Ethik-Kommissionen in der medizinischen Forschung - Fachbereich ...

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v. Dewitz/Luft/Pestalozza Ethikkommissionen in der medizinischen Forschung - Oktober 2004 Jedoch ist nach dem vorerwähnten Erwägungsgrund (4): „In the case of other persons incapable of giving their consent, such as persons with dementia, psychiatric patients, etc., inclusion in clinical trials in such cases should be on an even more restrictive basis“ eine im Vergleich zur Klinischen Prüfung von Arzneimitteln bei Minderjährigen restriktivere Regelung notwendig. Sollte die Teilnahme nicht einwilligungsfähiger Erwachsener an einer bei ihnen nicht indizierten Klinischen Prüfung über die Eröffnung einer Placebokontrolle durch § 41 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 AMG n.F. möglich sein sollen, fragt sich, warum dies nicht ähnlich eindeutig unter den Voraussetzungen des direkten Gruppennutzens, vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 2 AMG n.F. und des minimalen Risikos bzw. der minimalen Belastung, die im Bereich der Therapeutikaprüfung bei Minderjährigen nach § 41 Abs. 2 Nr. 2 AMG n.F. (in teilweiser Umsetzung von Art. 4 e) der Richtlinie 2001/20/EG) geregelt wurde. Die Problematik in der Auslegung von § 41 Abs. 3 Nr. 1 AMG n.F. ist zusammenfassend neben der grammatikalischen Unklarheit einer fehlenden positiven Aussage in der Begründung des Regierungsentwurfs wie des Erwägungsgrunds (4) der Richtlinie 2001/20/EG zur hier in Rede stehenden Variante („oder keine Risiken mit sich bringt“) geschuldet. Ferner ist unklar, ob -sofern eine Placebogabe nach dem Willen des Gesetzgebers zulässig sein sollte- die Vorenthaltung einer Standardtherapie in der Placebogruppe auch bei nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen u.U. rechtlich statthaft ist, solange im Einzelfall hierdurch die in § 41 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 AMG festgelegte Risiko- und Belastungsschwelle („möglichst geringes Risiko und möglichst geringe Belastung“) nicht überschritten wird. Denn die Anwendung des Prüfpräparates (nach Art. 2 d) der Richtlinie 2001/20/EG auch das Placebo) selbst stellt ja im Fall einer Placebogabe nicht das Risiko dar, sondern die Vorenthaltung der Standardtherapie. Nach Auffassung des Bundesgesundheitsministeriums und der zuständigen Bundesoberbehörden (Bundesinstitut f. Arzneimittel und Medizinprodukte sowie Paul Ehrlich Institut) ist sowohl der Einsatz von Placebo, als auch die Vorenthaltung der Standardtherapie (bzw. beides zugleich) bei nicht 276

