Heft 2.09 (PDF) - WISSENSCHAFT in progress

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Gefahren 32 Veränderung der eigenen Ansichten oder Gedanken. Das Gespräch, das der Schüler im Tagebuch mit sich selbst führt, indem er sich selbst ständig überprüft und neu definiert, führt ebenso zu einem Erkenntnisgewinn, wie die öffentliche Auswertung oder die private Korrespondenz. Kant behauptet gar: „Weisheit, als die Idee vom gesetzmäßig-vollkommenen praktischen Gebrauch der Vernunft, ist wohl zu viel von Menschen gefordert; aber auch selbst dem mindesten Grade nach kann sie ein anderer ihm nicht eingießen, sondern er muß sie aus sich selbst herausbringen‚ (Ebd., 200). Der dahin führende Weg über die genannten drei Voraussetzungen bietet das Philosophische Denkbuch an: Jeder Schüler denkt selbst und selbstständig, beschäftigt sich mit fremden Gedanken und Positionen und versetzt sich (mindestens) in die Rolle seines vergangenen Ichs und versucht abschließend mit sich einstimmig zu denken, die eigenen Theorien zu hinterfragen und zu überarbeiten. Die Entwicklung des Philosophischen Tagebuchs zum Denkbuch, oder wenigstens die für die Schüler legitime Nutzung desselben als solches, führt – im Versuch – zu einem beinahe vorhersehbaren Phänomen: Wenn es den Schülern freigestellt bleibt, ob sie das Tagebuch im Unterricht abgeben oder nicht (weiter ausgeholt also freigestellt ist, ob sie es führen oder nicht, es faktisch also “nur‘ ein Angebot ist), dann kann es passieren, dass Schüler mit einem ausgeprägtem Sinn für Anstrengungsvermeidung dazu tendieren, kein Denkbuch zu führen. Die Kontrolle – aber eher im Sinne der Ermunterung – muss also durch den Lehrer gegeben sein und sei sie nur so gestaltet, dass das Vorhandensein des Tagebuchs (nebst beschriebenen Seiten) überprüft wird. 6. Resümee Das Philosophische Tagebuch eignet sich – daran kann kaum gezweifelt werden – hervorragend für den Philosophie- und Ethikunterricht. In den erwähnten Klassenstufen erbrachte das Tagebuch, neben interessanten Einblicken in die Herangehensweise der Schüler an die Philosophie, vor allem zwei exzellente Ergebnisse: Zum einen bereicherten die (freiwillig!) veröffent-

33 lichten Texte in allen Klassenstufen den Unterricht und den Denkprozess der Schüler, zum anderen war eine deutlich verbesserte Einstellung zum Fach zu erkennen. Der von Thies beschriebene Widerstand der Schüler gegen das Philosophische Tagebuch (vgl. Thies 1990, 29) konnte in keiner Klasse beobachtet werden. Stattdessen vermittelten die Schüler, dass sie dem Projekt des Tagebuchschreibens sogar recht dankbar gegenüberstanden – erlaubte ihnen das Tage- und Denkbuch doch meist die intensive Beschäftigung mit (philosophischen) Themen ihrer Wahl zu der sonst unter Umständen mit weniger attraktiven Aufträgen gefüllten Hausaufgabenzeit. Selbst die Aufgaben zum Einkleben wurden allgemein nicht als Gängelung, sondern vielmehr als Gedankenanstoß und Angebot empfunden. Vielen Schülern – erstaunlicherweise egal welcher Altersstufe – war eine gewisse Freude deutlich anzumerken, wenn sie ihr Tagebuch austauschten oder ihr kommentiertes Buch vom Lehrer oder von Mitschülern zurückerhielten. Der “Buchdiskurs‘ bereitete neben gedanklichen Anstrengungen und teils intensiver Recherche augenscheinlich eine gewisse Befriedigung, indem eigene Gedanken ehrlich ernst genommen und mit Mühe beantwortet wurden. Schüler, die sich weigerten, ein Tagebuch zu führen, gab es im Zeitraum der eineinhalb Jahre nicht, auch wenn viele jüngere Schüler die Beantwortung der Pflichtaufgaben doch sehr kurz hielten und das Tagebuch erst in höheren Klassenstufen zum angesprochenen Denkbuch wurde. Der zeitliche Aufwand für den Lehrer stellt im Allgemeinen ein weniger schweres Problem dar, als im Vorfeld angenommen werden musste. Da sich die Anzahl der zu beantwortenden Tagebücher im Laufe der Zeit auf zwei bis drei pro Klasse und Stunde einpendelte und der Rest der Bücher als Denkbuch oder in der Korrespondenz mit Mitschülern geführt wurden, war der Arbeitsaufwand im Rahmen des Möglichen. Bei einer stärkeren Frequentierung muss man sich allerdings im Vorfeld genau überlegen, ob man seine Arbeitszeit (und letztlich auch seine Freizeit) für die Beantwortung der Schülertexte verwen- Motivation zeitlicher Aufwand

