PDF Katalog - Koller Auktionen
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Möbel & Antiquitäten | Möbel, Uhren, Tapisserien, Bronzen<br />
Albertolli, mit welchem er bei der Neugestaltung der königlichen<br />
Mailänder Residenzen zusammenarbeitete.<br />
Die Bildinhalte der Kommodenfronten sind auf Zeichnungen von G.<br />
Levati zurückzuführen. Die Darstellung der „Prudenza“ findet sich an<br />
zwei Zeichnungen Levatis, welche im Fondo Maggiolini del Castello<br />
Sforzesco aufbewahrt werden. Das Gleiche gilt für die Darstellung der<br />
„Giustizia“ und der seitlichen Paneele. Diese letztgenannten Entwürfe<br />
weisen auf den „destinatario“, den Auftraggeber des hier angebotenen<br />
Kommodenpaares hin, „Sig.r Grassi“, und tragen das Datum 1806. Es<br />
handelt sich hierbei um Giuseppe Grassi, der, wohnhaft in Mailand als<br />
„fervente patriota“, politisch aktiver Liberaler und Mitglied einer Freimaurerloge<br />
war und sich mit Verve gegen die napoleonische Herrschaft<br />
jener Jahre auflehnte. Zu seinen Gesinnungsgenossen, die sich „Italici<br />
puri“ nannten, gehörten F. Confalonieri, L. Angioloni, C. Botta, U.<br />
Foscolo und G. Rasori.<br />
1245 (Detail)<br />
1245*<br />
1 PAAR PRUNK-KOMMODEN, Louis XVI, von G. MAGGIOLINI<br />
(Giuseppe Maggiolini, Parabiago 1738-1814 Mailand), nach Zeichnungen<br />
von G. LEVATI (Giuseppe Levati, Concorezzo 1739-1828 Mailand),<br />
Mailand, 1806.<br />
Mahagoni, Palisander und teils getönte Edelhölzer allseitig ausserordentlich<br />
fein eingelegt mit Allegorien der „Prudenza“ (Besonnenheit) und<br />
„Giustizia“ (Gerechtigkeit), Vasen, Blumenbouquets, Voluten, Kartuschen,<br />
Blättern, Mäanderband, Palmetten, Filets und Zierfries. Rechteckiger<br />
Korpus mit vorstehendem Blatt auf gerader Zarge mit sich nach unten<br />
verjüngenden Vierkantbeinen. Front mit versenkbarem Plateau unter<br />
Kopfschublade. Inneneinteilung mit 2 Schubladen. Profilierte „Brèche<br />
Violette“-Platte. Restaurationen. 118,5x59,5x93,5 cm.<br />
Provenienz:<br />
- Wohl gefertigt für Giuseppe Grassi und seinen Mailänder Palast.<br />
- Aus einer italienischen Privatsammlung.<br />
Hochbedeutendes Paar von bestechender Qualität.<br />
Mit ausführlichem und durch Entwurfszeichnungen belegtem Gutachten<br />
von E. Colle, Mailand 2011, und ausführlichem Restaurierungsbeicht von<br />
F. de Ruvo, Mailand 2012.<br />
Die identische Formgebung und die Marketerie der Front finden sich an<br />
einem Kommodenpaar, das abgebildet ist in: G. Berretti, L’officina del<br />
Neoclassicismo, Mailand 1994; Tafel XVII und Tafel IX (Abb. einer<br />
Kommode mit identischen Füssen). In der Formgebung identische<br />
Kommoden befinden sich in den Sammlungen des Palazzo Reale in<br />
Mailand und im Besitz des Marchese Camillo Meli-Lupi di Sorragna-<br />
Tarasconi. Die Entwurfszeichnungen der „Prudenza“, der „Giustizia“, des<br />
Mäanderbandes und des Blattwerks werden heute im Museo Civico im<br />
„Cabinetto Disegni“ in Mailand aufbewahrt und sind abgebildet in: G.<br />
Morazzoni, Il mobile intarsiato di Giuseppe Maggiolini, Mailand 1953;<br />
Tafeln LXXXI ff.<br />
Im Gutachten wird Folgendes geschrieben:<br />
Die eigentümliche Formgebung mit der eingezogenen Kopfschublade findet<br />
sich im Werk von G. Maggiolini an drei anderen Kommoden; die eine<br />
stammt aus der Sammlung Marchese Camillo Meli-Lupi di Soragna, die<br />
zweite aus derjenigen von Constantino Sterlocchi in Mailand und die dritte<br />
aus den königlichen Sammlungen des Palazzo Reale in Turin. Die<br />
stren ge Formgebung sowie der „rigoroso disegno geometrico“ sind als Einfluss<br />
des Directoire zu werten, das G. Maggiolini aus zahlreichen Entwürfen<br />
her kannte. G.A. Mezzanica, der erste Biograf von G. Maggio lini,<br />
weist darauf hin, dass dieser sich zunächst an den „migliori modelli a stampa“<br />
