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Kolloquium Staatsrecht Sommer 2013 (Art. 14 GG)

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Prof. Dr. Wolfgang März <strong>Sommer</strong> <strong>2013</strong><br />

KOLLOQUIUM ZUM STAATSRECHT (1)<br />

18.4.<strong>2013</strong>: Eigentum und Erbrecht (<strong>Art</strong>. <strong>14</strong> <strong>GG</strong>)<br />

Fall I: BVerfGE 58, 137 ff. „Pflichtexemplar“<br />

(Weber, JuS 1982, 852 ff.; Heinz, AfP 2007, 94 ff.; Cornils, in: Menzel/Müller-Terpitz [Hg.],<br />

Verfassungsrechtsprechung, 2 2011, S. 330 ff. – Zur Abgrenzung von Inhalts- und Schrankenbestimmung<br />

einerseits und Enteignung andererseits Lege, JURA 2011, 507 ff.; ders., JZ 2011, 1084 ff.)<br />

Schon seit den frühen Zeiten der Pressezensur und der staatlichen Überwachung und<br />

Genehmigung von Druckerzeugnissen besteht eine rechtliche Verpflichtung von Verlegern,<br />

von jedem veröffentlichten und in Verkehr gebrachten Druckwerk (Buch, Zeitschrift,<br />

Zeitung usw.) ein Exemplar kostenlos der staatlichen Bibliothek abzuliefern,<br />

in deren Einzugsbereich der Verlag (s)einen Sitz hat. Diese „Pflichtexemplarregelung“<br />

ist heute in allen deutschen Ländern und im Bund gesetzlich festgeschrieben und<br />

wird mit dem staatlichen Bedürfnis nach möglichst vollständiger und allgemein zugänglicher<br />

Sammlung des „gedruckten Geistesschaffens“ begründet. Auf diesem Weg<br />

erhält einerseits die Landes- bzw. Staatsbibliothek des jeweiligen Landes von allen<br />

Verlagen im Land, andererseits die Deutsche Bibliothek des Bundes von allen deutschen<br />

Verlagen je ein Exemplar der publizierten Druckwerke, ohne hierfür den festgesetzten<br />

Ladenpreis oder auch nur die Herstellungskosten bezahlen zu müssen. Im<br />

Land Hessen war hierzu im Landespressegesetz (LPrG) gesetzlich festgelegt:<br />

§ 9 Pflichtexemplar. (1) Von jedem Druckwerk, das innerhalb des Landes Hessen erscheint,<br />

hat der Verleger … ein Stück (Pflichtexemplar) unentgeltlich und auf eigene Kosten je nach dem<br />

Verlagsort an die nachstehende Bibliothek des Landes abzugeben: …<br />

(2) Als Verleger gilt auch der als Selbstverleger tätige Verfasser und Herausgeber eines Druckwerks<br />

sowie der Kommissionsverleger.<br />

(3) Die Belegstücke sind mit Beginn der Verbreitung ohne besondere Aufforderung unverzüglich<br />

an die jeweils zuständige Bibliothek abzugeben.<br />

V ist Inhaber eines Verlags mit Sitz in Offenbach. Er verlegt bibliophile Bücher in<br />

sehr kleinen Auflagen sowie Original-Graphiken bekannter Künstler. Im Jahr 1976<br />

sandte V der laut LPrG zuständigen Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek in<br />

Darmstadt die nachfolgend genannten und hinsichtlich Auflage und Verkaufspreis<br />

näher bezeichneten Bücher zu:<br />

– Stéphane Mallarmé, Nachmittag eines Faun. Mit 12 handsignierten Farbradierungen von Wolff Buchholz.<br />

Auflage: 70 Ex.; Ladenpreis 650,– DM<br />

– Paul Wunderlich, Ein Skizzenbuch. Mit einer Original-Lithographie als Frontispiz, einem Text von Max Bense<br />

und Tafeln im Lichtdruck. Im Druckvermerk vom Künstler handsigniert.<br />

Auflage: 625 Ex., Ladenpreis: 180,– DM<br />

– Anton Tschechow, Rothschild’s Geige. Mit 3 Farbholzschnitten von Esteban Fekete.<br />

Auflage: 150 Ex., Ladenpreis: 280,– DM<br />

– Pär Lagerkvist, Der Fahrstuhl, der zur Hölle fuhr. Mit 5 handsignierten Farbholzschnitten von Esteban Fekete.<br />

Auflage: 100 Ex.; Ladenpreis: 280,– DM.


