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Kolloquium Staatsrecht Sommer 2013 -- Thema 3 (Art. 3 GG)

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Prof. Dr. Wolfgang März <strong>Sommer</strong> <strong>2013</strong><br />

KOLLOQUIUM ZUM STAATSRECHT (5)<br />

13.6.<strong>2013</strong>: Gleichbehandlung und Gleichberechtigung (<strong>Art</strong>. 3 <strong>GG</strong>)<br />

Fall I: BVerfGE 130, 240 ff. „Bay. Landeserziehungsgeld“<br />

(Sachs, JuS <strong>2013</strong>, 89 ff.; Britz, Gleichbehandlung ausländischer Staatsangehöriger<br />

bei der Gewährung sozialer Leistungen, in: Bäuerle u.a. (Hg.), Demokratie-Perspektiven.<br />

Festschrift für Brun-Otto Bryde, <strong>2013</strong>, S. 331 ff.)<br />

Von 1986 bis 2006 gab es in Deutschland das sog. Erziehungsgeld (seither: Elterngeld).<br />

Mit dieser sozialen Transferleistung des Bundes sollte es Eltern und Alleinerziehenden,<br />

die ihre Erwerbstätigkeit für die Betreuung ihres Kindes unterbrachen<br />

(oder nicht erwerbstätig waren), ermöglicht werden, sich ausschließlich ihrem Kind<br />

und der Familie zu widmen; durch diese Sozialleistung gefördert werden sollte außerdem<br />

die Entscheidung junger Paare für ein Kind. Hierfür erhielten sie für maximal 24<br />

Monate ein Bundeserziehungsgeld von bis zu 460 Euro, das nicht auf die Sozialhilfe<br />

angerechnet, aber nur bis zu einer bestimmten Einkommenshöhe gewährt wurde.<br />

Dieses Bundeserziehungsgeld war, wie gesagt, zeitlich auf zwei Jahre befristet. Einige<br />

Länder führten darüber hinaus durch Gesetz ein ergänzendes Landeserziehungsgeld<br />

ein. Auch Bayern erließ 1989 ein Landeserziehungsgeldgesetz (BayLErz<strong>GG</strong>).<br />

Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollten diese Leistungen zeitlich an den Bezug<br />

von Bundeserziehungsgeld anschließen und es Eltern so ermöglichen, über einen<br />

längeren Zeitraum Elternzeit zu nehmen und ihre Kinder selbst zu betreuen. Das<br />

Landeserziehungsgeld in Höhe von 250 Euro wurde für weitere zwölf Lebensmonate<br />

des Kindes, längstens bis zur Vollendung seines dritten Lebensjahres, gezahlt. Die<br />

Bezugsberechtigung war in <strong>Art</strong>. 1 Abs. 1 BayLErz<strong>GG</strong> geregelt. Berechtigt war danach<br />

nur, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder<br />

eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum<br />

besaß.<br />

Im einzelnen legte das BayLErz<strong>GG</strong> hierzu fest:<br />

<strong>Art</strong>. 1 Anspruchsvoraussetzungen. (1) 1 Anspruch auf Landeserziehungsgeld hat, wer<br />

1. seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch<br />

fünfzehn Monate in Bayern hat,<br />

2. mit einem nach dem 30. Juni 1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem<br />

Haushalt lebt,<br />

3. dieses Kind selbst betreut und erzieht,<br />

4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt und<br />

5. die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaats<br />

des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besitzt.<br />

2 Der Anspruch auf Landeserziehungsgeld setzt nicht voraus, daß der Berechtigte zuvor Erziehungsgeld<br />

nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz bezogen hat.


– 2 –<br />

In der Gesetzesbegründung hieß es, die Ergebnisse der Forschung und Praxis hätten<br />

in den letzten Jahren zu der allgemeinen Überzeugung geführt, daß die Qualität der<br />

Eltern-Kind-Beziehung in den ersten drei Lebensjahren die Grundlage für die Entwicklung<br />

einer stabilen Persönlichkeit bilde, die Sicherheit und Lebenstüchtigkeit mit<br />

emotionaler Bindungsfähigkeit, Verantwortungsbewußtsein und ausgeprägtem Gemeinschaftssinn<br />

verbinde. Die frühe soziale Prägung durch die Familie sei deshalb<br />

für Gesellschaft und Staat von besonderer Bedeutung. Das Landeserziehungsgeld<br />

verstehe sich als Anerkennung für die intensive Erziehungsleistung von Müttern und<br />

Vätern und solle zugleich die finanzielle Lage junger Familien verbessern. Um „Mitnahmeeffekte“<br />

zu verhindern, müsse der Antragsteller seit der Geburt, mindestens<br />

aber seit 15 Monaten in Bayern seinen Hauptwohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt<br />

haben. Damit werde eine gezielte Förderung von „Landeskindern“ sichergestellt.<br />

K. ist polnische Staatsangehörige und beantragt im Frühjahr 2002 Landeserziehungsgeld<br />

für die Betreuung ihres im Februar 2000 geborenen Kindes. Sie wohnt seit 1984<br />

in München und besitzt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Seit 1988 hat sie<br />

durchgängig gearbeitet, zunächst als Fotolaborantin, dann in einem Chemieunternehmen.<br />

Seit 2002 arbeitet sie mit circa sieben Wochenstunden in der Gastronomie. Für<br />

das erste und zweite Lebensjahr ihres Kindes hatte sie Bundeserziehungsgeld in voller<br />

Höhe erhalten. Ihr Antrag auf Landeserziehungsgeld wurde zurückgewiesen, weil<br />

ihr diese Sozialleistung aufgrund ihrer polnischen Staatsangehörigkeit nicht zustehe.<br />

