTSCHAFTSBILD<br />
DES MONATS<br />
BRIEF AUS BRÜSSEL<br />
Von THOMAS HÄNDEL,<br />
Europaabgeordneter<br />
Die Linke<br />
Mieser Kompromiss<br />
Endlich sollten im EU-Parlament<br />
hochspekulative Finanzinstrumente<br />
wie CDS und<br />
Leerverkäufe strikt reguliert<br />
werden. Leider gelangte wieder<br />
<strong>nur</strong> ein Kompromisslein zur<br />
Abstimmung.<br />
ES WEIHNACHTET in den bundesweit vier Logistikzentren des Online-Händlers Amazon, von denen eines<br />
in Leipzig betrieben wird. Das Unternehmen hat mehr als 10.000 Mitarbeiter zusätzlich für das Saisongeschäft<br />
eingestellt. Nirgendwo und zu keiner Jahreszeit wird deutlicher, welchem Konsumrausch Deutschland<br />
trotz aller Ängste vor der Finanzkrise unterliegt. Schon im zweiten Quartal 2011 hatte Amazon seinen<br />
Umsatz um 51 Prozent auf 9,9 Milliarden Euro gesteigert – an der Spitze stand dabei der Lebensmittelhandel<br />
mit 114.000 Artikeln. Ähnlich boomt das E-Book-Geschäft mit 35.000 Titeln. Weihnachten kann kommen.<br />
KONJUNKTUR-BAROMETER<br />
Ostdeutschland zu 40 Prozent im Rückstand<br />
Das Pro-Kopf- Bruttoinlandsprodukt im Osten<br />
Deutschlands stagniert bei etwa 70 Prozent<br />
des Westniveaus. Den Bevölkerungsschwund<br />
von 1,3 Millionen Menschen seit 1995 und<br />
den gleichzeitigen Zuwachs im Westen berücksichtigt,<br />
liegt das Ost-Niveau sogar <strong>nur</strong> bei<br />
rund 60 Prozent. Das spüren die Ostdeutschen<br />
vor allem in der Lohntüte, in der im Durchschnitt<br />
20 Prozent weniger Geld landet als bei<br />
vergleichbaren Arbeitnehmern im Westen.<br />
Diese ernüchternden Zahlen zeigen, dass die<br />
konjunkturelle Entwicklung im Osten Deutschlands<br />
stagniert und dass von ihr keine Impulse<br />
für ein positive Entwicklung der Lebensverhältnisse<br />
zu erwarten sind.<br />
Die Zahl der Langzeitarbeitlosen verharrt auf<br />
hohem Niveau, immer mehr Geringverdiener<br />
kommen hinzu und das Armutsrisiko – wächst.<br />
Armutsgefährdet ist, wer von weniger als 825<br />
Euro im Monat leben muss. Bei Familien mit<br />
Von DR. HERBERT BERTEIT<br />
zwei Kindern beginnt Armut bei 1735 Euro.<br />
2010 lebten 14,5 Prozent aller Bürger in<br />
Deutschland armutsgefährdet. Am höchsten<br />
war der Anteil in Mecklenburg-Vorpommern<br />
(22,4 Prozent). Sachsen-Anhalt (19,8), Sachsen<br />
(19,4),Thüringen (17,6) und Brandenburg<br />
(16,3) standen nicht viel besser da.<br />
Kein Wunder, dass sich die konjunkturellen<br />
Hoffnungen der Ostdeutschen eintrüben und<br />
die Sorge um die Arbeitsplätze wieder steigt.<br />
Neben einer notwendigen Angleichung der<br />
ostdeutschen Löhne und Renten an das West-<br />
Niveau sollte von der Politik bei der Diskussion<br />
über flächendeckende Mindestlöhne und<br />
Lohnuntergrenzen bedacht werden, dass dies<br />
nicht <strong>nur</strong> den Tarifpartner überlassen werden<br />
kann. Denn im Osten Deutschlands sind<br />
mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer in Unternehmen<br />
und Einrichtungen beschäftigt, die<br />
gar keiner Tarifbindung unterliegen.<br />
Der französische Abgeordnete<br />
Pascal Canfin hatte den Entwurf<br />
der Kommission mit weitreichenden<br />
Einschränkungen<br />
dieser Instrumente verbessert –<br />
kein Verbot, aber nahe dran.<br />
Im Parlament wurde dieser Vorschlag<br />
von den Konservativen<br />
und Euroskeptikern zugunsten<br />
der Finanzindustrie verschlechtert,<br />
war aber immer noch akzeptabel.<br />
Nach den Verhandlungen<br />
mit dem EU-Rat steht etwas<br />
zur Abstimmung, das einem<br />
Schweizer Käse gleicht. Zu viele<br />
Ausnahmen, zu wenig Kontrollmöglichkeiten<br />
und langwierige<br />
Interventionsphasen für die<br />
Kontrolleure machen das Instrument<br />
nahezu wirkungslos. Unterdessen<br />
verbreitet man immer<br />
noch die Mär, hochspekulative<br />
Finanzinstrumente dienten der<br />
Wirtschaft und dürften deswegen<br />
<strong>nur</strong> so schonend wie möglich<br />
reguliert werden. In Wahrheit<br />
geht es um den Schutz und<br />
die »Freiheiten« der Finanzindustrie.<br />
Insbesondere Großbritannien<br />
blockiert jede wirksame<br />
Lösung. Die Regierenden<br />
der europäischen Mitgliedsstaaten<br />
scheinen nicht bereit,<br />
aus der Krise zu lernen. Wir<br />
bleiben dabei: Die Finanzmärkte<br />
gehören entmachtet – das Primat<br />
der Politik über die Gestaltung<br />
der Gesellschaft muss<br />
(wieder) hergestellt werden.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 7
AKTUELL<br />
Fotos: DPA/Zentralbild (5), privat,<br />
KURZ NOTIERT<br />
ERNTEAUSFÄLLE<br />
Pacht gestundet<br />
Witterungsgeschädigte<br />
Bauern in Brandenburg<br />
haben von der BVVG Zahlungsaufschub<br />
erhalten.<br />
Wegen der Trockenheit im<br />
Frühjahr und nach dem sehr<br />
nassen Sommer ernteten die<br />
märkischen Landwirte in<br />
diesem Jahr 400.000 Tonnen<br />
Getreide und 280.000 Tonnen<br />
Raps weniger als 2010. Die<br />
Obstbauern beklagen infolge<br />
Anfang Mai erfrorener Blüten<br />
Ertragsausfälle von 2,5 Millionen<br />
Euro. Bauern, die von<br />
erheblichen Ernteausfällen<br />
betroffen sind, erhielten die<br />
Pachten für Ackerland von der<br />
bundeseigenen Bodenverwertungs-<br />
und -verwaltungsgesellschaft<br />
(BVVG) gestundet.<br />
MARKENZEICHEN<br />
MV-Designpreis<br />
Alle zwei Jahre wird der<br />
Designpreis des Landes<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
ausgeschrieben.<br />
Gemeinsam mit dem Landesdesignzentrum<br />
lobte das<br />
Wirtschaftsministerium in<br />
diesem Jahr den Lilienthal-<br />
Designpreis und den gleichnamigen<br />
Nachwuchspreis aus.<br />
Ziel des Wettbewerbs ist die<br />
Unterstützung der Wirtschaft<br />
und damit verbunden die<br />
Etablierung marktfähiger<br />
Produkte, die sich durch ein<br />
unverwechselbares Design<br />
auszeichnen. Der Designpreis<br />
wurde zum ersten Mal im Jahr<br />
1992 konzipiert, um das Gestaltungsbewusstsein<br />
im Land<br />
zu stärken und die Qualität<br />
von Produkten und Präsentationen<br />
zu verbessern. Das<br />
Konzept wird in den kommenden<br />
Jahren weiter verfolgt.<br />
»Design made in MV« soll sich<br />
künftig zu einem Markenzeichen<br />
entwickeln, das der<br />
Wirtschaft des Landes neue<br />
Impulse verleihen und sie<br />
weiter voranbringen soll.<br />
NACHRICHTEN AUS DEN REGIONEN<br />
KLIMASCHUTZ<br />
Algen schlucken CO 2<br />
In der Senftenberger Hochschule<br />
Lausitz wurde ein Forschungslabor zur<br />
Nutzbarmachung von Algen für den<br />
Klimaschutz eingerichtet.<br />
Zu diesem Zweck wurde der Algenphotobioreaktor<br />
(Foto) um einen Thermolyse-<br />
Versuchsstand<br />
und eine CO 2 -<br />
Extraktionsanlage<br />
erweitert.<br />
Während ihrer<br />
Wachstumsphase<br />
binden die Algen<br />
mittels Photosynthese<br />
große<br />
Mengen an<br />
Kohlendioxid aus<br />
Rauchgasen.<br />
Das Projekt<br />
wird in Zusammenarbeit<br />
mit<br />
der IVG GmbH<br />
und der Universität Potsdam realisiert und<br />
von der brandenburgischen Landesregierung<br />
mit 214.000 Euro gefördert.<br />
MANAGER : TÜFTLER : ERFINDER<br />
Ein Rasierpinselmacher, der vom<br />
Trend zur Nassrasur profitiert<br />
CHRISTIAN MÜLLER, (38) PEER LEITHOLD, (47)<br />
Geschäftsführer der Hans-<br />
Jürgen Müller GmbH & Co. KG<br />
im erzgebirgischen Stützengrün,<br />
hat mit seinem Traditionsprodukt<br />
den Weg zurück in die<br />
Badezimmer gefunden. Mehr<br />
als 1,5 Millionen Rasierpinsel<br />
von der Standardqualität bis<br />
zum Dachshaarmodell werden jährlich in seinem<br />
Familienunternehmen industriell hergestellt, weitere<br />
20.000 aus der Handfertigung kommen hinzu. Die<br />
30 Firmenmitarbeiter erwirtschafteten im vergangenen<br />
Jahr einen Umsatz von fast 4,6 Millionen Euro und<br />
werden in diesem Jahr noch zulegen. Müllers natürlicher<br />
Verbündeter ist der seit längerem am Toilettentisch<br />
der Männerwelt zu beobachtende Trend einer<br />
Rückkehr zur Nassrasur. Zu den Großabnehmern gehören<br />
der Rasiermittelhersteller Wilkinson und die<br />
Drogeriekette Rossmann. Der Markt reicht bis in die<br />
USA und nach Japan. Für exquisite Stücke zahlt verwöhnte<br />
Kundschaft bis zu 350 Euro. Um mit der fast<br />
500 Artikel umfassenden Produktpalette stets gut bevorratet<br />
zu sein, hat Müller 1,5 Millionen Euro in ein<br />
Hochregallager investiert. Auftragsrückgänge befürchtet<br />
er nicht: »Das Barthaar wächst immer wieder nach.«<br />
TOURISMUS<br />
Sachsen will mehr Gäste<br />
Der Freistaat Sachsen hat sich eine neue<br />
Tourismusstrategie verordnet und will<br />
die Zahl der Übernachtungen bis zum Jahr<br />
2020 auf 19 Millionen anheben.<br />
Im sächsischen Doppelhaushalt 2011/12 sind<br />
elf Millionen Euro für die Tourismusförderung<br />
ausgewiesen. Schon im Jahr 2010 verzeichnete<br />
Sachsen ein Rekordhoch von 16,3 Millionen<br />
Übernachtungen. Für die kommenden Jahre<br />
beschloss die Landesregierung die Einführung<br />
eines Punktesystems zur effizienteren<br />
Verteilung der Fördermittel. Nachholbedarf<br />
bestehe vor allem in den Regionen Chemnitz,<br />
Vogtland und Sächsisches Elbland.<br />
Ein Chemiker, der Äcker mit<br />
Hilfe von Satelliten düngen kann<br />
Chef der Agri Con GmbH,<br />
schwört auf die Hightech-<br />
Zukunft in der Landwirtschaft.<br />
Auf einem ehemaligen<br />
Bauernhof im sächsischen<br />
Ostrau ertüftelt er Sensoren,<br />
die sekundenschnell die<br />
Beschaffenheit der Pflanzen<br />
und des Bodens ermitteln können. Seine Hightech-<br />
Geräte, montiert auf Traktoren, verbinden das Wissen<br />
über Pflanzen, Agrochemie und Biologie mit der Landtechnik.<br />
Zum Vermessen der Felder greift der gelernte<br />
Agrochemiker auch auf die GPS-Technik zurück.<br />
Bereits im Versuchstadium ermittelte er, dass sich<br />
mit seinen Gerätschaften zehn Prozent der Düngemittel<br />
und 15 Prozent der Pflanzenschutzmittel einsparen<br />
lassen. Im vergangenen Jahr erzielte Agri Con<br />
einen Umsatz von 6,2 Millionen Euro, vor allem bei<br />
ostdeutscher Kundschaft. Die 45 Beschäftigten,<br />
darunter viele Ingenieure, sind über den Winter damit<br />
beschäftigt, den Einsatz der Sensortechnik weiter<br />
zu optimieren. Der Hightech-Farmer würde sein Knowhow<br />
gern global vermarkten. An neuen Ideen mangelt<br />
es ihm nicht: »Vielleicht stehen wir sogar am Beginn<br />
einer neuen Revolution in der Landwirtschaft.«<br />
8 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
AKTUELL<br />
IMPRESSUM<br />
Wirtschaft & Markt<br />
Das ostdeutsche Wirtschaftsmagazin<br />
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ISSN 086 353 23 Erscheint monatlich.<br />
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MESSETERMINE<br />
Dezember<br />
30.11., Berlin<br />
OSTPRO. Verkaufsmesse<br />
für Ostprodukte<br />
04.12., Plauen<br />
Modellbahnbörse<br />
10.12., Erfurt<br />
Bundeskaninchenschau<br />
06.12., Berlin<br />
MASTER AND MORE<br />
10.12., Hamburg<br />
stuzubi, Karrieremesse<br />
für Abiturienten und<br />
Fachabiturienten<br />
PRO<br />
& CONTRA<br />
Soll Frauenquote per Gesetz<br />
durchgedrückt werden?<br />
Eine freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft<br />
gibt es seit 2001 – ohne große Wirkung. Muss ein Gesetz<br />
nachhelfen, das die Arbeitsministerin fordert?<br />
JA<br />
INGRID SEHRBROCK,<br />
stellvertretende Vorsitzende,<br />
Deutscher Gewerkschaftsbund<br />
Zehn Jahre haben Wirtschaft<br />
und Politik bei der<br />
Förderung der Chancengleichheit<br />
in der Privatwirtschaft mit<br />
der freiwilligen Selbstverpflichtung<br />
vertrödelt. Das Gutachten<br />
der Sachverständigen zum<br />
Gleichstellungsbericht empfiehlt<br />
jetzt unmissverständlich<br />
eine Geschlechterquote für<br />
Aufsichtsräte. Doch wirklichen<br />
Gestaltungswillen in der Gleichstellungspolitik<br />
der Regierung<br />
gibt es kaum. Das beginnt mit<br />
dem zögerlichen Ausbau von<br />
Kinderbetreuungseinrichtungen<br />
und Ganztagsschulen,<br />
wo wir weit unter dem Niveau<br />
vergleichbarer Länder liegen.<br />
Vielen qualifizierten Frauen<br />
wird so eine gleichberechtigte<br />
berufliche Teilhabe verbaut. Es<br />
setzt sich fort bei der Entgeltungleichheit<br />
zwischen Frauen<br />
und Männern, wo Deutschland<br />
mit 23 Prozent Differenz einen<br />
der hinteren Plätze in der EU<br />
einnimmt. Und es endet bei der<br />
Besetzung von Aufsichtsräten.<br />
Lediglich 4,7 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder<br />
auf der<br />
Anteilseignerseite in den 160<br />
börsennotierten Unternehmen<br />
sind weiblich. Die geschlechtergerechte<br />
Besetzung der Aufsichtsräte<br />
ist ein Puzzlestück<br />
auf dem Weg zur Gleichstellung.<br />
Um eine tatsächliche<br />
Gleichstellung zu erreichen,<br />
müssen noch viele Teile<br />
zusammengefügt werden.<br />
ROLAND WOLF,<br />
Geschäftsführer Arbeitsrecht,<br />
Bundesvereinigung der<br />
Deutschen Arbeitgeberverbände<br />
NEIN<br />
Der Anteil von<br />
Frauen in Aufsichtsräten<br />
wie auch in Vorständen,<br />
hat sich positiv entwickelt<br />
und wird sich in den nächsten<br />
Jahren noch deutlich erhöhen<br />
– ganz ohne gesetzliche Vorgaben.<br />
Dies hat das Jahr<br />
2011 eindrucksvoll belegt.<br />
Mehr als vierzig Prozent der<br />
durch Nachwahlen zu besetzenden<br />
Aufsichtsratspositionen<br />
wurden von Frauen eingenommen.<br />
Die Dax-30-Unternehmen<br />
haben sich darüber<br />
hinaus in einer gemeinsamen<br />
Erklärung mit selbst gesetzten,<br />
realistischen und messbaren<br />
Zielen dazu verpflichtet,<br />
den Frauenanteil in der<br />
Belegschaft und in Führungspositionen<br />
zu erhöhen. Eine<br />
gesetzliche Quote kann dagegen<br />
die spezifischen Strukturen<br />
eines Unternehmens<br />
und auch einer Branche nicht<br />
berücksichtigen. Es stehen<br />
zum Beispiel noch heute in<br />
den technisch-naturwissenschaftlichen<br />
Branchen nicht<br />
in ausreichender Zahl Bewerberinnen<br />
zur Verfügung.<br />
Jährliche Berichtspflichten<br />
über den Frauenanteil führen<br />
nicht weiter und schaffen <strong>nur</strong><br />
neue Bürokratie. Eine Erhöhung<br />
des Frauenanteils kann<br />
<strong>nur</strong> dort erfolgen, wo es sich<br />
um eine echte Neubesetzung<br />
eines frei werdenden Aufsichtsratsmandats<br />
handelt.<br />
INVESTITIONEN<br />
Neues Pumpspeicherwerk<br />
Bei Tambach-Dietharz in Thüringen<br />
soll ein neues Pumpspeicherwerk<br />
gebaut werden. In einer Beteiligungsgesellschaft<br />
haben sich 35 Stadtwerke<br />
zusammengefunden. Das<br />
Erfurter Wirtschaftsministerium<br />
stellte Investitionen von mehr<br />
als 500 Millionen Euro in Aussicht.<br />
Laser für Solarzellen<br />
20 Millionen Euro hat das norwegische<br />
Unternehmen Innotech Solar<br />
ASA in Halle an der Saale in seine<br />
neue Solarfabrik investiert. Auf<br />
einer Produktionsfläche von 7.000<br />
Quadratmetern werden künftig bis<br />
zu 20.000 Solarzellen pro Stunde<br />
veredelt. Innotech Solar hat ein<br />
industrielles Verfahren entwickelt,<br />
das Solarzellen verschiedener<br />
Hersteller analysiert und mit speziellen<br />
Lasern Verunreinigungen<br />
isoliert. In Halle wurden dafür<br />
50 Arbeitsplätze eingerichtet.<br />
Weitere 80 sollen in der nächsten<br />
Ausbaustufe hinzukommen.<br />
Oberhof gestaltet um<br />
Mit einem Investionsaufwand von<br />
25 Millionen Euro werden in dem<br />
thüringischen Wintersportzentrum<br />
Oberhof die Skiarena und die Rennsteigthermen<br />
umgestaltet. Beson-<br />
dere Aufmerksamkeit wird nach dem<br />
Duisburger Loveparade-Unglück auf<br />
die Gestaltung der Fluchtwege gelegt.<br />
(Foto: Panorama-Hotel)<br />
EWE-Servicecenter<br />
Der Energiedienstleister EWE<br />
ENERGIE AG hat in Wildau, südöstlich<br />
von Berlin sein erstes Kundencenter<br />
in Brandenburg eröffnet. Es bietet<br />
Service und Beratung über alle Produkte<br />
und Dienstleistungen der EWE<br />
ENERGIE und des Kommunikationsunternehmens<br />
EWE TEL sowie über<br />
Energiesparen, Hausenergietechnik,<br />
Erdgas als Kraftstoff und über Klimaschutz.<br />
Mit Computeranimationen<br />
werden Energiethemen optisch<br />
erlebbar gemacht.<br />
Hubwagen aus Landsberg<br />
Das international tätige Unternehmen<br />
Jungheinrich hat rund 30 Millionen<br />
Euro in sein Werk in Landsberg bei<br />
Halle investiert. Die Kapazität des<br />
neuen Werkes liegt bei 30.000<br />
Elektro-Niederhubwagen pro Jahr.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 9
GESPRÄCH<br />
Manfred Buhl, Vorsitzender der Geschäftsführung der Securitas Deutschland<br />
Holding, zu neuen Herausforderungen im Sicherheitsgewerbe, Facharbeiternachwuchs<br />
und zur Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen in der Branche<br />
»Gute Dienstleistungen kosten eben<br />
Fotos: Torsten George<br />
W&M: Herr Buhl, für was stehen die drei<br />
roten Punkte im Logo von Securitas?<br />
MANFRED BUHL: Ehrlichkeit, Aufmerksamkeit,<br />
Hilfsbereitschaft – ich kenne<br />
kein anderes Sicherheitsunternehmen<br />
auf der Welt, das seine Werte im Logo<br />
reklamiert. Ein, so finde ich, bemerkenswertes<br />
Alleinstellungsmerkmal.<br />
W&M: Sie haben 2007 als Vizepräsident des<br />
heutigen Bundesverbandes der deutschen Sicherheitswirtschaft<br />
beklagt, dass die Branche<br />
als unseriös gilt. Sie haben auf laxe Zugangsbedingungen<br />
zum Job, schlechte Ausbildung<br />
und Niedriglöhne, einen stagnierenden<br />
Markt und immer neue Anbieter, darunter<br />
schwarze Schafe, aufmerksam gemacht. Das<br />
hat sicher Begeisterung ausgelöst?<br />
MANFRED BUHL: Klar, die anderen<br />
Marktteilnehmer fanden es nicht so toll,<br />
dass ihnen ein Spiegel vor das Gesicht gehalten<br />
wurde. Aber es war richtig, denn<br />
wenn wir als Verband es nicht schaffen,<br />
aus dieser Ecke heraus zukommen, wer<br />
dann?<br />
W&M: Welche wirtschaftlichen Ursachen sehen<br />
Sie für den schlechten Ruf der Branche?<br />
MANFRED BUHL: Es hält sich hartnäckig<br />
die Ansicht, das Sicherheitsgewerbe würde<br />
unglaublich boomen. Aber weder Umsatz<br />
noch Beschäftigung haben in den<br />
vergangenen Jahren deutlich zugenommen.<br />
Das einzige, was drastisch gestiegen<br />
ist, sind die Markteintritte. Der Kuchen<br />
ist nicht größer geworden, aber es<br />
gibt mehr Firmen, die ein Stück davon erheischen<br />
wollen. Damit sind Arbeits- und<br />
Lebensbedingungen in diesem Markt<br />
nicht besser, sondern schlechter geworden.<br />
W&M: Ergo, es existiert ein harter Verdrängungswettbewerb<br />
unter den schätzungsweise<br />
4.000 privaten Sicherheitsunternehmen in<br />
Deutschland.<br />
MANFRED BUHL: Ja, in der Security-Umwelt,<br />
wie wir sagen, sind die Bedingungen<br />
mies. Hinzu kommt, dass es in<br />
Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen<br />
Ländern einfach ist, ein Sicherheitsgewerbe<br />
anzumelden.<br />
W&M: Noch vor Jahren reichte ein 40-Stunden-Lehrgang<br />
bei der IHK – und heute?<br />
MANFRED BUHL: Inzwischen sind es 80<br />
Stunden. Aber es wird immer noch nicht<br />
geprüft, was der Anmelder kaufmännisch<br />
beherrscht, ob er über Sozialkompetenz<br />
verfügt. Entscheidend sind <strong>nur</strong><br />
Aufträge, und Mitarbeiter zu finden. Die<br />
Konjunktur hat nach der Immobilienkrise<br />
erst wieder angezogen. Vorher gab<br />
es eine hohe Arbeitslosigkeit und es war<br />
relativ einfach, auf dem Markt Menschen<br />
zu rekrutieren. Sie waren bereit, für<br />
weniger Geld zu arbeiten, als es der Tarif<br />
vorsah. Auch die Kunden wollten sparen.<br />
Unternehmen, die wie wir sauber kal-<br />
»Entscheidend ist, dass in der<br />
Umsetzung der Mindestlöhne<br />
EFFEKTIV KONTROLLIERT<br />
wird und Verstöße wirksam<br />
sanktioniert werden.«<br />
kulieren und wo schon der Betriebsrat es<br />
nicht zulässt, unter Tarif zu bezahlen,<br />
hatten es da schwer.<br />
W&M: Aber Wettbewerb belebt doch das Geschäft?<br />
MANFRED BUHL: Solange er auf fairen<br />
Bedingungen fußt – keine Frage. Deshalb<br />
war die Zustandsbeschreibung auch an<br />
die Kunden gerichtet, sich nicht für das<br />
billigste, sondern für das wirtschaftlichste,<br />
letztlich für das beste Angebot zu<br />
entscheiden.<br />
W&M: Was unterscheidet denn das Securitas-<br />
Angebot von anderen?<br />
MANFRED BUHL: Normalerweise schreiben<br />
Unternehmen Stellen im Sicherheitsdienst<br />
aus. Zum Beispiel suchen sie<br />
einen Sicherheitsmitarbeiter für eine gewisse<br />
Zahl an Stunden. Das Sicherheitssystem<br />
des Unternehmens ist schon definiert.<br />
Es geht <strong>nur</strong> noch um personelle Ergänzung.<br />
Wir bieten dagegen dem<br />
Kunden eine Sicherheitsanalyse, eine Risikobewertung<br />
und dann eine maßgeschneiderte<br />
Dienstleistung an. Inklusive<br />
Technik, Organisation und Manpower.<br />
Wir bringen alles mit, vom Zaun über die<br />
Video- und Alarmanlage bis zur Feuerwehr.<br />
Vor allem aber haben wir den fachkompetenten<br />
Sicherheitsexperten, der<br />
das Management des Kunden berät.<br />
W&M: Das dürfte für einen Mittelständler<br />
kaum erschwinglich sein?<br />
MANFRED BUHL: Nein, darum geht es gar<br />
nicht, sondern um eine völlig andere<br />
Qualität der Dienstleistung, um eine andere<br />
Kultur. Und auch um eine höhere<br />
Qualifikation unserer Mitarbeiter beim<br />
verstärkten Einsatz von Technik.<br />
W&M: Sie forderten aus diesen Gründen seit<br />
vier Jahren einen gesetzlichen <strong>Mindestlohn</strong><br />
für die rund 170.000 Beschäftigten im Wachund<br />
Sicherheitsgewerbe. Seit 1. Juni 2011 ist<br />
er Gesetz. Für die östlichen Bundesländer gelten<br />
6,53 Euro als Untergrenze. Zufrieden?<br />
MANFRED BUHL: Natürlich reichen 6,53<br />
Euro nicht aus, aber wir kommen von<br />
4,30 Euro, wie sie in Thüringen gezahlt<br />
wurden. Machen Sie einem Kunden aber<br />
erstmal verständlich, dass er jetzt ein<br />
Drittel mehr für die Dienstleistung aufwenden<br />
soll. Im Übrigen sind die Mindestlöhne<br />
gestaffelt. Außer für den Osten<br />
gilt diese Untergrenze für Berlin, Rheinland-Pfalz,<br />
Saarland und Schleswig-Holstein.<br />
Für Baden-Württemberg sind es<br />
8,60 Euro. Die restlichen Bundesländer<br />
liegen dazwischen.<br />
W&M: Nicht ausreichend, sagen Sie – wie soll<br />
es weitergehen?<br />
MANFRED BUHL: Die Sätze steigen überall<br />
in zwei Stufen zum 1. März 2012 und<br />
zu Anfang 2013 auf 7,50 Euro bis 8,90<br />
Euro – befristet bis Ende 2013. Entscheidend<br />
ist, dass in der Umsetzung der Mindestlöhne<br />
effektiv kontrolliert wird und<br />
10 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
gutes Geld«<br />
»Die zunehmende<br />
Ungerechtigkeit in der<br />
Verteilung in der Welt<br />
ist der Ausgangspunkt dafür,<br />
dass sich das<br />
SICHERHEITSRISIKO<br />
verschärft.«<br />
Verstöße wirksam sanktioniert werden.<br />
W&M: Das klappt?<br />
MANFRED BUHL: Ich bin unlängst von<br />
meinem Regionalmanager in Thüringen<br />
informiert worden, dass der Zoll dort die<br />
Einhaltung kontrolliert. Das scheint zu<br />
klappen.<br />
W&M: Gibt es im Branchenverband, wie anderswo<br />
nicht unüblich, eine Art freiwillige<br />
Selbstverpflichtung, Mindestlöhne zu zahlen?<br />
MANFRED BUHL: Nein, warum denn<br />
auch? Der <strong>Mindestlohn</strong> ist Gesetz, wer<br />
ihn nicht zahlt, verhält sich rechtswidrig.<br />
Aber er ist nicht das Ende eines Prozesses,<br />
wie manche glauben, sondern<br />
<strong>nur</strong> der Anfang. Er zieht eine Untergrenze,<br />
aber die Staffelung verhindert nicht<br />
den Lohn-Tourismus. Zum Beispiel von<br />
Thüringen nach Bayern. Zum anderen<br />
müssen wir aufpassen, dass sich nicht<br />
das ganze Entgelt-Gefüge des Gewerbes<br />
über den <strong>Mindestlohn</strong> definiert. Denn es<br />
gibt in der Branche qualifizierte Ausbildung,<br />
hoch qualifizierte Tätigkeiten. Wir<br />
müssen in ganz Deutschland dahin kommen,<br />
dass fachlich anspruchsvolle<br />
Dienstleistungen gut bezahlt werden. Bis<br />
zur Stunde ist aber nicht einheitlich geregelt,<br />
was eine Fachkraft für Schutz und<br />
Sicherheit – ein Ausbildungsberuf – bekommen<br />
soll.<br />
W&M: Bilden Sie selbst aus?<br />
MANFRED BUHL: Ja, wir haben ein eigenes<br />
Ausbildungszentrum in Schwerin<br />
und eine Betriebsakademie in Düsseldorf.<br />
Wir halten verschiedene Bildungsangebote<br />
vor und verbinden diese mit<br />
Praktika, damit die jungen Leute nicht<br />
ins kalte Wasser springen müssen. Zudem<br />
bereiten wir unsere Mitarbeiter zielgerichtet<br />
auf ihren künftigen Einsatzort<br />
vor, beispielsweise in einem Kraftwerk.<br />
W&M: Wie viele Auszubildende haben Sie?<br />
MANFRED BUHL: 90 – seit fünf Jahren<br />
gibt es zwei Ausbildungsberufe in der Sicherheitswirtschaft,<br />
neben der Fachkraft<br />
auch die Servicekraft.<br />
W&M: Wie sah es vorher aus?<br />
MANFRED BUHL: Nichts dergleichen.<br />
Man muss berücksichtigen, dass vor der<br />
Wende das Sicherheitsgewerbe in der<br />
Bundesrepublik von Quereinsteigern gekennzeichnet<br />
war. Nach 1990 kamen aus<br />
Zoll, Polizei und Armee der DDR qualifizierte,<br />
ausgebildete Fachkräfte in die<br />
Branche. Diese neue Qualität hat das<br />
Gewerbe nachhaltig beeinflusst. Es war,<br />
wie gesagt, leicht, gute Leute für wenig<br />
Geld zu kriegen. Sie sind heute zum Teil<br />
in Rente. Der Wettbewerb um den<br />
Fachnachwuchs ist entbrannt. Die demografische<br />
Entwicklung verschärft ihn<br />
dramatisch.<br />
W&M: Woher kommen die Auszubildenden?<br />
MANFRED BUHL: Wir werben intensiv –<br />
in Schulen, auf Bildungsmessen, unter<br />
den Zeitsoldaten der Bundeswehr und<br />
anderswo.<br />
W&M: Warum sollte ein junger Mensch bei<br />
Ihnen anheuern?<br />
MANFRED BUHL: Wir haben eine Reihe<br />
von sehr interessanten Aufgabengebieten<br />
mit großer Perspektive – es gibt<br />
faktisch keinen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen<br />
und gesellschaftlichen Bereich,<br />
wo wir nicht sind. Das Unternehmen<br />
ist ein Seismograph. Wir spüren<br />
Entwicklungen zuerst, die Probleme<br />
hautnah. Für junge Menschen, die eine<br />
Affinität zu Sicherheit mitbringen, gibt<br />
es ausgezeichnete Karrierechancen.<br />
W&M: Wie begründen sich diese?<br />
MANFRED BUHL: Das hängt mit unserer<br />
Struktur zusammen. Wir scheinen mit<br />
annähernd 20.000 Beschäftigten in<br />
Deutschland ein großer Dampfer zu sein,<br />
aber eigentlich sind es viele Securitas-<br />
Schnellboote, die das Unternehmen ausmachen.<br />
Kleine Einheiten, 150 Leute, die<br />
jeweils 25 Kunden betreuen mit fünf Millionen<br />
Euro Jahresumsatz. Securitas<br />
Deutschland ist faktisch mittelständisch<br />
aufgestellt.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 11
GESPRÄCH<br />
MANFRED BUHL<br />
erläutert<br />
W&M-Redakteur<br />
Helfried Liebsch<br />
die Unternehmensstrategie.<br />
W&M: Wer lernt denn drei Jahre, um dann<br />
6,53 Euro die Stunde zu verdienen?<br />
MANFRED BUHL: Genau das ist die Frage.<br />
Der <strong>Mindestlohn</strong> kann deshalb <strong>nur</strong> der<br />
<strong>Einstieg</strong> sein. Wir müssen unseren Kunden<br />
– kleinen und mittelgroßen Unternehmen<br />
– verständlich machen, dass eine<br />
gute Dienstleistung gutes Geld kostet.<br />
W&M: Womit muss sich eine Fachkraft für<br />
Schutz und Sicherheit heute auskennen –<br />
auch mit der Abwehr von Cyber-Kriminalität?<br />
MANFRED BUHL: Diese spezielle Dienstleistung<br />
kaufen wir noch zu. Aber wenn<br />
Sie sich mal ein Lehrbuch zur Schiffssicherheit<br />
ansehen, dann ist das schon<br />
beeindruckend. Sowohl, was die rechtlichen<br />
Vorschriften angeht, als auch<br />
technische Kenntnisse.<br />
W&M: Wie könnte eine Securitas-Arbeitsplatzbeschreibung<br />
von morgen aussehen?<br />
MANFRED BUHL: Das ist spannend und<br />
hat mit der klassischen Wach- und<br />
Schließgesellschaft <strong>nur</strong> noch wenig zu<br />
tun. Traditionell dominierte das Kirchturm-Gewerbe.<br />
In einer Stadt gab es ein,<br />
zwei Sicherheitsunternehmen und die<br />
haben alles an Aufträgen rund um den<br />
Kirchturm aufgelesen. Da war eine Bank,<br />
eine Verwaltung, ein Unternehmen. Seit<br />
rund zehn Jahren zeichnen sich gravierende<br />
Veränderungen ab. Vor allem bei<br />
Securitas. Der Kunde rückt in den Mittelpunkt,<br />
wir bieten ihm eine integrierte<br />
Sicherheitslösung an, in die er einbezogen<br />
ist. Das geht in unserem Unternehmen<br />
einher mit einer Spezialisierung<br />
und Segmentierung.<br />
W&M: Zum Beispiel?<br />
MANFRED BUHL: Frankfurt am Main ist<br />
ein Bankenstandort. Unsere Fachleute<br />
dort betreuen inzwischen Bankkunden<br />
bundesweit. Deren Arbeitsplatz unterscheidet<br />
sich gravierend von dem eines<br />
Sicherheitsfachmanns in einem Chemiebetrieb,<br />
der eine Feuerwehr-Ausbildung<br />
besitzt, oder in einem Kernkraftwerk,<br />
auf einem Flugplatz oder im Stadion.<br />
Dort sind Generalisten gefragt, der Trend<br />
aber geht hin zum Spezialisten.<br />
W&M: Weisen die Visitenkarten des größten<br />
privaten Sicherheits-Unternehmens in<br />
Deutschland das schon aus?<br />
MANFRED BUHL: Securitas unterteilt sich<br />
in vier große Segmente – den integrierten<br />
Sicherheitslösungen, ein All-in-one-<br />
ZUR<br />
Reformator<br />
PERSON<br />
Der im Februar 1952 in Forst (Brandenburg)<br />
geborene Manfred Buhl steht<br />
seit 2002 an der Spitze der Securitas<br />
Deutschland Holding GmbH & Co. KG in<br />
Düsseldorf. Er hat als Vorsitzender der<br />
Geschäftsführung maßgeblich die Entwicklung<br />
des mit fast 20.000 Beschäftigten<br />
und mehr als einer halben Milliarde<br />
Euro Umsatz größten Unternehmens<br />
des privaten Sicherheitsgewerbes<br />
in Deutschland geprägt. Zu einem<br />
»Knowledge Leader«, wie es auf der<br />
Website heißt. Ein Ausweis dafür ist das<br />
Angebot einer »Integrierten Sicherheitslösung«<br />
für die Kunden. 2007 hat<br />
das schwedische Unternehmen mit seinen<br />
knapp 300.000 Beschäftigten in<br />
50 Ländern mit der Implementierung<br />
einer neuen Unternehmensstrategie<br />
begonnen, die auf Spezialisierung in<br />
den einzelnen Kundensegmenten setzt.<br />
Manfred Buhl, der an der Frunse-Militärakademie<br />
in Moskau studiert hat, wechselte<br />
zu Beginn der 90er Jahre von der<br />
Führungsakademie der Bundeswehr<br />
in Hamburg nach Potsdam, wo er von<br />
1991 an die Geschäfte der DWS Security<br />
führte, die 1996 in die Securitas<br />
überging. Buhl lebt seit Jahrzehnten in<br />
Strausberg, ist verheiratet und hat<br />
zwei Töchter. Er ist Vizepräsident im<br />
Bundesverband der Sicherheitswirtschaft<br />
(BDSW) und u. a. Mitglied des<br />
Vorstands der Schwedischen Handelskammer<br />
in der Bundesrepublik.<br />
Paket aus Manpower, Technik, Service<br />
und Investment, eine Notruf-Service-<br />
Leitstelle, mobilen Sicherheitsdienste<br />
und Aviation Services. Wir verfügen über<br />
zwei Notrufzentralen, in Berlin und<br />
Mannheim, mit insgesamt 40.000 Aufschaltungen,<br />
privatwirtschaftlich oder<br />
staatlich. Das Interventionszentrum<br />
SECNIC in Potsdam ist eine hochmoderne,<br />
leistungsfähige Einsatzleitstelle, ausgerüstet<br />
mit Hightech. Die mobilen Dienste<br />
sind mit der Zentrale verbunden und<br />
arbeiteten mehr als 100.000 Interventionen<br />
jährlich ab.<br />
W&M: Apropos Aviation Services – was<br />
kommt mit dem neuen Großflughafen Berlin<br />
Brandenburg auf Sie zu?<br />
MANFRED BUHL: Das ist eine riesige Security-Herausforderung,<br />
wie man sie <strong>nur</strong><br />
einmal im Leben bestehen muss – das Zusammenführen<br />
zweier Flughäfen in einer<br />
Nacht auf einen neuen Standort. Der<br />
Aufwand in punkto Sicherheit ist allenfalls<br />
vergleichbar mit dem zur Fußballweltmeisterschaft<br />
2006 in Deutschland.<br />
W&M: Verschärfte Sicherheitsmaßnahmen<br />
sind auf Flughäfen längst Alltag. Ist die Welt<br />
unsicherer geworden?<br />
MANFRED BUHL: Nehmen Sie <strong>nur</strong> die verschiedenen<br />
aktuellen Entwicklungen im<br />
arabisch-afrikanischen Raum. Die wachsende<br />
Ungerechtigkeit in der Verteilung<br />
in der Welt ist Ausgangspunkt dafür,<br />
dass sich das Risiko verschärft. Die Welt<br />
wird zumindest nicht sicherer.<br />
W&M: Ein anderes Beispiel sind sicherlich die<br />
östlichen Bundesländer. Dort verändern sich<br />
mit der demografischen Entwicklung die<br />
Strukturen dramatisch. Hinzukommt, dass<br />
Länder und Kommunen sparen müssen. Zum<br />
Beispiel bei der Polizei. Eine neue Chance garade<br />
für Sie?<br />
MANFRED BUHL: Es muss verstärkt darüber<br />
nachgedacht werden, wer die Akteure<br />
der Sicherheit sind. Das »Programm<br />
Innere Sicherheit« der Innenministerkonferenz<br />
der Länder hat in seiner aktuellen<br />
Fortschreibung von 2009 zum<br />
ersten Mal anerkannt, dass das private<br />
Sicherheitsgewerbe ein Bestandteil der<br />
Sicherheitsarchitektur in Deutschland<br />
ist. Wenn man sich also fragt, wer könnte<br />
denn Partner der Polizei sein, dann<br />
kommt man am privaten Sicherheitsgewerbe<br />
nicht vorbei. Aber es bedarf für<br />
diese zuverlässige Partnerschaft eines<br />
höheren Niveaus in der Branche. Da sind<br />
noch eine Reihe von Hausaufgaben zu erledigen.<br />
W&M: Es geht um Partnerschaft, nicht um<br />
Ersatz?<br />
MANFRED BUHL: Nur darum, wir können<br />
und wollen keine hoheitlichen Aufgaben<br />
erledigen.<br />
W&M: Vielen Dank für das Gespräch. &<br />
12 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
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KOOPERATION MIT WISSENSCHAFT<br />
Toomas der Shopping-Roboter und Scitos<br />
der Senioren-Roboter gehören zu den<br />
computergesteuerten Assistenzsystemen,<br />
an denen das thüringische Unternehmen<br />
MetraLabs aus Ilmenau bereits seit<br />
einigen Jahren forscht. Das allerdings<br />
nicht im Alleingang. »Unser Assistenz-Roboter,<br />
der sich einmal als verlässlicher<br />
Weggefährte im Alter bewähren soll, ist<br />
Gegenstand eines internationalen Entwicklungsprojekts,<br />
an dem insgesamt 18<br />
Forschungspartner aus sieben europäischen<br />
Ländern beteiligt sind«, sagt MetraLabs-Geschäftsführer<br />
Andreas Bley.<br />
Der zweite deutscher Partner in diesem<br />
länderübergreifenden Forschungsverbund<br />
ist dabei Ilmenaus Technische<br />
Universität. »Mit dem von Prof. Horst-<br />
Michael Groß geleiteten Fachbereich<br />
Neuroinformatik und kognitive Robotik<br />
arbeiten wir schon seit unserer Gründung<br />
vor zehn Jahren zusammen«, erzählt<br />
der MetraLabs-Chef. Im Mittelpunkt<br />
der gemeinsamen Arbeit stehe die<br />
eigentliche Intelligenz der Roboter, ohne<br />
die ein selbständiges Agieren der blechernen<br />
Helfer in häuslicher Umgebung,<br />
in Geschäften oder eben in Baumärkten<br />
unmöglich sei. »Der Bereich der Technischen<br />
Universität bringt dafür ihre<br />
neuesten Ergebnisse zur kognitiven Robotik<br />
ein«, sagt Bley. »Wir wiederum<br />
designen, konstruieren und bauen die<br />
Assistenz-Roboter, und nehmen sie dann<br />
letztlich auch in Betrieb.«<br />
Fotos: MetraLabs<br />
Roboterspezialist MetraLabs<br />
Begleiter im Baumarkt<br />
Moderne Servicerobotik soll die Geschäftswelt und auch den Alltag<br />
pflegebedürftiger Menschen revolutionieren. Die Ilmenauer Firma<br />
MetraLabs entwickelt und baut Shopping- und Senioren-Roboter.<br />
Toomas steht am Eingang eines Erfurter<br />
Baumarkts und ist ein ziemlich<br />
flotter Typ. Er blinzelt freundlich,<br />
sagt »Guten Tag, was kann ich für<br />
Sie tun?«. Hören kann der Blechtyp den<br />
Kunden nicht. Aber man kann über<br />
einen berührungsempfindlichen Bildschirm<br />
mit ihm ins »Gespräch« kommen.<br />
Zum Beispiel einfach »Rohrzange« eintippen.<br />
Dann geleitet Toomas den Kunden<br />
durch die schier endlosen Regalfluchten<br />
des Baumarkts – genau dorthin, wo das<br />
gesuchte Werkzeug liegt.<br />
Sein Kollege Scitos G5 kommt als flacher<br />
grauer Kasten lange nicht so fesch<br />
daher. Hilfsbereit aber ist auch er – zum<br />
Beispiel wenn die 80-jährige Ingeburg<br />
Neumann ihre Medikamente braucht,<br />
den Hausschlüssel oder ihre Brille sucht,<br />
einen Termin vergessen hat oder mal<br />
wieder ihr wöchentliches »Gehirnjogging«<br />
betreiben will.<br />
Nach einigen Übungseinheiten im Labor<br />
der Technischen Universität Ilmenau<br />
hat die demenzgefährdete Rentnerin<br />
ihre blecherne Haushalts- und Pflegehilfe<br />
weitgehend in Griff. Sie könnte sich<br />
vorstellen, Scitos bei sich zu Hause aufzunehmen.<br />
Aber soweit ist es mit ihm noch<br />
lange nicht.<br />
STEIGENDER ROBOTER-EINSATZ<br />
Dass MetraLabs mit der Technischen Universität<br />
kooperiert, hat nicht <strong>nur</strong> mit<br />
den kurzen Wegen in dem thüringischen<br />
Städtchen Ilmenau zu tun. Sowohl Bley<br />
als auch die drei übrigen Firmengründer<br />
Christian Martin, Matthias Merten und<br />
Johannes Trabert stammen aus der<br />
Region und kennen sich schon seit der<br />
Schulzeit. Alle vier haben auch an der<br />
Ilmenauer Universität studiert, allerdings<br />
nicht alle das gleiche Fach. »Und<br />
dann hat auch jeder von uns noch ein<br />
Studium oder Praktika irgendwo in der<br />
Welt drangehangen«, sagt der jetzt 33-<br />
jährige Firmenchef. Er selbst hat nach<br />
seinem Ilmenauer Studium Wirtschaftsingenieurwesen<br />
noch an der Friedrich-<br />
Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg<br />
im Fachbereich Volkswirtschaftslehre<br />
promoviert. Alle vier seien aber<br />
nach den individuellen »Lehr- und Wanderjahren«<br />
wieder nach Ilmenau zurückgekehrt.<br />
»Wir sind«, so Bley, »uns und<br />
unserer Stadt treu geblieben.«<br />
Nur folgerichtig findet der junge<br />
Thüringer, dass sie dann 2001 auch zusammen<br />
ihre Firma gegründet haben,<br />
die nun an der Schnittstelle zwischen<br />
künstlicher Intelligenz und Robotik<br />
agiert. Schließlich seien sie schon 1997<br />
mit ihrem intelligenten Steuerungs- und<br />
autonomen Navigationssystem gemein-<br />
14 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
REPORT<br />
sam Sieger im thüringischen Landeswettbewerb<br />
»Jugend forscht« geworden.<br />
»Das System ist dann in die Entwicklung<br />
der mobilen Roboterplattform Scitos<br />
und der autonomen Navigationssoftware<br />
CogniDrive eingeflossen«, erklärt Bley.<br />
»Wenn man so will, war das unsere Plattform<br />
für die Firmengründung.«<br />
Das Thema Serviceroboter, mit dem<br />
sich die Ilmenauer beschäftigen, ist zwar<br />
in aller Munde, aber eher noch Spielwiese<br />
für Forschungsinstitute als stabiler<br />
Wachstumsmarkt für Robotik-Unternehmen.<br />
Die konzentrieren ihre Anstrengungen<br />
bislang vornehmlich auf<br />
den Industriebereich. Nach der Studie<br />
»World-Robotics 2011« der Internationalen<br />
Föderation für Roboter (IFR) wird sich<br />
der Roboterabsatz im jetzt zu Ende gehenden<br />
Jahr gegenüber 2010 um fast ein<br />
Fünftel auf 140.000 Einheiten erhöhen –<br />
ein neuer Spitzenwert. Schon im vergangenen<br />
Jahr hatten sich die Roboterverkäufe<br />
im Vergleich zu 2009 auf gut<br />
118.000 Einheiten nahezu verdoppelt.<br />
Und auch für die nächsten Jahre prognostiziert<br />
die IFR mit durchschnittlich<br />
sechs Prozent einen deutlichen Absatzzuwachs.<br />
Treffen dieses Wachstumsraten<br />
ein, dann werden Ende 2014 weltweit insgesamt<br />
1,3 Millionen Roboter in den Fabriken<br />
eingesetzt sein.<br />
»Ein Zukunftsmarkt sind auch die Serviceroboter<br />
aus dem nichtindustriellen<br />
Bereich allemal«, ist Bley überzeugt, bekennt<br />
aber nüchtern: »Dafür müssen sie<br />
alsbald noch viel mehr können als Toomas<br />
oder Scitos G5.« Zwar hat MetraLabs<br />
