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Broschuere Soziale Ungleichheit - Bund/Länder und Gemeinden ...

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Nicole Burzan<br />

<strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong>


Studientexte zur Soziologie<br />

Herausgeber:<br />

Heinz Abels, Nina Baur, Werner Fuchs-Heinritz, Wieland Jäger, Uwe Schimank,<br />

Rainer Schützeichel<br />

Die „Studientexte zur Soziologie“ wollen eine größere Öffentlichkeit für Themen, Theorien<br />

<strong>und</strong> Perspektiven der Soziologie interessieren. Die Reihe soll in klassische <strong>und</strong> aktuelle soziologische<br />

Diskussionen einführen <strong>und</strong> Perspektiven auf das soziale Handeln von Individuen <strong>und</strong><br />

den Prozess der Gesellschaft eröffnen. In langjähriger Lehre erprobt, sind die Studientexte als<br />

Gr<strong>und</strong>lagentexte in Universitätsseminaren, zum Selbststudium oder für eine wissenschaftliche<br />

Weiterbildung auch außerhalb einer Hochschule geeignet. Wichtige Merkmale sind eine<br />

verständliche Sprache <strong>und</strong> eine unaufdringliche, aber lenkenden Didaktik, die zum eigenständigen<br />

soziologischen Denken anregt.


Nicole Burzan<br />

<strong>Soziale</strong><br />

<strong>Ungleichheit</strong><br />

Eine Einführung in<br />

die zentralen Theorien<br />

4. Auflage


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der<br />

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<br />

abrufbar.<br />

1. Auflage 2004<br />

2. Auflage 2005<br />

3. Auflage 2007<br />

4. Auflage 2011<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011<br />

Lektorat: Frank Engelhardt | Katrin Emmerich<br />

VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien.<br />

Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.<br />

www.vs-verlag.de<br />

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede<br />

Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist<br />

ohne Zustimmung des Verlags unzulässig <strong>und</strong> strafbar. Das gilt insbeson dere<br />

für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen <strong>und</strong> die Einspeicherung<br />

<strong>und</strong> Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem<br />

Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche<br />

Namen im Sinne der Warenzeichen- <strong>und</strong> Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten<br />

wären <strong>und</strong> daher von jedermann benutzt werden dürften.<br />

Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg<br />

Druck <strong>und</strong> buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel<br />

Gedruckt auf säurefreiem <strong>und</strong> chlorfrei gebleichtem Papier<br />

Printed in the Netherlands<br />

ISBN 978-3-531-17534-8


1 Einleitung 5<br />

Inhalt<br />

1 Einleitung................................................................................................... 7<br />

Teil I: Ältere Ansätze zur sozialen <strong>Ungleichheit</strong><br />

2 Die Entstehung der Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle................................ 15<br />

2.1 Karl Marx: Das „klassische“ Klassenmodell ...................................... 15<br />

2.2 Max Weber: Klassen <strong>und</strong> Stände ........................................................ 20<br />

2.3 Das Schichtmodell Theodor Geigers .................................................. 26<br />

2.4 Die funktionalistische Schichtungstheorie.......................................... 31<br />

3 Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Diskussion.............................................. 41<br />

3.1 Helmut Schelsky: Die nivellierte Mittelstandsgesellschaft................. 41<br />

3.2 Ralf Dahrendorf: Ausbau der Konflikt-Perspektive............................ 43<br />

3.3 Schichtmodelle in Verbindung mit Prestige <strong>und</strong> Status...................... 47<br />

3.4 Neomarxistische Ansätze in den siebziger Jahren .............................. 58<br />

3.5 Zusammenfassung: Charakteristika von Klassen- <strong>und</strong><br />

Schichtmodellen.................................................................................. 64<br />

3.6 Kritik an den „alten“ Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodellen.......................... 66<br />

Teil II: Neuere Ansätze zur sozialen <strong>Ungleichheit</strong><br />

4 Modifizierte Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle............................................ 73<br />

4.1 Neuere Schichtansätze ........................................................................ 73<br />

4.2 Neuere Klassenmodelle....................................................................... 78


6 0 Inhalt<br />

5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus .......................................................................... 89<br />