v. Dewitz/Luft/Pestalozza Ethikkommissionen in der medizinischen Forschung - Oktober 2004 einwilligungsfähigen Erwachsenen grundsätzlich von der Formulierung „oder keine Risiken mit sich bringt“ gedeckt 361 . Auch sind diese Behörden der Auffassung, aus der Verankerung des Gruppennutzens für bestimmte Personengruppen (gemeint sind offenbar Minderjährige und einwilligungsfähige Erwachsene, vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 AMG n.F.) könne nicht gefolgert werden, dass die Zulässigkeit der placebokontrollierten Forschung bei nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen die Einführung des Gruppennutzens voraussetzt. Auch die sogenannte rein fremdnützige Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen bei Arzneimittelprüfungen ist damit nach Auffassung diese Behörden offenbar nunmehr rechtlich zulässig. Dies hält einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Selbst wenn man davon ausgeht, dass „gruppennützige“ Arzneimittelforschung mit Nichteinwilligungsfähigen keine Verletzung der Menschenwürde darstellt 362 , ist nicht einzusehen, warum einwilligungsfähige Erwachsene insoweit besser gestellt werden sollten, als nicht einwilligungsfähige, obgleich letztere schutzbedürftiger 361 Den Verfassern vorliegendes Schreiben des BMGS vom 24. August 2004. 362 Eine Menschenwürdeverletzung bejahen Höfling/Demel, Zur Forschung an Nichteinwilligungsfähigen, MedR 1999, 540; Höfling, Menschen mit Behinderungen, das „Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin“ und die Grund- und Menschenrechte, KritV 1998, S. 99 f.; Spranger, Fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen, Bioethik und klinische Arzneimittelprüfung, MedR 2001, S. 238; Jürgens, Fremdnützige Forschung an einwilligungsunfähigen Personen nach deutschem Recht und nach dem Menschenrechtsübereinkommen für Biomedizin, KritV 1998, S. 34 f.; Stoeter/von Dewitz: Vorstoß durch die Hintertür – Die versuchte Einführung fremdnütziger Forschung an Minderjährigen per Arzneimittelgesetz, Blätter für deutsche und internationale Politik, September 2003, S. 1091 f.; Freund: Aus der Arbeit einer Ethik-Kommission: Zur Steuerung von Wissenschaft durch Organisation, MedR 2001, S. 65 (Verstoß gegen §§ 1627 S. 1, 1901 BGB), Stellungnahme des deutschen Richterbundes, DRiZ 1995, S. 149, 150; Kienle, ZRP 1996, S. 253, 254, Fn. 16; Picker, JZ 2000, S. 693, 704 f.. A.A. Elzer, Die Grundrechte Einwilligungsunfähiger in klinischen Prüfungen, MedR 1998, S. 122, 124 f.; Eser, Das Humanexperiment – Zu seiner Komplexität und Legitimität, Gedächtnisschrift für Horst Schröder, 1978, S. 191-215 (209 f.); Helmchen/Lauter (Hrsg.), Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen? Analyse des Problemfeldes Forschungsbedarf und Einwilligungsproblematik, 1995; Fischer, Die Prinzipien der Europäischen Richtlinie zur Prüfung von Arzneimitteln, in: Deutsch/Schreiber/Spickhoff/Taupitz (Hrsg.) Die klinische Prüfung in der Medizin, Europäische Regelungswerke auf dem Prüfstand, Berlin/Heidelberg 2005, S. 29-39 (34); Taupitz/Fröhlich, VersR 1997, 914, Wolfslast, Einwilligungsfähigkeit im Lichte der Bioethik-Konvention, KritV 1998, S. 74 f.; Taupitz, Forschung mit Kindern, JZ 2003, S. 109 f., Merkel: „Nichttherapeutische klinische Studien an Einwilligungsunfähigen: Rechtsethisch legitim oder verboten?“ in: Bernat (Hrsg.) Recht und Ethik der Arzneimittelforschung, Wien 2003, S. 171 f. 277

v. Dewitz/Luft/Pestalozza<br />

<strong>Ethik</strong>kommissionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen <strong>Forschung</strong> - Oktober 2004<br />

e<strong>in</strong>willigungsfähigen Erwachsenen grundsätzlich von <strong>der</strong> Formulierung „o<strong>der</strong><br />

ke<strong>in</strong>e Risiken mit sich br<strong>in</strong>gt“ gedeckt 361 . Auch s<strong>in</strong>d diese Behörden <strong>der</strong><br />

Auffassung, aus <strong>der</strong> Verankerung des Gruppennutzens für bestimmte<br />

Personengruppen (geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d offenbar M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährige und e<strong>in</strong>willigungsfähige<br />

Erwachsene, vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 AMG n.F.) könne nicht<br />

gefolgert werden, dass die Zulässigkeit <strong>der</strong> placebokontrollierten <strong>Forschung</strong> bei<br />

nicht e<strong>in</strong>willigungsfähigen Erwachsenen die E<strong>in</strong>führung des Gruppennutzens<br />

voraussetzt. Auch die sogenannte re<strong>in</strong> fremdnützige <strong>Forschung</strong> mit nicht<br />

e<strong>in</strong>willigungsfähigen Erwachsenen bei Arzneimittelprüfungen ist damit nach<br />

Auffassung diese Behörden offenbar nunmehr rechtlich zulässig.<br />

Dies hält e<strong>in</strong>er verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Selbst wenn man<br />

davon ausgeht, dass „gruppennützige“ Arzneimittelforschung mit<br />

Nichte<strong>in</strong>willigungsfähigen ke<strong>in</strong>e Verletzung <strong>der</strong> Menschenwürde darstellt 362 , ist<br />

nicht e<strong>in</strong>zusehen, warum e<strong>in</strong>willigungsfähige Erwachsene <strong>in</strong>soweit besser gestellt<br />

werden sollten, als nicht e<strong>in</strong>willigungsfähige, obgleich letztere schutzbedürftiger<br />