für die Entwicklung seines Shopping-Roboters<br />
mit der Baumarktkette »toom« einen<br />
regionalen Partner gefunden und<br />
für Toomas zusammen mit den Wissenschaftlern<br />
der Ilmenauer TU 2010 den<br />
Thüringer Forschungspreis erhalten; der<br />
wirtschaftliche Durchbruch aber war das<br />
für die Ilmenauer Jungunternehmer<br />
noch nicht. Das Interesse unter Betreibern<br />
von Spezialmärkten wie Elektronik-<br />
Läden sei nach den erfolgreichen Langzeittests<br />
groß, sagt Bley. Aber auch trotz<br />
Nachweis seiner Praxistauglichkeit habe<br />
es für Toomas bislang noch nicht zu einer<br />
wirklichen Serienfertigung gereicht.<br />
PFLEGE-ASSISTENT AM ANFANG<br />
Auch der hilfreiche Geist für Senioren<br />
steckt noch in den Kinderschuhen. Derzeit<br />
führen Forscher der Technischen<br />
Universität weitere Labortests mit »leicht<br />
dementen« Probanden durch, die Bley<br />
zufolge viele neue Erkenntnisse zu Verbesserungen<br />
des Pflege-Roboters offerierten.<br />
So sei die 80-jährige Frau Neumann<br />
zwar auf Anhieb mit der Bedienung des<br />
mobilen Automaten zurechtgekommen,<br />
SPEZIALISTEN: MetraLabs-Mitarbeiter<br />
gleichzeitig aber hätte sie Schwierigkeiten<br />
mit der Akustik des Roboters gehabt.<br />
»Sie hat ihn nicht auf Anhieb verstanden«,<br />
sagt Bley. Der Pflege-Assistent brauche<br />
daher unbedingt eine Wiederholungsfunktion<br />
bei der Sprachausgabe. In<br />
den nächsten Monaten soll zudem erkundet<br />
werden, ob der Roboter im Alltag<br />
von der Zielgruppe wirklich angenommen<br />
wird. »Im besten Falle wie ein intelligentes<br />
Haustier«, sagt Bley.<br />
Ihre Hoffnungen auf den Zukunftsmarkt<br />
Service-Roboter machen die Ilmenauer<br />
an den demografischen Daten und<br />
an diversen Pflegestatistiken fest. Danach<br />
werden knapp 70 Prozent der pflegebedürftigen<br />
Menschen in Deutschland<br />
derzeit zu Hause betreut. Das Bundesgesundheitsministerium<br />
schätzt, dass die<br />
Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr<br />
2030 auf über 3,5 Millionen ansteigen<br />
wird. »Gleichzeitig nehmen Betreuungspersonal<br />
und Betreuungszeit ab«, weiß<br />
der MetraLabs-Chef und ist sich sicher,<br />
dass sich da für seine Firma über kurz<br />
oder lang ein riesiger Markt auftut.<br />
»Wir können zwar die menschliche<br />
Nähe und Zuwendung nicht ersetzen,<br />
aber zumindest die Lücke bei der intensiven<br />
Pflege schließen helfen«, sagt Bley.<br />
»Immerhin steht unser Roboter den Bedürftigen<br />
rund um die Uhr zur Seite.<br />
Und er ermüdet dabei nicht.«<br />
Neben der technischen Weiterentwicklung<br />
der Assistenz-Roboter sei es aber<br />
auch nötig, die finanzielle Basis für seinen<br />
massenweisen häuslichen Einsatz zu<br />
schaffen, betont Bley. Vorstellbar für ihn<br />
wäre, dass die Krankenkassen den derzeit<br />
etwa 10.000 Euro teuren Roboter genauso<br />
wie Rollstühle als Hilfsmittel für<br />
Senioren anerkennen. »Das rechnet sich<br />
in einer alternden Gesellschaft«, sagt er.<br />
Schließlich könne damit eine viel kostenintensivere<br />
Heimunterbringung zeitlich<br />
nach hinten verschoben werden.<br />
TEAM VON SPEZIALISTEN<br />
Bley läuft durch die weitläufigen Räume<br />
seines Unternehmens, das in einem Industriezentrum<br />
am Rande Ilmenaus seinen<br />
Platz gefunden hat. Neben einer<br />
großen Montagewerkstatt verfügt das<br />
Unternehmen über diverse Räume mit<br />
Computerarbeitsplätzen. Der eigentliche<br />
Schatz aber, so Bley, seien die Mitarbeiter.<br />
Im zehnten Jahr nach Gründung<br />
beschäftigt MetraLabs nun auch zehn<br />
hochmotivierte Roboterspezialisten, die<br />
fest oder teilweise noch frei an das Unternehmen<br />
gebunden sind.<br />
Mit einer halben Million Euro Umsatz<br />
wird MetraLabs voraussichtlich das Jahr<br />
abschließen und dabei zwischen 50 und<br />
60 Roboter montiert und verkauft haben<br />
– vornehmlich an Forschungs- und Hochschuleinrichtungen<br />
in ganz Europa.<br />
Die vier Ilmenauer Firmengründer<br />
können mit diesem noch bescheidenen<br />
Absatz derzeit jedoch gut leben, weil<br />
über gemeinsame Forschungsprojekte<br />
mit wissenschaftlichen Einrichtungen<br />
wie der Ilmenauer TU und durch industrielle<br />
Dienstleistungen weiteres Geld in<br />
die Firmenkasse kommt. Zufrieden aber<br />
ist Bley mit der Stückzahl nicht. Spätestens<br />
in fünf Jahren will er mindestens<br />
fünfmal soviele Service-Roboter verkaufen.<br />
»Das ist zu schaffen«, sagt Bley.<br />
»Dann wird es auch den Senioren-Roboter<br />
ganz sicher zu kaufen geben – aber<br />
gemach, für Vorbestellungen ist es jetzt<br />
noch zu früh.«<br />
Steffen Uhlmann<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11<br />
15
BERICHT<br />
Fotos: AIDA Cruises, T. Schwandt<br />
AIDA Cruises<br />
Attraktive Jobs auf allen Weltmeeren<br />
Der deutsche Marktführer in der Kreuzschifffahrt gehört zu den 21 attraktivsten Arbeitgebern bundesweit.<br />
Für Personalchefin Haike Witzke ist das positive Firmen-Image wesentlicher Baustein, um den Bedarf<br />
an Fachkräften bei AIDA Cruises zu sichern. Mit dem Ausbau der Clubschiff-Flotte wächst dieser rasant.<br />
Der spontane Schlag mit der rechten<br />
Hand auf die Tischplatte war<br />
von einer Bestimmheit, die keinen<br />
Zweifel lässt. »Wir werden in einigen<br />
Jahren einen weiblichen Chiefengineer<br />
und sicher einen weiblichen Kapitän in<br />
der Flotte haben.« Für den Moment hat<br />
sich Haike Witzkes Lächeln zu einem<br />
Strahlen verstärkt. Es verrät den persönlichen<br />
Ehrgeiz, den die Personalchefin<br />
von AIDA Cruises an das Ziel knüpft, eine<br />
Frau als Leitenden Technischen Ingenieur<br />
in der Clubschiff-Flotte zu etablieren.<br />
Dies sei kein frommer Wunsch.<br />
»Unter unseren Mechatroniker-Azubis<br />
sind einige Mädchen, die mit Bestleistungen<br />
glänzen und ein festes Ziel haben.«<br />
Bei AIDA Cruises, wo Haike Witzke in<br />
der Funktion eines Vice President Human<br />
Resources Management die Personalpolitik<br />
des Rostocker Kreuzfahrtunternehmens<br />
managt, sind schnelle und<br />
ungewöhnliche Karrieren längst selbstverständlich<br />
geworden. An Bord des<br />
neuen, in diesem Jahr in Dienst gestellten<br />
Clubschiffes »AIDAsol« ist beispielsweise<br />
der Leitende Technische Ingenieur,<br />
Christian Rosenthal, 1978 geboren; die<br />
34-jährige Steffi Girbig leitet als 1. Hausdame<br />
den großen Bereich House Keeping<br />
mit 102 philippinischen und indonesischen<br />
Mitarbeitern. Jürgen Malieske (34)<br />
kümmert sich als so genannter Crew Purser<br />
um alle für die Arbeit und das Leben<br />
an Bord relevanten Belange der über 600<br />
Besatzungsmitglieder, und Tommy Freitag,<br />
der Barchef der Vinothek auf Deck 9,<br />
zählt gerade mal 24 Jahre.<br />
LANGE WACHSTUMSPHASE<br />
Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter<br />
auf den aktuell acht AIDA-Clubschiffen<br />
liegt bei zirka 34 Jahren. Für Haike Witzke<br />
resultiert die niedrige Quote aus »der<br />
langen Wachstumsphase«, die bei AIDA<br />
Cruises vor gut sechs Jahren eingeläutet<br />
worden ist. Diese eröffne jungen Menschen<br />
anspruchsvolle Aufgaben und<br />
hervorragende Karrierechancen. »Aus<br />
unternehmerischer Sicht ist es zwingend<br />
notwendig, die Entwicklungswege zu<br />
verkürzen«, unterstreicht die Personalstrategin.<br />
Auf 5.600 ist die Zahl der AIDA-<br />
Mitarbeiter inzwischen angewachsen.<br />
Und der enorme Bedarf an gut qualifizierten<br />
Fach- und Führungskräften an<br />
Land und an Bord ebbt in den kommenden<br />
Jahren nicht ab.<br />
Seit 2007 wird die AIDA-Flotte jährlich<br />
um ein neues Schiff erweitert. Das langfristige<br />
Investitionsprogramm ist erst<br />
kürzlich um zwei zusätzliche Schiffsprojekte<br />
erweitert worden. Die Clubschiffe<br />
Nummer elf und zwölf werden in Japan<br />
gebaut und 2015 beziehungsweise 2016<br />
in Fahrt gehen. Weit mehr als zwei Milliarden<br />
Euro steckt die Reederei, die dem<br />
börsennotierten US-Konzern Carnival<br />
Corporation & plc angehört, dem weltweit<br />
größten Kreuzfahrtanbieter, in das<br />
ehrgeizige Neubauprogramm.<br />
Der rasante Ausbau der AIDA-Flotte<br />
auf ein Dutzend Clubschiffe, die sämtlich<br />
den markentypischen roten Kussmund<br />
am Bug tragen, beschert dem Unternehmen<br />
ein extrem beschleunigtes<br />
Wachstum. Mittlerweile kratzt AIDA an<br />
der Umsatzmarke von einer Milliarde<br />
Euro im Jahr.<br />
Auf über 9.000 Mitarbeiter an Land<br />
und auf See beziffert Haike Witzke den<br />
16 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
BERICHT<br />
Personalbedarf, um die angepeilten Unternehmensziele<br />
abzusichern. »Wachstum<br />
ist zum Tagesgeschäft geworden«,<br />
sagt sie. Was für die 52 Mitarbeiter im<br />
Bereich Human Resources Management<br />
bedeutet, permanent in die Zukunft zu<br />
schauen. »Wir kümmern uns um das Personal<br />
von übermorgen, vom Kapitän bis<br />
zur Blumenfrau.« Es sei daher <strong>nur</strong> konsequent<br />
gewesen, nicht unerhebliche Mittel<br />
»in den Faktor Mensch zu investieren«,<br />
umreißt die Personalchefin, die<br />
direkt President Michael Thamm unterstellt<br />
ist, den Lernprozess innerhalb des<br />
Unternehmens. Die Personalpolitik sei<br />
einer »der Schlüsselbereiche für die Zukunft<br />
von AIDA« resümiert die 53-Jährige<br />
selbstbewusst.<br />
EIGENE AUS- UND WEITERBILDUNG<br />
Der gebürtigen Rostockerin sind Leben<br />
und Arbeit an Bord vertraut. Sie erlebte<br />
fünf Jahre Seefahrt als Purserin (Zahlmeisterin)<br />
bei der Deutschen Seereederei<br />
(DSR), dem einstigen Schifffahrtsunternehmen<br />
der DDR, und absolvierte bis<br />
1986 ein Wirtschaftsfernstudium. Später<br />
wechselte sie in die Personalplanung,<br />
koordinierte dort den Offizierseinsatz in<br />
der Containerschifffahrt.<br />
Nach der Privatisierung der DSR war<br />
sie von Anbeginn dabei, als mit dem Neubau<br />
der »AIDA«, der heutigen »AIDAcara«,<br />
der Startschuss für ein neuartiges Clubschiffkonzept<br />
erfolgte. »In der Branche<br />
hat das damals niemand für bare Münze<br />
genommen«, erinnert sie sich an die mutige<br />
wie nicht risikofreie Unternehmensentscheidung.<br />
AIDA ZU HAUSE IN ROSTOCK Haike Witzke managt die Personalentwicklung der Reederei.<br />
An qualifiziertem seemännischen Personal<br />
mangelte es in den 90er Jahren<br />
nicht, im Gegensatz zu heute. »Es waren<br />
gut ausgebildete Nautiker und Techniker<br />
auf dem Markt.« Eingedenk des demografischen<br />
Wandels, der seit geraumer Zeit<br />
die Wirtschaft vor große Herausforderungen<br />
stellt, käme es insbesondere in<br />
der Werbung auf eine zielgruppengerechte<br />
Ansprache an. Natürlich helfe<br />
auch die erneute Auszeichnung zum »Attraktiven<br />
Arbeitgeber« in diesem Jahr,<br />
die Aufmerksamkeit junger und auch erfahrener<br />
Menschen auf AIDA zu lenken.<br />
»Zumal wir ein tolles Produkt anbieten.«<br />
Doch dies werde genau hinterfragt,<br />
weiß Haike Witzke aus der Praxis. Umso<br />
mehr sei es geboten, »alle Tasten auf der<br />
Klaviatur von Personalentwicklung und<br />
Mitarbeiterbindung zu spielen, im Sinne<br />
von Qualität und Nachhaltigkeit«. Neben<br />
einem positiven Arbeitgeber-Image und<br />
professioneller Rekrutierung von Fachkräften<br />
auf dem freien Markt stehe die<br />
eigene Aus- und Weiterbildung ganz<br />
oben auf der Agenda.<br />
Als einen entscheidenden Schritt bezeichnet<br />
es Haike Witzke, 2008 die firmeninterne<br />
Ausbildung zum Mechatroniker<br />
entwickelt und etabliert zu haben.<br />
»Unsere modernen Schiffe sind voll gepackt<br />
mit Hightech, da genügt die klassi-<br />
sche Ausbildung zum Schiffsmechaniker<br />
nicht mehr, und Bewerber von außen<br />
sind kaum noch in der Lage, diese<br />
Schiffssysteme ad hoc zu beherrschen.«<br />
Ein Fünftel des Mechatroniker-Ausbildungsprogramms<br />
ist auf die spezifischen<br />
Erfordernisse bei AIDA zugeschnitten.<br />
JUNGE FÜHRUNGSKRÄFTE<br />
Der 23-jährige Paul Dargel aus der Nähe<br />
von Bernau (Brandenburg) gehört zu den<br />
ersten Azubis, die 2008 bei AIDA eine<br />
dreieinhalbjährige Mechatroniker-Lehre<br />
begonnen haben. Im zweiten Halbjahr<br />
2011 war er mehrere Monate in der praktischen<br />
Ausbildung mit der »AIDAsol« unterwegs.<br />
»Mein Ziel ist es, als Leitender<br />
Technischer Ingenieur zur See zu fahren.«<br />
Der Weg dorthin ist vorgezeichnet.<br />
Nach Lehrabschluss folgt ein Bachelor-<br />
Studium in Schiffsbetriebstechnik an der<br />
firmeneigenen European Cruise Academy<br />
in Rostock. Im September dieses<br />
Jahres haben in der Rostocker Reederei<br />
28 Mechatroniker in spe, 14 künftige<br />
Schiffsbetriebstechniker sowie zehn Nautiker<br />
und zwei Elektro-Techniker eine<br />
Ausbildung oder ein Studium aufgenommen.<br />
Insgesamt gibt es in der Kussmund-<br />
Flotte derzeit 160 Azubis.<br />
Das berufliche Ziel von Paul Dargel<br />
hat Christian Rosenthal bereits erreicht.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 17
BERICHT<br />
KARRIEREN AN BORD Chiefengineer Christian Rosenthal, 1. Hausdame Steffi Girbig und Azubi Paul Dargel (v. l.)<br />
Der 33-jährige Chief auf der »AIDAsol«<br />
stammt aus dem Sauerland. Früh habe es<br />
ihn zur Seeschifffahrt gezogen, sagt er.<br />
Nach Schiffsmechaniker-Lehre und vierjährigem<br />
Studium an der Schifffahrtsschule<br />
in Flensburg (Schleswig-Holstein)<br />
landete er vor sechseinhalb Jahren bei<br />
AIDA Cruises. Als 3. Ingenieur heuerte er<br />
auf der »AIDAvita« an. »So ein hochkomplexes<br />
System wie ein Kreuzfahrtschiff<br />
ist eine enorme Herausforderung«,<br />
schätzt Rosenthal ein. Durch stetige Weiterbildung<br />
auch an Bord sei er jedoch<br />
zielgerichtet auf seine Leitungsfunktion<br />
vorbereitet worden.<br />
Bei AIDA wird in puncto Qualifizierung<br />
von jungen Führungskräften nichts<br />
dem Zufall überlassen. Neben einem internen<br />
Bildungsportal gibt es spezielle<br />
»Management Development Programme«.<br />
Ein Kerngedanke besteht darin, aus<br />
dem bestehenden Mitarbeiterstamm<br />
frühzeitig geeignete Mitarbeiter zu identifizieren,<br />
die Führungsaufgaben übernehmen<br />
können. »Potenziale erkennen«<br />
nennt das Personalmanagerin Witzke.<br />
Und fügt hinzu: »Jeder Mitarbeiter hat<br />
das Recht, vom Unternehmen einzufordern,<br />
auf dem persönlichen Entwicklungsweg<br />
unterstützt zu werden.« Daher<br />
werde bei entsprechenden Signalen<br />
nachgefasst, werden Karriere- und Perspektivegespräche<br />
geführt und individuelle<br />
Trainee-Programme erstellt. Dies<br />
trage zu einer hohen Motivation und engen<br />
Bindung an AIDA bei.<br />
ZEHN BIS 15 JAHRE SEEFAHRT<br />
Modernes Personalmanagement in der<br />
Seeschifffahrt heißt aber auch, dass sich<br />
das Unternehmen dem Arbeits- und Lebensrhythmus<br />
der Mitarbeiter anpassen<br />
muss. Entsprechend wurden in den<br />
zurückliegenden Jahren flexible Freizeitund<br />
Arbeitszeitmodelle entwickelt. Auch<br />
fahre heutzutage »niemand 30 Jahre und<br />
länger zur See«. Zehn bis 15 Jahre, so<br />
Haike Witzke, sind im nautischen und<br />
technischen Bereich die Regel. AIDA<br />
macht aus diesem Umstand eine Tugend.<br />
Da sich mit dem Ausbau der Flotte auch<br />
die Aufgaben und Bereiche an Land ausweiten,<br />
sollen »vor allem Spitzenleute<br />
aus den technischen Fachrichtungen an<br />
Bord für eine anschließende Tätigkeit an<br />
Land gewonnen werden«. Grundsätzlich<br />
bestehen für hochqualifizierte Nautiker<br />
und Schiffsingenieure beste Chancen,<br />
nach der Fahrenszeit in der Wirtschaft<br />
einen Job zu finden.<br />
Das berufliche Spektrum auf einem<br />
Kreuzfahrtschiff gleicht dem Arbeitsfeld<br />
in einer Kleinstadt – von der Verwaltung<br />
über Gastronomie, Hotellerie und Einzelhandel<br />
bis hin zu technischen Versorgungsaufgaben.<br />
Dabei kommt es in der<br />
inselgleichen Welt eines Schiffes mit<br />
AIDA Cruises<br />
FAKTEN<br />
AIDA Cruises ist Deutschlands führende<br />
Kreuzfahrtreederei mit einem Anteil am<br />
deutschen Kreuzfahrtmarkt (mehr als eine<br />
Million Passagiere) von 37 Prozent. Gut<br />
die Hälfte aller Gäste bucht mittlerweile<br />
eine Kreuzfahrt auf einem der aktuell acht<br />
AIDA-Clubschiffe. Durchschnittlich sind<br />
die Urlauber acht Tage an Bord, die Bandbreite<br />
der Reisedauer erstreckt sich von<br />
drei bis zu 23 Tagen.<br />
Die Reederei startete 1996 in Rostock.<br />
Mit der in Finnland gebauten »AIDA« (heute<br />
»AIDAcara«) brachte sie nicht <strong>nur</strong> ein buntes<br />
Schiff – der Rostocker Künstler Feliks<br />
Büttner kreierte die markante Kussmundund<br />
Augenoptik am Schiffsrumpf – auf den<br />
Markt, sondern ein völlig neues Konzept:<br />
das Clubschiff. Die klassische Kreuzschifffahrt<br />
öffnete sich einem breiten und jüngeren<br />
Publikum, das aktiven und erlebnisintensiven<br />
Urlaub bevorzugt. Heute zählt<br />
AIDA in Deutschland zu den bekanntesten<br />
Marken. Der Altersdurchschnitt der AIDA-<br />
Kunden liegt bei 43 Jahren.<br />
AIDA Cruises ist nach einer Erhebung der<br />
Nord/LB die Nummer eins unter den 100<br />
größten Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern.<br />
Die Reederei beschäftigt derzeit<br />
5.600 Mitarbeiter an Land und auf See.<br />
über 2.000 Passagieren und rund 600 Besatzungsmitgliedern<br />
auf jedes einzelne<br />
Crewmitglied in besonderer Weise an.<br />
»Würden <strong>nur</strong> einige ausfallen, wäre das<br />
sofort zu spüren«, verdeutlicht Clemens<br />
Spangler, Club Direktor auf der »AIDAsol«,<br />
die ganz spezifische Seite des Seefahrtsberufes.<br />
TRAININGSCENTER IM AUSLAND<br />
Um Bewerbern einen möglichst praxisnahen<br />
und lebendigen Einblick in das Arbeitsleben<br />
an Bord eines über 200 Meter<br />
langen Clubschiffes zu geben, nutzen die<br />
Personalentwickler bei AIDA die Liegezeiten<br />
von Clubschiffen in Warnemünde<br />
oder Hamburg, um direkt auf den Schiffen<br />
mit den potenziellen neuen Mitarbeitern<br />
ins Gespräch zu kommen und die<br />
Möglichkeiten einer Zusammenarbeit<br />
auszuloten. »Für die jungen Leute ist diese<br />
Begegnung mit dem Bordalltag immer<br />
mit einem Aha-Effekt verbunden«, sagt<br />
Haike Witzke. Ausgang offen.<br />
Bei den Entscheidungen über den<br />
Neubau weiterer Schiffe ist die AIDA-<br />
Personalmanagerin in der Geschäftsführung<br />
stets gefragt worden, woher sie<br />
gedenkt, die notwendigen Mitarbeiter<br />
für die Clubschiffe zu rekrutieren. Standen<br />
hierbei bisher Deutschland, Österreich<br />
und die Schweiz im Fokus, so<br />
spannt Haike Witzke heute den Bogen<br />
weiter. »Wir sind inzwischen auch in Polen,<br />
Ungarn und der Ukraine unterwegs<br />
sowie in Asien.« In Manila auf den Philippinen<br />
und in Indien existieren bereits<br />
AIDA-eigene Trainingscenter, im indonesischen<br />
Djakarta wird demnächst ein<br />
weiteres in Betrieb genommen.<br />
Am 12. Mai 2012 wird in Hamburg mit<br />
der »AIDAmar« das nächste Clubschiff<br />
mit Kussmund am Bug getauft. Das 252<br />
Meter lange und 32 Meter breite Schiff<br />
befindet sich derzeit noch im Bau auf<br />
der Meyer Werft im emsländischen Papenburg.<br />
Eines steht jedoch schon fest:<br />
Das Gros der Schiffsbesatzung.<br />
Thomas Schwandt<br />
&<br />
18 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
PORTRÄT<br />
Optik-Cluster Berlin-brandenburg<br />
Hightech-Produkt Licht<br />
Prof. Günther Tränkle setzt als Sprecher des neuen Wirtschafts- und<br />
Wissenschafts-Clusters »Optik« darauf, die Kompetenzen von 400<br />
Unternehmen auszubauen und überregionale Verbünde zu stärken.<br />
Berlin ist helle, schon von alters her.<br />
»Die Stadt hatte schließlich die erste<br />
elektrische Straßenbeleuchtung<br />
weltweit«, greift Prof. Günther Tränkle<br />
bis ins Jahr 1879 zurück, um den Ruf Berlins<br />
als »Stadt des Lichts« zu untermauern.<br />
Tränkles neuer Job gilt allerdings<br />
dem Licht der Zukunft. Als Sprecher des<br />
neu gebildeten Wirtschafts- und Wissenschafts-Clusters<br />
»Optik« der beiden Länder<br />
Berlin und Brandenburg soll der Physiker<br />
die Vernetzung innerhalb der<br />
Hightech-Branche organisieren.<br />
Die Optik-Region Berlin-Brandenburg<br />
braucht ihr Licht nicht unter den Scheffel<br />
zu stellen. Treiber für wirtschaftliches<br />
Wachstum sind vor allem die Forschungseinrichtungen<br />
in der Hauptstadt.<br />
Prof. Tränkle ist der Gründungsdirektor<br />
des Ferdinand-Braun-Instituts<br />
für Höchstfrequenztechnik im Technologiepark<br />
Adlershof, das sich seit Mitte der<br />
90er Jahre zu einer der führenden Einrichtungen<br />
für Lasertech und Mikrowellentechnik<br />
entwickelt hat. Zugleich steht<br />
er dem Kompetenznetzwerk OpTecBB<br />
Berlin-Brandenburg vor, das sich seit<br />
2000 zum größten Verbund von Firmen<br />
und Laboren der Optik-Technologien und<br />
Mikrosystemtechnik bundesweit gemausert<br />
hat. Jüngst kam als 100. Mitglied die<br />
Berliner Firma First Sensor hinzu.<br />
Insgesamt sind es nach der jüngsten<br />
Erhebung des Netzwerks rund 400 Unternehmen<br />
mit 13.700 Beschäftigten in der<br />
Hauptstadt-Region, die mit Produkten<br />
der optischen Technologien Geschäfte<br />
machen. Dazu zählen die Sparten photonische<br />
Kommunikationstechnik, Lasertechnik,<br />
Lichttechnik, optische Meßtechnik,<br />
Anwendungen in der Biomedizin sowie<br />
Mikrosystemtechnik und Sensorik.<br />
Hinzu kommen weitere 1.700 Mitarbeiter<br />
in der Forschung. Für 2011 erwarten die<br />
Firmen ein Umsatzplus von bis zu 15 Prozent<br />
und einen Beschäftigtenzuwachs<br />
von etwa sieben Prozent. Auch für die<br />
nahe Zukunft gibt es optimistische<br />
Wachstumsaussichten.<br />
Die Politik freut's. »Wichtig für die<br />
weitere Entwicklung zu einem starken,<br />
länderübergreifenden Optik-Cluster wird<br />
sein«, sagte Berlins bisheriger Wirtschaftsenator<br />
Harald Wolf (Die Linke),<br />
»neben den starken Impulsgeber Wissenschaft<br />
eine nachhaltige industrielle Entwicklung<br />
zu stellen«. Im Schulterschluss<br />
mit Brandenburg konzentriert Berlin<br />
daher seine Innovationspolitik auf fünf<br />
technologische Zukunftsfelder, jedes mit<br />
einer ausgefeilten Cluster-Strategie. Nach<br />
Medizin, Verkehr, IuK-Technik und Energie<br />
hat nun die Optik das Quintett vervollständigt.<br />
»Es macht viel Spaß, die Kompetenzen<br />
in dieser Weise voranzutreiben«, bekennt<br />
Prof. Tränkle. Dabei geht es ihm nicht<br />
<strong>nur</strong> um fachliche Vernetzungen zwischen<br />
einzelnen Technologien (»cross innovation«),<br />
sondern auch um überregionale<br />
Bündnisse. Beispielhaft hierfür ist<br />
eine vertiefte Kooperation mit der Optik-<br />
Region Jena. »Wir wollen die Thüringer<br />
gewinnen, sich stärker an unserer Messe<br />
Laser-Optik-Berlin zu beteiligen«, erläutert<br />
Cluster-Sprecher Tränkle. Die nächste<br />
Messe unter dem Berliner Funkturm<br />
SPRECHER: Prof. Günther Tränkle<br />
wird im März stattfinden. Beide Regionen<br />
könnten sich gut ergänzen. Berlin<br />
mit vielen Kleinunternehmen hat einen<br />
Schwerpunkt auf der Halbleiter-Optik,<br />
Jena brilliert mit seinen Großunternehmen<br />
bei Medizin-Anwendungen.<br />
Für die internationale Ausstrahlung,<br />
wie Prof. Tränkle kürzlich bei einem Besuch<br />
in Japan erfahren hat, kann eine<br />
bessere Wahrnehmung der Optik-Region<br />
Mitteldeutschland im Bund mit Berlin-<br />
Brandenburg <strong>nur</strong> von Vorteil sein.<br />
Manfred Ronzheimer<br />
&<br />
OPTIK-CLUSTER<br />
Innovationslieferant<br />
Fotos: FBH/P. Immerz, FBH/M. Schönenberger<br />
SPITZENFORSCHUNG: Institut für Höchstfrequenztechnik in Adlershof.<br />
Optische Technologien in Unternehmen<br />
und Forschungseinrichtungen der<br />
Bundesländer Berlin und Brandenburg<br />
werden jetzt durch ein Cluster-Management<br />
koordiniert. Die Optik gilt auch<br />
als Innovationslieferant für Bereiche<br />
wie Telekommunikation, Messwesen<br />
und Oberflächenbehandlung. Das<br />
Institut von Cluster-Sprecher Prof.<br />
Günther Tränkle, das Ferdinand-Braun-<br />
Institut für Höchstfrequenztechnik, hat<br />
seinen Sitz im Wissenschafts- und<br />
Wirtschaftsstandort Adlershof, dem<br />
größten Technologiepark Berlins mit<br />
20 wissenschaftlichen Einrichtungen<br />
und 800 Hightech-Firmen.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 19
INTERVIEW<br />
Harald Eisenach, Vorstandsvorsitzender des Ostdeutschen Bankenverbandes e.V.,<br />
zu wirtschaftlichen entwicklungen in den neuen Bundesländern, zu industriellen<br />
Stärken und Rückgewinn von Vertrauen der Bürger in Politik und Finanzinstitute<br />
»2012 weiter mit Wachstum«<br />
Fotos: Ostdeutscher Bankenverband, DPA/ZB<br />
W&M: Herr Eisenach, Sie verantworten seit<br />
2004 in Berlin das Firmenkundengeschäft der<br />
Deutschen Bank in der Region Nordost. Im<br />
Sommer 2011 haben Sie das Amt des Vorstandsvorsitzenden<br />
im Ostdeutschen Bankenverband<br />
übernommen. Wie beurteilt der Verband<br />
die aktuelle wirtschaftliche Situation in<br />
Ostdeutschland?<br />
EISENACH: Es mag den einen oder anderen<br />
angesichts der täglichen Meldungen<br />
zur EU-Staatsschuldenkrise und dem damit<br />
einhergehenden Auf und Ab an den<br />
internationalen Börsen vielleicht überraschen,<br />
aber aus Sicht unseres Verbandes<br />
verlief die wirtschaftliche Entwicklung<br />
Ostdeutschlands 2010/11 ausgesprochen<br />
gut und auch perspektivisch sind wir<br />
hier keineswegs pessimistisch.<br />
W&M: Auch Ihr Verband weist aber immer<br />
wieder auf Schwächen der Wirtschaftsstruktur<br />
und andere Problemfaktoren hin. Woraus<br />
leiten Sie dennoch Ihre sehr positive Gesamtbewertung<br />
konkret ab?<br />
EISENACH: Bei einer solchen Gesamtbewertung<br />
darf nicht übersehen werden,<br />
dass in den letzten 15 Jahren die Industrie<br />
in ganz Ostdeutschland die wichtigste<br />
Stütze des Wachstums war. Das gilt für<br />
die stärker industrialisierten mitteldeutschen<br />
Länder, also für Sachsen, Sachsen-<br />
Anhalt und Thüringen, ebenso wie für<br />
Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.<br />
Auch in Berlin hat sich das<br />
Bewusstsein für die Relevanz des verarbeitenden<br />
Gewerbes wieder intensiviert.<br />
In allen ostdeutschen Regionen haben<br />
die Industrieunternehmen in dieser Zeit<br />
deutlich an Statur gewonnen, sind stärker<br />
auf Auslandsmärkten aktiv geworden<br />
und investieren zunehmend in Innovationsprozesse.<br />
W&M: Das lässt sich auch beziffern?<br />
EISENACH: Ja, das hat sich auch in Zahlen<br />
deutlich niedergeschlagen. Von 1996<br />
bis 2007 ist das verarbeitende Gewerbe in<br />
ganz Ostdeutschland in jedem Jahr mindestens<br />
doppelt so stark gewachsen wie<br />
in Westdeutschland. Und nach den Krisenjahren<br />
2008 und 2009 haben wir im<br />
letzten Jahr mit einem Plus von 10,3 Prozent<br />
bereits wieder ein zweistelliges Industriewachstum<br />
erreicht.<br />
W&M: Aber dieser Trend ist doch nicht überall<br />
gleich stark ausgeprägt?<br />
EISENACH: Das langfristige, solide Industriewachstum<br />
ist ein flächendeckender<br />
Trend. Darüber hinaus gibt es selbstverständlich<br />
von Bundesland zu Bundesland<br />
erhebliche Unterschiede – sowohl<br />
beim Anteil der Industrie an der Gesamtwirtschaft<br />
als auch beim Branchenmix.<br />
Der Industrieanteil ist in Thüringen mit<br />
22 Prozent doppelt so hoch wie in Mecklenburg-Vorpommern<br />
oder Berlin. Sachsen-Anhalt<br />
und Sachsen liegen etwas<br />
unter dem Wert von Thüringen, Brandenburg<br />
bei 15 Prozent. Alle Länder haben<br />
aber ihre industriellen Stärken kon-<br />
HARALD EISENACH – der neue Vorstandsvorsitzende<br />
des Ostdeutschen Bankenverbandes<br />
e. V. kommt von der Deutschen<br />
Bank und leitet dort das Firmenkundengeschäft<br />
Nordost.<br />
tinuierlich ausgebaut und verfügen deshalb<br />
über weltweit wettbewerbsfähige<br />
Kompetenzen.<br />
W&M: Zum Beispiel?<br />
EISENACH: Viele sind inzwischen gut auf<br />
den Märkten etabliert, etwa der Automotive-Sektor<br />
in Mitteldeutschland, die Mikroelektronik<br />
in Dresden, die Chemie in<br />
Halle-Merseburg-Bitterfeld oder die<br />
Schienenverkehrstechnik in Berlin-Brandenburg.<br />
Auch in der maritimen Industrie<br />
Mecklenburg-Vorpommerns gibt es<br />
Unternehmen, die ungeachtet der aktu-<br />
ellen Probleme der heimischen Werften<br />
mit ihren qualitativ hochwertigen Spezialprodukten<br />
auf dem Weltmarkt sehr<br />
erfolgreich sind.<br />
W&M: Sie haben jetzt viel über die Industrie<br />
gesprochen. Gerade im Nordosten ist die Wirtschaft<br />
aber doch stark durch andere Branchen<br />
geprägt.<br />
EISENACH: Eindeutig. Wie haben z. B. in<br />
ganz Ostdeutschland eine enge Verbindung<br />
von Agrarwirtschaft und Ernährungsindustrie,<br />
die naturgemäß in den<br />
stärker landwirtschaftlich geprägten<br />
Ländern Mecklenburg-Vorpommern und<br />
Brandenburg sowie im nördlichen Sachsen-Anhalt<br />
besonders ausgeprägt ist. Die<br />
Bedeutung des Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern<br />
ist ja hinlänglich<br />
bekannt. Die zunehmende Verzahnung<br />
des Tourismus mit dem Thema Gesundheitswirtschaft<br />
bietet hier weitere Entwicklungspotenziale<br />
– selbstverständlich<br />
auch für andere Bundesländer.<br />
W&M: Und wie sieht es im Dienstleistungssektor<br />
aus?<br />
EISENACH: Wenn wir über diesen Sektor<br />
sprechen, dürfen wir auch die Unternehmensdienstleister<br />
nicht vergessen, die<br />
sich in den ostdeutschen Flächenländern<br />
vor allem durch die Nachfrage aus der<br />
Industrie und in Berlin aufgrund der<br />
Metropolenfunktion einer Bundeshauptstadt<br />
gut entwickelt haben.<br />
W&M: Wie hat sich diese Entwicklung im<br />
Kreditgeschäft Ihrer Mitgliedsbanken niedergeschlagen?<br />
EISENACH: Für unser Kreditgeschäft ergab<br />
sich daraus, wie schon in den letzten<br />
Jahren, keine gleichförmige Entwicklung<br />
in den einzelnen Geschäftssegmenten.<br />
So verzeichneten wir bei den Krediten<br />
an Unternehmen in Ostdeutschland<br />
von Mitte 2010 bis Mitte 2011 ein deutliches<br />
Plus unserer Kreditbestände, und<br />
zwar um rund zwei Milliarden Euro auf<br />
jetzt 26,4 Milliarden Euro Gesamtbestand.<br />
Damit stehen in diesem Geschäftssegment<br />
52 Prozent aller Kredite an Unternehmen<br />
in Ostdeutschland in unseren<br />
Büchern. Wir sind hier die klare<br />
Nummer eins im Markt.<br />
W&M: Liegen sie auch bei den Krediten an<br />
Selbständige vorn?<br />
EISENACH: Bei den Krediten an Selbstän-<br />
20 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
INTERVIEW<br />
dige, also an Einzelhändler, Handwerker,<br />
Freiberufler usw., sind wir mit einem<br />
Marktanteil von 36 Prozent und einem<br />
Kreditbestand von 7,8 Milliarden Euro<br />
ebenfalls stark im Markt vertreten. Die<br />
Kreditbestände in diesem Marktsegment<br />
haben in den vergangenen Jahren aber in<br />
allen Bankengruppen <strong>nur</strong> geringfügig<br />
zugelegt. Hier besteht die seit Jahren festzustellende<br />
Investitionszurückhaltung<br />
der Kunden also weiter fort.<br />
W&M: Seit dem Sommer hat die Angst vor<br />
einer neuen Krise wieder deutlich zugenommen.<br />
Wie beurteilen Sie die Konjunkturperspektiven<br />
für die ostdeutsche Wirtschaft?<br />
EISENACH: Die Geschäftslage unserer<br />
mittelständischen Unternehmenskunden<br />
ist nach wie vor gut und für das Gesamtjahr<br />
2011 ist mit einem klaren Plus<br />
beim Bruttoinlandsprodukt zu rechnen.<br />
In der Tat haben sich die Erwartungen<br />
für 2012 seit einigen Monaten deutlich<br />
eingetrübt. Dazu hat vor allem die<br />
europäische Schuldenkrise beigetragen,<br />
zudem sind hier aber auch die schwache<br />
Wirtschaftsentwicklung in den USA wie<br />
die gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise<br />
relevant. Dennoch rechnen wir für<br />
das Jahr 2012 weiter mit Wachstum,<br />
wenn auch weniger ausgeprägt als noch<br />
im Frühjahr erwartet.<br />
W&M: Stichwort Vertrauen der Bürger gegenüber<br />
Politik und Banken – haben Sie da<br />
als Vertreter der privaten Banken nicht ein<br />
mindestens genauso großes Problem wie die<br />
Politik?<br />
EISENACH: Zweifelsohne ist die Stimmung,<br />
wenn das Wort »Banken« fällt, aktuell<br />
zumeist sehr kritisch. Da glaubte<br />
man die globale Finanz- und Wirtschaftskrise<br />
überwunden, an deren Anfang in<br />
der Tat mit der Subprimekrise auch Managementversagen<br />
von Bankern rund<br />
um den Globus stand. Und jetzt wird erneut<br />
über milliardenschwere Maßnahmen<br />
zur Stützung von Banken in Europa<br />
diskutiert. Allerdings ist die Ursache<br />
diesmal eine andere: Nicht Verluste aus<br />
spekulativen Finanzinstrumenten mit<br />
kaum zu durchschauenden Risikostrukturen,<br />
sondern der mögliche Ausfall als<br />
sicher geglaubter Staatsanleihen von EU-<br />
Mitgliedsländern.<br />
W&M: Worauf kommt es jetzt an?<br />
EISENACH: Der Vertrauensverlust in der<br />
Bevölkerung ist insgesamt groß und<br />
wird von uns sehr ernst genommen. Jetzt<br />
kommt es darauf an, dass alle, die in Politik<br />
und Finanzwelt Verantwortung tragen,<br />
gemeinsam konstruktiv an der raschen<br />
Bewältigung der Krise arbeiten,<br />
damit das unverzichtbare Vertrauen wiedergewonnen<br />
wird.<br />
Weitere Infos: www.ostbv.de<br />
&<br />
OSTSEE-GASPIPELINE<br />
Landgang in Lubmin<br />
Russisches Erdgas strömt seit Anfang November durch die neue<br />
Pipeline Nord Stream in der Ostsee direkt nach Deutschland.<br />
Der kleine Ostsee-Badeort Lubmin bei<br />
Greifswald hat seit Anfang November<br />
dieses Jahres direkten Anschluss an die<br />
sibirischen Weiten Russlands. Mit einem<br />
symbolischen Dreh an einem übergroßen<br />
Ventilrad nahmen Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel, der russische Präsident<br />
Dmitri Medwedew und weitere<br />
hochrangige Vertreter aus nationaler<br />
und internationaler Politik und Wirtschaft<br />
am 8. November die neue Ostsee-<br />
Gaspipeline Nord Stream in Betrieb.<br />
Seitdem strömt russisches Erdgas durch<br />
den ersten fertiggestellten 1.224 Kilometer<br />
langen Rohrstrang, der Lubmin<br />
mit Vyborg an der russischen Ostseeküste<br />
verbindet. Ein ebenso langer Parallelstrang<br />
ist noch im Bau und soll Ende<br />
2012 für den Transport von Erdgas quer<br />
durch die Ostsee freigegeben werden.<br />
Damit gelangt der in Westeuropa stark<br />
nachgefragte Energierohstoff ohne Umwege<br />
durch dritte Transitländer direkt<br />
von den Förderfeldern im arktischen<br />
Norden Russlands bis nach Deutschland.<br />
Nord Stream ergänzt die seit Jahrzehnten<br />
existierenden zwei Trassen, die auf<br />
osteuropäischem Festland verlaufen.<br />
Bei voller Auslastung der beiden Rohrstränge<br />
der Ostsee-Pipeline werden künftig<br />
jährlich 55 Milliarden Kubikmeter<br />
Erdgas in Lubmin angelandet. Von der<br />
Anlandestation (Foto) wird das Gas weitergeleitet<br />
durch die ebenfalls neu<br />
errichteten landseitigen Pipelines Opal<br />
und NEL (noch im Bau). Die Opal-Leitung<br />
führt über 470 Kilometer in Richtung<br />
Tschechische Republik und stellt die Verbindung<br />
zum Europäischen Gasnetz her.<br />
Die 440 Kilometer lange NEL verlängert<br />
den Transportweg des russischen Erdgases<br />
von Lubmin nach Westeuropa.<br />
Die Ostsee-Pipeline wird von dem Konsortium<br />
Nord Stream finanziert und<br />
gebaut. Der russische Energieriese Gazprom<br />
hält 51 Prozent der Anteile, desweiteren<br />
sind unter anderem das BASF-<br />
Tochterunternehmen Wintershall und<br />
die E.ON Ruhrgas AG, mit je 15,5 Prozent<br />
beteiligt. In die von Merkel als »das<br />
größte Energieinfrastrukturprojekt<br />
unserer Zeit« bezeichnete Pipeline<br />
werden 7,4 Milliarden Euro investiert.<br />
Es gilt als langfristige Lösung für die<br />
Versorgungssicherheit Europas.<br />
Der Ministerpräsident von Mecklenburg-<br />
Vorpommern, Erwin Sellering (SPD), betonte<br />
beim Start von Nord Stream, welche<br />
Aufwertung der Energiestandort<br />
Lubmin – hier lieferte bis zur Wende ein<br />
Kernkraftwerk russischer Bauart Strom<br />
für die DDR – mit der Erdgas-Anlandung<br />
erfährt. Dies sei »für die wirtschaftliche<br />
Entwicklung des Landes ein wichtiger<br />
Schritt«, so Sellering.<br />
Thomas Schwandt<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 21
SPECIAL<br />
und Gebäude, Baumaßnahmen, Maschinen,<br />
Anlagen oder in immaterielle Wirtschaftsgüter<br />
finanzieren. Als förderfähig<br />
gilt auch der Erwerb einer tätigen Beteiligung,<br />
beispielsweise im Rahmen einer<br />
Unternehmensnachfolge.<br />
Die Mindestdarlehenssumme beträgt<br />
beim Förderprogramm »Sachsen-Anhalt<br />
IMPULS« 25.000 Euro. Maximal können<br />
aus dem Programm Förderdarlehen bis<br />
zu einer Höhe von 1,5 Millionen Euro<br />
ausgereicht werden. Bei einer Laufzeit<br />
von maximal 15 Jahren sind die ersten<br />
beiden Jahre tilgungsfrei.<br />
Foto: Torsten George<br />
Investitionsbank Sachsen-Anhalt<br />
Förderer und Partner<br />
des Mittelstands<br />
Die Investitionsbank Sachsen-Anhalt ist die zentrale Förderbank<br />
des Landes. Mit einer breiten Palette an Förderprodukten von<br />
Zuschüssen, Bürgschaften und Darlehen unterstützt sie vor allem<br />
die mittelständische Wirtschaft und Existenzgründer aber<br />
auch private und öffentliche Kunden.<br />
Schon frühzeitig hat das Land Sachsen-Anhalt<br />
sich entschieden, seine<br />
Förderpraxis schrittweise von Zuschussprogrammen<br />
hin zu revolvierenden<br />
Fonds wie den KMU-Darlehensfonds<br />
weiterzuentwickeln. Diese Finanzierungsform<br />
ermöglicht es dem Land, aus<br />
Rückflüssen von Darlehen neues Fondsvermögen<br />
aufzubauen. Auf diese Weise<br />
soll über das Jahr 2013 hinaus eine langfristige<br />
Förderpolitik ermöglicht werden.<br />
Denn das Jahr 2013 gilt als Wegscheide.<br />
Dann endet die aktuelle Strukturfonds-<br />
Förderperiode der Europäischen Union.<br />
Sicher ist, dass in der dann folgenden<br />
Förderperiode deutlich weniger Mittel<br />
aus EU-Töpfen bereitstehen werden.<br />
Der KMU-Darlehensfonds des Landes<br />
Sachsen-Anhalt wird aus Mitteln des Europäischen<br />
Fonds für regionale Entwicklung<br />
(EFRE) gespeist und über die Investitonsbank<br />
(IB) Sachsen-Anhalt kofinanziert.<br />
Der KMU-Darlehensfonds hat sich<br />
als Förderinstrument für den Mittelstand<br />
zwischen Altmark und Burgenlandkreis<br />
bewährt. Vom Jahr 2008 bis<br />
einschließlich 30. September 2011 wurden<br />
aus dem KMU-Darlehensfonds 775<br />
Kreditzusagen an die mittelständische<br />
Wirtschaft erteilt. Insgesamt betrug das<br />
Darlehensvolumen 242,6 Millionen Euro.<br />
Besonders im Krisenjahr 2009 erwiesen<br />
sich die Finanzierungsprodukte der<br />
Investitionsbank Sachsen-Anhalt als ein<br />
Stabilitätsanker. Damit wurden Gesamtinvestitionen<br />
in Höhe von 796,4 Millionen<br />
Euro ausgelöst.<br />
Kleine und mittlere Unternehmen<br />
(KMU), Existenzgründer sowie Freiberufler<br />
können folgende Finanzierungsbausteine<br />
des KMU-Darlehensfonds beantragen:<br />
SACHSEN-ANHALT IMPULS<br />
Mit einem Kredit aus dem Förderprogramm<br />
»Sachsen-Anhalt IMPULS« können<br />
KMU, Existenzgründer und Freiberufler<br />
etwa Investitionen in Grundstücke<br />
SACHSEN-ANHALT MUT<br />
Das Programm »Sachsen-Anhalt MUT«<br />
soll der mittelständischen Wirtschaft die<br />
Vorfinanzierung von Aufträgen sichern.<br />
Gerade kleinere Betriebe sind oft nicht<br />
in der Lage, bei Großaufträgen entsprechend<br />
in Vorleistung zu gehen. »Sachsen-<br />
