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Prof. Dr. Wolfgang März Sommer 2013<br />

ÜBUNG VERWALTUNGSRECHT (ERST-/ZWEITFACH ÖR [PHF])<br />

– HINWEISE ZUR LÖSUNG (5 S.) –<br />

A. Vorbemerkung<br />

– Thema: Versammlungs- und Polizeirecht sowie – vorgelagert – Verwaltungsprozeßrecht<br />

– Grundlagen:<br />

• BayVGH vom 24.1.1997 – 24 B 94.1426 (n.v.), nur auszugsweise – Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage<br />

– BayVBl. 1998, 406<br />

• BVerwG vom 23.3.1999 – 1 C 12/97, NVwZ 1999, 991 ff.; dazu Brodersen, JuS 2000, 198 ff.<br />

• BayVGH vom 3.7.2000 – 24 B 99.1824 (n.v.), als „zweites“ Berufungsurteil.<br />

• BVerfGE 110, 77 ff. (zum Rechtsschutzbedürfnis in der Hauptsache nach erfolgreichem einstweiligem<br />

Rechtsschutz)<br />

– Prüfprogramm:<br />

• Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage, dabei vor allem Feststellungsinteresse und Entbehrlichkeit<br />

eines Vorverfahrens;<br />

• richtige Ermächtigungsgrundlage für das Verbot einer nicht-öffentlichen Versammlung in geschlossenen<br />

Räumen, und zwar entweder im Versammlungsgesetz (direkt oder analog) oder (alternativ) im SOG;<br />

dabei unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Vorgaben in Art. 8 Abs. 1 und 2 GG;<br />

• Zuständigkeit des Innenministers nach beiden denkbaren Ermächtigungsgrundlagen (mit Prüfung des<br />

Selbsteintrittsrechts der Fachaufsichtsbehörde);<br />

• falls die Einschlägigkeit des SOG bejaht wird: Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit<br />

und Ordnung, Verantwortlichkeit der N für das fragliche Geschehen;<br />

• Verhältnismäßigkeit des Veranstaltungsverbots unter Beachtung von Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG.<br />

B. Lösungshinweise<br />

I. Zulässigkeit der Klage der N<br />

1. Verwaltungsrechtsweg, § 40 Abs. 1 VwGO (unproblematisch, da sowohl Über-/Unterordnungsverhältnis<br />

zwischen Innenministerium und N als auch staatliches Sonderrecht)<br />

2. Statthafte Klageart: Begehren des Klägers maßgeblich (§ 88 VwGO); hier kommt nur Klage in Betracht, die<br />

Verbotsverfügung vom 8. Juni 2012 zum Gegenstand hat und das Bedürfnis der N nach effektivem Rechtsschutz<br />

befriedigen kann –> Fortsetzungsfeststellungsklage, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog (dabei Typik<br />

[„fortgesetzte Anfechtungsklage“ oder „besondere Feststellungsklage“] unerheblich)<br />

3. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog): N müßte durch das erledigte Versammlungsverbot möglichweise<br />

in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt sein. Hinsichtlich ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit,<br />

Art. 8 Abs. 1 GG, nicht ausgeschlossen; ebenso hinsichtlich ihrer in Art. 21 Abs. 1 GG abgesicherten<br />

Betätigungsfreiheit als politische Partei.<br />

4. Erfolglose Durchführung des Widerspruchsverfahrens (§§ 68 ff. VwGO analog)? Str., ob vor Erhebung der<br />

Fortsetzungsfeststellungsklage Vorverfahren durchzuführen ist; da sich hier VA vor Eintritt der Bestandskraft<br />

erledigt hat, Durchführung eines Widerspruchsverfahrens nach h.M. sogar unzulässig und deshalb<br />

entbehrlich. Indes ist hierauf wegen § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO (!) nicht einzugehen.<br />

5. Klagefrist (§ 74 VwGO): Str., welches maßgebliche Klagefrist bei Fortsetzungsfeststellungsklage ist. Einerseits<br />

§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO, ein Monat nach Bekanntgabe des VA; dann Bekanntgabe (§ 41 Abs. 2 Satz 1<br />

VwVfG M-V) 11. Juni 2012 –> Klage am 27. August 2012 zu spät, wenn Rechtsbehelfsbelehrung ordnungsgemäß.<br />

