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858<br />
REPETITORIUM<br />
Untersagung »Unerwünschten Verhaltens« <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> Friedrich Schoch<br />
Heft 11/2012 JURA<br />
REPETITORIUM<br />
Behördliche Untersagung »unerwünschten Verhaltens« <strong>im</strong><br />
<strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong><br />
Von Prof. Dr. Friedrich Schoch, Freiburg i. Br.<br />
Der »öffentliche <strong>Raum</strong>« wird zunehmend zum Forum politischer<br />
Demonstration, gesellschaftlicher Kommunikation<br />
und privater Eventkultur. Unterschiedliche Nutzungsinteressen<br />
stoßen aufeinander, Gefahren für die öffentliche Sicherheit<br />
und Ordnung können entstehen und <strong>im</strong> Falle behördlichen<br />
(polizeilichen) Einschreitens stellen sich Fragen zur<br />
Kostentragung. Das Zusammenwirken mehrerer Rechtsgebiete<br />
in den einschlägigen Lebenssachverhalten und der<br />
Einsatz verschiedener Handlungsformen der Verwaltung machen<br />
den besonderen Reiz der Thematik aus. Exemplarisch<br />
wird nachfolgend anhand ausgewählter Rechtsprechung ein<br />
Überblick zu dieser examensrelevanten Querschnittsmaterie<br />
vermittelt.<br />
I. Aktuelle Herausforderungen durch die Nutzung des<br />
<strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong>s<br />
Fall 1: Die Stadt S unterhält eine öffentliche Grünanlage <strong>im</strong> Bereich der<br />
Stadthalle. Um die Anlage in einem ordentlichen Zustand zu halten,<br />
best<strong>im</strong>mt die Benutzungsordnung zum Widmungszweck: »Die Grünanlage<br />
steht Einwohnern von S und Besuchern als öffentliche Einrichtung<br />
zur Naherholung zur Verfügung. Das Konsumieren von Alkohol ist<br />
verboten; ein Verstoß gegen dieses Verbot stellt eine Ordnungswidrigkeit<br />
dar.« Besucher B hielt sich in der Grünanlage auf und konsumierte<br />
in Kenntnis des Alkoholverbots aus einem sog. Flachmann ein alkoholisches<br />
Getränk. Daraufhin wurde gegen B eine Geldbuße i. H. v. 50<br />
Euro verhängt. B will nicht zahlen, weil die Benutzungsordnung unwirksam<br />
sei 1 .<br />
1. Erscheinungsformen zur Nutzung des <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong>es<br />
Die Funktion des <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong>es hat durch die Fraport-<br />
Entscheidung des BVerfG 2 eine signifikante Aufwertung erfahren.<br />
Das Gericht spricht von einem »<strong>öffentlichen</strong> Kommunikationsraum«<br />
und bemüht das »Leitbild des <strong>öffentlichen</strong><br />
Forums«; auf ihm könne eine Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten<br />
und Anliegen verfolgt werden, wodurch ein vielseitiges<br />
und offenes Kommunikationsgeflecht entstehe 3 . Dabei<br />
zieht das BVerfG für von der <strong>öffentlichen</strong> Hand beherrschte<br />
gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform (in<br />
der Perspektive des Art. 1 III GG) nicht nur die durch Widmung<br />
geschaffenen <strong>öffentlichen</strong> Straßen, Wege und Plätze 4 in<br />
seine Betrachtungen ein, sondern erweitert den »<strong>öffentlichen</strong><br />
Kommunikationsraum« um die dem allgemeinen <strong>öffentlichen</strong><br />
Verkehr eröffneten privaten Räume und qualifiziert derartige<br />
Orte als »allgemein zugängliche öffentliche Foren« (deren Verkehrsflächen<br />
z. B. Versammlungen grundsätzlich offenstünden)<br />
5 .<br />
Auf den ersten Blick konzentrieren sich Rechtsfragen zur<br />
Nutzung des <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong>es auf das Recht der <strong>öffentlichen</strong><br />
Sachen, speziell auf das Straßenrecht; danach geht es<br />
pr<strong>im</strong>är um die Frage, ob Gemeingebrauch oder Sondernutzung<br />
vorliegt 6 . Für einen Teil neuer Nutzungsformen trifft diese Fragestellung<br />
zu 7 . Aber schon die Rechtsfragen zu Alkoholkonsumverboten<br />
<strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> 8 zeigen, dass es damit nicht<br />
sein Bewenden hat (s. u. II.); Fall 1 bietet insoweit ein Beispiel.<br />
Neben dem Kommunalrecht ist insbesondere das Gefahrenabwehrrecht<br />
gefordert, wobei der Grundrechtsschutz Betroffener<br />
hinzutritt; die Praxis bietet dafür anschauliche Beispiele:<br />
Eine (von »Umweltschützern« durchgeführte) Fahrraddemonstration<br />
auf einer Bundesautobahn reklamiert für sich<br />
die Versammlungsfreiheit (Art. 8 I GG), stößt aber auch<br />
auf Vorgaben des Straßenrechts und des Straßenverkehrsrechts<br />
9 .<br />
Als »Rebel-Clowns« auftretende Aktivisten, die die bei Versammlungen<br />
eingesetzten Polizeibeamten mit Klobürsten<br />
und Staubwedeln »putzen« (möchten) oder mit Wasserpistolen<br />
bespritzen (wollen), provozieren die Entscheidung zur<br />
Verhängung von Auflagen (§ 15 I VersG) 10 .<br />
In der Öffentlichkeit (mit Unterstützung des Internet) dargebotene<br />
Skinheadkonzerte bzw. Konzerte von Musikbands<br />
aus dem rechtsextremistischen Milieu, bei denen der Holocaust<br />
verharmlost wird, werfen Fragen eines Verbots nach<br />
dem Gefahrenabwehrrecht auf 11 .<br />
Die Beispiele verdeutlichen die Komplexität der Themenstellung<br />
und wirken daher einer Vereinfachung der Problemlösung<br />
entgegen. Sie reflektieren zugleich moderne gesellschaftliche<br />
Entwicklungen und weisen auf neue Ausdrucksformen (z. B.<br />
von Protest und gesellschaftlichem Engagement, aber auch von<br />
Provokation und Spaß) hin. Die Rechtsordnung muss die Herausforderungen<br />
annehmen.<br />
2. Neue Nutzungsformen und traditionelles Verwaltungsrecht<br />
Es stellt keine Besonderheit der Nutzung des <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong>es<br />
dar, dass die Rechtsordnung auf neue gesellschaftliche<br />
Phänomene und individuelle Ausdrucksformen reagieren<br />
muss. Das gilt insbesondere für das Gefahrenabwehrrecht (Polizei-<br />
und Ordnungsrecht). Die Steigerung der Problemkomplexität<br />
zwingt mitunter zu Innovationen und zur Verknüpfung<br />
mehrerer Maßnahmen. So hat z. B. das (in jüngster Zeit zunehmende,<br />
früher nahezu unbekannte) öffentliche Auftreten von<br />
gewaltbereiten Hooligans, Globalisierungsgegnern etc., zu ei-<br />
1 Fall in Anlehnung an OLG Hamm NVwZ 2010, 1319 ? Schoch JK 4/11, GO<br />
NW § 8/3.<br />
2 BVerfGE 128, 226 = JZ 2011, 568 (m. Anm. Enders) = NJW 2011, 1201 ? Ehlers<br />
JK 7/11, GG Art. 1 III/8; dazu Bespr. unter dem Vorzeichen des Art. 1 III GG<br />
von Gurlit NZG 2012, 249 ff.<br />
3 BVerfGE 128, 226 (253); speziell dazu H. Wendt NVwZ 2012, 606 ff.<br />
4 Zum <strong>öffentlichen</strong> Status von Straßen (etc.) v. Danwitz in: Schoch (Hrsg.)<br />
Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013 (i. E.), 7. Kap. Rdn. 16.<br />
5 BVerfGE 128, 226 (254).<br />
6 Dazu Siems JURA 2003, 587 ff.<br />
7 Vgl. etwa zum Inline-Skating und Skateboarding auf Gehwegen und in Fußgängerbereichen<br />
Johlen NWVBl 2011, 170 ff. – Straßenverkehrsrechtlich gelten<br />
die Vorschriften für den Fußgängerverkehr entsprechend, § 24 I StVO.<br />
8 Dazu Hecker NVwZ 2009, 1016 ff.<br />
9 HessVGH DVBl 2008, 1322 = NJW 2009, 312 ? Schoch JK 3/09, GG Art. 8/26<br />
(mit Kritik an der fehlerhaften Entscheidung).<br />
10 NdsOVG DVBl 2011, 1303 = NdsVBl 2012, 163 ? Schoch JK 3/12, VersG § 15<br />
I/6.<br />
11 OVG Bremen BeckRS 2011, 56338 ? Schoch JK 7/12, Pol-. u. OrdR Pol.<br />
Generalklausel/13. – Vgl. zur Abgrenzung zwischen VersR und POR in derartigen<br />
Fällen auch VGH BW VBlBW 2010, 468.<br />
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DOI: 10.1515/jura-2012-0182
JURA Heft 11/2012 Friedrich Schoch Untersagung »Unerwünschten Verhaltens« <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> REPETITORIUM<br />
859<br />
ner Kombination aus behördlichen Meldeauflagen und Maßnahmen<br />
nach dem Passgesetz bzw. Personalausweisgesetz geführt<br />
12 . Um bereits <strong>im</strong> Vorfeld agieren zu können, hat die Verwaltung<br />
die »Gefährderansprache« entwickelt 13 ; dabei handelt<br />
es sich um ein auf die Generalklausel gestütztes <strong>info</strong>rmelles<br />
behördliches Vorgehen, das eine Mischung aus »Empfehlung«<br />
und »Warnung« (z. B. behördlicher »Rat«, von einer best<strong>im</strong>mten<br />
Veranstaltung besser fernzubleiben) darstellt 14 .<br />
Aktuell dominieren zwei andere Perspektiven die Diskussion.<br />
Immer mehr Kommunen wenden sich zwecks Wahrung der<br />
Integrität des <strong>Raum</strong>es (z. B. öffentliche Sicherheit, sauberes<br />
Stadtbild, Verhinderung auffälligen Benehmens) 15 gegen – aus<br />
ihrer Sicht – unerwünschte Verhaltensweisen (z. B. Alkoholgenuss,<br />
Betteln, Straßenprostitution 16 ); ein probates Mittel insoweit<br />
scheint die Qualifizierung des betreffenden Verhaltens als<br />
»Sondernutzung« zu sein 17 . Auf der anderen Seite sehen sich<br />
die Behörden – vor allem angesichts unabsehbarer Auswirkungen<br />
mancher »Events« – aus Gründen der Gefahrenabwehr<br />
zunehmend zu ordnungsrechtlichem Einschreiten gezwungen;<br />
das betrifft insbesondere Flashmobs, Smartmobs und Massenpartys<br />
18 . Angesichts erneut fataler Folgen einer Facebook-Party<br />
19 haben sich nun die Stadt Konstanz und das baden-württembergische<br />
Innenministerium entschlossen, ein Exempel mit<br />