Anhalt MUT« ermöglicht KMU, Freiberuflern<br />
und Existenzgründern mit einem<br />
zinsverbilligten Darlehen, typische<br />
Ausgaben zur Vorfinanzierung von Aufträgen<br />
wie Personalkosten oder die Materialbeschaffung<br />
zu tätigen.<br />
Für diese Finanzierungsanlässe steht<br />
den Unternehmen maximal ein Darlehensvolumen<br />
von 500.000 Euro bei einer<br />
Laufzeit des Kredits von bis zu zehn Jahren<br />
bereit. Die Mindestdarlehenssumme<br />
beträgt 25.000 Euro.<br />
SACHSEN-ANHALT WACHSTUM<br />
Das Programm »Sachsen-Anhalt WACHS-<br />
TUM« ist ein Ansatz, die geringe Eigenkapitalquote<br />
vor allem kleinerer Mittelständler<br />
aufzubessern und damit ihre<br />
Chancen auf dem Fremdkapitalmarkt zu<br />
verbesssern. Rund ein Drittel der Betriebe<br />
im Land gelten mit einer Quote von<br />
weniger als zehn Prozent Eigenkapital<br />
immer noch als unterkapitalisiert. Zur<br />
Stärkung der Eigenkapitalbasis vergibt<br />
IB<br />
SACHSEN-ANHALT<br />
Kontakt für Beratung<br />
Kostenfreie Hotline: 0800 56 007 57<br />
Mo.-Do.: 8.00–18.00 Uhr<br />
Freitag: 8.00–15.00 Uhr<br />
Förderberatungszentrum Magdeburg<br />
Domplatz 12<br />
Montag, Dienstag, Donnerstag:<br />
8.00–18.00 Uhr<br />
Mittwoch, Freitag: 8.00–15.00 Uhr<br />
Regionalbüro Halle, Marktplatz 1<br />
Montag: 9.30–17.00 Uhr<br />
E-Mail: info@ib-lsa.de<br />
Internet: www.ib-sachsen-anhalt.de<br />
22 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
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Nutzen Sie unser Förderangebot für etablierte Unternehmen und Freiberufler. Die KfW unterstützt<br />
die Forschung und Entwicklung innovativer Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen<br />
sowie deren Markteinführung mit günstigen Finanzierungspaketen. Mehr Informationen<br />
erhalten Sie bei Ihrer Hausbank, unter www.kfw.de oder direkt über das Infocenter der KfW.<br />
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Die Zukunftsförderer
SPECIAL<br />
die Investitionsbank Sachsen-Anhalt deshalb<br />
Mezzanine-Darlehen. Bei ihnen<br />
steht die Investitionsbank als Darlehensgeber<br />
im Haftungsfall hinter anderen<br />
Gläubigern im Rang zurück. Deshalb<br />
kommt solchen Mezzanine-Darlehen in<br />
der Bilanz der Unternehmen ein eigenkapitalähnlicher<br />
Status zu.<br />
Mit einem Mezzanine-Darlehen erhält<br />
das Unternehmen eine Mischform aus Eigenkapital-<br />
und Fremdkapital, ohne dass<br />
der Darlehensgeber – die Investitionsbank<br />
– Mitspracherechte im Unternehmen<br />
erhält. In diesem Programm stehen<br />
ebenfalls zwischen 25.000 und 1,5 Millionen<br />
Euro als Darlehenssumme zur Verfügung.<br />
Bei einer Laufzeit von bis zu 15 Jahren<br />
und mit fünf tilgungsfreien Anlaufjahren<br />
ist zudem eine langfristige Planungssicherheit<br />
gegeben.<br />
SACHSEN-ANHALT IDEE<br />
Weil der Mittelstand in Sachsen-Anhalt<br />
eher kleinteilig strukturiert ist, fehlen<br />
vielen Unternehmen die Mittel, um die<br />
finanziellen Risiken von Innovationsprozessen<br />
tragen zu können. Deshalb fördert<br />
die Investitionsbank gezielt das<br />
Innovationspotenzial kleinerer Unternehmen.<br />
Eine Aufgabe, die wie die Vernetzung<br />
von Wissenschaft und Wirtschaft<br />
künftig noch stärker im Fokus der<br />
Wirtschaftspolitik stehen wird.<br />
»Sachsen-Anhalt IDEE« richtet sich an<br />
bestehende Unternehmen und Freiberufler<br />
der gewerblichen Wirtschaft, die<br />
in der Forschung tätig sind. Als Nachrangdarlehen<br />
zeichnet sich das zinsgünstige<br />
IB-Innovationsdarlehen durch seinen<br />
eigenkapitalähnlichen Charakter<br />
aus. Finanzieren lassen sich damit Ausgaben<br />
für die Markteinführung eines<br />
Produkts, eines Verfahrens oder einer<br />
Dienstleistung. Zu den förderfähigen<br />
Ausgaben zählen zum Beispiel Investitionen,<br />
die sich aus dem Forschungs- und<br />
Entwicklungsprozess ergeben sowie Ausgaben<br />
für die Markterschließung.<br />
Vorteilhaft für die Unternehmen: Die<br />
Finanzierungsbausteine sind bedarfsorientiert<br />
konzipiert und können auch<br />
in Kombination in Anspruch genommen<br />
werden.<br />
Matthias Salm<br />
Ein gewaltiger Modernisierungsschub:<br />
474,9 Millionen Euro flossen zwischen<br />
2009 und dem Jahresende 2011 im Rahmen<br />
des Konjunkturprogramms II in Investitionen<br />
in die Infrastruktur Sachsen-<br />
Anhalts. Das Gros der Mittel, von denen<br />
auf den Bund 356,1 Millionen Euro, auf<br />
das Land 77,9 Millionen und auf die Kommunen<br />
40,8 Millionen Euro entfielen, kam<br />
dabei den Bildungseinrichtungen im Land<br />
zugute. So konnten die Lern-, Unterrichtsund<br />
Betreuungsbedingungen vielerorts<br />
nachhaltig verbessert werden.<br />
Beispiel Bildungshaus Carl Ritter: Mitte<br />
Mai konnten nach fast zweijähriger Sanierungszeit<br />
die Kreisvolkshochschule, die<br />
Kreismusikschule und die Kreisbibliothek<br />
des Harz-Landkreises in Quedlinburg ihr<br />
neues Domizil beziehen. Nach Jahren provisorischer<br />
Unterbringung haben die drei Bildungseinrichtungen<br />
in dem imposanten<br />
neugotischen Gebäude, 1862 als »Königliches<br />
Gymnasium« eingeweiht, wieder eine<br />
angemessene Heimat gefunden. Dazu waren<br />
die Treppenhäuser in dem historischen<br />
Gebäude komplett umgebaut und die beiden<br />
oberen Etagen grundlegend saniert<br />
worden. Neue Fenster und Innentüren,<br />
Elektroinstallationen, Heizflächen und Sanitäreinrichtungen<br />
komplettierten die<br />
Modernisierungsmaßnahmen. Was zuvor<br />
lange Zeit an der schwierigen Finanzlage<br />
des Landkreises Harz gescheitert war, ermöglichten<br />
die Mittel des Konjunkturpakets<br />
II und des Förderprogramms STARK I.<br />
Die Modernisierung des Bildungshauses<br />
Carl Ritter ist <strong>nur</strong> eine der Erfolgsgeschichten<br />
des Konjunkturpakets. Die Investitionsbank<br />
Sachsen-Anhalt hatte dabei für nahezu<br />
die Hälfte der insgesamt im Land vorge-<br />
BILANZ<br />
Investitionen in die Infrastruktur<br />
Das im Zusammenhang mit der Finanzkrise aufgelegte Konjunkturpaket II wurde in Sachsen-Anhalt erfolgreich umgesetzt.<br />
MASSNAHMEN<br />
Bewilligte Projekte der IB Sachsen-Anhalt<br />
im Rahmen des Konjunkturpakets II<br />
Schulinfrastrukturpauschale<br />
470 Bescheide<br />
Volumen: 89,7 Millionen Euro<br />
Pauschale kommunale Einrichtungen<br />
der Weiterbildung<br />
20 Bescheide<br />
Volumen:<br />
6,5 Millionen Euro<br />
Kommunale Investitionspauschale<br />
1.228 Bestätigungen<br />
Volumen: 43,7 Millionen Euro<br />
Frühkindliche Infrastruktur (Kita)<br />
60 Bescheide<br />
Volumen: 29,3 Millionen Euro<br />
IT-Pauschale<br />
43 Bestätigungen<br />
Volumen:<br />
7,0 Millionen Euro<br />
sehenen rund 475 Millionen Euro (inklusive<br />
des Finanzierungsanteils von Land und<br />
Kommunen von je 12,5 Prozent) den Auftrag<br />
erhalten, Antragsverfahren,<br />
Anmeldungen, Bescheid-Erteilung und Mittelabfluss<br />
zeitnah zu organisieren und<br />
abzuwickeln. Die Mittel sind mittlerweile<br />
wie vorgesehen abgeflossen, die Sanierungsprojekte<br />
sollen bis Ende des Jahres<br />
abgeschlossen sein. Profitiert haben davon<br />
nicht <strong>nur</strong> zahlreiche Einrichtungen, sondern<br />
vor allem auch viele Handwerksbetriebe in<br />
den Regionen des Landes – quer über alle<br />
Gewerke vom Heizungs- und Sanitärwesen<br />
über Dachdecker, Zimmerer und Fensterbauer<br />
bis hin zu Maurern und Malern. Die<br />
Möglichkeit der freihändigen Vergabe von<br />
Auftragsvolumina bis 100.000 Euro bewirkte<br />
zusätzlich eine Konzentration der Auftragsvergabe<br />
an lokale Firmen. Dank dieser<br />
konjunkturellen Impulse konnten die Folgen<br />
der Finanzkrise für die KMU im Land abgefedert<br />
werden.<br />
Auch die Kommunen und sonstigen Träger<br />
der Bildungseinrichtungen werden langfristig<br />
wirtschaftlich profitieren. Die Fokussierung<br />
auf energetische Sanierungsmaßnahmen<br />
führt zu deutlichen Einspareffekten<br />
beim Energieverbrauch. Vielerorts<br />
wurde historische Bausubstanz durch Maßnahmen<br />
zur Wärmedämmung, den Einbau<br />
neuer Heizungsanlagen sowie durch den<br />
Einsatz von erneuerbaren Energien den<br />
heutigen Anforderungen an den Klima- und<br />
Umweltschutz angepasst.<br />
Um insbesondere finanzschwachen Kommunen,<br />
Landkreisen und kreisfreien<br />
Städten die Inanspruchnahme der Mittel<br />
aus dem Konjunkturprogramm II zu ermöglichen,<br />
startete die Investitionsbank<br />
Sachsen-Anhalt parallel zum Start von<br />
K-II das Darlehensprogramm STARK I.<br />
STARK I diente zur Finanzierung des kommunalen<br />
Eigenanteils von 12,5 Prozent,<br />
der zur Nutzung der K-II-Fördermittel von<br />
den Kommunen und Landkreisen aufzubringen<br />
war. Mit STARK I haben das Land und<br />
die Investitionsbank Sachsen-Anhalt eine<br />
innovative und effiziente Lösung für das<br />
Problem der Kofinanzierung gefunden.<br />
Mit Stand 30. September 2011 wurden<br />
350 Darlehensanträge von Kommunen<br />
über ein Fördervolumen von 25,5 Millionen<br />
Euro im Rahmen von STARK I bewilligt.<br />
Sachsen-Anhalt hat nun als bisher einziges<br />
Land eine Evaluierung in Auftrag gegeben,<br />
die den Nutzen des Konjunktur-pakets II<br />
im Detail belegen soll. Die Untersuchungsergebnisse<br />
werden zurzeit ausgewertet.<br />
24 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
30.-31. März<br />
POTSDAM<br />
Filmpark Babelsberg, Großbeerenstraße<br />
Veranstalter:<br />
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Ostdeutsche Förderbanken<br />
Frisches Geld für Ideen<br />
Die Förderung öffentlicher und privater Investitionsvorhaben<br />
in den Bereichen Wirtschaft, Infrastruktur und Wohnungsbau ist<br />
das Kerngeschäft der ostdeutschen Förderbanken. Für kleine und<br />
mittlere Betriebe eine Chance, über Zuschüsse, zinsgünstige Kredite<br />
und Beteiligungen an Kapital für Investitionen zu gelangen.<br />
V<br />
on den Angeboten der Förderbanken<br />
profitieren beispielsweise<br />
kleine Unternehmen mit hohem<br />
Innovationspotenzial, denn Innovationsförderprogramme<br />
sind ein wichtiger<br />
Bestandteil in deren Produktpalette.<br />
Die Investitionsbank Berlin (IBB) beispielsweise<br />
hat im August dieses Jahres<br />
das neue Förderprogramm »Berlin Kredit<br />
Innovativ« gestartet. Das Förderdarlehen<br />
richtet sich speziell an kleine und mittlere<br />
Unternehmen (KMU), die in den Berliner<br />
Clustern und Zukunftsfeldern aktiv<br />
sind. Im Einzelnen sind dies die Bereiche<br />
– Gesundheitswirtschaft<br />
– Energietechnik<br />
– Informations- und Kommunikationstechnologie/Medien<br />
– Verkehr, Mobilität, Logistik<br />
– Optik.<br />
Es können Darlehen für Investitionen<br />
und Betriebsmittel bis 500.000 Euro im<br />
Hausbankenverfahren vergeben werden.<br />
Eine Haftungsfreistellung der Hausbank<br />
in Höhe von 60 Prozent durch die IBB ist<br />
ein zusätzlicher Anreiz für die Hausbank,<br />
den Kredit zu vergeben.<br />
Für technologieorientierte Unternehmen<br />
in der Hauptstadt ist dies aber nicht<br />
die einzige Fördermöglichkeit. Zu einer<br />
stärkeren Verzahnung von Wissenschaft<br />
und Wirtschaft dient das Programm »Pro<br />
FIT«. Hier werden Einzel- und Verbundvorhaben<br />
von gewerblichen Unternehmen<br />
und Kooperationen von Forschungseinrichtungen<br />
mit Unternehmen unterstützt.<br />
So gibt es beispielsweise im<br />
Rahmen von »Pro FIT« Darlehen für Entwicklungs-<br />
und Markteinführungsprojekte<br />
von KMU in Höhe von bis zu drei<br />
Millionen Euro bei einem Finanzierungsanteil<br />
von bis zu 80 Prozent der jeweiligen<br />
Projektausgaben.<br />
Die Investitionsbank Brandenburg<br />
(ILB) stärkt die Innovationsfähigkeit kleiner<br />
und mittlerer Unternehmen und die<br />
Einführung neuer Technologien im Rahmen<br />
ihres »Innovationsfonds«. Dafür<br />
stellt sie zinsgünstige Darlehen für bis zu<br />
40 Prozent der förderfähigen Kosten zur<br />
Verfügung. Maximal können die Darlehen<br />
255.000 Euro bei einer Laufzeit von<br />
zehn Jahren und zwei tilgungs- und zinsfreien<br />
Anlaufjahren betragen. In Einzelfällen<br />
werden auch Beteiligungen eingegangen.<br />
Finanzieren lassen sich so Materialkosten,<br />
Fremdleistungen, Personalund<br />
Reisekosten sowie Investitionskosten<br />
für Maschinen bei der Entwicklung neuer<br />
technischer Produkte, Verfahren und<br />
produktionsnaher Dienstleistungen.<br />
Die Sächsische Aufbaubank hat im<br />
September 2011 ein Programm zu Förderung<br />
innovativer Ansätze in der Gesundheitswirtschaft<br />
aufgelegt. Finanziert<br />
werden unter anderem die telematische<br />
Vernetzung und die Einführung technischer<br />
Assistenzsysteme in Krankenhäusern<br />
und Altenpflege sowie Maßnahmen<br />
zur Energieeffizienz in der Gesundheitswirtschaft.<br />
Mit einem weiteren Förderprogramm<br />
für innovative Firmen, der »Innovationsprämie«,<br />
führt die Förderbank des Freistaats<br />
kleine und mittlere Unternehmen<br />
an eine Kooperation mit Forschungseinrichtungen<br />
heran. Zum Förderumfang<br />
zählt die Inanspruchnahme externer<br />
FuE-Dienstleistungen für die Planung<br />
und Entwicklung neuer Produkte, Verfahren<br />
oder Dienstleistungen, etwa in<br />
Form von Machbarkeits- und Werkstoffstudien<br />
oder Leistungen zur technischen<br />
Unterstützung wie Konstruktionsleistungen,<br />
Produkttests zur Qualitätssicherung<br />
oder Laborleistungen.<br />
INFOS IM INTERNET:<br />
Investitionsbank des Landes<br />
Brandenburg (ILB):<br />
www.ilb.de<br />
Investitionsbank Berlin (IBB):<br />
www.ibb.de<br />
Landesförderinstitut M-V:<br />
www.lfi-mv.de<br />
Investitionsbank Sachsen-Anhalt:<br />
www.ib-sachsen-anhalt.de<br />
Sächsische Aufbaubank:<br />
www.sab.sachsen.de<br />
Thüringer Aufbaubank:<br />
www.aufbaubank.de<br />
26 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
10 JAHRE FÖRDERPROGRAMM „INNOVATIVE REGIONALE WACHSTUMSKERNE“<br />
Durch Wachstum zum Erfolg<br />
Seit 2001 entstehen überall in den Neuen Ländern „Innovative regionale<br />
Wachstumskerne“. Die regionalen unternehmerischen Bündnisse gehen<br />
neue Wege und haben erstaunliche Erfolge. Das hat auch mit Kaffeerösten<br />
und Heimtextilien aus „Plauener Spitze“ zu tun.<br />
Zum zehnten Geburtstag ist der Blick zurück erlaubt, ausnahmsweise. Es ist eine ungewöhnliche<br />
Perspektive auf ein Förderprogramm, das für die Zukunft der ostdeutschen<br />
Regionen steht wie kein zweites. Innovative regionale Wachstumskerne sind<br />
Zukunfts modelle, weil sie auf Kooperation, unternehmerisches Denken und spezifische<br />
regionale Stärken setzen.<br />
DEUTSCHE SPITZE<br />
Schon über 150 Jahre lang werden im Vogtland Heimtextilien maschinell bestickt, die<br />
Marke „Plauener Spitze“ ist weltbekannt. Seit 2007 nutzen Unternehmen, Forschungsund<br />
Bildungseinrichtungen der Region ihre technologische Kompetenz gemeinsam.<br />
Im Wachstumskern „highSTICK“ entwickeln sie Stickereitechnologie für Zukunftsmärkte<br />
– von der gestickten Fußboden heizung über Sticksensoren für medizinische<br />
Bandagen bis hin zu Verstärkungsstrukturen für Hohlgussbauteile.<br />
INTERNATIONALER WIRBEL<br />
Der Magdeburger Wachstumskern „WIGRATEC“ konzentriert sich indes auf das Wirbelschicht-Verfahren.<br />
Die bereits 1975 in Magdeburg für Kaffeeröstereien entwickelte<br />
Technologie verwandelt flüssige Ausgangsstoffe in feste Granulate. Mit vielfäl tigen<br />
Einsatzmöglichkeiten in der Landwirtschaft, Ernährungswirtschaft oder Pharmazie<br />
sorgt WIGRATEC heute inter national für Wirbel.<br />
BEWERBEN SIE SICH JETZT!<br />
Das Förderprogramm „Innovative<br />
regionale Wachstumkerne“ ist<br />
themenoffen, eine Bewerbung<br />
jederzeit möglich.<br />
Informieren Sie sich unter<br />
www.unternehmen-region.de<br />
oder nehmen Sie Kontakt auf mit:<br />
Projektträger Jülich – PTJ<br />
„Fördermanagement<br />
Unternehmen Region“<br />
Zimmerstr. 26–27, 10969 Berlin<br />
Tel. (0 30) 2 01 99-4 82<br />
E-Mail: wachstumskerne@<br />
unternehmen-region.de<br />
ZWEI AUS 41<br />
WIGRATEC und highSTICK sind <strong>nur</strong> zwei Beispiele<br />
für erfolg reiche Wachstumskerne, zwei<br />
von bisher 41 Allianzen regionaler Unternehmer<br />
und Wissenschaftler aus den verschiedensten<br />
Fachgebieten. Sie alle gehen neue Wege,<br />
haben für ihr Bündnis eine Vision, eine Strategie,<br />
Kunden und Wettbewerber von Anfang an im<br />
Blick, bringen ihre Region voran. Und sie alle<br />
haben sich für ein außergewöhnliches Förderprogramm<br />
entschieden.<br />
EIN FÜNFTEL MEHR UMSATZ UND ARBEITSPLÄTZE<br />
Das Programm Innovative regionale Wachstumskerne<br />
aus der Familie „Unternehmen Region“ stellt hohe Ansprüche<br />
an die Bewerber – und an sich selbst. Deshalb beinhaltet die Förderung unterschiedlichste<br />
Beratungsangebote und Workshops zu Themen wie Management,<br />
Organisation oder Finanzierung. Die Auszeichnung als Wachstums kern ist aber auch<br />
lukrativ: Zwischen dem Programm start 2001 und dem Jahr 2014 investiert das BMBF<br />
Fördergelder in Höhe von 243 Millionen Euro in 843 Projekte. Die Zwischen bilanz spricht<br />
für sich: rund ein Fünftel mehr Umsatz und Arbeitsplätze sowie über 200 Patente.<br />
DAS WACHSTUMSKERNE-PROGRAMM<br />
IST NICHT DAS RICHTIGE FÜR SIE?<br />
Mehr Informationen über die<br />
Programm familie Unter neh men<br />
Region, darunter auch das Programm<br />
„Wachstums kerne Poten zial“, finden<br />
Sie ebenfalls unter<br />
www.unternehmen-region.de<br />
Nun muss der Blick aber wieder nach vorne gehen, hin zu neuen Bewerbern mit neuen<br />
Ideen. In den ostdeutschen Regionen schlummert zu viel ungenutztes Potenzial. Wecken<br />
wir es! Denn Zukunft heißt: Erfolg durch Wachstum.
SPECIAL<br />
Foto: Hans Pfeifer<br />
Kein Zins, nirgends! Zumindest<br />
kein sicherer Zins, denn die Staatspapiere<br />
der Schuldner- und Pleitestaaten<br />
bieten »Traumrenditen«, die jedoch<br />
hart an der Grenze zum Albtraum<br />
liegen. Deshalb will kein Versicherer und<br />
kein Investmentfonds den Ramsch kaufen.<br />
Und das ist das Dilemma: Die Finanz-<br />
und Versicherungsindustrie ist<br />
kaum mehr in der Lage, den Anlegern<br />
zinsträchtige Anlagen mit kalkulierbarem<br />
Risiko zu verkaufen. Für jegliche Art<br />
von Altersvorsorge ist das Gift. Die Renditen<br />
der Sparverträge sinken unaufhörlich.<br />
Wurden noch vor wenigen Jahren<br />
bei lang laufenden Lebensversicherungen<br />
Sparrenditen von sechs oder gar sieben<br />
Prozent erreicht, müssen Anleger<br />
jetzt schon froh sein, wenn ihr Versicherer<br />
eine vier vor dem Komma schafft.<br />
Weil die durchschnittliche Umlaufrendite<br />
von zehnjährigen Bundeswertpapieren<br />
immer weiter sinkt, hat das Finanzministerium<br />
verfügt, dass die Lebensversicherer<br />
für Neuverträge ab dem<br />
1. Januar 2012 den Mindestrechnungszins<br />
von bisher 2,25 auf 1,75 Prozent senken<br />
müssen. Einige Unternehmen und<br />
Vermittler nehmen dies zum Anlass, in<br />
die Schlussverkaufstrompete zu blasen.<br />
Wer vor dem 31. Dezember 2011 noch<br />
eine Lebens- oder Rentenversicherung<br />
abschließt, bekommt noch den alten,<br />
höheren Rechnungszins, so die Parole.<br />
Doch das ist noch kein Grund, einen<br />
neuen Vertrag abzuschließen. Denn der<br />
Rechnungszins ist nicht alles. Die Versicherer<br />
schreiben ihren Kunden außer<br />
den Rechnungszinsen laufende Überschüsse<br />
sowie Schlussüberschüsse gut, so<br />
dass das Sparkapital in der Regel deutlich<br />
höher als mit 2,25 Prozent rentiert.<br />
So bewegen sich die laufenden und garantierten<br />
Deklarationen – Rechnungszins<br />
plus Gewinnzins, ohne Schlussüberschüsse<br />
– für das Jahr 2011 im Durchschnitt<br />
des Marktes bei 4,07 Prozent, so<br />
eine Untersuchung des Branchendienstes<br />
map-Report. Doch die Bandbreite ist<br />
groß. In der Spitze werden 4,80 Prozent<br />
erreicht, am Ende 3,6 Prozent.<br />
Noch größer sind die Unterschiede bei<br />
den kalkulierten Ablaufleistungen in der<br />
Zukunft. Wer beispielsweise in diesem<br />
Jahr noch eine Kapitalversicherung mit<br />
20 Jahren Laufzeit abschließt, bekommt<br />
in den unverbindlichen(!) Beispielrechnungen<br />
– je nach Unternehmen – zwischen<br />
4,7 und 2,6 Prozent Rendite vorgerechnet.<br />
Es steht zu befürchten, dass viele<br />
Versicherer ihre Prognosen verfehlen<br />
werden. Unter Branchenkennern gilt als<br />
ausgemacht, dass heute schon Lebensversicherer<br />
ihre Überschüsse <strong>nur</strong> dadurch<br />
aufhübschen können, da sie viel Kapital<br />
Geldanlage<br />
Kein sicherer Zins<br />
Die diesjährige Leitmesse der Finanz- und Versicherungswirtschaft<br />
DKM in Dortmund offenbarte: Die Branche braucht neue Ideen,<br />
doch die sind rar. Was geht, sind Immobilien und Gold, auch<br />
die Anbieter von Beteiligungen blicken optimistisch in die Zukunft.<br />
den Rückstellungen für Beitragsrückerstattung<br />
(RfB) entnehmen. Das ist legal,<br />
denn der Sinn der RfB ist es, Kapitalmarktschwankungen<br />
auszugleichen und<br />
die Ergebnisse zu glätten. Angesichts der<br />
anhaltenden Talfahrt bei den Kapitalmarktzinsen<br />
stellt sich jedoch die Frage,<br />
wie lange das die Untenehmen durchhalten<br />
können, wie finanzstark sie sind.<br />
FINANZSTÄRKE IST GEFRAGT<br />
Das interessiert nicht <strong>nur</strong> Analysten, sondern<br />
auch die Anleger. Wer heute im Alter<br />
von beispielsweise 30 Jahren eine Rentenversicherung<br />
abschließt, muss sicher<br />
sein, dass der Versicherer auch in 50 Jahren<br />
noch die vereinbarte Rente zahlen<br />
kann. Dauerhafte, solide und nachhaltige<br />
Finanzstärke ist gefragt. Das um so<br />
mehr, als auf die Versicherer höhere<br />
Eigenkapitalanforderungen zukommen.<br />
Sie müssen die Garantien, die sie gewähren,<br />
mit Eigenmitteln besichern. Das<br />
ist teuer. Das Analyse- und Ratinghaus<br />
Morgen & Morgen hat erst unlängst die<br />
deutschen Lebensversicherer geratet. Dabei<br />
wurden die Nettoverzinsungen der<br />
Kapitalanlagen, Kostenquoten, Rückstellungen,<br />
Überschüsse, Eigenmittel und<br />
Reserven sowie das Wachstum bewertet.<br />
Ergebnis: Nur neun Versicherer erhielten<br />
die Bewertung »ausgezeichnet«, 21 Unternehmen<br />
sind »schwach« oder »sehr<br />
schwach« auf der Brust.<br />
Die Lebens- und Rentenversicherung<br />
als der Deutschen liebstes Vorsorgeprodukt<br />
schwächelt. Trotzdem gibt es immer<br />
noch gute Gründe, solche Verträge<br />
abzuschließen, und das noch dieses Jahr.<br />
Denn bei den staatlich geförderten Riester-Rentenverträgen<br />
und bei den steuerlich<br />
geförderten Basis-Rentenverträgen<br />
steigt die Altersgrenze. Wer noch 2011<br />
abschließt, kommt förderunschädlich<br />
vom 60. Lebensjahr an in den Genuss der<br />
Rente. Wer erst 2012 abschließt, muss bis<br />
zum 62. Lebensjahr als frühest möglichen<br />
Auszahlungsbeginn warten. Ähnlich<br />
verhält es sich bei der Besteuerung<br />
von ungeförderten privaten Lebensversicherungen.<br />
Bei bis Ende 2011 abgeschlossenen<br />
Verträgen werden die Erträge<br />
<strong>nur</strong> zur Hälfte besteuert, wenn der<br />
Vertrag mindestens zwölf Jahre gelaufen<br />
ist und das Kapital nicht vor Vollendung<br />
des 60. Lebensjahrs entnommen wird.<br />
Beim Abschluss ab 2012 steigt auch hier<br />
die Altersgrenze auf 62 Jahre.<br />
INVESTIEREN IN BETON<br />
Bei Investmentfonds bewegt sich im Moment<br />
kaum noch etwas, die Anleger halten<br />
sich angesichts hoch volatiler Börsen<br />
und niedriger Zinsen zurück. Dafür boomen<br />
die so genannten Sachwerteanlagen.<br />
Immobilien stehen hoch im Kurs. In<br />
(fast) allen Varianten. Bei Wohneigentum<br />
steigen die Bau- und Genehmigungszah-<br />
28 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
SPECIAL<br />
len nach Jahren des Rückgangs und der<br />
Stagnation enorm. Zu spüren bekommen<br />
das auch die Bausparkassen, deren Neugeschäft<br />
boomt. Abzulesen ist das auch<br />
am Neugeschäft für die Eigenheimrente,<br />
auch Wohn-Riester genannt. Dort bekommen<br />
Anleger die staatlichen Riester-<br />
Zulagen, wenn sie das Sparkapital über<br />
einen zertifizierten Eigenheimrentenvertrag<br />
zum Erwerb und/oder zur Entschuldung<br />
von selbst genutztem Wohneigentum<br />
einsetzen. Im Idealfall kann sich die<br />
Summe der Fördermittel bei einer Familie<br />
mit zwei Kindern auf bis zu rund<br />
50.000 Euro belaufen.<br />
Auch als Kapitalanlage sind Immobilien<br />
gefragt. Das führt zu steigenden<br />
Preisen in deutschen Städten vor allem<br />
bei Eigentumswohnungen. In Hamburg<br />
ist der Quadratmeterpreis in Top-Lagen<br />
binnen zwölf Monaten um ein Drittel auf<br />
knapp 5.900 Euro gestiegen. Der Wohnimmobilienmarkt<br />
boomt. Viele Anleger<br />
ziehen ihr Geld von Bankanlagen ab und<br />
investieren in Wohnimmobilien. Hinzu<br />
kommt: Fremdkapital ist immer noch<br />
billig und die Banken trauen sich zaghaft<br />
aus der Reserve. Die Anleger kaufen<br />
nicht <strong>nur</strong> Gebäude und Wohngrundstücke,<br />
sondern auch Acker- und Forstflächen.<br />
Die Folge ist eine Bodenwertsteigerung.<br />
Vor allem im Osten Deutschlands,<br />
wo sich in den letzten 20 Jahren<br />
kaum jemand um Wiesen und Brachen<br />
geschert hat, schnellen die Preise hoch.<br />
GOLDGLANZ BLENDET<br />
Ganz hoch im Kurs steht bei den Anlegern<br />
Gold. 13 Prozent der Sparer, die ihre<br />
Vorsorge ausbauen möchten, planen den<br />
Kauf von Gold, so ein Ergebnis der jüngsten<br />
Postbankstudie zur Altersvorsorge.<br />
Das sind mehr als Interessenten für eine<br />
Riester-Rente (zwölf Prozent). Gold gilt<br />
bei 39 Prozent der Sparer als »besonders<br />
sicher«, die Riester-Rente kommt <strong>nur</strong> auf<br />
21 Prozent. Das Münchener Edelmetallunternehmen<br />
»pro aurum« hat die Goldleidenschaft<br />
der Deutschen genauer untersuchen<br />
lassen. Danach rangiert Gold<br />
in den Gewinnerwartungen vor Festgeld,<br />
Fondsanteilen, Aktien und Anleihen. 34<br />
Prozent der Bürger würden sich für eine<br />
Goldanlage entscheiden, weil sie vermuten,<br />
dass das Edelmetall nach gut drei<br />
Jahren den meisten Gewinn bringt.<br />
Zudem will das Volk investieren in<br />
Gold in Gestalt von Barren und Münzen.<br />
Nicht mehr <strong>nur</strong> Gutsituierte kaufen heute<br />
Gold, sondern auch Auszubildende,<br />
Studenten und junge Familien mit Kindern,<br />
so die Einschätzung von »pro<br />
aurum«. Seit Anfang 2011 konnte das Unternehmen<br />
die Umsätze um 45 Prozent<br />
steigern. Davon, dass Gold keine Zinsen<br />
abwirft, eine hoch spekulative Anlage ist<br />
und meistens noch Geld für die sichere<br />
Verwahrung kostet, scheinen die meisten<br />
Käufer noch nichts gehört zu haben.<br />
BETEILIGUNGEN SIND IM KOMMEN<br />
Bisher galten sie als die »Schmuddelkinder«<br />
der Branche: Geschlossene Fonds,<br />
mit denen Privatanleger sich an Immobilien,<br />
Flugzeugen, Schiffen, Waldflächen,<br />
jungen Unternehmen oder Solar- und<br />
Windkraftanlagen beteiligen können.<br />
Geschlossene Fonds galten als »Graumarkt«,<br />
unter anderem auch deshalb,<br />
weil sich dort einige »graue Schafe« tummelten.<br />
Das soll und kann sich ändern.<br />
Vom kommenden Jahr an wird die Branche<br />
reguliert. Die Verkaufsprospekte<br />
werden von der Finanzaufsicht schärfer<br />
als bisher geprüft, Verkäufer müssen sich<br />
registrieren lassen und ihre Sachkunde<br />
nachweisen. Damit erreichen die geschlossenen<br />
Fonds das Anlegerschutzniveau<br />
von Versicherungen.<br />
Das wird es der Branche ermöglichen,<br />
von der »grauen« Kapitalanlage zur<br />
»weißen« zu mutieren. Unabhängig von<br />
der Regulierung hat die Branche jedoch<br />
bereits weitgehend einen inneren Wandel<br />
vollzogen. Standen früher Steuerspareffekte<br />
im Vordergrund, geht es den Initiatoren<br />
und Anlegern um langfristige<br />
und möglichst zuverlässige Renditen. Geschlossene<br />
Fonds bieten als einzige Assetklasse<br />
Anlegern die Möglichkeit, sich an<br />
realen Wirtschaftsgütern zu beteiligen,<br />
die sie sich allein nicht leisten könnten.<br />
Das sind Sachwertanlagen, die weitgehend<br />
unabhängig von Aktien- und Anleihemärkten<br />
sind. Sie gehören zur Streuung<br />
des Risikos in jedes Portfolio.<br />
Die kurzfristigen Aussichten für Versicherungen<br />
und Fonds scheinen derzeit<br />
nicht gerade in rosigem Licht, bei den<br />
Anbietern geschlossener Fonds macht<br />
sich Aufbruchstimmung breit, so der<br />
Eindruck von der jüngsten Finanzmesse.<br />
Das würde nicht <strong>nur</strong> den privaten Anlegern<br />
nutzen, sondern auch der Wirtschaft<br />
und vor allem dem Mittelstand.<br />
Denn Beteiligungskapital bietet echte<br />
Alternativen zur Bankenfinanzierung. Je<br />
mehr davon eingeworben und sinnvoll<br />
platziert werden kann, umso besser.<br />
Hans Pfeifer<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 29
KOLUMNE<br />
W<br />
enn man wie ich in der letzten<br />
Woche durch die Welt reist<br />
und Wirtschaftskonferenzen besucht,<br />
muss einem Angst und Bange werden.<br />
Die Unsicherheit der professionellen<br />
Ökonomen, aber auch der normalen<br />
Bürger ist mit Händen zu greifen. Das ist<br />
gefährlich. Wer unsicher ist, wessen<br />
Weltbild tief erschüttert ist, der macht<br />
Dinge, mit denen niemand vorher rechnet.<br />
Die globale Unsicherheit ist diesmal<br />
viel größer als ich das jemals vorher in<br />
meinen 35 Berufsjahren erlebt habe.<br />
Es kommt einfach zu vieles zusammen.<br />
Die USA, die keinen Ausweg aus der<br />
Stagnation finden und deswegen jede<br />
noch so kleine Wachstumsrate wie im<br />
dritten Quartal dieses Jahres bejubeln. Japan,<br />
das nach den Natur- und von Menschenhand<br />
begünstigten Katastrophen<br />
zu Beginn dieses Jahres weder politisch<br />
noch wirtschaftlich auf die Füße kommt,<br />
und Europa, das sich als vollkommen unfähig<br />
zeigt, mit seinen Problemen vernunftgetrieben<br />
umzugehen.<br />
Nimmt man hinzu, dass in allen diesen<br />
Regionen die Einkommen des durchschnittlichen<br />
Bürgers seit Jahren nicht<br />
mehr gestiegen sind, ist es nicht verwunderlich,<br />
dass jeder seine Groschen zusammenhält<br />
und versucht, irgendwie<br />
über die Runden zu kommen. Wenn<br />
dann noch, wie schon lange in Deutschland,<br />
aber jetzt auch in Frankreich,<br />
Italien und anderen Ländern der Währungsunion,<br />
von den regierenden Politikern<br />
Gürtel-enger-Schnallen in emotionalen<br />
Appellen als einziger Weg aus der<br />
Misere verordnet wird, ist das die Ur-Suppe,<br />
aus der ganz große Krisen entstehen.<br />
Beispiel Deutschland. Während sich<br />
die regierenden Politiker Tag und Nacht<br />
mit dem lächerlich kleinen Griechenland<br />
abmühen, haben sie die »Kleinigkeit«<br />
übersehen, dass ihr eigenes Land in<br />
eine Rezession gerät. Der wichtigste Indikator,<br />
die Auftragseingänge in der deutschen<br />
Industrie, sind im September regelrecht<br />
abgestürzt. Das zeigt, wie anfällig<br />
das Land ist, von dem viele behauptet<br />
haben, es würde nun, gestützt auf seine<br />
Inlandsnachfrage, auf einen langen und<br />
stabilen Aufschwung vertrauen können.<br />
Das ist bitter, zum einen, weil Europas<br />
Oberlehrer nun in der Gefahr ist, selbst<br />
sitzenzubleiben, es ist aber vor allem bitter,<br />
weil damit Deutschland die Nachwirkungen<br />
seiner eigenen Rezepte zu<br />
spüren bekommt. Weil alle anderen Länder,<br />
auch auf Druck Deutschlands, kräftig<br />
sparen, kaufen sie natürlich weniger<br />
AUS GENFER SICHT<br />
Am<br />
Abgrund<br />
Von HEINER FLASSBECK, Genf<br />
Internet: www.flassbeck.com<br />
im Ausland ein und treffen so die deutschen<br />
Ausfuhren.<br />
Wenn aber in Deutschland der Exportmotor<br />
nicht mehr brummt, wie will man<br />
aus einer solchen Rezession wieder herausfinden,<br />
wenn alle Welt spart? Ist jemand<br />
noch so naiv zu glauben, die deutschen<br />
Unternehmen, die in der Tat in<br />
Geld schwimmen, würden bei sich abschwächender<br />
Konjunktur neue Investitionen<br />
in einem Maße auslösen, dass damit<br />
die Nachfrageschwäche der übrigen<br />
Sektoren ausgeglichen werden könnte?<br />
Nein, wenn die Politik in Deutschland<br />
nicht bald begreift, dass man sich aus einer<br />
globalen Konjunkturschwäche nicht<br />
heraussparen kann, dann werden wir in<br />
einer tiefen Rezession enden. Diesen einfachen<br />
Zusammenhang anzuerkennen,<br />
ist aber in Deutschland aus ideologischen<br />
Gründen verboten. In den USA<br />
fragte mich kürzlich ein Kollege in sehr<br />
gutem Deutsch, wie es sein könne, dass<br />
in Deutschland nicht <strong>nur</strong> die Politik, sondern<br />
auch 90 Prozent der Medien den<br />
»Sparunsinn«, wie er es nannte, verbreiten<br />
könnten. So gleichgeschaltet könnten<br />
die Medien doch gar nicht sein, dass<br />
man andere Meinungen über das Sparen,<br />
die im Rest der Welt breit diskutiert würden,<br />
in Germany lange suchen müsste.<br />
Stattdessen feiert man die niedrigsten<br />
Zinsen, die der Staat je für seine Anleihen<br />
zahlen musste. Was ist denn das Sig-<br />
nal, das in diesen Zinsen steckt? Wenn<br />
die Nachfrage nach einem Produkt hoch<br />
ist, und nichts anderes bedeuten niedrige<br />
Zinsen (weil dies ausdrückt, dass der<br />
Preis der Anleihen hoch ist), würde jeder<br />
vernünftige Unternehmer mehr davon<br />
produzieren. Aber selbst dieser einfache<br />
und absolut marktkonforme Zusammenhang<br />
wird ignoriert.<br />
So gehen wir in dunkle Zeiten. Ohne<br />
Not und <strong>nur</strong> basierend auf schlichter<br />
Ideologie wird Europa an den Abgrund<br />
geführt. Es vergeht kein Tag, an dem<br />
nicht mit neuen Gerüchten und Vorwürfen,<br />
die zuletzt in der »Aufforderung« an<br />
Griechenland gipfelten, den Euroraum<br />
zu verlassen, dafür gesorgt wird, dass der<br />
Prozess der Deintegration, der sich ohne<br />
solche »Einflussnahme« über Jahre hinziehen<br />
könnte, sich rasant beschleunigt.<br />
Was sollen Menschen in Südeuropa oder<br />
in Irland tun, wenn sie Tag für Tag von<br />
den mächtigen Deutschen hören, wie<br />
schlecht ihre Regierungen sind, wie kaputt<br />
ihr System ist und wie wenig Chancen<br />
sie auf eine dauerhafte Bleibe in der<br />
europäischen Gemeinschaft haben?<br />
Sie tun, was jeder tun würde, solange<br />
noch Zeit dafür ist. Sie ziehen ihr Geld<br />
aus dem heimischen Bankensystem ab<br />
und legen es in Deutschland oder der<br />
Schweiz an, selbst wenn sie keine Zinsen<br />
bekommen. In Irland hat es ein irischer<br />
Ökonom auf die schöne Formel gebracht:<br />
Wer will schon eines Tages aufwachen<br />
und feststellen, dass das Geld auf seinem<br />
Konto sich halbiert hat, weil es nicht<br />
mehr Euro, sondern Drachme heißt.<br />
Das beschreibt nichts anderes als die<br />
Gefahr eines Bankruns, einer Situation,<br />
wo jeder innerhalb kürzester Zeit versucht,<br />
sein Geld zu sichern und es deswegen<br />
nicht möglich ist. Noch vollzieht sich<br />
das schleichend, aber das macht es nicht<br />
besser. Wenn die Banken in Südeuropa<br />
plötzlich ohne Einlagen dastehen, können<br />
sie keine Kredite mehr vergeben und<br />
verlieren die Geschäftsgrundlage. Das<br />
aber kann jederzeit eskalieren und ganze<br />
Bankensysteme innerhalb von Wochen<br />
oder gar Tagen zur Implosion bringen.<br />
Was tun? Wenn die Politik weiter stur<br />
bleibt, gibt es für die Menschen <strong>nur</strong> noch<br />
die Möglichkeit, ihre Frustration auf der<br />
Straße zum Ausdruck zu bringen. Was<br />
wir auf vielen Plätzen und Straßen weltweit<br />
schon sehen, wird vielleicht der Beginn<br />
einer Massenbewegung der Empörten<br />
werden, die nicht mehr hinnehmen<br />
wollen, dass ihre eigene und die Zukunft<br />
ihrer Kinder aufs Spiel gesetzt wird. &<br />
Foto: Torsten George<br />
30<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
BERICHT<br />
Fotos: H. Lachmann<br />
Schon kommen die nächsten Karossen<br />
an der elektrischen Hängebahn<br />
durch die Leipziger Halle geschwebt.<br />
Wer sich mit Porsche auskennt,<br />
stutzt: Gleich zwei Modelle hängen am<br />
selben Band von der Decke herab – der<br />
Geländewagen Cayenne und der schnittige<br />
Oberklasseflitzer Panamera.<br />
Die Schiene senkt sich schließlich auf<br />
Bodenniveau herab, so dass die Monteure<br />
problemlos an die Chassis herankommen.<br />
Die Männer in den roten Latzhosen<br />
und weißen T-Shirts packen routiniert<br />
zu. Worte fallen fast gar nicht: Man hat<br />
hurtig zu tun, kennt seine Aufgabe. Die<br />
Handgriffe sitzen, sind tausendmal wiederholt.<br />
Alles wirkt wie durchgeplant<br />
und von Geisterhand gesteuert.<br />
»Ein minutiöser Zeit- und Ablaufplan<br />
ist das Rückgrat unseres Produktionssystems«,<br />
versichert der frühere Porsche-<br />
Chef und heutige VW-Vorstand Michael<br />
Macht und fügt nicht minder stolz hinzu:<br />
Auf die sächsischen Montageteams<br />
könne man sich absolut verlassen. Seit in<br />
Leipzig im April 2009 der Panamera in<br />
Serie ging, arbeite hier die modernste<br />
Automobilfabrik der Welt.<br />
Ein Qualitätssiegel, dass Porsche<br />
womöglich zu weiteren Engagements in<br />
Leipzig veranlasst. Erst kürzlich erhielt<br />
das sächsische Werk den Zuschlag für<br />
den kleinen Geländewagen Cajun, dessen<br />
Produktion noch 2011 beginnen soll.<br />
Hartnäckig hält sich auch das Gerücht,<br />
die neue Generation des Panamera könne<br />
komplett in Leipzig entstehen. Bisher<br />
schrauben hier die 680 Monteure Tag für<br />
Tag 280 Cayenne und 100 Panamera aus<br />
Teilen und Baugruppen zusammen, die<br />
aus Stuttgart, Bratislava und Hannover<br />
angeliefert werden.<br />
MILLIONEN FÜR KAROSSERIEBAU<br />
Doch mittlerweile kommt Porsche mit<br />
der Montage des Cayenne nicht mehr<br />
nach. Wie der Leipziger Werkleiter Siegfried<br />
Bülow unlängst mitteilte, werde die<br />
Tagesproduktion von derzeit 420 Fahrzeugen<br />
schrittweise angehoben. Zudem<br />
prüfe man die Einführung einer dritten<br />
Schicht. Auch hundert neue Monteure<br />
sollen eingestellt werden. Die feste Belegschaft<br />
stiege damit auf 800.<br />
Überdies investiert das Mutterhaus<br />
für den Cajun nun erstmals auch in Karosseriebau<br />
und Lackierung in Leipzig.<br />
500 Millionen Euro stehen dafür bereit.<br />
Es ist das größte Bauprojekt in der Unternehmensgeschichte.<br />
Auf 17 Hektar des<br />
Geländes im Leipziger Norden entsteht<br />
überdies ein Versorgungszentrum. Damit<br />
wird die Fertigungsstätte zum Vollwerk<br />
ausgebaut – und Leipzig im Konzern<br />
noch wichtiger.<br />
Autoland Sachsen<br />
Werkbank im Wandel<br />
Mit Millionen-Investitionen werten die Fahrzeughersteller Porsche,<br />
Volkswagen, BMW und MAN ihre Werke in Sachsen auf, verleihen<br />
diesen den Status vollwertiger Produktionsstandorte. Hier wird vor<br />
allem montiert, lackiert und geschraubt. Entwicklung und Vertrieb<br />
bleiben weiterhin in den Konzernzentralen im Westen angesiedelt.<br />
Als dies bekannt wurde, gab es vor Ort<br />
»hundertprozentig positive Reaktionen«,<br />
wie Knut Lofski, Betriebsratschef des<br />
sächsischen Werks, sagt. Der Zuschlag<br />
für Leipzig sei geradezu »genial«, denn er<br />
bedeute auch viele Neueinstellungen.<br />
Werkleiter Bülow beobachtet bereits einen<br />
Trend, »dass unter diesen Perspektiven<br />
auch viele abgewanderte Sachsen<br />
zurück in die Heimat wollen«. Alles in allem<br />
ist dank des Porsche Cajun von 1.000<br />
neuen Jobs die Rede. 2013 soll das neue<br />
Modell vom Band rollen. Was bewegt die<br />
süddeutsche Nobelmarke zu diesem Engagement<br />
in Leipzig? Als Motiv für die<br />
