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Leben retten im Team - DRF Luftrettung

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6<br />

Titelthema<br />

Bei einem Einsatz<br />

kennt jedes Besatzungsmitglied<br />

seine Aufgaben<br />

sehr genau. Die<br />

Übergänge bei der<br />

Arbeit <strong>im</strong> <strong>Team</strong><br />

sind fl ießend, jeder<br />

packt mit an.<br />

Foto: <strong>DRF</strong><br />

<strong>Leben</strong> <strong>retten</strong> <strong>im</strong> <strong>Team</strong><br />

Über 1.000 Mal <strong>im</strong> Jahr startet Christoph 53 vom Flughafen Mannhe<strong>im</strong>-<br />

Neuosthe<strong>im</strong> zu einem Rettungseinsatz. Jedes Mal ist die Besatzung<br />

innerhalb weniger Minuten vor Ort, um Patienten schnelle Hilfe zu leisten.<br />

Wir haben das <strong>Team</strong> einen Tag lang begleitet.<br />

K<br />

lick. Franz Becker<br />

drückt auf<br />

die rote Telefonhörer-Taste<br />

und beendet<br />

das Gespräch.<br />

Soeben hat der <strong>DRF</strong>-<br />

Pilot den Mannhe<strong>im</strong>er Einsatzhubschrauber Christoph<br />

53 bei der Rettungsleitstelle Rhein-Neckar in Ladenburg<br />

einsatzbereit gemeldet. Ein Blick auf die Uhr,<br />

Becker nickt kaum merklich, er liegt gut in der Zeit.<br />

Es ist sieben Uhr, über die aktuellen Wetterinformationen<br />

hat er sich bei der Flugwettervorhersage des<br />

Deutschen Wetterdienstes bereits informiert. Ob ausreichend<br />

medizinisches Material wie Infusionen, Kanülen<br />

oder Medikamente an Bord sind, haben Notarzt<br />

Dr. T<strong>im</strong> Viergutz und Rettungsassistentin Carola<br />

Schneider schon überprüft. Die Besatzung ist bereit<br />

für den ersten Einsatz an diesem Tag. Alle drei strahlen<br />

Ruhe und Gelassenheit aus.<br />

Daran ändert sich – zumindest nach außen hin – auch<br />

wenig, als sich kurz darauf der Piepser meldet. Die<br />

Foto: privat<br />

Rettungsleitstelle alarmiert Christoph 53 nach Le<strong>im</strong>en<br />

zu einem internistischen Notfall. „Die Gegend kenne<br />

ich wie meine Westentasche“, sagt Pilot Franz Becker,<br />

der seit mehr als 20 Jahren am <strong>Luftrettung</strong>szentrum<br />

Mannhe<strong>im</strong> arbeitet. Das schnelle Auffi nden des Einsatzortes<br />

aufgrund genauer Ortskenntnis aus der Luft<br />

kann wertvolle Zeit sparen – eine ideale Ergänzung<br />

zum hochmodernen Navigationsgerät an Bord.<br />

Wendeplatte auf 3 Uhr<br />

Zügig geht die Besatzung zum Hubschrauber. Im Unterschied<br />

zu den Darstellern <strong>im</strong> Fernsehen rennt kein<br />

Crew-Mitglied los wie von der Hornisse gestochen.<br />

„Bei uns geht Sicherheit vor. Dem Patienten ist nicht<br />

geholfen, wenn wir auf dem Weg zu ihm stürzen und<br />

uns verletzen“, sagt Carola Schneider. Während Franz<br />

Becker die Turbinen startet, überwacht die 37-Jährige<br />

das Umfeld der BK 117, damit sich niemand unbemerkt<br />

dem Gefahrenbereich nähern kann. Eine gute<br />

halbe Stunde nach der Alarmierung ist die Patientin<br />

aus Le<strong>im</strong>en zur weiteren Behandlung bereits in der


Heidelberger Uniklinik. Am Navigationsgerät setzt<br />

Carola Schneider den Status „einsatzbereit“. So weiß<br />

die Rettungsleitstelle: Christoph 53 ist wieder disponierbar.<br />

Im Rhein-Neckar-Dreieck, dem Einsatzgebiet von<br />

Christoph 53, leben rund 2,3 Millionen Menschen.<br />

Mehrmals am Tag wird die schnelle Hilfe des Rettungshubschraubers<br />

angefordert, wie der nächste Einsatz<br />

zeigt. In Wiesloch deuten die Symptome bei einem<br />

älteren Mann auf einen Herzinfarkt hin. Der Einsatzort<br />

liegt in einer engen Straße, zu schmal für eine Landung.<br />

Die Besatzung sucht nach einem geeigneten<br />

Landeplatz. Ein Firmenparkplatz wäre groß genug,<br />

doch „da sind Hochspannungsleitungen“, berichtet<br />

Carola Schneider über den Bordfunk. „Auf 3 Uhr ist<br />

eine kleine Wendeplatte“, ruft Notarzt Viergutz. Franz<br />

Becker prüft mit sicherem Blick, ob dort lose Gegenstände<br />

herumliegen, die aufgewirbelt werden könnten<br />

und der Besatzung gefährlich werden. Doch er kann<br />

nichts Auffälliges entdecken, sicher setzt er seine<br />

BK 117 auf den Asphalt.<br />

Mannhe<strong>im</strong>-Spezial<br />

Seit 1986 ist Christoph 53 am Mannhe<strong>im</strong>er Flughafen stationiert.<br />