präventiver Wirkung zu statuieren; ein 20 Jahre alter Lehrling,<br />
der zur Facebook-Party geladen hatte und trotz behördlichen<br />
Verbots der Veranstaltung sowie persönlicher Gefährderansprache<br />
(durch einen Hausbesuch der Polizei) nicht reagierte<br />
und den Aufruf aufrechterhielt, soll zu den entstandenen Kosten<br />
für den Polizeieinsatz i. H. v. 200.000 Euro herangezogen<br />
werden 20 .<br />
3. Handlungsinstrumente der Verwaltung<br />
Für die Untersagung »unerwünschten Verhaltens« <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong><br />
<strong>Raum</strong> stehen den zuständigen Verwaltungsbehörden verschiedene<br />
Handlungsinstrumente zur Verfügung. Im »echten«<br />
Einzelfall (konkret-individuelle Regelung) kommt typischerweise<br />
der Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 VwVfG) zur Anwendung;<br />
das Beispiel der Gefährderansprache zeigt allerdings, dass auch<br />
<strong>info</strong>rmelles Verwaltungshandeln eingesetzt wird. In best<strong>im</strong>mten<br />
Situationen, in denen ein konkreter Sachverhalt eine<br />
Vielzahl von Personen betrifft, bietet sich der Erlass einer Allgemeinverfügung<br />
an (s. u. II. 1. b). Abstrakt-generelle Regelungen<br />
zur Untersagung »unerwünschten Verhaltens« <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong><br />
<strong>Raum</strong> aus Gründen der Gefahrenabwehr werden mittels<br />
Verordnung getroffen. Das Handlungsinstrument der Satzung<br />
findet <strong>im</strong> Straßenrecht (Sondernutzungssatzung) und <strong>im</strong> Kommunalrecht<br />
(in Gestalt der Benutzungsordnung für öffentliche<br />
Einrichtungen) seine Anwendung.<br />
Das jeweilige Handlungsinstrument der Verwaltung unterliegt unterschiedlichen<br />
formellen und materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen.<br />
Gemeinsam ist allen administrativen Handlungsformen <strong>im</strong> vorliegenden<br />
Zusammenhang, dass ihr Einsatz <strong>im</strong> behördlichen Ermessen<br />
liegt (Verordnungsermessen, Satzungsermessen, VA-Handlungsermessen).<br />
In der Entscheidung zu Fall 1 hat das OLG die städtische Benutzungsordnung<br />
gleich unter drei Aspekten geprüft: kommunale Satzung,<br />
Sondernutzungssatzung, Gefahrenabwehrverordnung. Auch dies indiziert<br />
die Komplexität der Materie.<br />
Der nachfolgende Überblick zu den rechtlichen MöglichkeitenundGrenzenderUntersagung»unerwünschtenVerhaltens«<br />
<strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> konzentriert sich auf examensrelevante<br />
Rechtsgebiete (Polizei- und Ordnungsrecht, Kommunalrecht,<br />
Recht der <strong>öffentlichen</strong> Sachen am Beispiel des Straßenrechts);<br />
andere Materien (z. B. Straßenverkehrsrecht, Gaststättenrecht)<br />
bleiben weitgehend außer Betracht. Soweit verfassungsrechtliche<br />
Überlegungen angezeigt sind, werden diese <strong>im</strong> Rahmen<br />
der verwaltungsrechtlichen Ausführungen einbezogen.<br />
II. Alkoholkonsum <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong><br />
1. Verfassungsrechtliche Ausgangslage<br />
Das Unterbinden des Alkoholkonsums <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong><br />
ist aus Sicht der zuständigen Behörden eine der vordringlichsten<br />
Aufgaben <strong>im</strong> vorliegenden Zusammenhang. Die Verwaltung<br />
will vor allem der Gewaltdelinquenz und <strong>im</strong>mer wieder<br />
beobachteten Lärmbelästigungen (insbesondere in Innenstädten<br />
zur Nachtzeit) begegnen. Neben der Abwendung von Körperverletzungen<br />
und Sachbeschädigungen (nach entsprechendem<br />
Konsum alkoholischer Getränke) geht es mitunter aber<br />
auch um die Sauberhaltung best<strong>im</strong>mter Örtlichkeiten (z. B.<br />
Grünanlagen), um deren widmungsgemäße Nutzung durch<br />
die Berechtigten zu gewährleisten.<br />
In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist zu beachten, dass der<br />
Alkoholgenuss durch die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2<br />
I GG) geschützt ist 21 . Das gilt auch, soweit damit eine Gesundheitsgefährdung<br />
verbunden ist. Verhaltensweisen, die Risiken<br />
fürdieeigeneGesundheitodersogarderenBeschädigunginKauf<br />
nehmen, sind durch Art. 2 I GG gedeckt 22 . Folglich ist der mit<br />
einer Selbstgefährdung verbundene Alkoholgenuss Ausdruck<br />
der freien Entfaltung der Persönlichkeit (sofern damit keine<br />
Fremdgefährdung verbunden ist) 23 . Ein behördliches Alkoholkonsumverbot<br />
ist danach als Eingriff in den Schutzbereich des<br />
Art. 2 I GG zu qualifizieren 24 .<br />
Die allgemeine Handlungsfreiheit steht allerdings unter dem<br />
Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung. Diese Schrankenregelung<br />
erlaubt rechtliche Begrenzungen der Persönlichkeitsentfaltung.<br />
Die »verfassungsmäßige Ordnung« i. S. d.<br />
Art. 2 I GG umfasstalle Rechtsnormen,die formell und materiell<br />
mit der Verfassung in Einklang stehen 25 . Das können neben<br />
Parlamentsgesetzen auch Verordnungen und Satzungen sein<br />
(Gesetze <strong>im</strong> materiellen Sinne). Ein generelles gesetzliches Ver-<br />
12 BVerwGE 129, 142 = NVwZ 2007, 1439 ? Ehlers JK 6/08, Pol. Generalklausel/10;<br />
VGH BW DVBl 2000, 1630 = NJW 2000, 3658 = VBlBW 2000, 474 ?<br />
Schoch JK 01, POR, pol. Gk/5; NdsOVG NVwZ-RR 2006, 613 = NdsVBl 2006,<br />
241 ? Schoch JK 1/07, Pol. u. OrdR, pol. Generalklausel/7; ferner Breucker<br />
NJW 2004, 1631 ff.; Schucht NVwZ 2011, 709 ff.<br />
13 Dazu Hebeler NVwZ 2011, 1364 ff.<br />
14 Aus der Rspr. dazu NdsOVG NJW 2006, 391 = NdsVBl 2006, 19 ? Schoch JK<br />
6/06, Pol-. u. OrdR Pol. Generalklausel/6; HessVGH NVwZ-RR 2012, 344; vgl.<br />
auch Fallbearbeitung von Unkroth JURA 2008, 464 ff.<br />
15 Einzelheiten zur Integrität des <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong>es bei Finger Die offenen<br />
Szenen der Städte, 2006, S. 44 ff.<br />
16 Die Reglementierung erfolgt durch Sperrgebietsverordnung nach Art. 297<br />
EGStGB (Schönfelder Nr. 85 a); vgl. aus der Rspr. dazu BVerfG-K NVwZ 2009,<br />
239; BVerfG-K DVBl 2009, 841 = NVwZ 2009, 905 ? Schoch JK 12/09, GG<br />
Art. 80 I 2/5; BVerwG NVwZ 2005, 597; VGH BW NVwZ 2001, 1299; VBlBW<br />
2009, 220; NdsOVG NdsVBl 2003, 154; OVG NW NVwZ-RR 2012, 516; OVG<br />
RP NVwZ-RR 2006, 611.<br />
17 Krit. dazu Sauthoff Öffentliche Straßen, 2. Aufl. 2010, Rdn. 298.<br />
18 Näher dazu Ernst DÖV 2011, 537 ff.; C. Neumann NVwZ 2011, 1171 ff.<br />
19 Dazu Klas/Bauer K&R 2011, 533 ff.; Levin/Schwarz DVBl 2012, 10 ff.<br />
20 Vgl. den Bericht von Soldt in FAZ Nr. 176 vom 31. 7. 2012 S. 7; ferner SPIEGEL<br />
ONLINE vom 13. 7. 2012. – Vgl. zu den aufgeworfenen Rechtsfragen unten V.<br />
21 K. Stein NdsVBl 2010, 193 (194); Brückner LKV 2012, 202 (204).<br />
22 BVerfG-K NJW 2012, 1062 = GewArch 2012, 115 ? Schoch JK 8/12, GG Art. 2<br />
I/57.<br />
23 VGH BW VBlBW 1999, 101 (104); Kohl NVwZ 1991, 620 (623); Hebeler/<br />
Schäfer DVBl 2009, 1424 (1426).<br />
24 OLG Hamm NVwZ 2010, 1319 (1320); Hecker NVwZ 2010, 359 (363).<br />
25 BVerfGE 90, 145 (172) ? Kunig JK 94, GG Art. 2 I/26.<br />
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REPETITORIUM<br />
Untersagung »Unerwünschten Verhaltens« <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> Friedrich Schoch<br />
Heft 11/2012 JURA<br />
bot des Alkoholkonsums in der Öffentlichkeit besteht nicht 26 .<br />
Soll ein derartiges Verbot rechtswirksam für einen best<strong>im</strong>mten<br />
Ort und/oder für einen best<strong>im</strong>mten Zeitraum bzw. für ein best<strong>im</strong>mtes<br />
Ereignis verhängt werden können, bedarf es sowohl<br />
für die entsprechende administrative Rechtsetzung (Verordnung,<br />
Satzung) als auch für die behördliche Einzelfallregelung<br />
(»normaler« VA, Allgemeinverfügung) einer parlamentsgesetzlichen<br />
Grundlage. Nach Art. 2 I GG sind Beschränkungen<br />
der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Maßgabe des Übermaßverbots<br />
(»Schranken-Schranke«) zulässig, wenn sie zum<br />
Schutz eines best<strong>im</strong>mten Rechtsguts geeignet und erforderlich<br />
sind und zur Art und Intensität der Rechtsgutgefährdung in<br />
einem angemessenen Verhältnis stehen 27 .<br />
2. Alkoholkonsumverbot nach Polizei- und Ordnungsrecht<br />
Fall 2: Die Stadt F hat zur Eindämmung von Straftaten in best<strong>im</strong>mten<br />
Bereichen der Innenstadt auf Grund vorangegangenen Alkoholkonsums<br />
formell ordnungsgemäß eine Polizeiverordnung (PolVO) 28 erlassen.<br />
§ 1 definiert den räumlichen Geltungsbereich der PolVO durch<br />
Bezeichnung best<strong>im</strong>mter Straßen und Plätze (»Bermuda Dreieck«).<br />
§ 2 PolVO best<strong>im</strong>mt: »Im Geltungsbereich dieser Verordnung ist es<br />
auf den öffentlich zugänglichen Flächen außerhalb konzessionierter<br />
Freisitzflächen verboten, alkoholische Getränke jeglicher Art zu konsumieren<br />
sowie alkoholische Getränke jeglicher Art mit sich zu führen,<br />
wenn auf Grund der konkreten Umstände die Absicht erkennbar ist,<br />
diese <strong>im</strong> Geltungsbereich der Verordnung konsumieren zu wollen.« § 3<br />
PolVO begrenzt die zeitliche Geltung des § 2 PolVO auf die Zeit zwischen<br />
22 Uhr und 6 Uhr vor Wochenenden (Freitag, Samstag) und<br />