Vergabe des Cajun gilt vor allem eine »besonders<br />
hohe Flexibilität und Produktivität«<br />
am Standort Ost.<br />
Derweil wird es in der pieksauberen<br />
Leipziger Montagehalle feierlich: Die<br />
Hochzeit steht an. So nennen es die Autobauer,<br />
wenn sie den Wagenaufbau mit<br />
Fahrwerk und Antriebsstrang verbandeln.<br />
Schon schwebt die Karosserie heran,<br />
gewissermaßen die Braut. Die Männer<br />
kümmern sich derweil um die »Mitgift«:<br />
das anspruchsvolle Interieur des<br />
luxuriösen Viertürers.<br />
Zur Grundsteinlegung des Erweiterungsbaus<br />
Ende Oktober war auch Sachsens<br />
Ministerpräsident Stanislaw Tillich<br />
(CDU) erschienen. Stolz informierte er,<br />
dass die Automobilindustrie mit über<br />
70.000 Beschäftigten in 750 Betrieben<br />
heute wieder eine der wichtigsten Branchen<br />
des Freistaates bilde. Und die jüngste<br />
Entscheidung von Porsche eröffne weitere<br />
Wachstumschancen.<br />
Auch für Leipzigs Oberbürgermeister<br />
Burkhard Jung (SPD) habe Porsche den<br />
Industriestandort Leipzig »wachgeküsst«,<br />
nachdem hier 1999 der erste Spatenstich<br />
erfolgt war. Jeder Arbeitsplatz bei dem<br />
Sportwagenbauer ziehe zwei bis drei zusätzliche<br />
Jobs in der Region nach sich.<br />
Überdies entwickelte sich im Windschatten<br />
der Autobranche eine außerordentlich<br />
leistungsstarke Logistik. Sowohl<br />
Leipzig als auch die Landesregierung bekundeten<br />
denn auch, weiterhin ihr Möglichstes<br />
zu tun, um die wirtschaftlichen<br />
Rahmenbedingungen für neue Ansiedlungen<br />
weiterzuentwickeln.<br />
Nach Angaben von Porsche-Chef Matthias<br />
Müller sollen vom Cajun jährlich<br />
50.000 Wagen verkauft werden. Damit<br />
32 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
BERICHT<br />
würde dieser zum wichtigsten Modell<br />
des Sportwagenherstellers neben dem<br />
Cayenne. Deshalb sieht Müller in dem<br />
Ausbau des Leipziger Werks auch einen<br />
bedeutenden Schritt, um die ambitionierten<br />
Wachstumsziele des Unternehmens<br />
zu erreichen. Bis 2018 soll Porsches<br />
Jahresabsatz auf mindestens 200.000 Autos<br />
anwachsen – das ist eine Verdoppelung<br />
der bisherigen Stückzahl.<br />
»HEISSE KARTOFFEL« AN VW-CHEF<br />
Wegen des eingeleiteten Fusionsprozesses<br />
mit Porsche gewinnt der Standort<br />
Sachsen auch im VW-Konzern weiter an<br />
Gewicht. Bei den Investitionen, die Konzernchef<br />
Martin Winterkorn Anfang November<br />
in Leipzig ankündigte, ziehen<br />
die sächsischen Werke fast mit dem<br />
Stammsitz in Wolfsburg gleich. Der 62-<br />
jährige Winterkorn war in der Messestadt<br />
mit dem diesjährigen Wirtschaftsund<br />
Medienpreis »Heiße Kartoffel« geehrt<br />
worden, den der Mitteldeutsche<br />
Presseklub zu Leipzig jährlich an wichtige<br />
Macher in der oder für die Dreiländerregion<br />
vergibt.<br />
Die Investitionen in Sachsen sind Teil<br />
der ehrgeizigen Wachstumsstrategie<br />
Winterkorns. Bis 2018 will er den Konzern<br />
zum erfolgreichsten Autobauer der<br />
Welt puschen. Dafür steckt VW bis 2016<br />
weltweit 62,4 Milliarden Euro in Werke,<br />
neue Modelle und Antriebe. Die Gläserne<br />
Manufaktur in Dresden hat gute Chancen,<br />
den Zuschlag für das ab 2013 geplante<br />
Ein-Liter-Auto XL 1 zu bekommen –<br />
auch wenn sich Winterkorn dazu bislang<br />
noch nicht festlegen wollte. Entschieden<br />
ist dagegen, dass in Zwickau ab 2013 neben<br />
Golf und Passat auch der Golf Kombi<br />
produziert wird. Und in Chemnitz will<br />
VW 2012 die nächste Generation der Vierzylinder-Ottomotoren<br />
in Serie schicken.<br />
Gegenwärtig laufen in Zwickau jährlich<br />
rund 300.000 VW-Fahrzeuge vom<br />
Band. In Chemnitz werden täglich 3.000<br />
bis 3.400 Motoren sowie 4.000 Ausgleichswellengetriebe<br />
produziert. Und<br />
die Gläserne Manufaktur zu Dresden<br />
glänzt mit der VW-Nobelmarke Phaeton.<br />
Das Luxusmodell erlebt gerade in China<br />
einen enormen Nachfrageboom.<br />
Indes entspringt Porsches Engagement<br />
in Sachsen nicht reiner Nächstenliebe.<br />
Der Sportwagenbauer kalkuliert<br />
bei seinen mittlerweile 1,2 Milliarden<br />
Euro an Investitionen im Osten auch mit<br />
den hier nach wie vor geringeren Löhnen.<br />
Unterm Strich trägt ein Montagearbeiter<br />
am Band in Leipzig trotz solider tariflicher<br />
Absicherung noch immer gut<br />
ein Drittel weniger in der Lohntüte heim<br />
als sein Kollege in Stuttgart-Zuffenhausen<br />
– im Grunde für dieselbe Arbeit.<br />
WELTNIVEAU: Die Werke in Sachsen sind<br />
das Nonplusultra im Automobilbau.<br />
Gleiches trifft auf BMW zu. Der Münchener<br />
Konzern betreibt <strong>nur</strong> eine Autobahnabfahrt<br />
weiter im Leipziger Norden<br />
sein größtes außerbayrisches Werk. Kürzlich<br />
war hier Richtfest für ein nagelneues<br />
Kompetenzzentrum, in dem BMW seine<br />
Aktivitäten in Sachen Elektrofahrzeuge<br />
bündeln will. Vier große Montagehallen<br />
befinden sich im Bau. Dank dem 400-Millionen-Projekt<br />
soll 2013 die Serienfertigung<br />
für die Elektroautos BMW i3 und<br />
BMW i8 starten. Die Hallen sind dabei so<br />
angeordnet, dass die Bereiche für die<br />
Formung der Karbonteile, den Karosseriebau<br />
und die Montage zunächst auf<br />
separaten Bändern laufen, ehe sie zur finalen<br />
Montage mit dem Hauptband zusammengeführt<br />
werden.<br />
Für BMW-Produktionsvorstand Frank-<br />
Peter Arndt ist das Leipziger Werk »die<br />
Speerspitze der Elektromobilität für<br />
BMW und wird das auch bleiben«. Werde<br />
alles ausgereizt, habe das Werk eine Maximalkapazität<br />
von 200.000 Autos jährlich.<br />
2011 liege es »<strong>nur</strong> knapp darunter«.<br />
Danach befragt, weshalb BMW die<br />
e-Car-Schiene in Leipzig aufziehe, sagt<br />
Arndt, es gebe hier »eine hochqualifizierte<br />
und hoch motivierte Mannschaft, eine<br />
gute Infrastruktur und ausreichend<br />
Platz«. Die meisten anderen Standorte<br />
verfügten schlicht nicht über die notwendigen<br />
Flächenreserven, um bei wachsender<br />
Nachfrage auf zusätzlichen Kapazitätsbedarf<br />
reagieren zu können.<br />
Im Übrigen stehen die Chancen gut,<br />
dass jenes BMW-Engagement im e-Car-<br />
Segment bald schon einen neuen Technologie-Investor<br />
anlockt. SB LiMotive, das<br />
Batterie-Joint-Venture von Bosch und<br />
dem südkoreanischen Elektronikkonzern<br />
Samsung, das den bayerischen Autohersteller<br />
ab 2013 mit Batterien beliefern<br />
soll, fahndet derzeit nach einem geeigneten<br />
Standort für eine neue Produktionsstätte.<br />
In diesem Kontext stehen die<br />
Chancen bestens, dass sich SB LiMotive<br />
nebenan von BMW niederlässt. Platz<br />
wäre in Leipzigs Norden noch genug.<br />
IMMER NOCH VERLÄNGERTE WERKBANK?<br />
Neben den Leipziger Werken von Porsche<br />
und BMW bilden vier weitere sächsische<br />
Standorte unverzichtbare Kettenglieder<br />
im internationalen Automobilbau. Dazu<br />
gehört das Neoplan-Werk des Münchener<br />
MAN-Konzerns im vogtländischen<br />
Plauen. Hier waren vor kurzem erst die<br />
sprichwörtlichen drei Hammerschläge<br />
zu vernehmen – für den Bau eines neues<br />
Logistikzentrums, mit dem MAN den<br />
Ausbau dieses Standorts einleitete. Bis<br />
Ende 2013 sollen insgesamt 19 Millionen<br />
Euro in Erweiterung und Modernisierung<br />
der Fertigungsstätte fließen. Plauen<br />
dürfte damit zu einem der modernsten<br />
Bus-Werke in Europa aufsteigen. Geplant<br />
sind eine neue Lackiererei und<br />
eine weitere Montagehalle.<br />
Bekanntlich produziert auch der<br />
Wolfsburger Autoriese Volkswagen mit<br />
erheblichen Kapazitäten in Sachsen. In<br />
Zwickau, in Chemnitz und in Dresden.<br />
Bei allem Jubelgesang über die Renaissance<br />
des Automobilbaus in Sachsen, das<br />
als Autoland auf eine lange Tradition verweisen<br />
kann, ist nicht zu übersehen, dass<br />
Sachsen auch beim Automobilbau mehr<br />
oder minder <strong>nur</strong> eine verlängerte Werkbank<br />
des Westens ist.<br />
An konkreten Zahlen kann das Andreas<br />
Wächtler, Projektkoordinator für den Automobilzulieferer-Bereich<br />
bei der Beratungs-<br />
und Förderagentur RKW Sachsen,<br />
festmachen. Sachsen leiste sich vier<br />
Universitäten, darunter die drei Technischen<br />
in Chemnitz, Dresden und Freiberg,<br />
überdies vier weitere Technische<br />
Hochschulen, 15 Fraunhofer-, sieben<br />
Leibniz- und sechs Max-Planck-Institute.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11<br />
33
BERICHT<br />
Hinzu kämen 290 Systemlieferanten für<br />
den Automotivebereich – doch von denen<br />
besäßen <strong>nur</strong> 172 wirklich sächsische<br />
Wurzeln, bedauert er. Bei den anderen<br />
handele es sich um »verlängerte Werkbänke«,<br />
so dass hier keine Produktentwicklung<br />
stattfinde.<br />
Es gebe zwar viele Investitionen und<br />
Auftragsvergaben großer Automotive-<br />
Konzerne an sächsische Forschungseinrichtungen,<br />
beobachtet Wächtler. Doch<br />
kämen diese dem Freistaat nicht zugute,<br />
schadeten sogar sächsischen Firmen.<br />
Denn die wissenschaftlichen Ergebnisse<br />
flössen direkt in die Mutterhäuser, stärkten<br />
somit die auswärtige Konkurrenz.<br />
Trotzdem könnte auch im Freistaat<br />
von unten langsam eine eigene wissenschaftlich-technische<br />
Basis heranwachsen.<br />
Nach Aussage von RKW-Geschäftsführer<br />
Helmut Müller initiierte und begleitete<br />
die Verbundinitiative Automobilzulieferer<br />
Sachsen (AMZ) seit dem Jahr<br />
1999 unter anderem insgesamt 277 Forschungs-<br />
und Entwicklungsprojekte, an<br />
FLITZER: Studenten kreieren Rennautos.<br />
denen sich 1.048 sächsische Branchenunternehmen<br />
beteiligten.<br />
Auch die studentischen Automobiltüftlerteams<br />
in Chemnitz, Dresden, Freiberg<br />
sowie der Westsächsischen Hochschule<br />
Zwickau nehmen jährlich mit in<br />
Eigenregie entwickelten und gebauten<br />
innovativen Fahrzeugen sowie wachsender<br />
Resonanz an den internationalen<br />
Wettbewerben in der Klasse Formula Students<br />
teil. Das Racetech-Racing-Team der<br />
Technischen Universität (TU) Bergakademie<br />
Freiberg kreierte beispielsweise in<br />
diesem Jahr den brandneuen Mini-Rennflitzer<br />
RT05, das Team Elbflorace von der<br />
TU Dresden präsentierte den erstmals<br />
rein elektrisch angetriebenen »Areos«. Es<br />
war schon der vierte Prototyp aus der<br />
Tüftlerwerkstatt an der Elbe, der auch<br />
international sehr viel Aufmerksamkeit<br />
und Anerkennung erfuhr.<br />
Was auf den ersten Blick beispielhaft<br />
und förderwürdig erscheint, hat wie bei<br />
vielen bemerkenswerten Initiativen und<br />
Engagements auch eine zweite Seite der<br />
Medaille: Zum Großteil gesponsert werden<br />
diese studentischen Projekte beispielsweise<br />
von BMW und Volkswagen.<br />
Die großen Automobilkonzerne bieten<br />
dem begabten Ingenieursnachwuchs oft<br />
Diplomarbeiten an, lassen ihn in den Firmen<br />
Praktika absolvieren – und ziehen<br />
die jungen Tüftler nach dem Studium in<br />
Sachsen in die bayrischen, schwäbischen<br />
oder niedersächsischen Gefilde ab.<br />
Harald Lachmann<br />
&<br />
Foto: Audi AG<br />
In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten<br />
hat die Automobilindustrie in Sachsen<br />
eine Renaissance erfahren. Aktuelle Spitzenmodelle<br />
der großen Hersteller BMW,<br />
Porsche und Volkswagen rollen in den<br />
neuen Fabriken in Leipzig, Zwickau und<br />
Dresden vom Band. Automobilbau auf<br />
höchstem Niveau.<br />
Die in westdeutschen Landen angesiedelten<br />
Fahrzeugkonzerne haben sich nach<br />
der Wende in der DDR nicht von ungefähr<br />
des Produktionsstandorts Sachsen besonnen.<br />
Kaum ein anderes Bundesland<br />
AM FICHTELBERG: Audi K von 1921.<br />
AUTOLAND SACHSEN<br />
Zwischen Tradition und Aufbruch<br />
Der Automobilbau im Freistaat Sachsen hat in den zurückliegenden mehr als 100 Jahren Höhen und Tiefen erlebt.<br />
Ein aktuell erschienener Bildband erinnert an den Pioniergeist in der Branche und »Sachsens schönste Autos«.<br />
kann auf eine so lange Tradition und Produktionskultur<br />
im Automobilbau zurückblicken<br />
wie Sachsen. Seit mehr als<br />
100 Jahren ist dieser in Deutschland<br />
bedeutendste Industriezweig zwischen<br />
Zwickau und Leipzig angesiedelt.<br />
Im sich zu Ende neigenden 19. Jahrhundert<br />
rollten auf sächsischen Straßen die<br />
ersten Dampfmobile, die von dem Chemnitzer<br />
Techniker Hermann Michaelis entwickelt<br />
und gebaut wurden. Zu Beginn<br />
der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts<br />
erlebte ebenfalls Chemnitz die Gründung<br />
des Unternehmens Auto Union. Die damals<br />
bereits verwendeten vier verschlungenen<br />
Ringe sind heute Markenzeichen<br />
des Ingolstädter Audi-Konzerns.<br />
In der Stadt des Autopioniers August<br />
Horch in Zwickau wurde 1957 der erste<br />
Trabant montiert, der sich in den folgenden<br />
Jahrzehnten zu dem Auto der DDR<br />
schlechthin und inzwischen zum Kultfahrzeug<br />
entwickelte. Er ging in die<br />
Automobilgeschichte ein, weil der<br />
Wagen komplett mit einer Kunststoff-<br />
Karosserie gefertigt wurde. Bis 1991 rollten<br />
ingesamt über drei Millionen Trabant<br />
in Zwickau vom Montageband.<br />
Die facettenreiche und wechselvolle Geschichte<br />
des Automobilbaus in Sachsen<br />
ist jetzt in einem mit sehr vielen historischen<br />
Bildern illustrierten Bildband<br />
unterhaltsam dokumentiert. Das vom<br />
Verlag Neues Berlin aufgelegte Buch<br />
»Sachsens schönste Autos« spannt einen<br />
historischen Bogen von den Anfängen<br />
bis in die heutigen Tage. Die gezeigten<br />
Automobile, manche <strong>nur</strong> als Einzelstück<br />
gefertig, andere in Großserie, manche<br />
nie, zeichnen ein spektakuläres wie alltägliches<br />
Bild des Autolands Sachsen.<br />
Dort ist die Automobilindustrie längst<br />
zum Motor des verarbeitenden Gewerbes<br />
geworden. Die über 70.000 Beschäftigten<br />
in der Branche schreiben die glorreiche<br />
Geschichte des sächsischen Automobilbaus<br />
heute fort.<br />
INA REICHEL<br />
Sachsens schönste Autos<br />
Verlag Neues Leben, Berlin, 2011<br />
223 Seiten, 29,95 Euro<br />
ISBN 978-3-355-01790-9<br />
34 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
Wirtschaft&Markt<br />
SONDERHEFT GESUNDHEITSWIRTSCHAFT BERLIN-BRANDENBURG<br />
EXTRA<br />
TELEMEDIZIN<br />
Netzwerk für mehr<br />
Lebensqualität<br />
BILDUNGSREISE<br />
Schulen und Akademien<br />
im Porträt<br />
Aus- und Weiterbildung<br />
Fachkräfte für<br />
heute und morgen<br />
Foto: ZukunftsAgentur Brandenburg
Fotos: PictureDisk, ZukunftsAgentur Brandenburg<br />
Gesundheitsland Berlin-Brandenburg<br />
Gerät der Wachstumsmotor<br />
ins Stottern?<br />
Die Gesundheitsbranche boomt. Was langfristig fehlt, sind qualifizierte Mitarbeiter. Wirtschaft,<br />
Politik und Sozialträger sind gefragt, damit die Region 2030 nicht am Fachkräftemangel kollabiert.<br />
Die Gesundheitswirtschaft blickt<br />
positiv in die Zukunft. Dynamisch,<br />
geprägt von technischem<br />
Fortschritt, individualisierter Versorgung<br />
und höherer Lebenserwartung<br />
steht die Wachstumsbranche gleichzeitig<br />
unter Kosten- und Wettbewerbsdruck.<br />
2008 war bundesweit jeder zehnte Arbeitnehmer<br />
in der Gesundheitswirtschaft<br />
beschäftigt, über 80 Prozent allein<br />
in den besonders personalintensiven<br />
ambulanten und (teil)stationären Einrichtungen.<br />
Der Rest verteilt sich auf<br />
Pharmaindustrie, Medizintechnik, Verwaltung<br />
und sonstige Bereiche.<br />
Berlin und Brandenburg wollen dabei<br />
an die Spitze. Hier soll das innovativste<br />
und leistungsstärkste gesundheitswirtschaftliche<br />
Zentrum der Bundesrepublik<br />
entstehen. Und die beiden Länder sind<br />
auf einem guten Weg: Mehr als 350.000<br />
Beschäftigte, 134.000 in Brandenburg<br />
und 226.000 in Berlin, erwirtschafteten<br />
2009 eine Bruttowertschöpfung von<br />
rund 13,57 Milliarden Euro.<br />
Die ZukunftsAgentur Brandenburg<br />
GmbH (ZAB), einer der drei Partner des<br />
mit dem Masterplan gegründeten Gesundheitsnetzwerkes,<br />
sieht in der Hauptstadtregion<br />
eine einzigartige Forschungsdichte<br />
der Life-Sciences-Industrie.<br />
180 Biotech-, 270 Medizintechniksowie<br />
25 Pharma-Unternehmen schaffen<br />
15.000 hochmoderne Arbeitsplätze. Hinzu<br />
kommen zahlreiche weitere Firmengründungen.<br />
KRANKHEITSSYMPTOM: FACHKRÄFTE<br />
Doch schon zeichnen sich dunkle Wolken<br />
am Horizont der Wachstumsbranche<br />
ab. Bei der jüngsten Umfrage der DIHK<br />
im Frühsommer 2011 bewerteten zwei<br />
Drittel der beschäftigungsintensiven Gesundheits-<br />
und sozialen Dienste den dro-<br />
henden Fachkräftemangel als entscheidendes<br />
Risiko, das den Wachstumsmotor<br />
ins Stocken geraten lassen könnte.<br />
Die Gründe liegen auf der Hand: Medizinisch-technischer<br />
Fortschritt, der höhere<br />
Qualifikation verlangt, Abwanderung<br />
ausgebildeten Personals und Überalterung<br />
der Gesellschaft im Verbund<br />
mit zunehmenden chronischen Erkrankungen.<br />
Das alles generiert eine steigende<br />
Nachfrage an qualifizierten Fachkräften.<br />
Eine jüngst von der Bertelsmann-Stiftung<br />
veröffentlichte Studie weist Berlin<br />
und Brandenburg hinsichtlich der Altersstruktur<br />
ihrer Einwohner sogar einen<br />
traurigen Spitzenplatz zu. Bis 2030 wird<br />
die Zahl der über 80-Jährigen hier um<br />
über 90 Prozent steigen. Und nicht <strong>nur</strong><br />
die Patienten werden älter, auch die Beschäftigten<br />
der Gesundheitsbranche. In<br />
den personalintensiven Bereichen muss<br />
36 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
GESUNDHEITSWIRTSCHAFT BERLIN-BRANDENBURG<br />
schon jetzt der altersbedingte Ersatzbedarf<br />
berücksichtigt werden. Mit im<br />
Durchschnitt jüngeren Mitarbeitern<br />
blicken Medizintechnik und Pharmabranche<br />
gelassener in die Zukunft. Doch<br />
ohne gut ausgebildete, bestens qualifizierte<br />
und motivierte Mitarbeiter wird es<br />
auch für sie schwer, sich im internationalen<br />
Wettbewerb durchzusetzen.<br />
15.000 Studierende in den 88 Gesundheitsstudiengängen<br />
in Berlin-Brandenburg<br />
und 30.000 Auszubildende in einem<br />
der 60 staatlich anerkannten Gesundheitsberufe<br />
decken langfristig nicht<br />
den Bedarf.<br />
Innovative Denkansätze und die Loslösung<br />
von herkömmlichen Strukturen<br />
sind gefragt. Nicht neu, aber immer noch<br />
aktuell: die bessere Vereinbarkeit von Familie<br />
und Beruf, die verstärkte Beschäftigung<br />
älterer Fachkräfte, schnellere Anerkennung<br />
ausländischer Abschlüsse<br />
und eine sinnvoll gesteuerte Zuwanderung.<br />
BETRIEBE MÜSSEN AUSBILDEN<br />
Darin sind sich alle Akteure mit der Politik<br />
zumindest teilweise einig. Ende Juni<br />
verständigten sich Berlin und Brandenburg<br />
für die Altenpflege darauf, ihre<br />
Maßnahmen zur Fachkräftesicherung zu<br />
verstärken. In Berlin kündigte Berlins<br />
damalige Arbeitssenatorin Carola Bluhm<br />
intensive Gespräche mit Pflegeverbänden<br />
und Betrieben über Tarifbindung,<br />
Bezahlung, Arbeitsbedingungen und<br />
Einhaltung des <strong>Mindestlohn</strong>s an und forderte:<br />
»Wir brauchen bessere Ausbildungsangebote«.<br />
Viele Betriebe verzichteten lange Zeit<br />
auf eigene Ausbildung. Sie sahen den<br />
Fachkräftemangel nicht rechtzeitig heraufziehen,<br />
die rechtlichen Einschränkungen<br />
schienen ebenso wie der zeitliche<br />
oder finanzielle Aufwand für die<br />
Ausbildung zu hoch. Eine fatale Fehlentscheidung,<br />
wie sich nun zeigt.<br />
Auch Bluhms Brandenburger Kollege<br />
Günter Baaske sieht die Verantwortung<br />
für eine bessere Ausbildung von Nachwuchskräften<br />
bei den Betrieben: »Politik,<br />
Sozialpartner und Verbände können betriebliche<br />
Defizite in der Personalarbeit<br />
<strong>nur</strong> mildern« erklärte er. Schlüssel zum<br />
Erfolg liegen für ihn in der Schaffung<br />
von mehr Vollzeitstellen, besonders für<br />
Frauen, in der Fortbildung sowie in einem<br />
Gesundheitsmanagement für die<br />
Beschäftigten.<br />
Ein Weg in die richtige Richtung.<br />
Doch Defizite sehen viele in der Branche<br />
auch bei den Auszubildenden selbst.<br />
Magdalena Rösch, Bereichsleiterin an<br />
der Gesundheitsakademie der Charité,<br />
beklagt den Mangel an Basiskompetenzen<br />
wie Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit<br />
und Rechtschreibung. Die Noten in<br />
Deutsch und naturwissenschaftlichen<br />
Fächern entsprächen <strong>nur</strong> teilweise den<br />
Anforderungen. Auch eine 2010 von<br />
PriceWaterhouseCooper veröffentlichte<br />
Studie verdeutlicht das Missverhältnis<br />
auf dem Arbeitsmarkt. Ursachen für den<br />
Fachkräftemangel in der Gesundheitswirtschaft<br />
seien auch in der mangelnden<br />
Qualität sowie in der geringen Motivation<br />
und Mobilität der Arbeitnehmer zu<br />
finden.<br />
AN EINEM STRANG<br />
Was also tun? Im November 2011 startete<br />
die ZukunftsAgentur Brandenburg in Zusammenarbeit<br />
mit dem Brandenburger<br />
Wirtschaftsministerium Regionalkonferenzen<br />
zum Thema »Unternehmen<br />
macht Schule«.<br />
»Wirtschaftsförderung ist Teamwork.<br />
Die ZAB steht bereit.« begründet Dr. Steffen<br />
Kammradt, Sprecher der Geschäftsführung,<br />
das Engagement. Auch das Gesundheitsnetzwerk<br />
HealthCapital, die Industrie-<br />
und Handelskammern Berlin<br />
und Potsdam sowie die Urania sind aktiv.<br />
Im März 2012 laden sie bereits zur vierten<br />
Karriere- und Qualifikationsmesse<br />
»Gesundheit als Beruf« nach Berlin ein<br />
und geben Einblick in Ausbildung, Studium,<br />
Weiterbildung sowie Berufschancen<br />
und Berufsbilder. Die sind in<br />
der Tat vielfältig, wie ein Blick in den von<br />
HealthCapital veröffentlichten »Ausbildungs-<br />
und Studienatlas« der Region<br />
AUS- und Weiterbildung ist im Interesse der<br />
Patienten und der eigenen Karriere.<br />
zeigt. Aufgeführt sind alle Ausbildungsund<br />
Studiengänge sowie die Ausbildungsinstitutionen<br />
– mehr Transparenz<br />
geht fast nicht.<br />
Auch vom akademischen Nachwuchs<br />
gibt es Positives zu vermelden: Jährlich<br />
verlassen rund 3.000 Absolventen Life-<br />
Sciences-Studiengänge und angrenzende<br />
Fachgebiete an den Berliner und Brandenburger<br />
Universitäten. Unternehmen<br />
können so aus einem exzellenten Pool an<br />
qualifiziertem Fachpersonal und Nachwuchswissenschaftlern<br />
schöpfen.<br />
Entscheidend ist, dass sie in der Region<br />
gehalten werden. 2008 entschieden<br />
sich 3.065 Mediziner, Deutschland zu<br />
verlassen. Das Flächenland Brandenburg<br />
beklagt einen großen Mangel an medizinischen<br />
Fachkräften. Mit einer finanziellen<br />
Spritze für Ärzte soll dem entgegen<br />
gewirkt werden. In den letzten vier Jahren<br />
flossen insgesamt über 650.000 Euro<br />
in die Förderung zur Ansiedelung von<br />
Praxen in den unterversorgten Regionen.<br />
ENGAGEMENT UND IDEEN GEFRAGT<br />
Die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg<br />
und die Krankenkassen locken<br />
mit bis zu 50.000 Euro je Niederlassung.<br />
Finanzielle Anreize sind das eine, doch<br />
immer noch fehlen 123 Ärzte auf dem<br />
Land. Lösungen, bei denen die Telemedizin<br />
eine große Rolle spielt, sind die<br />
zukunftsweisende Antwort. Und sie sind<br />
bereits vorhanden: Im September startete<br />
zum Beispiel mit dem Carl-Thiem-<br />
Klinikum Cottbus und dem Städtischen<br />
Klinikum Brandenburg/Havel das erste<br />
flächendeckende Netzwerk zur Versorgung<br />
von kardiologischen Hochrisikopatienten.<br />
Auch Brandenburgs Gesundheitsministerin<br />
Anita Tack ist überzeugt, dass<br />
es bereits viele innovative Modelle gibt.<br />
»Für Brandenburg ist es existentiell,<br />
Fachkräfte zu halten und zu gewinnen«<br />
erklärt sie. Damit es noch mehr werden,<br />
startete Ende Oktober der gemeinsam<br />
von Wirtschafts- und Gesundheitsministerium<br />
ausgelobte Ideenwettbewerb<br />
»ProVIEL«. Gesucht werden bis Februar<br />
2012 innovative und marktgerechte Gesundheitsdienste<br />
kleiner und mittelständischer<br />
Unternehmen, die mit Krankenhäusern,<br />
Reha-Kliniken oder Ärzten die<br />
Patientenversorgung verbessern, den<br />
Ressourceneinsatz optimieren und die<br />
Gesundheitskosten senken.<br />
Es gibt sie also, die Lösungsansätze.<br />
Wenn dann noch die Rahmenbedingungen<br />
stimmen und alle Akteure an einem<br />
Strang ziehen, wird der Wachstumsmotor<br />
Gesundheitswirtschaft in der Region<br />
Berlin-Brandenburg nicht besorgniserregend<br />
ins Stottern geraten.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 37
W&M-EXTRA<br />
Demografischer Wandel und die Folgen<br />
Attraktive Bedingungen schaffen<br />
Anita Tack (Die LINKE), Ministerin für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz<br />
des Landes Brandenburg, über die Fachkräftesituation in der Gesundheitsbranche<br />
W&M: Frau Ministerin, Brandenburg und<br />
Berlin wollen sich an die Spitze der Gesundheitsregionen<br />
setzen. Was kann die Politik<br />
tun, um den Fachkräftebedarf zu decken?<br />
TACK: Das Thema Fachkräfte nimmt im<br />
Masterplan »Gesundheitsregion Berlin-<br />
Brandenburg« einen wichtigen Platz ein.<br />
Und die »Beschäftigtenstrukturanalyse<br />
der Berlin-Brandenburger Gesundheitswirtschaft«<br />
– sie wurde von HealthCapital<br />
und der LASA Brandenburg GmbH im<br />
vergangenem Jahr veröffentlicht – zeigt<br />
uns genau den zukünftigen Bedarf an<br />
Fachkräften auf, insbesondere im Bereich<br />
Pflege. Die Ergebnisse und die<br />
Handlungsempfehlungen sind fester Bestandteil<br />
unserer Arbeit. Wir haben zudem<br />
ein ganzes Bündel von Maßnahmen<br />
ergriffen, um Ärzten attraktive Bedingungen<br />
in Brandenburg zu bieten: Von<br />
gemeinsamen Veranstaltungen mit der<br />
Charité, in denen wir Medizinstudierende<br />
für Brandenburg interessieren wollen,<br />
über Weiterbildungspakete »aus einer<br />
Hand« für künftige Hausärzte sowie<br />
Sicherstellungszuschläge, Umsatzgarantien<br />
und zukunftsweisende Unterstützungsmodelle<br />
(AGNES und AGNES zwei)<br />
bis hin zu unserem gemeinsamen Webportal<br />
www.arzt-in-brandenburg.de, das<br />
alles Wissenswerte schnell und kompetent<br />
zur Verfügung stellt. Verweisen<br />
möchte ich auch auf den aktuellen<br />
Ideenwettbewerb ProVIEL. Das Wirtschafts-<br />
und das Gesundheitsministerium<br />
des Landes Brandenburg haben gemeinsam<br />
Ende Oktober einen Ideenwettbewerb<br />
ausgelobt, in dem innovative<br />
Dienstleistungen zur ambulanten und<br />
stationären Patientenversorgung unter<br />
Einsatz neuester Technologien gesucht<br />
werden. Die Zusammenarbeit von Ärzten,<br />
den Pflegeberufen und den anderen<br />
Gesundheitsfachberufen muss sich weiter<br />
verbessern. In einem System integrierter<br />
Versorgung werden sich innovative<br />
Dienstleistungen positiv auswirken.<br />
W&M: Wie stellen sich die Brandenburger Gesundheitsunternehmen<br />
den Herausforderungen<br />
des demografischen Wandels?<br />
TACK: Hier gibt es regionale Unterschiede.<br />
Und leider ist das Problembewusstsein<br />
dafür auch sehr unterschiedlich entwickelt.<br />
So ist der Pflegekräfte- und Ärztemangel<br />
in vielen ländlichen Regionen<br />
schon heute ein Thema. Wenn Unternehmen<br />
selbst betroffen sind, wenn sie zum<br />
Beispiel einen hohen Anteil älterer Mitarbeiter<br />
haben oder vergeblich nach Azubis<br />
suchen, erst dann machen sie sich<br />
darüber Gedanken. Hier brauchen wir<br />
ein Umdenken. Infolge der Alterung der<br />
Belegschaften werden die Unternehmen<br />
zukünftig verstärkt auch ältere Mitarbeiter<br />
beschäftigen und sich um den Ersatz<br />
für ausscheidende Mitarbeiter stärker<br />
bemühen müssen. Ansätze hierzu gibt es<br />
bereits, so Maßnahmen, die die Arbeitsbelastung<br />
vermindern helfen oder dazu<br />
beitragen, dass Beschäftigte länger leistungsfähig<br />
bleiben, aber auch Anstrengungen<br />
zur besseren Vereinbarkeit von<br />
Familie und Beruf. Best practice Modelle<br />
werden kommuniziert und nachgefragt.<br />
W&M: In welchen Berufen und Branchensegmenten<br />
rechnen Sie mit dem größten Bedarf<br />
an qualifiziertem Personal?<br />
TACK: In keiner anderen Branche Berlin-<br />
Brandenburgs wird der aktuelle und der<br />
zu erwartende Fachkräftebedarf so hoch<br />
ausfallen wie in der Gesundheitswirtschaft.<br />
Die Zahl der Beschäftigten wird<br />
in den Krankenhäusern, den Einrichtungen<br />
des Sozialwesens, den Praxen und<br />
auch in Forschung und Entwicklung steigen.<br />
Gerade als Gesundheitsministerin<br />
gilt mein Augenmerk natürlich der Sicherstellung<br />
der gesundheitlichen Versorgung,<br />
der ich mich verpflichtet sehe.<br />
W&M: Was macht für junge Leute eine Karriere<br />
in der Gesundheitsbranche attraktiv?<br />
TACK: Wer hier einsteigt, setzt eigentlich<br />
auf eine sichere Bank, denn die Gesundheitswirtschaft<br />
ist weniger konjunkturabhängig<br />
als andere Branchen. Die Nachfrage<br />
nach Arbeitskräften ist groß und<br />
wird weiter steigen. Und durch den<br />
wachsenden Wettbewerb um die zukünftig<br />
zur Verfügung stehenden Beschäftigten<br />
werden sich auch die Rahmenbedingungen<br />
in der Branche verbessern.<br />
W&M: Welche Bedeutung hat die Gesundheitswirtschaft<br />
für den gesamten Arbeitsmarkt<br />
in Brandenburg?<br />
TACK: Die Gesundheitswirtschaft ist für<br />
die Entwicklung des Berlin-Brandenburger<br />
Arbeitsmarkts von herausragender<br />
Bedeutung. Sie zeichnet sich seit Jahren<br />
durch ein überdurchschnittliches<br />
Wachstum aus und unterliegt, wie bereits<br />
erwähnt, auch deutlich weniger als<br />
andere Wirtschaftszweige konjunkturellen<br />
Schwankungen. Aufgrund des wachsenden<br />
Anteils älterer Menschen an der<br />
Bevölkerung ist eine weitere Zunahme<br />
der Leistungen dieses personalintensiven<br />
Wirtschaftszweiges zu erwarten. Arbeitsmarktstrukturdaten<br />
zeigen: Die Gefahr<br />
ist groß, dass Beschäftigungsmöglichkeiten<br />
mittelfristig ungenutzt bleiben und<br />
die Branchenentwicklung aufgrund fehlenden<br />
Fachpersonals ins Stocken gerät.<br />
Hier müssen alle aktiv zusammenarbeiten,<br />
Betriebe, Gesundheitspolitik, aber<br />
auch Verbände und Netzwerke.<br />
W&M: Ist die Telemedizin geeignet, Engpässe<br />
zu überbrücken, die sich besonders in einem<br />
Flächenland wie Brandenburg auftun?<br />
TACK: Das ist sie in der Tat. Zukünftig<br />
werden Hausärzte ihre Patienten neben<br />
der Sprechstunde auch telemedizinisch<br />
betreuen. Die nicht-ärztlichen Praxisassistentinnen<br />
– wie die aus den AGNES-<br />
Modellprojekten hervorgegangene »Gemeindeschwester«<br />
jetzt bezeichnet wird<br />
– nutzen die digitale Verbindung, um bei<br />
Hausbesuchen gewonnene Daten und Informationen<br />
an den Hausarzt zu übermitteln.<br />
Die Verbesserung der hausärztlichen<br />
Versorgung und die stärkere Vernetzung<br />
zwischen den Krankenhäusern<br />
mittels Telemedizin ist auch ein Standortargument.<br />
So steigt die Attraktivität<br />
Berlin-Brandenburgs als Standort für Medizintechnik,<br />
die internationale Wettbewerbsfähigkeit<br />
wird verbessert.<br />
38 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
GESUNDHEITSWIRTSCHAFT BERLIN-BRANDENBURG<br />
Schulen, Bildungswerke, Akademien<br />
Orte lebenslangen Lernens<br />
Sechzig verschiedene Berufe in den Bereichen Pflege und Therapie, kaufmännische Verwaltung,<br />
Technik und Handwerk sowie Wellness, Tourismus und Handel nennt der von Health Capital<br />
herausgegebene Ausbildungsatlas »Gesundheit in Berlin und Brandenburg«.<br />
Wir stellen fünf von etwa 130 Aus- und Weiterbildungsstätten vor.<br />
PRENZLAU<br />
Auf festen Füßen<br />
Die Medizinische Schule Uckermark<br />
e.V. bildet auch Podologen aus.<br />
Seit 1956 werden in Prenzlau professionelle<br />
Pflegekräfte ausgebildet, zunächst<br />
im klassischen Beruf der Krankenpflege.<br />
Heute ist die Medizinische Schule Uckermark<br />
eine staatlich anerkannte Schule<br />
für Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits-<br />
und Krankenpfleghilfe sowie<br />
Altenpflege.<br />
Und ein weiterer, sehr gefragter medizinischer<br />
Beruf wird dort in zweijähriger<br />
Ausbildung gelehrt: Die Medizinische<br />
Schule Uckermark ist die einzige staatlich<br />
anerkannte Einrichtung im Land<br />
Brandenburg, in der Podologen ausgebildet<br />
werden. Zwei Klassen haben die Schule<br />
gerade absolviert, eine neue gibt es<br />
derzeit nicht. »Leider«, sagt Ilona Thiedig,<br />
die stellvertretende Schulleiterin.<br />
»Es gab Anfragen, aber zu wenige, um die<br />
vorgeschriebene Klassenstärke von mindestens<br />
15 Schülern zu erreichen.« Podologen<br />
werden in der Praxis dringend<br />
benötigt, doch oft scheitert eine Ausbildung<br />
an der Finanzierung. Podologische<br />
Praxen stellen lieber fertig ausgebildete<br />
Mitarbeiter ein, statt sich den Nachwuchs<br />
selbst heranzuziehen. Die Ausbildung<br />
hat einen hohen Theorieanteil, die<br />
Schüler stehen für die praktische Arbeit<br />
im Ausbildungsbetrieb nicht oft zur Verfügung.<br />
»Podologen brauchen umfangreiches<br />
Expertenwissen, zum Beispiel auf orthopädischem<br />
und dermatologischem<br />
Gebiet«, sagt Ilona Thiedig, »Ihr Aufgabenbereich<br />
geht weit über kosmetische<br />
Maßnahmen hinaus. Sie behandeln auf<br />
ärztliches Rezept, beispielsweise die<br />
Fußleiden von Diabetikern oder Nierenpatienten.<br />
Sie fertigen auch selbständig<br />
Orthesen zur Korrektur von Fehlstellungen<br />
an.«<br />
15 Lehrkräfte, durch die Bank Frauen,<br />
bilden derzeit etwa 300 Schüler, die<br />
meisten weiblich, zu Gesundheits- und<br />
Kranken- sowie Altenpflegern aus. Außerdem<br />
gibt es ein anspruchsvolles Fortund<br />
Weiterbildungsprogramm.<br />
Um Enttäuschungen vorzubeugen,<br />
können sich Interessenten bei regelmäßigen<br />
Informationsveranstaltungen ein<br />
detailliertes Bild von ihrem angestrebten<br />
Beruf machen und bei Eignungstests<br />
oder vorschulischen Praktika prüfen lassen.<br />
Und sich selbst genau prüfen – die<br />
Motivation muss für ein langes, oft strapaziöses<br />
Berufsleben reichen.<br />
Alle Absolventen des Jahrgangs 2011<br />
konnten, nach bestandenen Prüfungen,<br />
als examinierte Fachkräfte voll in den Arbeitsprozess<br />
einsteigen.<br />
DIE SCHULE für Gesundheitsberufe Ernst von Bergmann, Potsdam, bildet Pflegefachkräfte aus.<br />
POTSDAM<br />
Gut motiviert<br />
Das Brandenburgische Bildungswerk<br />
für Medizin und Soziales e.V. vermittelt<br />
moderne Handlungskompetenz.<br />
»Wir wollen, dass Sie etwas können,<br />
wenn Sie dürfen oder müssen.« So heißt<br />
der Leitspruch des Brandenburgischen<br />
Bildungswerks für Medizin und Soziales<br />
(BBW) in Potsdam, das zu Beginn der<br />
1990er Jahre aus der Bezirksakademie<br />
des Gesundheits- und Sozialwesens hervorging.<br />
Etwas können: Gemäß der Satzung<br />
wird Berufseinsteigern und -aufsteigern<br />
Handlungskompetenz für den Arbeitsalltag<br />
vermittelt, praxisnah und auf der<br />
Höhe der Zeit. Doch es geht nicht allein<br />
um Fachwissen. Ebenso wichtig ist den<br />
Lehrkräften, dass ihre Schülerinnen und<br />
Schüler sich Tag für Tag aufs neue für<br />
ihre verantwortungsvollen Aufgaben<br />
und ein Leben lang fürs Weiterlernen<br />
motivieren.<br />
Christoph Ritscher, einer der beiden<br />
bestellten Geschäftsführer, sieht eine besondere<br />
Stärke des Bildungswerks in der<br />
engen Verzahnung von Theorie und Praxis.<br />
Er legt Wert darauf, dass die mehr<br />
als 200 Dozentinnen und Dozenten fest<br />
im praktischen Berufsleben verwurzelt<br />
sind: »Da kommt der Notarzt direkt nach<br />
seinem Dienst in die Klasse, um angehende<br />
Rettungsassistenten zu unterrichten.«<br />
Auch in den Fachkabinetten, für Sterilisationsassistenz<br />
oder für Pflege etwa,<br />
wird für den Berufsalltag trainiert. Und<br />
für den Ernstfall. »Im Rettungs-Simulations-Kabinett«,<br />
sagt Ritscher, »wird<br />
nicht <strong>nur</strong> die stabile Seitenlage geübt. Da<br />
geht es richtig zur Sache, es wird Druck<br />
erzeugt, Stress aufgebaut. Die Schüler<br />
müssen lernen, damit umzugehen.«<br />
Gerade wegen der engen Verbindung<br />
von Theorie und Praxis haben zahlreiche<br />
Brandenburger und Berliner Gesundheits-<br />
und Sozialeinrichtungen Kooperationsverträge<br />
mit dem Bildungswerk<br />
abgeschlossen, um dort ihr Fachpersonal<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 39
W&M-EXTRA<br />
aus-, weiter- und fortbilden zu lassen –<br />
zum Beispiel Angehörige der Krankenpflegeberufe<br />
in der Anästhesie- und Intensivpflege,<br />
in den operativen Diensten,<br />
der Onkologie und der Kinder- und Jugendpsychiatrie.<br />
In der Erstausbildung<br />
sind die Operationstechnische Assistenz<br />
und die Heilerziehungspflege sehr gefragt.<br />
Für 2012 ist erstmals eine dreijährige<br />
Ausbildung in Anästhesietechnischer<br />
Assistenz geplant.<br />
Seit Jahren kooperiert das Bildungswerk<br />
mit dem Bildungszentrum der IHK<br />
Potsdam in der Aufstiegsfortbildung<br />
zum Fachwirt im Sozial- und Gesundheitswesen.<br />
Jüngst wurde die Zusammenarbeit<br />
mit der Steinbeis-Hochschule<br />
Berlin besiegelt: Erstmals wird Nachwuchsführungskräften<br />
aus dem Gesundheits-<br />
und Sozialbereich ein berufsbegleitendes<br />
Studium zum Bachelor of Arts in<br />
Business Administration angeboten.<br />
Das BBW gehört heute zu den führenden<br />
Bildungsanbietern für Gesundheitsund<br />
Sozialberufe nicht <strong>nur</strong> in Berlin und<br />
Brandenburg, sondern – vor allem in der<br />
Fach- und Sachkundeausbildung für Sterilgutversorgung<br />
– auch bundesweit.<br />
NEURUPPIN<br />
Türen öffnen<br />
Eine Stärke der AGUS/GADAT Weiterbildungsakademie<br />
liegt in der Qualifizierung<br />
von Pflegefachkräften.<br />
Tänze im Sitzen für Menschen mit Demenz.<br />
Biographisches Arbeiten mit gerontopsychiatrisch<br />
erkrankten Menschen.<br />
Türöffnendes Verhalten bei Men-<br />
GELERNTwird zunächst am Modell.<br />
schen mit Demenz. Beratung und Zusammenarbeit<br />
mit Angehörigen. Umgang<br />
mit aggressivem Verhalten. Der<br />
heilsame Einsatz von Märchen in der Arbeit<br />
mit Demenzerkrankten.<br />
Viele Fortbildungsangebote der AGUS/<br />
GADAT Weiterbildungsakademie in Neuruppin<br />
lesen sich wie eine Reaktion auf<br />
die aktuelle Bertelsmann-Studie, die eine<br />
»Vergreisung« Brandenburgs und Berlins<br />
in den nächsten zwanzig Jahren prognostiziert.<br />
Danach wird bis zum Jahr 2030<br />
die Zahl der Hochbetagten in Berlin und<br />
Brandenburg im Vergleich zum Bundesgebiet<br />
besonders stark zunehmen. Doch<br />
Lehrgänge dieser Art gab es in Neuruppin<br />
schon zuvor.<br />
»Eine unserer Stärken ist seit eh und<br />
je die Fort- und Weiterbildung in der<br />
Pflege«, sagt Kajus Riese, der kommissarische<br />
Leiter der Weiterbildungsakademie.<br />
»Der steigende Bedarf ist seit längerer<br />
Zeit nicht zu übersehen. Immer mehr<br />
Menschen werden in Pflegeeinrichtungen<br />
betreut. Und gerade Demenz und Gerontopsychiatrie<br />
sind wichtige Themen.<br />
Die Lehrgänge, die wir dazu veranstalten,<br />
werden am stärksten nachgefragt.«<br />
Vor zehn Jahren hätten diese Themen in<br />
der Ausbildung noch keine so große Rolle<br />
gespielt, verschiedene moderne Betreuungskonzepte<br />
seien damals wenig<br />
bekannt gewesen. »Heute sind solche<br />
Konzepte fester Bestandteil der Ausbildung.<br />
Aber wer schon jahrelang in einem<br />
Pflegeberuf arbeitet, sollte sein Wissen<br />
nun auf den neuesten Stand bringen.«<br />
Einige der Fortbildungsangebote beschränken<br />
sich auf wenige Stunden oder<br />
