AngststörungenVL WS2010_2011 - Klinik und Poliklinik für Kinder

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Angststörungen<br />

Dr. Ch. Schwenck<br />

<strong>Klinik</strong> <strong>und</strong> <strong>Poliklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrie,<br />

Psychosomatik <strong>und</strong> Psychotherapie der Universität München


Angst in der normalen kindlichen<br />

Entwicklung<br />

2


Angst <strong>und</strong> kindliche Entwicklung<br />

Alterstypische Ängste<br />

0-2 Jahre<br />

2-4 Jahre<br />

fremde Menschen, fremde Gegenstände, laute<br />

Geräusche, Höhe<br />

Tiere, Dunkelheit, Alleinsein<br />

4-6 Jahre<br />

Fantasiegestalten (Gespenster, Monster),<br />

Naturereignisse<br />

7-10 Jahre<br />

schulische Ängste (Versagen, Noten, Bewertung),<br />

Ges<strong>und</strong>heitsängste, soziale Ängste<br />

11-18 Jahre soziale Ängste, Verletzung, Krankheit<br />

3


Ebenen von Angst<br />

Körper Denken/Fühlen Verhalten<br />

Herzrasen<br />

Zittern<br />

Schwitzen<br />

kalte Hände…<br />

„es wird etwas<br />

Schlimmes passieren“<br />

„ich muss hier raus“<br />

„ich bin verzweifelt“…<br />

Vermeidung<br />

Flucht<br />

4


Pathologische Angst:<br />

Merkmale <strong>und</strong><br />

epidemiologische Daten<br />

5


Pathologische Angst<br />

unangemessen starke Angst<br />

nicht altersgemäß<br />

unrealistisch<br />

übertrieben<br />

Vermeidungsverhalten<br />

psychosoziale Beeinträchtigung<br />

oft gekoppelt mit sek<strong>und</strong>ären Ängsten<br />

Angst zu sterben<br />

Kontrollverlust<br />

Be<strong>für</strong>chtung, wahnsinnig zu werden<br />

häufig „Erwartungsangst“<br />

keine Beruhigung durch Angstfreiheit anderer<br />

6


Klassifikation:<br />

Wie unterteilen die Experten?<br />

ICD-10 F4: Neurotische Störungen<br />

F40 phobische Störungen<br />

F40.0 Agoraphobie<br />

F40.1 soziale Phobie<br />

F40.2 spezifische Phobie<br />

F41 sonstige Angststörungen<br />

F41.0 Panikstörung<br />

F41.1 generalisierte Angststörung<br />

F9: Emotionale Störungen mit Beginn in der<br />

Kindheit <strong>und</strong> Jugend<br />

F93 emotionale Störung des Kindesalters<br />

F 93.0 emotionale Störung mit Trennungsangst des<br />

Kindesalters<br />

F93.1 phobische emotionale Störung des Kindesalters<br />

F93.2 Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters<br />

7


Epidemiologie<br />

Prävalenz im Kindesalter<br />

10,4% behandlungsbedürftig<br />

27% spezifische Phobien<br />

11,1% Trennungsangst<br />

9,4% Sozialphobie<br />

Geschlechterverteilung<br />

im Kindesalter Mädchen > Jungen<br />

aber: bei sozialer Phobie gleich häufig<br />

⇨ Angststörungen gehören zu den häufigsten<br />

psychischen Erkrankungen im Kindes- <strong>und</strong> Jugendalter!<br />

8


Erkrankungsbeginn<br />

Angststörung<br />

Onsetalter<br />

Spezifische Phobie<br />

6 – 8 Jahre<br />

Soziale Phobie<br />

Generalisierte<br />

Angststörung<br />

Schulphobie, Schulangst<br />

11;3 <strong>und</strong> 15;5 Jahre<br />

8;8 Jahre<br />

bei Schulübergängen<br />

9


National Comorbidity Survey<br />

Replication Study USA<br />

Kessler et al. (2005)<br />

