16.03.2014 Aufrufe

Universität Rostock Juristische Fakultät Prof. Dr. Klaus Tonner ...

Universität Rostock Juristische Fakultät Prof. Dr. Klaus Tonner ...

Universität Rostock Juristische Fakultät Prof. Dr. Klaus Tonner ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Universität <strong>Rostock</strong><br />

<strong>Juristische</strong> Fakultät<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Klaus</strong> <strong>Tonner</strong><br />

Fortgeschrittenenübung im Bürgerlichen Recht<br />

Wintersemester 2008/2009<br />

4. Übungsfall – 28. November 2008<br />

Die Stadt <strong>Rostock</strong> (R) betreibt mehrere Schwimmhallen, für die sie regelmäßig große Mengen<br />

Chlor zur Desinfizierung des Wassers benötigt. Das Chlor bezieht sie seit mehreren Jahren<br />

von Victor Vogel (V). Die für das Jahr 2006 erforderliche Menge bestellte R bereits Ende<br />

2005. Dabei einigten sich die Parteien, dass V das Chlor auf Abruf in Teilmengen liefern soll.<br />

R zahlte den Preis im Voraus.<br />

Im April 2006 stellt V sein Geschäft ein. Er vereinbart mit dem Chemikaliengroßhändler L,<br />

dass er künftig als dessen Provisionsvertreter tätig werden soll. Die R erfährt von alledem<br />

nichts.<br />

Im September meldet sich R bei V und fordert die Chlor-Lieferung für den bevorstehenden<br />

Winter an. V teilt daraufhin dem L mit, er habe den ersten Großkunden akquiriert, und<br />

übermittelt ihm die Lieferdaten. Anschließend sendet er der R eine Email, in der er ankündigt,<br />

dass die bereits abgefüllte Bestellung in den kommenden Tagen von dem Zulieferer L direkt<br />

an die R zugestellt werde. Eine Woche darauf liefert L an R. Bei der Lieferung nahm man auf<br />

Seiten der R an, V habe den L angewiesen, das Chlor direkt zu liefern.<br />

Im Oktober fordert L die R zur Zahlung auf. Dabei stellt sich der tatsächliche Sachverhalt<br />

heraus. R zahlt nicht und verweist auf die bereits erfolgte Zahlung an V, den sie für ihren<br />

Vertragspartner gehalten habe. L schaltet einen Rechtsanwalt ein, den er um Begutachtung<br />

der folgenden Fragen bittet:<br />

1. Kann L von R die Zahlung des Kaufpreises verlangen?<br />

2. Kann L stattdessen von R auch die Rückgabe der Lieferung verlangen?


Lösungsvorschlag<br />

A. Erste Frage: Anspruch des L gegen R auf Zahlung des Kaufpreises gem. § 433 II BGB<br />

I. Kaufvertrag<br />

- zunächst nur zwischen V und R<br />

- konkludenter Vertragsschluss bei Auslieferung des Chlors? Kein Vertragsabschluss<br />

zwischen L und R, da beide annahmen, die Auslieferung diene der Erfüllung eines<br />

bereits bestehenden Kaufvertrages<br />

ZE: Anspruch aus § 433 II BGB (-)<br />

B. Zweite Frage: Anspruch des L gegen R auf Herausgabe des Chlors<br />

I. Herausgabeanspruch aus § 985 BGB<br />

1. R ist unmittelbarer Besitzer des Chlors<br />

2. L müsste Eigentümer sein. Hat L das Eigentum verloren?<br />

a) Eigentumsübergang von L an R nach § 929 S. 1 BGB?<br />

- Einigung zwischen L und R iSv § 929 S. 1 BGB?<br />

• Übereignungsangebot des L konkludent in der Auslieferung? Es ist<br />

davon auszugehen, dass L, der R für seine Vertragspartnerin hielt,<br />

unmittelbar an diese übereignen wollte<br />

• Auslegung eines Übereignungsangebots (empfangsbedürftige<br />

Willenserklärung) unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts<br />

