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Geschichte des Grandelschmucks

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<strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Grandelschmucks</strong><br />

Lebenskraft und<br />

Schutz vor Unheil<br />

Die zu Halsketten, Armbändern oder Broschen verarbeiteten<br />

Eckzähne <strong>des</strong> Hirschen sind auch heute noch beliebte Schmuckgegenstände<br />

– nicht nur in Jägerkreisen. Wie alt die Tradition<br />

<strong>des</strong> <strong>Grandelschmucks</strong> bereits ist und welchen Zauber ihn seit<br />

der Steinzeit umgibt, hat Dr. Erich Meidel zusammengestellt.<br />

Kettengehänge von Maximilian Graf<br />

Arco-Zinneberg (1811 – 1885).<br />

Für unsere Vorfahren in grauer<br />

Urzeit bildete die Jagd die Hauptlebensgrundlage.<br />

Aus den nicht essbaren<br />

Teilen <strong>des</strong> erbeuteten Wil<strong>des</strong> stellten<br />

sie Gebrauchsgegenstände her und<br />

auch Schmuck. Zähne, besonders<br />

die Eckzähne, galten als Symbol<br />

für Lebenskraft und als Schutz vor<br />

Unheil.<br />

Nicht alle wiederkäuenden Schalenwildarten<br />

haben Eckzähne im Oberkiefer,<br />

wie Hirsch und Sikawild. Bei den<br />

männlichen Stücken werden diese Eckzähne<br />

„Grandeln“, bei den weiblichen<br />

Tieren „Haken“ genannt. Besonders<br />

geschätzt sind und waren Grandeln und<br />

Haken mit dunkelbrauner Zeichnung.<br />

Doch diese Zeichnung verblasst, wenn<br />

sie längere Zeit dem Tageslicht ausgesetzt<br />

ist. Deshalb wird Grandelschmuck<br />

nur zu besonderen Anlässen getragen,<br />

sonst wird er dunkel verwahrt.<br />

Aus Zeiten, in denen das Rotwild nur<br />

spärlich vorkam, wie in der Kaltphase<br />

der Eiszeit, sind sogar Nachbildungen<br />

Steinzeitliche Anhänger aus Mammutelfenbein<br />

im Vergleich zu neuzeitlichem<br />

Grandelschmuck (rechts).<br />

bekannt. So wurden in einem Grab in<br />

Mähren „Grandeln“ gefunden, die aus<br />

Mammutelfenbein geschnitzt waren.<br />

Zu Halsgeschmeiden wurden neben<br />

Zähnen von Paarhufern auch solche<br />

von Raubtieren verarbeitet, ferner Perlen,<br />

kleine Steine, Muscheln und edle<br />

Metalle.<br />

Durchlöcherte Zähne von Wildschweinen,<br />

Wolf, Braunbär und Hirsch fanden<br />

als Besatz von Kleidung, als Kopf-,<br />

Brust- und Armschmuck, wohl auch<br />

als „Trophäenschmuck“ Verwendung.<br />

Auf sie stieß man in Megalithgräbern<br />

circa 3.000 v. Chr. in Mecklenburg bei<br />

Ostdorf.<br />

Funde aus der Steinzeit<br />

belegen alte Tradition<br />

Weitere Funde zeigen, wie alt die Tradition<br />

<strong>des</strong> <strong>Grandelschmucks</strong> ist. So<br />

fanden Archäologen in der Ofnethöhle<br />

bei Nördlingen Schädel von Menschen,<br />

300 gelochte Hirschgrandeln und über<br />

4.000 durchbohrte Schneckenhäuser.<br />

Sie wurden mit der Radiocarbonmethode<br />

auf etwa 6.300 v. Chr. datiert.<br />

Die Menschen waren möglicherweise<br />

auf der Flucht erschlagen und dann<br />

von ihren Hinterbliebenen in der üblichen<br />

Weise beigesetzt worden.<br />

Fotos: oben: aus Freeden & Schnurbein, Kettengehänge: Privatbesitz Riprand Graf v.u.z. Arco-Zinneberg, unten: M. Martin, Bertelsmann 1964<br />

