Fall 11 - Lösung
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<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
Einführungsfall Drittschadensliquidation<br />
(JuS 2007, 610)<br />
Der Hamburger Student V verkauft seinen Computer an den<br />
Berliner K und lässt ihn auf dessen Wunsch nach Berlin versenden.<br />
Transporteur T verwechselt das Paket und liefert es nach Köln. Auf<br />
dem Rückweg geht es verloren. Kann V von T Ersatz des durch den<br />
Verlust entstandenen Schadens verlangen?<br />
1 | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen
Einführungsfall DSL - Lösung<br />
A. Anspruch des V gegen T aus §§ 280 I, III, 283, 634 Nr. 4<br />
Voraussetzungen: Werkvertrag, Pflichtverletzung, Vertretenmüssen,<br />
Schaden.<br />
Weitgehend unproblematisch (+) bis auf den Schaden.<br />
P: Schaden bei V?<br />
Differenzhypothese: Wie steht V mit der Pflichtverletzung und wie<br />
stünde er hypothetisch, wenn die Pflichtverletzung ausgeblieben<br />
wäre?<br />
2 | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen
Einführungsfall DSL - Lösung<br />
Ohne Pflichtverletzung: V hätte in seinem Vermögen keinen<br />
Fernseher mehr, dafür aber den Kaufpreis erhalten.<br />
Mit Pflichtverletzung: V hat in seinem Vermögen keinen Fernseher<br />
mehr.<br />
Anspruch auf den Kaufpreis?<br />
Anspruch V gegen K aus § 433 II BGB besteht wegen § 447 I BGB<br />
weiter.<br />
Damit steht er trotz der Pflichtverletzung des T genauso, wie er<br />
ohne die Pflichtverletzung stünde.<br />
3 | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen
Einführungsfall DSL - Lösung<br />
Ergebnis: Kein Anspruch V gegen T.<br />
K demgegenüber hat einen Schaden: Er muss den Kaufpreis<br />
bezahlen und bekommt keinen Fernseher.<br />
Er hat jedoch keinerlei Ansprüche gegen T.<br />
<br />
K hat keinen Anspruch und V hat keinen Schaden!<br />
Dieses Ergebnis erscheint unbillig und kann mittels<br />
Drittschadensliquidation behoben werden.<br />
Vgl. zu weiteren Lösungsansätzen, Armbrüster, JuS 2007, 605<br />
(610).<br />
4 | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> - Lösung<br />
[Der Sachverhalt ist angelehnt an BGH, Urt. v. 22.1.1968 – VIII ZR<br />
195/65, BGHZ 49, 350]<br />
Ansprüche D G wegen der Registrierkasse<br />
A. Anspruch auf Mietzinszahlung gemäß § 535 II<br />
Anspruch zunächst entstanden, entfällt aber nach § 326 I 1, da die<br />
Nutzung der Kasse wegen § 275 unmöglich geworden ist.<br />
B. Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 280 I, III, 283, 546<br />
Wegen Unmöglichkeit der Rückgabe.<br />
I. Schuldverhältnis<br />
(+), Mietvertrag<br />
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<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> - Lösung<br />
II. Pflichtverletzung<br />
Unmöglichkeit der nach § 546 I geschuldeten Rückgabe im Sinne<br />
der §§ 275 I, 283.<br />
III. Verschulden<br />
- Eigenes Verschulden des G?<br />
(-), G kann sich angesichts der fehlenden Erkennbarkeit<br />
exkulpieren.<br />
- Zurechnung des Verschuldens des S zu G über § 278?<br />
(-), schon kein Verschulden des S, vgl. fehlende Erkennbarkeit.<br />
6 | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> - Lösung<br />
C. Anspruch auf Abtretung von G’s Anspruch gegen S auf<br />
Ersatz des entstandenen Schadens, § 285 i.V.m. § 536a I Var. 1<br />
I. Voraussetzungen des § 285<br />
1. Schuldverhältnis<br />
(+), Mietvertrag<br />
2. Unmöglichkeit der Leistung<br />
Unmöglichkeit der nach § 546 I geschuldeten Rückgabe, § 275 I<br />
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<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> - Lösung<br />
3. Zwischenergebnis<br />
Anspruch auf Abtretung der Ersatzansprüche, die an die Stelle der<br />
zerstörten Kasse getreten sind (+) zu prüfen, ob Ersatzansprüche<br />
bestehen.<br />
II. Ersatzanspruch des G gegen S aus § 536 I Var. 1<br />
(Verschuldensunabhängige Haftung des Vermieters für anfänglich<br />