361 Den Verfassern vorliegendes Schreiben des BMGS vom 24. August 2004.<br />

362 E<strong>in</strong>e Menschenwürdeverletzung bejahen Höfl<strong>in</strong>g/Demel, Zur <strong>Forschung</strong> an<br />

Nichte<strong>in</strong>willigungsfähigen, MedR 1999, 540; Höfl<strong>in</strong>g, Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen, das<br />

„Menschenrechtsübere<strong>in</strong>kommen zur Biomediz<strong>in</strong>“ und die Grund- und Menschenrechte,<br />

KritV 1998, S. 99 f.; Spranger, Fremdnützige <strong>Forschung</strong> an E<strong>in</strong>willigungsunfähigen,<br />

Bioethik und kl<strong>in</strong>ische Arzneimittelprüfung, MedR 2001, S. 238; Jürgens, Fremdnützige<br />

<strong>Forschung</strong> an e<strong>in</strong>willigungsunfähigen Personen nach deutschem Recht und nach dem<br />

Menschenrechtsübere<strong>in</strong>kommen für Biomediz<strong>in</strong>, KritV 1998, S. 34 f.; Stoeter/von Dewitz:<br />

Vorstoß durch die H<strong>in</strong>tertür – Die versuchte E<strong>in</strong>führung fremdnütziger <strong>Forschung</strong> an<br />

M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigen per Arzneimittelgesetz, Blätter für deutsche und <strong>in</strong>ternationale Politik,<br />

September 2003, S. 1091 f.; Freund: Aus <strong>der</strong> Arbeit e<strong>in</strong>er <strong>Ethik</strong>-Kommission: Zur<br />

Steuerung von Wissenschaft durch Organisation, MedR 2001, S. 65 (Verstoß gegen §§<br />

1627 S. 1, 1901 BGB), Stellungnahme des deutschen Richterbundes, DRiZ 1995, S. 149,<br />

150; Kienle, ZRP 1996, S. 253, 254, Fn. 16; Picker, JZ 2000, S. 693, 704 f.. A.A. Elzer,<br />

Die Grundrechte E<strong>in</strong>willigungsunfähiger <strong>in</strong> kl<strong>in</strong>ischen Prüfungen, MedR 1998, S. 122, 124<br />

f.; Eser, Das Humanexperiment – Zu se<strong>in</strong>er Komplexität und Legitimität,<br />

Gedächtnisschrift für Horst Schrö<strong>der</strong>, 1978, S. 191-215 (209 f.); Helmchen/Lauter (Hrsg.),<br />

Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen? Analyse des Problemfeldes <strong>Forschung</strong>sbedarf<br />

und E<strong>in</strong>willigungsproblematik, 1995; Fischer, Die Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> Europäischen Richtl<strong>in</strong>ie<br />

zur Prüfung von Arzneimitteln, <strong>in</strong>: Deutsch/Schreiber/Spickhoff/Taupitz (Hrsg.) Die<br />

kl<strong>in</strong>ische Prüfung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>, Europäische Regelungswerke auf dem Prüfstand,<br />

Berl<strong>in</strong>/Heidelberg 2005, S. 29-39 (34); Taupitz/Fröhlich, VersR 1997, 914, Wolfslast,<br />

E<strong>in</strong>willigungsfähigkeit im Lichte <strong>der</strong> Bioethik-Konvention, KritV 1998, S. 74 f.; Taupitz,<br />

<strong>Forschung</strong> mit K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, JZ 2003, S. 109 f., Merkel: „Nichttherapeutische kl<strong>in</strong>ische Studien<br />

an E<strong>in</strong>willigungsunfähigen: Rechtsethisch legitim o<strong>der</strong> verboten?“ <strong>in</strong>: Bernat (Hrsg.)<br />

Recht und <strong>Ethik</strong> <strong>der</strong> Arzneimittelforschung, Wien 2003, S. 171 f.<br />

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