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Tradition und Brauchtum im Lötschental Tradition and custom in the ...

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<strong>Tradition</strong> <strong>und</strong> <strong>Brauchtum</strong><br />

<strong>im</strong> Lötschental<br />

<strong>Tradition</strong> <strong>and</strong> <strong>custom</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>the</strong> Lötschental<br />

Deutsch | English


<strong>Tradition</strong> für die Zukunft<br />

Folklore, <strong>Brauchtum</strong>, <strong>Tradition</strong> – als visuelle<br />

<strong>und</strong> akustische Zeichen stellen sie e<strong>in</strong>e Art<br />

Kurzsprache dar. Sie dienen der Orientierung<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er uniformen Welt. Und wenn sie bisweilen<br />

e<strong>in</strong>er <strong>and</strong>ern Zeit zu entstammen sche<strong>in</strong>en,<br />

s<strong>in</strong>d sie doch stets dem Hier <strong>und</strong> Jetzt verpflichtet.<br />

So s<strong>in</strong>d zahlreiche Volksbräuche des Wallis<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bäuerlich-katholischen Symbolsystem<br />

entst<strong>and</strong>en. Trotzdem bestehen sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

multikulturellen Umfeld fort <strong>und</strong> befriedigen<br />

Bedürfnisse e<strong>in</strong>er heutigen Gesellschaft.<br />

Brauch überlebt nur <strong>im</strong> Gebrauch! Entsprechend<br />

unterliegt jede <strong>Tradition</strong> dem Zwang zur<br />

Innovation. Beispiel Tracht: Heute e<strong>in</strong> Symbol<br />

lokaler E<strong>in</strong>zigartigkeit, entwickelte sich dieses<br />

besondere Kleid aus der europäischen Mode des<br />

Ancien Rég<strong>im</strong>e heraus <strong>und</strong> erfuhr <strong>in</strong>zwischen<br />

manchen Formen- <strong>und</strong> Bedeutungsw<strong>and</strong>el. Beispiel<br />

religiöses <strong>Brauchtum</strong>: Bed<strong>in</strong>gt durch den<br />

gesellschaftlichen Umbruch ist dieses grossenteils<br />

aus der öffentlichen Sphäre verschw<strong>und</strong>en.<br />

Doch dort, wo es überlebt, erfährt es e<strong>in</strong>e Aufwertung,<br />

<strong>in</strong>dem ihm nun als lokales Kulturgut<br />

e<strong>in</strong>e neue Funktion zukommt. So stellen die<br />

Prozessionen an Fronleichnam an zahlreichen<br />

Orten des Wallis nach wie vor Höhepunkte <strong>im</strong><br />

lokalen Festleben dar.<br />

2<br />

«In das verlorene Paradies kehrt ke<strong>in</strong> Mensch zurück. Aber nichts verbietet uns,<br />

die unvergänglichen <strong>in</strong>neren Werte früherer Lebensformen auf e<strong>in</strong>er neuen Stufe der<br />

technischen Entwicklung anzustreben. Wer die verste<strong>in</strong>erten Formen vergangener Zeiten<br />

künstlich erhalten will, liebt die Vergangenheit nicht um ihrer lebendigen Wahrheit<br />

willen.»<br />

Arnold Niederer, 1914 – 1998, Schweizer Volksk<strong>und</strong>ler


<strong>Tradition</strong> for <strong>the</strong> future<br />

Folklore, Custom <strong>and</strong> <strong>Tradition</strong> are <strong>the</strong><br />

visual <strong>and</strong> acoustic signs of a language. They<br />

give orientation <strong>in</strong> a uniform world. They are<br />

committed to <strong>the</strong> here <strong>and</strong> now, even if <strong>the</strong>y<br />

seem to orig<strong>in</strong>ate <strong>in</strong> <strong>the</strong> past. Many regional<br />

traditions <strong>in</strong> Valais stem from a rustic-catholic<br />

symbolsystem. They still exist <strong>in</strong> a multicultural<br />

sphere <strong>and</strong> meet <strong>the</strong> needs of today's society.<br />

Custom survive only if used. Every tradition is<br />

<strong>the</strong>refore forced to <strong>in</strong>novate. Take <strong>the</strong> costume<br />

as an example: it is today a symbol of local<br />

uniqueness orig<strong>in</strong>at<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>the</strong> European Ancien<br />

Rég<strong>im</strong>e's fashion <strong>and</strong> went down <strong>the</strong> centuries<br />

through many form- <strong>and</strong> significance changes.<br />

Consider <strong>the</strong> religious <strong>custom</strong>: partly through<br />

<strong>the</strong> radical changes <strong>in</strong> <strong>the</strong> society it has almost<br />

disappeared; it now plays a new role as a cultural<br />

good. In many Valais villages <strong>the</strong> Corpus<br />

Christi processions are <strong>the</strong> highlights of <strong>the</strong> local<br />

celebrations.<br />

“There is no return to <strong>the</strong> lost paradise. Noth<strong>in</strong>g though will forbid us to strive<br />

for new steps of elevated technical development from <strong>the</strong> <strong>im</strong>perishable <strong>in</strong>ner values of<br />

past life styles. One who artificially holds on to petrified forms of past t<strong>im</strong>es does not<br />

love <strong>the</strong> past for its lively sense of truth.”<br />

Arnold Niederer, 1914 – 1998, Swiss Folklorist<br />

3


Den Umgang mit den Ressourcen regeln<br />

1<br />

2<br />

4<br />

Die Tesseln<br />

Nicht jede <strong>Tradition</strong> ist geeignet, <strong>im</strong> geänderten Umfeld der Moderne zu<br />

bestehen. So ist <strong>im</strong> Gleichschritt mit der bäuerlichen Lebensweise auch die<br />

Tessel, dieses multifunktionale Kerbholz, aus dem Oberwalliser Alltag verschw<strong>und</strong>en.<br />

Bei den Tesseln (Tässlä) h<strong>and</strong>elt es sich um Holzurk<strong>und</strong>en. Mit Kerben wurden<br />

auf ihnen Rechte <strong>und</strong> Pflichten festgehalten – so beispielsweise die Alprechte,<br />

das heisst die Anzahl Vieh, die e<strong>in</strong>e Familie <strong>im</strong> Sommer auf die Alp<br />

treiben durfte. E<strong>in</strong> <strong>and</strong>eres Beispiel ist die Bewässerung. Hier g<strong>in</strong>g es darum,<br />

nicht nur die Reihenfolge bei der Nutzung des Wassers zu regeln, sondern<br />

auch die Nutzungsdauer der e<strong>in</strong>zelnen Berechtigten festzuhalten: E<strong>in</strong>e volle<br />