Feiertagen. Die PolVO wurde auf Grund polizeilicher Erfahrungen<br />
erlassen, wonach der Konsum alkoholischer Getränke <strong>im</strong> »Bermuda-<br />
Dreieck« mitursächlich für die Begehung von Körperverletzungen und<br />
Sachbeschädigungen ist. Seit dem Inkrafttreten der PolVO ist die Gewaltkr<strong>im</strong>inalität<br />
<strong>im</strong> »Bermuda-Dreieck« um 16% gesunken. Student T<br />
ist mit dem Alkoholkonsumverbot nicht einverstanden und fragt nach<br />
der Rechtswirksamkeit der PolVO 29 .<br />
a) Polizei-/Gefahrenabwehrverordnung<br />
Das Verbot des Alkoholkonsums <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> durch<br />
den Erlass einer Verordnung nach dem allgemeinen Polizeiund<br />
Ordnungsrecht 30 gehört zu den üblichen Vorgehensweisen<br />
der zuständigen Gefahrenabwehrbehörden. Rechtsgrundlage<br />
für die Verordnungsgebung ist – soweit keine spezielle Regelung<br />
31 besteht – die Generalermächtigung zum Erlass von Polizei-/Gefahrenabwehrverordnungen<br />
32 . Danach können zur<br />
Gefahrenabwehr (Aufgabenwahrnehmung) Gebote oder Verbote<br />
erlassen werden, die für eine unbest<strong>im</strong>mte Anzahl von<br />
Fällen an eine unbest<strong>im</strong>mte Anzahl von Personen gerichtet<br />
sind.<br />
Kaum problematisch ist in den einschlägigen Fällen in Bezug<br />
auf den Tatbestand das Schutzgut. Es geht vornehmlich um den<br />
Schutz der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 II 1 GG) insbesondere<br />
von Bewohnern und Gästen der betroffenen<br />
(Stadt-)Gebiete und um den Schutz des (Sach-)Eigentums<br />
(Art. 14 I 1 GG), durch die (auch strafrechtlich bewehrte) Abwehr<br />
von Sachbeschädigungen (vgl. § 303 StGB). Problematisch<br />
ist hingegen das Vorliegen einer »Gefahr«. Gefordert ist<br />
eine abstrakte Gefahr für das Schutzgut. Diese 33 setzt eine nach<br />
allgemeiner Lebenserfahrung oder fachlichen Erkenntnissen<br />
bestehende Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf<br />
mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Eintreten<br />
einer konkreten Gefahr als möglich erscheinen lässt; es geht<br />
dabei um einen regelmäßig und typischerweise (wenn auch<br />
nicht ausnahmslos) zu erwartenden Schadenseintritt 34 . Kein<br />
Unterschied besteht zwischen konkreter und abstrakter Gefahr<br />
be<strong>im</strong> Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Abzugrenzen<br />
ist die »Gefahr« vom bloßen »Gefahrenverdacht« und<br />
von Vorsorgemaßnahmen auf Grund eines gewissen Besorgnispotentials<br />
<strong>im</strong> »Gefahrenvorfeld«; derartige Sachlagen erlauben<br />
nach dem Tatbestand der Generalermächtigung den Erlass einer<br />
Verordnung nicht 35 .<br />
Zu den durch Verordnung verhängten Alkoholkonsumverboten<br />
konnten die Behörden in den gerichtlich entschiedenen<br />
Fällen den Ursachenzusammenhang zwischen Alkoholkonsum<br />
und regelmäßig sowie typischerweise auftretender Gewalt<br />
(mit der Gefahr von Körperverletzungen, Sachbeschädigungen<br />
etc.) bislang nicht belegen. Die Gerichte sehen in derartigen<br />
Verboten bloße Vorsorgemaßnahmen zur Abwehr möglicher<br />
Beeinträchtigungen <strong>im</strong> Gefahrenvorfeld, die von der Ermächtigungsgrundlage<br />
nicht gedeckt sind 36 . Das Schrifttum teilt diese<br />
Auffassung ganz überwiegend 37 . Soweit die Behörden auf sonstige<br />
Folgeerscheinungen des Alkoholkonsums wie z. B. Verunreinigungen<br />
öffentlicher Straßen, Wege und Plätze und Zurücklassung<br />
von Gegenständen verweisen, bestehen bereits<br />
gesetzliche Verbots- und (überwiegend auch) Sanktionsnormen<br />
38 . Unabhängig von den materiellen Anforderungen<br />
scheitern Verordnungen <strong>im</strong> vorliegenden Zusammenhang <strong>im</strong>merwiederauchandenGebotenderBest<strong>im</strong>mtheitundNormenklarkeit<br />
39 .<br />
26 OVG LSA BeckRS 2010, 47490; K. Faßbender NVwZ 2009, 563.<br />
27 BVerfG-K DVBl 2002, 1265 = NJW 2002, 2378 ? Schoch JK 11/02, GG Art. 2<br />
I/36; BVerfG-K NJW 2005, 349 (350) ? Geppert JK 7/05, StVG § 24 a II/1. –<br />
Ein »Recht auf Rausch«, das den Beschränkungen des Art. 2 I GG entzogen<br />
wäre, gibt es also nicht; BVerfGE 90, 145 (172) ? Kunig JK 94, GG Art. 2 I/26.<br />
28 In Ländern mit einem Trennsystem (dazu Schoch in: BesVwR [Fn. 4] 2. Kap.<br />
Rdn. 91): ordnungsbehördliche Gefahrenabwehrverordnung; die Sachprobleme<br />
sind identisch.<br />
29 Fall in Anlehnung an VGH BW NVwZ-RR 2010, 55 = VBlBW 2010, 29 ?<br />
Schoch JK 6/10, PolG BW § 10/1; dazu Bespr. Pewestorf DVBl 2009, 1396 und<br />
Hecker NVwZ 2010, 359.<br />
30 Vgl. Fallbearbeitung von Riegner JURA 2012, 646 ff. – Allg. zu Gefahrenabwehrverordnungen<br />
Schoch JURA 2005, 600 ff.; vgl. ferner Fallbearbeitung<br />
von Groh/Kaplonek JURA 2006, 304 ff.<br />
31 Beispiel: § 9 a SächsPolG (Ermächtigung zum Erlass örtlich und zeitlich begrenzter<br />
Alkoholkonsumverbote durch Polizeiverordnung); Verfassungswidrigkeit<br />
dieser Regelung annehmend Brückner LKV 2012, 202 ff. (Verstoß gegen<br />
Best<strong>im</strong>mtheitsgebot, unverhältnismäßige Einschränkung des Art. 2 I GG).<br />
32 § 10 PolG BW; § 55 ASOG Bln; §§ 25, 26 BbgOBG; §§ 10 I 2, 48, 49 BremPolG;<br />
§ 1 HbgSOG; §§ 71 ff. HessSOG; § 17 I SOG MV; § 55 NdsSOG; §§ 25 ff. OBG<br />
NW; § 43 POG RP; § 59 PolG SL; § 94 SOG LSA; § 175 I LVwG SH; § 27<br />
ThürOBG. – Vgl. zu Hamburg auch: GlasflaschenverbotsG.<br />
33 Legaldefinitionen enthalten § 2 Nr. 2 NdsSOG; § 3 Nr. 3 lit. f SOG LSA; § 54<br />
Nr. 3 lit. e ThürOBG.<br />
34 VerfGH RP NVwZ 2001, 1273 (1274); VGH BW VBlBW 2002, 292 (293);<br />
VBlBW 2002, 423 (424); BayVGH NVwZ-RR 2011, 193 f.; OVG Bremen<br />
NVwZ 2000, 1435 (1436); OVG SH NVwZ 2001, 1300 (1301) ? Schoch JK<br />
3/02, GG Art. 3 I/34.<br />
35 BVerwGE 116, 347 (352 f.) ? Ehlers JK 3/03, Pol-. u. OrdR/Gefahrenbegriff/6.<br />
– Vorsorgemaßnahmen zur Abwehr möglicher Beeinträchtigungen <strong>im</strong> Gefahrenvorfeld<br />
müssten vom (Landes-)Gesetzgeber ausdrücklich erlaubt werden.<br />
36 VGH BW VBlBW 1999, 101 (103); NVwZ-RR 2010, 55 (56 f.) = VBlBW 2010,<br />
29 (31 f.); OVG LSA BeckRS 2010, 47490.<br />
37 Frühzeitig Kohl NVwZ 1991, 620 (621); ferner Hecker NVwZ 2009, 1016<br />
(1017); ders. NVwZ 2010, 359 (362); Pewestorf DVBl 2009, 1396 (1397);<br />
Hebeler/Schäfer DVBl 2009, 1424 (1426); Finger Offene Szenen (Fn. 15)<br />
S. 196 f.; Köppert Alkoholverbotsverordnungen in der Rechtspraxis, 2011,<br />
S. 154 ff.; z. T. a. A. K. Faßbender NVwZ 2009, 563 (565 f.); krit. dazu Hefendehl<br />
NVwZ 2009, Heft 11 S. IX.<br />
38 §§ 42 S. 1, 54 I Nr. 6 StrG BW; Art. 16, 66 Nr. 1 BayStrWG; §§ 14 I, 28 I Nr. 5<br />
BlnStrG; §§ 17, 47 I Nr. 1 BbgStrG; §§ 40, 48 I Nr. 3 BremLStrG; §§ 23 I, 72 I<br />
Nr. 5 HbgWG; §§ 15, 51 I Nr. 2 HessStrG; §§ 25, 49, 61 I Nr. 7 u. Nr. 8 StrWG<br />
MV; § 17 NdsStrG; § 17 I StrWG NW; §§ 40 I, 53 I Nr. 4 LStrG RP; § 16 StrG SL;<br />
§§ 17, 20, 52 I Nr. 1 u. Nr. 5 SächsStrG; §§ 17, 48 I Nr. 1 StrG LSA; §§ 46, 56 I<br />
Nr. 9 StrWG SH; §§ 17, 50 I Nr. 1 ThürStrG.<br />
39 VGH BW VBlBW 2010, 33 (m. Bespr. Winkelmüller/Misera LKV 2010, 259);<br />
OVG LSA BeckRS 2010, 47490.<br />
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JURA Heft 11/2012 Friedrich Schoch Untersagung »Unerwünschten Verhaltens« <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> REPETITORIUM<br />
861<br />
In der Entscheidung zu Fall 2 hat der VGH nach den vorliegenden<br />
Erkenntnissen allenfalls einen Gefahrenverdacht (an)erkannt, nicht<br />
aber eine abstrakte Gefahr. Dass Alkoholgenuss generell und typischerweise<br />
zu Aggressivität führe, widerspreche der Lebenserfahrung. Der<br />
Alkoholgenuss sei auch nur selten die einzige Ursache von Gewaltausbrüchen.<br />
Polizeiliche Studien vermittelten zudem keinen Aufschluss<br />
darüber, ob Gewalttäter bereits zu Hause »vorgeglüht« sich in alkoholisiertem<br />
Zustand in die Innenstadt begeben hätten oder in den dortigen<br />
Kneipen Alkohol konsumiert hätten und anschließend aggressiv und<br />
gewalttätig geworden seien. Mangels hinreichender Gefahr für die öffentliche<br />
Sicherheit sei die PolVO von der gesetzlichen Verordnungsermächtigung<br />
nicht gedeckt und damit unwirksam 40 .<br />
b) Allgemeinverfügung (§ 35 S. 2 VwVfG)<br />
Fall 3: Mittels Allgemeinverfügung untersagt die Stadt K unmittelbar vor<br />
dem bevorstehenden Straßenkarneval räumlich und zeitlich begrenzt<br />
das Mitführen und Benutzen von Glasbehältnissen außerhalb von geschlossenen<br />
Räumen (»Glasverbot«). In den vergangenen drei Jahren<br />
musste die Polizei eine deutliche Steigerung der Aggressionsbereitschaft<br />
von »Narren« und eine Zunahme auf über 1.000 Delikte an den »tollen<br />
Tagen« registrieren; die meisten Straftaten wurden unter dem Einfluss<br />
von Alkohol begangen. Das am Boden liegende Glas (Scherben von<br />
Glasflaschen) führte zu mehreren Dutzend Reifenschäden (v. a. bei<br />
Fahrzeugen der Polizei, Feuerwehr, von Hilfsdiensten und bei Taxen);<br />
zudem kam es zu zahlreichen Schnittverletzungen. Die aufgestellten<br />
Abfallbehälter wurden von den Besuchern des Straßenkarnevals ignoriert;<br />
Glasflaschen wurden vielmehr weggeworfen und gingen zu Bruch.<br />
N möchte <strong>im</strong> Karneval von K auch weiterhin Glasbehältnisse nutzen<br />
