Am 17. Dezember 2010 wurde Frau Prof. Dr. Gabriele ... - Ja-Aktuell
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ERFAHRUNGSBERICHT<br />
sei von zweifacher Bedeutung: Zunächst ergebe sich aus ihr eine<br />
besondere Pflichtenstellung, die darin bestehe, rechtzeitig die<br />
pflichtgemäße Zahlung zu veranlassen. Popp unterstrich, die Pflichten<br />
gingen über das bloße Vorliegen einer Schuld hinaus. Schuldner<br />
und Täter fielen sogar regelmäßig auseinander, wenn eine juristische<br />
Person Schuldnerin, aber eine natürliche Person zum Handeln verpflichtet<br />
sei. Die zweite Funktion der Arbeitgeberstellung bestehe<br />
darin, den Kreis potentieller Täter des § 266a StGB zu umreißen.<br />
Diese Doppelfunktion verkenne der BGH, wenn er davon ausgehe,<br />
subjektiv genüge bereits die Kenntnis der den Arbeitgeberstatus begründenden<br />
äußeren Umstände. Das Anliegen der Rechtsprechung,<br />
mögliche Schutzbehauptungen auszuhebeln, dürfe nur durch eine<br />
Normativierung des Vorsatzbegriffs oder die Senkung prozessualer<br />
Nachweisanforderungen verfolgt werden.<br />
<strong>Dr</strong>. Andrea Hagemeier (Heidelberg) beschäftigte sich mit einem<br />
Urteil zum »Bankrott – BGH NStZ 2009, 635«. Gegenstand war eine<br />
klassische »Firmenbestattung«, in der der Angeklagte die Geschäftsführung<br />
und seine Gesellschaftsanteile auf Strohmänner übertrug,<br />
sich aber umfassende Verfügungsmöglichkeiten über das Gesellschaftsvermögen<br />
und eine Rückkaufoption erhielt. Der BGH sei<br />
davon ausgegangen, dass darin ein Fall von § 283 I Nr. 8 StGB<br />
bzw. »gegebenenfalls vorrangig« auch Nr. 4 liege. Eine dogmatisch<br />
befriedigende Würdigung der einzelnen Akte sei unterblieben.<br />
Hagemeier richtete ihr Augenmerk auch auf den Zusammenhang<br />
zwischen der objektiven Bedingung der Strafbarkeit nach Abs. 6 und<br />
der Tathandlung. Die hieran zu stellenden Anforderungen seien<br />
inhärent problematisch, denn es stehe fest, dass weder Kausalität<br />
gefordert noch auf die zeitliche Abfolge abgestellt werden dürfe; die<br />
Bedingung könne grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Bankrotthandlung<br />
eintreten. Eine andere Bewertung erscheine zumindest<br />
im Falle der Zahlungseinstellung nicht plausibel.<br />
Den »Abschied von der Interessentheorie – BGH NStZ 2009, 437«<br />
untersuchte <strong>Dr</strong>. Nina Nestler (Würzburg) näher. Sie erläuterte, dass in<br />
Fällen des § 283 StGB die Täterstellung oft erst über § 14 StGB<br />
begründet werde. Nach der Interessentheorie müsse der Täter dazu<br />
zumindest auch im Interesse des Vertretenen gehandelt haben. Über<br />
dieses Kriterium seien insbesondere Untreue (rein eigennütziges Verhalten)<br />
und Bankrott voneinander abgegrenzt worden. Der BGH<br />
habe die Interessentheorie zu Recht aufgegeben. Unter zahlreichen<br />
Gründen hierfür hob Nestler hervor, dass weder die Ungleichbehandlung<br />
von Vertretern juristischer Personen und Einzelkaufleuten<br />
überzeugend begründbar gewesen sei, noch die zu ihrer Vermeidung<br />
ergriffenen Strategien, denn im Falle eigennützigen Handelns<br />
mit wirksamer Zustimmung sei für Organe weder § 266 StGB noch<br />
§ 283 StGB erfüllt gewesen. Der BGH habe die Interessentheorie<br />
aber bislang nur in obiter dicta aufgegeben, was zu weiterer Rechtsunsicherheit<br />
führe: Wie nun abzugrenzen sei (insb. bzgl. faktischen<br />
Vertretern) und ob eine Zustimmung aller Gesellschafter nun auch in<br />
der Krise eine Untreue ausschließe, sei offen.<br />
Das nächste Symposium Junger Strafrechtlerinnen und Strafrechtler<br />
wird voraussichtlich im März 2012 an der Humboldt-Universität<br />
zu Berlin stattfinden. Mitte 2011 soll ein Call for Papers veröffentlicht<br />
werden. Das Symposion richtet sich an den wissenschaftlichen Nachwuchs<br />
auf dem Gebiet des Strafrechts, der noch nicht habilitiert ist,<br />
also insbesondere auch Doktoranden. Mit den Symposien soll die<br />
Möglichkeit eröffnet werden, sich mit der Peergroup in regelmäßigen<br />
Abständen anhand eines übergreifenden Themas fachlich auszutauschen.<br />
Als Ansprechpartnerinnen des Forums stehen <strong>Dr</strong>. Nina<br />
Nestler und die Autorin zur Verfügung. Die Beiträge der diesjährigen<br />
Tagung werden in einem Tagungsband beim Nomos-Verlag erscheinen,<br />
der zugleich eine neue Schriftenreihe für die Folgetagungen<br />
eröffnen soll.<br />
<strong>Dr</strong>. Beatrice Brunhöber, Humboldt-Universität zu Berlin<br />
NEWS & FACTS<br />
Kurzporträt der neuen Verfassungsrichterin <strong>Frau</strong> <strong>Prof</strong>.<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>Gabriele</strong> Britz, Universität Gießen<br />