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lichten Texte <strong>in</strong> allen Klassenstufen den Unterricht und den<br />

Denkprozess der Schüler, zum anderen war e<strong>in</strong>e deutlich verbesserte<br />

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Widerstand der Schüler gegen das Philosophische<br />

Tagebuch (vgl. Thies 1990, 29) konnte <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Klasse beobachtet<br />

werden. Stattdessen vermittelten die Schüler, dass sie dem<br />

Projekt des Tagebuchschreibens sogar recht dankbar gegenüberstanden<br />

– erlaubte ihnen das Tage- und Denkbuch doch<br />

meist die <strong>in</strong>tensive Beschäftigung mit (philosophischen) Themen<br />

ihrer Wahl zu der sonst unter Umständen mit weniger attraktiven<br />

Aufträgen gefüllten Hausaufgabenzeit. Selbst die<br />

Aufgaben zum E<strong>in</strong>kleben wurden allgeme<strong>in</strong> nicht als Gängelung,<br />

sondern vielmehr als Gedankenanstoß und Angebot empfunden.<br />

Vielen Schülern – erstaunlicherweise egal welcher Altersstufe<br />

– war e<strong>in</strong>e gewisse Freude deutlich anzumerken, wenn sie<br />

ihr Tagebuch austauschten oder ihr kommentiertes Buch vom<br />

Lehrer oder von Mitschülern zurückerhielten. Der “Buchdiskurs‘<br />

bereitete neben gedanklichen Anstrengungen und teils<br />

<strong>in</strong>tensiver Recherche augensche<strong>in</strong>lich e<strong>in</strong>e gewisse Befriedigung,<br />

<strong>in</strong>dem eigene Gedanken ehrlich ernst genommen und<br />

mit Mühe beantwortet wurden. Schüler, die sich weigerten, e<strong>in</strong><br />

Tagebuch zu führen, gab es im Zeitraum der e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahre<br />

nicht, auch wenn viele jüngere Schüler die Beantwortung der<br />

Pflichtaufgaben doch sehr kurz hielten und das Tagebuch erst<br />

<strong>in</strong> höheren Klassenstufen zum angesprochenen Denkbuch<br />

wurde.<br />

Der zeitliche Aufwand für den Lehrer stellt im Allgeme<strong>in</strong>en<br />

e<strong>in</strong> weniger schweres Problem dar, als im Vorfeld angenommen<br />

werden musste. Da sich die Anzahl der zu beantwortenden<br />

Tagebücher im Laufe der Zeit auf zwei bis drei pro Klasse<br />

und Stunde e<strong>in</strong>pendelte und der Rest der Bücher als Denkbuch<br />

oder <strong>in</strong> der Korrespondenz mit Mitschülern geführt wurden,<br />

war der Arbeitsaufwand im Rahmen des Möglichen. Bei e<strong>in</strong>er<br />

stärkeren Frequentierung muss man sich allerd<strong>in</strong>gs im Vorfeld<br />

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