und fragt nach der Rechtmäßigkeit der Untersagung 41 .<br />
Die Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 VwVfG ist eine spezielle<br />
Ausprägung der Handlungsform »Verwaltungsakt« und<br />
vom Handlungstyp der »Rechtsnorm« abzugrenzen 42 . Die Allgemeinverfügung,<br />
mit der für einen konkreten Lebenssachverhalt<br />
(d. h. einen best<strong>im</strong>mten Fall) eine unbest<strong>im</strong>mte Vielzahl<br />
von Adressaten (Personen) erreicht werden kann, findet <strong>im</strong><br />
Gefahrenabwehrrecht <strong>im</strong>mer wieder Anwendung; geläufige<br />
Beispiele hierfür sind die Platzverweisung und das Aufenthaltsverbot<br />
43 . Weniger problematisch ist in der Regel der Einsatz der<br />
Handlungsform als solcher als vielmehr das Vorliegen der materiellen<br />
Voraussetzungen für das behördliche Verbot; rechtliche<br />
Fragen wirft zudem die Inanspruchnahme von Störern<br />
und Nichtstörern auf.<br />
Als Rechtsgrundlage für die Gefahrenabwehr mittels Allgemeinverfügung<br />
fungiert, falls nicht ausnahmsweise eine spezielle<br />
Ermächtigungsgrundlage eingreift, die Generalklausel<br />
für den Erlass von Einzelfallmaßnahmen 44 . Danach können<br />
die Polizei bzw. Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen<br />
treffen, um eine <strong>im</strong> Einzelfall bestehende Gefahr für die<br />
öffentliche Sicherheit (oder Ordnung) abzuwehren. Eine konkrete<br />
Gefahr liegt bei einer Sachlage vor, in der bei ungehindertem<br />
Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in absehbarer<br />
Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden<br />
für eines der Schutzgüter eintreten wird 45 . Das ist <strong>im</strong> Fall des<br />
Glasverbots nicht zweifelhaft. Schon in der Vergangenheit haben<br />
sich die unübersehbaren Mengen Glasabfall zwischen<br />
Zehntausenden von dicht gedrängt feiernden Karnevalisten<br />
als erhebliche Störung der <strong>öffentlichen</strong> Sicherheit dargestellt<br />
(Körperverletzungen, Sachschäden); vor diesem Hintergrund<br />
ist der Eintritt vergleichbarer Schäden be<strong>im</strong> bevorstehenden<br />
Straßenkarneval sicher zu erwarten 46 .<br />
In Fall 3 ist das allgemeine Glasverbot nach der Generalklausel tatbestandlich<br />
zulässig und nach der Rechtsfolge (Gefahrenabwehr) notwendig.<br />
Rechtlich problematisch ist allerdings, dass sich die Allgemeinverfügung<br />
nicht nur an (Verhaltens-)Verantwortliche richtet, sondern<br />
auch an Nichtstörer. Das OVG bejahte indes die Voraussetzungen für<br />
die Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen (§ 19 OBG<br />
NW 47 ): Vorliegen einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr für Leib<br />
und Leben von Personen; kein Erfolg versprechendes Vorgehen gegen<br />
die für den Glasbruch pr<strong>im</strong>är Verantwortlichen, die in dem großen<br />
Menschenandrang kaum festgestellt werden können, erkennbar; keine<br />
effektive Gefahrenabwehr auf andere Weise möglich; keine Gefährdung<br />
oder Verletzung höherwertiger Pflichten der behördlich in Anspruch<br />
genommenen Nichtstörer. Da auch keine Ermessensfehler ersichtlich<br />
sind, ist die Allgemeinverfügung rechtmäßig.<br />
c) Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 VwVfG)<br />
Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass ein Alkoholkonsumverbot<br />
bzw. das Verbot eines damit verknüpften Verhaltens<br />
als konkret-individuelle Regelung <strong>im</strong> Einzelfall durch<br />
Verwaltungsakt verfügt werden kann, falls die gesetzlichen Voraussetzungen<br />
dafür vorliegen 48 . In Entscheidungen, die entsprechende<br />
Polizei-/Gefahrenabwehrverordnungen verworfen<br />
haben, wird darauf ausdrücklich hingewiesen, um deutlich zu<br />
machen, dass gegenüber den von alkoholisierten Personen für<br />
die Bevölkerung ausgehenden Gefahren eingeschritten werden<br />
kann 49 . Aus der Sicht der Behörden ist das aber nur begrenzt<br />
eine akzeptable Alternative, weil die von einer Verordnungsregelung<br />
ausgehenden Vereinfachungseffekte und Entlastungswirkungen<br />
nicht erreicht werden können.<br />
3. Alkoholkonsumverbot nach Straßenrecht<br />
Fall 4: Die Landeshauptstadt X erlässt eine »Satzung über Sondernutzungen<br />
an <strong>öffentlichen</strong> Verkehrsflächen (Sondernutzungssatzung)«.<br />
Darin ist best<strong>im</strong>mt, dass das Niederlassen zum Genuss von Alkohol<br />
außerhalb der genehmigten Außenausschankflächen <strong>im</strong> Stadtgebiet<br />
eine Sondernutzung darstellt, die nicht genehmigt werde; Verstöße<br />
stellten nach dem Landesstraßengesetz eine Ordnungswidrigkeit dar.<br />
C hat <strong>im</strong> Stadtgebiet von X außerhalb genehmigter Außenausschankflächen<br />
Alkohol getrunken und wird daher mit einem Bußgeld von 100<br />
Euro belegt. C will nicht zahlen, weil die Satzung nichtig sei 50 .<br />
Die Landesstraßengesetze ermächtigen die Gemeinden zum<br />
Erlass von Sondernutzungssatzungen 51 . Durch Satzung kann<br />
geregelt werden, dass best<strong>im</strong>mte Sondernutzungen (an Ge-<br />
40 Die Entscheidung erging <strong>im</strong> verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren;<br />
die Unwirksamkeit der Rechtsvorschrift wird nach § 47 V 2 VwGO erklärt.<br />
41 Fall nach OVG NW NVwZ-RR 2012, 470. Vgl. ferner OVG NW GewArch<br />
2012, 265 = Schoch JK 11/12, OBG NW § 14/3: An die Allgemeinverfügung<br />
anschließendes Verbot des Verkaufs von Glasbehältnissen gegenüber Kioskbetreibern.<br />
42 Näher dazu Schoch JURA 2012, 26 ff.<br />
43 Für rechtswidrig erachtet z. B. von VGH BW NVwZ-RR 1997, 225 = VBlBW<br />
1997, 66 ? Erichsen JK 97, Pol-. u. OrdR, Platzverweis/1; VGH BW NVwZ<br />
2003, 115 = VBlBW 2003, 31.<br />
44 § 3 i. V. m. § 1 I 1 PolG BW; Art. 7 II BayLStVG u. Art. 11 I BayPAG; § 17 I ASOG<br />
Bln; § 13 I BbgOBG u. § 10 BbgPolG; § 10 I 1 BremPolG; § 3 HbgSOG; § 11<br />
HessSOG; § 13 SOG MV; § 11 i. V. m. § 2 Nr. 1 lit. a NdsSOG; § 14 I OBG NWu.<br />
§ 8 I PolG NW; § 9 I 1 POG RP; § 8 I PolG SL; § 3 I SächsPolG; § 13 i. V. m. § 3<br />
Nr. 3 lit. a SOG LSA; § 174 LVwG SH; § 5 I ThürOBG u. § 12 ThürPAG – zu<br />
Hamburg: § 4 GlasflaschenverbotsG..<br />
45 Schoch in: BesVwR (Fn. 4) 2. Kap. Rdn. 132 (m. umfangr. Nachw.).<br />
46 OVG NW NWVBl 2011, 108; GewArch 2012, 265 (266); NVwZ-RR 2012, 470<br />
(471); ausf. Heckel NVwZ 2012, 88 (89 f.).<br />
47 Parallelvorschriften: § 9 PolG BW; Art. 9 III BayLStVG; § 16 ASOG Bln; § 18<br />
BbgOBG; § 7 BremPolG; § 10 HbgSOG; § 9 HessSOG; § 71 SOG MV; § 8<br />
NdsSOG; § 7 POG RP; § 6 PolG SL; § 7 SächsPolG; § 10 SOG LSA; § 220<br />
LVwG SH; § 13 ThürOBG.<br />
48 Näher dazu (am Beispiel auffälliger Jugendlicher) K. Stein NdsVBl 2010, 193 ff.<br />
49 VGH BW VBlBW 1999, 101 (103, 104); NVwZ-RR 2010, 55 (58) = VBlBW<br />
2010, 29 (33).<br />
50 Fall nach OLG Saarbrücken NJW 1998, 251; dazu Bespr. Bindzus/Lange JuS<br />
1998, 696.<br />
51 § 16 VII StrG BW; Art. 22 a BayStrWG; § 18 I 4 BbgStrG; § 18 IX BremLStrG;<br />
§ 37 HessStrG; § 24 I StrWG MV; § 18 I 4 NdsStrG; § 19 StrWG NW; § 42 II<br />
LStrG RP; § 19 III StrG SL; § 18 I 4 SächsStrG; § 50 I Nr. 1 StrG LSA; § 23 I<br />
StrWG SH; § 18 I 4 ThürStrG; eine VO-Ermächtigung normiert § 19 VII 1<br />
HbgWG; keine vergleichbare Regelung in Berlin.<br />
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862<br />
REPETITORIUM<br />
Untersagung »Unerwünschten Verhaltens« <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> Friedrich Schoch<br />
Heft 11/2012 JURA<br />
meindestraßen, z. T. auch an Ortsdurchfahrten von Bundes-,<br />
Landes- und Kreisstraßen) keiner (Einzel-)Erlaubnis bedürfen;<br />
ferner kann die Sondernutzung satzungsrechtlich abweichend<br />
von den Modalitäten, die bei der einzelnen Sondernutzungserlaubnis<br />
zu beachten sind, geregelt werden. Gegenstand der<br />
Satzung kann demnach allein die Ausübung von Sondernutzungen<br />
sein 52 . Es geht also um die Erleichterung der über den<br />
Gemeingebrauch hinausgehenden Straßennutzung. Der Regelungsbefugnis<br />
des Satzungsgebers entzogen bleibt hingegen die<br />
Grenzziehung zwischen Gemeingebrauch und Sondernutzung<br />
53 . Diese Abgrenzung ist landesgesetzlich bindend vorgegeben.<br />
Eine »Grenzverschiebung« mittels Satzung ist unzulässig.<br />
Deshalb hat der Satzungsgeber keine Befugnis, ein<br />
Verhalten, das nach dem Gesetz Gemeingebrauch darstellt,<br />
als Sondernutzung zu qualifizieren 54 .<br />
In Bezug auf den Alkoholkonsum auf <strong>öffentlichen</strong> Straßen,<br />
Wegen und Plätzen bedeuten diese gesetzlichen Vorgaben, dass<br />
sich eine Sondernutzungssatzung nur dann <strong>im</strong> Rahmen der<br />
Ermächtigungsgrundlage hält, wenn der Regelungsgegenstand<br />
tatsächlich eine »Sondernutzung« betrifft. Es ist mittlerweile<br />
jedoch unstreitig, dass sich der Alkoholkonsum auf <strong>öffentlichen</strong><br />
Verkehrsflächen straßenrechtlich noch <strong>im</strong> Rahmen des<br />
Gemeingebrauchs hält 55 . Zwar geht es nicht pr<strong>im</strong>är um Ortsveränderung<br />
(Verkehr i. e. S.); jedoch umfasst der Gemeingebrauch<br />
auch den kommunikativen Verkehr (Verkehr<br />
i. w. S.) 56 , so dass die Nutzung einer <strong>öffentlichen</strong> Verkehrsfläche<br />
durch Menschen zum zeitweiligen Aufenthalt, zur kurzzeitigen<br />