Nachdem auch ihr gegen die Ablehnung gerichteter Widerspruch erfolglos blieb, erhob<br />

sie Klage vor dem Sozialgericht München auf Gewähr von Landeserziehungsgeld.<br />

Das Sozialgericht sah – abgesehen von <strong>Art</strong>. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErz<strong>GG</strong> – alle<br />

gesetzlichen Voraussetzungen für den Bezug von Landeserziehungsgeld gegeben,<br />

hielt die Staatsangehörigkeitsklausel aber für verfassungswidrig, da sie gegen <strong>Art</strong>. 3<br />

Abs. 1 <strong>GG</strong> verstoße. Die Staatsangehörigkeit von in Bayern wohnhaften Müttern und<br />

Eltern sei kein sachgerechter Grund für die Zuerkennung bzw. Versagung einer solchen<br />

Sozial- und Familienleistung, da sie nichts mit der Förderung junger Familien<br />

zu tun habe; K. erbringe dieselbe Betreuungs- und Erziehungsleistung wie deutsche<br />

Eltern und habe wie diese ihre Berufstätigkeit hierzu erheblich eingeschränkt. Die<br />

beklagte Behörde hielt unter Berufung auf die Begründung des Gesetzes die Differenzierung<br />

in Nr. 5 der Vorschrift hingegen für zulässig, denn bei freiwilligen Leistungen<br />

habe der Gesetzgeber eine besonders weitreichende Gestaltungsfreiheit, die hier nicht<br />

willkürlich wahrgenommen worden sei.<br />

Das Sozialgericht setzte das Verfahren gem. <strong>Art</strong>. 100 Abs. 1 <strong>GG</strong>, § 13 Nr. 11, § 80<br />

Abs. 1 BVerf<strong>GG</strong> ausgesetzt und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur<br />

Entscheidung vor, ob <strong>Art</strong>. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErz<strong>GG</strong> gegen <strong>Art</strong>. 3 Abs. 1 und<br />

<strong>Art</strong>. 6 Abs. 1 <strong>GG</strong> verstoße und deshalb nichtig sei.<br />

Wie wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden?


– 3 –<br />

Fall II: BVerfGE 52, 369 „Hausarbeitstag“<br />

(Friedrich-Marczyk, JA 1980, 533 ff.; Sachs, NVwZ 1982, 657 ff. und FamRZ 1982, 981 ff.;<br />

Weber, JuS 1980, 905)<br />

L. ist Krankenpfleger im Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen. Er ist ledig und<br />

wohnt allein in einer Altbauwohnung von ca. 80 qm. L. arbeitet im Zwei-Schichtdienst<br />

40 – 46 Stunden in der Woche, dies an regelmäßig sechs Tagen wöchentlich. Von Arbeitskolleginnen<br />

hat er erfahren, daß es in seinem Bundesland ein Hausarbeitstag-<br />

Gesetz (HATG) gibt, wonach berufstätige Frauen unter bestimmten Voraussetzungen<br />

einen sog. Hausarbeitstag pro Monat in Anspruch nehmen können, der vom Arbeitgeber<br />

bezahlt wird. Die entsprechende Vorschrift in § 1 HATG vom 12.1.1954, die<br />

inhaltlich auf Regelungen aus dem Jahr 1943 zurückgeht, lautet:<br />

„In Betrieben und Verwaltungen aller <strong>Art</strong> haben Frauen mit eigenem Hausstand, die im Jahresdurchschnitt<br />

wöchentlich mindestens 42 Stunden arbeiten, Anspruch auf einen arbeitsfreien Wochentag (Hausarbeitstag)<br />

in jedem Monat.“<br />

L.’s Arbeitgeber, die Universitätsklinik U., lehnte seinen Antrag ab, ihm ebenfalls<br />

einen solchen Hausarbeitstag zu gewähren. Die Klinikverwaltung berief sich auf das<br />

o.a. Gesetz, wonach die von L geforderte Begünstigung ausschließlich Frauen zustehe:<br />

Auch wenn L die sonstigen Voraussetzungen des Gesetzes in der Tat erfülle, habe er<br />

wegen dieser geschlechtsspezifischen Beschränkung, die der Gesetzgeber zugunsten<br />

berufstätiger Frauen eingeführt habe, keinen Anspruch auf einen Hausarbeitstag.<br />

L. war mit dieser Ablehnung nicht einverstanden. Er erhob gegen U. Klage vor dem<br />

zuständigen Arbeitsgericht und trug vor: Die Nichtgewährung eines Hausarbeitstages<br />

an männliche Arbeitnehmer sei ein Verstoß gegen <strong>Art</strong>. 3 Abs. 2 und 3 <strong>GG</strong>, der nicht<br />

mit dem Hinweis auf die traditionelle Arbeitsteilung der Geschlechter gerechtfertigt<br />

werden könne. Zwar werde eine Arbeitsteilung, nach der die Frau den Haushalt führe<br />

und der Mann im Berufsleben stehe, nicht selten praktiziert. Als gesellschaftliches<br />

Prinzip sei dieser Grundsatz jedoch längst überwunden. Er, L., unterliege in seiner<br />

häuslichen Arbeitsbelastung keinen anderen Anforderungen als eine alleinstehende<br />

berufstätige Frau. Daher habe er ebenfalls Anspruch auf einen bezahlten freien<br />

Hausarbeitstag pro Monat. Das Arbeitsgericht folgte seiner Argumentation allerdings<br />

nicht; es wies seine Klage als unbegründet ab. Auch Berufung und Revision des L.<br />

blieben erfolglos.<br />

Gegen die letztinstanzliche ablehnende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts erhob<br />

L. form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde.<br />

Wie wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden?

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