Ursprünglich wurde er als Intensivtransporthubschrauber hauptsächlich<br />

für Patientenverlegungen zwischen Kliniken angefordert.<br />

Der Hubschrauber wurde nur dann als schneller Notarztzubringer<br />

zu Notfällen alarmiert, wenn der nächstgelegene Rettungshubschrauber<br />

bereits <strong>im</strong> Einsatz war. Mit einer Anordnung hat das<br />

Ministerium für Arbeit und Soziales in Baden-Württemberg 2005<br />

die Aufgaben der Intensivtransporthubschrauber in Baden-Württemberg<br />

erweitert. Seitdem ist <strong>im</strong>mer das <strong>Luftrettung</strong>smittel zu<br />

alarmieren, das dem Einsatzort am nächsten ist.<br />

Seit Mai 2006 wird Christoph 53 direkt über die integrierte<br />

Rettungsleitstelle Rhein-Neckar in Ladenburg eingesetzt, sie fasst<br />

die ehemaligen Leitstellenbereiche Heidelberg und Mannhe<strong>im</strong><br />

zusammen. Seitdem hat die Besatzung des <strong>DRF</strong>-Hubschraubers<br />

alle Hände voll zu tun. Im ersten Halbjahr 2007 stieg die Einsatzrate<br />

von Christoph 53 <strong>im</strong> Vergleich zum Vorjahr um 61 Prozent.<br />

Gerade Patienten in entlegenen Gebieten wie dem Odenwald profi<br />

tieren davon, dass der Hubschrauber innerhalb sehr kurzer Zeit<br />

Hilfe durch einen Notarzt bringt.<br />

<strong>Luftrettung</strong> 3 || 2007 7


8<br />

Foto: Christoph von Haussen<br />

Titelthema<br />

An Bord von<br />

Christoph 53<br />

werden auch<br />

intensivpfl ichtige<br />

Patienten<br />

zwischen Kliniken<br />

verlegt.<br />

Foto: Jens Eber<br />

<strong>DRF</strong>-Pilot Franz Becker<br />

fl iegt die medizinische<br />

Crew auf direktem Weg<br />

zum Einsatzort.<br />

Noch während sich die Rotorblätter drehen, springen<br />

T<strong>im</strong> Viergutz und Carola Schneider aus der Maschine.<br />

Die Rettungsassistentin stoppt eine junge Frau in<br />

ihrem Mini-Van: „Können Sie uns zur Hausnummer<br />

58 fahren?“ Die Fahrerin zögert keine<br />

Sekunde: „Steigen Sie ein!“ Solche<br />

„Kaperungen“ kommen in eng bebauten<br />

Innenstädten hin und wieder<br />

vor. „Die Menschen sind meistens sehr<br />

hilfsbereit“, erzählt der Notarzt. „Wir<br />

haben uns auch schon Fahrräder geliehen,<br />

um schneller be<strong>im</strong> Patienten zu<br />

sein“, ergänzt die Rettungsassistentin.<br />

Eine Minute später ist die medizinische<br />

Crew bereits bei dem Rentner,<br />

der über starke Schmerzen in der Brust<br />

klagt. Mit ruhiger St<strong>im</strong>me fragt Dr.<br />

Viergutz nach seinen Beschwerden. Er legt einen Zugang<br />

und verabreicht die notwendigen Medikamente.<br />

Währenddessen trifft die Besatzung eines Rettungswagens<br />

ein. Vorsichtig wird der Patient auf die Trage<br />

gebettet und zum Hubschrauber gebracht, um<br />

den sich bereits eine Menschentraube gebildet hat.<br />

„Gehen Sie bitte weiter“, begegnet Pilot Becker den<br />

Passanten freundlich und appelliert an ihr Verständnis:<br />

„Wenn Sie in einer Notlage sind, möchten Sie best<strong>im</strong>mt<br />

auch nicht neugierig beäugt werden.“<br />

In einer Einsatzpause erzählt T<strong>im</strong> Viergutz: „Die<br />

Menschen erwarten eine besonders dramatische Situation,<br />

wenn ein Hubschrauber an der Notfallrettung<br />

beteiligt ist.“ Manchmal würde das leider auch st<strong>im</strong>-<br />

Foto: Carina Kircher<br />

men, wie etwa bei einem Busunfall auf der A6 <strong>im</strong> Mai.<br />

Der Fahrer eines Reisebusses war auf einen Lkw<br />

geprallt. Dabei wurde der Busfahrer schwer verletzt,<br />

etliche der 30 Kinder <strong>im</strong> Reisebus erlitten glücklicherweise<br />