Erholung sowie zur Kontaktaufnahme untereinander und<br />
Kommunikation miteinander noch vom Gemeingebrauch gedeckt<br />
ist 57 . Wenn dabei alkoholische Getränke konsumiert werden,<br />
ist dies unbeachtlich. Denn ein generelles rechtliches Verbot<br />
des Alkoholkonsums <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> kennt unsere<br />
Rechtsordnung nicht 58 .<br />
Für Fall 4 bedeutet dies, dass das sich Niederlassen <strong>im</strong> innerstädtischen<br />
Bereich vom Gemeingebrauch gedeckt ist (falls der Gemeingebrauch<br />
anderer hierdurch nicht unzumutbar beeinträchtigt wird).<br />
Wenn dabei Alkohol getrunken wird, ändert dies nichts daran, dass<br />
die öffentliche Fläche zum Zwecke des Gemeingebrauchs genutzt wird.<br />
Die Sondernutzungssatzung von X erfasst Verhaltensweisen, die Gemeingebrauch<br />
sind; hierfür fehlt es jedoch an der gesetzlichen Ermächtigung<br />
59 . Die Satzung ist daher – vom OLG <strong>im</strong> Wege der inzidenten<br />
Prüfung festgestellt – nichtig; der Bußgeldbescheid ist mangels wirksamer<br />
Rechtsgrundlage rechtswidrig, C muss nicht zahlen.<br />
4. Alkoholkonsumverbot nach Kommunalrecht<br />
Das Handlungsinstrument zur Normierung abstrakt-generell<br />
wirkender Gebote oder Verbote ist auf kommunaler Ebene<br />
die Satzung. Soweit mittels Satzung in Grundrechte eingegriffen<br />
wird, reicht die allgemeine Satzungsautonomie 60 als Ermächtigungsgrundlage<br />
allerdings nicht aus; vielmehr verlangen<br />
der Vorbehalt des Gesetzes und das Best<strong>im</strong>mtheitsgebot für<br />
die Legit<strong>im</strong>ation von Grundrechtseingriffen eine ausdrückliche<br />
(spezielle) gesetzliche Ermächtigungsgrundlage 61 . In Bezug auf<br />
den Alkoholkonsum <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> und damit verbundene<br />
Verhaltensweisen besteht eine derartige Befugnisnorm<br />
nur vereinzelt 62 .<br />
Ist eine satzungsrechtliche Regelung nicht als »Eingriff in<br />
Freiheit und/oder Eigentum« zu qualifizieren, reicht in Bezug<br />
auf gemeindliche Einrichtungen eine allgemeine Ermächtigungsgrundlage<br />
aus, soweit satzungsrechtlich Best<strong>im</strong>mungen<br />
zur Benutzung der Einrichtung getroffen werden 63 . Derartige<br />
gesetzliche Best<strong>im</strong>mungen für den Satzungserlass sind <strong>im</strong><br />
Kommunalrecht vorhanden 64 . Anschaulich ist formuliert worden,<br />
mit der Inanspruchnahme der Einrichtung unterwerfe sich<br />
der Benutzer gleichsam den Regelungen, die zur Erlangung des<br />
Nutzungsvorteils für ihn mit entsprechenden Belastungen verbunden<br />
seien 65 . Entscheidend ist in der Tat, dass der Berechtigte<br />
die kommunale öffentliche Einrichtung freiwillig betritt und in<br />
Anspruch n<strong>im</strong>mt. Wird insoweit satzungsrechtlich keine<br />
Pflicht normiert, liegt kein Grundrechtseingriff vor; einer spezifischen<br />
Rechtfertigung bedarf es nicht. Vielmehr umfasst die<br />
Ermächtigung zur Schaffung der <strong>öffentlichen</strong> Einrichtung<br />
i. V. m. der allgemeinen Satzungsautonomie nach Maßgabe<br />
des Kommunalrechts die Befugnis, das Benutzungsverhältnis<br />
durch Satzung zu regeln 66 .<br />
Voraussetzung für eine derartige Festlegung des Nutzungsreg<strong>im</strong>es<br />
ist, dass es um eine öffentliche Einrichtung i. S. d.<br />
Kommunalrechts geht. Ist dies der Fall, stellt die Gestaltung<br />
des Benutzungsverhältnisses eine autonome Entscheidung der<br />
Gemeinde (Stadt) dar 67 . Begrenzt wird die Satzungsautonomie<br />
durch den Einrichtungszweck und durch höherrangiges<br />
Recht 68 . Eine kommunale öffentliche Einrichtung ist (nach<br />
Maßgabe des entscheidenden funktionalen Verständnisses)<br />
die Gesamtheit personeller und sächlicher Mittel, die von der<br />
Kommune <strong>im</strong> Rahmen ihrer (Selbstverwaltungs-)Aufgaben geschaffen<br />
und unterhalten sowie durch (i. d. R. formlose) Widmung<br />
der best<strong>im</strong>mungsgemäßen Nutzung durch die Berechtigten<br />
(Einwohner, ggf. auch externe Nutzer) zugänglich gemacht<br />
wird 69 . Dazu zählen u. a. öffentliche kommunale Grünanla-<br />
52 ThürOVG ThürVBl 2001, 109 (110) ? Schoch JK 10/01, ThürStrG § 18/1.<br />
53 BayVGH NVwZ-RR 2004, 879 (880) = BayVBl 2004, 336 (337); BayVBl 2009,<br />
661 Tz. 42; Sauthoff Öffentl. Straßen (Fn. 17) Rdn. 431; Stahlhut in: Kodal,<br />
Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, Kap. 27 Rdn. 35.1.<br />
54 OLG Saarbrücken NJW 1998, 251.<br />
55 VGH BW VBlBW 1999, 101 (103); OLG Hamm NVwZ 2010, 1319 (1320) ?<br />
Schoch JK 4/11, GO NW § 8/3; Kohl NVwZ 1991, 620 (626); Hebeler/Schäfer<br />
DVBl 2009, 1424 (1428); Hecker NVwZ 2010, 359 (363); Brückner LKV 2012,<br />
202 (205); Köppert Alkoholverbotsverordnungen (Fn. 37) S. 71 ff.; Finger Offene<br />
Szenen (Fn. 15) S. 265 ff. (auch zu früheren abw. Auffassungen).<br />
56 Näher dazu v. Danwitz in: BesVwR (Fn. 4) 7. Kap. Rdn. 60.<br />
57 OLG Saarbrücken NJW 1998, 251.<br />
58 Vgl. Nachw. oben Fn. 26.<br />
59 Auch in der Entscheidung zu Fall 1 erkannte das OLG Hamm, dass straßenrechtlich<br />
keine Sondernutzung vorlag; die Benutzungsordnung konnte daher<br />
nicht als rechtswirksame Sondernutzungssatzung i. S. d. § 19 StrWG NW (zu<br />
Parallelvorschriften s. o. Fn. 51) gedeutet werden.<br />
60 § 4 GO BW; Art. 23 BayGO; § 3 BbgKVerf; § 5 HessGO; § 5 KV MV; § 10<br />
NdsKomVG; § 7 GO NW; § 24 GO RP; § 12 KSVG SL; § 4 SächsGO; § 6 GO<br />
LSA; § 4 GO SH; § 19 ThürKO.<br />
61 BVerwGE 90, 359 (363) = NJW 1993, 411 (412); VGH BW DVBl 1993, 778<br />
(779) [m. Bespr. Lübbe-Wolff DVBl 1993, 762] = NVwZ 1993, 388 ? Erichsen<br />
JK 94, GG Art. 13/6; VGH BW VBlBW 2010, 161 (164); BayVGH BayVBl<br />
2009, 367 (368); OVG RP NVwZ-RR 2009, 394 (395) ? Ehlers JK 11/09, GG<br />
Art. 12/15.<br />
62 § 3 a Nr. 7 BremG über Rechtsetzungsbefugnisse der Gemeinden; dazu Brückner<br />
LKV 2012, 202 (205 f.).<br />
63 BVerwG BayVBl 2011, 510 (511); BayVerfGH NVwZ-RR 2012, 50 (51) ?<br />
Ehlers JK 4/12, GG Art. 28 II/36; OVG RP NVwZ-RR 2009, 394 (395) ? Ehlers<br />
JK 11/09, GG Art. 12/15; Burgi Kommunalrecht, 3. Aufl. 2010, § 15 Rdn. 40.<br />
64 § 4 i. V. m. § 10 II GO BW; Art. 24 I Nr. 1 BayGO; § 3 I 1 i. V. m. § 12 I BbgKVerf;<br />
§ 5 I i. V. m. § 20 I HessGO; § 5 I 1 i. V. m. § 14 II KV MV; § 10 I i. V. m. § 30 I<br />
NdsKomVG; § 7 I i. V. m. § 8 II GO NW; § 24 I 1 i. V. m. § 14 II GO RP; § 12 I 1<br />
i. V. m. § 19 I KSVG SL; § 4 I 1 i. V. m. § 10 II SächsGO; § 6 I 1 i. V. m. § 22 I GO<br />
LSA; § 4 I 1 i. V. m. § 18 I 1 GO SH; § 20 II 1 Nr. 1 ThürKO.<br />
65 OVG RP NVwZ-RR 2009, 394 (395) ? Ehlers JK 11/09, GG Art. 12/15.<br />
66 OVG NW GewArch 2009, 367; Finger Offene Szenen (Fn. 15) S. 234 ff.<br />
67 VGH BW VBlBW 1998, 58 (59 f.); NVwZ 1999, 565 – VBlBW 1998, 349 (350);<br />
NdsOVG NdsVBl 2007, 166 (167) ? Schoch JK 9/07, NdsGO § 22/1.<br />
68 VGH BW NVwZ-RR 1994, 325 (326) = VBlBW 1995, 15 (16); VBlBW 1998, 58<br />
(60).<br />
69 SächsOVG SächsVBl 2005, 14 ? Schoch JK 6/05, SächsGemO § 10 II/2;<br />
SächsOVG NVwZ-RR 2007, 549; Bader JURA 2009, 940 (942); Ehlers JURA<br />
2012, 692; Burgi KommunalR (Fn. 63) § 16 Rdn. 5.<br />
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JURA Heft 11/2012 Friedrich Schoch Untersagung »Unerwünschten Verhaltens« <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> REPETITORIUM<br />
863<br />
gen 70 . Abzugrenzen ist eine derartige Einrichtung von einer<br />
<strong>öffentlichen</strong> Sache <strong>im</strong> Gemeingebrauch; <strong>im</strong> Straßenrecht fallen<br />
hierunter durch (i. d. R. förmlichen) Widmungsakt geschaffene<br />
öffentliche Straße, Wege und Plätze, die ohne Einschränkung<br />
jedermann zugänglich sind.<br />
In der Entscheidung zu Fall 1 behauptet das OLG, bei der Grünanlage<br />
handele es sich um eine »Sache <strong>im</strong> Gemeingebrauch«, nämlich um eine<br />
kraft Widmung jedermann ohne besondere Zulassung zugängliche öffentliche<br />
Verkehrsfläche; daher habe die Benutzungsordnung nicht als<br />
Regelung bzgl. einer gemeindlichen Einrichtung kompetenzgemäß erlassen<br />
werden können 71 . – Danach ist die Benutzungsordnung unwirksam,<br />
weil sie nach Auffassung des OLG weder ordnungsrechtlich noch<br />
straßenrechtlich und auch nicht kommunalrechtlich Bestand haben<br />
könne.<br />
Richtig ist die vom OLG Hamm zu Fall 1 getroffene Entscheidung<br />
auf der Grundlage des geltenden Kommunalrechts nicht.<br />
Gemeingebrauch 72 i. S. d. Straßenrechts kann nur an einer »<strong>öffentlichen</strong>«Straßebzw.einem»<strong>öffentlichen</strong>«WegoderPlatzauf<br />
Grund eines entsprechenden Widmungsaktes bestehen; die<br />
Widmung ist indessen streng formuliert und hat durch Allgemeinverfügung<br />
zu erfolgen 73 . Schon diese Voraussetzungen<br />
lagen<strong>im</strong>konkretenFallnichtvor,sodassdierichterliche»Umdefinition«derstädtischen<strong>öffentlichen</strong>Einrichtungineine»Sache<br />
<strong>im</strong> Gemeingebrauch« fehlerhaft ist. Außerdem ist die GrünanlagevonSmitnichten»jedermann«zugänglich;berechtigtsindnur<br />
Einwohner und Besucher <strong>im</strong> Rahmen des Widmungszwecks,<br />
nämlich der Naherholung (und eben nicht zum Zwecke des<br />
Alkoholkonsums). Eine derartige Zweckbest<strong>im</strong>mung ist auf<br />