Retrospektive Befragung von 9282 Probanden<br />

Median <strong>für</strong> das Erstauftretensalter<br />

Spezifische Phobien: 7 Jahre<br />

Störungen mit Trennungsangst: 7 Jahre<br />

Soziale Phobie: 13 Jahre<br />

andere Angststörungen: 19-31 Jahre<br />

über alle Angststörungen: 11 Jahre<br />

Bis 21 Jahre haben 75% der Angststörungen<br />

begonnen<br />

⇨ Hauptrisikoperiode <strong>für</strong> den Beginn einer Angststörung<br />

liegt im Kindes- <strong>und</strong> Jugendalter!<br />

10


Prognose<br />

Prognose generell positiv außer<br />

Sozialphobie!<br />

Negative Prognosefaktoren:<br />

früher Beginn<br />

lange Dauer<br />

späte Behandlung<br />

Psychopathologie der Eltern<br />

11


Komorbiditäten <strong>und</strong><br />

Differentialdiagnosen<br />

• Angststörungen<br />

- bei ca. 30%<br />

• Depression<br />

- bei ca. 30-60%<br />

• ADHS<br />

- bei ca. 25%<br />

Komorbiditäten<br />

• aggr./oppositionelles Verhalten<br />

- bei ca. 30%<br />

• Substanzabusus<br />

• Lern- <strong>und</strong> Leistungsprobleme<br />

Differentialdiagnosen<br />

• Schizophrenie<br />

- prominentes Gefühl oft Angst<br />

• Zwangsstörung<br />

- angstbesetzter Zwangsgedanke<br />

• Autismus<br />

- soziale Interaktion<br />

• Anorexie<br />

- Gewichtsphobie<br />

12


Genesemodell<br />

nach Rapee (2001)<br />

Vulnerabilität <strong>für</strong> Angst<br />

Erregungungsschwelle <br />

schüchternes Temperament<br />

unsicherer Bindungsstil<br />

Elterliche Angst<br />

Genetik (25-60%)<br />

Erziehungsstil<br />

resultierendes Verhalten<br />

Vermeidung<br />

kognitive Verzerrung<br />

Umwelt<br />

Unterstützung von Vermeidung<br />

soziale Umwelt<br />

kritische Ereignisse<br />

Angststörung


Aufrechterhaltung der<br />

Angststörung<br />

Kognitive Ursachen<br />

kognitive Verzerrungen<br />

einseitige oder falsche Infoverarbeitungsprozesse<br />

14


Aufrechterhaltung II<br />

Gedächtniseffekte<br />

Überaktivierung von Netzwerken mit angstbesetzten<br />

Inhalten<br />

Chronische <strong>und</strong> unangemessene Fokussierung<br />

⇨ Folgen der kognitiven Besonderheiten:<br />

Überschätzung von Gefahren<br />

Unterschätzung eigener Copingmöglichkeiten<br />

Unterschätzung der Kontrollmöglichkeiten<br />

mehr katastrophisierende Gedanken<br />

mehr negative Selbstverbalisation<br />

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Aufrechterhaltung III<br />

Operante Konditionierung<br />

positive Verstärkung ängstlichen Verhaltens<br />

Aufmerksamkeit, Zuwendung<br />

negative Verstärkung ängstlichen Verhaltens<br />

Aufgaben werden abgenommen<br />

Gefahreneinschätzung<br />

ängstliches<br />

Kind<br />

verhält sich<br />

unsicher<br />

Selbstbild<br />

bestätigt sich<br />

Mutter „rettet“<br />

das Kind<br />

16


Therapie von Angststörungen<br />

17


Studienlage zur Wirksamkeit von<br />

Therapie der Angststörung<br />

Psychotherapie<br />

Wirksamkeitsnachweis bislang nur <strong>für</strong> kognitive<br />

Verhaltenstherapie<br />

Pharmakotherapie<br />

SSRI<br />

Wirksamkeitsnachweis <strong>für</strong> GAS <strong>und</strong> Trennungsangst<br />