5.1 Lebensstile .......................................................................................... 89<br />

5.2 Milieus .............................................................................................. 103<br />

5.3 Kritische Fragen, Zusammenfassung ................................................ 120<br />

6 Klassen <strong>und</strong> Lebensstile in einem Modell: Der soziale Raum bei<br />

Bourdieu ................................................................................................ 125<br />

6.1 <strong>Soziale</strong> Positionen <strong>und</strong> Klassen ........................................................ 125<br />

6.2 Der Raum der Lebensstile................................................................. 129<br />

6.3 Einordnung <strong>und</strong> Kritik ...................................................................... 134<br />

7 <strong>Soziale</strong> Lagen ......................................................................................... 139<br />

7.1 <strong>Soziale</strong> Lagen als <strong>Ungleichheit</strong>skonzept........................................... 139<br />

7.2 Prekäre Lagen <strong>und</strong> Exklusion ........................................................... 147<br />

8 Individualisierung – Entstrukturierung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>? ....... 155<br />

9 Zum Wandel sozialer <strong>Ungleichheit</strong>en.................................................. 169<br />

10 Fazit........................................................................................................ 175<br />

Literaturverzeichnis ....................................................................................... 179<br />

Abbildungsverzeichnis ................................................................................... 203


1 Einleitung 7<br />

1 Einleitung<br />

1. Einleitung<br />

Was ist das Thema der „<strong>Soziale</strong>n <strong>Ungleichheit</strong>“? Ein erster Anhaltspunkt besteht<br />

darin, dass es keinesfalls um beliebige Andersartigkeiten geht, sondern um die<br />

ungleiche Verteilung von Lebenschancen. So ist es nicht die Schuhgröße oder<br />

die Haarfarbe, die soziale <strong>Ungleichheit</strong> ausmacht (obwohl sich selbst in körperlichen<br />

Merkmalen <strong>Ungleichheit</strong>en widerspiegeln können), sondern z.B. ein höheres<br />

oder niedrigeres Einkommen oder ungleich verteilte Chancen je nach Geschlecht.<br />

Gerade in modernen, differenzierten Gesellschaften sind die „Unterschiedlichkeiten“<br />

recht groß. Welche Verschiedenheiten auch soziale <strong>Ungleichheit</strong><br />

bedeuten, ist bereits eine wichtige Frage, die sich theoretische Ansätze zur<br />

sozialen <strong>Ungleichheit</strong> stellen. Die zentralen Ursachen <strong>und</strong> Merkmale sozialer<br />

<strong>Ungleichheit</strong> können nämlich im Zeitverlauf <strong>und</strong> in verschiedenen Gesellschaften<br />

durchaus variieren <strong>und</strong> werden selbst in einer Gesellschaft zu einem bestimmten<br />

Zeitpunkt je nach theoretischem Hintergr<strong>und</strong> unterschiedlich gesehen.<br />

Sind z.B. die Nationalität, der Stadt-Land-Unterschied oder die Wohnverhältnisse<br />

eigenständige Kriterien sozialer <strong>Ungleichheit</strong>, oder sind sie eher abgeleitet<br />

von solchen Merkmalen, mit denen sie gegebenenfalls einhergehen, z.B. mit der<br />

Bildung oder dem Beruf?<br />

Die Definition im Lexikon zur Soziologie, soziale <strong>Ungleichheit</strong> sei jede Art<br />

verschiedener Möglichkeiten der Teilhabe an Gesellschaft bzw. der Verfügung<br />

über gesellschaftlich relevante Ressourcen (Krause 2007: 686), erfasst diese<br />

Mehrdimensionalität <strong>und</strong> Relativität von <strong>Ungleichheit</strong>, denn was „gesellschaftlich<br />

relevant“ ist, muss durchaus nicht konstant bleiben, ebenso wenig die Formen<br />

der gesellschaftlichen Teilhabe.<br />

<strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong> ist somit eine gesellschaftliche Konstruktion, die an<br />

ihre historische Zeit geb<strong>und</strong>en ist <strong>und</strong> nie „objektiv“ sein kann. Modelle sozialer<br />

<strong>Ungleichheit</strong> geben ihre jeweilige Sichtweise davon wieder, welches wichtige<br />