Andererseits wegen Nähe zur allgemeinen Feststellungsklage Anwendbarkeit von § 74 VwGO überhaupt<br />

abzulehnen. Beides vertretbar, wobei mehr für letzteres spricht.<br />

6. Klagegegner (§ 78 VwGO analog): Klagegegner analog § 78 VwGO –> Innenminister M-V<br />

7. Beteiligten- und Prozeßfähigkeit: Beteiligtenfähigkeit nach § 61 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 3 PartG; Partei muß<br />

nach § 62 Abs. 3 VwGO durch Vorstand (§§ 26 Abs. 2 Satz 1, 54 BGB) vertreten werden. Innenminister ist<br />

nach § 61 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 14 Abs. 1 AGGerStrG M-V beteiligtenfähig.<br />

8. Zuständiges Gericht: Sachlich VG, § 45 VwGO; örtlich VG Schwerin (§ 52 VwGO Nr. 3 VwGO i.V.m.<br />

§ 10 Abs. 1, 2 GerStrG M-V).


– 2 –<br />

9. Fortsetzungsfeststellungsinteresse (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO): bei Fortsetzungsfeststellungsklage ist besonderes<br />

Feststellungsinteresse zu prüfen (hier oder bei/nach Klagebefugnis). Dabei Problem der erledigten<br />

Hauptsache, insoweit bekannte Fallgruppen:<br />

– Wiederholungsgefahr: Es muß nach Lage der Dinge die konkrete Möglichkeit bestehen, daß in absehbarer<br />

Zeit vergleichbare Maßnahmen der Ordnungsverwaltung gegenüber der Partei getroffen werden; es<br />

muß sich also der entscheidungserhebliche Sachverhalt unter vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen<br />

Umständen erneut ereignen können. Hier: nicht ausgeschlossen, wenn Partei in absehbarer Zeit<br />

wiederum einen Parteitag durchführen würde, in dessen Vorfeld sich ebenfalls massive politische Gegendemonstrationen<br />

ankündigten, denen die Polizei- und Ordnungsbehörden wegen zeitgleicher anderweitiger<br />

Verpflichtung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus „Kapazitätsgründen“<br />

erneut nicht Herr zu werden in der Lage sein würde. Eher unwahrscheinlich, aber ausreichende<br />

Überlegung.<br />

– Vorbereitung eines Staatshaftungsprozesses: Rspr. erkennt besonderes Fortsetzungsfeststellungsinteresse<br />

auch an, wenn verwaltungsgerichtliche Entscheidung eine Zivilgerichte im nachfolgenden Haftungsprozeß<br />

bindende Wirkung entfaltet. Hier: nicht unzweifelhaft, aber gut vertretbar.<br />

– Rehabilitierungsinteresse, wenn erledigter VA diskriminierende Wirkung entfaltet bzw. einen schwerwiegenden<br />

oder zumindest nicht unerheblichen fortwirkenden Grundrechtseingriff bewirkt. Hier: für N<br />

kaum fortbestehende diskriminierende Wirkung; daher wohl nicht gegeben.<br />

– Besonderheit hier: Beeinträchtigung des Versammlungsgrundrechts in Art. 8 Abs. 1 GG, also eines für<br />

die demokratische Verfassungsordnung prägenden Grundrechts –> Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes<br />

i.S.v. Art. 19 Abs. 4 GG führt dazu, daß einstweiliger Rechtsschutz das Rechtsschutzinteresse<br />

nur vorläufig erfüllt; Hauptsacheverfahren wird daher nicht überflüssig. Feststellungsinteresse nach<br />

Grundrechtseingriffen immer dann zu bejahen, wenn der Betroffene ohne eigenes Verschulden gegen<br />

den noch nicht erledigten Grundrechtseingriff keinen effektiven und das Verbot noch während seiner<br />

Wirkkraft angreifenden Rechtsschutz erlangen konnte. Hier gegeben. Fortsetzungsfeststellungsinteresse<br />

der N (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) besteht.<br />

10. Zwischenergebnis: Fortsetzungsfeststellungsklage der N zulässig.<br />

II. Begründetheit der Klage der N<br />

1. Ermächtigungsgrundlage für das Veranstaltungsverbot<br />

Ermächtigungsgrundlage wegen grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts erforderlich; entweder Sonderordnungsrecht<br />