Trizyklische AD<br />

Keine bedeutsame Wirksamkeit bei Panikstörung <strong>und</strong><br />

Trennungsangst<br />

Benzodiazepine<br />

Keine bedeutsame Wirksamkeit bei Panikstörung<br />

18


Therapiemethoden<br />

Psychoedukation<br />

Reizkonfrontation<br />

Modell-Lernen<br />

Abbau dysfunktionaler Gedanken<br />

Elternberatung<br />

Entspannungsverfahren<br />

Operante Verfahren<br />

Soziales Kompetenztraining<br />

19


„Teufelskreislauf“ Angst<br />

Reiz<br />

Körperliche<br />

Empfindungen<br />

Wahrnehmung<br />

Physiologische<br />

Veränderungen<br />

Kognition:<br />

„Gefahr“<br />

Angst<br />

20


Angstverlauf<br />

Intensität<br />

der Angst<br />

Erwartung des Patienten<br />

Tatsächlicher Verlauf<br />

bei Exposition<br />

Vermeidung<br />

Angststimulus<br />

Zeit<br />

21


Die Angstkurve<br />

Erwarteter Verlauf der Angstkurve<br />

Angst steigt bis ins Unermessliche<br />

„ich werde es nicht aushalten/sterben“<br />

Tatsächlicher Verlauf der Angstkurve<br />

Angst fällt nach einer Plateauphase wieder ab<br />

Erschöpfung nach starker Angstreaktion<br />

Vermeidung<br />

Patient bricht Exposition ab, bevor Plateau<br />

erreicht wird<br />

kann dadurch Abfall der Angst nicht erfahren<br />

negative Verstärkung durch Angstreduktion nach<br />

Vermeidung<br />

22


Fazit aus der Angstkurve<br />

Psychoedukation sehr wichtig<br />

Patient soll das Prinzip der Angstkurve verstehen<br />

Absprachen <strong>für</strong> die Exposition treffen<br />

was darf der Therapeut<br />

gestufte Exposition oder Flooding<br />

Exposition bis zur Verringerung der Angst<br />

unabhängig von der Zeitdauer<br />

Therapeut braucht Zeit!<br />

nicht beruhigen/ablenken, sondern Angst steigern<br />

keine kognitive Vermeidung zulassen<br />

Entscheidende Behandlungsebene<br />

Erfahrungsebene entscheidend!<br />

allein durch Gespräche ist die Angst nicht zu bewältigen!<br />

23


Angsthierarchie<br />

großen unangleinten H<strong>und</strong> streicheln<br />

In Radius von angeleintem H<strong>und</strong> gehen<br />

kleinen unangleinten H<strong>und</strong> streicheln<br />

H<strong>und</strong> auf der anderen Straßenseite sehen<br />

Bellen hören<br />

Bilder von H<strong>und</strong>en ansehen<br />

Der Patient, nicht der Therapeut, bestimmt die Angsthierarchie!!!<br />

24


Flooding<br />

Konfrontation<br />

Beginn der Konfrontation mit dem höchsten Item<br />

sehr effektiv<br />

sehr belastend <strong>für</strong> den Patienten<br />

Cave: Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />

zeitlich nicht planbar<br />

Gestufte Exposition<br />

Angsthierarchie von unten nach oben ablaufen<br />

erst nach Bewältigung einer Stufe Übergang zur<br />

nächsten<br />

25


Untergruppen von<br />

Angststörungen<br />

26


Spezifische Phobie<br />

Angst vor bestimmten Objekten,<br />

Situationen oder Tieren<br />

unangemessen, anhaltend, stark<br />

unbegründet<br />

Einsicht in die Unangemessenheit<br />

bei Konfrontation starke Angstreaktion<br />

Vermeidung<br />

Beeinträchtigung in Familie, Schule oder<br />

Freizeit<br />

27


Beispiele <strong>für</strong> Objekte Spezifischer<br />

Phobien<br />

Spinnen<br />

H<strong>und</strong>e<br />

Höhe<br />

Fliegen<br />

Dunkelheit<br />

Spritzen<br />

Prüfungen<br />

Gewitter<br />

….<br />

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Denken<br />

„die Spinne krabbelt<br />

gleich auf mich“<br />

„sie ist sicher giftig“<br />

Verhalten<br />

Flucht<br />

Körper<br />

Herzklopfen<br />

Zittern<br />

Schwitzen<br />

Schwindel<br />

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Angst als Ursache <strong>für</strong><br />