– 2 –<br />

Unter Hinweis auf § 9 LPrG behielt die Darmstädter Bibliothek die von V übersandten<br />

vier Werke ein und erteilt ihm hierüber einen Bescheid. Die der Übersendung der<br />

Bücher beigefügte Rechnung über insgesamt 1.390,– DM gab sie dem V mit der Bemerkung<br />

zurück: „Wie Ihnen sicher bekannt ist, sind die Pflichtexemplare nach § 9<br />

Abs. 1 LPrG unentgeltlich abzugeben. Davon kann auch bei Büchern mit einer kleinen<br />

Auflage und hohen Herstellungskosten keine Ausnahme gemacht werden. Das<br />

Gesetz sieht dies nicht vor.“<br />

V sieht in der gesetzlichen Verpflichtung zur ausnahmslos unentgeltlichen Ablieferung<br />

eines Druckwerks an die staatliche Bibliothek eine entschädigungslose Enteignung<br />

seines Eigentums oder zumindest eine verfassungswidrige Beschränkung seines<br />

Grundrechts aus <strong>Art</strong>. <strong>14</strong> Abs. 1 <strong>GG</strong> und will sich mit der Pflichtexemplarregelung<br />

nicht abfinden.


– 3 –<br />

Fall II: BVerfGE 100, 226 ff. „Denkmalschutz“<br />

(Brink, DÖV 2000, 973 ff.; Hendler, DVBl. 2000, 1501 ff.; Klüppel, JURA 2001, 26 ff.;<br />

Külpmann, JuS 2000, 646 ff.; Ossenbühl, JZ 1999, 899 f.; Papier, DVBl. 2000, 1398 ff.)<br />

Im Land L. sind „Gegenstände aus vergangener Zeit“, an deren Erhaltung und Pflege ein<br />

öffentliches Interesse („Schutz des kulturellen Erbes“) besteht, sog. Kulturdenkmäler. Sie<br />

müssen seit 1978 nach dem Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Kulturdenkmäler<br />

– DSchG – vom Eigentümer im Rahmen des Zumutbaren erhalten und gepflegt werden<br />

(§ 2 Abs. 1). Sind sie von der Verwaltung förmlich unter Schutz gestellt (§ 8), dürfen sie<br />

nur noch mit behördlicher Genehmigung verändert oder beseitigt werden (§ 13). Über<br />

Anträge auf Veränderung oder Beseitigung entscheidet die Denkmalbehörde nach pflichtgemäßem<br />

Ermessen; die Beseitigung eines Kulturdenkmals darf jedoch nur genehmigt<br />

werden, wenn „andere Erfordernisse des Gemeinwohls die Belange des Denkmalschutzes<br />

überwiegen“. Eigentümerinteressen bleiben dabei unberücksichtigt (§ 13 Abs. 1).<br />

Maßnahmen des Denkmalschutzes werden vom Land finanziell gefördert. Ein Kulturdenkmal<br />

darf gegen Entschädigung enteignet werden, wenn es auf andere zumutbare<br />

Weise nicht erhalten werden kann (§ 30 Abs. 1). Das Land muß den Eigentümer auch<br />

entschädigen, wenn er sein Grundstück wegen einer denkmalschutzrechtlichen Maßnahme<br />

nicht mehr wie bisher verwenden kann und die wirtschaftliche Nutzbarkeit insgesamt<br />

erheblich beschränkt wird (§ 31 Abs. 1 Satz 1). Eine angemessene Entschädigung sieht<br />

das Gesetz auch für den Fall vor, daß eine denkmalschutzrechtliche Maßnahme „in sonstiger<br />

Weise enteignend wirkt“ (§ 31 Abs. 1 Satz 2).<br />

Die P-AG ist Eigentümerin einer 1888 als Direktorenwohnhaus errichteten Villa mit<br />

einer Nutzfläche von 950 qm, die in unmittelbarer Nähe des Industriebetriebs der P-AG<br />

liegt. Das palastartige Gebäude repräsentiert den Typus der vornehmen Unternehmervilla<br />

der Gründerzeit, in der sich Bauelemente von der Renaissance bis zum Klassizismus zu<br />

einer einmaligen Einheit verbinden. Bis 1947 wurde die Villa als Wohnhaus des Unternehmers<br />

genutzt und diente anschließend der Unterbringung der Verwaltung der P-AG.<br />

Seit 1995 steht das Gebäude leer, da es für Zwecke des Unternehmens nicht mehr geeignet<br />

war. 1999 wurde es nach § 8 DSchG förmlich unter Schutz gestellt.<br />

2001 beantragte die P-AG bei der zuständigen Denkmalbehörde eine Genehmigung zum<br />

Abbruch der Villa, weil sie für das Gebäude keine betriebliche Verwendung mehr habe<br />

und auf dem Gelände ein betriebliches Aus- und Weiterbildungszentrum errichten wolle.<br />

Jahrelange Bemühungen um eine sinnvolle Nutzung oder Verpachtung seien ohne Erfolg<br />

geblieben, und die Erhaltung der gewaltigen Bausubstanz erfordere einen unverhältnismäßigen<br />