Ursachen <strong>und</strong> Merkmale sozialer <strong>Ungleichheit</strong> sind (materielle wie Besitz <strong>und</strong><br />

immaterielle wie z.B. Macht). Sie beantworten aber auch die Frage, ob sich nach<br />

diesen Kriterien eine bestimmte Struktur abgegrenzter Gruppierungen ergibt, <strong>und</strong><br />

falls ja, welche. Gibt es zum Beispiel zwei sich feindlich gegenüberstehende<br />

Klassen, sieben hierarchisch angeordnete Schichten oder ein komplexes Gebilde<br />

aus über- <strong>und</strong> nebeneinander stehenden Milieus, die sich überschneiden können?<br />

Solche Modelle abstrahieren natürlich immer von den Differenzierungen der<br />

N. Burzan, <strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong>, DOI 10.1007/978-3-531-93154-8_1,<br />

© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011


8 1 Einleitung<br />

Realität, dies gilt für zwei Gruppen ebenso wie für zehn. Dennoch beanspruchen<br />

sie, wichtige Prinzipien z.B. der Über- <strong>und</strong> Unterordnung oder der gesellschaftlichen<br />

Entwicklung (hier sind die Schwerpunkte je nach Ansatz verschieden)<br />

durch ihre spezifische Einteilung abbilden zu können.<br />

Die soziologische Perspektive, soziale <strong>Ungleichheit</strong> als ein veränderbares<br />

Konstrukt anzusehen <strong>und</strong> in der Konsequenz nach Ursachen für bestimmte <strong>Ungleichheit</strong>sstrukturen<br />

<strong>und</strong> ihren Wandel zu forschen, ist nicht selbstverständlich.<br />

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass man im antiken Griechenland <strong>Ungleichheit</strong><br />

durchaus als „natürlich“ ansah. Beispielsweise legt Aristoteles (in seiner<br />

„Politik“) dar, dass Herren <strong>und</strong> Sklaven oder Männer <strong>und</strong> Frauen von Natur aus<br />

besser/schlechter bzw. zum Herrschen/zum Dienen bestimmt seien – <strong>und</strong> das sei<br />

nicht nur notwendig, sondern auch nützlich. In den Über- <strong>und</strong> Unterordnungsverhältnissen<br />

verwirklicht sich danach die Natur des Menschen, was soziale<br />

<strong>Ungleichheit</strong> legitimiert.<br />

Eine Variante dieser Legitimierung von Herrschaftsverhältnissen ist eine<br />

gottgegebene <strong>Ungleichheit</strong>. In einer strengen Form tritt die religiöse Begründung<br />

in der Kastengesellschaft auf, die den hierarchischen Aufbau der Gesellschaft als<br />

nicht veränderlich ansieht <strong>und</strong> dies über strenge Endogamie <strong>und</strong> Kommunikationsschranken<br />

kontrolliert. Aber auch in der feudalistischen Ständegesellschaft<br />

hatten Menschen einen bestimmten Rang durch Geburt <strong>und</strong> Herkunft inne (z.B.<br />

Adel, Klerus, Bürger oder Bauer). Dieser wurde zudem rechtlich gestützt, z.B.<br />

durch die Rechte <strong>und</strong> Pflichten, die mit dem Lehnswesen verb<strong>und</strong>en waren. Die<br />

Kasten <strong>und</strong> Stände weisen ein Merkmal auf, das später in milderer Form auch für<br />

andere Gruppierungen wie Klasse oder Schicht zumindest unterstellt wird: Die<br />

Zugehörigkeit zu einer Statusgruppe bestimmt eindeutig die gesamte Lebensweise<br />

der Individuen.<br />

In modernen Gesellschaften geht man nicht mehr von „natürlichen“ oder<br />

„gottgegebenen“ Ursachen sozialer <strong>Ungleichheit</strong> aus. „Angeborene“ Merkmale<br />

wie das Geschlecht oder die Rasse spielen zwar eine Rolle für die Lebenschancen,<br />

aber sie sind keine Legitimation mehr für soziale <strong>Ungleichheit</strong>en.<br />

