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Leseprobe - Verlag für Kindertheater

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Alice Quadflieg / Kenneth Grahame:<br />

Kröterich hält die Welt in Atem<br />

© Maik Schuck<br />

Nach Kenneth Grahames "Der Wind in den Weiden" in der Übersetzung ins Deutsche<br />

von Harry Rowohlt, 4 H, ab 8 Jahren, UA: Nationaltheater Weimar, 2010<br />

Der Kröterich von Krötinhall ist ein großsprecherischer Kerl, eitel, eingebildet und chaotisch,<br />

waghalsig und unbeirrbar. Kurz, er ist alles, was wir uns, dank guter Erziehung und zivilisierter<br />

Sitten, selbst verbieten müssen. Ratte, Maulwurf und Dachs sind ihm trotzdem in aufrichtiger<br />

Freundschaft verbunden, obwohl sie sich meistens über ihr schweres Los beklagen. Doch ein<br />

solcher Kröterich im Freundeskreis vertreibt eben auch die eigene wohlanständige Langeweile<br />

und wirft ein bisschen bunten Glanz auf die freundliche Mittelmäßigkeit. So stehen ihm die<br />

Freunde geduldig bei all seinen verrückten Abenteuern zur Seite, retten ihn aus der Kerkerhaft<br />

und erobern schließlich sogar Krötinhall für ihn zurück. Natürlich versuchen sie bei alledem, den<br />

Kröterich von seiner Geltungssucht zu kurieren und ihn – eben doch – zu zivilisieren. Der<br />

Kröterich aber macht beharrlich seinem Ruf alle Ehre und so endet das Stück notwendig im<br />

schönsten Tumult.<br />

Alice Quadflieg absolvierte 2004 das Studium der Schauspiel-Dramaturgie an der Bayerischen<br />

Theaterakademie August Everding. Während des Studiums arbeitete sie im proT, dem Theater<br />

des freien Künstlers Alexeij Sagerer. Nach ihrem Abschluss folgten Engagements an der<br />

Landesbühne Niedersachsen Nord in Wilhelmshaven und später am Nationaltheater Mannheim.<br />

Seit der Spielzeit 2009/2010 ist Alice Quadflieg freiberuflich tätig und lebt in Berlin.<br />

Rechte bei<br />

<strong>Verlag</strong> für <strong>Kindertheater</strong> Weitendorf GmbH, Max-Brauer-Allee 34, 22765 Hamburg<br />

Tel.: 0049 (0)40 607909916 // E-Mail: kindertheater@vgo-kindertheater.de<br />

www.kindertheater.de


Vorspiel<br />

Mit ernster Miene begrüßt der Kröterich das Publikum und begleitet die Zuschauer<br />

zu ihren Plätzen. Dabei murmelt er Sachen wie „nicht der Rede wert“ oder „ganz im<br />

Gegenteil“. Er bemüht sich, sehr bescheiden zu sein. Auf der Bühne im Halbdunkel<br />

sitzen der Maulwurf, die Ratte und der Dachs und beobachten ihn dabei. Sie sind<br />

ordentlich gekleidet, der Dachs vielleicht ein wenig nachlässig, denn ihm liegt nicht<br />

viel an Äußerlichkeiten, aber niemand übertrifft den Kröterich, der das<br />

vorbildlichste und feinste Outfit des Abends trägt. Als alle sitzen, räuspert sich der<br />

Kröterich.<br />

KRÖTERICH Nun, um es ein für alle Mal klarzustellen: Was ich getan<br />

habe, war ganz unbedeutend. Dass ich auf meinen geliebten<br />

Landsitz Krötinhall zurückkehren konnte und Sie nun<br />

wieder hier empfangen darf, habe ich alleine meinen<br />

tapferen Freunden zu verdanken. Den Schlachtplan hat der<br />

Dachs ausgetüftelt. Der Maulwurf und die Ratte haben den<br />

Angriff ausgeführt und die Besetzer meines Hauses in die<br />

Flucht geschlagen. Was ich getan habe, ist nicht der Rede<br />

wert.<br />

Ungemütliches Schweigen. Maulwurf, Ratte und Dachs ist die Nennung ihrer<br />

Namen unangenehm. Zudem hat der Kröterich arrangiert, dass sie nun im hellen<br />