Energie- und Instandsetzungsaufwand. Der Landkreis hätte zusammen mit der<br />

P-AG zuvor zwar auch geprüft, ob das Gebäude zum Nulltarif für ein geplantes Museum<br />

übernommen werden könnte; da die Behörde den notwendigen Sanierungsaufwand auf<br />

rund 1 Mio. EUR und den jährlichen Unterhalt auf 150.000 EUR berechnet hätte, sei das<br />

Vorhaben an den Kosten gescheitert. Ein privater Käufer hätte sich nicht gefunden.<br />

Die Denkmalbehörde stimmte dem Abbruchantrag nicht zu. Gründe des Gemeinwohls,<br />

die eine Genehmigung rechtfertigen könnten, gebe es nicht. Daß sich für die Villa keine<br />

Nutzung finden lasse und die Unterhaltung des Anwesens unwirtschaftlich sei, könne bei<br />

der Entscheidung gemäß § 13 DSchG nicht berücksichtigt werden.


– 4 –<br />

Widerspruch und Klage der P-AG blieben ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht entschied,<br />

daß die betrieblichen Interessen und Bedürfnisse der Klägerin unbeachtlich seien. Die<br />

Eigentümerin müsse ein tragfähiges Sanierungs- und Nutzungskonzept entwickeln, das<br />

mit der Denkmalbehörde abzustimmen sei und von ihr in Höhe von 35% der Kosten bezuschußt<br />

werde. Davon abgesehen seien die von der P-AG geltend gemachten Renovierungskosten<br />

von mehr als 1 Mio. EUR nicht zuletzt deswegen so hoch, weil diese ihre<br />

denkmalrechtliche Erhaltungs- und Pflegepflicht über einen längeren Zeitraum hinweg<br />

vernachlässigt habe.<br />

Das von der P-AG hiergegen angerufene Oberverwaltungsgericht setzte das Verfahren<br />

gemäß <strong>Art</strong>. 100 Abs. 1 <strong>GG</strong> aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur<br />

Entscheidung vor, ob § 13 Abs. 1 Satz 2 DSchG insoweit verfassungswidrig sei, als darin<br />

bestimmt sei, daß die Abbruchgenehmigung nur dann erteilt werden dürfe, wenn andere<br />

Erfordernisse des Gemeinwohls die Belange des Denkmalschutzes überwögen. Hiervon<br />

hänge die Entscheidung des Rechtsstreits ab: Bei Gültigkeit der Norm wäre die Berufung<br />

zurückzuweisen, weil die Denkmalbehörde dann die Erteilung der Abbruchgenehmigung<br />

zu Recht versagt hätte; § 13 Abs. 1 DSchG lasse keine Raum für die Berücksichtigung<br />

privater Belange des Eigentümers. Wäre die Vorschrift hingegen verfassungswidrig, müsse<br />

die Denkmalbehörde unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und der entgegenstehenden<br />

Bescheide verpflichtet werden, den Antrag auf Erteilung einer Abbruchgenehmigung<br />

nach der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Bei Nichtigkeit des<br />

§ 13 Abs. 1 müsse die Denkmalschutzbehörde über den Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen<br />

über den Antrag neu entscheiden und dabei die hohen Erhaltungskosten und die<br />

sehr eingeschränkte wirtschaftliche Verwertbarkeit der Villa mit Bedeutung und Erhaltungszustand<br />

des Denkmals gegeneinander abwägen; derartige Überlegungen habe sie<br />

bislang nicht angestellt.<br />

Die Vorlage führte sodann aus, daß § 13 Abs. 1 DSchG gegen die Eigentumsgarantie des<br />

<strong>Art</strong>. <strong>14</strong> <strong>GG</strong> verstoße, weil in der Versagung einer Abbruchgenehmigung ein enteignender<br />

Eingriff liegen könne, <strong>Art</strong> und Ausmaß der zu leistenden Entschädigung aber im Gesetz<br />

nicht geregelt seien. Die Befugnis des Eigentümers zum Abbruch seines Bauwerks sei<br />

eine enteignungsfähige Rechtsposition. In diese Position könne durch die Versagung einer<br />

Beseitigungsgenehmigung eingegriffen werden. Ob eine derartige Einschränkung der<br />

Eigentümerbefugnisse noch zur Sozialbindung des Eigentums gehöre oder schon eine<br />

Enteignung darstelle, hänge davon ab, was vom Eigentum übrigbleibe. Die Enteignungsschwelle<br />

sei insbesondere dann überschritten, wenn aufgrund der Nutzungsbeschränkung<br />

eine sinnvolle privatnützige Verwendungsmöglichkeit nicht mehr gegeben sei. Werde der<br />

Eigentümer in einem solchen Fall gezwungen, das Denkmal ausschließlich im Interesse<br />

der Allgemeinheit zu erhalten und zu pflegen, so sei die Enteignungsschwelle immer<br />

überschritten.<br />

Wie wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden?

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