E<strong>in</strong>kerbung auf dem Holzstück gewährte etwa vier St<strong>und</strong>en Wässerzeit, e<strong>in</strong>e<br />

halbe Kerbe zwei St<strong>und</strong>en.<br />

Oft wurde mit den Kerbhölzern auch die Rangordnung bei kollektiven Arbeiten<br />

festgelegt. So z.B. die Reihenfolge für das Hüten von Ziegen <strong>und</strong> Schafen,<br />

die Regelung der Nachtwache <strong>im</strong> Dorf, das Geme<strong>in</strong>werk, das Amt des Alpvogts,<br />

des Fahnenträgers bei der Prozession oder des Kapellen-Sakristans.<br />

1<br />

2<br />

Alptesseln aus Kippel. Als Er<strong>in</strong>nerungszeichen mahnt<br />

die Tessel uns Heutige, die kollektiven Ressourcen gerecht<br />

zu verteilen <strong>und</strong> nachhaltig zu nutzen.<br />

Alptesseln from Kippel. The Tesseln rem<strong>in</strong>d us to share<br />

<strong>the</strong> collective ressources <strong>in</strong> a fair way <strong>and</strong> to use <strong>the</strong>m<br />

susta<strong>in</strong>ably.<br />

Alprechnung der Kummenalp, Ferden. Die Kontrolle<br />

erfolgt mithilfe von Holztesseln. Aufnahme um 1930<br />

von Albert Nyfeler.<br />

Statement of account for <strong>the</strong> Kummenalp, Ferden. The<br />

wooden Tesseln are used to control <strong>the</strong> bill. Photo by<br />

Albert Nyfeler, 1930.<br />

4


3<br />

Regulat<strong>in</strong>g <strong>the</strong> use of <strong>the</strong> resources<br />

3<br />

4<br />

Die Faldumalp auf dem Territorium der Geme<strong>in</strong>de<br />

Ferden. Im Lötschental s<strong>in</strong>d Alpweiden <strong>in</strong> kollektivem<br />

Besitz, der Betrieb erfolgte jedoch <strong>in</strong> privater E<strong>in</strong>zelalpung.<br />

Entsprechend besass jede Familie ihre eigene<br />

Hütte, sodass überall kle<strong>in</strong>e Alpdörfchen entst<strong>and</strong>en.<br />

The Faldumalp on <strong>the</strong> territory of <strong>the</strong> Ferden municipality.<br />

In <strong>the</strong> Lötschental alp<strong>in</strong>e pastures are collectively<br />

owned, privately worked though. Every family had its<br />

own cab<strong>in</strong> <strong>and</strong> small alp<strong>in</strong>e villages arose everywhere.<br />

Kehrstock zur Regelung der Schafhut des Dörfchens<br />

Wyssried, Geme<strong>in</strong>de Blatten. Der mit 1889 datierte<br />

Holzstab zeigt die Familienzeichen der Haushalte.<br />

Die Reihenfolge der Zeichen best<strong>im</strong>mt die Kehrordnung<br />

des Hütedienstes.<br />

Cane show<strong>in</strong>g <strong>the</strong> sheep's tend<strong>in</strong>g regulation <strong>in</strong> <strong>the</strong><br />

hamlet of Wyssried, municipality of Blatten. The 1889<br />

dated wooden cane shows <strong>the</strong> households' family<br />

arms. The order of <strong>the</strong> arms determ<strong>in</strong>e <strong>the</strong> sheeps'<br />

tend<strong>in</strong>g rotation.<br />

The Tesseln<br />

In a chang<strong>in</strong>g modern world, not every tradition is suited to survive. Toge<strong>the</strong>r<br />

with <strong>the</strong> rustic way of life <strong>the</strong> Tesseln vanished from <strong>the</strong> high Valais'<br />

everyday life.<br />

The Tesseln (Tässlä) are <strong>in</strong> wood carved documents. Rights <strong>and</strong> duties were<br />

<strong>in</strong>scribed on wood pieces by means of notches. The Alp rights for <strong>in</strong>stance,<br />

fix<strong>in</strong>g <strong>the</strong> number of cattle heads a family could take <strong>in</strong> summer to <strong>the</strong> Alp.<br />

Ano<strong>the</strong>r example is <strong>the</strong> irrigation. The order <strong>and</strong> <strong>the</strong> duration of <strong>the</strong> irrigation<br />

for each legit<strong>im</strong>ate l<strong>and</strong>owner were duly consigned: a whole notch<br />

stood for four hours of water, half a notch for two hours.<br />

The hierarchy <strong>in</strong> collective works was also registered on <strong>the</strong> carved wood<br />

pieces: <strong>the</strong> order to tend goats <strong>and</strong> sheeps, to overtake <strong>the</strong> nightwatch <strong>in</strong> <strong>the</strong><br />

village, to carry on voluntary works, to bear <strong>the</strong> colours dur<strong>in</strong>g <strong>the</strong> procession<br />

or to be <strong>the</strong> chapel ecclesiastic.<br />

5


Europäische Kultur <strong>im</strong> Bergdorf<br />

Der Alpenbarock<br />

Als Reaktion auf die Reformation gibt sich die katholische Erneuerungsbewegung<br />

bewusst ausschweifend. Die emotionale Kraft der barocken Bildersprache<br />

soll die Gläubigen für den katholischen Glauben zurückgew<strong>in</strong>nen.<br />

Die von Rom ausgehende Dynamik erreicht <strong>im</strong> 17. Jahrh<strong>und</strong>ert über das<br />

tonangebende Goms das ganze Wallis. Es entstehen unzählige Zeichen<br />

des Glaubens, etwa <strong>in</strong> Form von Kirchen, Kapellen, Bittstöcken <strong>und</strong> Wegkreuzen.<br />

Im Verb<strong>und</strong> mit e<strong>in</strong>em aufblühenden Wallfahrts- <strong>und</strong> Prozessionswesen<br />

stehen sie für e<strong>in</strong>e die bäuerliche Existenz durchdr<strong>in</strong>gende, religiöse<br />

Gr<strong>und</strong>haltung.<br />

6<br />

1


European Culture <strong>in</strong> alp<strong>in</strong>e villages<br />

The Alp Baroque<br />

The catholic renovation movement reacts with excess to <strong>the</strong> Reformation.<br />

The emotion-loaded baroque metaphorical language shall br<strong>in</strong>g <strong>the</strong> worshippers<br />

back to catholicism. The <strong>in</strong> Rome orig<strong>in</strong>at<strong>in</strong>g dynamics reaches <strong>in</strong><br />

<strong>the</strong> 17 th century <strong>the</strong> whole Valais, Goms sett<strong>in</strong>g <strong>the</strong> tone. Numerous signs<br />

of faith come <strong>in</strong>to be<strong>in</strong>g, churches, chapels, calvaries <strong>and</strong> wayside crosses.<br />