Der Wandel vollzog sich – das sei hier nur in Stichworten angedeutet –<br />

durch gesellschaftliche, politische <strong>und</strong> wirtschaftliche Entwicklungen seit der<br />

Aufklärung, später mit der Auflösung der Ständegesellschaft <strong>und</strong> der Industrialisierung.<br />

Das Gleichheitspostulat, das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

Eingang in die amerikanische Unabhängigkeitserklärung <strong>und</strong> in Schlagworte der<br />

französischen Revolution fand, markiert eine Veränderung der Sichtweise, die<br />

man jetzt erst als soziologisch bezeichnen kann: Wenn <strong>Ungleichheit</strong> nicht natürlich,<br />

sondern durch Menschen formbar <strong>und</strong> veränderbar ist, stellt sich erst die<br />

Frage nach ihren Ursachen <strong>und</strong> Mechanismen.


1 Einleitung 9<br />

J. J. Rousseau liefert 1754 eine frühe <strong>und</strong> für seine Zeit durchaus revolutionäre<br />

Antwort auf die Frage: „Welches ist der Ursprung der <strong>Ungleichheit</strong> unter den<br />

Menschen?“ (so ein Aufsatztitel) aus dieser Sichtweise. Sie lautet (nicht ohne<br />

Dramatik):<br />

„Der erste, welcher ein Stück Landes umzäunte, sich in den Sinn kommen ließ zu<br />

sagen: dieses ist mein, <strong>und</strong> einfältige Leute antraf, die es ihm glaubten, der war der<br />

wahre Stifter der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viel Laster, wie viel Krieg, wie viel<br />

Mord, Elend <strong>und</strong> Gräuel hätte einer nicht verhüten können, der die Pfähle ausgerissen,<br />

den Graben verschüttet <strong>und</strong> den Mitmenschen zugerufen hätte: ‚Glaubt diesem<br />

Betrüger nicht; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass die Früchte euch allen, der<br />

Boden aber niemandem gehört’.“ (Rousseau 1981 (zuerst 1754): 93). 1<br />

Mit anderen Worten: Der Ursprung der <strong>Ungleichheit</strong> lag für Rousseau primär im<br />

Eigentum – ein Gedanke, den auch einige spätere Ansätze, insbesondere Klassenmodelle,<br />

aufgreifen.<br />

Gleichheitspostulate bedeuten selbstverständlich nicht realisierte Gleichheit,<br />

selbst auf einer rechtlichen Ebene nicht (z.B. gab es bis 1918 in Preußen das<br />

Drei-Klassen-Wahlrecht). Und zu allen Zeiten, in denen man überhaupt über die<br />

Legitimität sozialer <strong>Ungleichheit</strong> diskutierte, gab es dazu unterschiedliche Positionen.<br />

So sah beispielsweise der Liberalismus ab dem 18. Jahrh<strong>und</strong>ert Eigentum<br />

keineswegs als Sündenfall, sondern eher als Gr<strong>und</strong>recht an <strong>und</strong> lehnte soziale<br />

<strong>Ungleichheit</strong> nach dem Leistungsprinzip unter der Voraussetzung von Chancengleichheit<br />

nicht ab.<br />

Diese frühe Kontroverse weist auf eine weitere Frage hin, die sich auch<br />

spätere Forscher stellten: Ist soziale <strong>Ungleichheit</strong> ungerecht <strong>und</strong> muss sie möglichst<br />

überw<strong>und</strong>en werden, oder ist sie mindestens teilweise, unter bestimmten<br />

Bedingungen gerecht <strong>und</strong> sogar notwendig für das gesellschaftliche Zusammenleben?<br />

(vgl. zum Zusammenhang von <strong>Ungleichheit</strong> <strong>und</strong> Gerechtigkeit auch<br />

Müller/Wegener 1995, zu sozialer Gerechtigkeit z.B. Miller 2008, Becker/Hauser<br />

2009). Diese Frage haben Theoretiker unterschiedlich <strong>und</strong> auch abhängig<br />

vom jeweiligen historischen Kontext beantwortet. So entwarf etwa Marx seine<br />

