PDF Katalog - Koller Auktionen
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Gemälde Alter Meister<br />
3047 (Detail)<br />
3047*<br />
FRANCKEN, HIERONYMUS d. J.<br />
(1578 Antwerpen 1623)<br />
Interieur eines Sammlers.<br />
Öl auf Holz.<br />
52,5 x 73 cm.<br />
Provenienz: Europäische Privatsammlung.<br />
Dieses hier angebotene Gemälde ist ein charakteristisches<br />
Beispiel des Antwerpener Malers<br />
Hieronymus Francken d. J. Dabei geht der<br />
Bildtypus der Preziosenwand auf seinen Bruder<br />
Frans Francken d. J. zurück, von dem ab 1605<br />
einige Beispiele bekannt sind, und später auch<br />
von weiteren Künstlern, beispielsweise von Jan<br />
Brueghel d. Ä. (1568-1625) und Peter Paul<br />
Rubens (1577-1640) in der „Allegorie des<br />
Gesichtssinns“ aus dem Zyklus der fünf Sinne<br />
von 1617, aufgegriffen wurde (Prado, Inv. Nr.<br />
P01394, siehe Härting, Ursula: Frans Francken<br />
II, Freren 1989, S. 83-91). Dabei geht es bei dieser<br />
neuen Gattung um die allegorische<br />
Darstellung der Kunstkennerschaft. Die<br />
Gegenüberstellung von „artificialia“ (Gemälde,<br />
Skulpturen, Münzen) und „naturalia“ (Blumen,<br />
Muscheln und Tiere) spielt bei der Komposition<br />
eine zentrale Rolle. So ist die Darstellung von<br />
Stillleben-Elementen wie in unserem Gemälde<br />
einige Muscheln, Porzellangegenstände und<br />
Kleinplastiken, aber auch Blumen, Glasgefässen,<br />
Münzen, Miniaturen, Büchern, Druckgrafiken<br />
und zusätzlichen Raritäten auf einen Tisch oder<br />
einer Anrichte im Bildvordergrund charakteristisch<br />
für diesen Bildtypus (siehe beispielsweise<br />
Härting 1989, Kat. Nr. 441-442 und 444-446).<br />
Dahinter finden sich an einer Wand dicht<br />
gehängte Gemälde in unterschiedlichen<br />
Grössen. Meist öffnet sich der Blick rechts des<br />
Tisches in einen angrenzenden Raum, vornehmlich<br />
in eine Bibliothek mit Gelehrten, die<br />
in ein Gespräch vertieft sind, wie auch in unserem<br />
Gemälde. Mit Verstand und grosser<br />
Sachkenntnis haben die Kunstliebhaber die<br />
Raritäten und Kostbarkeiten zusammen getragen<br />
und tauschen sich hierüber in Gesprächen<br />
mit Besuchern der Sammlung aus. Die dargestellten<br />
Gemälde spiegeln nur selten eine real<br />
existierende Sammlung wider, sondern orientieren<br />
sich meist an ausgewählten Gemälden zeitgenössischer<br />
Sammlungen, wie es die Inventare<br />
Antwerpener Bürger belegen. Meist hatte dabei<br />
das zentral platzierte Gemälde die erkenntnisvermittelnde<br />
Funktion. Hier offenbart sich dann<br />
im Thema, wie etwa bei der „Geburt Christi“ in<br />
unserem Beispiel, eine zusätzliche, inhaltsbedingte<br />
Aussage des Bildes: Wie die Heilige<br />
Familie und die Heiligen drei Könige in Christus<br />
den Sohn Gottes erkannten, so bemühten sich<br />
die Gelehrten um die christliche Heilserkenntnis<br />
durch ihr Studium der Schöpfung, die sich in<br />
jedem einzelnen Objekt ihres Kunstkabinetts<br />
offenbart. Damit wird die Malerei zu einem<br />
Erkenntnisinstrument und zu einem Teil der<br />
„virtus“, des angestrebten tugendhaften Lebens.<br />
Kompositorisch vergleichbar mit unserem<br />
Gemälde ist das „Galerieinterieur mit Gelehrten<br />
und ânes iconoclastes“ von Frans Francken d. J.<br />
aus der Sammlung Seilern im Courtauld<br />
Institute of Art, London (Inv. Nr. 47, siehe<br />
ebd., Kat. Nr. 449, Abb. 77), das noch vor 1615<br />
entstanden sein muss und wohl zu Beginn der<br />
1650er Jahre mit einer Figurenstaffage von<br />
David Teniers d. J. im Vordergrund ergänzt<br />
wurde. Bei diesem Gemälde vermutet Ursula<br />
Härting ein Mitwirken des Bruders Hieronymus<br />
Francken d. J. So könnte Hieronymus III. diese<br />
in Zusammenarbeit mit seinem Bruder Frans d.<br />
J. um 1615 ausgeführte Komposition als Vorbild<br />
und Übungsstück für das hier angebotene<br />
Gemälde gedient haben.<br />
Jan Briels vermutet, dass es sich bei dem<br />
Interieur aus dem Besitz der Familie Seilern um<br />
die Darstellung der Sammlung des<br />
Tuchhändlers Pieter Stevens handeln könnte,<br />
denn Jan van Eycks Bildnis des „Kardinal<br />
Niccolo Albergati“ von 1438, welches vorn im<br />
Raum platziert aber in unserem Gemälde nicht<br />
dargestellt ist, befand sich nachweislich in dessen<br />
Sammlung (siehe Briels, Jan: Amator pictoriae<br />
artis, De Antwerpse kunstverzamelaar<br />
Peeter Stevens (1590 bis 1668) en zijn<br />
Contkamer. In: Jaarboek van het Koninklijk<br />
Museum voor Schone Kunsten, Antwerpen<br />
1980, S. 137ff). Auch die zentral dargestellte<br />
„Geburt Christi“ soll Stevens laut Briels von<br />
Aertgen van Leyden (1498-1564) aus Rubens’<br />
Nachlass erworben haben (siehe ebd., S. 223).<br />
Härting sieht zu wenig Anhaltspunkte für diese<br />
Theorie und versteht die Darstellung vielmehr<br />
als Vision einer fiktiven Kunstkammer, die ihren<br />
Gehalt aus der Konfrontation von<br />
Gelehrsamkeit und Verstand bezieht (siehe<br />
Härting 1989, S. 91). Auf diese Deutungsart<br />
weisen insbesondere die ungelehrten Esel, die<br />
„ânes iconoclastes“ hin, welche die Kunstwerke<br />
links im Bildausschnitt mit Füssen treten und<br />
ein charakteristisches Element einer fiktiven<br />
Kunstkammer mit allegorischem Inhalt darstellen.<br />
Auch der Affe im Vordergrund kann als<br />
Symbol für Torheit und Vernunftlosigkeit<br />
gedeutet werden. So steht die positive<br />
Auslegung der Gelehrten als Vorbild eines gottgläubigen<br />
Studiums in Kontrast zur negativen<br />
Haltung der ungelehrten Esel und des Affen im<br />
linken Bildteil des hier angebotenen Gemäldes.<br />
CHF 50 000.- / 80 000.-<br />
(€ 41 670.- / 66 670.-)<br />
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