(VersG) oder allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht (SOG M-V)<br />

a) Ermächtigungsgrundlagen im Versammlungsgesetz (§§ 5, 15 VersG)<br />

aa) Anwendungsbereich des VersG<br />

– VersG regelt Inhalt und Umfang des – jedermann zustehenden – Rechts, öffentliche Versammlungen und<br />

Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen, § 1 Abs. 1 VersG. Partei kann dieses<br />

Recht ebenso wie Art. 8 Abs. 1 GG (und das Recht auf politische Betätigungsfreiheit einer Partei, Art. 21<br />

Abs. 1 GG) in Anspruch nehmen. Parteitag ist Versammlung, d.h. eine Zusammenkunft von mindestens<br />

zwei Personen zu einem gemeinsamen Zweck (Meinungsbetätigung).<br />

– Ob das Abhalten des N-Parteitags in der Stadthalle unter Versammlungsgesetz fällt – und § 5 bzw. § 15<br />

VersG zur Anwendung kommen können –, ist damit noch nicht entschieden. VersG regelt nach Systematik –<br />

Abschnitte II („Öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen“) und III („Öffentliche Versammlungen<br />

unter freiem Himmel und Aufzüge“) – nicht alle Versammlungen, sondern grundsätzlich (Ausnahme:<br />

§§ 2, 3) nur öffentliche Versammlungen in genannten Erscheinungsformen.<br />

bb) Versammlungsrechtliche Zuordnung des N-Parteitags<br />

Ist Parteitag öffentlich? Versammlung ist öffentlich, wenn jedermann Zutritt zur Veranstaltung hat oder wenn<br />

jedermann die Möglichkeit hat, sich an der Bildung der eine Versammlung darstellenden Personenmehrheit zu<br />

beteiligen. Entscheidend ist dabei, daß der Teilnehmerkreis nicht nach bestimmten Merkmalen eingrenzbar ist.<br />

Hier: Zum Parteitag sind alle nach der Parteisatzung teilnahmeberechtigten Mitglieder der N eingeladen worden;<br />

wurde in Gestalt von durchnumerierten Einladungskarten formalisiert, Zutritt zur Veranstaltung sollte<br />

anhand dieser „Eintrittskarte“ kontrolliert werden –> nicht-öffentliche, d.h. geschlossene Veranstaltung, für die<br />

§§ 5 ff. VersG unmittelbar nicht anwendbar.


– 3 –<br />

cc) Ermächtigungsgrundlagen in analoger Anwendung des Versammlungsgesetzes?<br />

Denkbar ist, die für öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen (§§ 5–13 VersG) bestimmten Ermächtigungsgrundlagen<br />

des Versammlungsrechts auf den N-Parteitag als nicht-öffentliche Versammlung in<br />

geschlossenen Räumen analog anzuwenden (z.B. bei Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht,<br />

7 2012, § 20 Rn. 13 ff.). Aber bedenklich, da Art. 8 Abs. 2 GG sich ausdrücklich nur auf Versammlungen „unter<br />

freiem Himmel“ bezieht. Gleichwohl Ermächtigungsgrundlagen der §§ 5 und 13 VersG auch zur Beschränkung<br />

von nicht-öffentlichen Versammlungen heranzuziehen, soweit (und nur soweit) das von diesen Veranstaltungen<br />

für die verfassungsgeschützten Rechtsgüter ausgehende Gefährdungspotential dem von öffentlichen Versammlungen<br />

ausgehenden Gefährdungspotential gleichkommt. Wird hier aus den sogleich erörterten Gründen nicht<br />

weiter verfolgt.<br />

b) Ermächtigungsgrundlagen im SOG<br />

aa) Argumente gegen eine analoge Anwendung des VersG<br />

Analoge Heranziehung der im Versammlungsgesetz enthaltenen Ermächtigungen für Eingriffe str., da keine<br />

planwidrige Regelungslücke und deshalb „beredtes Schweigen“ des Bundesgesetzes. Dann aber keine analoge<br />

Anwendung der Vorschriften über öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen.<br />

bb) Reduzierte Anwendbarkeit des SOG auf nicht-öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen<br />

In diesem Fall nach lex generalis-Regel Heranziehung des SOG M-V für nicht-öffentliche Versammlungen in<br />

geschlossenen Räumen zulässig (so BVerwG und h.M.). Immer vertretbar, soweit es um Abwehr von Gefahren<br />

geht, die nicht versammlungstypisch sind. Außerhalb dieses Anwendungsbereichs nur, wenn Eingriff in Art. 8<br />

