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<strong>Leseprobe</strong><br />

aus dem Kapitel «Wir sind Kirche» im Abschnitt 1.4 «Gott<br />

gibt mir seine Gaben» von Helga Kohler-Spiegel<br />

in: Manfred Belok/Helga Kohler-Spiegel (Hg.):<br />

Kirche heute leben. Eine Ermutigung<br />

Edition NZN bei TVZ 2013, Zürich<br />

Es ist nicht selbstverständlich, dass so viele<br />

Menschen Woche für Woche in den Pfarreien<br />

engagiert sind, an unterschiedlichen Stellen<br />

mitarbeiten und das Leben der Kirche gestalten. Die<br />

Bibel sagt, hier werden «Geistesgaben» sichtbar,<br />

Charismen – Geschenke des Geistes Gottes. Die<br />

Atmosphäre verändert sich, wenn in den Pfarreien<br />

nicht nur beklagt wird, dass sich immer weniger Menschen engagieren, sondern<br />

wenn wieder neu gesehen und gewürdigt wird, wo überall Menschen mitwirken.<br />

Kirche ist ein Ort, an dem unterschiedliche Menschen ihre Begabungen und ihre<br />

Fähigkeiten einbringen.<br />

Umso schmerzhafter, wenn Menschen aufgrund von Lebensform und Geschlecht<br />

daran gehindert werden, ihre Fähigkeiten für das Leben der Kirche einzusetzen.<br />

Als Menschen brauchen wir andere Menschen, um mit ihnen zusammen zu merken,<br />

was wir selbst gerne tun. Wir brauchen andere Menschen, um zu entdecken, was wir<br />

gut können. Wir brauchen deren Rückmeldung, das Feedback, das uns sagt: «Das<br />

ist wunderbar. Das machst du gut.» Wir brauchen die anderen Menschen, um unsere<br />

eigenen Stärken zu entdecken, wir brauchen die Ermutigung der anderen, wir<br />

brauchen ihre Reaktion. Damit zeigen andere Menschen, dass sie uns wahrnehmen,<br />

dass sie uns sehen – mit den eigenen Stärken, mit dem, was die einzelne Person<br />

kann, was sie besonders macht. Umgekehrt ist es psychisch belastend, wenn<br />

längere Zeit Begabungen eines Menschen brachliegen, wenn niemand die<br />

Fähigkeiten einer anderen Person sehen und einbinden will. Jemandem seine<br />

Aufgabe zu nehmen, die Möglichkeit, sich entsprechend seiner Fähigkeiten<br />

einzubringen, ist verletzend und schmerzhaft. Dies gilt beruflich, in der<br />

Freiwilligenarbeit und privat. Es geht also nicht nur darum zu fragen, welche<br />

Funktionen in der Pfarrei besetzt und welche Aufgaben verteilt werden müssen.<br />

Sondern es geht darum, welche Stärken wir bei anderen Menschen sehen, welche<br />

Begabungen … Es geht darum, in den Gemeinden nicht funktionsbezogen, sondern<br />

an den jeweiligen Charismen orientiert Menschen zum Mitmachen einzuladen.<br />

Wie gelingt es, dass diese «Geistesgaben» für die Gemeinde genutzt werden<br />

können, dass sie nicht zur Konkurrenz untereinander führen? Diese Fragen<br />

haben natürlich auch die jungen Gemeinden beschäftigt. Paulus hat ein wichtiges<br />

Bild dazu entwickelt: «ein Leib und viele Glieder». Jesus Christus ist nach Tod und


Auferstehung nicht mehr körperlich unter den Menschen, er ist nicht mehr direkt<br />

erfahrbar. Aber in den Gemeinden der Christinnen und Christen lebt Christus weiter.<br />

Wenn Menschen so leben wie Jesus, dann bleibt Jesus unter den Menschen<br />

erfahrbar. Deshalb kann Paulus sagen: Die Gemeinde ist der Leib Christi, jedes<br />

Glied hat seine Aufgabe, alle zusammen bilden Christus. «Denn wie der Leib eine<br />

Einheit ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele<br />

sind, einen einzigen Leib bilden: so ist es auch mit Christus» (1 Kor 12,12). Hier ist<br />

noch keine Hierarchie vorhanden; kein Glied am Leib ist wichtiger als das andere. Es<br />

ist noch nicht festgelegt, wer Kopf und wer Hand und wer Auge ist. Später dann, im<br />

Epheserbrief, der auf Schüler des Paulus zurückgeht, ist von Unter- und<br />

Überordnung in diesem «Leib», in der Gemeinschaft der Christinnen und Christen die<br />

Rede. Paulus aber hatte – noch – die Gewissheit, dass «in Christus», dass unter den<br />

Christinnen und Christen keine festen Hierarchien herrschen sollten. Er kann noch<br />

sagen: «Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann<br />

und Frau; denn ihr alle seid ‹einer› in Christus Jesus» (Gal 3,28 f.). Damit löst er die<br />

religiösen, die sozialen und die geschlechterbezogenen Unter- und Überordnungen<br />

von Menschen auf.<br />

Zurück zum Bild des Paulus: Viele Glieder zusammen bilden den Leib, alle Glieder<br />

sind wichtig, damit der Leib ganz und gesund ist. Gemeinschaft lebt von der<br />

