Ausgabe 3/2009 - Deutsche Olympische Gesellschaft
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Schon kurz nach der Operation saß ich, mein Bauchschnitt<br />
noch mit 28 Klammern zusammen gehalten, im nächstbesten<br />
Qi-Gong-Intensivkurs. Ich suchte nach dem passenden<br />
"Handwerkszeug", mir war klar: mit "herkömmlichem Sport",<br />
Leistungsdenken und sinnentleerten Übungen würde ich die<br />
nächsten Monate nicht weiterkommen.<br />
Im Qi-Gong lernte ich spürbar, wie sehr Kopf und Körper,<br />
Psyche und Physis zusammen funktionieren und sich<br />
gegenseitig beeinflussen. Was die chinesische Heilgymnastik<br />
seit Jahrtausenden vereint und anwendet, nennt die moderne<br />
Wissenschaft heute Embodiment. Psychologen, Neuround<br />
Bewegungswissenschaftler erringen immer neue<br />
Erkenntnisse um das eng verflochtene Zusammenspiel<br />
zwischen Körper und Geist. Der Körper ist der Spiegel unserer<br />
Seele, aber das ganze funktioniert auch "rückwärts".<br />
Bewegung und Körperhaltung beeinflussen unsere Psyche<br />
direkt - und setzen somit neurologische, immunologische<br />
und hormonelle Prozesse in Gang, die unter anderem die<br />
Wirkung von Bewegung auf die Krebsentstehung und<br />
Krebsheilung erklären können. Weitere Wirkhypothesen sind<br />
klar messbar: Durch einen aktiven Lebensstil sinkt der Kör-<br />
bei Krebs Von Britta Kuntoff<br />
starke Erschöpfungszustand begründet sich meist auf Blutarmut,<br />
auf ein verkleinertes Lungenluftvolumen und auf eine<br />
Abnahme der Muskelmasse. Weil sich Patienten so müde<br />
fühlen, verringern sie ihre Bewegungen, was zu weiterem<br />
Muskelabbau führt - ein Teufelskreis.<br />
Sport wirkt dem Fatigue-Syndrom entgegen. Allerdings: Es<br />
erfordert einiges an Überwindung, dem Impuls zum Ausruhen<br />
nicht nachzugeben: "Angefangen habe ich mit dem Bewegungsprogramm,<br />
als die Chemotherapie begann", erzählt<br />
Brigitte Mieczynski, die an Lymphdrüsenkrebs erkrankt war:<br />
"Mir war nach vielem anderem, nur nicht nach Sport. Auf das<br />
Laufband zu gehen, war das Letzte, was ich mir vorstellen<br />
konnte. Ich habe allerdings gemerkt, wie sehr mir die Bewegung<br />
geholfen hat, mit der Krankheit besser zurecht zu<br />
kommen."<br />
Frau Mieczynski war eine der Teilnehmerinnen am Sportprogramm<br />
für Krebspatienten an der Charité Benjamin Franklin<br />
in Berlin. Mehrere Studien zu diesem Projekt unter der Leitung<br />
des Sportmediziners Priv.-Doz. Dr. Fernando C. Dimeo<br />
zeigen, dass sich die körperliche Leistungsfähigkeit verbessert,<br />
perfettanteil und damit die Produktion von Östrogen, dem<br />
weiblichen Sexualhormon. Nach der Menopause wird Östrogen<br />
fast ausschließlich in Fettzellen produziert, und wirkt<br />
unter Umständen als Promotor für den hormonsensiblen<br />
Brustkrebs. Das erklärt die Erfolge der Sporttherapie bei<br />
Brustkrebspatientinnen. Ein ähnliches Prinzip vermutet man<br />
bei Prostata-Krebs-Patienten. Durch Bewegung erhöht sich<br />
das SHGB (SexualHormonBindungsGlobulin), bindet das<br />
freie Testosteron und wirkt so hemmend auf eventuell<br />
bestehende Mikrotumore in der Vorsteherdrüse. Unzählige<br />
dieser Wirkmechanismen werden stetig weiter erforschtund<br />
es wird immer deutlicher, was schon lange zu vermuten<br />
war: Auch Krebs ist zu einem Großteil, wie Arteriosklerose,<br />
Koronare Herzerkrankung, Diabetes II und Osteoporose -<br />
eine Lebensstilerkrankung. Sicher spielt auch genetische<br />
Veranlagung in der Ursachenkaskade der Krebsentstehung<br />
eine Rolle, aber diese erklärt nicht die erschreckenden, fast<br />
epidemischen Erkrankungsraten in den letzten zwanzig<br />
Jahren. Vergleicht man die Zahlen des Krebsregisters des<br />
Robert-Koch-Instituts (RKI), stieg die Zahl der allgemeinen<br />
Krebserkrankungen von 1984-2004 um über 50 Prozent,<br />
Lymphomerkrankungen gibt es heute fast doppelt so viele!<br />
Beschwerden abnehmen und die Patienten nach<br />
einer Chemotherapie schneller regenerieren, wenn<br />
sie sich während einer Krebstherapie bewegen.<br />
Sport stärkt die Muskeln und die Struktur des<br />
Halteapparats und gleicht auf diesem Wege den durch eine<br />
Chemotherapie ausgelösten Verlust von Muskelmasse und<br />
Knochendichte aus. Ein trainiertes Herz hat eine höhere<br />
Pumpleistung. Dies ist für Krebspatienten bedeutsam, weil die<br />
Herztätigkeit oft durch die Medikamente eingeschränkt sein<br />
kann. Körperliche Aktivität unterstützt das Knochenmark in<br />
seiner Rehabilitation und begünstigt so die Blutbildung, das<br />
Nervensystem und die Verdauung profitieren davon.<br />
Doch Sport hilft nicht nur dem krebskranken Körper, wieder<br />
auf die Beine zu kommen. An Krebs erkrankt zu sein, raubt<br />
den allermeisten Menschen Mut und Zutrauen in die Leistungskraft.<br />
Wer sich bewegt, kann dem Gefühl des Ausgeliefertseins<br />
etwas entgegensetzen und befreit sich aus der<br />
passiven Rolle. Es schafft Selbstvertrauen und bessert die<br />
Stimmung, einen eigenen aktiven Beitrag dazu zu leisten,<br />
wieder gesund zu werden.<br />
Sport in der Gruppe schafft die Möglichkeit, sich mit Menschen<br />
auszutauschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht<br />
haben wie man selbst und zu erfahren, dass man mit der<br />
Krankheit nicht allein ist. Seit 1981 ermöglicht die Dachorga-<br />
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