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Ein bisschen Einstein sein - Karl-Heinz Brodbeck

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Die Rheinpfalz Nr. 54, Samstag 5.März 2005<br />

<strong>Ein</strong> <strong>bisschen</strong> <strong>Ein</strong>stein <strong>sein</strong><br />

Olaf Lismann<br />

Albert <strong>Ein</strong>stein ist unumstritten eines der größten Genies des vergangenen Jahrhunderts,<br />

manche meinen, das größte. Warum er als, Genie gilt, ist bekannt.<br />

Wenn man der Frage nach geht, woraus er <strong>sein</strong>e bahnbrechenden Ideen schöpfte,<br />

dann führen die Wege bald zur Frage, wie Kreativität entsteht.<br />

Sein Schlüsselerlebnis hat <strong>Ein</strong>stein wohl in einer Nacht im Mai 1905. Genaues<br />

Datum unbekannt. Zuvor diskutiert er angeregt wie viele Male zuvor mit <strong>sein</strong>em<br />

Kollegen am Berner Patentamt, Michele Besso, über das Wesen der Zeit, über<br />

Widersprüche im herrschenden Weltbild der Physik, doch <strong>Ein</strong>stein findet keine<br />

Lösung. Seinem Freund eröffnet er: „Ich gebe auf!“ Was in der nun folgenden<br />

denkwürdigen Maiennacht geschieht, bleibt im Dunkeln. Doch am nächsten Morgen<br />

trifft <strong>Ein</strong>stein Besso erneut und sagt ihm: „Danke dir, ich habe mein Problem<br />

vollständig gelöst“.<br />

Die Lösung heißt Spezielle Relativitätstheorie, einer von gleich vier Geniestreichen,<br />

die <strong>Ein</strong>stein 1905 innerhalb eines einzigen Jahres veröffentlicht. Sie machen aus<br />

dem 26-jährigen unter Physikern völlig unbekannten Berner Patentprüfer ein Jahrhundertgenie.<br />

Denn in <strong>sein</strong>em „Wunderjahr“ legt <strong>Ein</strong>stein nicht nur die Spezielle<br />

Relativitätstheorie vor, .sondern ebnet mit einer weiteren Publikation auch den Weg<br />

zur Quantenphysik, liefert mit einer Arbeit über die Brownsche Molekularbewegung<br />

einen Beweis für die damals hoch um umstrittene Existenz der Atome und entdeckt<br />

dann noch die inzwischen berühmte Formel E = mc 2 , aus der hervorgeht,<br />

dass Masse eine Form von Energie ist.<br />

<strong>Ein</strong> Mensch, der eine bahnbrechende schöpferische Leistung vollbringt, der kann<br />

als Genie bezeichnet werden. Doch was ist der wesentliche Faktor, der <strong>Ein</strong>stein,<br />

der einen Menschen zum Genie macht? Woraus schöpfte er <strong>sein</strong>e revolutionären<br />

Ideen?<br />

<strong>Ein</strong>e wesentliche Quelle neuer Ideen ist zweifellos die Kreativität. Sie erschafft etwas,<br />

„was neu und wertvoll für jemanden ist“, schreibt <strong>Karl</strong>-<strong>Heinz</strong> <strong>Brodbeck</strong> der<br />

Volkswirtschaft und Kreativitätstechniken an der Fachhochschule Würzburg lehrt.<br />

Sein Credo: Kreativität ist keine besonders seltene und nur wenigen Genies vorbehaltene<br />

Fähigkeit. Wir alle verfügen „in reichem Maße über sie“. Bei vielen ist die<br />

Kreativität allerdings verschüttet, unentdeckt, von einem „Eismantel der Gewohnheit“<br />

eingeschlossen. In <strong>Brodbeck</strong>s Sinne könnte man hinzufügen, dass die Kreativität<br />

des Genies außerordentliche Kraft annimmt, sie bei ihm von Denkgewohnheiten<br />

befreit, ja geradezu entfesselt ist.<br />

<strong>Ein</strong>stein überschritt gewohnte Grenzen der Autoritätsgläubigkeit, des Schubladendenkens<br />

von Fachdisziplinen. <strong>Brodbeck</strong> veranschaulicht, wo die Kreativitätsfalle<br />

lauert: <strong>Ein</strong> Physiker denkt: „Er sieht, was er weiß. Wenn etwas Unbekanntes sichtbar<br />

wird, dann wird er es als ‚bloße Täuschung’ bezeichen und sich vielleicht die<br />

