Ausgabe 3/2009 - Deutsche Olympische Gesellschaft
Ausgabe 3/2009 - Deutsche Olympische Gesellschaft
Ausgabe 3/2009 - Deutsche Olympische Gesellschaft
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Professor Walter Jens ist immer auch ein Liebhaber des<br />
Sports gewesen - ein kritischer. Das verdeutlicht ein<br />
neues Buch, das die Sport Essays des 86-Jährigen<br />
zusammenfasst, die er geschrieben hat, bevor er an Demenz<br />
erkrankte.<br />
Zuerst Marathonlauf und dann die Pilsreklame? Walter Jens,<br />
dem ehemaligen Tübinger Rhetorikprofessor und so feinsinnigen<br />
wie scharfen Kritiker des Sports,<br />
war der Macht der Werbeindustrie<br />
über den Sport und dessen fehlende<br />
Autonomie immer ein Dorn im Auge.<br />
Dagegen fand Jens die gleichzeitige<br />
Präsenz von Bundesadler und dem<br />
Daimler-Stern auf dem Nationaltrikot<br />
der Kicker überhaupt nicht<br />
anstößig, "weil ehrlich und nichts<br />
verschleiernd".<br />
Aber warum beschäftigte sich ein<br />
Schriftsteller, ein Präsident der<br />
<strong>Deutsche</strong>n Akademie der Künste, der<br />
als Mitglied der legendären 47er<br />
Gruppe zu den repräsentativen<br />
Intellektuellen der alten Bundesrepublik<br />
zählte, überhaupt mit so profanen<br />
Dingen wie dem Sport? Die<br />
Antwort ist einfach: weil Jens eine<br />
genauso große emotionale Bindung zum Fußball verspürte<br />
wie viele Fans in den Stadien auch.<br />
Das wird deutlich, wenn man sich Jens` "Reden zum Sport"<br />
durchliest, die in einem neuen Buch gesammelt sind, das jüngst<br />
in der Möhringer Buchhandlung Ebert vorgestellt wurde.<br />
Liebeserklärung an den Fußball<br />
Jens war als Jugendlicher Torwart beim Hamburger Stadtteilklub<br />
Eimsbütteler TV, und nur seine Asthmaerkrankung hinderte<br />
ihn an einer längeren Fußball-Karriere. Jens selber hatte<br />
zum großen HSV die Kleine-Leute-Perspektive, aus der schon<br />
in den 1930er Jahren die Erkenntnis resultierte: "Wer Geld<br />
hat, hat auch die entsprechenden Kicker". Daraus wird verständlich,<br />
wenn sich Jens später in die Schar derer einreihte,<br />
die sich lustvoll an jedem Samstag freut, wenn der Geldklub<br />
Bayern ("Das schwarze Monopol") verliert. "Wenn ich den<br />
letzten Goethe-Vers vergessen habe, werde ich den Eimsbütteler<br />
Sturm noch aufzählen können", machte Walter Jens aus<br />
seiner Jugendliebe Fußball heraus eine Liebeserklärung an den<br />
Fußball.<br />
Doch als Festredner konnte der Rhetoriker Jens den Sportverbänden<br />
auch die Leviten lesen. Der Sport könne keine politi-<br />
58<br />
sche Neutralität beanspruchen, schrieb Jens dem <strong>Deutsche</strong>n<br />
Fußball-Bund schon 1975 beim 75-jährigen Jubiläum ins<br />
Stammbuch und forderte eine längst überfällige Aufarbeitung<br />
der unrühmlichen Geschichte des DFB im Nationalsozialismus.<br />
Doch Jens` Festrede ("Versöhnung im Streit") fand erst<br />
30 Jahre später Beachtung, als der Historiker Nils Havermann<br />
("Fußball unterm Hakenkreuz) die Geschichte des Fußballs<br />
aufgearbeitet hatte.<br />
Meister der<br />
kritischen Sympathie<br />
Auch beim 100. Geburtstag des <strong>Deutsche</strong>n Leichtathletik-<br />
Verbands 1998 schaffte Walter Jens den Spagat zwischen<br />
Feier und Kritik. Der Sport dürfe sich nicht der Kommerzialisierung<br />
unterordnen und auch nicht zum reinen Medienspektakel<br />
verkommen, schrieb Jens und warnte davor, dass<br />
sich Spitzen- und Breitensport nicht trennen dürften, weil<br />
sich beides bedingen würde. "Jens` Beiträge zum Sport<br />
dürfen nicht verloren gehen", fordert der Tübinger Sportsoziologe<br />
Helmut Digel bei der Buchvorstellung von "Reden<br />
zum Sport", bei der Jens` Ehefrau Inge aus dem Werk vorlas.<br />
Wahrscheinlich würde Jens noch manches schärfer formulieren"<br />
sagte Digel, " seine Beiträge sind heute aktueller denn<br />
je".<br />
"Die Schotten sind noch dicht"<br />
Von Ewald Walker<br />
Neben den Appellen an die Sportverbände, ihre Geschichte<br />
aufzuarbeiten und sich in ihrer Verbandsarbeit zu öffnen,<br />
zählen auch Jens Appelle zur Sportberichterstattung zu<br />
dessen besonderen Anliegen.<br />
Unter dem Pseudonym "Momos" verfasste "Kleinstkicker Jens",<br />
wie er sich selber nannte, jahrelang Fernsehkritiken für "Die<br />
Zeit". Dort kritisierte er das "Kick and rush" in der Sportsprache<br />
ebenso wie die Qualität der TV-Kommentierung ("Insgesamt ist