Abs. 1 GG zum Schutz von Grundrechten Dritter oder sonstiger mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtsgüter<br />

erfolgt. Daraus folgt:<br />

– Nur in diesem verfassungsrechtlichen, engen Rahmen kann SOG M-V herangezogen werden.<br />

– Alternativ kann (s.o.) § 13 VersG analog herangezogen werden, nicht aber § 5 VersG.<br />

2. Anwendung der Ermächtigungsgrundlage<br />

a) Formelle Voraussetzungen, insb. Behördenzuständigkeit und Beachtung des Verwaltungsverfahrens<br />

– Zuständigkeit des Innenministers für die auf §§ 1, 13, 16 SOG M-V gestützte Ordnungsverfügung problematisch,<br />

da OB als sachlich (§ 4 Abs. 1 und 2 SOG M-V) wie örtlich (§ 5 Abs. 1 SOG M-V) zuständige Ordnungsbehörde<br />

der Hansestadt Rostock (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 SOG M-V) zuständig gewesen ist. Deshalb zugunsten der<br />

obersten Landesordnungsbehörde (§ 3 Abs. 1 Satz 1 SOG M-V) nur zu rechtfertigen, wenn Gefahr im Verzug<br />

vorgelegen und es sich um eine unaufschiebbare Maßnahme gehandelt hat. Kann beides bejaht werden. Für<br />

Eilzuständigkeit des Innenministers spricht: nach § 87 Abs. 4 KV M-V ist fachaufsichtsrechtliches Selbsteintrittsrecht<br />

gegeben, das ergänzend neben SOG in Anspruch genommen werden kann.<br />

– Andere formelle Fehler nicht ersichtlich (N wurde, wie in § 28 Abs. 1 VwVfG M-V festgelegt, ordnungsgemäß<br />

angehört und konnte sich zur Sach- und Rechtslage äußern; Verbotsverfügung wurde ausreichend begründet,<br />

§ 39 Abs. 1 VwVfG M-V).<br />

– ZE: Die Verbotsverfügung des Innenministers ist formell rechtmäßig ergangen.<br />

b) Materielle Voraussetzungen eines Verbotes des N-Parteitags<br />

aa) Konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung<br />

– Voraussetzungen liegen vor, wenn im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung aufgrund der Sachlage die<br />

hinreichende Wahrscheinlichkeit gegeben ist, daß bei ungehindertem Ablauf des Geschehens in absehbarer<br />

Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird (vgl. auch § 3 Abs. 3 SOG M-V).<br />

Schutzgut hier – Eingriff in ein vorbehaltlos gewährleistetes, da nicht von Art. 8 Abs. 2 GG erfaßtes Grundrecht<br />

– nur ein Rechtsgut von Verfassungsrang möglich.<br />

– Bei Beurteilung der Gefahr auf ex-ante-Sicht abzustellen. Für Durchführung des N-Parteitags war mit gewalttätigen<br />

Übergriffen der militanten Gegendemonstranten gegenüber den Teilnehmern an der Veranstaltung<br />

in der Stadthalle zu rechnen. Es ging daher um den Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Parteitagsteilnehmer<br />

und unbeteiligter Dritter (etwa friedlicher Demonstranten vor der Stadthalle) sowie um<br />

den Schutz des Privateigentums dieser Personengruppen. Insoweit handelt es sich um Schutzgüter mit Verfassungsrang<br />

(Art. 2 Abs. 2 Satz 1, 14 Abs. 1 Satz 1 GG). Zur Bejahung der Gefahr müßte die hinreichende


– 4 –<br />

Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bestanden haben. Dafür spricht nicht nur Erfahrung aus Vergangenheit,<br />

sondern auch konkreter Verlauf der Veranstaltung. Daher Voraussetzungen für ein behördliches<br />

Einschreiten (ex ante) gegeben.<br />

bb) Rechtsfolge<br />

Trotz Vorliegens der Eingriffsvoraussetzungen Innenminister nicht zum Einschreiten verpflichtet, da nach<br />