Licht wie auf dem Präsentierteller sitzen. Besonders der Dachs möchte am liebsten<br />

im Erdboden versinken.<br />

KRÖTERICH Seid nicht so bescheiden, meine lieben Freunde. Euch gehört<br />

der Ruhm, ihr seid die wahren Helden. Viele haben mich<br />

gefragt, wie wir die große Übermacht der Wiesel und<br />

Hermeline überwältigen konnten. Aber ich werde heute<br />

Abend schweigen. Euer Abend soll es sein. Ihr solltet<br />

erzählen, wie es sich zugetragen hat.<br />

Er amüsiert sich verstohlen über die erstaunten Gesichter seiner Freunde.<br />

RATTE (zischt) Kröterich, so war das nicht abgemacht. Es gibt<br />

keine Ansprachen. Auch nicht von uns. Es ist nicht unsere<br />

Art …<br />

KRÖTERICH Lieber Maulwurf, besonders glücklich bin ich über dein<br />

kluges Verhalten.<br />

Er packt ihn um die Schulter und bringt ihn nach vorne.<br />

2


Ratte und Dachs waren schon da, seit ich denken kann, aber<br />

du, Maulwurf, du nicht. Du bist erst vor gar nicht so langer<br />

Zeit zu den Tieren am Fluss gekommen. Weißt du noch, wie<br />

wir uns kennengelernt haben? Wir haben diese wundervolle<br />

Fahrt mit dem Wohnwagen gemacht, auf der ich zum ersten<br />

Mal …<br />

MAULWURF<br />

RATTE<br />

MAULWURF<br />

Jaja, ich hatte schon einige Flusstiere kennengelernt, seitdem<br />

ich meinen Bau verlassen hatte und bei der Wasserratte<br />

wohnte, aber dich noch immer nicht. Ich kam auf die Idee<br />

dich zu besuchen, als die Ratte gerade einen Gesang über die<br />

Enten dichtete, etwas mit Bürzeln …, ‚Bürzel in die Höh’, ja,<br />

da erinner’ ich mich noch dran, etwas mit Bürzeln und<br />

Binsen.<br />

(für sich, nicht ohne Stolz)<br />

Binsen weh’n im Winde<br />

Wurzeln tief im See.<br />

Enten planschen durch das Schilf<br />

Bürzel in die Höh’!<br />

Entenbürzel, Erpelbürzel<br />

nie sah man sie bunter.<br />

Doch die Schnäbel, unsichtbar<br />

gründeln tief darunter.<br />

Durch das modrige Gewächs.<br />

Dort steht still der Aal.<br />

Dort erstreckt sich schwarz und kühl<br />

unser Speisesaal.<br />

Lebe jeder, wie er will<br />

nur so bleibt man munter!<br />

Was bei uns heißt: Bürzel hoch<br />

und die Köpfe runter.<br />

Auch jetzt halte ich nicht übermäßig viel von diesem<br />

Gesang, meine liebe Ratte, und ich glaube, die Enten werden<br />

meiner Meinung sein.<br />

3


RATTE (ins Publikum) Entschuldigung, sind einige Enten<br />

anwesend?<br />

MAULWURF Die Enten fragen sich, warum man nicht machen darf, was<br />

man will und wann man es will und wie man es will, ohne<br />

dass andere Leute an Ufern herumsitzen und ständig<br />

Bemerkungen und Gedichte über einen machen. Ich kann sie<br />

gut verstehen …<br />

KRÖTERICH Ähem, wolltest du nicht erzählen, wie du meine<br />

Bekanntschaft gemacht hast …?<br />

MAULWURF Jaja, während die Ratte ihren Gesang über die Enten<br />

verfasste, fiel mir also ein, dass ich noch immer nicht<br />

Bekanntschaft mit dem berühmten Kröterich gemacht hatte,<br />

obwohl ich schon so viel von ihm gehört habe: Der Kröterich<br />

sei das beste aller Tiere, so einfach, so gutmütig, so herzlich.<br />

Vielleicht nicht gerade sehr klug, und vielleicht ein wenig<br />