Grund der skizzierten kommunalen Satzungsautonomie zulässig<br />
74 . Die Benutzungsordnung der Stadt S hätte in Fall 1 als<br />
rechtswirksame Satzung anerkannt werden müssen.<br />
III. Betteln <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong><br />
Selbstverständlich keine Erscheinungsform der »Eventkultur«<br />
ist das (in manchen Innenstädten wieder vermehrt zu beobachtende)<br />
Betteln <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong>. Das Betteln (nebst Begleiterscheinungen)hateinelangeTradition<br />
75 undwirdseitjeher<br />
–auch–mitdenMittelndesRechtszubekämpfenversucht.Eines<br />
der behördlichen Ziele ist die Schaffung »bettelfreier« Innenstadtbereiche<br />
76 . Es geht demnach um »unerwünschtes Verhalten«<br />
<strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong>. Die aufgeworfenen Rechtsfragen<br />
sind inzwischen weitgehend geklärt 77 , so dass hier ein kurzer<br />
ÜberblickzuderThematikgenügt.DerVeranschaulichungdient<br />
Fall 5.<br />
Fall 5: Die Stadt S erlässt formell ordnungsgemäß eine »Verordnung<br />
zur Aufrechterhaltung der <strong>öffentlichen</strong> Sicherheit und Ordnung auf und<br />
an <strong>öffentlichen</strong> Straßen und in <strong>öffentlichen</strong> Anlagen«. Diese Verordnung<br />
untersagt u. a. (in genau beschriebenen <strong>öffentlichen</strong> Bereichen)<br />
»das Betteln«. B, der in der Innenstadt von S regelmäßig still auf dem<br />
Boden sitzend seinen Hut umgedreht vor sich stehen hat, um »milde<br />
Gaben« von Passanten zu empfangen, fragt nach der Wirksamkeit der<br />
Verordnung 78 .<br />
Ein generelles Bettelverbot kennt die deutsche Rechtsordnung<br />
nicht. Das Betteln ist auch nicht mehr strafbar 79 . Gezielte<br />
gesetzliche Ermächtigungen zur behördlichen Untersagung des<br />
Bettelns <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> bestehen nur vereinzelt 80 . Bettelverbote<br />
können seitens der Verwaltung daher nur nach<br />
Maßgabe bestehender allgemeiner Verwaltungsgesetze erlassen<br />
werden.<br />
1. Straßenrecht<br />
Betteln wird definiert als »die an einen beliebigen Fremden<br />
gerichtete Bitte um eine Zuwendung« 81 . Rechtlich zu unterscheiden<br />
sind »aggressives Betteln« und »stilles Betteln«.<br />
Aggressives Betteln wird angenommen bei einem gezielten<br />
körpernahen Ansprechen von Personen (ggf. sogar mittels Behinderung<br />
oder Anfassen von Passanten) 82 . Bei dem in der<br />
Praxis vornehmlich diskutierten stillen Betteln verzichtet der<br />
Bettler auf das nachdrückliche bzw. hartnäckige Zugehen auf<br />
andere Personen und verhält sich (wie in Fall 5) passiv.<br />
Unter straßenrechtlichen Gesichtspunkten ist geklärt, dass<br />
das »stille Betteln« Gemeingebrauch darstellt und keine Sondernutzung<br />
ist 83 . Denn wie andere Verkehrsteilnehmer nutzt<br />
der Bettler die öffentliche Verkehrsfläche zur Fortbewegung<br />
und zum Verweilen. Nach zutreffender Auffassung nicht anders<br />
zu beurteilen ist das »aggressive Betteln«; da der subjektive<br />
Zweck einer Nutzung öffentlicher Verkehrsflächen für die straßenrechtliche<br />
Ordnung der Rechtsverhältnisse unbeachtlich<br />
ist 84 , führt das Motiv des »Broterwerbs« nicht zu einer Umwertung<br />
der Straßennutzung, zumal evtl. Behinderungen von Passanten<br />
nicht als ernsthafte Störung der Ausübung des Gemeingebrauchs<br />
qualifiziert werden können 85 .<br />
In der Entscheidung zu Fall 5, in der es nicht um eine Sondernutzungssatzung<br />
ging, hat der VGH <strong>im</strong> Wege der inzidenten Prüfung festgestellt,<br />
da das »stille« Betteln vom Gemeingebrauch umfasst werde,<br />
unterliege es von vornherein nicht der Satzungskompetenz zur Reglementierung<br />
von Sondernutzungen. Daher könne offen bleiben, ob und<br />
inwieweit die straßenrechtliche Befugnis zum Erlass von Sondernutzungssatzungen<br />
Sperrwirkung gegenüber den gesetzlichen Regelungen<br />
zum Erlass von Gefahrenabwehrverordnungen habe.<br />
2. Polizei- und Ordnungsrecht<br />
Mit dem Instrument der Polizei-/Gefahrenabwehrverordnung<br />
kann dem Betteln <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> nur begegnet werden,<br />
wenn eine abstrakte Gefahr für ein Schutzgut (öffentliche<br />
Sicherheit oder Ordnung) vorliegt (s. o. II. 2. a). Be<strong>im</strong> »stillen«<br />
Betteln ist geklärt, dass weder ein Schutzgut betroffen ist noch<br />
eine abstrakte Gefahr bejaht werden kann. Von den Schutzelementen<br />
der <strong>öffentlichen</strong> Sicherheit 86 kommt allenfalls eine<br />
70 Röhl in: BesVwR (Fn. 4) 1. Kap. Rdn. 155.<br />
71 OLG Hamm NVwZ 2010, 1319 (1320); zust<strong>im</strong>mend Brückner LKV 2012, 202<br />
(207); ebenso zuvor bereits Hebeler/Schäfer DVBl 2009, 1424 (1428).<br />
72 § 14 I 1 StrWG NW; zu den Parallelbest<strong>im</strong>mungen unten Fn. 94.<br />
73 § 6 StrWG NW; ausf. zum Landesrecht insgesamt v. Danwitz in: BesVwR<br />
(Fn. 4) 7. Kap. Rdn. 40 ff.<br />
74 Finger Offene Szenen (Fn. 15) S. 230 f.<br />
75 Vgl. Bindzus/Lange JuS 1996, 482 ff., mit Erwiderung Bracker JuS 1996, 1048<br />
und Oppenborn JuS 1997, 480.<br />
76 Dazu ausf. Höfling Die Verwaltung 33 (2000), 207 ff.<br />
77 Vgl. auch Fallbearbeitung von Kube JuS 1999, 176 ff.<br />
78 Fall nach VGH BW DVBl 1999, 333 = NVwZ 1999, 560 = VBlBW 1998, 428 ?<br />
Ehlers JK 99, Pol.- u. OrdR, PolVO/1.<br />
79 Zum vormaligen (1974 außer Kraft gesetzten) § 361 Nr. 4 StGB Bindzus/Lange<br />
JuS 1996, 482 (485); Finger Offene Szenen (Fn. 15) S. 172 ff.<br />
80 Nach § 3 a Nr. 6 BremG über Rechtsetzungsbefugnisse der Gemeinden können<br />
Gebote oder Verbote erlassen werden »zur Vermeidung von Beeinträchtigungen<br />
durch aggressives Betteln oder Missbrauch von Kindern zum Betteln«. Zu<br />
Verboten des Bettelns durch den Einsatz von Kindern Finger Offene Szenen<br />
(Fn. 15) S. 95, 177 f.<br />
81 VGH BW DVBl 1999, 333 = NVwZ 1999, 560 = VBlBW 1998, 428 (429).<br />
82 Bindzus/Lange JuS 1996, 482 (486); Oppenborn JuS 1997, 480; Höfling Die<br />
Verwaltung 33 (2000), 207 (209); Finger Offene Szenen (Fn. 15) S. 39, 93 f.<br />
83 VGH BW DVBl 1999, 333 = NVwZ 1999, 560 f. = VBlBW 1998, 428 (430);<br />
VGH BW VBlBW 1999, 101 (104); Höfling Die Verwaltung 33 (2000), 207<br />
(215 f.); Finger Offene Szenen (Fn. 15) S. 269 f. – Sauthoff Öffentl. Straßen<br />
(Fn. 17) Rdn. 298 meint, ein »längeres Verweilen zum Betteln« könne ggf. eine<br />
Sondernutzung darstellen.<br />
84 Vgl. Nachw. Fn. 98.<br />
85 Holzkämper NVwZ 1994, 146 (147 f.).<br />
86 Näher dazu Schoch in: BesVwR (Fn. 4) 2. Kap. Rdn. 108.<br />
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864<br />
REPETITORIUM<br />
Untersagung »Unerwünschten Verhaltens« <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> Friedrich Schoch<br />
Heft 11/2012 JURA<br />
Beeinträchtigung der objektiven Rechtsordnung in Betracht.<br />
Ein Verstoß gegen § 118 OWiG wird indes verneint, weil das<br />
Betteln kein grob ungehöriges Verhalten sei, das die Allgemeinheit<br />
belästige, etwa weil es gegen weithin anerkannte Regeln<br />
von Sitte und Anstand verstoße; das Unbehagen (»schlechtes<br />
Gewissen«), das ein Bettler einem Teil der Passanten bereite,<br />
erfülle ebenfalls nicht den Tatbestand des § 118 OWiG 87 . Die<br />
öffentliche Ordnung 88 sei schon deshalb nicht tangiert, weil das<br />
Betteln eine Erscheinungsform des (Zusammen-)Lebens der<br />
Menschen sei und daher <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Verkehrsraum hingenommen<br />
werden müsse 89 .<br />
Selbst wenn ein Schutzgut tangiert wäre, könnte diese Beeinträchtigung<br />
rechtlich kaum als »abstrakte Gefahr« qualifiziert<br />
werden. Dass Bettelei typischerweise und regelmäßig zu konkreten<br />
Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung<br />
führt 90 , lässt sich schon deshalb nicht behaupten, weil das<br />
(»stille«) Betteln mit best<strong>im</strong>mten Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten<br />
nicht in einen engen Wirkungszusammenhang<br />
gebracht werden kann 91 und das (»aggressive«) Betteln i. d. R.<br />
allenfalls eine Belästigung darstellt 92 .<br />
In der Entscheidung zu Fall 5 hat der VGH erkannt, dass das (»stille«)<br />
Betteln keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstelle.<br />
Daher könne das Betteln nicht verordnungsrechtlich verboten<br />
werden. Die Verordnung musste daher (nach § 47 V 2 VwGO) für<br />
unwirksam erklärt werden.<br />
Unberührt von der Ungültigkeit des abstrakt-generell normierten<br />
Bettelverbots bleibt das behördliche Vorgehen <strong>im</strong><br />
Einzelfall durch Verwaltungsakt. Danach kann gegen einen<br />
Bettler, der durch sein konkretes Verhalten die öffentliche Sicherheit<br />
oder Ordnung stört, eingeschritten werden.<br />
3. Kommunalrecht<br />
Bettelverbote auf Grund kommunaler Satzungen nach Gemeinderecht<br />
haben die Gerichte, soweit ersichtlich, bislang<br />
nicht beschäftigt. In der Sache gelten die zum Alkoholverbot<br />
angestellten Überlegungen (s. o. II. 4.). Danach könnte <strong>im</strong> Rahmen<br />
der Best<strong>im</strong>mung des Widmungszwecks das Betteln in einer<br />
kommunalen <strong>öffentlichen</strong> Einrichtung untersagt werden.<br />
IV. Straßennutzung durch Partybike<br />