Toge<strong>the</strong>r with a flourish<strong>in</strong>g development of pilgr<strong>im</strong>ages <strong>and</strong> processions<br />

<strong>the</strong>y all show a strong penetration of religion <strong>in</strong> <strong>the</strong> rustic life.<br />

1<br />

Barocker Hochaltar <strong>in</strong> der Sankt Mart<strong>in</strong>skirche <strong>in</strong><br />

Kippel. Der Altar stammt aus dem Jahr 1740 <strong>und</strong> illustriert<br />

das barocke Lebensgefühl mit se<strong>in</strong>er Lust an<br />

starken Farben <strong>und</strong> üppigen Formen.<br />

Baroque ma<strong>in</strong> Altar <strong>in</strong> <strong>the</strong> Sa<strong>in</strong>t Mart<strong>in</strong> Church <strong>in</strong> Kippel.<br />

The Altar, dat<strong>in</strong>g from <strong>the</strong> year 1740 illustrates<br />

<strong>the</strong> baroque's liv<strong>in</strong>g spirit with its strong colours <strong>and</strong><br />

voluptuous shapes.<br />

7


1 2<br />

8<br />

1<br />

Innenraum der Marienkapelle <strong>in</strong> Kühmad <strong>im</strong> Lötschental.<br />

Der Barockbau stammt aus dem Jahre 1655, die<br />

Altäre aus dem frühen 18. Jahrh<strong>und</strong>ert. Von der Bedeutung<br />

der Kapelle als barocker Wallfahrtsort zeugen<br />

unter <strong>and</strong>erem zahlreiche noch erhaltene Votivbilder.<br />

Inside of <strong>the</strong> Maria Chapel <strong>in</strong> Kühmad <strong>in</strong> <strong>the</strong> Lötschental.<br />

The baroque build<strong>in</strong>g was constructed <strong>in</strong> 1655,<br />

<strong>the</strong> altars <strong>in</strong> <strong>the</strong> early 18 th century. The many well preserved<br />

votive pictures show <strong>the</strong> chapel's significance<br />

as baroque place of pilgr<strong>im</strong>age.<br />

2<br />

Strahlenkranzmadonna (Detail) <strong>in</strong> der Marienkapelle<br />

von Kühmad. In der Mitte des Hochaltars stehend,<br />

bildet die Muttergottes mit K<strong>in</strong>d das zentrale Gnadenbild<br />

des Wallfahrtsortes. Kühmad war <strong>in</strong> früherer Zeit<br />

Zielort zahlreicher Prozessionen.<br />

The crowned Madonna (detail) <strong>in</strong> <strong>the</strong> Maria Chapel <strong>in</strong><br />

Kühmad. On <strong>the</strong> ma<strong>in</strong> Altar <strong>the</strong> Madonna with child<br />

builds <strong>the</strong> central picture of this place of pilgr<strong>im</strong>age.<br />

Kühmad was once <strong>the</strong> dest<strong>in</strong>ation of numerous processions.


3<br />

4<br />

3<br />

Theodulsfigur mit Glocke <strong>im</strong> Hochaltar der Pfarrkirche<br />

von Kippel. Als L<strong>and</strong>espatron des Wallis <strong>und</strong><br />

Schutzpatron der W<strong>in</strong>zer erfreute sich der heilige<br />

Theodul hierzul<strong>and</strong>e ganz besonderer Belieb<strong>the</strong>it.<br />

Theodul's statue with bell <strong>in</strong> <strong>the</strong> ma<strong>in</strong> altar of <strong>the</strong><br />

Kippel's parish church. Theodul, patron sa<strong>in</strong>t of Valais<br />

<strong>and</strong> of <strong>the</strong> w<strong>in</strong>e growers was very popular with <strong>the</strong><br />

local population.<br />

4<br />

Lorenz Just<strong>in</strong> Ritz (1796 – 1870): Votivbild von 1833<br />

aus der Sankt Annakapelle «Auf der Furen» oberhalb<br />

Kippel. Votivbilder wurden von den Gläubigen <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Notlage als Bitte oder nach e<strong>in</strong>er Erhörung als<br />

Dank an e<strong>in</strong>em heiligen Ort – meist e<strong>in</strong>er Wallfahrtskapelle<br />

– h<strong>in</strong>terlegt. Be<strong>im</strong> vorliegenden Bild h<strong>and</strong>elt<br />

es sich vermutlich um den Dank für e<strong>in</strong>en erhörten<br />

K<strong>in</strong>derwunsch.<br />

Lorenz Just<strong>in</strong> Ritz (1796 – 1870): Votive picture, dated<br />

1833 <strong>in</strong> <strong>the</strong> Sa<strong>in</strong>t Anna Chapel “Auf der Furen” above<br />

Kippel. Worshippers posted votive pictures express<strong>in</strong>g<br />

a plea or a thank for be<strong>in</strong>g heard <strong>in</strong> holy places, often<br />

<strong>in</strong> a pilgr<strong>im</strong>age chapel. This picture probably expresses<br />

gratitude for a fulfilled desire for a child.<br />

9


Die Welt auf den Kopf stellen<br />

Fasnacht<br />

Die dörfliche Ordnung rituell auf den Kopf zu stellen, ist seit je das Privileg<br />

der Jugend – wenn auch nur e<strong>in</strong>mal <strong>im</strong> Jahr, anlässlich der Fasnacht <strong>im</strong><br />

Februar. Von der Vielfalt der früheren Fasnacht vermochten sich nur wenige<br />

Figuren <strong>in</strong> die Gegenwart zu retten, so die «Tschäggättä» <strong>im</strong> Lötschental mit<br />

ihren grossen, fratzenhaften Holzmasken.<br />

Unter dem E<strong>in</strong>fluss von Zeitgeschmack <strong>und</strong> Nachfrage haben sich die Masken<br />

formal ständig verändert. E<strong>in</strong>e gewisse Konstanz verrät dagegen das<br />

Material: Die Masken s<strong>in</strong>d meist aus Arvenholz geschnitzt <strong>und</strong> der Pelz,<br />

besteht <strong>in</strong> der Regel aus Schaf- oder Ziegenfell.<br />

Als Inbegriff des Echten <strong>und</strong> Alp<strong>in</strong>en entwickeln sich die Lötschentaler<br />

Holzmasken <strong>im</strong> Laufe des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts zum kantonalen, ja nationalen<br />

Markenzeichen. Und als touristisches Souvenir<br />

werden sie zum Exportschlager.<br />

Heute stellen die Schnitzer die Masken wieder<br />

vermehrt zu ihrem eigenen Vergnügen her, das<br />

heisst zum ausschliesslichen Zweck des Maskenlaufens.<br />

Diese Rückkehr zu den Ursprüngen<br />

geht e<strong>in</strong>her mit e<strong>in</strong>em markanten W<strong>and</strong>el des<br />

