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Ausgabe 3/2009 - Deutsche Olympische Gesellschaft

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seiner Wahl zum IOC-Präsidenten für sich und seine Organisation<br />

die Führungsrolle des Weltsports festschreiben zu lassen.<br />

Für den Oppositionsführer aus der Schweiz endete die Aufmüpfigkeit<br />

zwei Jahre später mit der Entmachtung. Samaranch<br />

spaltete die Verbände in Sommer- und Wintersport-<br />

Organisationen auf, für Keller gab es keinen führenden Platz<br />

mehr in den neuen Partnerverbänden des IOC.<br />

Der <strong>Olympische</strong> Kongress von Baden-Baden war sicher eine<br />

der wichtigsten der bisher zwölf Generalversammlungen des<br />

olympischen Weltsports. Er stärkte die Position des IOC,<br />

markierte das Ende des Amateurzeitalters, öffnete das IOC für<br />

Frauen und schuf ein Mitbestimmungsrecht für den Athleten.<br />

Die Kongresse als umfassende Begegnung des IOC mit den<br />

Nationalen <strong>Olympische</strong>n Komitees und internationalen Sportverbänden<br />

dienten der Standortbestimmung. Sie waren ein<br />

über ein Jahrhundert reichender Versuch, den olympischen<br />

Sport in einen gesellschaftlichen, globalen Zusammenhang zu<br />

stellen, seinen ideellen - und später immer stärker auch<br />

seinen finanziellen - Nutzwert zu definieren und über ein<br />

Gleichmaß an Vorstellungen und Zielen eine Einheit herzustellen.<br />

Dies alles auch als Selbstbehauptung in dramatischen<br />

Zeiten mit zwei Weltkriegen und der Aufspaltung in zwei<br />

politische Blöcke. Eingebettet in die Kongresse waren jeweils<br />

die Sessionen des IOC. Ihrer Zuständigkeit oblag es, aus den<br />

Vorstellungen und Empfehlungen ein ständig fortzuschreibendes<br />

Grundgesetz zu formulieren. Es fand seinen Ausdruck<br />

in der <strong>Olympische</strong>n Charta.<br />

Paris steht für die Veränderung und auch Brüche über 100<br />

Jahre <strong>Olympische</strong>r Kongresse. Der französische Pädagoge,<br />

Historiker und Sportfunktionär Baron Pierre de Coubertin<br />

hatte 1894 in die französische Hauptstadt zu "Überlegungen<br />

zu den Prinzipien des Amateurismus und ihrer Propagierung"<br />

eingeladen. Am Ende stand die Wiederaufnahme der <strong>Olympische</strong>n<br />

Spiele 1896 in Athen und die Gründung des IOC.<br />

Kongressteilnehmer waren 58 Franzosen, die 24 Sportorganisationen<br />

und Vereine vertraten, 20 Vertreter von 13 ausländischen<br />

Sportorganisationen und 50 Ehrenmitglieder, darunter<br />

sechs künftige Nobelpreisträger. Die Gründungsversammlung<br />

fand in der Universität Sorbonne statt.<br />

Ein Jahrhundert später war Paris auch Schauplatz des bisher<br />

letzten <strong>Olympische</strong>n Kongresses. Es gab 1 800 Teilnehmer, in<br />

vier Tagen wurden 430 vorgefertigte Reden gehalten, die auf<br />

6,5 Millionen Blatt Papier abgedruckt wurden. Die von einem<br />

prächtigen Fest begleitete Veranstaltung kostete 25 Millionen<br />

Mark und wurde damit auch zu einem Symbol für gewonnenen<br />

Wohlstand und olympisches Übermaß. Versammlungszentrum<br />

war die durch kühlen Beton gekennzeichnete Satelitenvorstadt<br />

Bercy. Dorthin wurde auch das <strong>Olympische</strong> Feuer<br />

getragen, nach dem es von einem Profikletterer in einer<br />

circensischen Aufführung vom Eiffelturm abgeseilt worden<br />

war. Die Schlussakte des Kongresses las sich mit 61 Forderun-<br />

gen und Feststellungen wie ein Warenhauskatalog. Coubertins<br />

Nachlassverwalter Geoffroy de Navacelle beklagte in der<br />

abschließenden Sitzung, dass der Name seines Großonkels<br />

aus einer wichtigen Passage der <strong>Olympische</strong>n Charta gestrichen<br />