Klassentheorie, die die Ausbeutungsverhältnisse hervorhebt, im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert,<br />

als im Zuge der Industrialisierung soziale <strong>Ungleichheit</strong>en deutlich sichtbar<br />

hervortraten <strong>und</strong> insbesondere die soziale Lage der Arbeiter im Allgemeinen<br />

schlecht war.<br />

Der folgende Überblick über Theorien sozialer <strong>Ungleichheit</strong> von Marx in<br />

der Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts bis zu Analysen der Gegenwart zu Beginn des 21.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts soll die Ansätze daraufhin vergleichen, welche Fragen <strong>und</strong> Pro-<br />

1 Die Zitate wurden der geltenden Rechtschreibung angepasst.


10 1 Einleitung<br />

bleme sie in den Vordergr<strong>und</strong> stellten <strong>und</strong> wie sie sie beantworteten. Solche<br />

Fragen sind etwa:<br />

� Welche Ursachen hat soziale <strong>Ungleichheit</strong>?<br />

� Durch welche Merkmale tritt sie in Erscheinung, nach welchen zentralen<br />

Kriterien ordnen Menschen andere einem bestimmten Rang zu?<br />

� Gibt es eine bestimmte (z.B. hierarchische oder andere) Struktur sozialer<br />

<strong>Ungleichheit</strong>, die sich für eine bestimmte Gesellschaft zu einem Zeitpunkt<br />

anhand spezifischer Begriffe (wie Stand, Klasse oder Schicht) zu einem<br />

Modell verdichten lässt?<br />

� Welche Auswirkungen hat die Zugehörigkeit zu einer Statusgruppe im<br />

weiteren Sinne auf die Lebensweise, auf Verhalten <strong>und</strong> Einstellungen, das<br />

Bewusstsein <strong>und</strong> gegebenenfalls auf die Bildung kollektiver Akteure? Gibt<br />

es hier überhaupt kausale Zusammenhänge?<br />

� Welche Folgen hat soziale <strong>Ungleichheit</strong> für die Integration einer Gesellschaft?<br />

� Wie sehen Beziehungen zwischen verschiedenen Statusgruppen aus?<br />

� Was lässt sich über Veränderungsprozesse aussagen, sowohl im Sinne<br />

individueller Mobilität als auch im Sinne des Wandels von Strukturen?<br />

Bei der Erläuterung der Ansätze werden diese Fragen nicht systematisch abgehandelt,<br />

sondern sie stehen als Leitfragen im Hintergr<strong>und</strong>. Sie stellen damit eine<br />

Verbindung zwischen älteren <strong>und</strong> neueren Ansätzen her. Denn die älteren Ansätze<br />

sind nicht nur für an der Geschichte der Theorieentwicklung Interessierte<br />

Bestandteil der Darstellung. Durch die Diskussion, welche Fragen <strong>und</strong> Antworten<br />

für frühere Modelle wichtig waren, lässt sich im Vergleich zeigen, wo <strong>und</strong><br />

wie spätere Modelle bestimmte Elemente wieder aufgenommen haben. Weil es<br />

bis heute – dies kann man durchaus vorwegnehmen – nicht den „Königsweg“ der<br />

<strong>Ungleichheit</strong>stheorie gibt, der alle genannten Fragen umfassend beantwortet,<br />

lassen sich im Vergleich die jeweiligen Schwerpunkte sowie die Stärken <strong>und</strong><br />

Schwächen der Ansätze besser erkennen. Außerdem soll Pauschalurteilen entgegengewirkt<br />

werden, die sich aus einer verkürzten Sichtweise älterer Theorien aus<br />

der flüchtigen Retrospektive ergeben könnten (als Beispiele: Marx hatte Unrecht,<br />

daher ist seine Theorie nur noch von historischem Interesse; oder: wie konnte<br />

Schelsky nur annehmen, dass alle Gesellschaftsmitglieder sich auf einem mittleren<br />

(Rang-)Niveau einpendeln?).<br />

Die folgenden Kapitel können nicht umfassend alle Theorien <strong>und</strong> Modelle<br />

behandeln, die es zum Thema der sozialen <strong>Ungleichheit</strong> gegeben hat <strong>und</strong> gibt.<br />

