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Ausgabe 3/2009 - Deutsche Olympische Gesellschaft

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In den letzten Jahrzehnten hat sich in den modernen<br />

westlichen <strong>Gesellschaft</strong>en ein Wandel vollzogen. Er ist<br />

vielleicht weniger dramatisch als die Wandlungen in<br />

Schwellenländern und Entwicklungsländern, aber doch<br />

sehr gut zu greifen. Auf der Ebene der wirtschaftlichen<br />

Verhältnisse sind die Unterschiede größer und weniger<br />

durchlässig geworden. Auf der Ebene der Sinnsuche<br />

spricht man von Transformationsprozessen des Religiösen.<br />

Religion ist individueller, unverbindlicher und biographisch<br />

wandelbarer geworden. Auf der Ebene der Rechtskultur<br />

entsteht mit dem sogenannten "gläsernen Menschen"<br />

der Datenwelt und mit unserem Sicherheitsbedürfnis<br />

ein großes Veränderungspotenzial. Das Verständnis<br />

des Rechtsstaates ist angesichts der Sicherheitsfragen<br />

ebenso in Bewegung wie das Verständnis des Sozialstaates,<br />

der mehr Eigenverantwortung des Menschen und<br />

mehr Beteiligung der Zivilgesellschaft einfordert. In<br />

Fragen des Geschlechterverhältnisses und der Familie<br />

stellen sich immer wieder neue Herausforderungen.<br />

Schließlich hat sich unser Alltag und unsere Lebensführung<br />

durch die Allgegenwart der medialen Vermittlung,<br />

die digitale Technik und durch die Angebote der Biomedizin<br />

verändert. Die ökologische Herausforderung ist<br />

weder weiter zu übersehen noch zu übergehen. Und wir<br />

alle sind von allem, was in der Welt geschieht, abhängiger<br />

als je zuvor. Die Systeme der Steuerung ändern sich<br />

auf provinzieller, staatlicher und kontinentaler Ebene.<br />

Von all dem sind auch gesellschaftliche Phänomene wie<br />

der Sport erfasst. Zwar stellt der Sport eine eigene Regelwelt<br />

dar, aber er ist kein Naturereignis und wird von<br />

allen Wandlungen mit betroffen. Indem er sich an diese<br />

Welten anpasst bzw. sich in sie einpasst, verändert er sich<br />

mit. Insbesondere wird er von der Event-Kultur erfasst.<br />

Dadurch wird er präsenter und potenter; zugleich verliert<br />

er aber auf der Ebene des Ehrenamtes, weil die Ressource<br />

Zivilgesellschaft unter ständigem Zeitmangel und Stress<br />

leidet.<br />

Bei alldem ist es kein Wunder, dass auch von einem Wandel<br />

der moralischen Orientierung gesprochen wird. Es ist<br />

freilich nicht so, als verliere der Mensch sein unausrottbar<br />

moralisches Wesen. Die <strong>Gesellschaft</strong> ist nämlich, wenn<br />

man genau hinschaut, voller Moral, diese wird oft in den<br />

Medien als Waffe gegeneinander benutzt, vor allem in<br />

der Politik. Man kann die Benutzung der Moral aber auch<br />

am Beispiel des Fußballspieles veranschaulichen. Die<br />

Kunst, sich foulen zu lassen, steigt ebenso an, wie der<br />

Versuch, den Gegner schädigende Entscheidungen des<br />

Schiedsrichters herbeizuführen oder seine Bestrafung zu<br />

verlangen. Ein Zweikampf muss nicht nur bestanden, er<br />

muss auch dargestellt werden, und dies greift auch auf<br />

andere Teamsportarten über. Es ist also so, wie der<br />

Schriftsteller Robert Musil einmal vorausgesagt hat: alles<br />

6<br />

ist moralisch, nur die Moral ist nicht mehr moralisch.<br />

Solange man selbst nicht erwischt wird, kann man auf<br />

den anderen zeigen. Die moralischen Betrachtungsweisen<br />

sind zudem oft verschieden und stehen gegeneinander.<br />

Überspitzt gesagt: Wir leben in der Kultur der gleichzeitigen<br />

Geltung des Verschiedenen: alles gilt, was gilt, und,<br />

dass nicht alles gilt, was gilt, das gilt auch.<br />

Dies lässt sich auch auf den Boom der Ethik, den sogenannten<br />

"ethical turn", übertragen. Bereichsethiken wie<br />

auch die Sportethik können in der gesellschaftlichen<br />

Auseinandersetzung zu Kampf- und Gebrauchsinstrumenten<br />

werden.<br />

Zwar kann man<br />

diese Auseinandersetzungen<br />

selbst wiederum<br />

der Moral des<br />

Diskurses -<br />

Begrenzung der<br />

Einflüsse, gleicheAusgangschancen,Beteiligung<br />

aller<br />

Betroffenen -<br />

unterwerfen,<br />

aber dieser<br />

Moral mit ihren<br />

formalen Bedingungen<br />

fehlen<br />

oft die Werte,<br />

die Güter, Rechte<br />

und Pflichten,<br />

die es moralisch<br />

zu begründen,<br />

zu verteidigen und zu propagieren gilt. Mehr Diskurs ist<br />

noch keine Garantie für mehr Moral, wohl aber eine<br />

Bedingung dafür, dass der Wandel mit seinen moralischen<br />

Wirkungen breit diskutiert wird und Konsense finden<br />

kann.<br />

Wandel bedeutet auch Gewinne. Ein Gewinn ist z.B. der<br />

Kampf gegen sexuellen Mißbrauch und Kindermanipulation,<br />

das Gefühl für die "political correctness" oder, sichtbar<br />

am Sport aber auch weit darüber hinaus, der Siegeszug<br />

der Fairness als einem neuen Grundwort für allgemeine<br />

Gerechtigkeit. Gleiches soll gleich, Ungleiches soll<br />

ungleich behandelt werden. Man kann sich dann darüber<br />

streiten, wann Ungleichheit gerecht zu berücksichtigen<br />

ist. Man kann darüber streiten, wann mehr Gleichheit und<br />

wann mehr Freiheit am Platze ist. Man kann das Gefühl<br />

für Ungerechtigkeit kultivieren, eines der stärksten<br />

Antriebskräfte für die Moral.

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