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Titel - Justament

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<strong>Titel</strong><br />

Maßregelvollzugsanstalt Brandenburg/Havel. Hier befindet sich Frank Schmökel zur Zeit.<br />

rakterneurose bescheinigte, empfand sich<br />

als völlig normal und machte das auch seinem<br />

Therapeuten klar. Das wurde ihm jedoch<br />

nur als Blockadehaltung ausgelegt.<br />

Erst als Mitpatienten ihm zu verstehen<br />

gaben, dass eine „Kooperation“ seinen Klinikaufenthalt<br />

stark<br />

verkürzen könnte,<br />

begann er zu tricksen<br />

und erzählte von erfundenen<br />

Träumen,<br />

wie er sich in eine<br />

Katze verwandelt<br />

habe und dergestalt übers Meer gerudert<br />

sei. „Die wollten doch belogen werden“<br />

sagt er, der seine Erfahrungen in einem<br />

Internet-Buch veröffentlicht hat („Wie Kriminelle<br />

ihre Therapeuten austricksen“).<br />

Der Lohn der Zusammenarbeit: Kurbjuhn<br />

wurde vorzeitig aus dem Maßregelvollzug<br />

entlassen.<br />

Auch Schmökel hat jetzt im Prozess<br />

eingestanden, seine Gutachter getäuscht<br />

zu haben. Nach jahrelangem Psychiatrieaufenthalt<br />

geübt im Umgang mit Therapeuten,<br />

gab er an, manche Sachen nicht<br />

erzählt oder Angaben nach vermeintlichen<br />

Wünschen der Ärzte ausgerichtet zu<br />

haben. Zugleich beklagte er aber, wegen<br />

anhaltender Gewaltfantasien vom Maßregelvollzug<br />

enttäuscht zu sein.<br />

Nicht alle sind therapierbar<br />

Sollten die Gutachter dem Straftäter<br />

Schmökel eine seine Schuld ausschließende<br />

seelische Störung bescheinigen, stellt<br />

sich die Frage, ob der Maßregelvollzug ihn<br />

tatsächlich noch bessern kann. Sind Sexualstraftäter<br />

überhaupt heilbar? Nicht alle!<br />

Unter den durchschnittlich vier bis sechs<br />

Jahre im Maßregelvollzug einsitzenden<br />

Tätern gibt es etliche, die nicht zu therapieren<br />

sind. Die ermittelten Zahlen<br />

schwanken stark, Experten sprechen von<br />

30 bis 60%.<br />

Schmökel hat seine achtjährige Klinikzeit<br />

nicht geholfen. Weder ist er geheilt<br />

noch konnte seine Unterbringung die öffentliche<br />

Sicherheit garantieren. Fast alle<br />

seine Gutachter sind inzwischen davon<br />

überzeugt, dass er nicht therapierbar ist.<br />

Nur sein ehemaliger Therapeut Michael<br />

Brand ist anderer Ansicht. „Ich stehe für<br />

eine Therapie weiterhin zur Verfügung“,<br />

sagte er kürzlich vor Gericht. Tatsächlich<br />

hatte Brand wohl eine herausgehobene<br />

Die Therapeuten, nach Rückfällen ihrer<br />

Patienten oft im Zentrum der Kritik, stecken<br />

in einem Dilemma. Schon von Berufs wegen<br />

müssen sie bei jedem Patienten erst einmal<br />

an die Möglichkeit seiner Heilung glauben.<br />

Stellung<br />

unter<br />

Schmökels<br />

Therapeuten.<br />

Ihm beichtete<br />

er telefonisch<br />

noch<br />

während seiner Flucht im Herbst 2000 die<br />

Ermordung des Rentners. Nicht ausgeschlossen<br />

aber auch, dass Brand sich<br />

täuscht – im Gerichtssaal würdigte Schmökel<br />

seinen Ex-Therapeuten kürzlich keines<br />

Blickes. Und auch früher schon war sein<br />

Einfluss auf den Kriminellen begrenzt. Erfolglos<br />

versuchte er Schmökel damals dessen<br />

geplanten Besuch bei seiner Mutter<br />

auszureden, weil diesen eine „überaus brisante,<br />

