Broschuere Soziale Ungleichheit - Bund/Länder und Gemeinden ...
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36 2 Die Entstehung der Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />
1. R. Mayntz führt an, dass das Modell stillschweigend von Voraussetzungen<br />
ausgeht, die die Autoren (sie bezieht sich vorwiegend auf Davis bzw. Davis/Moore)<br />
nicht explizit genug machen <strong>und</strong> deren Gültigkeit anzuzweifeln<br />
ist. Diese Voraussetzungen lauten, „dass erstens Talent angeboren <strong>und</strong><br />
knapp ist, dass zweitens niemand ohne Aussicht auf besondere Belohnung<br />
nach schwierigeren Aufgaben strebt, <strong>und</strong> dass drittens soziale Positionen im<br />
freien Wettbewerb errungen werden“ (1961: 13). Wenn dagegen beispielsweise<br />
Führungsqualitäten im politischen Bereich gar nicht so knapp wären<br />
oder diejenigen mit entsprechenden Fähigkeiten solche Aufgaben auch ohne<br />
besondere Belohnungen gern, etwa aus sachlichem Interesse oder sozialem<br />
Pflichtgefühl übernähmen, wäre das Modell von Davis <strong>und</strong> Moore weit weniger<br />
plausibel. Selbst wenn man z.B. das Handeln aus sozialem Pflichtgefühl<br />
als unwahrscheinlich oder illusionär annimmt, zeigt sich an diesem<br />
Sachverhalt doch, dass hinter dem funktionalistischen Modell ein ganz bestimmtes<br />
Menschenbild steht (Mayntz: ebd.).<br />
2. Auf den ersten Blick scheint es nicht unlogisch, unter der Voraussetzung<br />
von weitgehender Chancengleichheit vielleicht auch gerecht, wenn bedeutsamere<br />
Leistungen höher belohnt werden (teilweise hat sich diese Vorstellung<br />
eines Leistungsprinzips ja bis heute erhalten). Bei genauerem Nachdenken<br />
tauchen dann aber doch einige Fragen auf, die die Bewertung von<br />
Positionen betreffen: Nach welchem Maßstab beurteilt man, ob eine Position<br />
funktional bedeutsam ist? Gibt es Maßstäbe oder zumindest Einigkeit<br />
darüber, welche Funktionen für das Bestehen des Systems relevant sind,<br />
welcher Zielzustand für das System anzustreben ist? Wer wertet überhaupt<br />
<strong>und</strong> teilt Positionen zu? Kommt man zu der Antwort, dass die herrschenden<br />
Gruppen in einer Gesellschaft solche Bewertungen vornehmen oder zumindest<br />
großen Einfluss darauf haben, setzt sich der theoretische Ansatz dem<br />
Vorwurf aus, bestehende <strong>Ungleichheit</strong>sverhältnisse nicht nur hinsichtlich<br />
Macht <strong>und</strong> Ungerechtigkeiten zu ignorieren (ganz im Gegensatz zu Klassentheorien),<br />
sondern diese Verhältnisse sogar zu legitimieren.<br />
G. Lenski<br />
In einer Veröffentlichung von 1966 (im amerikanischen Original) versucht Gerhard<br />
Lenski, von „konservativen“ <strong>und</strong> „radikalen“ <strong>Ungleichheit</strong>stheorien ausgehend,<br />
man könnte in der hier verwendeten Terminologie sagen: von funktionalistischer<br />
Schichtungstheorie <strong>und</strong> Klassentheorie ausgehend, einen Schritt in<br />
Richtung einer Synthese zu unternehmen. Dies tut er dadurch, dass er zunächst<br />
Schichtung umdefiniert als „den Verteilungsprozess in menschlichen Gesell-