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Ausgabe 3/2009 - Deutsche Olympische Gesellschaft

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mus" (Spiegel), sodass sich die Welt verwundert die Augen<br />

rieb, lasse sich nicht beliebig wiederholen. Zumindest nicht<br />

schon nach drei Jahren wieder. In der Tat, die letzte staunend<br />

wahrgenommene Verwandlung des <strong>Deutsche</strong>n zum<br />

weltoffenen, unverkrampften Gastgeber liegt eine Menschengeneration<br />

zurück; immerhin, auch sie ermöglicht erst<br />

durch ein Treffen des Sports: die mit pastellfarbener Leichtigkeit<br />

und heiter-beschwingter Ungezwungenheit sommerlich<br />

flanierenden <strong>Olympische</strong>n Spiele vor 37 Jahren in München.<br />

Zumindest bis zu dieser grausamen Zäsur des 5. Septembers.<br />

Und überhaupt: Heißt es nicht, die Leichtathletik, diese<br />

Disziplin der Individualisten und ihr eher der gehobenen<br />

Bürgerschicht entstammender und lautem Überschwang<br />

zumeist unverdächtiger Anhang würden nicht taugen zu<br />

bierseliger Party? Wie sie weiland der zu Gemeinsinn verpflichtete<br />

Fußball auf wogenden Fanmeilen und in lauschigen<br />

Vergnügungsparks vor überdimensionalen TV-Geräten feierte?<br />

Das Spiel mit dem Ball lebe sich eben auch auf der Straße<br />

aus, die Leichtathletik nicht. Wobei, zuweilen kann auch die<br />

durchaus zu frohgemutem Treiben neigen. Aber eben bevorzugt<br />

im Rund des Stadions, wie die Erinnerung an die erste<br />

WM in Deutschland lehrt: Im Sommer 1993 führten in Stuttgart<br />

begeisterte Ränge die Ola (damals "Schwabenwelle") in<br />

Deutschland ein, worauf das Internationale <strong>Olympische</strong><br />

Komitee sich vor den Schwaben verneigte und sie, ob der<br />

allen Athleten entgegengebrachten Fairness, mit Lorbeer<br />

schmückte. Nur, lokal fixierter Enthusiasmus allein reicht<br />

diesmal dem nicht, der vom globalen Championat der Leichtathleten<br />

"Märchenqualität" erwartet. Qualitätsmindernd,<br />

führen hinsichtlich eines Sommermärchens `09 Ungläubige<br />

ins Feld, seien die im Vergleich zur Fußballauswahl 2006 nicht<br />

sonderlich ausgeprägten Erfolgsaussichten der heimischen<br />

Athletenklientel.<br />

Gemach, Freunde des Zweifels, selbst Leichtathleten vermögen<br />

über ihren Schatten zu springen. Die Hoffnung, die<br />

eigenen Sportler könnten vielleicht doch mit ihren Leistungen<br />

dem Fest eine märchenhaft anmutende Girlande flechten, hat<br />

schließlich Nahrung erhalten in den Wintermonaten, die auf<br />

das Pekinger Desaster folgten. Natürlich wird, weil auch die<br />

Welt des Sports nicht mehr ist, wie sie mal war, nichts mehr<br />

heranreichen an jenen rauschhaften Sonntagnachmittag im<br />

September 1972, an den wohl glorreichsten Tag der deutschen<br />

Nachkriegsleichtathletik. Damals gewannen Hilde Falck,<br />

Klaus Wolfermann und Bernd Kannenberg<br />

Olympiagold im Stundentakt, ihre Siege zogen<br />

wie Donnerhall durchs Land.<br />

Immerhin haben jetzt unverbrauchte, Optimismus<br />

widerspiegelnde Gesichter Neugier geweckt,<br />

haben Namen wie Bayer, Holzdeppe und Friedrich<br />

einen neuen Abschnitt angedeutet. Und vor<br />

allem: Irina Mikitenko, die Läuferin mit dem kurzen Schritt<br />

und dem langen Atem. Kaum auszudenken, wie sich die<br />

Woche in Berlin entwickelte, hätten die Organisatoren das<br />

Marathonrennen der Frauen an den Anfang des Programms<br />

gestellt und nicht ans Ende, wenn die Messe bereits gelesen<br />

ist: Vorneweg laufend Mikitenko, die Favoritin nach Siegen in<br />

Berlin und London, vorbei an Hunderttausenden auf den<br />

Straßen, lärmbewährt, fähnchenschwingend, und an Berlins<br />

vom Sonnenlicht filmreif ausgeleuchteten Sehenswürdigkeiten,<br />

und das Fernsehen immer voll drauf, hinein in die gute<br />

Stube, weltweit sowieso. Wer würde dann nicht Feuer fangen,<br />

landauf, landab ...<br />

… und sich delektieren an einem weiteren, kurzfristig programmierten<br />

Szenario des Marathons? Nach der Startzusage<br />

von Sabrina Mockenhaupt, die auf die zehn Bahnkilometer<br />

setzen wollte und nicht auf die 42 auf der Straße, wird eine<br />

nationale Konkurrentin Mikitenko begleiten. Eine für Werbefachleute<br />

faszinierende Geschichte: Mit Miki und Mocki quer<br />

durch die Kapitale. Da könnte selbst WM-Maskottchen Berlino<br />

in Atemnot geraten. Und Poldi und Schweini erst recht.<br />

Märchen, auch die des Sommers, selbst die für Erwachsene,<br />

beruhen auf Fiktion, auf etwas, das nur in der Vorstellung<br />

existiert. Mal angenommen, der Märchenfreund stellt sich<br />

nun vor, das verflixte Thema Doping hätte nicht wie ein<br />

Wirbelsturm tiefe Schneisen in den Wert geschlagen, der da<br />

heißt Glaubwürdigkeit - ein Sommermärchen <strong>2009</strong> der<br />

Leichtathleten besäße dann tatsächlich reelle Chancen,<br />

Realität zu werden. Unvorstellbar? Ja, aber …<br />

Die deutsche Leichtathletik sollte wenigstens die Möglichkeit<br />

erkennen, endlich den Schatten zu beseitigen, den der<br />

Moloch Doping auf sie wirft, seit zwei Jahrzehnten schon,<br />

aber im Jahr <strong>2009</strong> von besonders belastender Schwere.<br />

Gemeint ist die Auseinandersetzung zwischen Tätern und<br />

Opfern der staatlich verordneten Athletenmanipulation in der<br />

DDR mitsamt ihrem hässlichen Wurmfortsatz, der (auch von<br />

höchster Stelle vorgenommenen) Verschleierung der Dopingszene<br />

im Westen vor der Wende. Ist es nicht an der Zeit, allen<br />

Groll, hüben wie drüben, zu überwinden? Die Konfrontation<br />

der Ostdeutschen nach überfälliger persönlicher und mit aller<br />

Aufrichtigkeit und Toleranz geführter Aussprache mit einem<br />

Handschlag noch vor der WM zu beenden, wäre ein feiner<br />

Beitrag zur atmosphärischen Gestaltung der Weltmeisterschaft<br />

- und der Westdeutschen Geständnis, immer nur<br />

weggeschaut und auf andere gezeigt zu haben,<br />

der noch fehlende Schritt zu einem Zustand,<br />

der dann so beschrieben werden könnte: Die<br />

gesamtdeutsche Leichtathletik von nun an ohne<br />

trennenden Graben.<br />

Naiv sich derlei vorzustellen? Mag schon sein.<br />

Ein Sommermärchen halt.<br />

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