nach wie vor ambivalente und ungelöste<br />

Mutter-Beziehung“ plage. Zudem<br />

beging er noch den verhängnisvollen Fehler,<br />

der Klinikleitung nichts von seinen Erkenntnissen<br />

zu erzählen. Es könnte sein,<br />

dass Brand dem unter Therapeuten vorkommenden<br />

Glauben erlegen ist, nur er sei<br />

in der Lage, Zugang zum Patienten zu finden<br />

und ihn zu heilen.<br />

Untherapierbare gehören nicht in den<br />

Maßregelvollzug, meinen inzwischen viele<br />

Gutachter. Doch<br />

wohin mit denen,<br />

für die weder das<br />

Gefängnis noch<br />

das Krankenhaus<br />

der richtige Platz<br />

ist? Ein Wegsperren<br />

für immer widerspricht dem Resozialisierungsgedanken<br />

und damit wohl dem<br />

Grundgesetz. Verfassungsrechtlichen Bedenken<br />

begegnet auch das von einigen<br />

Experten in Extremfällen befürwortete<br />

Mittel der Zwangskastration. Ähnliches gilt<br />

für „objektive“ schematische Tests, wie sie<br />

ein Wissenschaftlerteam aus Kanada entwickelt<br />

hat. Die Einschätzung über die<br />

Therapierbarkeit beruht hier allein auf statistischen<br />

Erkenntnissen; wer eine bestimmte<br />

Risikopunktzahl überschreitet, gilt<br />

als dissozial und damit nicht heilbar.<br />

Die Therapie danach<br />

Ein praktikables und zugleich erfolgversprechendes<br />

Mittel gegen Rückfälle ist die<br />

psychologische oder psychiatrische Betreuung<br />

über den Tag der Entlassung aus dem<br />

Maßregelvollzug hinaus. Zwar wird den<br />

Patienten auch bisher schon für das Leben<br />

in Freiheit Unterstützung angeboten, eine<br />

obligatorische ambulante Weiterbehandlung<br />

gibt es aber derzeit nur in Hessen.<br />

Mit beachtlichen Erfolgen, die Rückfallquoten<br />

sanken dort deutlich. Für manche<br />

Patienten müsse die Möglichkeit bestehen,<br />

sie lebenslang begleiten zu können, fordern<br />

Ärzte deshalb. Das diene dem Schutz<br />

der Öffentlichkeit und sei auch noch billiger<br />

als eine stationäre Behandlung.<br />

Der öffentlichen Sicherheit dienlich<br />

wären auch schärfere Kontrollen in den<br />

psychiatrischen Kliniken. Allein in Bayern<br />

konnten in einem Zeitraum von anderthalb<br />

Jahren 96 Patienten aus geschlossenen<br />

Abteilungen der Bezirkskliniken entweichen,<br />

etliche davon begingen wieder<br />

Straftaten.<br />

Bringt ein härteres Sexualstrafrecht,<br />

wie es von Bundesregierung und Opposition<br />

gerade diskutiert wird, eine Besserung<br />

der Situation? Wenn, wie im Fall Schmökel,<br />

Patienten allein<br />

deshalb Ausgang<br />

erhalten,<br />

damit die Pfleger<br />

entlastet werden,<br />

spricht das eher<br />

für eine Aufstockung<br />

des Personals als für härtere<br />

Strafen. Auch in Gardinen versteckte Rasierklingen<br />

gehören dann vielleicht der<br />

Vergangenheit an.<br />

Doch auch die besten Maßnahmen<br />

werden nicht alle Rückfallstraftaten verhindern<br />

können, da sind sich Therapeuten<br />

wie Politiker einig. Ein Restrisiko bleibt<br />

immer.<br />

Für manche Patienten müsse die Möglichkeit<br />

bestehen, sie lebenslang begleiten zu können,<br />

fordern Ärzte deshalb. Das diene dem Schutz<br />

der Öffentlichkeit und sei auch noch billiger<br />

als eine stationäre Behandlung.<br />

justament dezember 2002<br />

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