Tage. Die AGUS/GADAT betreibt aber<br />
auch eine staatlich anerkannte Einrichtung<br />
zur Weiterbildung von Fachkräften<br />
für die gerontopsychiatrische Betreuung<br />
und Pflege – eine von wenigen im Land<br />
Brandenburg. Pflegefachkräfte und Heilerziehungspfleger,<br />
die über mindestens<br />
zwei Jahre Berufserfahrung verfügen,<br />
können sich dort in 720 Unterrichtsstunden<br />
zur Fachkraft für Gerontopsychiatrie<br />
qualifizieren.<br />
Hunderte Interessenten nehmen in jedem<br />
Jahr solche und andere Fort- und<br />
Weiterbildungsangebote der Akademie<br />
wahr. Sie kommen aus Gesundheits- und<br />
Sozialeinrichtungen der weiteren Neuruppiner<br />
Umgebung, aus der ambulanten<br />
Hauskrankenpflege, aus Seniorenstätten,<br />
Kindertagesstätten, der öffentlichen<br />
Verwaltung.<br />
Ein verzweigtes Netzwerk ermöglicht<br />
es der Akademie, freie Dozenten zu engagieren,<br />
die hauptberuflich in angesehenen<br />
Gesundheitseinrichtungen beschäftigt<br />
sind. »So betreut zum Beispiel eine<br />
Ergotherapeutin, die in zwei Seniorenheimen<br />
angestellt ist, einige unserer Kurse«,<br />
sagt Kajus Riese. »Durch Experten<br />
wie sie hat unser Fort- und Weiterbildungsprogramm<br />
einen starken Bezug<br />
zur Praxis. Darauf legen wir großen<br />
Wert.«<br />
POTSDAM<br />
Praxis im Team<br />
Das Klinikum Ernst von Bergmann<br />
betreibt eine renommierte Schule<br />
für Gesundheitsberufe.<br />
Zweimal im Jahr, im April und Oktober,<br />
beginnen an der Schule für Gesundheitsberufe<br />
neue Ausbildungsgänge. Ab<br />
Herbst 2012 ist eine Veränderung in der<br />
Ausbildung der Pflegeberufe geplant. Die<br />
derzeit noch getrennten Ausbildungsgänge<br />
der Gesundheits- und Krankenpflege<br />
sowie der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege<br />
werden Y-förmig zusammengeführt:<br />
Eine zweijährige<br />
gemeinsame pflegerische Grundlagenausbildung<br />
führt im dritten Jahr in die<br />
jeweilige Spezialisierung. Mit dem Ende<br />
der Ausbildung haben die Absolventen<br />
den »traditionellen« Abschluss als Gesundheits-<br />
und Krankenpfleger oder als<br />
Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger.<br />
Sabine Mallißa, die Leiterin des Ausbildungsbereichs,<br />
hält die Veränderungen<br />
für zeitgemäß: »Die Gemeinsamkeiten<br />
beider Berufe sind stärker als die Unterschiede.<br />
Die jeweilige Berufsspezifik<br />
bleibt natürlich erhalten. Denn Kinder<br />
sind nun mal keine kleinen Erwachsenen,<br />
sondern haben ganz eigene Bedürfnisse.<br />
Der erwachsene Patient mit seinen<br />
Erkrankungen wird in der Ausbildung<br />
gleichermaßen berücksichtigt.«<br />
Insgesamt erlernen an der Schule derzeit<br />
275 junge Menschen einen Pflegeberuf.<br />
Und noch, sagt Sabine Mallißa, könne<br />
die Schule unter sehr guten Bewerbern<br />
auswählen, die sich für die<br />
Ausbildung an der renommierten Einrichtung<br />
und den mit ihr kooperierenden<br />
Kliniken in Nauen, Rathenow, Hennigsdorf,<br />
Oranienburg, Birkenwerder,<br />
Potsdam, Ludwigsfelde und Schwedt interessieren.<br />
Doch gerade die guten Bewerber<br />
können sich ihrerseits aussuchen,<br />
wo sie lernen oder später arbeiten<br />
möchten. Immer stärker spielen auch die<br />
Höhe der Ausbildungsvergütung und des<br />
künftigen Gehalts eine Rolle.<br />
Die durch die geburtenschwachen<br />
Jahrgänge verursachten Probleme sieht<br />
Sabine Mallißa auch auf ihre Schule zukommen.<br />
Bei der Bewerberzahl für den<br />
zweiten Bereich der Ausbildung, die Medizinisch-technischen<br />
Assistenzberufe,<br />
zeichnen sie sich bereits ab. »Im Gegensatz<br />
zur dualen Ausbildung in den<br />
Pflegeberufen gibt es für die rein schulische<br />
Ausbildung zum Laboratoriumsoder<br />
Radiologieassistenten keine Ausbildungsvergütung.<br />
Da müssen die Eltern<br />
in die Zukunft ihrer Kinder investieren,<br />
40 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
GESUNDHEITSWIRTSCHAFT BERLIN-BRANDENBURG<br />
MODERN<br />
AUSGESTATTET<br />
sind die Lehrkabinette<br />
für den<br />
theoretischen<br />
Unterricht.<br />
Fotos: Klinikum Ernst von Bergmann, AGUS/GADAT<br />
und das kann sich nicht jede Familie leisten.«<br />
Die Ausbildungskapazität für Assistenzberufe<br />
beträgt 120 Plätze.<br />
Durch die enge Verbindung zum Klinikum<br />
Ernst von Bergmann gestaltet sich<br />
die Ausbildung sehr praxisnah. Auch die<br />
Kooperation mit dem Brandenburgischen<br />
Bildungswerk für Medizin und Soziales<br />
bei der Ausbildung Operationstechnischer<br />
Assistentinnen und Assistenten<br />
profitiert davon. Die Schule für<br />
Gesundheitsberufe verfügt über sehr modern<br />
ausgestattete Laboratoriums- und<br />
Röntgenkabinette. Und im Computerkabinett<br />
werden nicht <strong>nur</strong> die Medizinischtechnischen<br />
Assistenten unterrichtet,<br />
sondern auch die zukünftigen Pflegefachkräfte.<br />
»Wir sind dabei, die beiden<br />
Bereiche enger zu verknüpfen«, sagt die<br />
Schulleiterin. »In den Kliniken wird<br />
schließlich auch im Team gearbeitet.«<br />
BERLIN/BRANDENBURG<br />
Telemedizin<br />
Die Akademie der Gesundheit<br />
Berlin/Brandenburg e.V. ist an drei<br />
Standorten aktiv.<br />
»Die Länder Berlin und Brandenburg bilden<br />
in der Gesundheitsbranche eine Einheit«,<br />
sagt Jens Reinwardt. »Deshalb finde<br />
ich es ganz selbstverständlich, dass<br />
unsere Akademie Standorte in diesen<br />
Bundesländern hat, nämlich in Berlin-<br />
Buch, in Eberswalde und in Bad Saarow.«<br />
Reinwardt ist Geschäftsführer und Leiter<br />
der Akademie der Gesundheit Berlin/<br />
Brandenburg e. V., einer der größten privaten<br />
staatlich anerkannten Bildungseinrichtungen<br />
für pflegerische, therapeutische<br />
und medizintechnische Gesundheitsberufe<br />
in Deutschland, die sich<br />
als Zentrum für lebenslanges Lernen versteht.<br />
In zwölf Ausbildungsberufen, darunter<br />
Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits-<br />
und Kinderkrankenpflege, Altenpflege,<br />
Masseur/medizinischer Bademeister,<br />
Ergo- und Physiotherapie,<br />
Operationstechnische Assistenz, Medizinisch-<br />
technische Radiologie-, Laboratoriums-<br />
und Funktionsdiagnostische Assistenz,<br />
werden dort junge Menschen ausgebildet.<br />
Dazu kommt ein vielfältiges Angebot<br />
für die fachspezifischen Weiterbildungen.<br />
Fortbildungsseminare werden auf<br />
Wunsch »mobil« auch direkt in medizinischen<br />
oder sozialen Einrichtungen<br />
durchgeführt.<br />
Seit knapp zwei Jahren bietet die Akademie<br />
als Studienzentrum der Steinbeis-<br />
Hochschule Berlin außerdem die Möglichkeit<br />
eines berufsbegleitenden Studiums.<br />
Der Bachelor-Studiengang ist auf<br />
das Management im Gesundheits- und<br />
Sozialwesen ausgerichtet.<br />
Das jüngste Vorhaben beschäftigt sich<br />
mit einem neuen Zweig der Medizin –<br />
der Telemedizin. Es wird vom Bundesministerium<br />
für Bildung und Forschung gefördert.<br />
Die Akademie der Gesundheit Berlin/Brandenburg<br />
ist einer von vielen nationalen<br />
Partnern dieses Projekts. Sie soll<br />
vor allem zur Vorbereitung von Weiterbildungsangeboten<br />
und Zusatzqualifikationen<br />
beitragen, damit telemedizinische<br />
Konzepte erfolgreich in die Regelversorgung<br />
überführt werden können.<br />
»In einem ersten Schritt«, sagt Reinwardt,<br />
»werden Anwendungsmöglichkeiten<br />
von Telemedizin erfragt und Anpassungen<br />
der Rahmenqualifikationen an<br />
die bestehende telemedizinische Gerätenutzung<br />
vorgenommen. Experten der<br />
mit uns kooperierenden Gesundheitsund<br />
Sozialeinrichtungen werden dazu<br />
befragt. Bereits jetzt kristallisiert sich<br />
heraus, dass in den Fachgebieten Onkologie,<br />
Intensivtherapie und Nephrologie<br />
denkbare Einsatzgebiete liegen könnten<br />
– gerade in Flächenländern, zu denen<br />
Brandenburg bekanntlich zählt.«<br />
Noch stünden sie am Anfang der Befragungen,<br />
so Jens Reinwardt. Vorbehalte,<br />
dass gerade ältere Patienten mit telemedizinischer<br />
Betreuung, vor allem mit<br />
der Handhabung der notwendigen Technik,<br />
überfordert sein könnten, hält er für<br />
unbegründet: »Es tut den Menschen gut,<br />
aktiv Verantwortung für ihre Gesundheit<br />
zu übernehmen, statt sich <strong>nur</strong> passiv behandeln<br />
zu lassen.«<br />
Im Frühjahr 2012 soll eine erste Pilotphase<br />
des Projekts starten.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 41
W&M-EXTRA<br />
Fotos: PictureDisk<br />
Beruf mit Tradition und Zukunft<br />
Pflege im Wandel<br />
Mit rund 712.000 Beschäftigten stellen die Gesundheits- und Krankenpfleger die größte Gruppe<br />
unter den Gesundheitsdienstberufen. Der Bedarf steigt, doch wie steht es um Ausbildung,<br />
Arbeitsbedingungen und Perspektiven?<br />
Florence Nightingale, Begründerin<br />
der modernen Krankenpflege, opferte<br />
sich für ihre Patienten auf –<br />
und war stets bereit zu einem aufmunternden<br />
Gespräch. Die Realität 2012 in<br />
Krankenhäusern, ambulanten oder (teil-)<br />
stationären Pflegeeinrichtungen sieht<br />
anders aus: Personalmangel, anstrengender<br />
Schichtdienst, kaum Zeit für ein<br />
Wort. Und dazu eine Vergütung, die der<br />
Verantwortung wenig gerecht wird.<br />
Auch wenn von 1995 bis 2008 die Zahl<br />
der Absolventen von 16.651 auf 13.889<br />
sank: Die Ausbildung ist gefragt. Rund<br />
750 Bewerbungen auf 80 Plätze erhielt<br />
die Gesundheitsakademie der Berliner<br />
Charité im Oktober 2011, meist von Frauen.<br />
Auch heute noch ist <strong>nur</strong> jede zehnte<br />
Fachkraft männlich.<br />
Was treibt junge Menschen an, solch<br />
eine Ausbildung zu beginnen? Arbeitsplatzsicherheit<br />
allein kann es nicht sein,<br />
auch wenn der Beruf zu jenen mit den<br />
besten Zukunftsaussichten gehört. Also<br />
der Wunsch, kranke und pflegebedürftige<br />
Menschen zu betreuen? In der Tat,<br />
auch heute noch motiviert die Aussicht<br />
auf eine sinnvolle Aufgabe dazu, die dreijährige<br />
Ausbildung an einer Berufsfachschule<br />
nebst zahlreichen Praktika zu absolvieren.<br />
Hinzu kommen die Bandbreite<br />
interessanter Aufgaben sowie vielfältige<br />
Qualifizierungsmöglichkeiten.<br />
Spezialisierungswege reichen von der<br />
Hygienefachkraft oder Study-Nurse über<br />
den Case Manager und die Public Health<br />
Nurse bis hin zur Familien- oder Schulgesundheitspflege.<br />
Chancen zum Aufstieg<br />
bietet unter anderem der Fachwirt im<br />
Sozial- und Gesundheitswesen. Magdalena<br />
Rösch, Leiterin des Bereichs Gesundheit<br />
und Krankenpflege an der Gesundheitsakademie<br />
der Charité, sieht darüber<br />
hinaus eine zunehmende Akademisierung<br />
des Berufs: »Gemeinsam mit der<br />
Evangelischen Hochschule Berlin bieten<br />
wir einen Bachelor in Pflege an.«<br />
Doch nicht selten steigen Fachkräfte<br />
vor Ende ihres Arbeitslebens aus. Zu<br />
hoch ist die seelische und körperliche Belastung.<br />
Laut Statistischem Bundesamt<br />
verblieben 2005 <strong>nur</strong> rund drei Viertel aller<br />
Gesundheits- und Krankenpflegekräfte<br />
in ihrem Beruf. Zugleich sank der<br />
Anteil an Vollzeitkräften. Jede vierte Gesundheits-<br />
und Krankenpflegekraft in<br />
den Brandenburger Krankenhäusern arbeitete<br />
2009 Teilzeit. Oft, so Johanna<br />
Knüppel, Pressereferentin des Deutschen<br />
Bundesverbandes für Pflege (DBfK), sei<br />
dies der <strong>Einstieg</strong> in den Ausstieg. Sie<br />
spricht sogar von »Berufsflucht«. So<br />
klafft die Schere zwischen Angebot und<br />
Nachfrage immer weiter auseinander.<br />
Ein neues Gesetz brachte 2004 die Erweiterung<br />
des traditionellen Berufsbildes<br />
um gesundheitsorientierte Aspekte wie<br />
Pflegeberatung, -überleitung und -prävention.<br />
Heute sind die Meinungen über<br />
den Erfolg geteilt. Während die Mehrzahl<br />
der Krankenhäuser konkrete Qualifikationssteigerungen<br />
sieht, schätzen<br />
Pflegeschulen den Nutzen eher gering<br />
KINDER brauchen spezielle Pflege.<br />
DIE NACHFOLGER von Florence Nightingale üben einen anspruchsvollen Beruf aus.<br />
ein. Im medizinischen Alltag sei zu wenig<br />
Zeit, die angestrebten Inhalte umzusetzen.<br />
Einigkeit besteht darin, dass die Rahmenbedingungen<br />
für die Gesundheitsund<br />
Krankenpflege attraktiver gestaltet<br />
werden müssen. »Wichtig ist eine leistungs-<br />
und verantwortungsgerechte Vergütung«,<br />
so Johanna Knüppel vom DBfK.<br />
Der hohe Frauenanteil erfordert flexible<br />
Arbeitszeiten. Ein Forschungsteam der<br />
TU Berlin will mit einer internationalen<br />
Studie Ursachen und Folgen der Arbeitssituation<br />
aufzeigen. Wenn künftig Faktoren<br />
wie Mitarbeiterzufriedenheit in<br />
die Einsatzplanung einfließen, wird dies<br />
einen positiven Einfluss auf die Qualität<br />
der Patientenversorgung haben. Dann ist<br />
das Beispiel Florence Nightingales doch<br />
nicht mehr so weit entfernt von dem,<br />
was den Beruf der Gesundheits- und<br />
Krankenpflege heute ausmacht.<br />
42 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
SPECIAL<br />
Sonderveröffentlichung<br />
Vorgestellt: German Technologies Center e.V.<br />
Mittelstand goes Asia<br />
Immer mehr deutsche Unternehmen verstärken ihre Präsenz in den<br />
asiatischen Staaten, insbesondere in der Volksrepublik China.<br />
Dieser Trend lässt sich nicht <strong>nur</strong> bei Großunternehmen<br />
beobachten, sondern spielt inzwischen auch im Mittelstand eine<br />
wichtige Rolle. Genau diese mittelgroßen Unternehmen haben ungefähr 90%<br />
der Technologien aus Deutschland in der Hand.<br />
Die chinesischen Märkte zeichnen sich durch ein<br />
enormes Potential und ein rasantes Wachstum<br />
aus. Sie sind noch weit von einer Sättigung<br />
entfernt. Offiziellen Angaben zufolge erwirtschafteten<br />
die staatseigenen und großen privaten<br />
Unternehmen im Land bislang einen Gewinn in<br />
Höhe von 2,8 Billionen RMB. Gegenüber dem<br />
Vorjahreszeitraum bedeutet dies ein Wachstum<br />
von28,3Prozent.ChinaistfünftgrößterInvestor<br />
weltweit. In 2010 sind Chinas direkte Auslandsinvestitionen<br />
auf 67,8 Milliarden US-Dollar gestiegen.<br />
Das waren über 40 Prozent mehr als im<br />
Vorjahr und der Trend hält an.<br />
SCHWERPUNKTBRANCHEN<br />
Beispiel Umwelttechnologie & Energiewirtschaft:<br />
Um ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu<br />
erreichen, setzt die chinesische Regierung zunehmend<br />
auf „Grüne Technologien“, womit die<br />
Themen Energieeffizienz und -einsparung in der<br />
bilateralen Kooperation an Bedeutung gewonnen<br />
haben. Deutschland ist aufgrund seiner Vorreiterrolle<br />
und reichen Erfahrung bei der Nutzung<br />
der Wind- und Solarenergie ein sehr gefragter<br />
Gesprächs- und Wirtschaftspartner. Eine Vernetzung<br />
zwischen den Experten und Unternehmen<br />
beider Länder soll dies voranbringen.<br />
Beispiel Nukleare Sicherheit und Katastrophenschutz:<br />
China sieht sich permanent von geologischen<br />
Katastrophen bedroht. Laut offiziellen<br />
Angaben haben sich seit 1998 mehr als 320.000<br />
geologische Katastrophen in China ereignet, in<br />
deren Folge 14.000 Personen ihr Leben verloren.<br />
Die entstandenen wirtschaftlichen Schäden<br />
beliefen sich auf über 60 Milliarden RMB. Um<br />
dieser Situation entgegenzuwirken, hat der chinesische<br />
Staatsrat das Ziel formuliert, bis 2020 die<br />
Risiken gravierender geologischer Katastrophen<br />
weitgehend zu beseitigen und die durch Katastrophen<br />
verursachten Sachschäden und Todesfälle<br />
zu minimieren.<br />
KULTURELLE UNTERSCHIEDE<br />
Viele mittelständische Unternehmen wollen das<br />
Potenzial nutzen, das ein Engagement in China<br />
verspricht. Die Orientierung im chinesischen<br />
Markt jedoch offenbart viele Hürden. Geschäftsanbahnungen<br />
erfolgen in China fast ausschließlich<br />
über persönliche Kontakte, die intensiv<br />
gepflegtwerdenmüssen.Dabeiistesvonbesonderer<br />
Bedeutung, die Hierarchien, Strukturen und<br />
Besonderheiten der chinesischen Unternehmen<br />
zu kennen – denn schließlich bieten sich westlichen<br />
Verhandlungspartnern eine vollkommen<br />
fremde Businesskultur, Wertvorstellungen und<br />
somit auch andere Verhandlungsmechanismen.<br />
So ist es wichtig, sich klarzumachen, dass in China<br />
emotionalen Aspekten mehr Bedeutung beigemessen<br />
wird, als rationalen Entscheidungen.<br />
Eine solide Vertrauensbasis und die Präsenz vor<br />
Ort sind für erfolgreiche Geschäftsbeziehungen<br />
im Reich der Mitte von zentraler Bedeutung.<br />
ERFOLGREICHER EINSTIEG<br />
Die bisherigen, zentralen Aktionen der IHK’s in<br />
Deutschland sind <strong>nur</strong> sehr wenig effektiv. Eine<br />
konkrete Hilfestellung für den erfolgreichen<br />
Markteinstieg in China bietet das German TechnologiesCentere.V..<br />
Der politisch unabhängige und geschäftsorientierte<br />
Verband ist für deutsche Technologieunternehmen<br />
eine zentrale Institution für die gegenseitige<br />
Aufnahme von Geschäftskontakten, das<br />
Suchen und Finden von Geschäftspartnern in<br />
beiden Ländern und einen effektiv gestalteten<br />
Technologietransfer. Das Interesse Chinas ist groß,<br />
mit deutschen Unternehmen unterschiedlichster<br />
Branchen noch schneller und besser zusammen<br />
zu arbeiten. Folgende Branchen bilden dabei den<br />
Schwerpunkt:<br />
– Sicherheit, Reaktor- und Katastrophenschutz<br />
– Umwelttechnologie und Energiewirtschaft<br />
– Industrieautomatisierung/Robotertechnik<br />
– Kommunikationstechnologie<br />
– Maschinen-, Fahrzeug- und Schiffsbau<br />
– Medizintechnologie<br />
Durch seine chinesischen Geschäftsstellen, u.a.<br />
in Peking und Shanghai, bietet das German Technologies<br />
Center zentrale Knotenpunkte, um<br />
Geschäftskontakte herzustellen, auszubauen und<br />
zu festigen. Die enge Zusammenarbeit des Verbandes<br />
mit chinesischen Branchenverbänden,<br />
Unternehmen, Technologie-Transferstellen und<br />
Universitäten geben zielorientierte Unterstützung<br />
für interessierte Technologieunternehmen aus<br />
Deutschland. Schulungen zu den Bedingungen<br />
auf dem chinesischen Markt, Vorbereitung von<br />
Kooperationsverträgen oder Infoveranstaltungen<br />
zu aktuellen Branchenthemen sind <strong>nur</strong> ein<br />
Ausschnitt des Serviceangebots des Verbandes.<br />
INFORMIEREN SIE SICH JETZT.<br />
Das German Technologies Center (GTC)<br />
fördert die Entwicklung von erfolgreichen<br />
Geschäftsbeziehungen zwischen deutschen, mittelständischen<br />
Unternehmen mit Unternehmen<br />
und Kooperationspartner in China.<br />
Weitere Informationen zur Mitgliedschaft im<br />
German Technologies Center e.V. finden Sie auf<br />
den Internetseiten www.german-technologiescenter.de/<br />
mitgliedschaft<br />
Dipl.-Ing. Ulf Stremmel<br />
Präsident des German Technologies Center e.V.<br />
Kontakt:<br />
German Technologies Center e.V.<br />
Geschäftsstelle Berlin<br />
Grünhofer Weg 18, D-13581 Berlin<br />
phone: +49303230630036<br />
fax: +49303230630010<br />
info[at]german-technologies-center.de
W&M-EXTRA<br />
TeleMedizinZentren betreuen Herzpatienten<br />
Netzwerk für mehr Lebensqualität<br />
Hochrisiko-Herzpatienten können im Land Brandenburg jetzt auch zu Hause qualifiziert und<br />
kontinuierlich betreut werden. Ein im Oktober eingeweihtes telemedizinisches Netzwerk verbindet sie<br />
mit Spezialisten, die ihren Gesundheitszustand rund um die Uhr unter ärztlicher Kontrolle haben.<br />
Es ist mit 1.300 Betten nicht <strong>nur</strong><br />
eine der größten Kliniken Deutschlands,<br />
sondern auch das leistungsfähigste<br />
Krankenhaus in Brandenburg<br />
und ein akademisches Lehrkrankenhaus<br />
der Berliner Charité: Das Carl-Thiem-<br />
Klinikum Cottbus (CTK) beschäftigt 2.300<br />
Mitarbeiter, darunter etwa 300 Ärzte und<br />
1.000 Pflegekräfte. Rund 100.000 Patienten<br />
werden dort jedes Jahr ambulant<br />
oder stationär behandelt. Seine 25 Fachkliniken<br />
und Institute decken fast das gesamte<br />
Spektrum medizinischer Indikationen<br />
ab.<br />
VIELE PARTNER – EIN ZIEL<br />
Im Oktober nahm eine weitere Einrichtung<br />
die Arbeit auf. Ihre Patienten werden<br />
künftig rund um die Uhr auch in<br />
großer Entfernung betreut: Das Tele-<br />
MedizinZentrum Lausitz am CTK bildet<br />
gemeinsam mit seinem Pendant am<br />
Städtischen Klinikum in Brandenburg/<br />
Havel, das bundesweit erste flächendeckende<br />
telemedizinische Netzwerk zur<br />
Versorgung von kardiologischen Hochund<br />
Höchstrisiko-Patienten. Bis zu 500<br />
Menschen, die an chronischer Herzschwäche<br />
mit fortgeschrittenem Schweregrad<br />
leiden, kann so künftig effektiver<br />
geholfen werden. Ihre Lebensqualität<br />
wird nicht zuletzt durch das beruhigende<br />
Gefühl gehoben, dass Spezialisten<br />
ihren Gesundheitszustand in jeder Minute<br />
unter Kontrolle haben.<br />
Für die Realisierung des gemeinsam<br />
mit der Berliner Charité entwickelten<br />
Versorgungsangebots installierten die<br />
Deutsche Telekom und die GETEMED Medizin-<br />
und Informationstechnik die technische<br />
Infrastruktur. Das erste umfassende<br />
telemedizinische Projekt im Rahmen<br />
der Patientenversorgung wurde mit 1,53<br />
Millionen Euro aus Bundes- und Landesmitteln<br />
gefördert. Es soll helfen, belastende<br />
Doppeluntersuchungen und teure<br />
Krankenhausaufenthalte zu vermeiden.<br />
Vor allem aber soll die Lebensqualität der<br />
Herzpatienten verbessert werden. Die<br />
AOK Nordost hat dazu mit den Kliniken<br />
einen Versorgungsvertrag geschlossen.<br />
»Mit diesem Telemedizin-Netzwerk ist<br />
Brandenburg Vorreiter und beweist eindrucksvoll,<br />
wie gemeinsames Engagement<br />
von Partnern aus Politik, dem Gesundheitsbereich<br />
und der Wirtschaft die<br />
gesundheitliche Versorgung der Menschen<br />
maßgeblich verbessern kann«, sagte<br />
Brandenburgs Gesundheitsministerin<br />
Anita Tack zur Eröffnung am 12. Oktober<br />
in Cottbus. »Vor allem die Hausärztliche<br />
Betreuung von Patientinnen und Patienten<br />
in ländlichen Regionen wird davon<br />
profitieren.«<br />
MIT MODERNEN GERÄTEN ausgestattet, kann der Herzpatient von zu Hause aus alle<br />
wesentlichen Gesundheitsdaten an das telemedizinische Zentrum übermitteln.<br />
TELEMEDIZIN<br />
Wie funktioniert<br />
die Betreuung?<br />
Die im Vorfeld über das neue Angebot<br />
informierten ambulanten Kardiologen<br />
und internistisch tätigen Hausärzte<br />
können infrage kommende Patienten für<br />
das Programm anmelden. Jeder Teilnehmer<br />
wird zu Hause mit modernen<br />
diagnostischen Geräten ausgestattet.<br />
Per Datenleitung liefern diese medizinisch<br />
relevante Informationen an eines der<br />
beiden TeleMedizinZentren in Cottbus<br />
und Brandenburg/Havel. Ärztliche Teams<br />
in 24-Stunden-Bereitschaft werten die<br />
Daten aus und informieren bei einem sich<br />
abzeichnenden kritischen Gesundheitszustand<br />
sowohl den Patienten als auch<br />
seinen behandelnden Arzt. Hausärzten<br />
und Kardiologen liegen somit regelmäßig<br />
und bereits vor dem Patientenbesuch<br />
alle wichtigen Diagnosedaten vor.<br />
Die intelligent vernetzten Endgeräte, zum<br />
Beispiel eine Waage und ein Blutdruckmessgerät,<br />
sind von den Patienten in ihrer<br />
häuslichen Umgebung einfach zu bedienen.<br />
Automatisch und kabellos werden<br />
alle ermittelten Werte direkt in die elektronische<br />
Patientenakte im TeleMedizin-<br />
Zentrum übertragen. Von einem telemedizinischen<br />
Arbeitsplatz aus lassen sich<br />
die Werte dann überwachen. Vitaldaten<br />
wie EKG, Gewicht, Blutdruck und Sauerstoffsättigung<br />
des Bluts sowie Angaben<br />
zu Befunden und zur Medikamenteneinnahme<br />
liefern den Spezialisten in den<br />
angeschlossenen Zentren wichtige Hinweise,<br />
um den Zustand des Patienten aus<br />
der Ferne einschätzen und bei Bedarf<br />
intervenieren zu können. Durch den engen<br />
Kontakt und die kontinuierliche Rückkopplung<br />
wird der Patient außerdem in das<br />
Geschehen eingebunden, statt sich hilflos<br />
ausgeliefert zu fühlen. Die Geräte für den<br />
häuslichen Bereich und die Software für<br />
die Analyse des EKG entwickelte das<br />
Teltower Unternehmen GETEMED. Die Telekom<br />
bindet mit ihrem telemedizinischen<br />
Arbeitsplatz die beiden Kliniken und die<br />
Hausärzte an und versorgt alle Beteiligten<br />
mit Telefon-, Internet- oder Mobilfunkverbindungen.<br />
Die Telekom stellt auch die<br />
elektronische Patientenakte bereit.<br />
44 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
GESUNDHEITSWIRTSCHAFT BERLIN-BRANDENBURG<br />
DIE<br />
PARTNER<br />
Wer engagiert sich<br />
im Netzwerk?<br />
Carl-Thiem-Klinikum Cottbus<br />
Mit 1.300 Betten, rund 300 Ärzten,<br />
1.000 Pflegekräften und 1.000 weiteren<br />
Mitarbeitern ist es das leistungsfähigste<br />
Krankenhaus im Land Brandenburg.<br />
Die meisten der jährlich etwa 100.000 Patienten,<br />
die dort ambulant oder stationär<br />
behandelt werden, kommen aus Südostbrandenburg,<br />
viele aber auch aus anderen<br />
Regionen des Landes sowie aus Ostsachsen<br />
und Berlin.<br />
Fotos: CTK/S. Ramisch<br />
BEIM START DES TELEMEDIZINZENTRUMS Lausitz in Cottbus: Brandenburgs<br />
Gesundheitsministerin Anita Tack (l.) und CTK-Geschäftsführerin Heidrun Grünewald.<br />
Frank Michalak, Vorstandsvorsitzender<br />
der AOK Nordost, erklärt: »In dem<br />
Projekt wird nun durch modernste Technik,<br />
ein umfassendes Know-how der<br />
beteiligten Partner und die enge Zusammenarbeit<br />
mit den niedergelassenen<br />
Kardiologen auch die ambulante telemedizinische<br />
Betreuung von Patienten mit<br />
hohem oder sehr hohem Risiko für eine<br />
chronische Herzinsuffizienz ermöglicht.«<br />
Mit den von der Gesundheitskasse<br />
bereits etablierten Betreuungsansätzen<br />
für Herzpatienten – von Chroniker-Angeboten<br />
(DMP) bis zu Patientenschulungsprogrammen<br />
– komplettiert das neue<br />
Netzwerk die medizinische Versorgung<br />
von Herz-Risikopatienten.<br />
VOLKSKRANKHEIT HERZINSUFFIZIENZ<br />
Herzinsuffizienz gehört mit geschätzten<br />
zwei bis drei Millionen Betroffenen zu<br />
den häufigsten internistischen Erkrankungen<br />
in Deutschland. Nach Angaben<br />
des Statistischen Bundesamts war sie<br />
2010 die dritthäufigste Todesursache<br />
und der zweithäufigste Anlass für eine<br />
stationäre Behandlung.<br />
»Für eine bessere Versorgung chronisch<br />
herzinsuffizienter Patienten insbesondere<br />
in strukturschwachen Regionen,<br />
wie es die unsrige ja ist, bietet diese Vernetzung<br />
neue weitreichende Möglichkeiten,<br />
zumal es sich erstmals um eine Regelversorgung<br />
handelt«, sagt Dr. Jürgen<br />
Krülls-Münch, Chefarzt der I. Medizinischen<br />
Klinik des CTK. »Die enge Kooperation<br />
mit den niedergelassenen Kollegen<br />
aus der Kardiologie und dem Hausarztbereich<br />
und vor allem mit dem Klinikum<br />
Brandenburg, wo ja bereits gute Erfahrungen<br />
vorliegen, bietet alle Voraussetzungen<br />
für eine qualitativ hochwertige<br />
Vernetzung im Interesse der Patienten.«<br />
Prof. Dr. med. Michael Oeff, Chefarzt<br />
am Städtischen Klinikum Brandenburg,<br />
freut sich, die flächendeckende Versorgung<br />
von Herzpatienten nun mit modernster<br />
Technologie fortsetzen zu können:<br />
»Die jetzt eingesetzte Technik eignet<br />
sich ja für eine Kommunikation auch<br />
über weite Strecken, so dass dem Patienten<br />
und seinen Angehörigen lange Fahrten<br />
in unserem Flächenland erspart bleiben.<br />
Beginnende Verschlechterungen<br />
können wir frühzeitig erkennen und<br />
dann gegensteuern.«<br />
Vorangegangene Forschungsprojekte<br />
in der Havelstadt zeigten, dass sich Krankenhauseinweisungen<br />
um bis zu elf<br />
Prozent und die Zahl der stationären Behandlungstage<br />
um bis zu 23 Prozent reduzieren<br />
lassen, wenn Patienten kontinuierlich<br />
telemedizinisch betreut werden.<br />
BLICK IN DIE ZUKUNFT<br />
Die Geschäftsführerin des Carl-Thiem-<br />
Klinikums Cottbus, Heidrun Grünewald,<br />
schaut voraus: »Die Mitwirkung am Telemedizin-Netz<br />
ist für unser Klinikum eine<br />
neue Herausforderung, der wir uns aus<br />
vielen Gründen gern stellen: Wir erweitern<br />
unsere Betreuungsmöglichkeiten<br />
zeitlich und räumlich über das Krankenhaus<br />
hinaus. Das fordert Mitarbeiter<br />
ebenso wie Technik, Krankenhausorganisation<br />
und Verwaltungsprozesse. Eine<br />
Herausforderung, die in die Zukunft<br />
reicht, denn wir denken schon weiter.<br />
Morgen werden vielleicht Risikoschwangere,<br />
Diabetiker, Schlaganfallpatienten<br />
und pflegebedürftige Menschen in virtuelle<br />
Betreuungsnetze eingebunden sein.<br />
Wir bereiten uns darauf vor.«<br />
Städtisches Klinikum<br />
Brandenburg<br />
Das Klinikum, ein akademisches Lehrkrankenhaus<br />
der Berliner Charité, erfüllt<br />
Aufgaben eines Krankenhauses der<br />
qualifizierten Regelversorgung für die<br />
Havelstadt und die Region. Es verfügt<br />
über 466 Betten und betreut jährlich<br />
etwa 23.600 Patienten. Mit mehr als<br />
1.250 Beschäftigten gehört es, gemeinsam<br />
mit zwei Tochtergesellschaften,<br />
zu den größten Arbeitgebern der Stadt.<br />
AOK Nordost<br />
Mit 1,8 Millionen Versicherten ist sie<br />
in den Bundesländern Brandenburg,<br />
Berlin und Mecklenburg-Vorpommern die<br />
größte Krankenkasse. Die AOK Nordost<br />
steht für qualitätsgesicherte, innovative<br />
Versorgungsprogramme und für die<br />
umfassende Betreuung ihrer Kunden in<br />
112 Servicecentern.<br />
GETEMED<br />
Das Unternehmen mit Sitz in Teltow<br />
entwickelt und vertreibt seit 25 Jahren<br />
Geräte für die kardiologische Diagnostik,<br />
das Monitoring von Vitalfunktionen und<br />
für das Telemonitoring von Risikopatienten.<br />
Für seine innovativen Leistungen<br />
wurde es mehrfach ausgezeichnet.<br />
Besonders engagiert ist GETEMED im Land<br />
Brandenburg, das die telemedizinische<br />
Versorgung als ein zentrales gesundheitspolitisches<br />
Thema betrachtet.<br />
Deutsche Telekom<br />
Mit 241.000 Mitarbeitern in rund<br />
50 Ländern, 128 Millionen Mobilfunkkunden<br />
sowie 35 Millionen Festnetzund<br />
fast 17 Millionen Breitbandanschlüssen<br />
gehört der Konzern zu den<br />
führenden Telekommunikationsunternehmen<br />
weltweit. Er bietet Produkte<br />
und Dienstleistungen aus den Bereichen<br />
Festnetz, Mobilfunk, Internet und IPTV<br />
für Privatkunden sowie ICT-Lösungen<br />
für Groß- und Geschäftskunden an.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 45
PORTRÄT<br />
Fotos: T. Schwandt<br />
Der Rostocker Seehafen sei »als logistischer<br />
Standort ideal«, ist Stephan<br />
Gustke, Geschäftsführer der<br />
Spedition Heinrich Gustke GmbH, überzeugt.<br />
Anbindungen bestehen zu allen<br />
Verkehrsträgern. Zu den Autobahnen<br />
A 19 und A 20, zu den Ostsee-Fährlinien<br />
nach Skandinavien und ins Baltikum,<br />
zum internationalen Bahnnetz und zum<br />
nahen Flughafen Rostock-Laage – und in<br />
alle vier Himmelsrichtungen.<br />
Das bisherige Firmengelände des Unternehmens<br />
Gustke liegt <strong>nur</strong> fünf Kilometer<br />
entfernt vom Seehafen der Hansestadt.<br />
Für die Lagerlogistik der Spedition<br />
im Güterverkehrszentrum (GVZ) von Rostock<br />
sind die wenigen Kilometer und die<br />
damit verbundenen Lkw-Fahrten jedoch<br />
ein nicht unerheblicher Kostenfaktor.<br />
»Dieser Aufwand lässt sich einsparen,<br />
wenn im Hafen die Güter direkt vom<br />
Schiff ins Lager verbracht werden«, sagt<br />
Gustke. Nach zwei erfolgreichen Jahrzehnten<br />
im GVZ stößt das mittelständische<br />
Rostocker Unternehmen am aktuellen<br />
Standort strategisch an Grenzen. Für<br />
die künftige Entwicklung wird deshalb<br />
der Bau eines neuen Logistikzentrums<br />
nahe der Kaikante geplant. »Wir wollen<br />
ran an den Hafen.«<br />
»Erschlossen werden soll eine Lagerfläche<br />
von insgesamt 30.000 Quadratmetern«,<br />
skizziert Gustke den Neubauplan.<br />
Ein Drittel davon entfalle auf die vorgesehene<br />
Freilagerfläche. Ein modernes<br />
Hochregallager soll Stellplätze für zirka<br />
10.000 Paletten bieten. »Wir stecken fünf<br />
bis sechs Millionen Euro in das Projekt,<br />
mit dem wir die verschiedenen Verkehrsträger<br />
noch intelligenter und kostengünstiger<br />
miteinander verknüpfen wollen«,<br />
begründet Gustke die Investition,<br />
mit der sich das Unternehmen in der<br />
Lagerlogistik für die Zukunft stärker aufstellen<br />
will. Nächstes Jahr soll mit dem<br />
Bau des Ostsee-Logistikzentrums »4Way«<br />
begonnen und noch im Verlauf von 2012<br />
der Betrieb aufgenommen werden.<br />
Nach Angaben Gustkes beträgt der Anteil<br />
der Lagerlogistik am gesamten Unternehmensumsatz<br />
rund 20 Prozent. Der<br />
Bärenanteil wird noch mit direktem<br />
Ladungsverkehr ohne Umschlag (40 Prozent)<br />
und Stückgutverkehr mit Umschlag<br />
an verschiedenen Hubs (30 Prozent)<br />
in Deutschland erzielt. Doch der<br />
Wettbewerb im reinen Transportgeschäft<br />
wird schwieriger. Die osteuropäische<br />
Konkurrenz nimmt zu, und mit der<br />
steigenden Zahl von Subunternehmern<br />
wird das Geschäft austauschbarer. Die<br />
Rostocker Spedition behauptet sich dort,<br />
»wo Qualität nachgefragt wird«, sagt Stephan<br />
Gustke, »wo viel Wert auf Ladungssicherung<br />
und spezielle Ladevorrichtun-<br />
Rostocker Spedition Gustke<br />
Ran an den Hafen<br />
Die Spedition Heinrich Gustke schlägt mit dem Neubau des Ostsee-<br />
Logistikzentrums »4Way« ein neues Kapitel in der Firmengeschichte<br />
auf. Hafennah sollen dort alle Verkehrsträger gebündelt werden.<br />
gen gelegt wird«. Das Unternehmen generiert<br />
jährlich einen Umsatz von rund<br />
14 Millionen Euro.<br />
Im ersten Halbjahr 2011 konnte die<br />
Spedition ein Plus von fünf Prozent beim<br />
Ladungsaufkommen verbuchen. »Die<br />
Frachtraten sind aber nach der schweren<br />
Krise immer noch auf sehr schwachem<br />
Niveau«, wendet der Geschäftsführer ein.<br />
Mit fünf Lastkraftwagen war Stephan<br />
Gustkes Großvater Heinrich, der 1933 die<br />
Spedition in Rostock gegründet hatte,<br />
einst gestartet. Das Familienunternehmen<br />
bestand auch in der DDR als Privatfirma<br />
fort. »Mein Vater fuhr mit einem<br />
W-50-Lkw Spirituosen für einen hiesigen<br />
Hersteller«, erzählt Gustke junior. Nach<br />
HYBRID-LKW: Firmenchef Gustke.<br />
der Wende konnten Vater und Sohn unternehmerisch<br />
durchstarten. Die Lkw-<br />
Flotte wuchs bis dato auf 100 Lkw. Heute<br />
hat die Spedition, langjähriges Mitglied<br />
des regionalen Unternehmerverbandes<br />
Rostock und Umgebung, rund 170 Mitarbeiter<br />
beschäftigt. Darunter 120 Fahrer.<br />
»Wir arbeiten zu 99 Prozent mit eigenem<br />
Personal«, betont der Chef stolz.<br />
Täglich passieren um die 250 Tonnen<br />
Güter und Waren das Betriebsgelände im<br />
GVZ. Bei Stückgut reicht die Palette von<br />
Bekleidung über Getränke bis zu Gefahrgut.<br />
In der Lagerlogistik bestimmen Baustoffe,<br />
Kunststoff-Granulat und Maschinenteile<br />
das Bild. Dazu kommt der Bereich<br />
der Entsorgungslogistik.<br />
Mit dem Ostsee-Logistikzentrum setzt<br />
die Spedition Gustke, die zu den größten<br />
in Mecklenburg-Vorpommern gehört,<br />
ein weiteres Signal für Innovation und<br />
Kreativität vor Ort. In diesem Sommer<br />
sorgte der 44-jährige Geschäftsführer bereits<br />
für öffentliches Interesse. Die Spedition<br />
brachte den ersten Hybrid-Lkw im<br />
Nordosten in Fahrt. Der 12-Tonner mit<br />
kombiniertem Diesel- und Elektroantrieb<br />
wird seit Ende Juli im Rostocker<br />
Stadtverkehr eingesetzt. »Ein Überzeugungsprojekt«,<br />
kommentierte Gustke<br />
diesen umweltfreundlichen Schritt.<br />
Thomas Schwandt<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 47
REPORT<br />
Fotos: DPA/ZB, D. Kadell<br />
Chemikalie Bisphenol A<br />
Gefährliche Weichmacher<br />
Der Kunststoff-Weichmacher Bisphenol A ist eine Alltags-Chemikalie, die aber krank machen kann.<br />
In der EU ist sie seit Sommer dieses Jahres in Babyflaschen verboten. Frankreich untersagt sogar den<br />
Einsatz in Lebensmittelverpackungen. Deutschland sieht die Risiken, aber keinen Handlungsbedarf.<br />
Frankreich wird ab 1. Januar 2014<br />
die Verwendung von Bisphenol A,<br />
kurz BPA, in allen Lebensmittelverpackungen<br />
verbieten. Eine weltweite Premiere.<br />
Pionier war das Land schon beim<br />
Verbot der Chemikalie in Babyflaschen,<br />
das Gesetz trat im Juni 2010 in Kraft ist.<br />
Zwölf Monate später zog die Europäische<br />
Union (EU) nach. Dänemark weitete das<br />
Verbot aus auf alle Verpackungen für<br />
Kindernahrung, Beißringe, Spielzeug<br />
und Geschirr für Kinder bis drei Jahre.<br />
Auch in Kanada ist ein ähnliches Gesetz<br />
in Kraft. In Japan werden schon seit<br />
Jahren die Innenlegierungen von Konserven<br />
und Getränkebüchsen mit einer<br />
Schutzschicht versehen, damit weniger<br />
BPA von der Verpackung in das Lebensmittel<br />
oder Getränk wandern kann. In<br />
den USA bieten Unternehmen inzwischen<br />
Lebensmittelverpackungen an, die<br />
auf Bisphenol A ganz verzichten und aus<br />
pflanzlichem Material hergestellt sind.<br />
BPA ist eine der am meisten untersuchten<br />
Chemikalien weltweit. Es gibt<br />
etwa 5.000 Studien. An die 500 befassen<br />
sich mit den Wirkungen auf Mensch,<br />
Tier und Pflanze. Einige wenige Studien<br />
attestierten BPA keine negative Wirkung.<br />
Entwicklungsbiologe Frederick vom Saal<br />
von der University of Missouri überprüfte<br />
im Jahr 2007 insgesamt 163 dieser Studien.<br />
Das Fazit: Von 152 öffentlich finanzierten<br />
Analysen wiesen 138 auf Gesundheitsschäden<br />
durch BPA hin. Dagegen<br />
kam keine der elf von der Industrie gesponserten<br />
Arbeiten zu einem negativen<br />
Schluss!<br />
BPA ist ein großes Geschäft: Weltweit<br />
werden derzeit fast vier Millionen Tonnen<br />
jährlich produziert, mit einem<br />
Nachfrageplus von sechs bis zehn Prozent<br />
pro Jahr. Deutschlandweit sind es<br />
an die 410.000 Tonnen. Bisphenol A ist<br />
eine der wichtigsten Alltags-Chemikalien.<br />
Ausgangsstoff für Polycarbonatkunststoffe<br />
und Epoxidharze, woraus viele<br />
Kunststoffverpackungen und Gefäße,<br />
aber auch CDs und DVDs bestehen.<br />
BPA steckt heutzutage fast überall<br />
drin. In Lebensmittelverpackungen zum<br />
Beispiel. Täglich hantieren wir damit:<br />
Wir essen Mais aus der Dose. Trinken<br />
Wasser aus Kunststoff-Flaschen. Geben<br />
Kindern Milch in Plastik-Nuckelflaschen.<br />
BPA entweicht in minimalen Mengen in<br />
unsere Nahrung, die gesundheitlich unbedenklich<br />
sind. In der Regel jedenfalls.<br />
Trotzdem fordern seit über 20 Jahren<br />
Umweltverbände ein Verbot von BPA in<br />
risikoreichen Anwendungen.<br />
In zahlreichen Tierversuchen zeigte<br />
BPA eine ähnliche Wirkung wie das weibliche<br />
Sexualhormon Östrogen. Neben natürlichen<br />
Hormonen können auch Chemikalien,<br />
die die Wirkung der Botenstoffe<br />
nachahmen, erbähnliche Veränderungen<br />
an der DNA bewirken. Auch<br />
Bisphenol A, das 1936 als synthetisches<br />
Hormon kreiert wurde.<br />
Hormone sind die Herrscher über unseren<br />
Körper. Gebildet von spezialisierten<br />
Geweben und Organen, übernehmen<br />
sie die lebenswichtige Rolle von biochemischen<br />
Vermittlern, die das Zusammenspiel<br />
der rund 30 Billionen Zellen<br />
des menschlichen Organismus mit der<br />
Außenwelt koordinieren. Sie passen die<br />
körperliche Aktivität dem Wechsel von<br />
Tag und Nacht an, indem sie Wach- und<br />
BISPHENOL A: Nachweisbar in vielen Verpackungen.<br />
Schlafrhythmen steuern. Hormone treiben<br />
uns zum Essen und Trinken an,<br />
wecken die Lust auf Sexualität, machen<br />