großsprecherisch und möglicherweise sogar eingebildet …,<br />

aber zweifellos auch mit einigen sehr guten Eigenschaften …<br />

Wir fuhren also mit dem Ruderboot der Ratte zum Landsitz<br />

Krötinhall direkt ins Bootshaus. Wir dachten damals noch, er<br />

hätte seinen Bootsfimmel, aber das ganze Bootshaus sah<br />

verlassen und unbenutzt aus. Als er uns sah, begrüßte er uns<br />

überschwänglich und sagte, er bräuchte unsere Hilfe. Sofort<br />

führte er uns zu seiner neuesten Errungenschaft: einem<br />

nigelnagelneuen, kanariengelb angemalten<br />

Zigeunerwohnwagen!<br />

KRÖTERICH (erinnert sich) Die Inneneinrichtung hatte ich selbst<br />

entworfen, mit kleinen Schlafkojen, einem Tisch, den man<br />

gegen die Wand klappen konnte, Kochherd und Schränken,<br />

prall gefüllt mit Keksen, Hummerkonserven …<br />

MAULWURF … Ölsardinen, Speck, Marmelade …<br />

KRÖTERICH … Pfeifentabak, Briefpapier, Spielkarten, Dominosteinen …<br />

MAULWURF So, dass man direkt aufbrechen konnte!<br />

Der Kröterich hakt sich beim Maulwurf unter.<br />

RATTE<br />

(zum Publikum) Ich wollte sie beide nicht enttäuschen und<br />

habe gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Hab sogar noch<br />

4


geholfen, den armen Hengst einzufangen und vor den<br />

Wagen zu spannen, obwohl er überaus empört darüber war,<br />

dass man gerade ihn für die staubigste Aufgabe in diesem<br />

staubigen Unternehmen eingeteilt hatte.<br />

1. Szene: Erste Begegnung mit einem Automobil<br />

KRÖTERICH Was sagt ihr nun? Vor uns die ganze Welt und ein Horizont<br />

im steten Wechsel! Ganz zu schweigen davon, dass dies der<br />

feinste Wohnwagen seiner Klasse ist, der je gefertigt wurde.<br />

Das ist das richtige Leben für bessere Leute. Über deinen<br />

alten Fluss, liebe Ratte, redet hier niemand mehr …<br />

RATTE<br />

Ja, auch ich halte schön meinen Mund, das weißt du. Aber<br />

ich denke an ihn, ich denke an ihn … die ganze Zeit.<br />

MAULWURF (flüstert) Ich mache alles mit, was du möchtest, Ratte.<br />

Sollen wir morgen früh, sehr früh weglaufen und in unser<br />

geliebtes Loch am Fluss zurückkehren?<br />

RATTE (flüstert) Nein, nein, jetzt müssen wir durchhalten. Ich<br />

muss dem Kröterich beistehen, bis die Reise überstanden ist.<br />

Es wäre gefährlich, ihn alleine zu lassen. Es dauert ja auch<br />

nicht lange. Seine Marotten sind nie von langer Dauer.<br />

KRÖTERICH Seht, wir erreichen endlich die Landstraße! Eine richtige<br />

Straße. Hier lässt es sich herrlich fahren, hier findet das<br />

wahre Leben statt, hier ist unser neues Zuhause.<br />

DACHS<br />

Und dann kam es. Erst hörten sie nur einen Summton, wie<br />

das Gebrumm einer fernen Biene. Sie sahen sich um und<br />

bemerkten eine kleine Staubwolke. Sie hatte einen dunklen<br />

Mittelpunkt, der sie anzutreiben schien. Sie kam mit<br />

unglaublicher Schnelligkeit näher und jammerte ‚Uuutuuut’,<br />

wie ein Tier, dem es schlecht geht. Sie schenkten der<br />

Erscheinung kaum Beachtung, als sie auch schon direkt über<br />

ihnen war. Der eben noch so friedliche Schauplatz war jetzt<br />

ein Strudel aus Lärm und ein Sturm aus Luft und sie<br />