Fall 6: P bietet Fahrten mit dem Partybike <strong>im</strong> Internet über seine Homepage<br />
an. Ein »Partybike« (auch »Bierbike« genannt) ist ein vierräderiges<br />
Gefährt von etwa 5,50 m Länge und 2,30 m Breite, auf dem bis zu 16<br />
Personen Platz finden können. Bis zu 12 Personen sitzen auf Hockern<br />
quer zur Fahrtrichtung, jeweils sechs an beiden Längsseiten eines in der<br />
Mitte befindlichen Tisches. Angetrieben wird das Partybike durch Pedale,<br />
die von den an den Längsseiten sitzenden Personen getreten werden.<br />
Der Fahrer (ein Mitarbeiter des P) sitzt mit Blick in Fahrtrichtung<br />
auf einem Sitzplatz <strong>im</strong> Frontbereich des Gefährts, lenkt und bremst es;<br />
selbst antreiben kann er das Gefährt, das eine Fahrgeschwindigkeit von<br />
6 km/h bis 10 km/h erreicht, nicht. Auf dem Partybike befindet sich ein<br />
Behältnis für (alkoholische) Getränke und eine Soundanlage mit CD-<br />
Player. Der Fahrer trinkt während der Fahrt keine alkoholischen Getränke.<br />
Die zuständige Ordnungsbehörde der Stadt E untersagt P den<br />
Einsatz des Partybikes auf <strong>öffentlichen</strong> Straßen, Wegen und Plätzen <strong>im</strong><br />
Stadtgebiet, weil P den <strong>öffentlichen</strong> Verkehrsraum ohne die notwendige<br />
Sondernutzungserlaubnis benutze 93 .<br />
Nach geltendem Straßenrecht 94 ist der Gebrauch öffentlicher<br />
Straßen (sowie Wege und Plätze) jedermann <strong>im</strong> Rahmen der<br />
Widmung und der verkehrsrechtlichen Vorschriften gestattet;<br />
kein – erlaubnisfreier – Gemeingebrauch liegt vor, wenn die<br />
Straße nicht vorwiegend zum Verkehr, dem sie zu dienen best<strong>im</strong>mt<br />
ist, benutzt wird. Demgegenüber ist eine – erlaubnispflichtige<br />
– Sondernutzung gegeben, wenn die Straße über<br />
den Gemeingebrauch hinaus benutzt wird 95 . Maßgebend für<br />
die Abgrenzung zwischen Gemeingebrauch und Sondernutzung<br />
sind demnach die straßenrechtliche Widmung und der<br />
Verkehrsbezug der Straßenbenutzung 96 . Dabei meint »Verkehr«<br />
<strong>im</strong> klassischen Sinne die Benutzung der Straße zum Zwecke<br />
der Ortsveränderung (Fortbewegung),u. z. unter Einschluss<br />
des ruhenden Verkehrs; insbesondere in Fußgängerzonen und<br />
verkehrsberuhigten Bereichen tritt der »kommunikative Verkehr«alserlaubnisfreieBenutzungöffentlicherVerkehrsflächen<br />
hinzu 97 .<br />
Ob ein best<strong>im</strong>mtes Verhalten noch vom Gemeingebrauch<br />
umfasst ist, insbesondere ob die Straße (vorwiegend) zum Zwecke<br />
des Verkehrs benutzt wird, ist nach objektiven Merkmalen<br />
(d. h. dem äußeren Erscheinungsbild der konkreten Straßenbenutzung)<br />
zu entscheiden; auf äußerlich nicht erkennbare<br />
Absichten und Motive des Straßenbenutzers kommt es für<br />
die Zuordnung nicht an 98 . Ist <strong>im</strong> konkreten Fall eine Sondernutzung<br />
zu bejahen und wird die Straße ohne die erforderliche<br />
Erlaubnis benutzt, kann die Beendigung der Benutzung angeordnet<br />
werden 99 ; tatbestandlich genügt für den Erlass der Untersagungsverfügung<br />
die formelle Illegalität der Sondernutzung<br />
100 .<br />
87 VGH BW DVBl 1999, 333 (334) = NVwZ 1999, 560 (561) = VBlBW 1998, 428<br />
(430); VGH BW VBlBW 1999, 101 (104); Bindzus/Lange JuS 1996, 482 (486);<br />
Oppenborn JuS 1997, 480. – Be<strong>im</strong> »aggressiven« Betteln kann je nach Vorgehensweise<br />
des Bettlers u. U. eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts<br />
der belästigten Person gegeben sein; Holzkämper NVwZ 1994,<br />
146 (148): Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit von Passanten durch<br />
aufdringliches Verhalten.<br />
88 Näher zum normativen Gehalt dieses Schutzguts Schoch in: BesVwR (Fn. 4)<br />
2. Kap. Rdn. 126.<br />
89 VGH BW DVBl 1999, 333 (334) = NVwZ 1999, 560 (561) = VBlBW 1998, 428<br />
(430); VGH BW VBlBW 1999, 101 (104 f.); Höfling Die Verwaltung 33 (2000),<br />
207 (211 f.).<br />
90 Vgl. dazu oben Text zu Fn. 34.<br />
91 VGH BW DVBl 1999, 333 (335) = NVwZ 1999, 560 (561 f.) = VBlBW 1998,<br />
428 (431); Höfling Die Verwaltung 33 (2000), 207 (212 f.).<br />
92 Holzkämper NVwZ 1994, 146 (148) mit Hinweis darauf (S. 149), dass <strong>im</strong><br />
Einzelfall die öffentliche Ordnung verletzt sein könne.<br />
93 Fall in Anlehnung an OVG NW NVwZ-RR 2012, 422 und OVG NW GewArch<br />
2012, 93 = NWVBl 2012, 195; zu beiden Entscheidungen Schoch JK 5/12,<br />
StrWG NW § 22/2.<br />
94 § 13 I StrG BW; Art. 14 I BayStrWG; § 10 II BlnStrG; § 14 I BbgStrG; § 15 I<br />
BremLStrG; § 16 I, II HbgWG; § 14 HessStrG; § 21 I StrWG MV; § 14 I<br />
NdsStrG; § 14 I, III StrWG NW; § 34 I, III LStrG RP; § 14 I StrG SL; § 14 I<br />
SächsStrG; § 14 I StrG LSA; § 20 I StrWG SH; § 14 I ThürStrG. – Für Bundesfernstraßen:<br />
§ 7 I FStrG.<br />
95 § 16 I StrG BW; Art. 18 I BayStrWG; § 11 I BlnStrG; § 18 I BbgStrG; § 18 I<br />
BremLStrG; § 19 I HbgWG; § 16 I HessStrG; § 22 I StrWG MV; § 18 I NdsStrG;<br />
§ 18 I StrWG NW; § 41 I LStrG RP; § 18 I StrG SL; § 18 I SächsStrG; § 18 I StrG<br />
LSA; § 21 I StrWG SH; § 18 I ThürStrG. – Für Bundesfernstraßen: § 8 I FStrG.<br />
96 Lund DVBl 2011, 339 (340); Stahlhut in: Kodal (Fn. 53) Kap. 25 Rdn. 16 ff.<br />
und Rdn. 21.4 ff.<br />
97 VGH BW NVwZ-RR 2003, 238 (240) = VBlBW 2002, 297 (299) ? Schoch JK<br />
11/02, StrG BW § 16/2.<br />
98 OVG Bln-Bbg BeckRS 2012, 48179; OVG Hamburg DVBl 2012, 504 (505 f.);<br />
a. A. noch VGH BW NVwZ 1998, 91; relativierend VGH BW NVwZ 2003, 238<br />
(241) = VBlBW 2002, 297 (301): innere Motivation unbeachtlich, nach außen<br />
dokumentierte (Verkaufs-)Motivation relevant.<br />
99 § 16 VIII 1 StrG BW; Art. 18 a I 1 BayStrWG; § 14 I 1 BlnStrG; § 20 I 1 BbgStrG;<br />
§ 61 S. 1 HbgWG; § 17 a I 1 HessStrG; § 25 I 1 StrWG MV; § 22 S. 1 NdsStrG;<br />
§ 22 S. 1 StrWG NW; § 41 VIII 1 LStrG RP; § 18 VIII 1 StrG SL; § 20 I 1<br />
SächStrG; § 20 I 1 StrG LSA; § 21 VII 1 StrWG SH; § 20 I 1 ThürStrG. –<br />
Für Ortsdurchfahrten von Bundesfernstraßen: § 8 VIIa 1 FStrG.<br />
100 VGH BW VBlBW 2006, 239; OVG Bremen NVwZ-RR 1997, 385 (386); OVG<br />
NW NVwZ-RR 2000, 429 (430) = NWVBl 2000, 216 (217) ? Ehlers JK 11/00,<br />
StrWG NRW § 22/1; OVG NW NVwZ-RR 2012, 422 (424) und GewArch<br />
2012, 93 (94) = NWVBl 2012, 195 (197).<br />
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JURA Heft 11/2012 Friedrich Schoch Untersagung »Unerwünschten Verhaltens« <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> REPETITORIUM<br />
865<br />
In den Entscheidungen zu Fall 6 hatte das OVG betont, für die straßenrechtliche<br />
Qualifizierung der Partybike-Fahrt komme es darauf an,<br />
ob das äußerlich am Verkehr teilnehmende Verkehrsmittel nach Maßgabe<br />
objektiver Merkmale die Ortsveränderung bezwecke; aus welchen<br />
Motiven heraus eine Ortsveränderung erfolge, sei gleichgültig. Danach<br />
liege hier kein Gemeingebrauch vor, denn Hauptzweck des Partybikes<br />
sei das Feiern (auf der Straße), nicht der in einer Ortsveränderung<br />
bestehende Personentransport. Die Verkehrsteilnahme finde nur äußerlich<br />
statt; das Partybike fungiere nicht als Verkehrsmittel, sondern<br />
als »eine rollende Veranstaltungsfläche« bzw. »eine mit Rädern versehene<br />
Theke«. Danach lag ohne entsprechende Erlaubnis eine Sondernutzung<br />
der Straßen von E vor; die Untersagungsverfügung war – da Ermessensfehler<br />
nicht ersichtlich waren – rechtmäßig.<br />
Rechtlich zutreffend sind die Entscheidungen des OVG NW<br />
kaum. Dass das Partybike einen Verkehrsbezug aufweist, ist<br />
nicht zweifelhaft. Nach der objektiven Sicht eines neutralen<br />
Beobachters ist das Gefährt auch eindeutig auf eine Ortsveränderung<br />
ausgerichtet; das Partybike n<strong>im</strong>mt eine Transportfunktion<br />
wahr, ist demnach dem Straßenverkehr zuzuordnen,<br />
beeinträchtigt – sofern keine besonderen Umstände gegeben<br />
sind – andere Verkehrsteilnehmer nicht (übermäßig) in deren<br />
Gemeingebrauch und hält sich mit seinen Fahrten somit <strong>im</strong><br />
Rahmen des Gemeingebrauchs 101 . Wenn es, so das OVG NW,<br />
für die Abgrenzung auf die Motive der Straßenbenutzer nicht<br />
ankommt, darf das Gericht jene Beweggründe auch nicht heranziehen.<br />
Doch selbst wenn dies geschieht, ist die Ortsveränderung<br />
mit dem Partybike eindeutig intendiert. Ginge es<br />
den Teilnehmern nur um das Biertrinken und Feiern, könnten<br />
sie (die Ausgaben für das Partybike vermeidend) genauso gut in<br />
eine Kneipe oder in einen Biergarten gehen; bei der Benutzung<br />
des Partybikes kommt es ihnen also gerade auf die Ortsveränderung<br />
an 102 .<br />
V. Fazit und Ausblick<br />
Die behördliche Untersagung »unerwünschten Verhaltens« <strong>im</strong><br />
<strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> stellt sich nach unserer Rechtsordnung als<br />
voraussetzungsvolles Unterfangen dar. Einzelfallmaßnahmen<br />
(z. B. Platzverweisung, Beendigung einer unzulässigen Sondernutzung)<br />
sind selbstverständlich <strong>im</strong>mer möglich, wenn der jeweilige<br />
gesetzliche Tatbestand <strong>im</strong> konkreten Fall erfüllt ist. Die<br />
aus Sicht der Verwaltung probateren Handlungsinstrumente<br />
der Polizei-/Gefahrenabwehrverordnung nach Polizei- und<br />
Ordnungsrecht sowie der Sondernutzungssatzung nach Straßenrecht<br />