Mütter zu mutigen Kämpferinnen für<br />
ihren Nachwuchs. Die Verfügungskraft<br />
der Botenstoffe reicht weit über den eigenen<br />
Körper hinaus. Körpereigene Hormone<br />
können sogar in der nachfolgenden<br />
Generation fortwirken.<br />
Wie BPA als Sexualhormon wirkt, bemerkte<br />
Entwicklungsbiologe Frederick<br />
vom Saal 1998 zufällig bei Labormäusen:<br />
Deren Prostata vergrößerte sich, nachdem<br />
sie in Öl gelöstes Bisphenol A gefressen<br />
hatten. Die Pubertät setzte früher<br />
ein, die Spermienqualität litt. Andere<br />
Forscher bestätigten dies oder deckten<br />
weitere Schadwirkungen auf.<br />
»Ähnliche Effekte einer Östrogenwirkung<br />
sind auch bei der Spermienproduktion<br />
des Mannes und der Eizellentwicklung<br />
der Frau durch BPA zu erwarten«,<br />
warnt Prof. Jürgen Kleinstein, Direktor<br />
der Universitätsklinik für Reproduktionsmedizin<br />
Magdeburg. »Zudem ist<br />
davon auszugehen, dass eine Reihe<br />
48 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
REPORT<br />
gutartiger Erkrankungen der Frau auf<br />
diese Östrogenwirkung zurückzuführen<br />
sind. Ebenso ein großer Teil von Karzinomen.«<br />
Kleinstein kennt die Gefahren von<br />
BPA, sein Haus kümmert sich um Paare<br />
mit ungewollter Kinderlosigkeit.<br />
2001 hat der Toxikologe Prof. Gilbert<br />
Schönfelder vom Institut für Klinische<br />
Pharmakologie und Toxikologie der Berliner<br />
Charité nachgewiesen, dass BPA<br />
von Schwangeren an ihr Kind weitergegeben<br />
wird. In der Folge fanden Kollegen<br />
auch signifikante Mengen von aktivem<br />
BPA im Blut von Schwangeren und Föten.<br />
Bei Ungeborenen löse BPA Effekte aus,<br />
die normalerweise erst nach der Pubertät<br />
eintreten, warnte Schönfelder 2010<br />
auf einem Symposium in Leipzig.<br />
Das bestätigt eine aktuelle Studie der<br />
Harvard School of Public Health. Sie<br />
zeigt zum ersten Mal aber auch, dass<br />
eine Belastung im Mutterleib im späteren<br />
Lebensverlauf von Mädchen zu aggressivem,<br />
hyperaktivem, ängstlichem<br />
und depressivem Verhalten führt.<br />
Obwohl Experten schon seit mehr als<br />
zehn Jahren vor BPA warnen, sieht die<br />
EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit<br />
EFSA für den Menschen derzeit keine Gefährdung,<br />
solange die tägliche Dosis 50<br />
Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht<br />
nicht überschreite. Was das Urteil<br />
wert ist, belegten MDR-Recherchen Ende<br />
2010: Mitarbeiter der EFSA arbeiten direkt<br />
für Industrieverbände. Die Entscheidung<br />
der Behörde zur Unbedenklichkeit<br />
von BPA zeige, »dass die interessierte<br />
Industrie dort mehr Gehör findet als unabhängige<br />
Forscher«, kritisiert Sarah<br />
Häuser, Chemikalienexpertin der Umweltorganisation<br />
BUND.<br />
In Deutschland scheiden sich an BPA<br />
die Geister. Das Bundesinstitut für Risikoforschung<br />
hat keine Bedenken. Begründung:<br />
Die Substanz wandle sich im<br />
menschlichen Körper schnell in ein Stoffwechselprodukt<br />
um, das keine östrogene<br />
Wirkung mehr habe und über die Nieren<br />
ausgeschieden werde. Jochen Flasbarth,<br />
Präsident des Umweltbundesamtes in<br />
Dessau-Roßlau, kontert: Trotz der Datenlücken<br />
sollten »doch die vorliegenden<br />
Kenntnisse ausreichen, die Verwendung<br />
bestimmter BPA-haltiger Produkte aus<br />
Vorsorgegründen zu beschränken«.<br />
Was also bleibt unterm Strich? Auch<br />
die Verpackung kann ein Essen madig<br />
machen. Chemikalien, zum Beschichten<br />
von Dosen oder Abdichten von Deckeln<br />
eingesetzt, können sich lösen und in Lebensmittel<br />
gelangen. Besonders fetthaltige<br />
Produkte wie eingeschweißte Fertiggerichte<br />
oder Fischkonserven setzen<br />
Substanzen aus ihren Verpackungen frei,<br />
da Öle als Lösungsmittel wirken. Weich-<br />
macher lösen sich durch UV-Strahlung<br />
aus PET-Flaschen, gelangen in Getränke.<br />
Der BUND hat im Sommer BPA in Kindertagesstätten<br />
bundesweit nachgewiesen.<br />
Das hormonell wirksame, bisher <strong>nur</strong><br />
in Babyflaschen verbotene BPA fand sich<br />
in 92 der 107 vom Umweltverband untersuchten<br />
Staubproben aus Kitas. BUND-<br />
Chemieexpertin Sarah Häuser: »Unsere<br />
Analysen zeigen, dass Kinder wahren<br />
Giftcocktails ausgesetzt sind. Doch obwohl<br />
Verbraucherschutzministerin Ilse<br />
Aigner schon mehrmals von uns auf diese<br />
Gefahren hingewiesen wurde, glänzt<br />
sie bisher durch Untätigkeit.«<br />
Dafür engagiert sich die CSU-Politikerin<br />
für das Verbraucherportal »Lebensmittelklarheit.de«<br />
im Internet. Der Start<br />
im Sommer war zäh: Der User-Ansturm<br />
zwang die Server zu Anfang in die Knie.<br />
Täglich laufen rund 20 neue Beschwerden<br />
beim Verbraucherportal ein – und<br />
manche stoßen bei den Herstellern auf<br />
offene Ohren.<br />
MAHNER: Prof. Jürgen Kleinstein.<br />
Doch das findet nicht <strong>nur</strong> Beifall: FDP-<br />
Ernährungsexpertin Christel Happach-<br />
Kasan will für das »Meckerportal« kein<br />
weiteres Steuergeld. Der Bund für Lebensmittelrecht<br />
und Lebensmittelkunde<br />
mahnt mehr Sachlichkeit und Objektivität<br />
an und die Gewerkschaft Nahrung-<br />
Genuss-Gaststätten kritisierte, Aigner<br />
überlasse es den Verbrauchern nach dem<br />
Zufallsprinzip, willkürlich Lebensmittel<br />
zu beurteilen. Ruiniert hat das bislang<br />
aber offenbar keinen Hersteller.<br />
Warum macht sich Aigner nicht auch<br />
für BPA-freie Lebensmittelverpackungen<br />
stark? Bisphenol A bleibt ein Risikofaktor,<br />
gehört nicht ins Essen, nicht in Lebensmittelverpackungen.<br />
Die Politik ist<br />
jetzt am Zuge. Damit wäre das Problem<br />
aber nicht vom Tisch. Auch wenn noch<br />
Wissenslücken zu füllen sind, bevor BPA<br />
endgültig bewertet werden kann, wird<br />
bereits vor möglichen, aber schlechter<br />
untersuchten Ersatzstoffen gewarnt.<br />
Dana Micke<br />
&<br />
HINTERGRUND<br />
Umweltamt warnt<br />
Das Umweltbundesamt (UBA) in Dessau-<br />
Roßlau hat sich in einer Publikation unter<br />
dem Titel »Massenchemikalie mit unerwünschten<br />
Nebenwirkungen« mit dem<br />
Phänomen Bisphenol A auseinandergesetzt.<br />
Darin heißt es unter anderem:<br />
Die Gesamtschau der bisher vorliegenden<br />
Studien über die Wirkungen und die Exposition<br />
von Bisphenol A offenbart Hinweise<br />
auf mögliche Risiken für die menschliche<br />
Gesundheit. Aus Sicht des UBA ist es deshalb<br />
gerechtfertigt, Vorsorgemaßnahmen<br />
zur gezielten Minderung der Exposition für<br />
solche Bevölkerungsgruppen zu erwägen,<br />
die aufgrund ihrer Empfindlichkeit und Exposition<br />
am ehesten gefährdet sind.<br />
Es wird dazu geraten, alle vorliegenden<br />
Daten zur Bewertung des Stoffes durch<br />
die Behörden heranzuziehen. Die zahlreichen<br />
Studien ergeben ein konsistentes<br />
Bild. Ihre Ergebnisse sollten angemessen<br />
berücksichtigt werden.<br />
Die Aufnahme von Bisphenol A liegt in diesen<br />
Studien deutlich unterhalb der Menge,<br />
die die EFSA als gesundheitlich<br />
bedenklich bewertet, trotzdem sind diese<br />
Mengen in der Lage, in Tierversuchen<br />
ernsthafte Wirkungen hervorzurufen.<br />
Aus fachlicher Sicht des UBA existiert somit<br />
ein ausreichendes Besorgnispotenzial.<br />
Das UBA spricht sich deshalb dafür<br />
aus, vorsorgend tätig zu werden und die<br />
Verwendung bestimmter Produkte, die<br />
Bisphenol A enthalten, zu beschränken.<br />
Dies gilt besonders für Produkte im<br />
Kontakt mit Lebensmitteln. Für diese<br />
ergeben sich außerhalb des Stoffrechts<br />
(REACH) zusätzliche Regelungsoptionen.<br />
Hinsichtlich der Regelungsoptionen ist<br />
zwischen Lebensmittelbedarfsgegenständen<br />
(Materialien und Gegenstände, die<br />
dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in<br />
Berührung zu kommen) und anderen Bedarfsgegenständen<br />
(etwa Gegenstände,<br />
die dazu bestimmt sind, zum Beispiel<br />
mit den Schleimhäuten des Mundes in<br />
Berührung zu kommen) zu unterscheiden.<br />
Die rechtlichen Vorgaben für beide Produktgruppen<br />
im Kontakt mit Lebensmitteln<br />
ergeben sich überwiegend aus dem<br />
europäischen Recht. Daher können nationale<br />
Maßnahmen <strong>nur</strong> ergriffen werden,<br />
wenn es das europäische Recht zulässt.<br />
Die EU-Regelungen zu Lebensmittelbedarfsgegenständen<br />
sind weitgehend abschließend.<br />
Der Gestaltungsspielraum<br />
für den deutschen Gesetzgeber ist darum<br />
recht klein. Deshalb ist zunächst auf<br />
EU- Ebene auf eine Herabsetzung der<br />
Vorgaben zu den Höchstmengen von Bisphenol<br />
A in Lebensmittelbedarfsgegenständen<br />
aus Kunststoff zu drängen.<br />
Info: www.umweltbundesamt.de<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11<br />
49
REPORT<br />
Anfang der 90er Jahre hat das Dessauer<br />
Unternehmen begonnen, sich auf die<br />
Herstellung von Drehstrom-Asynchronmotoren<br />
und Drehstrom-Synchrongeneratoren<br />
zu spezialisieren. »Wir entwickeln<br />
und fertigen auf Kundenwunsch.<br />
Die Marktnische ist da, wo die<br />
großen Serienhersteller abwinken müssen.<br />
Bei uns ist alles made in Germany.«<br />
Das wiederum funktioniert <strong>nur</strong> mit eigener<br />
Nachwuchsarbeit. Die AEM hat gegenwärtig<br />
25 Lehrlinge, bildet in acht<br />
Facharbeiterberufen selbst aus.<br />
AEM Dessau ist mit seinen derzeit 220<br />
Mitarbeitern auf Erfolgskurs. Der Jahresumsatz<br />
pendelt zwischen 20 und 24 Millionen<br />
Euro. »Wir sind auf der Welle der<br />
Fotos: T. George<br />
Elektromotorenwerk Dessau<br />
Erfolg in der Nische<br />
Die Anhaltinische Elektromotorenwerk Dessau GmbH (AEM) erfüllt<br />
weltweit spezielle Kundenwünsche, fertigt Sondermaschinen. Eine<br />
Marktnische, bei der große Serienhersteller der Branche abwinken.<br />
Wer auf die englische Version der<br />
Internet-Homepage der Anhaltischen<br />
Elektromotorenwerk Dessau<br />
GmbH (AEM) klickt, schaut zuerst<br />
auf eine Animation: Eine kleine blaue<br />
Weltkugel, die kurz eingeblendet wird<br />
und dann dem Firmenlogo AEM weicht.<br />
Die hier entwickelten und gefertigten<br />
Sondermaschinen genießen international<br />
einen exzellenten Ruf. Mit AEM-Generatoren<br />
wird Strom erzeugt. Im Tagebau<br />
und in Produktionshallen werden<br />
Pumpen und Krananlagen mit Motoren<br />
aus Dessau angetrieben. Europa, Südamerika,<br />
China – die Auftraggeber sitzen<br />
überall. »Seit dem Jahr 2005 gehen etwa<br />
50 Prozent unserer Produktion in den Export«,<br />
sagt Rolf Rätzer, Geschäftsführer<br />
und Miteigentümer des mittelständischen<br />
Unternehmens.<br />
Das gibt es so seit 1993, eine Neugründung<br />
nach der Privatisierung. Der 63-<br />
jährige Ingenieur ist einer von vier leitenden<br />
Angestellten, die die inzwischen<br />
über 60-jährige Elektromotoren-Tradition<br />
in Dessau in der Wendezeit am Leben<br />
hielten. 1989 gab es hier 1.800 Beschäftigte,<br />
drei Jahre später <strong>nur</strong> noch<br />
150. Eigentlich wollte der Aufsichtsrat<br />
des Mutterunternehmens VEM 1992 das<br />
Werk schließen. Aber die vier Gesellschafter<br />
der neu gegründeten AEM überzeugten<br />
die verwaltende Treuhandanstalt<br />
mit ihrem Konzept. »Wir mussten<br />
eine pönalisierte Beschäftigungsgarantie<br />
für 130 Mitarbeiter geben und zehn Millionen<br />
D-Mark Investitionen zusichern«,<br />
so Rolf Rätzer, der mit Reiner Storch<br />
heute noch einen der Mitgründer als Geschäftsführer<br />
an seiner Seite hat.<br />
»Wir sind damals von Null gestartet.<br />
Wir hatten nirgendwo einen Markt, alles<br />
war weggebrochen. Wir mussten durch<br />
anwendungsfreundliche, technisch-technologisch<br />
innovative und sichere Erzeugnisse<br />
mit hoher Qualität und Zuverlässigkeit<br />
bestechen. Das Schwierigste war,<br />
die Firma deutschland-, ja weltweit bekannt<br />
zu machen, Kunden zu überzeugen,<br />
den Markt aufzubauen«, erinnert<br />
sich Rätzer. Und sagt dann selbstbewusst:<br />
»Wir sind eines der wenigen rein ostdeutschen<br />
Management-buy-out von dieser<br />
Größe, die es geschafft haben.«<br />
Im Jahr 2007 hat die Firma als einer<br />
der ersten Elektromaschinenhersteller<br />
die Elektroblechfertigung komplett auf<br />
die Lasertechnik umgestellt, die auch bei<br />
Losgröße »1« eine hohe Produktivität gewährleistet.<br />
Rätzer preist die Hochgeschwindigkeitslaser<br />
in höchsten Tönen.<br />
»Eine innovative Technologie ohne Werkzeugbindung.<br />
Wir sind flexibel.« Eine<br />
der Stärken von AEM.<br />
ZUVERSICHTLICH: Manager Rolf Rätzer<br />
Globalisierung gewachsen, da trifft uns<br />
natürlich auch ein Einbruch der Weltkonjunktur.<br />
Wir sind Komponentenlieferant<br />
für Großprojekte, die aber werden<br />
in Krisenzeiten überall <strong>nur</strong> schwer entschieden.«<br />
Das hat für AEM im Jahr 2010<br />
teilweise Kurzarbeit bedeutet, finanziert<br />
durch den Staat.<br />
Eine Unterstützung, die Rätzer nicht<br />
missen will. Auch nicht die Unternehmerreisen<br />
ins Ausland, die Zuschüsse für<br />
Messebeteiligungen, die Vermarktungshilfeprogramme,<br />
eben Förderung durch<br />
Bund und Land. »Für uns als kleine Mittelständler<br />
wäre sonst vieles gar nicht<br />
möglich gewesen«, zeigt sich der Dessauer<br />
überzeugt. Er sieht AEM auch für die<br />
Zukunft gut gerüstet.<br />
Bislang hat das Unternehmen alle<br />
Hürden gemeistert. Und 24 Millionen<br />
Euro in den Standort investiert. Rätzer<br />
schätzt hier das historisch gewachsene<br />
Umfeld von Maschinenbaubetrieben wie<br />
die Gewerbeansiedlung im Großraum<br />
Halle-Leipzig. Auch die äußerst günstigen<br />
Verkehrsanbindungen für ganz<br />
Deutschland und die gut besetzten Universitäten.<br />
Diese seien technisch sehr gut<br />
ausgerichtet, verfügen aber noch über zu<br />
wenig Praxisnähe. In Sachsen-Anhalt jedenfalls<br />
will er bleiben.<br />
Dana Kadell<br />
&<br />
50 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
W&M-SERVICE<br />
DAS THEMA<br />
KOMPAKT<br />
PERSONALSUCHE<br />
Internet dient<br />
zur Information<br />
Bei der Auswahl neuer Mitarbeiter<br />
informiert sich gut<br />
die Hälfte aller Unternehmen<br />
im Internet über Bewerber.<br />
Dies ergab eine repräsentative<br />
BITKOM-Umfrage unter 1.500<br />
Geschäftsführern und Personalverantwortlichen.<br />
49 Prozent<br />
der Firmen nutzen Internet-<br />
Suchmaschinen, um Informationen<br />
über Bewerber zu gewinnen.<br />
Gut ein Fünftel recherchiert<br />
in Online-Netzwerken,<br />
die einen beruflichen Schwerpunkt<br />
haben. 19 Prozent suchen<br />
auch in privat orientierten<br />
Online-Netzwerken. Rechtlich<br />
ist es zurzeit noch zulässig, im<br />
Internet nach Informationen zu<br />
Bewerbern zu suchen.<br />
Für Bewerber besteht die Gefahr,<br />
dass im Internet Widersprüche<br />
im Lebenslauf, unvorteilhafte<br />
Fotos oder schädliche Äußerungen<br />
auftauchen. Der Branchenverband<br />
BITKOM gibt Hinweise,<br />
worauf Bewerber achten sollten.<br />
Sich selbst suchen: Neben<br />
Google, Bing und Yahoo gibt es<br />
spezielle Personensuchmaschinen<br />
wie Yasni oder 123People.<br />
Eigene Präsenz aufbauen:<br />
Profile in Online-Netzwerken<br />
oder eine eigene Website erscheinen<br />
in den Ergebnislisten<br />
der Suchmaschinen in der Regel<br />
oben und bestimmen damit die<br />
Außenwirkung. Meinungen<br />
kontrolliert äußern: Wer sich<br />
im Internet in Blogs oder Foren<br />
mit kompetenten Beiträgen äußert,<br />
wird positiv wahrgenommen.<br />
Beleidigende Äußerungen<br />
sind dagegen Tabu. Wer sich<br />
privat austauschen will, muss<br />
nicht seinen echten Namen<br />
nennen.<br />
Unvorteilhaftes entfernen:<br />
Sollten sich falsche oder unvorteilhafte<br />
Inhalte über die eigene<br />
Person im Internet häufen, kann<br />
professionelle Hilfe sinnvoll<br />
sein. Einige Agenturen sind darauf<br />
spezialisiert, gegen Bezahlung<br />
unerwünschte Inhalte aus<br />
dem Web zu entfernen.<br />
IT-PERSONAL<br />
Bedarf legt<br />
deutlich zu<br />
In deutschen Unternehmen<br />
gibt es aktuell rund<br />
38.000 offene Stellen für<br />
IT-Experten.<br />
Das ist das Ergebnis einer Studie<br />
zum Arbeitsmarkt für IT-<br />
Fachkräfte, die der Hightech-<br />
Verband BITKOM vorgestellt<br />
hat. Bei der repräsentativen<br />
Umfrage wurden 1.500 Geschäftsführer<br />
und Personalverantwortliche<br />
von Unternehmen<br />
aller Branchen befragt.<br />
Nach Einschätzung der befragten<br />
Firmen hat sich parallel<br />
der Fachkräftemangel verschärft.<br />
58 Prozent sagen,<br />
dass ein Mangel an IT-Spezialisten<br />
herrscht. Das ist ein<br />
höherer Wert als in den<br />
Boom-Jahren 2007 und 2008.<br />
Positiv entwickeln sich die<br />
Gehälter von IT-Experten.<br />
Nach einer Untersuchung der<br />
Personalberatung Kienbaum<br />
steigen die Gehälter von IT-<br />
Spezialisten in der ITK-Branche<br />
im laufenden Jahr im<br />
Durchschnitt um 4,7 Prozent.<br />
2010 erhielten Beschäftigte<br />
in der ITK-Wirtschaft ein<br />
Bruttojahresgehalt von durchschnittlich<br />
60.100 Euro.<br />
IM UNTERNEHMEN<br />
IKT-FACHKRÄFTE<br />
Software-Entwickler gesucht<br />
DOMAIN<br />
Bald Start für<br />
Bewerbungen<br />
Der bisher verschobene<br />
Start für neue Homepage-<br />
Namen im Internet steht<br />
jetzt bevor.<br />
Ab dem 12. Januar 2012 will<br />
die zuständige Internet-Verwaltung<br />
Icann Bewerbungen<br />
für neue »Top Level Domains«<br />
entgegennehmen. Dann können<br />
Unternehmen, Städte<br />
und Regionen eigene Adressendungen<br />
nach dem Muster<br />
».firma« oder ».stadt« erhalten.<br />
In Deutschland gibt es<br />
unter anderem Initiativen für<br />
die Adressen .berlin, .hamburg<br />
und .köln. Branchen-Domains<br />
wie .film oder .hotel<br />
sind ebenfalls geplant. »Alle<br />
interessierten Institutionen<br />
sollten ihre Vorbereitungen<br />
zur Bewerbung intensivieren,<br />
wenn sie die neuen Möglichkeiten<br />
möglichst schnell nutzen<br />
wollen«, rät der Präsident<br />
des Hightech-Verbandes BIT-<br />
KOM, Prof. Dieter Kempf. Bewerbungen<br />
sollen zunächst<br />
von Mitte Januar bis Mitte<br />
April eingereicht werden können.<br />
Icann plant, bis zum November<br />
2012 die Anträge zu<br />
prüfen und neue Top Level<br />
Domains zuzulassen.<br />
Rund 16.000 der offenen Stellen für IT-Experten entfallen auf<br />
die ITK-Branche, der Großteil davon auf Anbieter von Software<br />
und IT-Dienstleistungen. Besonders gesucht: Software-Spezialisten<br />
für die Entwicklung neuer Anwendungen.<br />
Gesuchte Job-Profile in der IT-Branche (Angaben in Prozent)<br />
Sotware-Entwickler 84<br />
Marketing-/Vertriebs-Profis 40<br />
IT-Berater 36<br />
IT-Administratoren 20<br />
Hardware-Entwickler 14<br />
KARTENDIENST<br />
Google will Geld<br />
Der Internetkonzern hat neue<br />
Nutzungsbedingungen für den Kartendienst<br />
Maps veröffentlicht.<br />
Unternehmen müssen nun zahlen.<br />
Dies gilt, wenn Unternehmen Google<br />
Maps auf ihren Internetseiten einbinden<br />
wollen. Damit rückt Google von<br />
der bisher praktizierten Strategie mit<br />
Gratisangeboten ab. Die Entscheidung<br />
hat die Diskussion über die Zukunft<br />
von Bezahlmodellen im Internet<br />
neu befeuert. Google selbst ist zu<br />
einem Anteil vom mehr als 90 Prozent<br />
bei seinen Umsatzerlösen vom Anzeigengeschäft<br />
abhängig und sucht<br />
deshalb auch nach neuen Einnahmequellen.<br />
Es ist das erste Mal, dass<br />
Google ein Gratisangebot für bestehende<br />
Kunden kostenpflichtig macht.<br />
Eine kommerzielle Nutzung von<br />
Maps soll künftig <strong>nur</strong> für bis zu<br />
25.000 Seitenaufrufe am Tag kostenlos<br />
sein, für eine darüber hinaus<br />
gehende Nutzung werden Gebühren<br />
erhoben. Google ist Marktführer bei<br />
Online-Kartendiensten. Gerade bei<br />
Webangeboten in der Reisebranche<br />
oder bei so genannten Empfehlungsportalen<br />
gehören Karten zum festen<br />
Bestandteil ihres Web-Sevices.<br />
DOMAIN<br />
DENIC muss löschen<br />
Die DENIC, eine Gesellschaft zur<br />
Vergabe von Internet-Domains,<br />
muss Domainnamen in Fällen eindeutigen<br />
Missbrauchs löschen.<br />
Das entschied der BGH (Az. I ZR<br />
131/10). Geklagt hatte der Freistaat<br />
Bayern. Unternehmen mit Sitz in<br />
Panama hatten Domainnamen registriert,<br />
die aus dem Wort »regierung«<br />
und dem Namen jeweils einer der<br />
bayerischen Regierungsbezirke gebildet<br />
wurden (z. B. »regierung-oberfranken.de«).<br />
Der Freistaat, der für seine<br />
Regierungsbezirke ähnliche Domainnamen<br />
hat registrieren lassen (z. B.<br />
»regierung.oberfranken.bayern.de«),<br />
verlangte die Löschung der Domainnamen.<br />
Die DENIC habe zwar <strong>nur</strong><br />
eingeschränkte Prüfpflichten, räumten<br />
die Richter ein. Bei der Registrierung<br />
selbst, die in einem automatisierten<br />
Verfahren allein nach<br />
Prioritätsgesichtspunkten erfolgt,<br />
müsse deshalb keinerlei Prüfung erfolgen.<br />
In Fällen, in denen die Gesellschaft<br />
aber auf einen offenkundigen<br />
Missbrauch hingewiesen wird, ist<br />
sie zum Handeln gezwungen. Dass<br />
die genannten Bezeichnungen allein<br />
einer staatlichen Stelle und nicht<br />
einem Unternehmen in Panama<br />
zustehen, sei ein solcher Fall.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 51
W&M-SERVICE<br />
AKTUELL<br />
STEUERSCHÄTZER<br />
Hoffnung auf<br />
Geldsegen<br />
Prognosen in Zeiten der<br />
Euro-Krise sind äußerst<br />
gewagt. Dies gilt auch für die<br />
jüngste Steuerschätzung.<br />
Der Arbeitsmarkt boomt, der<br />
private Konsum zieht an. Anlass<br />
genug für den Arbeitskreis<br />
Steuerschätzung, Bund, Länder<br />
und Gemeinden ein Plus bei den<br />
Steuereinnahmen vorherzusagen.<br />
Der Gesamtstaat soll demnach<br />
von 2011 bis 2015 39,5 Milliarden<br />
Euro mehr in den Kassen<br />
haben als es die vorherige Prognose<br />
im Mai erwarten ließ. Neben<br />
der Lohnsteuer soll der<br />
Milliardensegen für die Staatskassen<br />
vor allem durch die<br />
Umsatzsteuer getragen werden.<br />
Im Einzelnen kommt die aktuelle<br />
Steuerschätzung zu dem Ergebnis,<br />
dass der Staat mit Mehreinnahmen<br />
von 48,1 Milliarden<br />
Euro rechnen kann, davon 17,5<br />
Milliarden Euro bereits im Jahr<br />
2011. Dem sind Mindereinnahmen<br />
aufgrund von Änderungen<br />
im Steuerrecht von 8,6 Milliarden<br />
Euro gegenzurechnen. Ein<br />
Steuerplus gibt es auch für die<br />
Länder und in geringerem Maße<br />
2011 und 2012 für die Kommunen.<br />
Diese müssen allerdings<br />
2013 bis 2015 mit Mindereinnahmen<br />
rechnen.<br />
Inwieweit solche Schätzungen<br />
im Zuge der weltweiten Schuldenkrise<br />
für nachhaltige Planungen<br />
verlässliche Daten liefern,<br />
sei dahingestellt. In jedem<br />
Fall haben sie die Berliner Koalitionsregierung<br />
zu einer<br />
milden Steuerreform bewegen<br />
können. Um sechs Milliarden<br />
Euro will man die deutschen<br />
Steuerzahler entlasten, indem<br />
die »kalte Progression« in der<br />
Einkommensteuer abgeschwächt<br />
wird. Die Entlastung<br />
soll in zwei Schritten 2013 und<br />
2014 wirksam werden. Dazu<br />
wird der Grundfreibetrag angehoben<br />
und der Tarif verschoben.<br />
Die Anhebung des Grundfreibetrages<br />
war durch die Rechtsprechung<br />
ohnehin fällig.<br />
IM<br />
STEUERPRÜFUNG<br />
Beim Chi-Test<br />
durchgefallen<br />
Auffälligkeiten beim sogenannten<br />
Chi-Test reichen<br />
zur Beanstandung der<br />
Buchführung nicht aus.<br />
Bei dem Test wird davon ausgegangen,<br />
dass derjenige, der<br />
bei seinen Einnahmen unzutreffende<br />
Werte in das Kassenbuch<br />
eingibt, unbewusst eine<br />
Vorliebe für gewisse Lieblingszahlen<br />
hat und diese entsprechend<br />
häufiger verwendet.<br />
Einem Friseursalon wurde<br />
vorgeworfen, dass die Kassenbücher<br />
in Form von Excel-Tabellen<br />
geführt worden seien.<br />
Diese könnten nachträglich<br />
geändert werden. Der Chi-Test<br />
legte eine solche Manipulation<br />
nahe. Das Finanzamt erhöhte<br />
deshalb die erklärten<br />
Umsatzerlöse um jährlich<br />
3.000 Euro.<br />
Das FG Rheinland-Pfalz widersprach<br />
(Az. 2 K 1277/10):<br />
Der Test allein sei nicht geeignet,<br />
Beweise dafür zu erbringen,<br />
dass die Buchführung<br />
nicht ordnungsgemäß sei. Zudem<br />
ergebe sich aus der Preisliste<br />
des Friseursalons naturgemäß<br />
eine Häufung bestimmter<br />
Zahlen.<br />
Der Staat trinkt mit<br />
UNTERNEHMEN<br />
FILMTHEATER<br />
Kein Kino<br />
ohne Popcorn<br />
Der Verkauf von erwärmtem<br />
Popcorn und Nachos<br />
im Kino unterliegt dem<br />
ermäßigten Steuersatz.<br />
Der BFH (Az. V R 3/07) hat entschieden,<br />
dass die Umsätze,<br />
die Kinobetreiber mit dem<br />
Verkauf von Popcorn und<br />
Nachos erzielen, dem ermäßigten<br />
Steuersatz unterliegen.<br />
Es handelt sich um die<br />
Abgabe von Standardspeisen,<br />
die nicht auf Bestellung eines<br />
bestimmten Kunden, sondern<br />
entsprechend der allgemein<br />
vorhersehbaren Nachfrage<br />
vorgenommen werden.<br />
Im dem zu entscheidenden<br />
Fall hatte das Finanzamt eine<br />
Restaurationsleistung als Teil<br />
des Angebot angenommen<br />
und den vollen Umsatzsteuersatz<br />
berechnet. Als Dienstleistungselement<br />
galt das Mobiliar<br />
im Kino-Foyer. Das sahen<br />
die Richter anders, weil die<br />
Tische und Stühle im Kino-<br />
Foyer nicht ausschließlich für<br />
den Verzehr von Lebensmitteln<br />
gedacht waren, sondern<br />
auch allen wartenden Kinobesuchern<br />
zur Verfügung<br />
standen.<br />
STEUERN AUF ALKOHOL<br />
Insgesamt 3,1 Milliarden Euro Steuereinnahmen flossen im<br />
Jahr 2010 über den Absatz alkoholischer Getränke in die öffentlichen<br />
Kassen Deutschlands. Das Biersteueraufkommen steht<br />
den Bundesländern zu, alle anderen Steuereinnahmen aus<br />
Genussmitteln fließen in die Bundeskasse.<br />
Steuerart<br />
Branntweinsteuer<br />
Biersteuer<br />
Schaumwein und Zwischenerzeugnisse<br />
Steuer auf Alkopops<br />
Weinsteuer<br />
Quelle: Statistisches Bundesamt<br />
Aufkommen<br />
2.000 Mio. Euro<br />
713 Mio. Euro<br />
443 Mio. Euro<br />
2 Mio. Euro<br />
wird nicht erhoben<br />
STEUERN SPAREN<br />
W&M-Tipp für die PRAXIS<br />
Fehlstart für die<br />
Lohnsteuerkarte<br />
Dle ektronische Lohnsteuerkarte<br />
sollte zum Jahreswechsel starten.<br />
Doch nun gibt es technische<br />
Probleme und Verzögerungen.<br />
Noch vor kurzem wurde – auch an<br />
dieser Stelle – das Ende der Lohnsteuerkarte<br />
auf Pappe ausgerufen.<br />
Ersetzt werden sollte sie durch die<br />
elektronische Lohnsteuerkarte.<br />
Was bisher an Daten auf der Vorderseite<br />
der Lohnsteuerkarte stand,<br />
wird jetzt in einer zentralen Datenbank<br />
namens ELStAM erfasst.<br />
ELStaM ist die Abkürzung für »Elektronische<br />
Lohnsteuer-Abzugs-Merkmale«.<br />
Der Arbeitgeber kann auf<br />
diese Datenbank zugreifen, um den<br />
Lohnsteuerabzug seiner Mitarbeiter<br />
zu ermitteln, also in welcher Steuerklasse<br />
der Arbeitnehmer ist, wie<br />
viele Kinder er hat, welche Freibeträge<br />
er beantragt hat und welcher<br />
Religionsgemeinschaft er angehört.<br />
Nun stellt sich raus, dass viele der<br />
dort gespeicherten Daten falsch<br />
sind. Die Möglichkeit des Zugriffs<br />
wird sich deshalb wohl bis zum<br />
2. Quartal 2012 verzögern.<br />
Das ist nicht die erste Panne bei<br />
der Einführung elektronischer<br />
Verfahren bei den Behörden. Die<br />
Wirtschaft reagierte verärgert auf<br />
die dadurch zu erwartenden Mehrarbeiten<br />
bei der Umstellung in den<br />
Unternehmen.<br />
Die Lohnsteuerhilfevereine warnen<br />
unterdessen die Arbeitnehmer,<br />
dass viele der Infoblätter, die mit<br />
Beginn des Monats November verschickt<br />
wurden, um Arbeitnehmer<br />
aufzuklären, welche Daten über sie<br />
gespeichert sind, falsche Angaben<br />
enthalten.<br />
Besonders die Steuerklasse und<br />
die Religionszugehörigkeit sind oft<br />
nicht korrekt erfasst. Das könne<br />
zu falschen Abzügen führen. Einige<br />
Finanzämter wurden bereits von<br />
einem Ansturm von Korrekturwünschen<br />
überrollt.<br />
W&M-TIPP<br />
Wer fehlerhafte Angaben in seinem<br />
Schreiben entdeckt, sollte diese –<br />
am besten schriftlich – beim Finanzamt<br />
bis zum Jahresende melden.<br />
Ist die elektronische Lohnsteuerkarte<br />
dann eingeführt, gilt: Bei wem<br />
sich später Änderungen etwa durch<br />
einen Wechsel der Steuerklasse<br />
oder das Eintragen von Kinderfreibeträgen<br />
ergeben, muss diese<br />
ebenfalls dem Finanzamt anzeigen.<br />
Er muss aber auch den Arbeitgeber<br />
informieren, damit dieser die<br />
aktualisierten Angaben aus der<br />
Datenbank abrufen kann.<br />
52 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
W&M-SERVICE<br />
STEUERSOFTWARE<br />
Wenn der<br />
Rechner irrt<br />
Wer eine Steuersoftware<br />
für seine Steuererklärung<br />
nutzt, muss das Risiko für<br />
Fehler selbst tragen.<br />
Das hat das Finanzgericht<br />
Rheinland-Pfalz (Az. 3 K 2674/<br />
10) entschieden. Der Kläger<br />
hatte nachträglich rund 4.000<br />
Euro für die Kinderbetreuung<br />
absetzen wollen. Als Grund<br />
nannte er, dass seine Steuersoftware<br />
den Posten in der<br />
Steuererklärung nicht abgefragt<br />
habe. Das Computerprogramm<br />
habe ihm nicht automatisch<br />
das Steuerformular<br />
angezeigt, sondern durch ein<br />
eigenes Menu geführt. Das Finanzamt<br />
lehnte die nachträgliche<br />
Geltendmachung der<br />
Kosten ab und bekam von den<br />
Finanzrichtern Recht. Wenn<br />
die Software nicht alle Funktionen<br />
wie die amtlich bereitgestellte<br />
Steuersoftware habe,<br />
müsse der Steuerpflichtige<br />
das Risiko tragen. Mögliche<br />
Software-Fehler gleichen so<br />
Fehlern von Steuerberatern.<br />
DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />
Zu früh gefreut: Als an dieser Stelle in Heft 11/<br />
11 die Abzugsfähigkeit der Kosten für die Erstausbildung/das<br />
Erststudium als Werbungskosten<br />
als gerechter Ausgleich für die späteren<br />
Steuereinnahmen gefeiert wurde, hatte die Regierung<br />
bereits eine Klarstellung der vom Gesetzgeber<br />
gewollten Rechtslage definiert. Danach<br />
sind die Kosten für das Erststudium nun<br />
doch nicht absetzbar. Der Finanzausschuss<br />
reagierte prompt: Die vom BFH erkannte Lücke<br />
im Gesetz, deren Nutzung (rückwirkend ab<br />
2004) zum Tragen gekommen wäre, fiel der<br />
Haushaltsräson zum Opfer. Lediglich eine Erhöhung<br />
des Sonderausgabenabzugs für Ausbildungskosten<br />
von derzeit 4.000 auf 6.000 Euro<br />
ab 2012 wurde beschieden. In der Begründung<br />
heißt es, »dass die erste Berufsausbildung und<br />
PRIVAT<br />
FORMULARE<br />
Den Überblick<br />
verloren<br />
Das Finanzamt darf mit seinen<br />
Formularen keine überzogenen<br />
Anforderungen<br />
an den Steuerbürger stellen.<br />
Der Kläger lebt mit der Mutter<br />
seines im Jahr 2007 geborenen<br />
Kindes in nichtehelicher Lebensgemeinschaft.<br />
Seine<br />
Steuererklärung für das Jahr<br />
2008 gab er elektronisch mit<br />
ElsterFormular ab, ohne seine<br />
Unterhaltszahlungen an die<br />
Lebensgefährtin anzugeben.<br />
Erst nachdem sein Einkommensteuerbescheid<br />
bereits<br />
bestandskräftig geworden war,<br />
holte er die Angaben nach.<br />
Dies lehnte das Finanzamt ab.<br />
Das FG Hamburg urteilte anders<br />
(Az. 1 K 43/11): Die Steuererklärungsunterlagen,<br />
insbesondere<br />
im ElsterFormular,<br />
seien nicht deutlich. Erst bei<br />
genauerer Durchsicht der Anlage<br />
fände sich am Ende eine<br />
Erwähnung der Kindesmutter.<br />
Zudem sei es im ElsterFormular<br />
schwieriger, die auszufüllenden<br />
Felder zu überblicken.<br />
Von KARL-HEINZ BADURA<br />
Wirtschaftsjournalist und Finanzrichter,<br />
Nörvenich<br />
Ausbildungskosten – Haushaltsräson geht vor<br />
ZOLL<br />
Unkenntnis<br />
kann schützen<br />
Ein Käufer hatte über das<br />
Internet einen Blu-ray-Player<br />
zum Preis von rund 500 Euro<br />
im Ausland bestellt.<br />
Bei Abholung des Geräts beim<br />
Zollamt meldete er die Einfuhr<br />
ordnungsgemäß an. Der Zollbeamte<br />
gab die Daten in das<br />
EDV-System ein und erließ einen<br />
Einfuhrabgabenbescheid<br />
über 88,68 Euro, den der Käufer<br />
zahlte. Später bemerkten die<br />
Zollbeamten einen Fehler bei<br />
der Eingabe der Daten. Das<br />
Zollamt erhob deshalb nachträglich<br />
Einfuhrabgaben in<br />
Höhe von weiteren 77,21 Euro.<br />
Der Käufer hätte durch schlichtes<br />
Nachlesen der einschlägigen<br />
Gesetzesvorschriften den<br />
Fehler bei der Berechnung der<br />
Einfuhrabgaben bemerken können.<br />
Dem widersprachen die<br />
Hamburger Finanzrichter und<br />
ließen den Zoll abblitzen (Az. 4<br />
K 63/11): Der Kläger habe darauf<br />
vertrauen dürfen, dass die Zollbeamten<br />
über die erforderliche<br />
Sachkunde verfügen würden.<br />
das Erststudium als Erstausbildung der privaten<br />
Lebensführung zuzuordnen sind«. Diese<br />
Grundentscheidung folge auch den Grundsätzen<br />
des Sozialrechts, dass diese Ausbildungsbereiche<br />
der Bildungsförderung und nicht der<br />
Arbeitsförderung unterliegen würden. Die zeitliche<br />
Rückwirkung sei unter Berufung auf die<br />
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />
in diesem Falle zulässig.<br />
Dass mit derartig pragmatischen Begründungen<br />
die Zahl der Urteile zunimmt, die in<br />
ähnlicher Weise über den entschiedenen Fall<br />
hinaus nicht zu einer tatsächlichen Rechtsprechungsänderung<br />
führen können, ist<br />
äußerst unbefriedigend. Denn die beiden Ausbildungsurteile<br />
hätten tatsächlich eine Änderung<br />
der Rechtsprechung bedeutet.<br />
➔Steuern KOMPAKT<br />
BUCHTIPP<br />
In der Steuerfalle<br />
Der Staat ist zum Großeinkäufer von<br />
so genannten Steuer-CD geworden.<br />
Wann machen sich Steuerbürger<br />
eigentlich im Steuerrecht strafbar?<br />
Bei der Klärung dieser Frage hilft<br />
ein aktuelles Ratgeber-Werk aus<br />
dem C.H.Beck-Verlag. »Trotz ausführlichen<br />
Berichterstattungen in den Medien<br />
weiß kaum ein Bürger, wann genau<br />
er sich der Steuerhinterziehung<br />
strafbar macht, wie die Ermittler<br />
arbeiten und welche Sanktionen drohen«,<br />
erklärt Arne Lißewski, Fachanwalt<br />
für Steuerrecht und Strafrecht<br />
und Mitautor des Buches.<br />
Lißewski warnt davor, Steuerhinterziehung<br />
<strong>nur</strong> als Delikt einiger weniger<br />
Großverdiener anzusehen: »Steuerhinterziehung<br />
existiert in vielen Varianten,<br />
durch aktives Tun genauso<br />
wie durch Unterlassen.« Wer etwa<br />
mehr Reiseauslagen geltend macht<br />
als angefallen oder gegenüber dem<br />
Finanzamt Einnahmen verschweigt,<br />
macht sich strafbar. Doch nicht jede<br />
Steuersünde hat schwerwiegende<br />
rechtliche Folgen: »Abzugrenzen ist<br />
die leichtfertige Steuerverkürzung,<br />
die lediglich eine Ordnungswidrigkeit<br />
ist und <strong>nur</strong> zu einem Bußgeld führt«,<br />
erklärt Lißewski. Bei groben Rechtsverstößen<br />
drohen aber saftige Geldund<br />
sogar Haftstrafen. »Hinzu kommt,<br />
dass der Steuerhinterzieher für den<br />
Steuerschaden persönlich haftet,<br />
auch wenn ein Dritter von der Steuerhinterziehung<br />
profitiert hat«, warnt<br />
der Steuerexperte. »Der Staat hat<br />
auch die Möglichkeit, Vermögen einzukassieren<br />
oder ordnungsrechtliche<br />
Folgen auszusprechen wie die Gewerbeuntersagung.«<br />
Eine Möglichkeit, der Strafe zu entkommen,<br />
ist die Selbstanzeige, die<br />
es so <strong>nur</strong> im Steuerrecht gibt. Seit<br />
Mai 2011 gelten hierfür in Deutschland<br />
neue Regeln. Lißewski erläutert:<br />
»Die Teilselbstanzeige ist mit der<br />
Neuregelung unwirksam geworden.<br />
Es gilt das Prinzip des reinen Tisches.«<br />
Der Ratgeber erklärt aber nicht<br />
<strong>nur</strong> die rechtlichen Regeln, er gibt<br />
auch Tipps, was zu tun ist, wenn ein<br />
Verfahren nicht mehr abzuwenden ist.<br />
Lißewski/Suckow/Albers, Steuerhinterziehung<br />
– Straftat und Rechtsfolgen,<br />
Beck kompakt Ratgeber,<br />
2011, 128 Seiten, 6,80 Euro,<br />
ISBN: 978-3-406-61798-0<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 53
W&M-SERVICE<br />
DAS<br />
THEMA<br />
HYGIENE<br />
Viele Betriebe<br />
schlampen<br />
Rund jeder vierte der von Lebensmittelkontrolleuren<br />
2010 untersuchten Betriebe<br />
verstieß gegen Auflagen.<br />
Das zeigen die Zahlen der<br />
amtlichen Lebensmittelüberwachung,<br />
die das Bundesamt<br />
für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit<br />
(BVL) vorgelegt<br />
hat. Insgesamt liegt die<br />
Zahl der Beanstandungen aber<br />
weiterhin konstant auf einem<br />
niedrigen Niveau. Im zurückliegenden<br />
Jahr haben die Kontrolleure<br />
der amtlichen Lebensmittelüberwachung<br />
in den Bundesländern<br />
921.000 Inspektionen<br />
in rund 538.000 deutschen<br />
Betrieben durchgeführt und<br />
408.000 Proben untersucht. Bei<br />
etwa 139.000 Betrieben stellten<br />
die Kontrolleure Verstöße fest.<br />
Besonders geschludert wurde<br />
bei der allgemeinen Betriebshygiene<br />
sowie beim Hygienemanagement<br />
in den Betrieben.<br />
Auch bei der Kennzeichnung<br />
und Aufmachung der Lebensmittel<br />
gab es Mängel. Hier waren<br />
von den rund 408.000 untersuchten<br />
Proben etwa 55.000<br />
Proben zu beanstanden. Ursachen<br />
waren in der Häfte der<br />
Fälle Kennzeichnungsmängel.<br />
Rund jedes fünfte Produkt wies<br />
Keime auf. Auch Gaststätten<br />
wurden umfangreich unter die<br />
Lupe genommen. Hygienemängel<br />
in den Getränkelagern<br />
sowie bei den Schanktischen<br />
und Zapfstellen wurden in<br />
16,3 Prozent der kontrollierten<br />
Gaststätten mit Vollküche und<br />
in 27,1 Prozent der kontrollierten<br />
reinen Schankwirtschaften<br />
festgestellt. Diese Ergebnisse<br />
zeigen, dass insbesondere in reinen<br />
Schankwirtschaften das<br />
Hygienebewusstsein noch nicht<br />
in zufriedenstellendem Maß<br />
vorhanden ist. Verbraucherschützer<br />
drängen angesichts<br />
der Ergebnisse weiter auf eine<br />
Veröffentlichung der Mängel<br />
einzelner Betriebe – etwa in<br />
Form einer Hygiene-Ampel.<br />
WETTBEWERB<br />
Presse-Grossist<br />
abgemeldet<br />
IM UNTERNEHMEN<br />
Der Großhandel mit Presseerzeugnissen<br />
erfolgt in<br />
Deutschland traditionell<br />
im Presse-Grosso-System.<br />
Die rund 70 Grossisten beliefern<br />
in ihren Vertriebsgebieten<br />
den Einzelhandel mit den<br />
Verlagserzeugnissen und haben<br />
dabei bis auf wenige Ausnahmen<br />
ein Gebietsmonopol.<br />
Nun hat der Bauer-Verlag seinen<br />
Vertrag mit dem Grossisten<br />
für das Hamburger Umland<br />
gekündigt. An dessen<br />
Stelle vertreibt jetzt eine verlagseigene<br />
Tochtergesellschaft<br />
die Presseerzeugnisse<br />
des Bauer-Verlags.<br />
Gegen die Kündiging konnte<br />
der Grossist auch vor dem<br />
Bundesgerichtshof nichts erwirken<br />
(Az. KZR 7/10). Die Produkte<br />
nicht über unabhängige<br />
Händler auszuliefern,<br />
sondern den Vertrieb selbst<br />
zu übernehmen, stehe jedem<br />
Unternehmen frei. Dass andere<br />
Grossisten in anderen Gebieten<br />
weiter beliefert werden,<br />
stelle auch keine Diskriminierung<br />
des gekündigten<br />
Grossisten dar, noch würden<br />
seine Wettbewerbschancen<br />
geschmälert.<br />
MINDESTLÖHNE<br />
URHEBERRECHT<br />
Bilderflut<br />
im Internet<br />
Wer Urheberrechte an<br />
seinen Werken im Internet<br />
geltend machen will, hat<br />
oft schlechte Karten.<br />
Ein Fotograf hatte eine TV-Moderatorin<br />
abgelichtet. Die Bilder<br />
zeigt die Bildsuchmaschine<br />
von Google mit dem Verweis<br />
auf zwei Fundstellen im<br />
Internet an.<br />