worden sei. "Will der Präsident ebenfalls vergessen?",<br />

fragte Navacelle in Richtung Samaranch.<br />

Coubertin, der Gründer und langjährige IOC-Präsident, hat<br />

die ersten acht <strong>Olympische</strong>n Kongresse bis 1925 auch durch<br />

Themenvorgaben geprägt. Der Sport als ganzheitliches Phänomen<br />

wurde, wissenschaftlichen Seminaren nicht unähnlich,<br />

in Bezug gesetzt zu Hygiene, Pädagogik, physische Erziehung,<br />

Psychologie, Physiologie, Literatur und Kunst. Immer ging es<br />

auch um die Weiterentwicklung der Regeln unter Wahrung<br />

des Amateurismus und die Suche nach einem Gleichgewicht<br />

der drei Säulen des olympischen Sports: IOC, NOKs, Verbände.<br />

Der letzte Kongress vor dem Zweiten Weltkrieg 1930 in Berlin<br />

und der erste ohne Coubertin kündigte die politische Einvernahme<br />

des Sports als eine neue große Herausforderung an.<br />

Reichspräsident Paul von Hindenburg gab einen großen<br />

Empfang, Reichsinnenminister Joseph Wirth kündigte in<br />

seiner Eröffnungsrede eine deutsche Bewerbung um die<br />

<strong>Olympische</strong>n Spiele 1936 an. Als sich Berlin ein Jahr später<br />

bei der IOC-Wahl klar gegen Barcelona durchsetzte und<br />

Hindenburg 1933 Adolf Hitler zur Macht verhalf, stand der<br />

olympische Sport vor seinem größten Problem: Die <strong>Olympische</strong>n<br />

Spiele als Instrument eines verbrecherischen politischen<br />

Systems.<br />

Die moderne Ära <strong>Olympische</strong>r Kongresse begann mit der<br />

Zusammenkunft im bulgarischen Varna 1973. Zum politischen<br />

Missbrauch einer in Ost und West auseinander gefallenen<br />

Welt kam als neue äußere Gefahr der Terrorismus. Ein<br />

Jahr zuvor hatten Araber bei den Spielen in München bei<br />

ihrem Überfall auf das israelische Team ein Blutbad angerichtet.<br />

Der olympische Sport selbst befand sich nicht nur wegen<br />

des Präsidentenwechsels 1972 vom amerikanischen Fundamentalisten<br />

Avery Brundage zum liberalen irischen Lord<br />

Michael Killanin in einer Übergangsphase. Verbände und<br />

NOKs hatten dem IOC eine Drei-Parteien-Kommission aufgezwungen,<br />

die auch als Kongress-Veranstalter auftrat. Angeführt<br />

von ihrem Schweizer Anführer Keller probten die Verbände<br />

den Aufstand. "Wir sind mit unseren Sportlern die<br />

eigentlichen Träger der Spiele", begehrte Keller auf und<br />

forderte ein Mitentscheidungsrecht bei der Programmgestaltung<br />

der Spiele und deren Zulassungsbestimmungen. Killanin<br />

gab dem Begehren nach, dass jeder Verband seine Amateurregel<br />

selbst formulieren könne, allerdings unter dem Vorbehalt:<br />

"Die letzte Entscheidung hat das IOC. Es lässt sich von<br />

niemandem etwas diktieren."<br />

Politisch lief in Varna der Versuch des Ostblocks ins Leere, das<br />

"NOK für Deutschland" in "NOK der Bundesrepublik Deutsch-<br />

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