§§ 13, 16 SOG Ermessensentscheidung (§ 14 Abs. 1 SOG M-V). Im Hinblick auf Entschließungsermessen Ermessensfehler<br />

nicht ersichtlich; fraglich jedoch, ob Auswahlermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt worden ist (Verantwortliche<br />

und eingesetzte Mittel).<br />

(1) Wahl des richtigen Adressaten: Zugriff auf die N<br />

– Innenminister durfte N nur heranziehen, wenn Partei nach §§ 68–70 SOG M-V als Störer ordnungspflichtig<br />

war oder nach § 71 SOG M-V als Nichtstörer in Anspruch genommen werden durfte.<br />

(a) Verhaltensverantwortlichkeit der N?<br />

Gefahr müßte von Partei verursacht worden sein (unmittelbare Verursachung):<br />

– keine allgemeine Verhaltensverantwortlichkeit als Veranstalter, da Partei die Grenze erlaubter Gefahr<br />

nicht überschritten hat, sondern im Gegenteil formell und materiell rechtmäßige, grundrechtlich besonders<br />

geschützte (Art. 8 Abs. 1 sowie Art. 21 Abs. 1 GG) und einfachgesetzlich vorgeschriebene (§ 9 Abs. 1 Satz 3<br />

PartG) Veranstaltung durchführt.<br />

– Daher nur besondere Verhaltensverantwortlichkeit als Zweckveranlasser denkbar, wenn zwischen Veranlassung<br />

und Gefahr herbeiführendem Verhalten Dritter ein so enger Wirkungs- und Verantwortungszusammenhang<br />

besteht, daß Veranlassung und Erfolg „natürliche Einheit“ bilden, welche Zurechnung der Gefahr<br />

gegenüber Veranlasser rechtfertigen kann. N hat weder Gegendemonstrationen noch gewalttätige Ausschreitungen<br />

hervorrufen wollen; auch unterläge andernfalls jede grundrechtlich geschützte Freiheitsbetätigung<br />

ordnungsrechtlichen Verboten. Keine Zweckveranlassung.<br />

(b) Notstandsverantwortlichkeit der Partei, § 71 SOG M-V?<br />

(aa) Voraussetzung I: Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr<br />

– Voraussetzung ist, daß die befürchtete Störung entweder bereits eingetreten ist oder in allernächster Zeit<br />

unmittelbar oder mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 SOG<br />

M-V). Letzteres hier anzunehmen; schon in Vergangenheit aus Anlaß von Veranstaltungen der N zahlreiche<br />

gewalttätig verlaufene Protestaktionen; auch ernstzunehmende Informationen der Polizei und des Verfassungsschutzes,<br />

die Gewalttätigkeiten befürchten ließen.<br />

(bb) Voraussetzung II: Vorrangigkeit der Heranziehung des Störers<br />

– Unmöglichkeit von Maßnahmen gegen den Störer? Hier als Adressaten versammlungs- oder (polizei- und)<br />

ordnungsrechtlicher Maßnahmen dritte Demonstranten vorhanden (anmeldepflichtige Versammlung, § 14<br />

VersG, die zudem wegen Zielsetzung und mangels Friedlichkeit keinen grundrechtlichen Schutz nach Art. 8<br />

Abs. 1 GG genießt). Ordnungsbehörde und der Polizei war es nicht unmöglich, zur Gefahrenabwehr die Verantwortlichen<br />

durch eigene „Maßnahmen“ in Anspruch zu nehmen.<br />

– Rechtliche Unmöglichkeit? Gefahrenabwehrmaßnahmen sind aus Rechtsgründen ausgeschlossen, wenn<br />

andernfalls gegen das Übermaßverbot verstoßen würde; hier aber unmittelbar nicht ersichtlich. Nachrangigkeit<br />

des Notstandseingriffs führt dazu, daß Verfügungen gegen den Nichtstörer immer nur als ultima ratio<br />

in Betracht kommen. Zudem Schutz der Rechtsordnung nicht nur keine unzumutbare Maßnahme, sondern<br />

im Gegenteil schutzwürdiges Gut. Somit keine Unverhältnismäßigkeit des Vorgehens gegenüber den dritten<br />

Verhaltensverantwortlichen.<br />

– Erfolglosigkeit von Maßnahmen gegen Störer? Notstandspflicht allenfalls wegen § 71 Abs. 1 Nr. 1 a.E. SOG<br />

M-V ausnahmsweise dann, wenn und soweit Maßnahmen gegen die Verantwortlichen keinen Erfolg versprochen<br />

hätten. In der Tat bei extremistischen und militanten Störern denkbar, vorliegend sogar der Fall.<br />

Zu diesem Argument sogleich (Abwägung).