Den entsprechenden Seiten<br />
hatte der Fotograf allerdings<br />
keine Urheberrechte an dem<br />
Bild eingeräumt. Der Fotograf<br />
warf nun Google vor, mit den<br />
<strong>Vorschau</strong>bildern eine Verletzung<br />
seiner Urheberrechte begangen<br />
zu haben.<br />
Generell gilt: Wer Bilder ins<br />
Internet stellt und sie nicht<br />
gegen das Finden durch Suchmaschinen<br />
schützt, muss damit<br />
leben, dass diese dort als<br />
<strong>Vorschau</strong>bilder angezeigt werden.<br />
Zudem hatte der Kläger<br />
Dritten durchaus die Bildernutzung<br />
im Internet genehmigt.<br />
Ob das Bild im konkreten<br />
Fall nun gegen den Willen<br />
des Urhebers eingestellt wurde,<br />
könne die Suchmaschine<br />
nicht erkennen, erklärten die<br />
Richter und wiesen die Klage<br />
ab (BGH, Az. I ZR 140/10).<br />
In Europa weit verbreitet<br />
Gesetzlicher Stundenlohn 2010 ausgewählter Länder (in Euro)<br />
Luxemburg 10,61<br />
Frankreich 9,00<br />
Großbritannien 6,91<br />
Griechenland 4,28<br />
Spanien 3,89<br />
Portugal 2,92<br />
Polen 1,85<br />
Tschechien 1,82<br />
Litauen 1,40<br />
Rumänien 0,93<br />
Auf Basis des EU-Referenzkurses mit Stand vom März 2011; Quelle: WSI<br />
URTEIL AKTUELL<br />
Der Fall und DIE FOLGEN<br />
Lärm vertreibt<br />
die Kunden<br />
DER FALL: Eine Kirche wird<br />
seit mehr als zwei Jahren umfangreich<br />
saniert. Die Bauarbeiten<br />
hätten, so klagte ein benachbarter<br />
Imbiss, einen Umsatzeinbruch<br />
von 30 Prozent<br />
zur Folge. Der Gastronom kürzte<br />
darauf die Miete für sein Ladenlokal.<br />
Das wollte sich die<br />
Vermieterin allerdings nicht<br />
gefallen lassen.<br />
DAS URTEIL: Das Oberlandesgericht<br />
Branschweig (Az. 1<br />
U 68/10) gab der Vermieterin<br />
Recht. Eine Mietminderung erfordert<br />
grundsätzlich einen<br />
der Mietsache selbst anhaftenden<br />
Mangel. Dieser lag aber<br />
nicht vor.<br />
Äußere Einflüsse wie eine Baustelle<br />
können <strong>nur</strong> dann zur<br />
Mietkürzung führen, wenn die<br />
Tauglichkeit der Mietsache unmittelbar<br />
beeinträchtigt wird.<br />
Störungen des Mietgebrauchs<br />
durch Vorgänge auf dem Nachbargrundstück,<br />
führten die<br />
Richter weiter aus, seien <strong>nur</strong><br />
dann relevant, wenn damit bei<br />
Vertragsabschluss nicht zu<br />
rechnen gewesen sei.<br />
DIE FOLGEN: Das Urteil ist<br />
eine Warnung für alle, die einen<br />
Mietvertrag für ein Ladenlokal<br />
abschließen. Denn so die<br />
Richter: »Befindet sich auf dem<br />
Nachbargrundstück erkennbar<br />
ältere Bausubstanz, ist<br />
grundsätzlich mit Störungen<br />
durch Bau- und/oder Renovierungsarbeiten<br />
auf dem Nachbargrundstück<br />
zu rechnen.«<br />
Allerdings führten die Richter<br />
auch aus: »Auch in einer solchen<br />
Situation muss der Mieter<br />
grundsätzlich nicht damit<br />
rechnen, dass das Publikum<br />
seines Gewerbes die gemieteten<br />
Räume überhaupt nicht<br />
oder <strong>nur</strong> unter Inkaufnahme<br />
gravierender Erschwernisse erreichen<br />
kann.«<br />
Dem Imbissbetreiber nutzte<br />
dies im konkreten Fall nichts,<br />
denn solche Erschwernisse<br />
konnte er nicht nachzuweisen.<br />
54 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
W&M-SERVICE<br />
WASCHSTRASSE<br />
Statt sauber,<br />
beschädigt<br />
Ein Auto kam in einer<br />
Waschstraße zu Schaden,<br />
weil es mit dem Trocknungsgebläse<br />
kollidierte.<br />
Ein Autofahrer, der einen Schaden<br />
an seinem Fahrzeug nach<br />
Benutzung einer Autowaschstraße<br />
mit Schlepptrossenbetrieb<br />
geltend machen will, hat<br />
oft schlechte Karten. Nach<br />
einem Urteil des Landgerichts<br />
Berlin (Az. 51 S 27/11) muss er<br />
nämlich in vollem Umfang<br />
nachweisen können, dass ein<br />
Mangel der Waschanlage den<br />
Schaden herbeigeführt hat.<br />
Schwierig ist die Beweislage<br />
deshalb, weil der Fahrer sich<br />
während des Waschvorgangs<br />
im Auto befindet und den<br />
Schaden durch unsachgemäßes<br />
Verhalten auch selbst verursacht<br />
haben könnte. Anders<br />
bei Anlagen, bei denen der<br />
Fahrer sein Auto in der Waschanlage<br />
abstellt und der Waschvorgang<br />
automatisch abläuft.<br />
Hier liegt das Schadensrisiko<br />
allein beim Betreiber.<br />
DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />
Leben in der Warteschleife<br />
Endloses Gedudel in der Warteschleife, monotones<br />
Abfragen des Kundenwunsches durch ein<br />
Computerprogramm, bevor endlich ein Experte<br />
– oder jemand, der sich als solcher ausgibt –<br />
die Anfrage persönlich beantwortet. Hotlines,<br />
die dem Kunden gerne als Dienstleistung verkauft<br />
werden, können nicht <strong>nur</strong> zur Belastung<br />
der eigenen Nerven, sondern auch zu einer des<br />
Geldbeutels werden, wenn die Warteschleife<br />
auch noch kostenpflichtig ist. Dem will der<br />
Gesetzgeber ein Ende bereiten. Künftig soll die<br />
Wartezeit zu Beginn eines Anrufs wie auch<br />
während der Bearbeitung als Warteschleife gelten.<br />
Eine Kostenpflicht soll <strong>nur</strong> dann entstehen,<br />
wenn das Anliegen konkret bearbeitet<br />
wird. Erlaubt sein sollen Warteschleifen <strong>nur</strong> unter<br />
bestimmten Bedingungen: bei kostenlosen<br />
RECHT IM ALLTAG<br />
URLAUBSREISE<br />
Nicht ohne die<br />
Medikamente<br />
Ein Reiseveranstalter muss<br />
einen Kunden auf Einfuhrbestimmungen<br />
für Medikamente<br />
hinweisen.<br />
Darauf verweist das Landgericht<br />
Berlin in einem aktuellen<br />
Urteil (Az. 38 O 43/11). Dies gilt<br />
jedenfalls dann, wenn die Regelungen<br />
für den Veranstalter<br />
leicht über die Internetseite<br />
des Auswärtigen Amtes zu ermitteln<br />
sind. Der Reiseveranstalter<br />
muss den Vertragspartner<br />
über alle leicht erkennbaren<br />
Umstände, die die Reise<br />
vereiteln könnten, hinweisen.<br />
Geklagt hatte ein Reisender,<br />
der erst kurz vor der Abreise<br />
nach Dubai von einem Einfuhrverbot<br />
für zahlreiche Medikamente<br />
erfuhr. Er kündigte<br />
darauf den Vertrag, weil seine<br />
Frau ohne die Medikamente<br />
nicht gefahrlos reisen könne.<br />
Allerdings hätte auch der Kunde<br />
sich informieren können.<br />
Sein Mitverschulden bezifferte<br />
das Gericht wertmäßig mit<br />
einem Drittel.<br />
TESTAMENT<br />
Schludriger<br />
Nachtrag<br />
Eine nachträgliche Verfügung<br />
unterhalb der Unterschrift<br />
im Testament muss<br />
auch unterschrieben sein.<br />
Die Erblasserin verfasste und<br />
unterschrieb vor ihrem Tode<br />
eigenhändig ein Testament.<br />
Dort wurde ein Erbe für ihren<br />
Hausstand eingesetzt. Unterhalb<br />
der Unterschrift fügte<br />
sie einen weiteren Satz hinzu,<br />
worin sie dem Erben ebenfalls<br />
ihr Konto zukommen ließ.<br />
Darunter setzte sie handschriftlich<br />
die Abkürzung<br />
»D.O.« (die Obengenannte).<br />
Dies hielt das OLG Celle für<br />
unwirksam (Az. 6 U 117/10).<br />
Eine letztwillige Verfügung<br />
muss nach dem BGB eigenhändig<br />
geschrieben und<br />
unterschrieben sein. Die Unterschrift<br />
soll den Vor- und<br />
Nachnamen des Erblassers<br />
enthalten. Auch wenn an der<br />
Urheberschaft des Nachtrags<br />
keine Zweifel bestünden, sei<br />
er mit dem Kürzel nicht<br />
ordentlich unterschrieben.<br />
Von MATTHIAS SALM,<br />
Wirtschaftsjournalist, Berlin<br />
Servicenummern, wenn die angerufene Firma<br />
die Kosten trägt oder wenn für den gesamten<br />
Anruf ein Festpreis gilt. Festnetz-Vorwahlen fallen<br />
nicht unter die Regelung, da der Gesetzgeber<br />
von einer weiten Verbreitung von Flatrate-<br />
Tarifen ausgeht. Gültig wird die Regelung aber<br />
erst in einem Jahr nach Inkrafttreten. Den<br />
Unternehmen soll so eine Übergangsfrist zur<br />
technischen Anpassung eingeräumt werden.<br />
Ob diese lange Übergangsfrist wirklich nötig<br />
ist? Zumal in dieser Zeit <strong>nur</strong> die ersten beiden<br />
Warteminuten kostenlos sein sollen, danach<br />
aber noch Gebühren kassiert werden dürfen.<br />
Gut möglich, dass mancher in dieser Phase<br />
extra lange warten lässt, um doch noch kassieren<br />
zu können. Also nicht wundern, wenn es<br />
mal wieder etwas länger dauert.<br />
➔<br />
Recht KOMPAKT<br />
GEZ<br />
Gebühr für Studenten<br />
Eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht<br />
gibt es für Studenten<br />
<strong>nur</strong> bei Bezug von BAföG. Alle<br />
anderen müssen zahlen.<br />
Von der Rundfunkgebührenpflicht werden<br />
Bezieher bestimmter staatlicher<br />
Sozialleistungen befreit, etwa Empfänger<br />
von Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld<br />
II, aber auch Studenten, die<br />
von der Ausbildungsförderung nach<br />
dem Bundesausbildungsförderungsgesetz<br />
(BAföG) leben, ferner behinderte<br />
Menschen mit einem bestimmten<br />
Grad der Behinderung. Über die<br />
Befreiung entscheidet auf Antrag die<br />
zuständige Landesrundfunkanstalt.<br />
Eine Studentin, die ihren Lebensunterhalt<br />
durch einen Studienkredit<br />
bestritt, empfand das als Ungleichbehandlung,<br />
scheiterte aber vor<br />
dem Bundesverwaltungsgericht<br />
(Az. BVerwG: 6 C 34.10).<br />
WERBUNG<br />
So gesund ist Bier<br />
Der Deutsche Brauer-Bund e.V.<br />
warb auf seiner Internetseite mit<br />
den gesundheitsfördernden<br />
Wirkungen des Bierkonsums.<br />
Gelobt wurde die vorbeugende Wirkung<br />
gegen Herzerkrankungen, Gallen-<br />
und Harnstein sowie Osteoporose.<br />
Auch das Demenz- und Diabetesrisiko<br />
wollten die Brauer gemindert<br />
wissen. Das Landgericht Berlin (Az.<br />
16 O 259/10) schob der Werbung mit<br />
Himweis auf eine europarechtliche<br />
Verordnung über nährwert- und<br />
gesundheitsbezogene Angaben zu<br />
Lebensmitteln einen Riegel vor.<br />
LEBENSMITTEL<br />
Mehr Beschwerden<br />
100 Tage nach Start der Plattform<br />
www.lebensmittelklarheit.de sind<br />
bereits mehr als 3.800 Produktmeldungen<br />
eingegangen.<br />
Am häufigsten melden Verbraucher<br />
Produkte, deren Bewerbung und Aufmachung<br />
Inhalte versprechen, die<br />
das Produkt gar nicht hat: Fruchtabbildungen<br />
ohne Frucht in der Zutatenliste,<br />
»Joghurt mit Macadamianüssen«,<br />
der <strong>nur</strong> einen Hauch von Nuss<br />
enthält oder ein Sahnewunder mit<br />
verstecktem Alkoholanteil. Zudem ärgern<br />
sich Verbraucher laut Bundesverbraucherministerium<br />
über Werbeaussagen<br />
wie »Ohne Nitritpökelsalz« oder<br />
»Ohne Geschmacksverstärker«, obwohl<br />
sich Zutaten mit ähnlicher Wirkung<br />
in der Zutatenliste wiederfinden.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 55
W&M-SERVICE<br />
DAS<br />
THEMA<br />
INTERVIEW<br />
Fotos: Archiv<br />
INVESTMENT<br />
Tipps für<br />
den Anleger<br />
Die Experten von Allianz<br />
Global Investors (AGI) geben<br />
aktuelle Empfehlungen für<br />
die Geldanlage.<br />
Reale Werte: Die Rendite beim<br />
Lieblingskind der Deutschen –<br />
dem Sparbuch – kann gegenwärtig<br />
durch die Inflation<br />
schnell angefressen oder gar<br />
ganz verspeist werden. Daher<br />
raten die AGI-Profis zu realen<br />
Werten: Immobilien, Rohstoffe,<br />
Gold, Aktien.<br />
Chancen nutzen: Gerade bei<br />
Aktien lohne es sich bei einer<br />
attraktiven Bewertung zuzugreifen.<br />
Vor allem gelte es,<br />
nicht <strong>nur</strong> vergangenen Kennzahlen<br />
zu trauen, sondern<br />
aktuelle Unternehmens- und<br />
Konjunkturdaten in die Prüfung<br />
einzubeziehen und<br />
deren zukünftige Auswirkung<br />
zu analysieren.<br />
Aktiv managen: Nach den Erfahrungen<br />
aus der Finanzkrise<br />
sollten Investoren ihre Anlagen<br />
aktiv managen, so die AGI-<br />
Analyse weiter. Globale Ungleichgewichte<br />
müssten künftig<br />
abgebaut werden, was<br />
Konjunktur und Kapitalmarkt<br />
stärker schwanken lasse.<br />
Streuen: Mit der Aufteilung<br />
des Portfolios in verschiedene<br />
Anlageklassen verringere sich<br />
das Verlustrisiko – ohne auf<br />
Chancen zu verzichten. Neben<br />
der Streuung seien langfristige<br />
Strategien bei Kapitalanlagen<br />
sinnvoll und weniger stressig.<br />
Reinvestieren: Unterschätzt<br />
würde den Finanzexperten zufolge<br />
das Thema Dividenden.<br />
Denn reinvestiert statt ausgeschüttet<br />
könnten sie die<br />
Gesamtrendite steigern.<br />
Auf Stabilität setzen: Ein neuer<br />
Stabilitätsanker seien die<br />
Schwellenländer. Eine Beimischung<br />
von Anlagen aus diesen<br />
Regionen könne lohnen.<br />
Auch Deutschland als Wiederaufsteiger<br />
bleibe als Anlageregion<br />
attraktiv.<br />
www.allianzglobalinvestors.de<br />
GESUNDHEIT<br />
Eine positive<br />
Prognose<br />
IKB Bank und Prognos prophezeien<br />
dem deutschen<br />
Gesundheitsmarkt anhaltend<br />
positives Wachstum.<br />
Nachfrage und Umsatz im<br />
Gesundheitssektor sollen bis<br />
2013 weiter steigen. Auch weil<br />
die Gesundheitsversorgung<br />
älterer Patienten aufrechterhalten<br />
werden müsse und<br />
diese Gruppe in Deutschland<br />
überproportional wächst. Damit<br />
steige die Nachfrage nach<br />
Gesundheitsdienstleistungen<br />
und medizinischen Produkten.<br />
Vor allem die Medizintechnik<br />
ist laut IKB ein Exportschlager.<br />
Deutschland sei der größte<br />
EU-Produzent für Medizintechnik.<br />
Die Bedeutung der<br />
Exporte werde weiter zunehmen,<br />
denn auch in den<br />
Schwellenländern wächst die<br />
Nachfrage. Die Analysten der<br />
Commerzbank haben deshalb<br />
zwei Aktienwerte auf<br />
»kaufen« gesetzt: die Medizintechnikfirma<br />
Carl Zeiss Meditec<br />
(WKN 531 370) und den<br />
Dienstleister Rhön-Klinikum<br />
(WKN 704 230).<br />
AKTIENMARKT<br />
FINANZBERATER<br />
Vertrauen<br />
im Sinkflug<br />
Immer mehr Anleger in<br />
Europa planen und<br />
entscheiden ihre Geldgeschäfte<br />
lieber selbst.<br />
Zu diesem Ergebnis kommt<br />
eine repräsentative TNS Sofres<br />
Studie im Auftrag von<br />
Fidelity Investment unter<br />
12.000 Privatanlegern in 14<br />
europäischen Ländern. Demnach<br />
treffen in Deutschland<br />
63 Prozent der Anleger nach<br />
vorheriger Beratung die endgültige<br />
Entscheidung selbst.<br />
Ein gutes Drittel verzichtet<br />
auf professionelle Beratung<br />
und nimmt die eigene Geldanlage<br />
komplett selbst in die<br />
Hand. Parallel sinkt das Vertrauen<br />
in Banken, Versicherungen<br />
& Co. Nur noch 13 Prozent<br />
der deutschen Befragten<br />
vertrauen ihrem Finanzberater<br />
(2008: 16 Prozent). Ursache<br />
des Vertrauensverlustes ist vor<br />
allem mangelnde Aufmerksamkeit<br />
für die Bedürfnisse<br />
der Kunden. Mehr als zwei<br />
Drittel sind überzeugt, dass<br />
ihr Berater in erster Linie<br />
eigene Interessen verfolgt.<br />
www.fidelity.de<br />
DAX BÖRSENSTARS<br />
+<br />
WKN 659990 Merck + 19,66%<br />
WKN 716460 SAP + 17,45%<br />
WKN 766403 Volkswagen VZ + 16,58%<br />
WKN 578580 Fresenius Medical Care + 15,58%<br />
WKN 578560 Fresenius + 15,53%<br />
Merck: Der Pharmariese hat für das dritte Quartal 2011 bessere Zahlen vorgelegt als<br />
erwartet. Außerdem will das Unternehmen effizienter werden und die Konzernstruktur<br />
schlanker gestalten. Kurs-Performance 1 Jahr; Schluss: 08.11.2011<br />
DAX BÖRSENFLOPS<br />
–<br />
WKN 803200 Commerzbank - 68,14%<br />
WKN 703712 RWE - 42,82%<br />
WKN 823212 Lufthansa - 39,75%<br />
WKN 725750 Metro - 34,72%<br />
WKN 514000 Deutsche Bank - 32,41%<br />
Commerzbank: Deutschlands zweitgrößte Privatbank muss ihr Eigenkapital bis Mitte<br />
2012 um 2,9 Milliarden Euro aufstocken. Ansonsten müssten wieder die Steuerzahler<br />
einspringen, befürchten Analysten. Kurs-Performance 1 Jahr; Schluss: 08.11.2011<br />
Quelle: W&M, ohne Gewähr<br />
ELKE<br />
WEIDENBACH<br />
Finanzexpertin,<br />
Verbraucher-<br />
Zentrale NRW<br />
Abschluss lohnt kaum<br />
W&M: Frau Weidenbach, der Garantiezins<br />
für eine Kapitallebensversicherung<br />
sinkt. Lohnt sie sich?<br />
WEIDENBACH: Schon in der<br />
Vergangenheit lohnte der Abschluss<br />
einer KLV kaum. Durch<br />
die Senkung des Garantiezinses<br />
ab 2012 hat sich dies noch<br />
verschärft. Damit ist in den<br />
meisten Fällen der Abschluss<br />
eines Vertrages sinnlos.<br />
W&M: Für welche Personengruppen<br />
eignet sich die KLV?<br />
WEIDENBACH: Für kaum eine<br />
Personengruppe. Allenfalls für<br />
Verbraucher, die möglichst <strong>nur</strong><br />
einmalig einen solchen Vertrag<br />
abschließen wollen und<br />
sicher sind, dass sie den Vertrag<br />
durchhalten werden. Das<br />
kann man über die langen Vertragszeiten<br />
aber kaum kalkulieren.<br />
Wenn ein Arbeitgeber<br />
betriebliche Altersversorgung<br />
<strong>nur</strong> als KLV anbietet, kann der<br />
Abschluss gerechtfertigt sein.<br />
W&M: Wie alternativ vorsorgen?<br />
WEIDENBACH: Das Sparen und<br />
Versichern trennen. Versichern<br />
kann ich die Folgen für einen<br />
frühen Tod über eine Risikolebensversicherung.<br />
Das Sparen<br />
sollte abhängig von den<br />
Bedürfnissen erfolgen, etwa ob<br />
Gelder später kurz- oder langfristig<br />
benötigt werden oder<br />
ob sie für einen bestimmten<br />
Zweck verwendet werden sollen,<br />
für Anschaffungen oder<br />
für die Altersvorsorge.<br />
W&M: Worauf muss man bei<br />
Vertragsabschluss achten?<br />
WEIDENBACH: Die Entscheidung<br />
nicht übereilt treffen.<br />
Über einen langen Zeitraum<br />
zahlt man viel Geld in einen<br />
Vertrag ein. Es sollten von mehreren<br />
Versicherern Angebote<br />
mit den gleichen Rahmenbedingungen<br />
eingeholt werden.<br />
Überschussprognosen sind unverbindlich<br />
und ungewiss, daher<br />
zunächst <strong>nur</strong> garantierte<br />
Leistungen als Entscheidungsgrundlage<br />
vergleichen.<br />
56 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
W&M-SERVICE<br />
GELD & ANLAGE<br />
➔<br />
Geld KOMPAKT<br />
DWS<br />
China als<br />
Chance nutzen<br />
Der neue Rentenfonds von<br />
DWS Investment will von<br />
der Aufwertung der chinesischen<br />
Währung profitieren.<br />
Laut Anbieter können Anleger<br />
mit dem »China Bonds« an der<br />
wirtschaftlicher Stärke des<br />
Riesenreichs teilhaben. Denn<br />
die chinesische Währung<br />
Renminbi ist seit 2005 nicht<br />
mehr an den US-Dollar gekoppelt<br />
und hat laut DWS noch<br />
ein Aufwertungspotenzial von<br />
rund fünf Prozent jährlich in<br />
den nächsten fünf Jahren.<br />
Um direkt von der Aufwertung<br />
des Renminbi zu profitieren,<br />
sei der in Euro notierende<br />
Fonds gegen den US-Dollar<br />
abgesichert.<br />
Das Fonds-Portfolio bestehe<br />
aus bis zu 50 mittelfristigen<br />
Titeln guter Qualität: vor<br />
allem chinesische Staats- und<br />
Unternehmensanleihen<br />
sowie weltweiten Anleihen in<br />
Renminbi.<br />
WKN: (LCH) DWS08E<br />
DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />
BVI<br />
Anleger werden<br />
besonnener<br />
Antizyklisch Aktien kaufen – und zehn Jahre schlafen legen<br />
Börsenlegende Andrè Kostolany hätte seine<br />
Freude an der augenblicklichen Marktsituation<br />
gehabt. Denn für den Altmeister waren Krisen<br />
auch Chancen, um mit einem langfristigen Anlagehorizont<br />
aussichtsreiche Aktien günstig einzukaufen.<br />
»Kaufen Sie Aktien und legen Sie<br />
sich schlafen, am besten zehn Jahre«, predigte<br />
Kostolany. Beim Blick auf die europäischen<br />
Aktienmärkte möchte man diesem Rat gerne<br />
folgen. Es herrscht allgemeine Verunsicherung.<br />
Die Kurse der Dividendentitel durchleben eine<br />
atemberaubende Berg- und Talfahrt. Dem Börsen-Jubel<br />
auf die Beschlüsse des Euro-Gipfeltreffens<br />
folgte die Ernüchterung. Die Ankündigung<br />
des scheidenden griechischen Ministerpräsidenten,<br />
das Volk abstimmen zu lassen,<br />
ließ die Aktien kräftig purzeln. Mittlerweile ist<br />
auch das Referendum wieder Geschichte.<br />
Nach den heftigen Kursturbulenzen<br />
im August sind<br />
5,4 Milliarden Euro aus Publikumsfonds<br />
abgeflossen.<br />
Das war deutlich weniger als<br />
nach der Lehman-Pleite. Laut<br />
Bundesverband Investment<br />
und Asset Management (BVI)<br />
zogen Anleger nach der Lehman-Insolvenz<br />
im September<br />
2008 innerhalb eines Monats<br />
46 Milliarden Euro aus Publikumsfonds<br />
ab. Beim diesjährigen<br />
Kursrutsch im August<br />
seien aus Aktienfonds rund<br />
4,1 Milliarden und aus Mischfonds<br />
etwa 1,6 Milliarden Euro<br />
abgeflossen. Die Geldmarktfonds<br />
und Rentenfonds profitierten<br />
jedoch von den schwachen<br />
Aktienmärkten und<br />
sammelten je rund 1,4 Milliarden<br />
beziehungsweise 0,9 Milliarden<br />
Euro netto ein. Damit<br />
hielten sich die Verkäufe dem<br />
BVI zufolge in Grenzen, die<br />
Anleger reagierten besonnen.<br />
www.bvi.de<br />
ING IM<br />
Dynamik im<br />
Schwellenland<br />
Von GERD RÜCKEL,<br />
CEFA-Wertpapieranalyst, Frankfurt/M.<br />
Auf Werte mit hohen<br />
Dividenden aus Schwellenländern<br />
setzt die ING Investment<br />
Management.<br />
Der neu aufgelegte »Emerging<br />
Markets High Dividend« setzt<br />
dabei auf zwei Entwicklungen:<br />
Erstens wachsen die Schwellenländer<br />
dynamisch. Zweitens<br />
stiegen die Dividendenrenditen<br />
durch satte Gewinnspannen<br />
und niedrige Nettoverschuldung<br />
dort schneller.<br />
Ein Dividenden-Ansatz sorge<br />
daher für gute Anlagechancen.<br />
Als Benchmark dient der MSCI<br />
Emerging Markets Index. Die<br />
erzielten Dividendenrenditen<br />
sollen diesen um mindestens<br />
ein Prozent übersteigen. Das<br />
Management fokussiere zudem<br />
auf eine nachhaltige Ausschüttungspolitik,<br />
geringe<br />
Schwankungen der Werte, ein<br />
begrenztes Abwärtsrisiko und<br />
eine gleichmäßige Streuung<br />
des Risikos.<br />
ISIN: LU0300631982<br />
Sicher ist <strong>nur</strong>, dass Griechenland dringend Geld<br />
benötigt. Zu allem Überfluss gibt es ein noch<br />
größeres Euro-Sorgenkind. So beobachten die<br />
Experten einen beunruhigenden Anstieg der<br />
Renditen für italienische Staatsanleihen – ein<br />
untrügliches Zeichen für einen Vertrauensverlust<br />
von Investoren in die Staatsfinanzen<br />
Roms. Zusammen mit den eingetrübten Aussichten<br />
für die weltweite Konjunktur gibt es für<br />
Börsianer wenig zu lachen. Mutige Anleger sollten<br />
Kursrückschläge am Aktienmarkt dennoch<br />
zu antizyklischen Investments nutzen. Dabei<br />
dürfen auch die heimischen Finanz-Riesen<br />
Allianz und Deutsche Bank auf dem Kaufzettel<br />
stehen. Es gilt aber die Regel, <strong>nur</strong> einen überschaubaren<br />
Teil der verfügbaren Liquidität<br />
zu investieren – und dann schlafen legen, am<br />
besten zehn Jahre.<br />
BÜRGSCHAFTSBANK<br />
6.000. Bürgschaft<br />
Nach einem fulminanten Jahr<br />
2010 hat sich das Geschäft der<br />
Bürgschaftsbank Brandenburg<br />
2011 wieder normalisiert.<br />
Bis Oktober 2011 hat die Bank<br />
260 Bürgschaften und Garantien<br />
für Kredite und Beteiligungen mit<br />
einem Volumen von 65 Millionen<br />
Euro ausgereicht. Im Rekordjahr<br />
2010 waren es Bürgschaften und<br />
Garantien über ein Volumen von<br />
84 Millionen Euro. Im Oktober hat<br />
die Bürgschaftsbank Brandenburg<br />
zudem die 6.000. Bürgschaft seit<br />
ihrer Gründung vergeben. Über den<br />
positiven Bescheid freute sich die<br />
Stahnsdorfer Maschinenbau GmbH.<br />
Das Unternehmen entwickelt und<br />
fertigt komplexe Dreh- und Frästeile<br />
für den Maschinen- und Hydraulikanlagebau.<br />
Zweites Standbein ist<br />
der Getriebebau, beispielsweise<br />
für Solaranlagen oder Pellets-Heizsysteme.<br />
GRÜNDERFONDS<br />
Zweite Auflage<br />
Mit einem Volumen von 288,5 Millionen<br />
Euro hat der Hightech Gründerfonds<br />
II seine Geschäftstätigkeit<br />
aufgenommen.<br />
Mit 220 Millionen Euro steuert der<br />
Bund den größten Anteil zum Fonds<br />
bei. 40 Millionen Euro übernimmt<br />
die staatliche KfW Bankengruppe.<br />
Die Beteiligungen aus der Industrie<br />
(u. a. Robert Bosch, CEWE Color,<br />
Daimler, Deutsche Post DHL und die<br />
Deutsche Telekom) belaufen sich<br />
im Fonds II auf 28,5 Millionen. Der<br />
Hightech Gründerfonds II knüpft<br />
direkt an die Erfolgsbilanz des High-<br />
Tech Gründerfonds an. Dieser mit<br />
272 Millionen Euro ausgestattete<br />
Fonds investierte in rund 250 Hightech-Unternehmen.<br />
SANIERUNG<br />
Staat profitiert<br />
Für jeden Euro, der 2010 in die<br />
Förderung des energieeffizienten<br />
Bauens und Sanierens floss, nahm<br />
der Staat vier bis fünf Euro ein.<br />
Durch die KfW-Förderkredite in<br />
Höhe von 8,9 Milliarden Euro wurden<br />
Investitionen von 21,5 Milliarden<br />
Euro angestoßen. Das kommt<br />
vor allem regionalen Handwerkern<br />
und Bauunternehmen zugute, an<br />
die die Aufträge meist vergeben<br />
werden. In der Folge haben diese<br />
rund 340.000 Arbeitsplätze für ein<br />
Jahr geschaffen oder gesichert.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11<br />
57
INGENIEUR-NACHRICHTEN<br />
Fotos: Archiv, Rudolf Miethig<br />
KOMMENTAR<br />
Von DR. NORBERT MERTZSCH,<br />
Vorsitzender des VBIW e.V.<br />
Energie der Zukunft<br />
Die 1. Summer School der TH Wildau<br />
hatte das Thema »Klimaschutz<br />
und Klimafolgenanpassung«. Organisiert<br />
von den Energiewerken Nord<br />
und der TH Wildau, bildete sie den<br />
Auftakt für eine Serie von Veranstaltungen<br />
im ehemaligen Kernkraftwerk<br />
Rheinsberg. Workshops, Exkursionen<br />
und Abendveranstaltungen<br />
ermöglichten den Teilnehmern,<br />
sich mit Experten auszutauschen<br />
und Tätigkeitsfelder zu definieren.<br />
Als Referent zum Thema »Ambivalenzen<br />
der Erneuerbaren Energien«<br />
als Beitrag des VBIW, hatte ich die<br />
Gelegenheit, die Vortragsveranstaltungen<br />
zu verfolgen. Nach einer Einführung<br />
von Prof. Peter C. Werner<br />
vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung<br />
e.V., wurde das Thema<br />
aus Sicht des UBA des Landes<br />
Brandenburg, der Versicherungswirtschaft<br />
und der Klimaplattform<br />
INKA BB analysiert.<br />
Am zweiten und dritten Tag ging es<br />
um Vorhaben als Reaktion auf den<br />
Klimawandel. Vorgestellt wurden<br />
weiterhin: Das autarke Energiedorf<br />
Feldheim, Ansätze für neue Geschäftsideen<br />
zum Klimaschutz,<br />
Probleme bei der Ausweisung von<br />
Windeignungsgebieten, Telematikanwendungen<br />
in Gebäuden, die Wiederverwendung<br />
von gereinigtem<br />
Abwasser im ländlichen Raum sowie<br />
integrierte Algenanlagen zur Gewinnung<br />
von Biowertstoffen und Energie.<br />
Besonders erwähnen möchte<br />
ich die Vorträge unseres Mitglieds<br />
Dr. Andreas Gimsa über den von<br />
ihm weiterentwickelten Stirling-Motor<br />
und von Christian Wenger-<br />
Rosenau über den Jetcar mit Elektroantrieb<br />
der Firma Jetcar Zukunftsfahrzeug<br />
GmbH aus Nietwerder.<br />
Mein Fazit: Die Veranstaltung ebenso<br />
wie die Wahl des Ortes waren<br />
eine gute Idee der TH Wildau. Der<br />
VBIW wird die Fortsetzung der Veranstaltungsreihe<br />
aktiv unterstützen.<br />
deutsche Bahn<br />
DAS<br />
Als eine Studiengruppe<br />
des VBIW im April 2010<br />
den Schienenfahrzeug-Hersteller<br />
Bombardier in<br />
Hennigsdorf besuchte, stand<br />
die Einführung des Nahverkehrszugs<br />
Talent 2 kurz bevor.<br />
Die Deutsche Bahn hatte die<br />
Abnahme von 321 Regionalzügen<br />
in Aussicht gestellt. Ein<br />
Großauftrag, der das Fortbestehen<br />
der rund 1.900 Arbeitsplätze<br />
des Werks in Hennigsdorf<br />
auf Jahre sichern würde.<br />
Schon damals allerdings<br />
schienen die ursprünglich<br />
anvisierten Liefertermine gefährdet.<br />
42 Triebwagen für<br />
die S-Bahn Nürnberg sollten<br />
ab Dezember 2010 eingesetzt<br />
werden.<br />
Was fehlte, war die Zulassung<br />
des neuen Zuges durch<br />
das Eisenbahn-Bundesamt.<br />
Für die Erprobung blieb wenig<br />
Zeit, die Kunden drängten<br />
jetzt, erklärte Dr. Dirk Ehlers,<br />
der zusammen mit Harald<br />
THEMA<br />
Talent und Termine<br />
Seine Probefahrt mit dem neuen Nahverkehrszug<br />
Talent 2 musste der VBIW-Arbeitskreis Verkehrswesen<br />
auf unbestimmte Zeit verschieben.<br />
Körger die VBIW-Ingenieure<br />
geführt hatte.<br />
Schon damals bezweifelten<br />
VBIW-Ingenieure, dass man<br />
Erprobungszeiten, Entwicklungsetappen<br />
und Produktion<br />
im gewünschten Umfang<br />
beschleunigen könne. Inzwischen<br />
wurde VBIW-Mitgliedern<br />
der Region bekannt, dass<br />
bereits produzierte Züge auf<br />
dem Rangierbahnhof Wustermark<br />
abgestellt sind.<br />
Was sind die Ursachen?<br />
»Der Kostendruck ist gewaltig,<br />
auch bei den Herstellern. Die<br />
müssen also in immer kürzerer<br />
Zeit die Fahrzeuge abliefern.<br />
Und da bleibt eben für<br />
manches keine Zeit. Und das<br />
ist meist die Erprobung«, zitiert<br />
die sächsische Tageszeitung<br />
»Freie Presse« Prof.<br />
Günter Löffler von der TU<br />
Dresden. Auch der AK Verkehrswesen<br />
des VBIW erklärt<br />
Erfindern und Entwicklern<br />
immer wieder, wie wichtig<br />
die gründliche Erprobung von<br />
Prototypen und kleinen Vorserien<br />
ist.<br />
Das wissen selbstverständlich<br />
auch die Fachleute bei<br />
Bombardier, konnten sich<br />
aber – wie es scheint – gewissen<br />
Zwängen nicht entziehen.<br />
Die neuen Züge sollen elektrisch<br />
angetrieben werden<br />
und aus zwei bis sechs Wagen<br />
bestehen. Laut Bombardier sei<br />
die Antriebsleistung je nach<br />
Zahl der angetriebenen Achsen<br />
wählbar. Beim Talent-Modell<br />
in klassischer Bauart können<br />
ausschließlich die vier<br />
Achsen der beiden Enddrehgestelle<br />
angetrieben werden.<br />
Wegen welcher Mängel<br />
wird dem Talent 2 die Zulassung<br />
verweigert? Nach Kenntnis<br />
des VBIW-AK Verkehrswesen<br />
ist ein Problem die geforderte<br />
»Bremslinie«, d. h. die<br />
Verzögerung eines Zuges bis<br />
zum Stillstand. Entspricht sie<br />
nicht den Forderungen, werde<br />
der Zug <strong>nur</strong> für maximal 140<br />
km/h zugelassen. Nach Meinung<br />
des AK könnten die Züge<br />
aber immerhin zunächst<br />
auf Strecken eingesetzt werden,<br />
die <strong>nur</strong> Geschwindigkeiten<br />
von 120 km/h erlauben.<br />
Der zweite Mangel: Der Talent<br />
2 erhält keine Zulassung für<br />
die so genannte »Mehrfachtraktion«.<br />
Wenn also die<br />
Züge nicht gekuppelt fahren<br />
können, müsste die Bahn zwei<br />
bis zu fünf einzelne Fahrzeuge<br />
hintereinander auf die<br />
Strecke schicken, um dieselbe<br />
Zahl von Fahrgästen zu befördern.<br />
Das kann sie verständlicherweise<br />
nicht akzeptieren.<br />
Nun hat sich Bundesverkehrsminister<br />
Peter Ramsauer eingeschaltet.<br />
60 Talent 2 sollen<br />
ab Fahrplanwechsel im Dezember<br />
fahren.<br />
Der VBIW-AK Verkehrswesen<br />
wird die Probefahrt hoffentlich<br />
2012 nachholen können.<br />
Mitglieder des VBIW sind<br />
herzlich eingeladen.<br />
VBIW-AK Verkehrswesen<br />
58 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
INGENIEUR-NACHRICHTEN<br />
AKTUELL<br />
Foto: N. Mertzsch<br />
EXKURSION<br />
Wartung für<br />
Agrarflieger<br />
Zur FSB-Aircraft Maintenance<br />
GmbH am Flughafen<br />
Kyritz ging eine Fachexkursion<br />
von VBIW-Mitgliedern.<br />
Die fachlichen Wurzeln des<br />
1993 gegründeten Unternehmens<br />
liegen in der langjährigen<br />
Tradition der Wartung von<br />
Agrarflugzeugen der Interflug.<br />
Geschäftsführer Matthias Weigelt<br />
stellte das Leistungsspektrum<br />
des Unternehmens vor:<br />
Es reicht von der Wartung von<br />
EXKURSION: Besuch bei der<br />
FSB-Aircraft Maintenance GmbH.<br />
Flugzeugen bis 5,7 Tonnen<br />
Gewicht über Flugzeuglackierung,<br />
Flugzeugklempnerei<br />
und Sternmotorenwartung bis<br />
zur Tätigkeit als Service-Center<br />
für Cessna- und Diamond-Flugzeuge<br />
sowie Centurion-Flugzeugantriebe.<br />
Zusätzlich ist<br />
FSB Cessna-Vertragshändler.<br />
Ein Rundgang führte auch zu<br />
drei modernen Hangars. Werner<br />
Ritter, Flugzeugprüfer und<br />
damit zuständig für technische<br />
Abnahmen, verwies auf<br />
die notwendige Qualität bei<br />
der Wartung von Flugzeugen.<br />
Am größten derzeit in Wartung<br />
befindlichen Flugzeug,<br />
der polnischen M 18 »Dromader«<br />
(deutsch Dromedar), demonstrierte<br />
Ritter den Aufbau<br />
und die Arbeitsweise von<br />
Agrarflugzeugen.<br />
Diese Maschinen aus dem Bestand<br />
der früheren Interflug<br />
wurden von den nachfolgenden<br />
Besitzern nach und nach<br />
in alle Welt verkauft.<br />
Inzwischen hat die benachbarte<br />
FSB-Airservice GmbH in<br />
Kyritz wieder vier gebrauchte<br />
M-18A angeschafft.<br />
Dr. Norbert Mertzsch (VBIW)<br />
ENERGIESPEICHER<br />
Solarstrom<br />
jederzeit<br />
Um Energiespeicher der<br />
Zukunft ging es bei einer<br />
Tagung in Fürstenwalde.<br />
Der VBIW war mit dabei.<br />
Der AK Umweltschutz/<br />
Erneuerbare Energien des<br />
VBIW nahm an der Tagung<br />
VERSAMMLUNG<br />
Einladung an<br />
alle Mitglieder<br />
Der Vorstand des VBIW<br />
lädt alle Mitglieder zur<br />
Jahreshauptversammlung<br />
am 28. Januar 2012 ein.<br />
Auf der Jahreshauptversammlung<br />
wird Rechenschaft<br />
über die Aktivitäten<br />
des Vereins Brandenburgischer<br />
Ingenieure und Wirtschaftler<br />
e. V. (VBIW) im<br />
Jahre 2011 abgelegt. Um<br />
Diskussionsbeiträge dazu<br />
wird gebeten. Zusätzlich<br />
zu den obligatorischen<br />
Tagungsordnungspunkten<br />
wird wieder ein Fachvortrag<br />
geboten.<br />
Tagungsort: IHP,<br />
Veranstaltungsraum 1. OG,<br />
Im Technologiepark 25,<br />
15236 Frankfurt (Oder).<br />
Zeitplan: 10.00–14.00 Uhr,<br />
Einlass ab 9.30 Uhr (Imbiss).<br />
Vorstand des VBIW<br />
»Energiespeicher der Zukunft<br />
– Photovoltaikstrom zu jeder<br />
Zeit« teil, die von der IHK Ostbrandenburg<br />
und dem Transferzentrum<br />
Ostbrandenburg<br />
e. V. veranstaltet wurde. Die<br />
Speicherung großer Mengen<br />
elektrischer Energie ist nötig,<br />
weil das Angebot an regenerativen<br />
Stromquellen starken<br />
zeitlichen Schwankungen<br />
unterworfen ist. Auf der Tagung<br />
wurden zwei Bereiche<br />
diskutiert.<br />
Erstens: Speicherung von Elektroenergie<br />
in Batterien.<br />
Zweitens: Umwandlung von<br />
elektrischer Energie in chemische<br />
Bindungsenergie von Gasen<br />
oder flüssigen Stoffen. Aus<br />
beiden Bereichen wurden Lösungen<br />
vorgestellt. Bei den Batteriespeichern<br />
vor allem Systeme<br />
für kleinere Anlagen. Bei<br />
der Umwandlung in flüssige<br />
bzw. gasförmige Energieträger<br />
existieren kleinere Anlagen.<br />
Ein erstes Hybridkraftwerk,<br />
das Wasserstoff aus Windkraft<br />
erzeugt und bei Bedarf mit Biogas<br />
mischt und verstromt, wurde<br />
inzwischen bei Prenzlau in<br />
Betrieb genommen.<br />
Dr. Ulrich Fleck (VBIW)<br />
WETTBEWERB<br />
Ingenieurkunst<br />
in Bildern<br />
Fotos gesucht: Der VBIW-<br />
Bildkalender 2013 wird das<br />
Thema »Ingenieurkunstwerke<br />
in Bildern« haben.<br />
Der Vorstand des VBIW ruft<br />
dazu auf, an der Gestaltung<br />
des vereinsinternen Kalenders<br />
mitzuwirken. Gesucht werden<br />
Fotos von besonderen Ingenieurleistungen.<br />
Die Motive<br />
sollen sich in Brandenburg<br />
befinden oder unmittelbaren<br />
Bezug zur Vereinstätigkeit<br />
haben. Mit der Einsendung er-<br />
klären die Autoren verbindlich,<br />
dass sie Urheber der Arbeiten<br />
sind und alle Bildrechte<br />
bei ihnen liegen. Ihre Fotos<br />
können im Rahmen der Erstellung<br />
eines Technikkalenders<br />
auf der VBIW-Internetseite<br />
und in Veröffentlichungen des<br />
VBIW kostenfrei verwendet<br />
werden. Rechte Dritter, insbesondere<br />
der abgebildeten Personen,<br />
dürfen dem nicht entgegenstehen.<br />
Drei Fotos pro Autor sind möglich.<br />
Eine Jury trifft eine bindende<br />
Auswahl. Der Rechtsweg<br />
ist ausgeschlossen. Der Vorstand<br />
behält sich das Recht vor,<br />
<strong>nur</strong> einen Auszug des Bilds zu<br />
veröffentlichen und die<br />
Beschreibung redaktionell zu<br />
bearbeiten. Die Einreicher der<br />
zwölf ausgewählten Fotos erhalten<br />
kleine Preise und ein<br />
Belegexemplar des Kalenders.<br />
– Einsendeschluss:<br />
29. Juni 2012.<br />
– Technische Ansprüche:<br />
Digitalfoto, 300 dpi,<br />
13 cm x 20 cm, Querformat,<br />
Farbe oder sw.<br />
– Erforderliche Angaben:<br />
Name und Vorname des<br />
Bildautors, Adresse, Titel<br />
des Fotos, Ort der Aufnahme,<br />
Beschreibung der<br />
Ingenieurleistung (120 bis<br />
maximal 400 Worte).<br />
– Einsendung: Per E-Mail:<br />
jutta.scheer@<br />
arcelormittal.com.<br />
– Per Post auf CD-ROM an<br />
Jutta Scheer, Buchwaldstr.<br />
5, 15890 Eisenhüttenstadt).<br />
Dr. Norbert Mertzsch<br />
ADRESSE<br />
Verein Brandenburgischer<br />
Ingenieure und Wirtschaftler e.V.<br />
Landesgeschäftsstelle Frankfurt (O.)<br />
Fürstenwalder Str. 46<br />
15234 Frankfurt (Oder)<br />
Tel.: (0335) 869 21 51<br />
E-Mail: buero.vbiw@online.de<br />
Internet: www.vbiw-ev.de<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 59
BERICHT<br />
Fotos: H. Lachmann<br />
Brandenburg regenerativ<br />
Grüner Quantensprung<br />
Mit dem jetzt bei Prenzlau eingeweihten Hybrid-Kraftwerk hat<br />
Brandenburg in Sachen Energiewende einen grünen Leuchtturm<br />
geschaffen. Er steht im Land aber nicht allein auf weiter Flur.<br />
Steige hoch, du grüner Adler! Im Bereich<br />
der erneuerbaren Energien<br />
könnte Brandenburg mit der Umkolorierung<br />
seines roten Wappentieres<br />
liebäugeln. Auch wenn in den südlichen<br />
Landesteilen die Braunkohle weiter eine<br />
bedeutende Energieressource bleibt, hat<br />
es das Bundesland in den letzten Jahren<br />
vermocht, sich im Zukunftsfeld der regenerativen<br />
Energien bundesweit Spitzenpositionen<br />
zu erobern. Überall im märkischen<br />
Land sind »grüne Leuchttürme« gewachsen,<br />
die Aufmerksamkeit auf sich<br />
ziehen und Orientierung geben.<br />
Weltpremiere in der Uckermark: Ende<br />
Oktober ging bei Prenzlau das Wasserstoff-Hybridkraftwerk<br />
des Energieversorgers<br />
ENERTRAG AG in Betrieb (s. W&M<br />
11/2011). Erstmals sind in dieser Anlage<br />
die Energiequellen Wind, Wasserstoff<br />
und Biogas in einem technischen Verbund<br />
integriert. Der in drei Windturbinen<br />
erzeugte Strom wird in einer Elektrolyse-Anlage<br />
zur Herstellung von CO 2 -<br />
freiem Wasserstoff eingesetzt und kann<br />
so gespeichert werden. Diese fehlende<br />
Speichermöglichkeit galt bislang als<br />
energietechnischer »Flaschenhals«. Der<br />
»grüne« Wasserstoff kann in Zeiten hoher<br />
Nachfrage und bei fehlendem Wind<br />
im Blockheizkraftwerk wieder zu Strom<br />
umgewandelt werden. Gleichzeitig wird<br />
er an Wasserstoff-Tankstellen in Berlin<br />
und Hamburg für abgasfreie Stromautos<br />
geliefert.<br />
»Der heutige Tag gibt richtig Aufwind!«,<br />
freute sich Brandenburgs Ministerpräsident<br />
Matthias Platzeck bei der<br />
Einweihung des Hybridkraftwerks. Mit<br />
ihm gelinge es, »die schwankende Windenergie<br />
in eine verlässliche Größe umzuwandeln«,<br />
um sie als planbare Energie<br />
für Strom, Wärme und Mobilität eingesetzen<br />
zu können. Platzeck: »Wir haben<br />
es mit einem Quantensprung in der modernen<br />
Speichertechnologie zu tun.«<br />
PARTNER DER ENERGIEWENDE<br />
Werner Diwald, Vorstand der ENER-<br />
TRAG, hob hervor, dass die bedarfsgerechte<br />
Bereitstellung von Energie für die<br />
Sektoren Strom, Wärme und Mobilität<br />
allein aus erneuerbaren Quellen »ein<br />
zentraler Baustein für die Energiewende«<br />
ist. Aus diesem Grund entwickele das<br />
Energieunternehmen gemeinsam mit<br />
industriellen Partnern »Lösungen auf<br />
Basis heimischer Ressourcen, die die Energieversorgung<br />
Deutschlands in Übereinstimmung<br />
mit den politischen Zielen<br />
der Gesellschaft sicherstellen«. Partner<br />
