Ausgabe 3/2009 - Deutsche Olympische Gesellschaft
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So kommt bei der Deutung der Leichtathletik neben dem<br />
technischen Fortschritt, der messbaren Leistung, als zweites<br />
Deutungselement der aufgeklärte Humanismus hinzu, das<br />
heißt, ein Verständnis vom Menschen als einem selbstbestimmten<br />
Wesen einerseits und einem durch Erziehung<br />
geformten, nach Vollkommenheit und Höherentwicklung<br />
strebenden und nach immer neuen, selbstgesteckten Zielen<br />
suchenden Menschen. Die sportliche Leistung ist nie bedingungslos<br />
und isoliert, sondern stets auch an den von der<br />
Aufklärung beeinflussten Menschen geknüpft. Darin besteht<br />
der Beitrag Europas zum Verständnis dieses Sports, der dann<br />
olympisch wird und das neue Olympia als das Ideal einer<br />
durch die Athleten geprägten Kultur begreift. Es handelt sich<br />
um eine Elite, die gelernt hat und durch Erziehung dazu<br />
gebracht wurde, beides miteinander zu verbinden: Leistung<br />
und aufgeklärte Menschlichkeit, darin allen anderen zum<br />
Vorbild.<br />
Beginn in Helsinki<br />
Am Anfang der WM-Serie stand 1983 Helsinki. 1980 hatte<br />
die finnische Kapitale bei der Vergabe den Vorrang vor Stuttgart<br />
bekommen. Vermutlich hatte die politische Neutralität<br />
den Ausschlag gegeben. Deutschland hatte ja 1980 die <strong>Olympische</strong>n<br />
Spiele in Moskau - politisch motiviert - boykottiert<br />
und sich damit den Weg für einen positiven Nominierungsentscheid<br />
verbaut. Für Helsinki sprach auch, dass die Spiele<br />
von 1952 noch in guter Erinnerung waren und das Versprechen,<br />
einfache, natürliche und unkomplizierte Wettkämpfe zu<br />
veranstalten, in dem alten, nur mäßig modernisierten Olympiastadion<br />
und ohne den inzwischen Standard gewordenen<br />
gigantomanischen Aufwand. Zusätzlich konnten die Finnen<br />
auf die große Leichtathletiktradition Nordeuropas verweisen,<br />
die in der Pionierzeit Unschätzbares für das Ansehen der<br />
Leichtathletik getan hatten.<br />
Letztlich war Helsinki 1983 aber doch nicht mehr das von<br />
1952 - und die Leichtathletik war es auch nicht mehr. 1981<br />
hatte in Baden-Baden unter der Regie von NOK-Präsident<br />
Willi Daume ein IOC-Kongress stattgefunden, der die Liberalisierung<br />
des Paragrafen 26 beschloss, in dem die Zulassung zu<br />
<strong>Olympische</strong>n Spielen nur für Amateure geregelt wird. Diese<br />
Liberalisierung, die in Wahrheit das Ende des Amateurstatus`<br />
und den Beginn der Kommerzialisierung bedeutete, erlaubte<br />
im Endeffekt die Honorierung der Sportler. Anfangs wurde sie<br />
noch getarnt, indem man die Gagen über die Verbände<br />
laufen ließ, sie also nicht direkt den Athleten<br />
überwies. Das veränderte die Leichtathletik in<br />
erheblichem Maße. Die Folgen: totale Abhängigkeit<br />
des Sports vom Fernsehen als seinem größten<br />
Finanzierer und zunehmende Neigung zur<br />
bedingungslosen Leistungssteigerung. Die<br />
Athleten sahen nun eine Chance, ihren sozialen<br />
22<br />
Die Geschichte der Laufbahnen ist so alt wie die<br />
Geschichte der Leichtathletik selbst. Der Stadionlauf<br />
über 600 Fuß im antiken Olympia wurde<br />
barfuß auf sandigem Mutterboden durchgeführt. Weil die<br />
"leichte Athletik" Ende des 19. Jahrhunderts eine Laufbewegung<br />
war, benötigte man vor allem Laufbahnen. Das<br />
"Lauffest" in Hannover wurde 1879 auf Wiesen am<br />
Maschsee durchgeführt. Drei Jahre später fanden in<br />
Hamburg auf einer Pferderennbahn Laufwettbewerbe<br />
statt. Von Parks und Straßen wechselten die Leichtathleten<br />
in die Radrennbahnen, wo überhöhte Kurven, vermessene<br />
Rundbahnen und getrennte Bereiche für<br />
Sprung- und Wurfbereiche scheinbar ideale Voraussetzungen<br />
boten. Betonierte Zementpisten in den Radrennbahnen<br />
ließ die Athleten auch auf Exerzierplätze oder<br />
Rasenbahnen ausweichen. Der Traum der Athleten<br />
damals: die Aschenbahn! In Hannover wurde 1906 eine<br />
solche eingeweiht, und die Leichathleten rannten und<br />
sprangen in der ganzen Welt auf solchen standardisierten<br />
400 Meter-Rundbahnen mit einem Schotter- oder<br />
Schlackenbett und einer festgewalzten Deckschicht aus<br />
einem Aschen- oder Sand-Gemisch.<br />
Die <strong>Olympische</strong>n Spiele 1968 in Mexiko City leiteten mit<br />
der roten Kunststoffbahn in über 2000 Meter Meereshöhe<br />
weltweit eine revolutionäre Entwicklung ein, von der<br />
die Leichtathletik bis heute profitiert. Bob Beamons 8.90<br />
Meter-Sprung "ins nächste Jahrtausend" war der Anfang<br />
Status zu verbessern. Derart wurde die Baden-Badener Entscheidung<br />
auch begründet. Die Sportler seien (durch die neue<br />
Regelung) nun sozial besser abgesichert als früher, sagte<br />
Daume 1983.<br />
Nun trieb es Athleten und Verbände an die Fleischtöpfe,<br />
zögerlich und unerfahren zunächst, dann mit erhöhtem<br />
Tempo. Sachmittel für die Sieger, ein Mercedes, waren ein<br />
erstes sichtbares Zeichen der Veränderung; später wurden<br />
Geldpreise vergeben: 100.000 Dollar für den Weltrekord,<br />
60.000 Dollar für den WM-Titel. Und noch wichtiger: In<br />
Helsinki trat erstmals ein Fernsehvertrag für die IAAF in Kraft,<br />
er sicherte dem Weltverband das Überleben und half den<br />
WM-Veranstaltern. 2001 kam es zur überfälligen<br />
Namensänderung der IAAF. Seitdem steht das<br />
Kürzel für International Association of Athletics<br />
Federations, das "A" für Amateur hatte dran<br />
glauben müssen. An die Non-Profit-Mentalität<br />
der Leichtathleten und Olympiasportler hatte<br />
schon lange niemand mehr geglaubt.