vorhandene Mängel)<br />
1. Mietvertrag zwischen G und S?<br />
(+)<br />
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<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> - Lösung<br />
2. Bei Vertragsschluss vorhandener Sachmangel an der<br />
Mietsache<br />
(+), gefährliche Rauchrohröffnung.<br />
Die Kenntnis des Mangels wird von § 536a I nicht vorausgesetzt.<br />
3. Schaden des G<br />
Kein Schaden des G im Hinblick auf die Registrierkasse, da mit der<br />
fehlenden Nutzbarkeit gleichzeitig die Pflicht zur Zahlung des<br />
Mietzinses entfällt § 326 I 1, s.o. – der Schaden liegt allein bei D.<br />
4. Drittschadensliquidation?<br />
Möglichkeit den Schaden des D geltend zu machen („Ziehen des<br />
Schadens zum Anspruch“)?<br />
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SCHEMA: Drittschadensliquidation<br />
Drittschadensliquidation<br />
<strong>Fall</strong>gruppen:<br />
- Obligatorische Gefahrtragungsregeln (v.a. §§ 447, 2147)<br />
- Mittelbare Stellvertretung und Treuhandsverhältnisse<br />
- Obhutsverhältnisse<br />
Voraussetzungen<br />
1. Schadenersatzanspruch ohne Schaden des Anspr.Gläubigers<br />
2. Schaden ohne Schadensersatzanspruch des Dritten<br />
3. Zufälligkeit der Schadensverlagerung (vgl. <strong>Fall</strong>gruppen)<br />
Rechtsfolge: „Ziehen des Schadens zum Anspruch“<br />
10 | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> - Lösung<br />
a) Auseinanderfallen des Anspruchs (des G) und des Schadens (D)<br />
(+)<br />
b) Zufälligkeit der Schadensverlagerung<br />
Hier: Obhutsverhältnis – G hat eine fremde Sache des D in Obhut, S<br />
muss damit rechnen, dass er für die Zerstörung sämtlicher in den<br />
Laden des G eingebrachter Sachen haftet – die Tatsache, dass die<br />
Kasse zufälligerweise nicht G gehörte, sondern gemietet war, darf<br />
dem S nicht als haftungsentlastend zugutekommen.<br />
c) Zwischenergebnis<br />
Die Voraussetzungen für eine DSL liegen vor – G hat danach einen<br />
Anspruch gegen S.<br />
<strong>11</strong> | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> - Lösung<br />
III. Ergebnis<br />
Anspruch des G gegen S aus § 536 I Var. 1 ist Surrogat des<br />
weggefallenen Anspruchs aus § 546 I – D kann über § 285<br />
Abtretung dieses Anspruchs verlangen.<br />
Ansprüche D S wegen der Registrierkasse<br />
A. Anspruch aus § 536a I Var. 1 i.V.m. der Rechtsfigur des<br />
Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte<br />
I. Mietvertrag?<br />
Kein Mietvertrag zwischen D und S.<br />
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SCHEMA: VSD<br />
Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte<br />
Ausnahme vom Grds. der Relativität der Schuldverhältnisse:<br />
Begründung str.:<br />
- § 328 (Vertrag zugunsten Dritter) – fragwürdig, da<br />
Primärleistungsanspruch geregelt<br />
- ergänzende Vertragsauslegung nach Treu und Glauben, § 157<br />
- Mittlerweile: § 3<strong>11</strong> III S.1<br />
Voraussetzungen<br />
1. Bestimmungsgemäße Leistungsnähe<br />
2. Gläubigernähe / Einbeziehungsinteresse des Gläubigers<br />
3. Erkennbarkeit für den Schuldner<br />
4. Schutzbedürftigkeit = keine eigenen vertraglichen Ansprüche<br />
des Dritten<br />
Rechtsfolge: „Ziehen des Anspruchs zum Schaden“ (= eigener<br />
Anspruch des Dritten, bei Vorliegen d. Anspruchsvoraussetzungen)<br />
13 | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> - Lösung<br />
denkbar aber Durchbrechung des Grundsatzes der Relativität der<br />
SV nach der Figur des VSD, Anknüpfung an den vorhandenen<br />
Mietvertrag zwischen G und S<br />
II. Voraussetzungen der Rechtsfigur des VSD<br />
1. Bestimmungsgemäße Leistungsnähe<br />
(+), in die Mietsache eingebrachte Sachen im Eigentum des D sind<br />
in gleichem Maße den Risiken ausgesetzt wie die Sachen des G<br />
selbst.<br />
2. Gläubigernähe<br />
Gläubigerinteresse an der Einbeziehung?<br />
14 | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> - Lösung<br />