beim Prenzlauer Kraftwerk sind die Vattenfall<br />
Europe AG für den »grünen«<br />
Strom, die Tankstellenkette TOTAL<br />
Deutschland für den Kraftstoff Wasserstoff<br />
sowie die Deutsche Bahn Energie<br />
GmbH als Stromkunde.<br />
Ein anderer Energieleuchtturm wächst<br />
über dem Lausitzring »EuroSpeedway«,<br />
der Motorsport-Anlage in der Niederlausitz,<br />
wortwörtlich in den Himmel. Hinter<br />
der Haupttribüne der Rennstrecke ist im<br />
November mit dem Bau der weltgrößten<br />
Windkraftaftanlage im Binnenland (installierte<br />
elektrische Leistung 7,5 MW)<br />
begonnen worden. Inklusive der Rotorblätter<br />
wird eine Turmhöhe von 200 Metern<br />
erreicht, das Gesamtgewicht beträgt<br />
2.811 Tonnen – ein »Energiegant«, der das<br />
Projekt »Grüner Lausitzring« komplett<br />
macht. Mit ihm wird die autarke Energieversorgung<br />
aus erneuerbaren Quellen<br />
angestebt. Nach derzeitigen Planungen<br />
soll das Windrad noch im Jahr 2011 den<br />
Betrieb aufnehmen. »Wenn uns kein allzuharter<br />
Winter dazwischen kommt«,<br />
sagt Werner Frohwitter von der Firma<br />
Energiequelle, die die Windkraftanlage<br />
baut. Pro Jahr können mit der Anlage<br />
rund 17.000 MWh elektrische Energie erzeugt<br />
und per Netzeinspeisung 15.000<br />
bis 18.000 Haushalte mit umweltfreundlichem<br />
Strom versorgt werden.<br />
Der erste Teil des »grünen Lausitzrings«,<br />
eine Solarcarportanlage mit integrierter<br />
solarer Stromtankstelle und Biogasanlage,<br />
läuft seit Oktober 2010. Die<br />
Solarcarportanlage, die zweitgrößte<br />
weltweit, überdacht 480 Auto-Stellplätze<br />
mit 4.548 Photovoltaik-Modulen, die eine<br />
Gesamtleistung von 999,21 kWp haben.<br />
Damit können pro Jahr bis zu 943 MWh<br />
an elektrischer Energie produziert werden.<br />
Das reicht für den Strombedarf von<br />
240 Vier-Personenhaushalten. Angeschlossen<br />
ist eine Stromtankstelle, an<br />
der Elektrofahrzeuge ihren umweltfreundlichen<br />
Treibstoff direkt laden können.<br />
Vier Ladestationen mit 230 Voltund<br />
400 Volt-Anschlüssen stehen den<br />
Fahrern von Elektroautos zur Verfügung.<br />
Fehlt <strong>nur</strong> noch eines auf der grünen<br />
Rennstrecke: die Wettfahrt von Elektroautos.<br />
Derzeit heulen auf dem Parcours<br />
noch die Verbrennungsmotoren.<br />
Auch Bürger können Wind machen,<br />
nicht <strong>nur</strong> protestierend. In Schlalach, einem<br />
Ortsteil der Gemeinde Mühlenfließ<br />
(Landkreis Potsdam-Mittelmark), ist aus<br />
dem Öko-Engagement von Einwohnern<br />
ein »Bürger-Windpark« mit 16 Windkraftanlagen<br />
entstanden. Die Windräder<br />
produzieren mit ihrer Leistung von 2,3<br />
Megawatt 60 mal mehr Strom, als die<br />
rund tausend Einwohner des Dorfes verbrauchen<br />
können. Für sein Modell des<br />
Bürger-Windparks wurde Schlalach von<br />
60 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
PREMIERENGÄSTE: Landrat Dietmar<br />
Schulze, DB-Energie-Geschäftsführer<br />
Dr. Hans-Jürgen Witschke, Vattenfall-<br />
Generalbevollmächtigter Rainer Knauber,<br />
ENERTRAG-Vorstand Werner Diwald,<br />
Ministerpräsident Matthias Platzeck,<br />
TOTAL-Deutschland-Geschäftsführer<br />
Hans-Christian Gützkow und ENERTRAG-<br />
Vorstandsvorsitzender Jörg Müller (v. l. n. r.).<br />
der Agentur für Erneuerbare Energien<br />
als »Energie-Kommune« des Monats im<br />
Dezember 2010 geehrt. Vor kurzen kam<br />
der Innovationspreis Erneuerbare Energien<br />
des Landkreises hinzu.<br />
Den Anstoß hatte die Ausweisung einer<br />
Windeignungsfläche in Schlalach<br />
durch die Regionale Planungsgemeinschaft<br />
Havelland-Fläming gegeben. Warum<br />
sollen wir nicht gemeinsam davon<br />
profitieren, war die Überlegung, die bald<br />
zur Gründung einer Arbeitsgruppe führte,<br />
die ein Flächenpachtmodell entwarf.<br />
Mit der Errichtung und dem Betrieb des<br />
Windparks wurde die Firma Enercon beauftragt.<br />
Nach dem Pachtmodell wird<br />
ein Fünftel der Pachteinnahmen an die<br />
Grundbesitzer ausgeschüttet, auf deren<br />
Boden das Windrad steht. Die restlichen<br />
80 Prozent werden auf alle Grundstückseigentümer<br />
des Windeinzugsgebiets verteilt.<br />
So fließt der »Windfall-Profit« nicht<br />
in die Taschen <strong>nur</strong> einiger weniger.<br />
Was Wunder, dass in Schlalach die Akzeptanz<br />
für Windkraftanlagen unter der<br />
Bevölkerung sehr hoch ist. Weitere Windräder<br />
sind in Planung. Für die Kommune<br />
ergibt sich zudem die Möglichkeit, an zusätzliche<br />
Steuereinahmen zu gelangen.<br />
Allein die jetzt aufgestellten 16 Windräder<br />
produzieren in ihrer Betriebszeit von<br />
20 Jahren Gewerbe- und Einkommensteuern<br />
von mehr als 3,3 Millionen Euro.<br />
Weitere 50.000 Euro jährlich kommen einer<br />
Bürgerstiftung zugute, die davon gemeinnützige<br />
Projekte finanziert.<br />
»Das Modell in Schlalach zeigt, dass<br />
durch gerechte Verteilung der Pachteinnahmen<br />
Konflikte im Vorhinein vermieden<br />
werden können«, betont Jörg Mayer,<br />
Geschäftsführer der Agentur für Erneuerbare<br />
Energien. Dank des dezentralen<br />
Charakters der erneuerbaren Energien<br />
könnten »die Bürger Energiepolitik vor<br />
Ort mitgestalten« und an der kommunalen<br />
Wertschöpfung beteiligt werden.<br />
Nach dem Motto »Was Hänschen nicht<br />
lernt« sollte die Orientierung auf die erneuerbaren<br />
Energien schon in der Schule<br />
beginnen. Nicht <strong>nur</strong> als Unterrichtsstoff,<br />
sondern im besten Fall auch als<br />
energetischer Gewinn im Alltag. Ein Beispiel<br />
ist das das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium<br />
in Königs Wusterhausen, wo sich<br />
eine Schülerfirma seit 1997 mit den Möglichkeiten<br />
der alternativen Energiegewinnung<br />
beschäftigt. Die »Energie-Team<br />
Schüler-Aktiengesellschaft« hat dafür<br />
gesorgt, dass heute fünf Photovoltaikanlagen<br />
auf der Dachterrasse der Schule<br />
Solarstrom produzieren, der in das Netz<br />
der E.ON edis AG eingespeist wird.<br />
ÖKO-BAU AUF DEM SCHULHOF<br />
»Außerdem nutzen wir die Messdaten<br />
der verschiedenen Technologien für Forschungen<br />
im Bereich der Photovoltaik-<br />
Technologie und entwickeln entsprechend<br />
geeignete Messmethoden«, berichtet<br />
die Schüler-AG auf ihrer Webseite im<br />
Internet. »Daneben forschen wir auf dem<br />
Feld der Wind- und Wasserenergie, und<br />
projektieren die Installation einer kleinen<br />
Windkraftanlage«. Aus dem Umwelt-<br />
Engagement ist inzwischen auch eine<br />
»Ökolaube« auf dem Schulhof entstanden,<br />
die nahezu vollständig aus umweltverträglichen<br />
Materialien gebaut wurde.<br />
Auch regional sind die Energie-Gymnasiasten<br />
im Rahmen der Initiative »KWmacht-Watt«<br />
aktiv, um das Klima für regenerative<br />
Energien in Königs Wusterhausen<br />
zu verbessern. Unter anderem<br />
durch Projekttage an den Grundschulen.<br />
Ob mit großen, grünen Leuchttürmen<br />
oder dezentralen Aktivitäten an der Basis<br />
in Dörfern und Schulen – auf vielen<br />
Pfaden sucht Brandenburg, seinen Weg<br />
in die Energie-Zukunft zu finden.<br />
Manfred Ronzheimer<br />
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WIRTSCHAFT & MARKT 12/11<br />
61
UV-AKTUELL<br />
GESCHÄFTSSTELLEN<br />
der Unternehmerverbände<br />
Unternehmerverband Berlin e.V.<br />
Präsident: Armin Pempe<br />
Hauptgeschäftsführer: Andreas Jonderko<br />
Geschäftsstelle:<br />
Ingrid Wachter (Sekretariat)<br />
Frankfurter Alllee 202, 10365 Berlin<br />
Tel.: (030) 981 85 00, 981 85 01<br />
Fax: (030) 982 72 39<br />
E-Mail: mail@uv-berlin.de<br />
Unternehmerverband Brandenburg e.V.<br />
Präsident: Eberhard Walter<br />
Hauptgeschäftsstelle Cottbus:<br />
Roland Kleint<br />
Schillerstraße 71, 03046 Cottbus<br />
Tel.: (03 55) 226 58, Fax: 226 59<br />
E-Mail: uv-brandenburg-cbs@t-online.de<br />
Bezirksgeschäftsstelle Potsdam:<br />
Bezirksgeschäftsführer: Hans-D. Metge<br />
Hegelallee 35, 14467 Potsdam<br />
Tel.: (03 31) 81 03 06<br />
Fax: (03 31) 817 08 35<br />
Geschäftsstelle Frankfurt (Oder):<br />
Geschäftsführer: Detlef Rennspieß<br />
Perleberger Str. 2, 15234 Frankfurt (O.)<br />
Tel.: (03 35) 400 74 56<br />
Mobil: (01 73) 633 34 67<br />
Unternehmerverband Rostock und<br />
Umgebung e.V.<br />
Präsident: Frank Haacker<br />
Geschäftsführerin: Manuela Balan<br />
Geschäftsstelle:<br />
Wilhelm-Külz-Platz 4, 18055 Rostock<br />
Tel.: (03 81) 242 58 -0, 242 58 -11<br />
Fax: 242 58 18<br />
Regionalbüro Güstrow:<br />
Am Augraben 2, 18273 Güstrow<br />
Tel.: (038 43) 23 61 12, Fax: 23 61 17<br />
Unternehmerverband Norddeutschland<br />
Mecklenburg-Schwerin e.V.<br />
Präsident: Rolf Paukstat<br />
Hauptgeschäftsführer: Wolfgang Schröder<br />
Geschäftsstelle:<br />
Brunnenstraße 32, 19053 Schwerin<br />
Tel.: (03 85) 56 93 33, Fax: 56 85 01<br />
Unternehmerverband Thüringen e.V.<br />
Präsident: Peter Baum<br />
Geschäftsstelle:<br />
IHK Erfurt<br />
Arnstädter Str. 34, 99099 Erfurt<br />
Tel.: (03 681) 42 00 50, Fax: 42 00 60<br />
Unternehmerverband Vorpommern e.V.<br />
Präsident: Gerold Jürgens<br />
Leiter d. Geschäftsst.: Wolfgang Kastirr<br />
Geschäftsstelle:<br />
Am Koppelberg 10, 17489 Greifswald<br />
Tel.: (038 34) 83 58 23, Fax: 83 58 25<br />
Unternehmerverband Sachsen e.V.<br />
Präsident: Hartmut Bunsen<br />
Vizepräs.: Dr. W. Zill, Dr. M. Reuschel,<br />
U. Hintzen<br />
Geschäftsführer: Rüdiger Lorch<br />
www.uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Chemnitz:<br />
Leiterin: Gabriele Hofmann-Hunger<br />
Marianne-Brandt-Str. 4, 09112 Chemnitz<br />
Tel.: (03 71) 49 51 29 12, Fax: -16<br />
E-Mail: chemnitz@uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Dresden:<br />
Repräsentant: Klaus-Dieter Lindeck<br />
Antonstraße 37, 01097 Dresden<br />
Tel.: (03 51) 899 64 67, Fax 899 67 49<br />
E-Mail: dresden@uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Leipzig:<br />
Leiterin: Silvia Müller<br />
Riesaer Straße 72 – 74, 04328 Leipzig<br />
Tel.: (03 41) 257 91-20, Fax: -80<br />
E-Mail: leipzig@uv-sachsen.org<br />
Unternehmerverband Sachsen-Anhalt e.V.<br />
Präsident: Jürgen Sperlich<br />
Geschäftsstelle Halle/Saale<br />
Berliner Str. 130, 06258 Schkopau<br />
Tel.: (0345) 78 23 09 24<br />
Fax: (0345) 78 23 467<br />
UV Brandenburg<br />
Bundespolitik traf Wirtschaft<br />
SPD-Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein sprach mit Brandenburger<br />
Unternehmern über <strong>Mindestlohn</strong>, Fachkräftemangel und Förderpolitik.<br />
Ein Besuch des Bundeskanzleramtes stand ebenfalls auf dem Programm.<br />
Die Zeit drängte ein wenig.<br />
Nur wenige Tage<br />
vor der Abstimmung<br />
des Bundestages zur Euro-Rettung<br />
empfing Andrea Wicklein,<br />
Abgeordnete der SPD,<br />
gut 50 Unternehmer aus dem<br />
Land Brandenburg im Paul-<br />
Löbe-Haus. Trotz der hektischen<br />
Betriebsamkeit und der<br />
vielen Akten, die im Zuge der<br />
europäischen Entscheidungen<br />
zur Finanzkrise gewälzt<br />
werden mussten, nahm sich<br />
die studierte Diplom-Ökonomin<br />
fast eine Stunde Zeit für<br />
die Fragen der Verbandsmitglieder.<br />
Wicklein ist bereits<br />
seit drei Legislaturperioden<br />
im Bundestag vertreten und<br />
für den Wahlkreis 62, der die<br />
Landeshauptstadt Potsdam<br />
und große Teile Potsdam-Mittelmarks<br />
umfasst, direkt gewählt.<br />
Als Mitglied im Ausschuss<br />
für Wirtschaft und<br />
Technologie und dort verantwortlich<br />
für den Mittelstand<br />
und die Förderpolitik stand<br />
sie Rede und Antwort zu wirtschaftpolitischen<br />
Themen sowie<br />
zu den Verwerfungen an<br />
den Finanzmärkten.<br />
Die Unternehmer interessierten<br />
sich zum einen für die<br />
Haltung von Wicklein zum<br />
gesetzlichen <strong>Mindestlohn</strong>. Sie<br />
erfuhren, dass sich die SPD-<br />
Abgeordnete für die Einführung<br />
eines flächendeckenden<br />
<strong>Mindestlohn</strong>s einsetzt. Da<br />
sehe sie auch Vorteile für die<br />
Mittelständler. Wicklein fragte<br />
ihrerseits die Brandenburger<br />
UV-Mitglieder nach ihren<br />
Erfahrungen mit den bereits<br />
eingeführten, branchenspezifischen<br />
Regelungen.<br />
Die seien eher ambivalent,<br />
so die Firmenvertreter. Positive<br />
Effekte zeichneten sich<br />
kaum ab, denn die Dienstleistungen<br />
und Produkte werden<br />
durch den <strong>Mindestlohn</strong> letztlich<br />
teurer, ohne dass für den<br />
Kunden ein Mehrwert entstehen<br />
würde. Die Leistung werde<br />
somit, wenn möglich, vermieden.<br />
Auf diese Weise könne<br />
man keine Arbeitsplätze<br />
erhalten oder gar neue schaffen.<br />
Bemängelt wurden zudem<br />
die unterschiedlichen tariflichen<br />
Regelungen für Berlin<br />
und Brandenburg.<br />
Wicklein plädierte dezidiert<br />
für eine einheitliche Tarifpolitik<br />
in Berlin und Brandenburg,<br />
aber auch generell in<br />
Ost und West. Nur so sei es<br />
möglich, junge Menschen im<br />
Osten zu halten: »Branden-<br />
IM KANZLERAMT: Delegation Brandenburger Unternehmer.<br />
burg muss um jeden Jugendlichen<br />
kämpfen.«<br />
Kritisch bewerteten einige<br />
der Unternehmer auch die<br />
Förderpolitik von Bund und<br />
Ländern. Es gebe zum Teil<br />
ganze Branchen, die sich mittlerweile<br />
<strong>nur</strong> durch die Beratung<br />
und Vermittlung von<br />
Förderprogrammen über Wasser<br />
halten würden, so die Erfahrungen<br />
einzelner Verbandsmitglieder.<br />
Die Fördergelder<br />
werden allerdings<br />
zumeist durch die Länder vergeben<br />
und die Ausgabe in der<br />
Regel streng kontrolliert, sagte<br />
Andrea Wicklein. Sie versprach<br />
aber, das Problem im<br />
Auge zu behalten.<br />
Abschließend erläuterte<br />
sie ihre Sicht als Wirtschaftspolitikerin<br />
auf die Finanzmarktprobleme<br />
des europäischen<br />
Währungsraums. Ihrer<br />
Meinung nach ist die Struktur<br />
der kleinen und mittleren Unternehmen<br />
im Osten ein Vorteil<br />
in dieser Krise, schwierig<br />
könnte es allerdings für diejenigen<br />
werden, die einen hohen<br />
Kapitalbedarf haben.<br />
Wichtig sei es jetzt für Europa,<br />
von den Schulden herunter<br />
zu kommen und den Finanzsektor<br />
zu stabilisieren:<br />
»Dazu müssen das spekulative<br />
und das Kreditgeschäft entkoppelt<br />
werden. Das funktioniert<br />
aber nicht im nationalen<br />
Alleingang, sondern muss<br />
auf europäischer Ebene diskutiert<br />
werden.« Wo Entscheidungen<br />
von derartiger Tragweite<br />
getroffen werden, konnten<br />
die Verbandsmitglieder<br />
bei einem Rundgang durch<br />
das Bundeskanzleramt sehen.<br />
Von der Ahnengalerie der<br />
Kanzler über den Konferenzraum<br />
bis zum Kabinettssaal<br />
besichtigten sie das lichtdurchflutete,<br />
transparent gestaltete<br />
Regierungsgebäude.<br />
Ulrike Borrmann<br />
&<br />
62 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
UV-AKTUELL<br />
NACHRICHTEN<br />
Fotos: Deutscher Bundestag, A. Koslowski, UV Brandenburg<br />
UV BERLIN<br />
Sonderpreis an<br />
Unternehmer<br />
Der Berliner Wolfram Bürokommunikation<br />
GmbH &<br />
Co. KG ist am 22. Oktober<br />
2011 im Rahmen der<br />
Auszeichnungsgala » Großer<br />
Preis des Mittelstandes<br />
2011« der Sonderpreis<br />
»Premier« der Oskar-Patzelt-<br />
Stiftung verliehen worden.<br />
Zuvor hatten etwa 1.000 Institutionen,<br />
Kommunen, Kammern<br />
und Verbände nach einer<br />
öffentlichen Ausschreibung<br />
insgesamt 3.552 Unternehmen<br />
für den »Großen Preis des Mittelstandes<br />
2011« nominiert.<br />
Die Berliner Wolfram Unternehmensgruppe<br />
mit den<br />
drei Standbeinen Bürokommunikation,<br />
Consulting und IT-<br />
Systemhaus zählt mit rund<br />
50 Mitarbeitern und einem<br />
Jahresumsatz von rund acht<br />
Millionen Euro zu den bundesweit<br />
führenden Anbietern der<br />
Branche. Entgegen dem Branchentrend<br />
legte das Unternehmen<br />
in den letzten Jahren regelmäßig<br />
zu. Zwischen 2006<br />
und 2010 konnte der Umsatz<br />
mehr als verdoppelt werden.<br />
Der geschäftsführende Gesellschafter<br />
Mathias Wolfram (47)<br />
mit seiner fast 22jährigen unternehmerischen<br />
Erfahrung<br />
setzt vor allem auf frische<br />
Ideen, aus denen innovative<br />
Beratungs-, Finanzierungs-,<br />
Service- und Vertriebskonzepte<br />
für die Kunden entstehen.<br />
Das Fundament für die Unternehmensgründung<br />
wurde an<br />
einem historischen Tag, dem<br />
9. November 1989, gelegt.<br />
Während ganz Ostberlin im<br />
Westen »<strong>nur</strong> mal gucken« wollte,<br />
erstand Gründer Mathias<br />
Wolfram seine ersten fünf<br />
Kopierer und richtete sich in<br />
einem typischen Berliner Altbau<br />
im Prenzlauer Berg ein.<br />
Der heutige Unternehmenssitz<br />
befindet sich in Berlin-Pankow.<br />
Als einziger Wettbewerb in<br />
Deutschland bewertet der<br />
»Große Preis des Mittelstandes«<br />
SIEGER: Mathias Wolfram.<br />
Vor 20 Jahren wurde in<br />
Leipzig die Firma Messeprojekt<br />
GmbH gegründet.<br />
Für Geschäftsführer und<br />
UV-Präsident Hartmut Bunsen<br />
Grund genug, im November<br />
mit seinen 170 Mitarbeitern<br />
auf die Erfolgsgeschichte der<br />
größten ostdeutschen Messebaufirma<br />
anzustoßen.<br />
Sachsens Ministerpräsident<br />
Stanislaw Tillich ließ es sich<br />
nicht nehmen, bereits im<br />
Gründungsmonat Oktober<br />
persönlich zu gratulieren. Er<br />
nutzte seinen Besuch für einen<br />
Rundgang durch die Produktionshallen,<br />
zu Gesprächen<br />
mit Mitarbeitern und Auszubildenden<br />
und informierte<br />
sich über die Branche.<br />
»Mit Stanislaw Tillich besucht<br />
uns zum ersten Mal ein Ministerpräsident.<br />
Ich sehe darin<br />
eine Würdigung des Mittelder<br />
Oskar-Patzelt-Stiftung mittelständische<br />
Unternehmen<br />
als Ganzes samt ihrer gesellschaftlichen<br />
Rolle. Zu den Kriterien<br />
gehören die Gesamtentwicklung<br />
des Unternehmens,<br />
die Schaffung und Sicherung<br />
von Arbeits- und Ausbildungsplätzen,<br />
Innovation und Modernisierung,<br />
Service-und Kundennähe<br />
bzw. Marketing sowie<br />
das Engagement in der Region.<br />
+ TERMINE+<br />
TERMINE<br />
UV Brandenburg<br />
1. Dezember, 18.00–21.00 Uhr<br />
Unternehmertreff Königs<br />
Wusterhausen – Business<br />
Knigge für Fortgeschrittene,<br />
Residenzhotel Motzen,<br />
Mittenwald OT Motzen<br />
UV Sachsen<br />
6. Dezember, ab 19.30 Uhr<br />
Jahresabschluss – Traditionelles<br />
Unternehmergespräch mit<br />
Leipzigs Oberbürgermeister<br />
Burkhard Jung. Historischer<br />
Sitzungssaal der Deutschen<br />
Bank, Martin-Luther-Ring 2,<br />
Leipzig<br />
UV Thüringen<br />
15. Dezember<br />
Weihnachtsmarktbegehung mit<br />
anschließendem Weihnachtsessen,<br />
Weihnachtsmarkt Erfurt,<br />
Anmeldungen unter<br />
www.uv-thueringen.de<br />
UV THÜRINGEN<br />
Verband<br />
wieder online<br />
Auf der Mitgliederversammlung<br />
2011 zogen die Erfurter<br />
eine Bilanz der Verbandsarbeit<br />
des letzten Jahres.<br />
Mit der Vorstellung der neuen<br />
Internetseite wurde zudem<br />
eine letzte Lücke in der öffentlichen<br />
Wahrnehmung des UV<br />
Thüringen geschlossen.<br />
In diesem Jahr wurden wieder<br />
einige Mitgliederveranstaltungen<br />
durchgeführt. So berichtete<br />
Friedrich Schmitz, Mitglied<br />
des Vorstandes, vom Besuch<br />
des alten Heizhauses in Erfurt-<br />
Brühl, dem Vortrag des Leiters<br />
der Thüringer Green-Tech-<br />
Agentur (W&M berichtete) und<br />
einer ausgedehnten Kanu-Tour.<br />
»Was die Veranstaltungsplanung<br />
im nächsten Jahr betrifft,<br />
setzen wir in Zukunft<br />
eher auf Qualität als auf Quantität.<br />
Es wird Vorträge, Unternehmensbesichtigungen<br />
und<br />
einige Treffen geben, die eher<br />
Freizeitcharakter haben«, so<br />
Schmitz. Die konkrete Planung<br />
wird auf der Vorstandstagung<br />
am 13. Dezember erfolgen.<br />
Stefan Hoffmann, Geschäftsführer<br />
der Agentur eckpunkt<br />
aus Erfurt und Gestalter des<br />
neuen Webauftritts, stellte den<br />
Mitgliedern und Gästen des<br />
UV Thüringen die Internetseite<br />
vor. Neues Logo und<br />
neues Design sorgen für einen<br />
modernen Auftritt. In Zukunft<br />
wird es dort auch einen eigenen<br />
Mitgliederbereich und<br />
eine Einbindung in das soziale<br />
Netzwerk Facebook geben.<br />
Um den Gästen eine Vorstellung<br />
zu geben, wie das funktioniert,<br />
hatte der Vorstand einen<br />
Experten für Suchmaschinenmarketing<br />
und soziale Netzwerke<br />
eingeladen.<br />
Andreas Hörcher, Geschäftsführer<br />
der Finnwaa GmbH aus<br />
Jena, zeigte die Möglichkeiten<br />
auf, aber auch die Fallstricke,<br />
die bei Social Media im Allgemeinen<br />
und bei Facebook<br />
im Besonderen lauern.<br />
UV SACHSEN<br />
Regierungschef<br />
gratulierte<br />
AUFWARTUNG: Ministerpräsident<br />
Tillich (M.) bei Firma Messeprojekt.<br />
standes«, betonte Bunsen. Er<br />
teile die Zuversicht der Landesregierung,<br />
dass die Firmen im<br />
Freistaat die Schuldenkrise in<br />
Europa kaum zu spüren bekommen<br />
würden. »Die Wirtschaft<br />
steht besser da als es<br />
scheint. Das ist für die Stimmung<br />
im Land wichtig. Unsere<br />
Auftragsbücher sind voll. Der<br />
Messebau ist wie ein Schaufenster<br />
der Wirtschaft.« Tillich<br />
betonte den Mittelstand als stabile<br />
Säule der Wirtschaft. Die<br />
Messeprojekt GmbH sei ein beeindruckendes<br />
Beispiel.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 63
W&M-PRIVAT<br />
BERGBAU<br />
Die Explosion<br />
von Zwickau<br />
Er war jung und kaum grubenerfahren,<br />
der Hauer<br />
Hans Häber, als das Unglück<br />
geschah. Am 22. Februar 1960<br />
explodierte die 1. Kohlenabteilung<br />
auf dem Karl-Marx-<br />
Schacht in Zwickau. Häber<br />
überlebte, doch die Erinnerung<br />
ließ ihn nicht los. In<br />
einer voluminösen zweibändigen<br />
Dokumentation legt<br />
er jetzt dar, was damals in<br />
1.000 Meter Tiefe geschah<br />
und 123 Bergleuten das<br />
Leben kostete. Und warum so<br />
viele Details zu DDR-Zeiten<br />
verschwiegen wurden.<br />
Hans Häber,<br />
Die Explosion,<br />
Verlag DENKart,<br />
1.192 Seiten u. DVD,<br />
32,10 EUR<br />
SEEFAHRT<br />
Abenteuer<br />
unter Deck<br />
Chiefs von Fischereidampfern,<br />
Marine- und Fährschiffen<br />
erinnern sich an Zeiten,<br />
als die Frachtschiffe noch<br />
nicht digital gestützt unterwegs<br />
waren und nach Maschinenöl<br />
rochen. Von Kameradschaft<br />
und Konkurrenzkämpfen,<br />
von Schiffstechnik des<br />
vergangenen Jahrhunderts<br />
und drohenden Katastrophen,<br />
von politischem Stress<br />
der Seefahrt im geteilten<br />
Deutschland und von Umweltsünden.<br />
Ein Quentchen<br />
Sehnsucht nach Meer ist<br />
immer noch dabei.<br />
Hans-H. Diestel (Hrsg.),<br />
Schiffsingenieure<br />
berichten.<br />
Geschichten von<br />
Chiefs auf Großer<br />
Fahrt, Hinstorff<br />
Verlag, 208 Seiten,<br />
9,90 EUR<br />
I<br />
m Jahre 1980 kam der<br />
Berliner Telefon-Hersteller<br />
DeTeWe mit der ersten<br />
digitalen Telefonanlage der<br />
Welt auf den Markt, entwickelt<br />
in Zusammenarbeit<br />
mit dem Technik-Riesen Siemens.<br />
Eine tolle Kommunikationstechnik,<br />
dem Bedarf der<br />
Analog-Welt um einige Jahre<br />
voraus.<br />
Jedoch: Die Erfindung wurde<br />
ein wirtschaftlicher Flop.<br />
DeTeWe verlor seine Unabhängigkeit,<br />
ist heute Teil<br />
eines kanadischen Konzerns,<br />
und Siemens stieß seine Telekommunikationssparte<br />
ab.<br />
Boris Maurer und Sabine Fiedler<br />
erwähnen in ihrem Buch<br />
»Innovationsweltmeister« das<br />
Schicksal des traditionsreichen<br />
Berliner Telefon-Unternehmens<br />
als eines von zahllosen<br />
Beispielen für kritische<br />
oder gar gescheiterte Produkt-<br />
Innovationen. Von 100 Ideen<br />
für neue Produkte werden<br />
lediglich sechs letztendlich<br />
Verkaufsschlager.<br />
Doch das Buch der beiden<br />
Berliner Innovationsspezialisten<br />
will keinesfalls entmutigen,<br />
eher umgekehrt. Boris<br />
Mauer, bis 2010 bei der Unternehmensberatung<br />
McKinsey<br />
und heute als freier Konsultant<br />
tätig, und die Journalistin<br />
Sabine Fiedler, Pressesprecherin<br />
des Deutschen Instituts<br />
für Wirtschaftsforschung<br />
(DIW), haben ein Kompendium<br />
zusammengestellt, das<br />
viele Nutzerkreise anspricht:<br />
Sowohl den Geschäftsführer<br />
BÜCHERBORD<br />
Abenteuer(liche) Wirtschaft<br />
Wo irrte DeTeWe?<br />
Innovationen bieten Marktchancen, können aber<br />
ebenso sang- und klanglos enden. Ein neues Buch<br />
zu der unendlichen Geschichte von Flops und Tops<br />
und Forschungsleiter, der<br />
sein Unternehmen im Wirtschaftswettkampf<br />
zum Innovationsweltmeister<br />
aufbauen<br />
will, als auch den Politiker,<br />
dem gleiches für seine Volkswirtschaft<br />
vorschwebt.<br />
Zentrale Botschaft ist die<br />
Unterscheidung von zwei Innovationstypen.<br />
Die evolutionäre<br />
Innovation will im Wesentlichen<br />
über Produktneuerungen<br />
und -verbesserungen<br />
Marktanteile erobern, die revolutionäre<br />
Innovation eröffnet<br />
mittels Basis-Erfindungen<br />
gänzlich neue Märkte. Revolutionen<br />
für Deutschland – das<br />
fordern die Autoren durchgängig.<br />
Sie meinen damit die<br />
stärkere Ausrichtung auf<br />
grundlegende technische<br />
Neuerungen. Aber sie plädieren<br />
auch für engere Kooperationen<br />
unter den Innovations-<br />
Akteuren, wobei aus ihrer<br />
Sicht vor allem die Regionen<br />
als die »Spielfelder des Neuen«<br />
anzusehen sind.<br />
Ein Kapitel des Buchs ist<br />
dem Wirtschaftsstandort Berlin<br />
gewidmet. Um die an der<br />
Spree fehlenden 500.000 Arbeitsplätze<br />
bis zum Jahr 2020<br />
durch Innovation zu generieren,<br />
wird die Konzentration<br />
auf vier Zukunftsfelder empfohlen:<br />
Elektroautos, breiter<br />
Einsatz der Informationstechnik<br />
(smart city), Gesundheitswirtschaft<br />
und Tourismus.<br />
Für die Wirtschaftspolitiker<br />
des neuen Berliner Senats<br />
eine Pflichtlektüre.<br />
Manfred Ronzheimer<br />
BORIS MAURER, SABINE FIEDLER<br />
Innovationsweltmeister. Wie unsere<br />
Unternehmen unschlagbar werden<br />
Wiley-VCH Verlag, 2011, 374 Seiten<br />
PRESSE<br />
Druck aufs<br />
Gemüt<br />
Sie waren Chefredakteure,<br />
Auslandskorrespondenten,<br />
Pressereferenten, Fernsehmoderatoren,<br />
Parteiagitatoren.<br />
31 Journalisten, die<br />
zu DDR-Zeiten Karriere<br />
machten, nahmen es auf<br />
sich, nun ihrerseits befragt<br />
zu werden. Ein Buch, gefördert<br />
von der Deutschen<br />
Forschungsgemeinschaft,<br />
mit offenen Worten über<br />
menschliche Irrtümer und<br />
politisches Versagen im<br />
Beruf. Mit manchen erhellenden<br />
Einlassungen über die<br />
Kapriolen der Wirtschaftspropaganda<br />
in der späten<br />
Honecker-Ära.<br />
M. Meyen/A. Fiedler,<br />
Die Grenze im Kopf.<br />
Journalisten in<br />
der DDR,<br />
Panama Verlag,<br />
400 Seiten,<br />
24,90 Euro<br />
BESTSELLER<br />
Wirtschaftsbuch<br />
1. Dirk Müller: Crashkurs<br />
Droemer (19,99 EUR)<br />
2. Martin Wehrle: Ich arbeite<br />
in einem Irrenhaus<br />
Econ (14,99 EUR)<br />
3. Peer Steinbrück: Unterm Strich<br />
HoCa (23.00 EUR)<br />
4. Frank Lehmann. Ruth E. Schwarz:<br />
Über Geld redet man nicht<br />
Econ(18,00 EUR)<br />
5. Wilhelm Hankel: Das Euro-<br />
Abenteuer geht zu Ende. Kopp<br />
(19,95 EUR)<br />
6. Joseph Vogl: Das Gespenst des<br />
Kapitals. – diaphanes (14,90 EUR)<br />
7. M. Grandt, G. Spannbauer,<br />
U. Ulfkotte: Europa vor dem<br />
Crash – Econ (22 EUR)<br />
8. F. Wehrheim, M. Gösele: Inside<br />
Steuerfahndung<br />
Riva (19,99 EUR)<br />
9. Sahra Wagenknecht: Freiheit<br />
statt Kapitalismus<br />
Eichborn (19,95 EUR)<br />
10.Joachim Käppner: Berthold<br />
Beitz. Die Biographie<br />
Berlin Verlag (36,00 EUR)<br />
64 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
W&M-PRIVAT<br />
LEUTE & LEUTE<br />
LESERPOST<br />
Karrikatur und Zeichnung: Rainer Schwalme<br />
Heute nackt<br />
oder nie<br />
Ernst Röhl entdeckt die<br />
neue Körperkultur<br />
Der nächste Winter<br />
kommt bestimmt.<br />
Statt Nacktradeln ist<br />
Nacktrodeln angesagt, beispielsweise<br />
an den Hängen<br />
von Braunlage im Oberharz.<br />
Besorgte Mütter fragen sich,<br />
ob die Rodlerinnen und Rodler<br />
ihren Blößenwahn nicht<br />
entschieden zu weit treiben.<br />
In diesem Punkt aber gehen<br />
die Ansichten weltweit auseinander.<br />
Der Islam schreibt<br />
Frauen zu jeder Jahreszeit<br />
Ganzkörperverschleierung<br />
mittels Burka vor. Den Yanomami,<br />
wohnhaft am Orinoco<br />
in Südamerika, reicht eine<br />
dünne Sch<strong>nur</strong> in der Lendengegend,<br />
und dem Dresscode<br />
ist Genüge getan. Ganz ohne<br />
Sch<strong>nur</strong> allerdings fühlen sie<br />
sich sündhaft unangezogen.<br />
Nacktheit gehört zu den<br />
unverzichtbaren Werten der<br />
westlichen Welt, denn besser<br />
als alles andere lenkt dies das<br />
Interesse der Kundschaft auf<br />
Werbebotschaften aller Art.<br />
In den USA sorgte 2004 die<br />
Sängerin Janet Jackson für<br />
den so genannten Nipplegate-<br />
Skandal, als während des Auftritts<br />
ihr absichtsvoll verrutschendes<br />
Kleid die linke Brust<br />
enthüllte. Der kanadische<br />
Fernsehsender Naked News<br />
setzt in seinen Nachrichtenprogrammen<br />
<strong>nur</strong> unbekleidete<br />
Moderatorinnen und Reporterinnen<br />
ein, Parole: Möpse<br />
schauen dich an. Der Fotograf<br />
Spencer Tunick fotografierte<br />
vor dem Opernhaus in<br />
Sydney 5.200 unbekleidete<br />
Männlein und Weiblein und<br />
stellte dann in Mexiko City<br />
mit 18.000 Nacktivisten sogar<br />
den bis heute gültigen Nackedei-Weltrekord<br />
auf. Und drei<br />
junge Journalistinnen mussten,<br />
um zum israelischen Ministerpräsidenten<br />
Netanjahu<br />
vorgelassen zu werden, bei<br />
der Einlasskontrolle ihre Büstenhalter<br />
ablegen. Aus Sicherheitsgründen.<br />
Die MDR-Tatortkommissarin<br />
Simone Thomalla macht<br />
sich in Tatort-Krimis ziemlich<br />
rar, lieber präsentiert sie sich<br />
im PLAYBOY unten und oben<br />
ohne. Daniela Katzenberger<br />
(»Katzi«) posiert, wie Gott sie<br />
schuf, für einen Kalender.<br />
Jungbäuerinnen sind splitterfasernackt<br />
im Jungbäuerinnen-Kalender<br />
zu besichtigen.<br />
Studentinnen lassen sich für<br />
einen offenherzigen Aktkalender<br />
mit dem Titel »Lüneburg<br />
hüllenlos« ablichten.<br />
Flugbegleiterinnen der spanischen<br />
Linie Air Comet ließen<br />
die Hüllen fallen für einen<br />
Stewardessen-Aktkalender;<br />
Hintergedanke: Gehaltszahlungen,<br />
die Air Comet ihnen<br />
vorenthielt, durch den Verkauf<br />
des Kalenders wieder<br />
reinholen.<br />
Überhaupt gilt weibliche<br />
Nacktheit zumeist als edel<br />
motiviert. Elisabetta Canalis<br />
(33), einst Freundin von George<br />
Clooney, zog sich für die<br />
Tierschutzorganisation PETA<br />
aus, Motto: Lieber nackt als<br />
Pelz! Camilla Jackson, Tochter<br />
eines Jagdaufsehers, ritt barbusig<br />
durch die Londoner<br />
City, um gegen ein beabsichtigtes<br />
Verbot der Fuchsjagd zu<br />
demonstrieren. Im polnischen<br />
Wahlkampf 2011 öffnete<br />
die Kandidatin Katarzyna<br />
Lenart ihren BH, um den<br />
Jungwählern Einblicke in die<br />
Geheimnisse der Sozialdemokraten<br />
zu bieten. Und in Russland<br />
steht eine »Armee« von<br />
1.000 hübschen jungen Frauen<br />
bereit, pudelnackt für den<br />
aktuellen Präsidentschaftskandidaten<br />
zu kämpfen, und<br />
zwar mit dem Kampfschrei<br />
»Russland, Titten, Putin!« &<br />
Dohnanyi<br />
Heft 11-2011<br />
»Also ›Gelddrucken‹?«, fragt<br />
Klaus von Dohnanyi und<br />
antwortet: »Ja. ... Allerdings<br />
darf dieses ›Gelddrucken‹<br />
keine Inflationsgefahr verursachen.«<br />
Glaubt Herr<br />
Dohnanyi wirklich, wenn<br />
die EZB zum »Gelddrucken«<br />
einmal die Erlaubnis oder<br />
den Auftrag hat, dass dieser<br />
Zustand nicht von der Politik<br />
rigoros ausgenutzt wird, um<br />
Geld aus dem Nichts zu produzieren,<br />
um es weiter maßlos<br />
zu verschwenden? Ich bin<br />
eher davon überzeugt, dass<br />
unsere deutschen und die anderen<br />
Euro – Politiker/Eliten<br />
schon lange auf diese Möglichkeit<br />
warten und das sogar<br />
anstreben. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb/Machtwahn.<br />
Sie haben gerade in der Krise<br />
seit 2008 mehrfach Versprechungen<br />
gebrochen und die<br />
Bevölkerung belogen. Mit<br />
dem angestrebten ESM verkaufen<br />
sie unser Land<br />
womöglich endgültig.<br />
Arno Kunath, per E-Mail<br />
Ragnitz-Talk<br />
Heft 11-2011<br />
Richtig ist der Hinweis, dass<br />
berufliche Qualifikationen<br />
veralten und es mit einer alternden<br />
Bevölkerung schwieriger<br />
wird, Produktionsfortschritte<br />
durchzusetzen. Gerade<br />
das aber sollte Anlass sein,<br />
auch den heute über 50-Jährigen<br />
Qualifizierungsangebote<br />
zu machen, damit sie noch<br />
volle Leistung bringen, wenn<br />
der Fachkräftemangel erst<br />
einmal voll durchschlägt.<br />
Jens Pöhnert, Eichwalde<br />
TUI<br />
Heft 11-2011<br />
Kurzurlaub an der Ostsee per<br />
Flugreise? Das hat der Veranstalter<br />
Germania nach 1990<br />
schon mal auf der Strecke<br />
Berlin-Usedom erfolglos angeboten.<br />
Vielleicht kann TUI<br />
das besser.<br />
Peter Panzram, Greifswald<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 65
KOLUMNE<br />
Die Schmerzen der Freiheit<br />
Es ist mehr als 20 Jahre her, dass wir<br />
das Glück der Freiheit für die Deutschen<br />
im Ostteil des Landes feiern<br />
konnten. Ein kurzer Wortfehler des gutwilligen<br />
Funktionärs Schabowski in einer<br />
Pressekonferenz am späten Nachmittag<br />
des 9. November 1989: Und die Mauer<br />
fiel. Der lange Weg des siechenden Sowjet-Systems,<br />
das immer vergeblicher<br />
versucht hatte, den Menschen eine Ordnung<br />
aufzuzwingen, die diese nicht<br />
mehr wollten, ging zu Ende. Niemand,<br />
der diese Stunden erlebt hat, wird sie je<br />
vergessen. Auch nicht die Worte des Regierenden<br />
Bürgermeisters von Berlin,<br />
Walter Momper: »Heute ist Deutschland<br />
das glücklichste Land der Welt«.<br />
So empfanden es beide Seiten, Ost und<br />
West. Doch, wie viele Dinge im Leben,<br />
zeigte auch diese so glücklich empfundene<br />
Stunde bald ihre Kehrseiten. Nun war<br />
zwar der Weg offen in jene Freiheit, die<br />
der Westen schon so lange hatte leben<br />
dürfen, aber auch Freiheit hat ihren<br />
Preis. Denn, wo Freiheit herrscht, dort<br />
sind die Menschen in vielen Fragen des<br />
Lebens eher auf sich selbst gestellt; auf<br />
ihre Initiative, Leistungsbereitschaft –<br />
und auf ihre Fähigkeit, auch die mit jeder<br />
Freiheit verbundenen Risiken zu tragen.<br />
Denn politische Freiheit heißt immer<br />
auch: Wettbewerb.<br />
Doch auf diese Risiken waren die DDR-<br />
Bürger nicht vorbereitet. Auch nicht ihre<br />
»Unternehmen«, ihre politischen Strukturen<br />
und ihre Zivilgesellschaft. Alles<br />
hatte sich außerhalb von Freiheit und<br />
Wettbewerb entwickelt. Das bedeutete<br />
natürlich nicht, dass die Menschen in<br />
der DDR nicht ebenso fleißig und initiativ<br />
hätten sein können wie ihre westdeutschen<br />
Brüder und Schwestern. Aber<br />
es bedeutete eben doch, dass ihre Mentalität,<br />
ihre Denkweise und Erwartungen<br />
an das Leben ganz anders geprägt waren:<br />
Sicherheit stand vor Risikobereitschaft<br />
und Anpassung vor eigener Initiative.<br />
Wie hätte es auch anders sein können,<br />
nach zwei Generationen »Vormundschaftlicher<br />
Staat« (Rolf Henrich)?<br />
Doch diese »anderen« Deutschen<br />
konnten dann den Weg aus ihrer »vormundschaftlichen«<br />
Prägung relativ<br />
schnell herausfinden. Phantasie, Mut<br />
und nüchterne Selbsteinschätzung ließen<br />
ihre bürgerliche Bereitschaft zu Leistung,<br />
eigener Initiative und Verantwortung<br />
erstaunlich schnell wieder erwachen.<br />
Diese alten deutschen Sitten und<br />
ZUR SACHE<br />
Betrachtung<br />
zur wirtschaftlichen Lage<br />
Von Dr. Klaus von Dohnanyi<br />
Traditionen waren eben <strong>nur</strong> verschüttet,<br />
nicht erstickt.<br />
Und dennoch: Was wir bis heute trotz<br />
großzügiger Finanztransfers aus dem<br />
Westen und trotz der Wiedererrichtung<br />
einer demokratischen öffentlichen Verwaltung<br />
noch immer nicht haben leisten<br />
können, das war die Rückkehr großer<br />
Unternehmen. Also: einer gleichwertigen<br />
Wirtschaft. Zu schwer wog und<br />
wiegt die nach 1945 erzwungene Abwanderung<br />
– wie etwa Siemens von Berlin<br />
nach München; oder der Banken von Berlin<br />
nach Frankfurt; oder von Audi aus<br />
Zwickau nach Ingolstadt; oder auch <strong>nur</strong><br />
eines Verlages wie Reclam von Leipzig<br />
nach Stuttgart.<br />
Den Aufbau Ost, seine Erfolge und<br />
fortbestehenden Unzulänglichkeiten<br />
noch einmal ins Auge zu fassen, scheint<br />
mir wichtig, um heute die Chancen der<br />
schwächeren Staaten in der Eurokrise zu<br />
beurteilen. Denn, so wie die DDR damals<br />
– und dies war wirklich »alternativlos« –<br />
faktisch über Nacht Teil eines hoch wettbewerbsfähigen<br />
Wirtschafts- und Wäh-<br />
rungsraums werden musste, so wurden,<br />
wenn auch mit längerer Vorbereitungszeit,<br />
die wirtschaftlich schwächeren Länder<br />
der Eurozone ohne ausreichende<br />
Stärke ein Teil dieser Gemeinschaft. Sie<br />
mussten den härteren Wettbewerb der<br />
stärkeren Mitgliedstaaten und die für sie<br />
wirksamen Nachteile einer harten Währung<br />
(des Euro) ertragen. Nun konnten<br />
sie sich nämlich nicht mehr durch die<br />
Verbilligung (Abwertung) ihrer Währung<br />
immer wieder Wettbewerbsgleichheit<br />
zurückkaufen.<br />
Heute erleben wir die Folgen. Und<br />
während die neuen Bundesländer aufgrund<br />
der deutschen Wirtschaftsmentalität<br />
(dieser gelungenen Mischung aus sozialem<br />
Ausgleich und eigenverantwortlichen<br />
Leistungsbereitschaft) gelernt<br />
haben, den Druck des neuen Wettbewerbs<br />
zu ertragen, ja zu nutzen, fehlt es<br />
in den schwächeren, südlichen Staaten<br />
der Eurozone an dieser Mentalität, an<br />
der politischen Kraft und den zivilgesellschaftlichen<br />
Strukturen, die in Ostdeutschland<br />
erneut errichtet werden<br />
konnten. Und, wie Ostdeutschland zeigt:<br />
Transfers bringen Geld, aber keine Unternehmen!<br />
Und Jahrhunderte alte Mentalitäten<br />
ändern sich <strong>nur</strong> sehr langsam.<br />
Auch bei uns in Deutschland gibt es<br />
Steuersünder und Kapitalflüchtlinge.<br />
Nur: Sie bleiben eine eher seltene Ausnahme<br />
und werden zunehmend erfolgreich<br />
verfolgt. Da möchte man heute<br />
(zum Beispiel) doch gerne wissen: Wo hat<br />
der griechische Milliardär, der im November<br />
dieses Jahres die Kaufhofkette in<br />
Deutschland erwerben möchte, seine<br />
Milliarden geparkt? Hat er sie in Griechenland<br />
versteuert? Aufklärung durch<br />
Griechenland wäre erfreulich.<br />
Die globale Freiheit von Wirtschaft<br />
und Finanzen wirkt sich überall unmittelbar<br />
auf Arbeit und Lebenssicherheit<br />
aus. Auch wir Deutschen haben noch viel<br />
zu tun, um im weltweiten Wettbewerb<br />
unsere Selbstbehauptung zu organisieren.<br />
Ob aber Griechen, Portugiesen, Spanier<br />
und Italiener das im harten Zaum<br />
des Euro auch können, das werden wir<br />
erst erfahren. Beides, Zuversicht und Vorsicht,<br />
sollten uns leiten. Wir müssen Europa<br />
und die Eurozone auch neu organisieren.<br />
Erst in der Bereitschaft, eine Änderung<br />
der Euro-Verträge und weiteren<br />
Verzicht auf Souveränität zu akzeptieren,<br />
wird sich zeigen, ob alle den Ernst<br />
der Stunde verstanden haben.<br />
&<br />
66 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11
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