• Entscheidend: Stellt sich aus Sicht des R die Auslieferung des Chlors<br />

als Übereignungsangebot des L dar? Dabei kommt es darauf an, wie<br />

sich normalerweise eine Übereignung vollzieht, wenn der Verkäufer die<br />

Sache dem Käufer unmittelbar von seinem Lieferanten ausliefern lässt.<br />

<strong>Dr</strong>ei mögliche rechtliche Konstruktionen eines solchen<br />

Streckengeschäfts (vgl. dazu BGH NJW74, 1132):<br />

aa) Direktübertragung vom Lieferanten an den Käufer<br />

- Lieferant und Käufer einigen sich direkt, hier also L und R.<br />

- Kritik: Grundsätzlich will der Lieferant nicht unmittelbar an den<br />

Käufer übereignen, da ihm die Gestaltung des Kausalverhältnisses zwischen<br />

Verkäufer und Käufer regelmäßig nicht bekannt ist. Für R stellt sich die<br />

Auslieferung des Chlors durch L damit nicht als Übereignungsangebot des L<br />

dar.<br />

bb) Variante des Vorliegens einer einzigen Übereignung<br />

- Die Übereignung findet zwischen Käufer und Verkäufer statt,<br />

dessen Übereignungsofferte der Lieferant als Bote überbringt oder als<br />

Vertreter erklärt, wobei der Lieferant der Übereignung noch<br />

seinerseits als Eigentümer zustimmen muss (§ 185 BGB)<br />

- Gegen diese Konstruktion sprechen dieselben Bedenken wie bei der<br />

ersten Möglichkeit; R kann außerdem nicht darauf vertrauen, dass V<br />

das Chlor seinerseits bezahlt hat und dass L deshalb sein Eigentum<br />

ohne Vorbehalte aufzugeben bereit ist.<br />

cc) Doppelte Übereignung<br />

- zwei Übereignungen: vom Lieferanten an den Verkäufer und vom Verkäufer<br />

an den Käufer<br />

- gleiches Ergebnis: keine Übereignungsangebot des L an R<br />

Übereignungsangebot des L an R (-)<br />

ZE: L hat sein Eigentum nicht nach § 929 S. 1 BGB an R verloren.


) Gutgläubiger Eigentumserwerb durch R vom Nichtberechtigten V nach §§ 929<br />

S. 1, 932 I 1 BGB?<br />

aa) Einigung zwischen V und R über den Eigentumsübergang<br />

(1) Antizipierte dingliche Einigung von V und R iSd § 929 S. 1 BGB bereits bei Abschluss<br />

des Kaufvertrags?<br />

- Spezialitätsprinzip<br />

- V und R konnten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht davon ausgehen,<br />

dass der Eigentumsübergang ohne weitere Erklärung erfolgen sollte. Dies<br />

ergibt sich bereits aus der Absprache über die Teillieferungen auf Abruf.<br />

- Daher: Keine dingliche Einigung bei Abschluss des Kaufvertrags<br />

(2) Übereignungsangebot in der Bereiterklärung des V zur Lieferung und konkludente<br />

Annahme durch R?<br />

R konnte der Email des V entnehmen, dass die Übereignung nicht von weiteren<br />

Erklärungen abhängig sein sollte („direkt zugestellt").<br />

bb) Übergabe von V an R nach § 929 S. 1 BGB?<br />

(1) Besitzerwerb auf Erwerberseite: unmittelbarer Besitz des R (+)<br />

(2) Veranlassung dieses Besitzerwerbs vom Veräußerer zum Zwecke des<br />

Eigentumsübergangs?<br />

- Besitzübertragung durch Veräußerer V selbst? (-)<br />

- L Besitzdiener des V iSv § 855 BGB? (-)<br />

- Besitzmittlungsverhältnis zwischen L und V iSd § 868 BGB (-)<br />

- Geheißerwerb? L war auch nicht Geheißperson des V. L erschien dem<br />

Erwerber R jedoch als Geheißperson des V, sog. Scheingeheißperson.<br />

- Die Möglichkeit des Erwerbs von einer Scheingeheißperson wird<br />

unterschiedlich bewertet:<br />

- Übergabe nach § 929 S. 1 BGB (-), wenn man für den Geheißerwerb fordert,<br />

dass sich die Geheißperson dem Willen des Anweisenden auch<br />

tatsächlich unterordnet und die Geheißperson die konkrete<br />

Eigentumsübertragung bezwecken will, ansonsten<br />

- Für die Übergabe nach § 929 S. 1 BGB ist jedoch ausreichend, dass der<br />

Besitzerwerb überhaupt vom Veräußerer veranlasst wurde und dass der<br />

Veräußerer zum Zwecke der Eigentumsübertragung handelt.<br />

ZE: Auch die Anweisung an eine Scheingeheißperson wie hier von V an L reicht aus.<br />