Brauchs. So treten die «Tschäggättä» nun auch<br />

nachts auf, was früher streng verboten war. Und<br />

unter den Masken verstecken sich nicht mehr<br />

nur ledige Jungmänner, sondern ganz e<strong>in</strong>fach<br />

alle, die Lust haben an diesem wilden Treiben.<br />

10<br />

1 – 3<br />

«Tschäggättä» <strong>im</strong> Lötschental<br />

“Tschäggättä” <strong>in</strong> <strong>the</strong> Lötschental<br />

1 2


Turn <strong>the</strong> world on its head<br />

Shrovetide<br />

It was always <strong>the</strong> privilege of <strong>the</strong> youth, at least once a year for <strong>the</strong> shrovetide<br />

carnival <strong>in</strong> February, to disturb <strong>the</strong> village rout<strong>in</strong>e.<br />

Only a few figures of <strong>the</strong> ancient carnival outlived till today, so <strong>the</strong><br />

“Tschäggättä” <strong>in</strong> <strong>the</strong> Lötschental with <strong>the</strong>ir big grotesque face wooden<br />

masks.<br />

The prevail<strong>in</strong>g taste <strong>and</strong> <strong>the</strong> dem<strong>and</strong> let <strong>the</strong> masks often change.The material<br />

however stayed <strong>the</strong> same: <strong>the</strong> masks are still carved out of p<strong>in</strong>e<br />

wood, <strong>the</strong> fur is usually of sheeps- or goatsk<strong>in</strong>.<br />

For <strong>the</strong>ir genu<strong>in</strong>eness <strong>and</strong> alp<strong>in</strong>e character <strong>the</strong> Lötschental wood masks<br />

became <strong>in</strong> <strong>the</strong> 20 th century a cantonal <strong>and</strong> national trademark. They now<br />

are export hits, as local souvenirs.<br />

The woodcarvers today create masks for <strong>the</strong>ir own<br />

pleasure <strong>and</strong> for <strong>the</strong> sole a<strong>im</strong> of <strong>the</strong> carnival's procession.<br />

The <strong>custom</strong> changes. The “Tschäggättä”<br />

appear today at nightt<strong>im</strong>e which, <strong>in</strong> <strong>the</strong> past, was<br />

strictly forbidden. Under <strong>the</strong> masks hide not only<br />

s<strong>in</strong>gle young men but every one wish<strong>in</strong>g to be part<br />

of <strong>the</strong> wild hustle.<br />

4<br />

Maskenschnitzer<br />

Woodcarver<br />

11<br />

3 4


Chiächl<strong>in</strong>i<br />

Essen <strong>und</strong> Tr<strong>in</strong>ken gehören zur Fasnacht wie Verkleidung <strong>und</strong> Musik. Als<br />

besondere Köstlichkeit werden <strong>im</strong> Lötschental an der Fasnacht «Chiächl<strong>in</strong>i»<br />

(Küchle<strong>in</strong>) gebacken. Dabei hütet jede Familie ihr eigenes Rezept.<br />

Nachfolgend sei e<strong>in</strong>e Variante aus Wiler preisgegeben für zwei Kilogramm<br />

«Chiächl<strong>in</strong>i»:<br />

125 g Kochbutter leicht erwärmen <strong>und</strong> zum Schmelzen br<strong>in</strong>gen. 2,5 dl<br />

Rahm, 300 g Zucker, 1 Beutel Vanillezucker, 2 dl Weisswe<strong>in</strong>, 2 dl Kirsch,<br />

2 dl Bergamotte, 1 Fläschchen Dr. Oetker Zitronen-Aroma beigeben. 10<br />

Eier schlagen <strong>und</strong> 1 Prise Salz h<strong>in</strong>zugeben, mit Kochbuttermasse vermengen.<br />

1 kg Mehl <strong>und</strong> Safran be<strong>im</strong>ischen. 1 kg Mehl <strong>und</strong> 2 Beutel Backpulver<br />

auf den Tisch streuen. Masse auf das Mehl legen <strong>und</strong> kneten, bis<br />

der Teig geschmeidig ist. Teig 2 St<strong>und</strong>en ruhen lassen. Auswallen <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

Frittieröl backen.<br />

Rezept von Andrea Ritler-Ebener, Wiler<br />

12


Chiächl<strong>in</strong>i<br />

Food belongs to carnival as much as disguise <strong>and</strong> music. A special treat<br />

are <strong>the</strong> cookies “Chiächl<strong>in</strong>i” (small cakes) baked for <strong>the</strong> shrovetide carnival<br />

<strong>in</strong> <strong>the</strong> Lötschental. Each family keeps its own recipe secret. Here is<br />

a recipe from <strong>the</strong> village of Wiler, for two kilos “Chiächl<strong>in</strong>i”:<br />

Warm up 125 g butter, add 2.5 dl Cream,<br />

300 g sugar, 1 pack vanilla sugar, 2 dl<br />

white w<strong>in</strong>e, 2 dl Kirsch, 2 dl Bergamot,<br />

1 small bottle lemon-flavour (Dr. Oetker).<br />

Beat 10 eggs, add a p<strong>in</strong>ch of salt,<br />

mix it with <strong>the</strong> butter. Add 1 kilo flour <strong>and</strong><br />

safran. Spr<strong>in</strong>kle 1 kg flour <strong>and</strong> 2 bak<strong>in</strong>g<br />

powder packets on your kitchen table. Put<br />

<strong>the</strong> mixture on <strong>the</strong> flour bed <strong>and</strong> knead it<br />

until workable. Let <strong>the</strong> dough rest for two<br />

hours. Cut out <strong>and</strong> bake <strong>in</strong> fry<strong>in</strong>g oil.<br />

Recipe from Andrea Ritler-Ebener, Wiler<br />

13


Für Gott <strong>und</strong> die Welt<br />

Die Herrgottsgrenadiere<br />

Jeweils am zweiten Donnerstag nach Pf<strong>in</strong>gsten feiert die katholische Kirche<br />

das Fest Fronleichnam. Höhepunkt des Tages ist die Prozession durchs Dorf.<br />

Mit den ritualisierten Bewegungsabläufen, dem Auftritt kostümierter Gruppen<br />

<strong>und</strong> der akustischen Begleitung mit Musik <strong>und</strong> Chorgesängen kommt<br />

dieser feierliche Umgang e<strong>in</strong>er Art Schauspiel gleich. E<strong>in</strong> ganz besonderes<br />