Eine zentrale Einschränkung besteht beispielsweise darin, dass der Schwerpunkt<br />

auf der deutschen Diskussion liegt, das heißt auf Ansätzen deutscher Autorinnen


1 Einleitung 11<br />

<strong>und</strong> Autoren <strong>und</strong> solchen, die in der deutschen Rezeption vergleichsweise bedeutsam<br />

waren oder sind (als Überblick über wichtige Werke zur internationalen<br />

<strong>Ungleichheit</strong>sforschung s. Müller/Schmid 2003; für die US-amerikanische Perspektive<br />

Grusky 2008). Auch mit dieser Einschränkung besteht jedoch kein Vollständigkeitsanspruch.<br />

Die Arbeit dient als Einführung, von der aus man im<br />

nächsten Schritt sowohl in die Tiefe als auch in die Breite weiter lesen kann.<br />

Welche Ansätze wurden nun ausgewählt? Grob wird unterschieden zwischen<br />

„älteren“ <strong>und</strong> „neueren“ Ansätzen, wobei der „Schnitt“ Anfang der achtziger<br />

Jahre des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts gesetzt wurde. Die „älteren“ Ansätze zeichnen<br />

sich (in den meisten Fällen) dadurch aus, dass sie entweder Klassen- oder<br />

Schichtmodelle (zum Teil auch Zwischenpositionen) vertreten <strong>und</strong> dabei nicht<br />

selten die Argumente des jeweils „anderen“ Lagers heftig ablehnen (Kap. 2, 3).<br />

Erst mit den „neuen“ Ansätzen stellten <strong>Ungleichheit</strong>sforscher sowohl Klassen als<br />

auch Schichten radikaler in Frage (Näheres zu diesem Prozess in Kap. 3.6). Die<br />

theoretische Landschaft differenzierte sich (ebenso wie die soziale <strong>Ungleichheit</strong>?):<br />

� Zum einen gibt es weiterhin Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle in einer<br />

modifizierten Form (Kap. 4).<br />

� Zweitens gibt es Modelle, die andere Begriffe wählen, um die Sozialstruktur<br />

zu kennzeichnen, z.B. Lebensstile, Milieus oder die soziale Lage (Kap. 5-7).<br />

� Schließlich gibt es Ansätze, die ganz davon absehen, ein bestimmtes Strukturmodell<br />

sozialer <strong>Ungleichheit</strong> zu entwerfen, was andere Autoren teilweise<br />

als radikale „Entstrukturierung“ interpretieren (Kap. 8).<br />

Im Überblick handelt es sich um folgende Ansätze, die entweder eng mit einem<br />

bestimmten Theoretiker verknüpft sind oder für die beispielhaft ein Vertreter<br />

genannt wird. Der Überblick soll eine grobe Einordnung der Ansätze ermöglichen,<br />

ohne sie in ihren Nuancen angemessen wiederzugeben. Die Darstellung<br />

folgt ungefähr einer zeitlichen Achse nach der Entstehungszeit der Ansätze.


12 1 Einleitung<br />

Abbildung 1: Überblick über Ansätze zur sozialen <strong>Ungleichheit</strong><br />

Bis Ende der siebziger Jahre:<br />

Klassen<br />

Marx<br />

Weber<br />

Geiger<br />

Schichten<br />

Funktionalistische<br />

Schichtungstheorie<br />

(z.B. Parsons)<br />

Andere<br />

Ansätze<br />

Neomarxismus<br />

Dahrendorf<br />

Ab etwa Anfang der achtziger Jahre:<br />

Klassen Schichten Lebensstile<br />

<strong>und</strong> Milieus<br />

z.B. Wright,<br />

Goldthorpe,<br />

Bourdieu<br />

z.B. Geißler z.B.<br />

Bourdieu,<br />

Schulze<br />

Prestigemodelle (z.B.<br />

Warner, Scheuch)<br />

<strong>Soziale</strong><br />

Lagen<br />

z.B.<br />

Hradil,<br />

Schwenk<br />

Nivellierte Mittelstandsgesellschaft<br />

(Schelsky)<br />

Individualisierung<br />

z.B. Beck<br />

Die folgenden Kapitel sollen nun die Charakteristika der einzelnen Ansätze aufzeigen<br />

<strong>und</strong> mit Blick auf die genannten Leitfragen ihre Stärken <strong>und</strong> ausgewählte<br />

Kritikpunkte herausarbeiten.