(3) Besitzverlust auf Veräußererseite (+)<br />

- Daher Übergabe von V an R iSd § 929 S. 1 BGB (+)<br />

cc) Verfügungsberechtigung des V aufgrund des Eigentums des L (-)<br />

dd) Merkmale des gutgläubigen Eigentumserwerbs gem. § 932 I 1 BGB:<br />

(1) Rechtsgeschäft iS eines Verkehrsgeschäfts (+)<br />

(2) Rechtsschein des Besitzes beim Veräußerer?<br />

- Erforderlich ist eine Besitzsituation, die das Vertrauen des Erwerbers zu<br />

begründen vermag.<br />

- V war nie Besitzer.<br />

- Str., ob der erforderliche Rechtsscheinstatbestand gegeben ist, wenn sich der<br />

L tatsächlich nicht dem Geheiß des V unterordnete, R allerdings aufgrund<br />

aller Umstände an die Unterordnung des L glauben konnte.<br />

(a) Schrifttum:<br />

- Es reicht nicht aus, wenn der Veräußerer den Besitzer durch eine<br />

Täuschung dazu veranlasst, den Besitz auf den Erwerber zu übertragen.<br />

- Vielmehr ist eine wirkliche Unterordnung oder ein wirkliches Geheiß<br />

erforderlich.<br />

- Danach hier ausreichender Rechtsscheinstatbestand, kein gutgläubiger<br />

Erwerb.<br />

(b) Rspr.:<br />

- Schutzwürdigkeit des Erwerbers (+), weil das Bewusstsein des Besitzers, mit<br />

dem er die Sache liefert, für den Erwerber nicht erkennbar ist und damit die


Besitzverschaffungsmacht des Veräußerers ausschlaggebend sein muss. Wer<br />

aus Sicht des Empfängers die Macht hat, ihm den Besitz zu verschaffen,<br />

muss dem Besitzer jedenfalls dann gleichgestellt werden, wenn der<br />

Eigentümer dies selbst zurechenbar veranlasst hat.<br />

- Danach ausreichender Rechtsscheinstatbestand für den gutgläubigen Erwerb<br />

durch R.<br />

(3) Weitere Vor. des gutgläubigen Erwerbs (+)<br />

- Gutgläubigkeit des Erwerbers R an das Eigentum des V, § 932 II BGB<br />

- Kein Abhandenkommen der Sache beim Eigentümer, § 935 I BGB<br />

ZE: R hat gutgläubig nach §§ 929 S. 1, 932 I 1 BGB das Eigentum am Chlor von V<br />

erworben.<br />

Kein Herausgabeanspruch L gegen R aus § 985 BGB.<br />

II. Anspruch L gegen R auf Herausgabe des Chlors aus § 812 I 1, 1. Alt. BGB?<br />

1. Etwas erlangt?<br />

- R hat Eigentum und Besitz am Chlor erlangt.<br />

2. Durch Leistung<br />

- Bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens?<br />

- Wessen Sichtweise ist für die Beurteilung als Leistung maßgeblich?<br />

• Sicht des Leistenden L: Eigene Leistung an R, da er eine<br />

vermeintlich eigene Verpflichtung gegenüber R erfüllen wollte<br />

• Sicht des Empfängers R: Leistung des V iSd § 812 I 1, 1. Alt. BGB, zur<br />

Erfüllung des zwischen V und R bestehenden Kaufvertrages<br />

- e.A.: Es kommt auf den wahren Willen desjenigen an, der den<br />

Vermögensvorteil tatsächlich überträgt, also auf den Willen des Leistenden.<br />

- h.M.: Es kommt auf die Erkennbarkeit der Person des Leistenden aus<br />

der Sicht des Zuwendungsempfängers an.<br />

- Damit: Keine Leistung iSv § 812 I 1, 1. Alt. BGB des L an R.<br />

ZE: Kein Herausgabeanspruch des L gegen R aus 812 I 1, 1. Alt. BGB.<br />

III. Herausgabeanspruch des L gegen R aus § 812 I 1, 2. Alt. BGB (-)<br />

- Grundsatz des Vorrangs der Leistungskondiktion.<br />

IV. Ergebnis<br />

Keine Ansprüche des L gegen R.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!