Gepräge verleihen der Prozession <strong>im</strong> Lötschental die Herrgottsgrenadiere <strong>in</strong><br />

ihren historischen Uniformen.<br />

For God <strong>and</strong> for all<br />

14<br />

The Lord's Grenadiers<br />

On <strong>the</strong> second Thursday after Pentecost <strong>the</strong> catholic Church celebrates <strong>the</strong><br />

Feast of Corpus Christi. Highlight of <strong>the</strong> day is <strong>the</strong> procession through <strong>the</strong><br />

whole village. With <strong>the</strong> ritual gestures, <strong>the</strong> appearance of dressed up groups<br />

<strong>and</strong> <strong>the</strong> acoustic accompan<strong>im</strong>ent of b<strong>and</strong>s <strong>and</strong> choruses <strong>the</strong> event resembles<br />

a <strong>the</strong>ater play. In <strong>the</strong> Lötschental <strong>the</strong> Lord's Grenadiers <strong>in</strong> <strong>the</strong>ir historic<br />

costumes give <strong>the</strong> procession a special <strong>im</strong>age.<br />

1


1 | 2<br />

Herrgottsgrenadiere <strong>in</strong> Kippel<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> Blatten<br />

The Lord's Grenadiers <strong>in</strong> Kippel<br />

<strong>and</strong> <strong>in</strong> Blatten<br />

Aufgabe der Grenadiere ist es, bei der Prozession durchs Dorf dem<br />

Allerheiligsten das Geleit zu geben. Am Nachmittag treten sie dann bei der<br />

Parade e<strong>in</strong> zweites Mal auf. Dabei schwenkt der Fähnrich unter den Klängen<br />

der Musikgesellschaft die Geme<strong>in</strong>defahne.<br />

Kirchliches <strong>Brauchtum</strong> <strong>und</strong> weltliche Schauparade – wie geht das zusammen?<br />

Dazu Konstant<strong>in</strong> Kalbermatten, Wachtmeister der Herrgottsgrenadiere<br />

von Blatten: «Wir müssen das Religiöse <strong>und</strong> das Weltliche ause<strong>in</strong><strong>and</strong>erhalten.<br />

Wenn wir <strong>in</strong> die Kirche e<strong>in</strong>marschieren <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Prozession<br />

mitgehen, fühlen wir uns als Beschützer des Allerheiligsten. Anders verhält<br />

es sich am Nachmittag bei der Fahnenparade. Da präsentieren wir uns gerne<br />

dem Publikum <strong>und</strong> wollen ihm auch etwas bieten.»<br />

The Grenadiers' task is to accompany <strong>the</strong> Blessed Sacrament dur<strong>in</strong>g<br />

<strong>the</strong> procession through <strong>the</strong> village. They make a second appearance <strong>in</strong> <strong>the</strong><br />

afternoon, jo<strong>in</strong><strong>in</strong>g <strong>the</strong> parade. The colours-bearer, accompanied by <strong>the</strong> local<br />

music waves <strong>the</strong> banner of <strong>the</strong> municipality.<br />

How do religious <strong>custom</strong> <strong>and</strong> show parade go toge<strong>the</strong>r? Konstant<strong>in</strong> Kalbermatten,<br />

Officer of <strong>the</strong> Blatten's Lord's Grenadiers: “We should keep <strong>the</strong> religious<br />

<strong>and</strong> <strong>the</strong> secular apart. When we accompany <strong>the</strong> procession <strong>and</strong> enter<br />

<strong>the</strong> church we feel as <strong>the</strong> Blessed Sacrament's protectors. In <strong>the</strong> afternoon,<br />

dur<strong>in</strong>g <strong>the</strong> Parade, we are proud to present ourselves to <strong>the</strong> public <strong>and</strong> to<br />

put on a show.”<br />

15<br />

2


1<br />

E<strong>in</strong> Modekleid?<br />

16<br />

Die Tracht<br />

Die Tracht wird geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> als etwas Zeitloses empf<strong>und</strong>en.<br />

Gleichwohl unterliegt auch sie den zeitbed<strong>in</strong>gten<br />

E<strong>in</strong>flüssen von Innovation <strong>und</strong> W<strong>and</strong>el.<br />

Im Lötschental hat sich die Tracht <strong>in</strong> jüngster Zeit<br />

zum re<strong>in</strong>en Kirchenkleid entwickelt. Als solches<br />

wird sie heute auch von jüngeren Frauen getragen.<br />

Zu ihnen gehört Domenica Volken-Ritler aus<br />

Kippel, die an den dre<strong>im</strong>al jährlich stattf<strong>in</strong>denden<br />

Prozessionen jeweils <strong>in</strong> der Festtagstracht teiln<strong>im</strong>mt:<br />

«Die Tracht ist schön, sie kleidet e<strong>in</strong>en gut<br />

<strong>und</strong> sie ist wertvoll. Ich trage <strong>und</strong> zeige sie deshalb<br />

auch gern. Doch ziehe ich sie nur für kirchliche Anlässe an <strong>und</strong> würde<br />

damit kaum an e<strong>in</strong>em Folkloreumzug mitmachen.»<br />

In e<strong>in</strong>em ganz <strong>and</strong>eren Trachtenverständnis ist die 1922 <strong>in</strong> Blatten geborene<br />

Irene Henzen-Murmann aufgewachsen. Zu ihrer Zeit war die Tracht<br />

das e<strong>in</strong>zige Frauenkleid <strong>im</strong> Lötschental. Als sie sich 1946 e<strong>in</strong> neues Kleid<br />

nach e<strong>in</strong>em älteren Modell schneidern liess, stiess sie auf Ablehnung:<br />

«Ich b<strong>in</strong> <strong>in</strong> Blatten die Erste gewesen, die wieder e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>teilige Tracht<br />

(Chleid) gehabt hat, sonst hat man ja zweiteilige Trachten (Schurz <strong>und</strong><br />

Tschoop) gehabt. Das ‹Chleid› war total verschw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> es brauchte<br />

Courage, zum ersten Mal wieder e<strong>in</strong> solches zu tragen.» Die Tracht ist<br />

hier ke<strong>in</strong> Sonderkleid, sondern e<strong>in</strong> Alltagsgew<strong>and</strong>, das dem W<strong>and</strong>el des<br />

Zeitgeschmacks folgt.