Chance nehmen, tatsächlich etwas Neues zu beobachten. Fehlendes wissen ist<br />

nicht unbedingte ein größeres Hemmnis als ein zu sehr an Gewohnheiten gefesseltes<br />

Denken.“<br />

<strong>Ein</strong>steins geniale Leistung fiel gerade in eine Zeit, in der viele Physiker davon überzeugt<br />

waren, dass sich ihr Fach der Vollendung nähere, dass es kaum noch ungeklärte<br />

Fragen gebe. Die Physik war betriebsblind geworden. gefangen in einem<br />

Scheuklappen-Denken getrennter Teildisziplinen. <strong>Ein</strong>stein kam zugute, dass er ein<br />

1


Außenseiter des damaligen Physik-Betriebes war und nicht in dessen Denk-<br />

Gewohnheiten feststeckte. Gewohnheit, so <strong>Brodbeck</strong>, legt sich wie ein Schleier<br />

über die Kreativität.<br />

<strong>Ein</strong> weiterer Pluspunkt für <strong>Ein</strong>stein: Seine Inspiration nahm er aus einem Kreis<br />

fachfremder Freunde, die sich 1902 zum Debattierclub "Akademie Olympia" zusammenschlossen.<br />

Dort debattierte das Genie bis tief in die Nacht mit <strong>sein</strong>en<br />

Freunden Maurice Solvine und Conrad Habicht sicher mit einer ordentlichen Portion<br />

Humor und Respektlosigkeit über wichtige Werke der Physik und der philosophie.<br />

<strong>Ein</strong>stein erhielt dort wegen <strong>sein</strong>er Ausdauer beim Philosophieren den Ehrentitel<br />

„Albertus Ritter von Steisbein“. <strong>Ein</strong>stein stellt in Frage, was als selbstverständlich<br />

galt. „Es lebe die Unverfrorenheit!", schrieb er einmal Mit kindlicher Naivität<br />

zweifelte er am schein bar Offensichtlichen, an der damals allzu unreflektierten<br />

Verwendung der Begriffe Licht, Materie und Zeit. <strong>Ein</strong>stein sagte einmal: "Der Erwachsene<br />

denkt nicht über die Raum-Zeit-Probleme nach. Ich dagegen habe mich<br />

so langsam entwickelt, dass ich erst anfing. mich über Raum und Zeit zu wundern,<br />

als ich bereits erwachsen war.“<br />

Für den Kreativitätsforscher <strong>Brodbeck</strong> ist die Wahrnehmung und die Interpretation<br />

einer Situation das zentrale Feld der Kreativität. Wer eine Situation völlig neu deutet,<br />

von einer völlig anderen Warte aus betrachtet, der kann ein ganzes Weltbild<br />

erschüttern, wie <strong>Ein</strong>stein, der Zeit und Raum neu aufgefasst hat.<br />

Deshalb kann Kreativität Neues erschaffen und Großes bewegen. Das gilt nach<br />

<strong>Brodbeck</strong> auch für uns selbst. Wir befinden uns ständig in neuen Situationen, die<br />

sich stets wandeln und nie wirklich wiederholen. Wir sind also geradezu gezwungen,<br />

unsere Welt ständig neu zu interpretieren und neu darauf zu reagieren. Deshalb<br />

kann <strong>Brodbeck</strong> sagen: „Kreativität ist immer da, wird immer ‚angewendet’“.<br />

Wir sind in jeder veränderten, in jeder neuen Situation kreativ, „auf unvorhersagbare,<br />

oft überraschende Weise.“ Wir achten nur nicht darauf. Die wichtigste Form<br />

der Kreativität sei es, die Art und Weise zu verändern, wie wir Situationen, ja die<br />

ganze Welt erleben. Die Kreativität erlaube uns deshalb nichts Geringeres, als uns<br />

selbst zu gestalten. „Wir selbst sind das wichtigste Produkt der Kreativität“,<br />

schreibt <strong>Brodbeck</strong>. Sie sei die „unaufhörliche Quelle der Selbstgestaltung und<br />

Selbstentdeckung“. Der Schlüssel zur eigenen Kreativität aber ist die Achtsamkeit.<br />

Denn Kreativität ist ständig da, bleibt nur allzu oft unbeachtet.<br />

Kreativität hat <strong>Ein</strong>stein zu Großem befähigt. Auch wir besitzen etwas davon. Und<br />

unser vielleicht noch unbeachtetes kreatives Potential befähigt auch uns dazu, unser<br />

ganz persönliches Weltbild zu erschüttern und uns zu dem zu formen, was wir<br />

<strong>sein</strong> können.<br />

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