orientierte und später auf die Zeichnungen von A. Gerli, G. Levati<br />
oder A. Appiani zurückgriff, welche als Vorlage für seine meisterhaften<br />
Intarsien dienten. Von grosser Bedeutung war zudem die Beziehung zu G.<br />
Die Bildsprache der hier angebotenen Kommoden weist auf mit dem<br />
„occhio omniveggente“ bei der Darstellung der „Giustizia“ auf die Freimaurer-Verbindung<br />
des Auftraggebers hin. Die bereits erwähnte Strenge<br />
der Formgebung und der Marketerie offenbaren zudem die Vorliebe zur<br />
vornapoleonischen Zeit des Direktoriums, mit ihrer totalen Hinwendung<br />
zu den „virtù repubblicane“ - als krasser Gegensatz zum Empire Napoleons.<br />
Das hier angebotene Kommodenpaar zeigt in exemplarischer Weise die<br />
atemberaubende Qualität des Späteswerkes von G. Maggiolini, geschaffen<br />
in Zusammenarbeit mit seinem Sohn Carlo Francesco.<br />
Mit der Eroberung Mailands durch die österreichischen Truppen 1714<br />
erlebte das lombardische Kunsthandwerk eine neue Blüte. Die zentrale<br />
Lage der Region liess verschiedene Einflüsse aus Frankreich, Ligurien und<br />
Venedig zusammenschmelzen und sich zu einem „neuen Ganzen“ weiterentwickeln.<br />
Der eigentliche Höhepunkt dieser Entwicklung ist mit G.<br />
Maggiolini in Verbindung zu bringen. Bereits als junger Mann war er als<br />
geschickter Kabinettmacher für sein ausserordentliches Talent in der<br />
Region bekannt. Der Entwerfer und Maler Giuseppe Levati betraute ihn<br />
1765 mit der Herstellung einer von ihm entworfenen Kommode für den<br />
Marchese Litta. Das war der Anfang einer sehr erfolgreichen und fruchtbaren<br />
Zusammenarbeit, die G. Maggiolini zahlreiche Aufträge des Mailänder<br />
Hofes einbrachte, und die Etablierung seines Rufes als „primo ebenista<br />
della regione“. Die ersten Arbeiten für den Mailänder Hof - die<br />
Lom bardei gehörte damals zu Österreich und wurde von einem Sohn von<br />
Maria Theresia regiert - übertrug man ihm 1771 anlässlich der Hochzeit<br />
des Grossherzoges Ferdinand. Kurz darauf wurde er zum „intarsiatore<br />
delle LL.AA.RR“ ernannt und fertigte für den Palazzo Ducale einige<br />
Parketts, die Maggionlinis Kühnheit und Fantasie offenbarten, und zahlreiche<br />
Möbel, alles im Auftrag der regierenden Familie. Für die „Modernisierung“<br />
des alten Palastes von Mailand arbeitete er mit Künstlern wie<br />
Andrea Appiani, Giocondo Albertolli und dem bereits genannten Giuseppe<br />
Levati zusammen, die ihm zahlreiche Entwürfe für seine umfangreiche<br />
und fantasievolle Produktion lieferten. Von da an sicherte eine Folge<br />
grosser höfischer Aufträge Maggiolinis Wohlstand, trotzdem verliess er nie<br />
das heimatliche Dorf, wo sich seine Werkstätte befanden. Mit der napoleonischen<br />
Herrschaft begann sein Stern zu sinken. Auch die neue<br />
Regierung betraute ihn mit verschiedenen Aufträgen, doch seine Kunst<br />
war zu stark mit dem „Ancien Régime“ verbunden: Sie entsprach nicht<br />
mehr dem Geschmack und den Vorstellungen des vom Kaiser eingeführten<br />
neuen Stils. Mahagoni und vergoldete Bronzebeschläge kamen in<br />
Mode, und Maggiolinis hervorragende Einlegearbeiten verloren ihre<br />
Bedeutung. Nach seinem Tod 1814 übernahm der Sohn Carlo Francesco<br />
die Werkstatt, die zuweilen bis 30 Arbeiter beschäftigt hatte. Zwanzig<br />
Jahre später trat Maggiolinis Lieblingsschüler Cherubino Mezzanzanica<br />
die Nachfolge an. Beide waren begabte Intarsiatoren und setzten das<br />
Werk Maggiolinis fort, jedoch ohne dessen Grösse zu erreichen.<br />
Lit.: A. Gonzales-Palacios, Europäische Möbelkunst - Italien 16.-18.<br />
Jahrhundert, Mailand 1975; S. 85-88 (biogr. Angaben). W. Terni de<br />
Gregory, Vecchi mobili italiani, Mailand 1985; S. 194-208 (biogr.<br />
Angaben).<br />
CHF 200 000.- / 300 000.-<br />
(€ 166 670.- / 250 000.-)<br />
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