sprangen in den nächsten Straßengraben. Das ‚Uuuut-uuut’<br />

gellte plötzlich wie ein riesiger Gong in ihren Ohren. Einen<br />

5


Augenblick sahen sie einen Schimmer von Glasscheiben und<br />

Saffianleder und dann verwandelte sich das prächtige<br />

Automobil, unermesslich, atemberaubend, leidenschaftlich –<br />

für einen Sekundenbruchteil Herrscher über Erde und Luft –<br />

verwandelte es sich wieder in einen kleinen Tupfer in weiter<br />

Ferne, in eine Biene, die summt.<br />

RATTE (tobt) Ihr Schufte! Ihr Halunken! Ihr … ihr …<br />

Verkehrshindernisse! Das wird ein Nachspiel haben! Ich<br />

zeige euch an! Ich schleife euch durch sämtliche Instanzen!<br />

KRÖTERICH (wie verzaubert) Uuuut-uuut.<br />

Ein prächtiger, ein erregender Anblick. Oh Poesie der<br />

Bewegung! Das ist die wahre Art zu reisen! Die einzige Art<br />

zu reisen! Die Dörfer auslassen, die Städte und Großstädte<br />

überspringen können. Und der Horizont wechselt stündlich<br />

den Besitzer! Oh Erfüllung! Oh, uuut-uuut! O weia, o weia!<br />

MAULWURF<br />

KRÖTERICH<br />

MAULWURF<br />

RATTE<br />

Bitte hör doch auf mit dem Schwachsinn!<br />

Zu denken, dass ich nichts davon gewusst habe. In all den<br />

verpfuschten Jahren habe ich nichts davon gewusst, ja nicht<br />

einmal davon geträumt! Aber jetzt! Jetzt aber, da ich weiß –<br />

und nun, da es mir vollends dämmert! Welch<br />

blumenübersäter Pfad liegt vor mir hingebreitet – von nun<br />

an und für immerdar! Oh, ihr Staubwolken, die ich in<br />

tollkühner Fahrt hinter mir aufwirbeln werde! Oh, ihr<br />

Wohnwagen, die ich nach glanzvollem Angriff, achtlos in<br />

den Graben geschleudert, hinter mir lassen werde! Ekelhafte<br />

kleine Karren … gewöhnliche Karren … kanarienfarbene<br />

Karren!<br />

Was sollen wir mit ihm machen?<br />

Nichts. Denn es gibt nichts, was man machen könnte. Ich<br />

kenne ihn nämlich seit einiger Zeit. Jetzt ist er besessen. Er<br />

hat einen neuen Fimmel, und das nimmt ihn immer ziemlich<br />

mit, besonders am Anfang. So wird das noch einige Tage<br />

weitergehen – wie bei einem Tier, das mit einem schönen<br />

Traum schlafwandelt: zu nichts Nützlichem zu gebrauchen.<br />

Vergiss ihn. Wir müssen zur nächsten Stadt, der Kröterich<br />

6


muss Anzeige erstatten, das Pferd muss wieder eingefangen<br />

und der Wohnwagen muss abgeschleppt und repariert<br />

werden.<br />

KRÖTERICH<br />

Anzeigen soll ich die wunderschöne, die himmelsgleiche<br />

Erscheinung, die mir soeben gewährt wurde?! ‚Der<br />

Wohnwagen muss repariert werden.’ Mit Wohnwagen bin<br />

ich ein für alle Mal fertig! Ich möchte diesen Wohnwagen nie<br />

wieder sehen, geschweige denn von ihm hören.<br />

Ach Ratte! Du ahnst ja nicht, wie dankbar ich dir bin! Dass<br />

du mitgekommen bist! Ohne dich wäre ich niemals gefahren,<br />

und dann hätte ich ihn nie gesehen – diesen Schwan, diesen<br />

Sonnenstrahl, diesen Donnerschlag! Nie hätt’ ich jenes<br />

zaubrische Geräusch vernommen – noch gerochen hätt’ ich<br />

jenen Duft, der mich verhext! Dies alles nun verdank ich dir,<br />

oh, bester aller Freunde!<br />

7

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