scheiden <strong>im</strong> Grunde aus, weil »unerwünschtes Verhalten«<br />
keine (abstrakte) Gefahr für die öffentliche Sicherheit<br />
oder Ordnung darstellt bzw. <strong>im</strong> Rechtssinne als (erlaubnisfreier)<br />
Gemeingebrauch zu qualifizieren ist. Bei kommunalen <strong>öffentlichen</strong><br />
Einrichtungen können best<strong>im</strong>mte Verhaltensweisen<br />
de iure mittels Benutzungsordnung verboten werden, doch versagt<br />
die aktuelle Rechtsprechung Gemeinden und Städten – zu<br />
Unrecht – den Einsatz dieses Steuerungsinstrumentes. Mit<br />
Blick auf aktuelle Erscheinungsformen der »Eventkultur« versucht<br />
die Judikatur be<strong>im</strong> Partybike dem »Spaßfaktor« durch die<br />
– sehr zweifelhafte – Einordnung als straßenrechtliche Sondernutzung<br />
beizukommen 103 .<br />
Als rechtliche Herausforderung werden sich behördliche<br />
Maßnahmen gegen Flashmobs, Smartmobs und Massenpartys<br />
erweisen. Immerhin stellt sich der Grundrechtsschutz als<br />
nicht mehr allzu hohe Hürde dar, nachdem die Rechtsprechung<br />
einen engen Versammlungsbegriff vertritt. Eine Versammlung<br />
(Art. 8 I GG) ist danach eine örtliche Zusammenkunft mehrerer<br />
Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der<br />
<strong>öffentlichen</strong> Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder<br />
Kundgebung 104 . Hierunter fallen lediglich Smartmobs; Flashmobs<br />
und Massenpartys genießen grundsätzlich nur den<br />
Schutz des Art. 2 I GG 105 . Soweit das Versammlungsrecht eingreift,<br />
gelten für Veranstaltungen unter freiem H<strong>im</strong>mel an sich<br />
die Vorgaben des § 14 VersG, und es stehen der Behörde die<br />
Befugnisse des § 15 VersG zur Verfügung; bei Spontanversammlungen<br />
106 laufen die Vorschriften jedoch weitgehend<br />
leer 107 . Flashmobs und Massenpartys lassen sich – zumal <strong>im</strong><br />
Lichte der zum Alkoholkonsumverbot skizzierten Rechtsprechung<br />
– durch Polizei-/Gefahrenabwehrverordnungen nicht<br />
bekämpfen 108 ; straßenrechtlich können derartige »Events«<br />
als Sondernutzung qualifiziert werden 109 .<br />
Von besonderem Interesse ist die Frage der Kostentragungspflicht<br />
(z. B. für einen Polizeieinsatz, für die Sondernutzung<br />
einer <strong>öffentlichen</strong> Verkehrsfläche, für die Beseitigung von Verunreinigungen<br />
und Gegenständen <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> Straßenraum)<br />
nach den erwähnten »Events«. Im Versammlungsrecht<br />
kann, sofern das Landesgebühren-/-kostenrecht eine Ermächtigungsgrundlage<br />
vorsieht, eine Gebühr erhoben werden; wegen<br />
der mittelbaren Auswirkungen auf die Ausübung der Versammlungsfreiheit<br />
ist die Erhebung einer Verwaltungsgebühr<br />
allerdings nur für die Erteilung von Auflagen nach § 15 I VersG<br />
zulässig 110 . Im Straßenrecht können (in den Flächenländern<br />
nach Maßgabe kommunaler Satzungen) für Sondernutzungen<br />
Gebühren erhoben werden 111 ; dabei handelt es sich nicht um<br />
Verwaltungsgebühren für die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis,<br />
vielmehr ist die Sondernutzungsgebühr eine echte<br />
Benutzungsgebühr 112 .<br />
Unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung einer Massenveranstaltung<br />
als »Versammlung« stellt sich in der Praxis die<br />
Frage nach der Kostentragung für die Straßenreinigung (einschließlich<br />
der Beseitigung von Gegenständen). Kommt der<br />
Pflichtige seiner pr<strong>im</strong>ären Pflicht zur Reinigung der über das<br />
übliche Maß hinaus verunreinigten <strong>öffentlichen</strong> Straße (ebenso:<br />
Weg, Platz) 113 nicht unverzüglich nach, kann die Gemeinde<br />
101 Klenner NZV 2011, 234 (235); Kümper/Milstein GewArch 2012, 180 (182 f.);<br />
ebenso i. Erg. die Fallbearbeitung von Schulz/Tallich NWVBl 2012, 199 ff.;<br />
a. A. i. Erg. Fallbearbeitung von Kobitzsch VBlBW 2012, 198 (Aufgabe) und<br />
235 ff. (Lösung).<br />
102 Lund DVBl 2011, 339 (341).<br />
103 Vgl. Entscheidung zu Fall 6. – Das OVG NW betont allerdings in einem obiter<br />
dictum, dass eine grundsätzliche Versagung der Sondernutzungserlaubnis,<br />
falls beantragt, rechtswidrig wäre; in Betracht komme die Zulassung der<br />
Sondernutzung auf best<strong>im</strong>mten Straßen zu best<strong>im</strong>mten Zeiten (NVwZ-RR<br />
2012, 422 [424] und GewArch 2012, 93 [94] = NWVBl 2012, 195 [197]).<br />
104 BVerfGE 104, 92 (104) [dazu Heger JURA 2003, 112]; BVerfG-K NVwZ 2007,<br />
1180 ? Schoch JK 3/08, GG Art. 8/23; BVerfG-K NVwZ 2011, 422 Tz. 19;<br />
BVerwGE 129, 42 Tz. 15; BVerwG NVwZ 2007, 1434 Tz. 14.<br />
105 Ernst DÖV 2011, 537 (539); C. Neumann NVwZ 2011, 1171 (1173) – jeweils<br />
mit Hinweis darauf, dass ausnahmsweise auch die Kunstfreiheit (Art. 5 III 1<br />
GG) einschlägig sein könne.<br />
106 Dazu BVerfGE 69, 315 (350 f.).<br />
107 Anders Eilversammlungen, die anzumelden sind (§ 14 VersG), sobald die<br />
Möglichkeit dazu besteht; BVerfGE 85, 69 (75).<br />
108 Levin/Schwarz DVBl 2012, 10 (14 f.).<br />
109 Ernst DÖV 2011, 537 (541); C. Neumann NVwZ 2011, 1171 (1175) mit<br />
Ausnahmen.<br />
110 BVerfG-K NVwZ 2008, 414 ? Schoch JK 1/09, GG Art. 8/25; VGH BW<br />
NVwZ-RR 2009, 329 (330) = VBlBW 2009, 310 (311); OVG RP NVwZ 2007,<br />
236 (237).<br />
111 § 19 StrG BW; Art. 18 IIa BayStrWG; § 11 IX BlnStrG; § 21 BbgStrG; § 18 X<br />
BremLStrG; § 19 III HbgWG; § 18 HessStrG; § 28 StrWG MV; § 21 NdsStrG;<br />
§ 19 a StrWG NW; § 47 LStrG RP; § 18 III StrG SL; § 21 SächsStrG; § 21 StrG<br />
LSA; § 26 StrWG SH; § 21 ThürStrG. – Für die Bundesfernstraßen: § 8 III<br />
FStrG.<br />
112 BVerwGE 56, 63 (70); BayVGH NVwZ-RR 2007, 223 (224); OVG NW<br />
NVwZ-RR 2004, 885 (886); a. A. SächsOVG NVwZ-RR 2007, 549.<br />
113 Vgl. oben Text zu Fn. 38.<br />
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866<br />
REPETITORIUM<br />
Untersagung »Unerwünschten Verhaltens« <strong>im</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Raum</strong> Friedrich Schoch<br />
Heft 11/2012 JURA<br />
die Straßenreinigung bzw. Beseitigung von Gegenständen auf<br />
Kosten des Verantwortlichen vornehmen (lassen) 114 . Das Problem<br />
in diesem Zusammenhang ist die Best<strong>im</strong>mung des »Verantwortlichen«.<br />
Hierzu gelten die Grundsätze des allgemeinen<br />
Polizei- und Ordnungsrechts. Für die »Vermüllung« öffentlicher<br />
Verkehrsflächen durch die Teilnehmer einer Massenveranstaltung<br />
(z. B. Facebook-Party) kann der Initiator allenfalls<br />
als »Zweckveranlasser« 115 herangezogen werden; insoweit bestehen<br />
indes nach allen Theorien Zweifel, so dass es sehr auf die<br />
Umstände des konkreten Falles ankommt 116 . Immerhin hat das<br />
BVerwG die Verantwortlichkeit des Veranstalters (§ 2 I<br />
VersG) einer Großdemonstration für Straßenverunreinigungen<br />
seitens der Teilnehmer der Veranstaltung dem Grunde nach<br />
anerkannt; reiche der Veranstalter z. B. Speisen und Getränke<br />
aus oder lasse er Flugblätter verteilen, sei die Verunreinigung<br />
der Straße von ihm <strong>im</strong> Rechtssinne »unmittelbar verursacht«<br />
worden, während zweifelhaft sei, ob und inwieweit schon das<br />
bloße Veranstalten einer Versammlung die Haftung des Veranstalters<br />
für versammlungsbedingte Straßenverunreinigungen<br />
auslöse 117 . Diese Rechtsprechung lässt sich unschwer auf die<br />
Initiatoren von Flashmobs, Smartmobs und Massenpartys<br />
übertragen; die Judikatur bestätigt aber auch, dass sich generalisierende<br />
Aussagen zur »Zweckveranlassung« nicht treffen<br />
lassen, sondern – da Wertungs- und Zuordnungsentscheidungen<br />
ausschlaggebend sind – die konkreten Umstände des Einzelfalls<br />
in Rechnung zu stellen sind.<br />
Die Kosten für den Polizeieinsatz bei einer Massenveranstaltung<br />
sind grundsätzlich vom Staat zu tragen 118 . Etwas<br />
anderes gilt, sofern das Polizeikostenrecht die Kostenerstattung<br />
für best<strong>im</strong>mte Amtshandlungen vorsieht; das ist z. B. bei der<br />
unmittelbaren Ausführung einer Maßnahme der Fall 119 . Im<br />
Übrigen könnte es der Rechtssicherheit dienen, wenn das Land<br />
Baden-Württemberg und die Stadt Konstanz das angekündigte<br />
Exempel 120 statuierten, damit die Frage der Kostentragung nach<br />
dem Aufruf zu einer Facebook-Party gerichtlich geklärt werden<br />
könnte.<br />
114 § 42 S. 2 StrG BW; Art. 16 BayStrWG; § 14 I 2 BlnStrG; § 17 I 1 BbgStrG; § 15 I<br />
HessStrG; § 49 I StrWG MV; § 17 NdsStrG; § 17 I StrWG NW; § 40 I LStrG RP;<br />
§ 16 StrG SL; § 17 I SächsStrG; § 17 I 3 StrG LSA; § 46 StrWG SH; § 17 I<br />
ThürStrG.<br />
115 Dazu Schoch JURA 2009, 360 ff.<br />
116 Skeptisch bis ablehnend Klas/Bauer K&R 2011, 533 (534 f.); Ernst DÖV<br />
2011, 537 (544); C. Neumann NVwZ 2011, 1171 (1176); Levin/Schwarz<br />
DVBl 2012, 10 (16 f.).<br />
117 BVerwGE 80, 158 (162). – Nach BVerwGE 80, 164 (169) trifft den Versammlungsleiter<br />
(§§ 7 I, 18 I VersG) einer Großdemonstration keine Verantwortlichkeit<br />
für Straßenverunreinigungen, weil dessen Rechte und Pflichten begrenzt<br />
seien (§ 18 I i. V. m. §§ 8, 9 VersG).<br />
118 Schoch in: BesVwR (Fn. 4) 2. Kap. Rdn. 398.<br />
119 Klas/Bauer K&R 2011, 533 (536).<br />
120 Vgl. oben Text zu Fn. 20.<br />
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