nur leichte Verletzungen.<br />

Jeden Tag spielt der Rettungshubschrauber seinen<br />

großen Trumpf Schnelligkeit aus. Auch heute. Binnen<br />

15 Minuten lässt er 50 Kilometer hinter sich, „mit Rückenwind<br />

geht’s ein bisschen schneller“, zwinkert Becker.<br />

Vor allem in ländlichen und strukturschwachen<br />

Räumen ist das von unschätzbarem Wert, denn dort<br />

ist das Netz der Rettungswachen, die einen Rettungs-<br />

Mannhe<strong>im</strong><br />

Christoph 53 wird auch zu schweren Verkehrsunfällen<br />

alarmiert. Dabei kommt es auf Minuten an.


wagen vorhalten, weitmaschig. Christoph 53 ist da<br />

klar <strong>im</strong> Vorteil. Selbst in eng bebauten Regionen wie<br />

dem Rhein-Neckar-Raum mit hoher Verkehrsdichte<br />

hat der Rettungshubschrauber die Nase vorn. Der Pilot<br />

kann die BK 117 auf direktem Weg zum Einsatzort<br />

steuern, er steht nie <strong>im</strong> Stau.<br />

In Mannhe<strong>im</strong> ist es jetzt fast Mittag. Franz Becker<br />

kocht heute für seine Kollegen: Bratwürste, Salzkartoffeln<br />

und Salat. „Und hinterher gibt’s Eis“, kündigt<br />

der 58-Jährige an. Doch kaum sind die Würstchen in<br />

der Pfanne, wird Christoph 53 erneut alarmiert. Auf<br />

der Rolltreppe eines Baumarkts ist ein Mann gestürzt.<br />

„Erst wenn die Crew gesund an das <strong>Luftrettung</strong>szentrum<br />

zurückkehrt, war der Einsatz erfolgreich“, erklärt<br />

Franz Becker, während er <strong>im</strong> Cockpit wartet, bis Notarzt<br />

und Rettungsassistentin die Übergabe des Patienten<br />

an die weiterbehandelnden Ärzte abgeschlossen<br />

haben.<br />

Feierabend bei Sonnenuntergang<br />

Auch die einsatzfreie Zeit ist dicht gepackt. Nach jedem<br />

Flug ergänzt Carola Schneider das medizinische<br />

Material an Bord, während Notarzt und Pilot die zentralen<br />

Datenbanken der <strong>DRF</strong> mit den notfallprotokollarischen<br />

und fl ugbetrieblichen Einsatzdaten füttern.<br />

„Wir schieben nie etwas auf“, sagt der ehemalige Bundeswehrpilot<br />

Franz Becker. Büroarbeit oder auch<br />

das Essen zwischendurch – wer hier zögert, kann<br />

vom nächsten Einsatz überrascht werden. Der<br />

kommt an diesem Tag gegen 14 Uhr. Auf einem<br />

Busbahnhof am Heidelberger Rheinufer ist ein Mann<br />

be<strong>im</strong> Einweisen zwischen zwei Busse geraten. Als<br />

Christoph 53 <strong>im</strong> Anfl ug ist, hat die Polizei bereits die<br />

dreispurige Straße gesperrt. Der Arm des Verunglückten<br />

lässt einen komplizierten Bruch vermuten. T<strong>im</strong><br />

Viergutz beschließt, ihn ins Berufsgenossenschaftliche<br />

Unfallkrankenhaus nach Ludwigshafen zu bringen,<br />

wo Fachchirurgen die diffi zile Fraktur bestmöglich<br />

versorgen können.<br />

Sieben Mal wird Christoph 53 an diesem Tag alarmiert,<br />

bis die drei abends um halb zehn endlich Feierabend<br />

haben. Mitte Juni absolvieren die Besatzungen<br />

die längsten Schichten des Jahres, nach der<br />

Foto: Jürgen Handrich<br />

Foto: Jens Eber<br />

Sommersonnenwende wird der Dienst jeden Tag etwas<br />

kürzer. Doch die körperlich wie psychisch anspruchsvolle<br />

Arbeit schreckt das Rettungsteam von<br />

Christoph 53 nicht ab. „In unserem Beruf geht jeder<br />

von uns an seine Grenzen“, sagt T<strong>im</strong> Viergutz. „Doch<br />

am Ende eines jeden Tages überwiegt die tiefe Zufriedenheit,<br />

Menschen geholfen, manchen sogar das <strong>Leben</strong><br />

gerettet zu haben.“ JENS EBER<br />

Kaum am Boden,<br />

ist der <strong>DRF</strong>-<br />

Hubschrauber<br />

von interessierten<br />

Menschen umringt.<br />

Der Pilot steht<br />

Rede und Antwort.<br />

Während der Patient am Unfallort notärztlich versorgt wird, kümmert sich<br />

Rettungsassistentin Carola Schneider um einen Platz in einer Unfallklinik.<br />

<strong>Luftrettung</strong> 3 || 2007 9

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