Verschiedenheit, Gemeinschaft heisst dann: Es ist von Gott gewollt, dass wir<br />

verschieden sind. Und: Wir brauchen einander. Jeder weiss, dass er/ sie die anderen<br />

braucht.Das Beispiel des Paulus ist schlüssig: Wie kann eine Hand zum Fuss sagen:<br />

«Ich brauche dich nicht»? Der Kopf kann nicht zu den Füssen sagen: «Ich brauche<br />

euch nicht.» Paulus schreibt dann weiter: «Und wenn das Ohr sagt: Ich bin kein<br />

Auge, ich gehöre nicht zum Leib!, so gehört es doch zum Leib. Wenn der ganze Leib<br />

nur Auge wäre, wo bliebe dann der Geruchssinn?» (1 Kor 12,17). Dieser Aspekt ist<br />

bedeutsam. Es soll niemand sagen oder denken: Ich bin weniger wert, weil ich Fuss,<br />

und nicht Hand bin. Es soll sich niemand zurückziehen oder gar gekränkt sein: Jede<br />

Person hat etwas beizutragen, jede Person möge sich einbringen und die eigenen<br />

Fähigkeiten zeigen. Paulus meint wohl: Jede Person ist Teil der Gruppe, der<br />

Gemeinschaft, Teil der Pfarrei. Jede Person würde fehlen. Niemand kann dem<br />

anderen sagen: Dich braucht es weniger. Es soll aber auch niemand von sich selbst<br />

sagen: Mich braucht es nicht so dringend. Jede und jeder hat einen Platz, jede<br />

und jeder soll ihn ausfüllen. So einfach ist es. Dann können alle voneinander<br />

profitieren. Und eine Pfarrei wird lebendig.<br />

Noch ein Gedanke: Die Qualität ist nicht sichtbar an den stärksten Mitgliedern,<br />

sondern an den schwächsten. Paulus betont: «Bring dich ein und übernimm deinen<br />

Teil. Denn wir haben miteinander zu tun, wir sind in Beziehung. Zugleich aber kannst<br />

du dich darauf verlassen, dass wir dich nicht im Stich lassen, dass sich die anderen<br />

mit dir mitfreuen und mit dir mitleiden» – so könnte 1 Kor 12,26 in heutige Sprache<br />

übersetzt werden. Dies gelingt, weil der «Fuss» wirklich «Fuss» ist. Aus modernen<br />

Gruppenforschungen ist bestätigt: Rollensicherheit und Rollenflexibilität schliessen<br />

sich nicht aus, sondern bedingen sich. Oder anders gesagt: Je klarer die einzelnen<br />

Personen ihren Part in einer Gruppe übernehmen und darin wertgeschätzt sind,<br />

desto leichter ist es für alle in der Gruppe, ihre Fähigkeiten einzubringen und ihren<br />

Platz wirklich auszufüllen. Voraussetzung aber ist, sich kennenzulernen, Fähigkeiten<br />

sichtbar zu machen und Aufgaben auszuhandeln. Es bedarf auch klärender<br />

Konflikte. Basis für einen solchen Umgang ist, was Paulus so einfach sagt: «Ihr aber


seid der Leib Christi, und jede einzelne ist ein Glied an ihm.» (1 Kor 12,27). Das ist<br />

eine Zumutung, bis heute, und es ist eine Ermutigung: Wir freuen uns an dem, was<br />

jede einzelne Person kann und was sie einbringt. Jede und jeder von uns ist Teil des<br />

Leibes, alle gehören dazu, egal welchen Platz jemand in diesem «Leib» einnimmt.<br />

Jede und jeder wird gebraucht und braucht die anderen. Da ist nicht vom «Haupt»<br />

die Rede, nicht Autorität steht im Vordergrund, sondern bestimmte Aufgaben und<br />

Funktionen, die übernommen werden. Und es ist mit Sicherheit betont: Alle in der<br />

Gemeinde sind Glieder an diesem Leib, zusammen bilden sie die Gemeinschaft, in<br />

der Menschen erleben können, wie Jesus Christus gehandelt und gelebt hat.<br />

Texte zum Weiterdenken<br />

Lesen Sie 1 Kor 12,1–11, und lesen Sie dann 1 Kor 12,12–13a.<br />

Lesen Sie danach auch noch weiter, am besten ist es, wenn Sie laut lesen: 1 Kor<br />

13,1–13.<br />

Lassen Sie den Hymnus wirken; der Text redet von der Liebe, die Gott selbst ist.<br />

Fragen zum Weiterdenken<br />

Manchmal ist es gar nicht einfach, fünf positive Eigenschaften von mir selbst zu<br />

nennen. Manchmal ist es gar nicht einfach, fünf Fähigkeiten von mir zu nennen, die<br />

andere an mir positiv finden. Versuchen Sie es …<br />

Wenn wir miteinander überlegen, welche Begabungen bei uns, in unserer Pfarrei<br />

vorhanden sind – was würde da alles sichtbar? Wo können Kinder, junge Menschen,<br />

Männer, Frauen, alte Menschen … in der Pfarrei eigene Begabungen erkennen<br />

und ausprobieren?<br />

Weitere Infos zum Buch:<br />

http://tvz-verlag.ch/index.php?id=edition-nzn&no_cache=1<br />

Diese <strong>Leseprobe</strong> stellt Ihnen kath.ch mit freundlicher Genehmigung des Verlags zur<br />

Verfügung gestellt.<br />

© Edition NZN, TVZ-Verlag Zürich

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