28 12/2012


Brustkreuz <strong>des</strong> ehemaligen Abtes der<br />

Benediktinerabtei von Admond an der<br />

Enns in der Steiermark.<br />

In vielen Gräbern hat man solchen<br />

Zahnschmuck gefunden, so lagen bei<br />

Rieststedt in Thüringen 16 Hirschgrandeln<br />

im Grab eines Kin<strong>des</strong>, das an Hirnhautentzündung<br />

gestorben war. Im<br />

Lan<strong>des</strong>museum für Vorgeschichte in<br />

Halle ist ein Gehänge aus Eberzähnen,<br />

ein gelochter Eckzahn einer Wildkatze<br />

und eine Hirschgrandel aus der Mittelsteinzeit<br />

ausgestellt.<br />

Auch in Oberfranken stieß man auf<br />

Tierzähne der Jungsteinzeit als Körperschmuck<br />

oder Amulette. Bei Bayreuth<br />

wurden ein Wolfszahn mit zwei durchbohrten<br />

Zahnwurzeln, ein dreieckig<br />

ausgesägter Pferdezahn, eine durchbohrte<br />

Hirschgrandel und ein durchbohrter<br />

Dachszahn gefunden.<br />

Reiche Funde kommen auch aus<br />

dem Etschtal. Neben einer Hirschharpune<br />

fanden sich einzelne<br />

Hirschgrandeln als Teile einer<br />

Hirschkette in Romagnano-Loc bei<br />

Trient.<br />

Noch bis ins 19. Jahrhundert hatte man<br />

vor allem im Alpenraum bei der Fassung<br />

von Amuletten eine Vorliebe für<br />

den Oberkiefer-Eckzahn <strong>des</strong> Hirsches.<br />

In jüngerer Zeit wurden und werden<br />

die Grandeln vor allem als Schmuck<br />

getragen. So finden die beiden Halsbänder<br />

der letzten deutschen Kaiserin<br />

Auguste Viktoria im Deutschen<br />

Jagd- und Fischereimuseum große<br />

Bewunderung. Das noble, keineswegs<br />

protzige Geschmeide wurde<br />

aus zahlreichen, ausgesucht schönen<br />

Grandelpaaren gefertigt. Viele Jägersfrauen<br />

lassen sich noch heute mit<br />

Grandelschmuck überraschen.<br />

Auch in Palästina und Vorderasien<br />

spielte Grandelschmuck eine Rolle.<br />

Frauen in der Türkei beispielsweise trugen<br />

Hirschzähne nachweisbar schon<br />

7.000 v. Chr., wie ein Armband aus den<br />

Überresten eines Frauengrabes zeigt.<br />

Die Christen schrieben den<br />

Grandeln Wunderkräfte zu<br />

Bei den Christen schrieb man den<br />

Grandeln, wie übrigens allen Organen<br />

<strong>des</strong> Hirschen, noch bis ins 17. Jahrhundert<br />

Wunderkräfte zu. Nach dem<br />

1617 in Amberg erschienenen medizinischen<br />

Hirscharzneibuch gab es kaum<br />

ein Leiden, das nicht irgendwie durch<br />

ein Organ <strong>des</strong> Hirschen geheilt werden<br />

konnte. Der Hirsch war nicht nur das<br />

Attribut <strong>des</strong> Heiligen Eustachius und<br />

<strong>des</strong> Heiligen Hubertus sondern auch<br />

noch anderer Heiliger. Er war immer<br />

mit Christus als Spender <strong>des</strong> ewigen<br />

Lebens verbunden. Entsprechend wurden<br />

seine Zähne auch oft in der sakralen<br />

Kunst verwendet.<br />

Der Autor im Blickfeld:<br />

Dr. Erich Meidel<br />

Dr. Erich Meidel, geboren in Würzburg,<br />

erwarb bereits 1943 mit 15 Jahren seine<br />

erste Jagdkarte. In vielen Publika tionen hat<br />

sich der spätere Jurist mit der Jagdgeschichte,<br />

der Jagdkunst und der Jagdökologie<br />

beschäftigt. Seit über zehn Jahren arbeitet<br />

er in der Gesellschaft für Wildtier- und<br />

Jagdforschung mit.<br />

Jagdschmuck der Kaiserin Auguste<br />

Viktoria aus dem Deutschen Jagdund<br />

Fischereimuseum München.<br />

Ein einzigartiges Beispiel aus heutiger<br />

Zeit ist das Brustkreuz <strong>des</strong> ehemaligen<br />

Abtes von Admond, Benedikt Schlömicher<br />

– ein Geschenk zu seiner Priesterweihe<br />

1978. Das Brustkreuz gehört zu<br />

den Symbolen vieler hoher kirchlicher<br />

Würdenträger. Die Güte <strong>des</strong> verwendeten<br />

Materials und der künstlerische<br />

Wert entspricht meistens der mit diesen<br />

Insignien bekundeten Amtsgewalt.<br />

Als Aberglauben sollten wir das Tragen<br />

von Grandeln also nicht abtun. Viele<br />

Menschen hofften, dass die Kräfte der<br />

Tiere, von denen sie Reste bei sich führten,<br />

auf sie übergehen. Manche Träger<br />

sollen ihnen sogar eine Zauberkraft für<br />

erfolgreiche Jagd beigemessen haben.<br />

Fotos: Abtskreuz: W. Maier, Jagdschmuck: Haseder, I. & Stinglwagner, G. (1996), Knaurs Großes<br />

Jagdlexikon<br />

12/2012<br />

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