<strong>Am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Dezember</strong> <strong>2010</strong> <strong>wurde</strong> <strong>Frau</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Gabriele</strong> Britz, Inhaberin<br />
einer <strong>Prof</strong>essur für Öffentliches Recht und Europarecht an der<br />
Justus-Liebig-Universität Gießen, vom Bundesrat zur Richterin am<br />
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gewählt. Ihren in vielfacher<br />
Hinsicht außergewöhnlichen und bemerkenswerten Werdegang<br />
möchte die JA-Redaktion zum Anlass nehmen, um sie im Rahmen<br />
eines Kurzporträts vorzustellen:<br />
Ihre rechtswissenschaftliche Karriere begann <strong>Frau</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Britz<br />
mit der Aufnahme des Studiums an der Johann Wolfgang Goethe-<br />
Universität Frankfurt am Main im <strong>Ja</strong>hr 1987. Nach Absolvierung des<br />
ersten Staatsexamens promovierte sie 1993 zum Thema »Die<br />
Bedeutung des Europäischen Gemeinschaftsrechts für die örtliche<br />
Energieversorgung unter besonderer Berücksichtigung kommunaler<br />
Gestaltungsmöglichkeiten« und <strong>wurde</strong> für ihre Dissertation mit dem<br />
Baker & McKenzie-Preis der Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />
für Dissertationen und Habilitationsschriften aus dem Bereich des<br />
Wirtschaftsrechts ausgezeichnet. Während des sich anschließenden<br />
Promotionsstudiums war <strong>Frau</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Britz als wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin am Fachbereich Rechtswissenschaft in Frankfurt am<br />
Main tätig. Dieses schloss sie im <strong>Ja</strong>hr 2000 mit ihrer Habilitation<br />
ab. Die Habilitationsschrift, in welcher sie sich mit den rechtlichen<br />
Problemen kultureller Differenzen und den diesbezüglichen, aus verfassungsrechtlicher<br />
Sicht maßgeblichen Lösungsansätzen auseinandersetzte,<br />
trug den Titel »Kulturelle Rechte und Verfassung«.<br />
Nach Lehrstuhlvertretungen an den Universitäten Jena und Bielefeld<br />
sowie weiteren Lehrtätigkeiten in Frankfurt am Main und<br />
Gießen übernahm sie 2001 im Alter von lediglich 32 <strong>Ja</strong>hren die <strong>Prof</strong>essur<br />
für Öffentliches Recht und Europarecht an der Justus-Liebig-<br />
Universität Gießen. Ihre – auch bereits vor der Habilitation erfolgten<br />
– zahlreichen Veröffentlichungen in Form von Monographien und<br />
Zeitschriftenbeiträgen behandeln schwerpunktmäßig zum einen<br />
umwelt- und energierechtliche Zusammenhänge (so z.B.: Klimaschutz<br />
und Versorgungssicherheit durch Energieeffizienz – Neuerungen<br />
durch das dritte Energiebinnenmarktpaket, ZUR <strong>2010</strong>, 124 ff.;<br />
Zur Effektivität der Energiesparinstrumente des BImSchG, Anspruch<br />
und Wirklichkeit ambitionierter Klima- und Ressourcenschutzpolitik,<br />
UPR 2004, 55 ff.). Zum anderen bilden grundrechtliche Fragen (z.B.<br />
Einzelfallgerechtigkeit versus Generalisierung – Verfassungsrechtliche<br />
Grenzen statistischer Diskriminierung, 2008), unter anderem<br />
solche mit Bezug zum Persönlichkeitsrecht (z.B.: Freie Entfaltung<br />
durch Selbstdarstellung – Eine Rekonstruktion des allgemeinen<br />
Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 I GG, 2007; JA 2000, 189 ff.), die<br />
Grundlage ihrer Publikationen.<br />
Mit 42 <strong>Ja</strong>hren ist <strong>Frau</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Britz nun die jüngste <strong>Frau</strong>, die jemals<br />
in das <strong>Am</strong>t der Verfassungsrichterin gewählt <strong>wurde</strong>. Die Berufung in<br />
den 1. Senat ist vor allem vor dem Hintergrund beachtlich, dass sie<br />
sich mit dessen Urteilen in der Vergangenheit zum Teil äußerst<br />
kritisch auseinandergesetzt hatte. So begrüßte sie zwar die mit<br />
dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. 02. 2008 (1 BvR<br />
370/07, 1 BvR 595/07) einhergegangene Einführung eines neuen<br />
Grundrechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität<br />
VI<br />
2/2011
NEWS & FACTS<br />
informationstechnischer Systeme insofern, als es »Rechtspraxis und<br />
-wissenschaft zur Fortentwicklung des grundrechtlichen Schutzes<br />
informationeller Privatheit im Kontext informationstechnischer<br />
Systeme« anhalte, bemängelte aber zugleich eine Abwertung des<br />
Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung, welches »renovierungsbedürftig«<br />
aber nicht »abrissreif« sei. (DÖV 2008, 411 ff.).<br />
Auch bei dem Urteil, das den Gegenstand des in der vorliegenden<br />
Ausgabe der JA veröffentlichten Aufsatzes darstellt – das sog. »Vorratsdatenspeicherungsurteil«<br />
(1 BvR 256/08) – handelt es sich um<br />
eines des 1. Senats.<br />
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