1 – 3<br />

Trachtenfrauen an der<br />

Fronleichnamsprozession<br />

<strong>in</strong> Blatten<br />

Women <strong>in</strong> costume dur<strong>in</strong>g<br />

<strong>the</strong> Corpus Christi<br />

procession <strong>in</strong> Blatten<br />

2 3<br />

A fashion dress?<br />

The costume<br />

The costume is considered t<strong>im</strong>eless. It is subject<br />

though to <strong>in</strong>novation <strong>and</strong> changes throughout<br />

<strong>the</strong> ages.<br />

In <strong>the</strong> Lötschental <strong>the</strong> costume recently became<br />

a sheer religious dress. It is worn as such even<br />

by <strong>the</strong> younger women. Domenica Volken-Ritler<br />

from Kippel, tak<strong>in</strong>g part <strong>in</strong> <strong>the</strong> processions<br />

<strong>in</strong> her feast costume three t<strong>im</strong>es a year: “The<br />

costume is beautiful, it looks good on me <strong>and</strong><br />

is pricy. I wear <strong>and</strong> show it with pride <strong>and</strong> plea-<br />

sure. But I wear it only for religious events <strong>and</strong> would not like to be part of<br />

a folkloric parade.”<br />

The <strong>in</strong> Blatten 1922 born Irene Henzen-Murmann was educated <strong>in</strong> a different<br />

<strong>und</strong>erst<strong>and</strong><strong>in</strong>g of <strong>the</strong> costume. In her t<strong>im</strong>e <strong>the</strong> costume was <strong>the</strong> only<br />

dress a woman could wear <strong>in</strong> <strong>the</strong> Lötschental. In 1946 she wanted to have a<br />

new dress tailored on <strong>the</strong> old pattern <strong>and</strong> was met with disapproval: “I was<br />

<strong>the</strong> first one <strong>in</strong> Blatten to wear a one piece costume (Chleid) aga<strong>in</strong>, everyone<br />

else wore a two piece suit (Schurz <strong>and</strong> Tschoop). The ‘Chleid’ had vanished<br />

<strong>and</strong> I needed a lot of courage to wear it aga<strong>in</strong>.” Here is <strong>the</strong> costume not a<br />

fancy dress but an everyday wear follow<strong>in</strong>g <strong>the</strong> changes <strong>in</strong> <strong>the</strong> prevail<strong>in</strong>g<br />

taste.<br />

17


E<strong>in</strong> alp<strong>in</strong>er Erfahrungsschatz<br />

18<br />

E<strong>in</strong> auf Erfahrung beruhendes <strong>und</strong> an der<br />

Ause<strong>in</strong><strong>and</strong>ersetzung mit der natürlichen Umwelt<br />

geschultes Wissen hat <strong>im</strong> Alpenraum oft<br />

sehr eigenständige kulturelle Muster entstehen<br />

lassen. Und <strong>im</strong> Austausch mit <strong>and</strong>ern Welten<br />

<strong>und</strong> neuen Ideen gewonnene Güter <strong>und</strong> Praktiken<br />

wurden von der lokalen Bevölkerung <strong>im</strong><br />

Laufe der Jahrh<strong>und</strong>erte umgeformt <strong>und</strong> haben<br />

so lokale Ausformungen erhalten.<br />

An alp<strong>in</strong>e treasure<br />

Very orig<strong>in</strong>al cultural models orig<strong>in</strong>at<strong>in</strong>g<br />

<strong>in</strong> a practised knowledge based on experience<br />

<strong>and</strong> confrontation with <strong>the</strong> natural environment<br />

often arose <strong>in</strong> <strong>the</strong> Alps. In <strong>the</strong> course of <strong>the</strong><br />

centuries <strong>the</strong> local population has remodeled<br />

goods <strong>and</strong> practises ga<strong>in</strong>ed from <strong>the</strong> exchanges<br />

with <strong>the</strong> outside world <strong>and</strong> new ideas <strong>and</strong> given<br />

<strong>the</strong>m a local shape.<br />

«Eschlchüö» <strong>und</strong> «Eschlchalber» aus Blatten <strong>im</strong><br />

Lötschental. Die ausgekochten Fussgelenkknochen von<br />

R<strong>in</strong>dvieh wurden von den K<strong>in</strong>dern als Spielzeugtiere genutzt.<br />

Die grossen Knochen stellten «Eschlchie» (Kühe) dar,<br />

die kle<strong>in</strong>ern «Eschlchalber» (Kälber). In vor<strong>in</strong>dustrieller Zeit<br />

herrschte <strong>im</strong> Berggebiet e<strong>in</strong>e Wirtschaft der knappen Güter.<br />

Wegwerfen war dieser Gesellschaft fremd, Sparzwang best<strong>im</strong>mte<br />

ihren Alltag. Dies galt auch für die Lebenswelt der<br />

K<strong>in</strong>der.<br />

“Eschlchüö” <strong>and</strong> “Eschlchalber” of Blatten <strong>in</strong> <strong>the</strong><br />

Lötschental. The children used <strong>the</strong> cattle's boiled ankle bones<br />

as toy an<strong>im</strong>als. The big bones represented “Eschlchie”<br />

(cows), <strong>the</strong> small ones “Eschlchalber” (calves). In <strong>the</strong> pre<strong>in</strong>dustrial<br />

era <strong>the</strong> mounta<strong>in</strong> world lived <strong>in</strong> a scarce goods<br />

economy. Noth<strong>in</strong>g was thrown away; sav<strong>in</strong>g was <strong>the</strong> key<br />

word, even <strong>in</strong> <strong>the</strong> chidren's world.


«Leibsärru» (Brotteigform) der Familie Josef Murmann<br />

aus Kippel, 1886. Mit der «Leibsärru» wurde der Teig<br />

des Roggenbrots zu e<strong>in</strong>em flachen, r<strong>und</strong>en Laib geformt.<br />

Die kerbschnittverzierte Brotform aus Lärchenholz steht für<br />

den Kunsts<strong>in</strong>n der vor<strong>in</strong>dustriellen Gesellschaft. Gleichzeitig<br />

symbolisiert sie die <strong>in</strong>neralp<strong>in</strong>e Selbstversorgung mit<br />

Viehwirtschaft <strong>und</strong> Ackerbau.<br />

Erste Strophe des Dreikönigsliedes, wie es jeweils<br />

<strong>in</strong> Ferden von den Sternsängern vorgetragen wird. Jeweils<br />

am Vorabend des Dreikönigsfestes, also am 5. Januar, ziehen<br />

die drei Weisen auf reich dekorierten Holzpferdchen<br />

durchs Dorf <strong>und</strong> werden von e<strong>in</strong>em Chor begleitet. Der<br />

Brauch heisst <strong>im</strong> Lötschental «Ch<strong>in</strong>igrossl<strong>in</strong>un».<br />

“Leibsärru” (Bread dough bak<strong>in</strong>g t<strong>in</strong>) belong<strong>in</strong>g to<br />

Josef Murmann's family of Kippel, 1886. The “Leibsärru”<br />

was used to give <strong>the</strong> rye bread dough a flat, ro<strong>und</strong> shape.<br />

The carved <strong>and</strong> decorated larch wood bak<strong>in</strong>g t<strong>in</strong> shows <strong>the</strong><br />

pre-<strong>in</strong>dustrial society's artistic sense. It is also a symbol for<br />