(+), Obhutspflichtigkeit bzgl. der nicht in seinem Eigentum<br />
stehenden Sachen<br />
3. Erkennbarkeit<br />
(+), der Vermieter von Geschäftsräumen muss damit rechnen, dass<br />
die vom Mieter eingebrachten Sachen nicht sämtlich auch diesem<br />
gehören.<br />
4. Schutzbedürftigkeit<br />
(+), kein gleichwertigen Ansprüche gegen G oder eine andere<br />
Person<br />
15 | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> - Lösung<br />
5. Zwischenergebnis<br />
Voraussetzungen der Rechtsfigur des VSD (+)<br />
III. Weitere Anspruchsvoraussetzungen<br />
(+), s.o.<br />
IV. Ergebnis<br />
Anspruch D S aus § 536a I Var. 1 i.V.m. der Rechtsfigur des<br />
Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte (+)<br />
B. Anspruch aus § 823 I<br />
(-), kein Verschulden<br />
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SCHEMA: DSL/VSD<br />
Abgrenzung und Verhältnis von DSL und VSD?<br />
DSL: keine Erweiterung des Risikos für den Schädiger, nur<br />
Vermeidung einer ungerechtfertigten Entlastung des Schädigers<br />
VSD: Erweiterung des Risikobereichs des Schädigers (damit<br />
restriktiver zu handhaben als DSL)<br />
Verhältnis:<br />
A 1 : Drittschadensliquidation vorrangig anwendbar: Verneinung der<br />
Schutzbedürftigkeit als Voraussetzung des VSD, denn ein<br />
gleichwertiger eigener Anspruch besteht<br />
A²: Vorrang des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte: Verneinung<br />
der DSL, da aus dem VSD ein Anspruch des Geschädigten besteht<br />
A³: Beide Lösungswege nebeneinander möglich<br />
17 | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> - Lösung<br />
Ansprüche D G wegen der Schallplatten<br />
A. Anspruch auf Kaufpreiszahlung gemäß § 433 II<br />
I. Anspruch entstanden<br />
(+), Kaufvertrag geschlossen.<br />
II. Anspruch nach § 326 I 1 untergegangen?<br />
Nein, da mit Übergabe (nicht erst mit Übereignung!) nach § 446<br />
Übergang der Gegenleistungsgefahr auf G.<br />
III. Ergebnis<br />
Anspruch auf Kaufpreiszahlung gemäß § 433 II (+).<br />
18 | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> - Lösung<br />
B. Schadensersatz wegen Zerstörung der Schallplatten nach<br />
§§ 280 I, III, 283<br />
Scheitert schon am fehlenden Verschulden und Schaden.<br />
C. Anspruch auf Abtretung von G’s Anspruch gegen S auf<br />
Ersatz des entstandenen Schadens, § 285 i.V.m. § 536a I Var. 1<br />
Hier gerade kein Wegfall der Leistungspflicht, Zahlung des<br />
Kaufpreises wegen § 446 weiter geschuldet.<br />
19 | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> - Lösung<br />
Ansprüche D S wegen der Schallplatten<br />
A. Anspruch aus § 536a I Var. 1 i.V.m. der Rechtsfigur des<br />
Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte<br />
I. Mietvertrag D - S?<br />
(-)<br />
II. Voraussetzungen der Rechtsfigur des VSD<br />
1. Bestimmungsgemäße Leistungsnähe<br />
(+)<br />
20 | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> - Lösung<br />
2. Gläubigerinteresse an der Einbeziehung<br />
(+)<br />
3. Erkennbarkeit<br />
(+)<br />
4. Schutzbedürftigkeit<br />
(-), eigener Anspruch gegen G auf Kaufpreiszahlung vorhanden!<br />
5. Zwischenergebnis<br />
Voraussetzungen der Rechtsfigur des VSD (-)<br />
21 | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> - Lösung<br />
III. Weitere Anspruchsvoraussetzungen<br />
Ebenfalls (-), da wegen Fortbestand des Anspruchs aus § 433 II<br />
kein Schaden<br />
IV. Ergebnis<br />
Anspruch aus § 536a I Var. 1 i.V.m. der Rechtsfigur des Vertrages<br />
mit Schutzwirkung für Dritte (-)<br />
B. Anspruch aus § 823 I<br />
(-), kein Verschulden des S<br />
22 | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen
<strong>Fall</strong> <strong>11</strong> – Lösung<br />
Erinnerung:<br />
Am 18.07.2012 findet keine <strong>Fall</strong>besprechung<br />
statt.<br />
23 | Julius Forschner – <strong>Fall</strong>besprechung Zivilrecht II, SS 2012 © 2010 Universität Tübingen