1 Einleitung 13<br />

Teil I:<br />

Ältere Ansätze zur sozialen <strong>Ungleichheit</strong>


2.1 Karl Marx: Das „klassische“ Klassenmodell 15<br />

2 Die Entstehung der Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

2.1 Karl Marx: Das „klassische“ Klassenmodell<br />

Karl Marx (1818-1883) entwarf seine Klassentheorie in der Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />

Zwar ist er nicht der „Erfinder“ des Klassenbegriffs oder seiner Verwendung<br />

im ökonomischen Bereich. 2 Wohl aber ist sein Konzept – <strong>und</strong> insgesamt<br />

sein Gedanke, Gesellschaft als Klassengesellschaft zu begreifen – gr<strong>und</strong>legend<br />

<strong>und</strong> bis heute einflussreich geblieben.<br />

Marx begreift die gesamte historische Entwicklung als Geschichte von<br />

Klassenkämpfen:<br />

„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.<br />

Freier <strong>und</strong> Sklave, Patrizier <strong>und</strong> Plebejer, Baron <strong>und</strong> Leibeigener, Zunftbürger<br />

<strong>und</strong> Gesell, kurz, Unterdrücker <strong>und</strong> Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander,<br />

führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf,<br />

einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft<br />

endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen“<br />

(Marx/Engels 1974 (zuerst 1848): 23f.).<br />

Die verschiedenen Stufen dieser Klassenkämpfe zeichnen sich durch je spezifische<br />

Produktivkräfte <strong>und</strong> Produktionsverhältnisse aus. Besitzer von Produktionsmitteln<br />

herrschen dabei über Nichtbesitzende. 3 Das zeigt erstens, dass nach<br />

dieser Vorstellung die Arbeit bzw. der Bereich der Produktion die Gr<strong>und</strong>lage des<br />

menschlichen Daseins <strong>und</strong> Zusammenlebens darstellt <strong>und</strong> zweitens, dass Marx<br />

eindeutig das Privateigentum (an Produktionsmitteln) als Ursache sozialer <strong>Ungleichheit</strong><br />

ansieht (ein Gedanke, der ähnlich bereits bei Rousseau zu finden war).<br />

2 Z.B. hatten bereits die Physiokraten (z.B. Quesnay, 1694-1774) im Rahmen volkswirtschaftlicher<br />

Überlegungen Klasseneinteilungen vorgenommen, <strong>und</strong> der französische Sozialphilosoph Saint-<br />

Simon (1760-1825) unterschied zwischen einer produktiven <strong>und</strong> einer müßiggehenden Klasse.<br />

3 Zur Begriffsklärung: Produktivkräfte heißen die materiellen <strong>und</strong> personellen Faktoren, die die<br />

Produktion gewährleisten. Dazu gehören z.B. die menschliche Arbeitskraft oder die Kenntnisse <strong>und</strong><br />

Fähigkeiten, die unter anderem je nach dem Stand des technisch-naturwissenschaftlichen Wissens<br />

variieren. Produktionsverhältnisse sind Verhältnisse, die Menschen im Produktionsprozess eingehen<br />

– je nach dem historischen Stand der Produktivkräfte –, vor allem Rechts-, Eigentums- <strong>und</strong> damit<br />

Herrschaftsverhältnisse. Produktionsmittel sind z.B. Gr<strong>und</strong>stücke <strong>und</strong> Energiequellen, Maschinen,<br />

Werkzeuge <strong>und</strong> Werkstoffe.<br />

N. Burzan, <strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong>, DOI 10.1007/978-3-531-93154-8_2,<br />

© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011


16 2 Die Entstehung der Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

Eine Klasse ist entsprechend bestimmt durch ihr Verhältnis zu den Produktionsmitteln.<br />

Auf dieser Basis lautet Marx’ Diagnose der bürgerlichen oder kapitalistischen<br />

Gesellschaft im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert:<br />

„Die ... moderne bürgerliche Gesellschaft hat die Klassengegensätze nicht aufgehoben.<br />