<strong>the</strong> alp<strong>in</strong>e self-sufficiency thanks to stock farm<strong>in</strong>g <strong>and</strong> agriculture.<br />

First strophe of <strong>the</strong> Epiphany song performed by<br />

<strong>the</strong> carol s<strong>in</strong>gers <strong>in</strong> Ferden. On <strong>the</strong> Eve's of <strong>the</strong> Feast of<br />

Epiphany (<strong>the</strong> 5 th of January) <strong>the</strong> three Wise Men from <strong>the</strong><br />

East ride on rich decorated woodhorses through <strong>the</strong> village,<br />

accompanied by a chorus. This <strong>custom</strong> is named “Ch<strong>in</strong>igrossl<strong>in</strong>un”<br />

<strong>in</strong> <strong>the</strong> Lötschental.<br />

19


Alp<strong>in</strong>ismus als Kulturerbe<br />

Als Inbegriff natürlicher Schönheit ist das Bietschhorn längst zum festen<br />

Best<strong>and</strong>teil der regionalen Kulturgeschichte geworden. Dutzendfach<br />

beschrieben, h<strong>und</strong>ertfach gemalt <strong>und</strong> tausendfach fotografiert, gehört die<br />

<strong>im</strong>posante Bergpyramide zum festen Repertoire alp<strong>in</strong>er Bergäs<strong>the</strong>tik. All<br />

diese künstlerischen Erzeugnisse zeugen von e<strong>in</strong>em Alp<strong>in</strong>ismus, der dem<br />

Berg <strong>und</strong> der Bergbevölkerung mit Neugier, E<strong>in</strong>fühlungsvermögen <strong>und</strong> Respekt<br />

begegnet.<br />

1<br />

1<br />

Bietschhorn von der Lauchernalp (Albert Nyfeler,<br />

Öl auf Le<strong>in</strong>w<strong>and</strong>, 1962)<br />

View on <strong>the</strong> Bietschhorn from <strong>the</strong> Lauchernalp<br />

(Albert Nyfeler, Oil on canvas, 1962)<br />

20<br />

Leslie Stephen, 1859 Erstbesteiger des Bietschhorns, sprach von den<br />

Alpen als Spielplatz Europas (The playgro<strong>und</strong> of Europe). Wie sieht dies 150<br />

Jahre später der Lötschentaler Bergführer Pius Henzen? «Den meisten Leuten<br />

geht es sicher um das Bedürfnis, <strong>in</strong> der Natur zu se<strong>in</strong>, etwas, das sie <strong>in</strong> der<br />

Stadt nicht mehr haben; ich me<strong>in</strong>e die Natur mit ihrer Wildheit, zum Beispiel<br />

bei e<strong>in</strong>em Wetterumsturz. Da merkt man schnell, dass man der Natur ausgeliefert<br />

ist, trotz all der Massnahmen, die man heute trifft.»


Alp<strong>in</strong>ism, a cultural Heritage<br />

2<br />

Perfect example of natural beauty, <strong>the</strong> Bietschhorn long t<strong>im</strong>e ago turned<br />

<strong>in</strong>to an essential element of <strong>the</strong> regional cultural history. Dozens of t<strong>im</strong>es<br />

described, h<strong>und</strong>reds of t<strong>im</strong>es pa<strong>in</strong>ted <strong>and</strong> thous<strong>and</strong>s of t<strong>im</strong>es photographed,<br />

<strong>the</strong> <strong>im</strong>pressive pyramidal mounta<strong>in</strong> belongs to <strong>the</strong> def<strong>in</strong>ite repertoire of alp<strong>in</strong>e<br />

aes<strong>the</strong>tics. These artistic creations all show an alp<strong>in</strong>ism meet<strong>in</strong>g <strong>the</strong><br />

mounta<strong>in</strong> <strong>and</strong> its population with curiosity, empathy <strong>and</strong> respect.<br />

2<br />

Bietschtaler Moment VI (Peter Eichwald,<br />

Farbholzschnitt, 2010)<br />

Bietschtaler Moment VI (Peter Eichwald,<br />

Wood engrav<strong>in</strong>g, coloured, 2010)<br />

Leslie Stephen, 1859 first cl<strong>im</strong>ber of <strong>the</strong> Bietschhorn described <strong>the</strong> Alps<br />

as “The Playgro<strong>und</strong> of Europe”. How, 150 years later, does <strong>the</strong> Lötschentaler<br />

Mounta<strong>in</strong> Guide Pius Henzen see it? “Nowadays <strong>the</strong> majority of <strong>the</strong> people<br />

feel <strong>the</strong> need to be <strong>in</strong> <strong>the</strong> nature; I mean <strong>the</strong> real one with its wild character<br />

as we experience dur<strong>in</strong>g a sudden change <strong>in</strong> <strong>the</strong> wea<strong>the</strong>r for example; <strong>the</strong><br />

nature <strong>the</strong>y no longer encounter <strong>in</strong> <strong>the</strong> cities. Very quickly one <strong>und</strong>erst<strong>and</strong>s<br />

how much he is at <strong>the</strong> mercy of nature despite all measures taken today.”<br />

21


Basel<br />

Zürich<br />

Bern<br />

Luzern<br />

Lausanne<br />

Genève<br />

K<strong>and</strong>ersteg<br />

Sion<br />

Interlaken<br />

Spiez<br />

Brig<br />

Milano<br />

Gotthard<br />

Lugano<br />

Chur<br />

Besonderheiten | Peculiarities<br />

Lötschentaler Museum, Kippel<br />

Lötschentaler Museum, Kippel<br />

Maskenkeller Wiler, Familie Rieder He<strong>in</strong>rich<br />

Masks cellar <strong>in</strong> Wiler, Family Rieder He<strong>in</strong>rich<br />

Masken-Werkstatt Blatten, Familie Lehner He<strong>in</strong>rich<br />

Masks workshop <strong>in</strong> Blatten, Family Lehner He<strong>in</strong>rich<br />

Masken-Werkstatt Ried bei Blatten, Familie Siegen Moritz<br />

Masks workshop <strong>in</strong> Ried by Blatten, Family Siegen Moritz<br />

Stalldorf Kühmad mit Wallfahrtskapelle<br />

Cowsheds village of Kühmad <strong>and</strong> Pilgr<strong>im</strong>age Chapel<br />

Geme<strong>in</strong>sames Maskenschnitzen, Ferden<br />

Masks carv<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>the</strong> community, Ferden<br />