– 5 –<br />

(cc) Voraussetzung III: Vorrangigkeit des Einsatzes behördeneigener Mittel<br />

– Unzulänglichkeit der Heranziehung des Störers berechtigt noch nicht zur Inanspruchnahme des Nichtstörers.<br />

Zusätzliche Voraussetzung, daß Behörde Gefahr nicht (rechtzeitig) selbst oder durch Beauftragte abwehren<br />

kann, § 71 Abs. 1 Nr. 2 SOG M-V. Ordnungsbehörde darf also i.V.m. Polizeivollzugsdienst trotz Einsatzes<br />

aller verfügbaren eigenen und im Wege der Amts- und Vollzugshilfe erreichbaren fremden Kräfte<br />

nicht in der Lage sein, die Gefahr abzuwehren. Hier: Innenminister konnte zwar auf Unmöglichkeit eines<br />

wirksamen Schutzes durch Polizeikräfte aus Mecklenburg-Vorpommern verweisen, hat aber nicht dargelegt<br />

und auch gar nicht den Versuch unternommen, Polizeikräfte anderer Länder und/oder die Bundespolizei zur<br />

Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 2 GG in Anspruch zu nehmen. Dieser Weg hätte jedoch vorrangig beschritten<br />

werden müssen, zumal Art. 35 Abs. 2 GG die ersuchten Länder bzw. den Bund zu einer solchen Amtshilfe<br />

grundsätzlich verpflichtet und das Ersuchen daher erfolgreich gewesen wäre. Eine objektiv unmögliche<br />

Gefahrenabwehr durch die Ordnungsbehörden des Landes kann somit nicht bejaht werden.<br />

– Abwägung verlangt für Verbot einer rechtmäßigen Versammlung aufgrund ordnungsbehördlichen Notstands:<br />

Polizei hat auch unter Aufgebot aller verfügbaren Kräfte den Parteitag selbst sowie die sich friedlich<br />

verhaltende Öffentlichkeit zu schützen, solange und soweit nicht unabsehbare Personen- und Sachschäden<br />

drohen. Die Sicherheits- und Ordnungskräfte müssen sich unter Inkaufnahme gewisser Personen- und<br />

Sachschäden auch einer physischen Auseinandersetzung stellen. Sie müssen es andererseits nicht auf tätliche<br />

Auseinandersetzungen jedes nicht mehr beherrschbaren Ausmaßes ankommen lassen. Eine das ordnungsbehördliche<br />

Notstandsrecht begründende Situation ist in jedem Fall dann gegeben, wenn gewissen<br />

Nachteilen des Nichtstörers bzw. der Allgemeinheit unabsehbare Konsequenzen großer Straßenschlachten<br />

mit der Gefahr schwerer Schäden für Leib und Leben unbeteiligter Dritter gegenüberstehen. Derart extreme<br />

Auswirkungen sind aus Sachverhalt nicht ersichtlich (a.A. vertretbar).<br />

– Ordnungsbehörde und Polizeivollzugskräfte waren demnach auch unter Beachtung des Übermaßverbots in<br />

der Lage und verpflichtet, durch den Einsatz landeseigener und im Wege der Amtshilfe zusätzlich herangezogener<br />

Kräfte die Gefahr abzuwehren. Die N durfte deshalb nicht nach § 71 SOG M-V als Nichtstörer in<br />

Anspruch genommen werden; die strengen Voraussetzungen des ordnungsrechtlichen Notstandes lagen<br />

nicht vor. Damit ist Verfügung wegen fehlerhafter Auswahl des Adressaten materiell rechtswidrig.<br />

(2) Wahl des richtigen Mittels<br />

– Bedeutet zugleich, daß auch Mittel zur Gefahrenabwehr rechtsfehlerhaft ausgewählt worden ist. Behörde<br />

hätte die Gefahr durch Einsatz eigener und fremder Sicherheitskräfte abwehren müssen.<br />

3. Rechtsverletzung<br />

Durch die rechtswidrige Verbotsverfügung ist die N i.S.v. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in ihrem Recht aus Art. 8<br />

Abs. 1 GG verletzt worden.<br />

C. Ergebnis<br />

Fortsetzungsfeststellungsklage der N ist (nach hier vertretener) Auffassung zulässig und begründet. VG wird<br />

die Rechtswidrigkeit des Versammlungsverbots feststellen.

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