Ausgabe 3/2009 - Deutsche Olympische Gesellschaft
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packt, bleibe ich verschont. Der erste Gedanke nach der<br />
Operation gilt zwar sorgenvoll meiner Tochter, aber dann<br />
sofort meinem scheinbaren Krankheitsgewinn: Ich muss die<br />
Leichtathletik- und die Geräte-Turnprüfung nicht machen!<br />
Davor hatte ich anscheinend so große Angst, dass mir diese<br />
triftige Ausrede gerade recht kommt. Heute weiß ich: das<br />
war meine wirkliche Krankheit. Erst die große Krise zwingt<br />
mich zurück auf den sportlichen Weg, den ich immer gehen<br />
wollte. Ich hörte auf, mich zu verbiegen, in standardisierte<br />
Leistungskriterien pressen zu lassen und entdeckte Bewegung,<br />
Sport im weiten Sinne, noch einmal und wieder neu.<br />
Behutsam, langsam - und trotzdem noch auf einigen Irrwegen.<br />
Schon in meinem Studium hatte ich den Schwerpunkt auf<br />
das Thema Sport und Krebs gelegt. Zufall? Zahlreiche Studien<br />
belegen inzwischen eindeutig: Körperliche Aktivität senkt<br />
das Krebs-Risiko, macht die Therapie erträglicher, schützt vor<br />
dem krankhaften Erschöpfungs-Syndrom Fatigue, dass so<br />
viele Krebspatienten buchstäblich lähmt, und sehr wahrscheinlich<br />
senkt Bewegung auch das Rückfall-Risiko - um bis<br />
zu 50 Prozent!<br />
Sinnvolle und wohl dosierte Bewegung allerdings. Überlastung<br />
und Übertraining fördern hingegen das Entstehen einer<br />
Krebserkrankung, und sollten deshalb von Gesunden und von<br />
Krebspatienten erst recht gemieden werden. Zum Zeitpunkt<br />
meiner Erkrankung hatte mein Körper den gefühlten<br />
Immunstatus eines AIDS-Patienten:<br />
ständige Infekte, Hauterkrankungen<br />
- ein Burkitt-Lymphom bekommt oft<br />
genau diese Patientengruppe.<br />
Zufall?<br />
Bevor mich die maximal dosierte<br />
Chemotherapie richtig in die Knie<br />
zwang, behielt ich mein leistungsorientiertes<br />
Training bei. Rauf auf<br />
den Stepper, den ich mir für das<br />
Krankenzimmer besorgt hatte, das<br />
Theraband hatte ich für Kraftübungen<br />
an das untere Bettende gebunden.<br />
Eigentlich ideal, man muss<br />
Möglichkeiten zur Bewegung schaffen.<br />
Noch heute propagiere ich<br />
genau dieses "bewegungsfreundliche<br />
Umfeld" für Krebspatienten in<br />
der Therapie. Aber wie für ein Medikament<br />
gilt: die Dosis macht das<br />
Gift. Ich machte Fehler. Am Anfang.<br />
In meinem Vitalitätswahn litt ich<br />
immer noch unter kolossaler Selbst-<br />
überschätzung. Ich war mir sogar sicher: wenn ich mit<br />
einem Hämoglobin-Wert von 7,0 (normal sind 12-16<br />
g/dl)noch 15 Minuten lang auf dem Stepper durchhalte,<br />
würde ich keine Blut-Transfusionen brauchen. Die Blutarmut<br />
gehört zum Programm, denn die Chemotherapie zerstört<br />
nicht nur Krebszellen, sondern alle schnell wachsenden<br />
Zellen. Dazu gehören neben den Haarwurzelzellen leider<br />
auch sämtliche blutbildenden Zellen wie Leukozyten,<br />
Thrombozyten und eben Erythrozyten. Ich war mir aber<br />
sicher: ich würde die erste Patientin sein, die kein Spenderblut<br />
braucht. Training regt die Erythrozytenbildung an.<br />
Außerdem ließ ich mir EPO spritzen und wäre bei der Tour<br />
de France, die ich jeden Tag im Fernsehen verfolgte, in<br />
bester <strong>Gesellschaft</strong> gewesen. Am nächsten Morgen lag ich<br />
trotz allem wie gelähmt in meinem Bett, sah buchstäblich<br />
nur noch Sterne und konnte nicht einmal mehr der Schwester<br />
klingeln. Ich kapitulierte zwangsläufig - und bin heute<br />
noch den tapferen Blutspendern dankbar. Meistens entließ<br />
ich mich kurz nach der Transfusion wie neu geboren, für ein<br />
oder zwei Tage, auf eigene Verantwortung. Ich fuhr sofort<br />
in den Stall zu meinem Pferd, und war wieder "oben", fühlte<br />
mich lebendig, selbst wenn ich es nur ein paar Minuten<br />
aushielt und mich dann die Kräfte wieder verließen. Ein<br />
Grund, warum ich bis heute von der Reittherapie für Krebspatienten<br />
begeistert bin.<br />
Meine Grenzen definierten sich während der Therapie komplett<br />
neu. Wortwörtlich Schritt für Schritt lernte ich auf<br />
meinen Körper zu hören, zu genießen was geht - und nicht<br />
Patricia Noll, 42, arbeitete<br />
als TV- und Hörfunkjournalistin<br />
für ZDF,<br />
SWR und Deutschlandfunk.<br />
Inzwischen arbeitet<br />
die Sportwissenschaftlerinhauptsächlich<br />
mit Krebspatienten<br />
und in der Forschung.<br />
Sie gründete die Stiftung<br />
"good hope" - für<br />
Patientenwürde und<br />
humane Krebstherapie.<br />
Ihr Patientenratgeber<br />
"Zurück ins Leben -<br />
selbst bestimmt durch<br />
die Krebs-Therapie" ist<br />
im Herder-Verlag, Freiburg,<br />
erschienen. Mehr<br />
Informationen unter<br />
www.good-hope.de<br />
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