St. Mart<strong>in</strong>skirche, Kippel<br />

Sa<strong>in</strong>t Mart<strong>in</strong> Church, Kippel<br />

22<br />

Quellenangaben | References<br />

www.loetschentalermuseum.ch


Unser geme<strong>in</strong>sames Erbe …<br />

24<br />

Der Grosse Aletschgletscher <strong>und</strong> das weltberühmte<br />

Dreigestirn Eiger, Mönch <strong>und</strong> Jungfrau<br />

repräsentieren das Herz des UNESCO Welterbes<br />

Schweizer Alpen. Spektakuläre Hochgebirgsl<strong>and</strong>schaften<br />

stehen <strong>in</strong> dynamischer Symbiose<br />

mit der umgebenden Kulturl<strong>and</strong>schaft. Von mediterran<br />

anmutenden Steppenl<strong>and</strong>schaften bis<br />

zu Gletschern erstreckt sich das Gebiet über<br />

alle Vegetationsstufen. Es ist e<strong>in</strong> hervorragendes<br />

Beispiel für die Entstehung der Gebirge <strong>und</strong><br />

Gletscher <strong>und</strong> den aktuellen Kl<strong>im</strong>aw<strong>and</strong>el.<br />

Die vorliegende Broschüre ist Teil e<strong>in</strong>er Serie,<br />

welche zentrale Welterbe-Themen sowohl <strong>in</strong><br />

ihrer lokalen <strong>und</strong> regionalen als auch ihrer globalen<br />

Bedeutung beleuchtet. Die Verb<strong>in</strong>dung<br />

von Wissen <strong>und</strong> Erlebnissen eröffnet e<strong>in</strong>en neuen<br />

Zugang zu den reichen Schätzen <strong>und</strong> Gehe<strong>im</strong>nissen<br />

des Welterbes <strong>und</strong> schafft Bewusstse<strong>in</strong><br />

für unser geme<strong>in</strong>sames Erbe. Es stellt sich<br />

die zentrale Frage: Was trage ich persönlich zur<br />

Förderung dieses Erbes bei <strong>und</strong> wie geben wir<br />

dieses Erbe der nächsten Generation weiter?<br />

Mehr Gehe<strong>im</strong>nisse entdecken Sie unter www.<br />

myswissalps.ch


Our common Heritage …<br />

The Great Aletsch glacier <strong>and</strong> <strong>the</strong> three<br />

world-famous peaks Eiger, Mönch <strong>and</strong> Jungfrau<br />

are <strong>the</strong> core of <strong>the</strong> UNESCO World Heritage<br />

Swiss Alps. Impressive high mounta<strong>in</strong>s <strong>and</strong> <strong>the</strong><br />

surro<strong>und</strong><strong>in</strong>g cultural l<strong>and</strong>scape have a dynamic<br />

symbiotic relationship.The area stretches from<br />

<strong>the</strong> rocky steppes with a mediterranean character<br />

to <strong>the</strong> glaciers. It is a perfect example of <strong>the</strong><br />

mounta<strong>in</strong> <strong>and</strong> glacier's formation <strong>and</strong> of <strong>the</strong> actual<br />

cl<strong>im</strong>atic changes.<br />

This brochure is part of a series, shedd<strong>in</strong>g light<br />

on central World Heritage <strong>the</strong>mes <strong>and</strong> <strong>the</strong>ir<br />

local, regional <strong>and</strong> global significance. In connect<strong>in</strong>g<br />

knowledge <strong>and</strong> experience a new access<br />

is given to <strong>the</strong> treasures <strong>and</strong> secrets of <strong>the</strong><br />

World Heritage <strong>and</strong> awareness of our common<br />

heritage is created. An <strong>im</strong>portant question arises:<br />

How can I personally contribute to promote<br />

this heritage <strong>and</strong> transmit it to <strong>the</strong> next<br />

generation? Discover more secrets <strong>und</strong>er www.<br />

myswissalps.ch.<br />

25


Legenden | Legends<br />

26<br />

Icons | Icons<br />

Statement / Me<strong>in</strong>ungen | Statement / Op<strong>in</strong>ions<br />

Wissenswertes | Valuable <strong>in</strong>formation<br />

Interview | Interview<br />

Wissenschaft | Science<br />

Sagen / My<strong>the</strong>n | Legend / Myth<br />

Über das Welterbe h<strong>in</strong>aus | Beyond <strong>the</strong> World Heritage<br />

Spiel <strong>und</strong> Spass | Games <strong>and</strong> Fun<br />

Infopunkt | Information Po<strong>in</strong>t<br />

Schwelle | Threshold<br />

www.myswissalps.ch<br />

Themen | Themes<br />

Gebirge | Mounta<strong>in</strong>s<br />

Kl<strong>im</strong>a | Cl<strong>im</strong>ate<br />

Gletscher | Glacier<br />

Wasser | Water<br />

Tiere <strong>und</strong> Pflanzen | Fauna <strong>and</strong> Flora<br />

L<strong>and</strong>wirtschaft | Agriculture<br />

Siedlung | Settlement<br />

Kultur | Culture<br />

Tourismus | Tourism<br />

Verkehr | Traffic


Impressum | Impr<strong>in</strong>t<br />

Herausgeber | Publisher<br />

Stiftung UNESCO Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-<br />

Aletsch, Managementzentrum<br />

Texte <strong>und</strong> Bilder s<strong>in</strong>d urheberrechtlich geschützt. Verwendung<br />

<strong>und</strong> Neudruck nur mit schriftlichem E<strong>in</strong>verständnis<br />

des Herausgebers.<br />

All rights reserved. No part of this publication may be<br />

used or reproduced without <strong>the</strong> prior permission <strong>in</strong> writ<strong>in</strong>g<br />

of <strong>the</strong> Publisher.<br />

1. Ausgabe | 1 st edition<br />

2011<br />

Schutzgebühr | Nom<strong>in</strong>al fee<br />

CHF 2.–<br />

Texte | Script<br />

Lötschentaler Museum, Kippel<br />

Redaktion | Edit<strong>in</strong>g<br />

Andres Betschart<br />

Fotos | Photo credits<br />

Lötschentaler Museum, Lötschental Tourismus, Hans Kalbermatten,<br />

Rita Kalbermatten, Media<strong>the</strong>k Wallis, Bettmeralp<br />

Bahnen, Jungfraubahnen, Laudo Albrecht, Maurus Gsponer,<br />

Stefan Eggel, Stefan Zurschmitten<br />

Gestaltung | Layout<br />

sens’or Gestaltungs-GmbH, Naters<br />

Druck | Pr<strong>in</strong>t<br />

Mengis Druck <strong>und</strong> Verlag, Visp<br />

27


Co-Partner<br />

Nationaler Medienpartner<br />

Regionaler Medienpartner<br />

Regionalpartner<br />

UNESCO Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch<br />

Managementzentrum<br />

CH - 3904 Naters | T: +41 27 924 52 76<br />

www.jungfraualetsch.ch

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