Tote fahren länger - transportreport.de
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Kilometer machen auf die<br />
Fahrerkarte eines <strong>Tote</strong>n –<br />
skrupelloser geht Manipulation<br />
am digitalen Tacho<br />
wohl kaum.<br />
Text I Jan Bergrath<br />
Fotos I Jan Bergrath, Autobahnpolizei Nie<strong>de</strong>rsachsen, diverse Polizeistellen<br />
sei es aus reiner Gier<br />
o<strong>de</strong>r miserabler Kalkulation.<br />
Um gleich an dieser<br />
Stelle zu betonen: Es<br />
geht hier nicht um die<br />
Tatsache, dass manche<br />
Fahrer zum Beispiel am<br />
Wochenen<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>m<br />
Hof, weil ihre Lenkzeit abgelaufen ist, mit<br />
einer frem<strong>de</strong>n Karte mal kurz <strong>de</strong>n Lkw bewegen,<br />
um sich nicht die Ruhezeit kaputt zu<br />
<strong>fahren</strong>. Im hessischen Fall geht es ein<strong>de</strong>utig<br />
um kriminelle Machenschaften.<br />
Die I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>s Hersfel<strong>de</strong>r Unternehmers<br />
ist schnell geklärt: Ein freier Mitarbeiter<br />
<strong>de</strong>s HR, <strong>de</strong>r die lokale Transportbranche gut<br />
kennt, bekommt einen Insi<strong>de</strong>rtipp. Er filmt<br />
vor <strong>de</strong>m kaum anonymisierten Firmengelän<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>r Spedition, die sich auf Eiltransporte<br />
spezialisiert hat. Ein eher kleiner Fisch im<br />
Haifischbecken <strong>de</strong>r Logistik. Der Inhaber verweigert<br />
<strong>de</strong>m HR nach erster Zusage ein Interview,<br />
auch für <strong>de</strong>n<br />
FERNFAHRER ist er<br />
we<strong>de</strong>r telefonisch<br />
noch schriftlich zu<br />
erreichen.<br />
Der HR lässt<br />
einen Fahrer über<br />
die erschrecken<strong>de</strong>n Arbeitsbedingungen im<br />
Fernverkehr und Patrick Fois von Verdi über<br />
die verständliche Angst vieler Fahrer vor <strong>de</strong>m<br />
Verlust ihres Arbeitsplatzes re<strong>de</strong>n – wenn sie<br />
sich tatsächlich <strong>de</strong>m Druck ihrer Chefs verweigern.<br />
Fois betont zu<strong>de</strong>m, dass die Höhe<br />
<strong>de</strong>s angedrohten Bußgel<strong>de</strong>s ein Novum sei,<br />
und hofft dabei auf eine abschrecken<strong>de</strong> Wirkung<br />
für Nachahmer. Doch genau darin könnte<br />
nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Rechtssystem das<br />
Problem liegen. Auch die zuständige Staatsanwaltschaft<br />
Fulda will sich zu <strong>de</strong>n Ermittlungen<br />
nicht im Einzelnen äußern. Immerhin<br />
sagt Harry Wilke, Pressesprecher <strong>de</strong>r<br />
Staatsanwaltschaft Fulda, auf Nachfrage <strong>de</strong>s<br />
FERNFAHRER: „Die Pressemeldung <strong>de</strong>r Polizei<br />
war mit uns nicht abgesprochen und hätte<br />
so nicht rausgehen dürfen.“<br />
Laut dieser Polizeipressemeldung sind<br />
die Fahrer <strong>de</strong>s 41-jährigen Spediteurs bereits<br />
im Frühjahr 2010 bei Verkehrskontrollen <strong>de</strong>r<br />
In Deutschland ringt die<br />
Justiz mit sich selbst: Straftat<br />
o<strong>de</strong>r Ordnungswidrigkeit?<br />
Die EU-Fahrerkartendatei<br />
soll doppelte<br />
Fahrerkarten eigentlich<br />
verhin<strong>de</strong>rn.<br />
Dortmun<strong>de</strong>r Autobahnpolizei<br />
aufgefallen. Eine von <strong>de</strong>r Staatsanwaltschaft<br />
Fulda angeordnete Betriebskontrolle<br />
<strong>de</strong>r Bad Hersfel<strong>de</strong>r Polizei zusammen<br />
mit <strong>de</strong>r Abteilung Arbeitsschutz <strong>de</strong>s Regierungspräsidiums<br />
Kassel en<strong>de</strong>te nach Auswertung<br />
<strong>de</strong>r sichergestellten Daten mit <strong>de</strong>r<br />
möglichen Rekordstrafe: „Nichteinhalten <strong>de</strong>r<br />
gesetzlichen Lenk-<br />
und Ruhezeiten<br />
waren an <strong>de</strong>r Tagesordnung“,<br />
heißt<br />
es in <strong>de</strong>r Meldung,<br />
„Überschreitungen<br />
von 50 Stun<strong>de</strong>n<br />
und mehr sind dabei keine Seltenheit. Alleine<br />
die festgestellten bußgeldrechtlichen Einzelverstöße<br />
<strong>de</strong>r Fahrer ergäben in <strong>de</strong>r Summe<br />
einen Betrag von circa 440.000 Euro. Bei<br />
<strong>de</strong>m Spediteur wür<strong>de</strong>n sich die Verstöße,<br />
einzeln geahn<strong>de</strong>t, auf eine Summe von rund<br />
1.300.000 Euro belaufen. Über die tatsächlich<br />
zu zahlen<strong>de</strong>n Bußgel<strong>de</strong>r wird nun die<br />
zuständige Bußgeldstelle entschei<strong>de</strong>n.“<br />
Schon hier bedarf es einer Relativierung:<br />
Die digitalisierten Daten aus <strong>de</strong>n Tachografen<br />
<strong>de</strong>r Lkw, die ein Unternehmer ein Jahr lang<br />
archivieren muss, wer<strong>de</strong>n durch Prüfprogramme,<br />
falls keine Toleranz eingestellt ist,<br />
strikt nach <strong>de</strong>r Fahrpersonalverordnung ausgewertet.<br />
Das kann bei einem mittelständischen<br />
Unternehmen selbst aufgrund zahlreicher<br />
nur kleiner Verstöße schnell zu einer<br />
extremen Geldbuße führen, die aber in <strong>de</strong>n<br />
wenigsten Fällen tatsächlich auch verhängt<br />
wird. Nicht selten sprechen Betriebskontrol-<br />
änger<br />
dabei klar – die Fahrerkarte eines Verstorbenen<br />
wird nicht automatisch ungültig.<br />
Dieser skandalöse Missbrauch zeigt vor<br />
allem, wie skrupellos einige Transportfirmen<br />
in <strong>de</strong>n letzten Jahren gewor<strong>de</strong>n sind, um sich<br />
einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen,<br />
Unfall nach Tachomanipulation<br />
er Fahrer dieses<br />
Dvöllig zerstörten<br />
Volvo, <strong>de</strong>r im Jahr<br />
2007 mit Tempo 126<br />
bei Barcelona von <strong>de</strong>r<br />
Autobahn flog, starb<br />
noch an <strong>de</strong>r Unfallstelle.<br />
Das System seines<br />
digitalen Tachos war<br />
durch einen zweiten<br />
Geber manipuliert.<br />
FERNFAHRER 3 I 2011 7