Schulverweigerung<br />

Formen der Schulverweigerung<br />

Schulangst<br />

Angst als Ursache<br />

Schulphobie<br />

Schuleschwänzen<br />

Dissozialität als Ursache<br />

30


Schulangst<br />

Objekt der Angst liegt „in der Schule“<br />

Angst vor einem strengen Lehrer<br />

Angst vor Mitschülern, Mobbing<br />

Angst vor schlechten Leistungen<br />

31


Ursachen <strong>für</strong> Schulangst<br />

Ursachen<br />

intellektuelle Überforderung<br />

Teilleistungsstörung<br />

Außenseiterposition, Mobbing<br />

soziale Ängstlichkeit<br />

fehlende soziale Fertigkeiten<br />

Symptomatik<br />

häufig Somatisierung<br />

Symptombesserung in den Ferien <strong>und</strong> am<br />

Wochenende<br />

32


Schulphobie<br />

Objekt der Angst liegt „zu Hause“<br />

Angst vor Trennung von einer Bindungsperson<br />

Angst, der BP könne etwas zustoßen<br />

Schule an sich ist nicht angstbesetzt<br />

Angst generell bei Trennung,<br />

Altersgipfel: 11 Jahre, Häufigkeit 3,5 – 5,5%<br />

33


Symptome der Trennungsangt<br />

Körperliche Symptome vor realen oder<br />

antizipierten Trennungssituationen<br />

Übelkeit, Bauchschmerz, Kopfschmerz,<br />

Erbrechen…<br />

Extreme Angst <strong>und</strong> Unglücklichsein in der<br />

Trennungssituation<br />

Schreien, Klammern, Weinen, Wutausbrüche<br />

Weigerung, ohne Bezugsperson ins Bett<br />

zu gehen<br />

Ausgeprägte Schulverweigerung<br />

Unfähigkeit, allein zu Hause zu bleiben<br />

34


Soziale Phobie<br />

35


Merkmale Soziale Phobie<br />

extreme Angst vor<br />

Bewertung durch andere Personen<br />

oft vor Erbrechen in der Öffentlichkeit<br />

klar umschrieben, z.B.<br />

Sprechen in der Öffentlichkeit<br />

Treffen mit dem anderen Geschlecht<br />

Essen in der Öffentlichkeit<br />

oder: in allen sozialen Situationen außerhalb der<br />

Familie<br />

häufig:<br />

Blickkontakt schwierig<br />

niedriges Selbstwertgefühl<br />

somatische Beschwerden wie Erröten, Händezittern,<br />

Übelkeit<br />

Vermeidung von sozialen Situationen<br />

36


Generalisierte Angststörung<br />

generalisierte <strong>und</strong> anhaltende Angst<br />

frei flottierend<br />

nicht auf bestimmte Situation oder Objekt bezogen<br />

motorische Anspannung<br />

Unfähigkeit, sich zu entspannen<br />

Spannungskopfschmerz<br />

vegetative Übererregbarkeit<br />

körperliche Unruhe<br />

Benommenheit, Schwitzen, Schwindel etc.<br />

Grübelneigung, Sorgen, Vorahnungen<br />

37


GAS<br />

…ob ich mich in der<br />

Schule richtig verhalten<br />

habe?...<br />

ich könnte<br />

unpünktlich<br />

sein…<br />

die anderen<br />

mögen mich bestimmt<br />

nicht…<br />

hoffentlich passiert<br />

Mama nichts…<br />

vielleicht ist Eva<br />

sauer auf mich…<br />

in Mathe bekomme<br />

ich bestimmt eine 6…<br />

38


Agoraphobie<br />

39


Symptome Agoraphobie<br />

Extreme Angst vor<br />

Menschansammlungen<br />

öffentlichen Plätzen<br />

dahinter stehende Furcht<br />

kein Rückzug an sicheren Ort<br />

kein Fluchtweg<br />

Beispiele<br />

Kaufhäuser, Supermarkt<br />

Zug, Bus, U-Bahn<br />

Konzerte, Vorträge<br />

Kognitionen<br />

„ich werde ohnmächtig <strong>und</strong> bleibe hilflos liegen“<br />

„ich bekomme keine Luft“<br />

„ich sterbe“<br />

40


Symptome Panikstörung<br />

schwere Angstattacken<br />

nicht vorhersehbar <strong>und</strong> situativ unspezifisch<br />

Angstsymptome<br />

Herzklopfen, Brustschmerz<br />

Erstickungsgefühl, Schwindel<br />

Depersonalisation <strong>und</strong> Derealisation<br />

Sek<strong>und</strong>äre Angst<br />

zu sterben<br />

vor Kontrollverlust<br />

„wahnsinnig“ zu werden<br />

Erwartungsangst<br />

41


Vielen Dank <strong>für</strong> die<br />

Aufmerksamkeit<br />

42

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