Sie hat nur neue Klassen, neue Bedingungen der Unterdrückung, neue Gestaltungen<br />

des Kampfes an die Stelle der alten gesetzt. ... Die ganze Gesellschaft spaltet<br />

sich mehr <strong>und</strong> mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt<br />

gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie <strong>und</strong> Proletariat.“ (a.a.O.: 24).<br />

Die Bourgeoisie zeichnet sich durch den Besitz von Produktionsmitteln aus. Die<br />

nicht besitzenden Arbeiter erarbeiten einen Mehrwert, über den ausschließlich<br />

die Produktionsmittelbesitzer verfügen können. So häufen sie, etwa durch die<br />

Ausbeutung der Arbeiter, Kapital an <strong>und</strong> gewinnen zunehmend Mittel zur Erlangung<br />

ökonomischer <strong>und</strong> damit gesellschaftlicher Macht. Die Bourgeoisie stellt<br />

also die herrschende Klasse dar. Das Proletariat, das keine Produktionsmittel<br />

besitzt, ist die Klasse der Arbeiter, die zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes<br />

ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen müssen: „Die Arbeiter, die sich stückweis<br />

verkaufen müssen, sind eine Ware wie jeder andere Handelsartikel“ (a.a.O.: 31).<br />

Sie erhalten nur einen geringen Lohn <strong>und</strong> sind nicht nur materiell von Verelendung<br />

bedroht, sondern werden auch sozial <strong>und</strong> politisch unterdrückt. Dadurch,<br />

dass Selbstbestimmung nicht möglich ist, werden sie zunehmend zu entfremdeten<br />

Individuen. Zwischenklassen lösen sich zugunsten der dichotomen Gegenüberstellung<br />

dieser zwei Klassen zunehmend auf, weil z.B. kleine Industrielle<br />

oder Kaufleute nicht genügend Kapital zur Verfügung haben, um dem Konkurrenzkampf<br />

standzuhalten <strong>und</strong> schließlich zum dadurch wachsenden Proletariat<br />

stoßen (zur Beschreibung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>sverhältnisse im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

aus historischer Perspektive vgl. z.B. Kaelble 1983, Rothenbacher 1989).<br />

Es sei noch einmal betont, dass die Herrschaft der „herrschenden“ Klasse<br />

zwar auf ökonomischen Ursachen basiert, sich aber nicht allein auf den ökonomischen<br />

Bereich erstreckt, sondern auch auf Bereiche wie Politik, Kultur, Recht<br />

<strong>und</strong> Religion, den „Überbau“. Nach Marx prägt „das Sein das Bewusstsein“, die<br />

ökonomische Lage wirkt sich ursächlich auf die Lebensverhältnisse der Einzelnen<br />

<strong>und</strong> die gesellschaftlichen Verhältnisse aus. Unter anderem bedingt wirtschaftliche<br />

Macht politische Macht. Deshalb reicht es auch aus, Klassen nach<br />

dem Kriterium des Besitzes oder Nichtbesitzes von Produktionsmitteln einzuteilen.<br />

Nochmals in den Worten von Marx heißt es zur Klassenlage:<br />

„Insofern Millionen von Familien unter ökonomischen Existenzbedingungen leben,<br />

die ihre Lebensweise, ihre Interessen <strong>und</strong> ihre Bildung von denen der anderen Klas-


2.1 Karl Marx: Das „klassische“ Klassenmodell 17<br />

sen trennen <strong>und</strong> ihnen feindlich gegenüberstellen, bilden sie eine Klasse.“ (Marx<br />

1973 (zuerst 1852): 198).<br />

Und weiter:<br />

„Auf den verschiedenen Formen des Eigentums, auf den sozialen Existenzbedingungen<br />

erhebt sich ein ganzer Überbau verschiedener <strong>und</strong> eigentümlich gestalteter<br />

Empfindungen, Illusionen, Denkweisen <strong>und</strong> Lebensanschauungen.“ (a.a.O.: 139).<br />

Solange sich die Mitglieder einer Klasse allein objektiv in der gleichen Klassenlage<br />

befinden (das heißt Produktionsmittel besitzen oder nicht), bilden sie in der<br />

Terminologie von Marx eine Klasse an sich. Wenn mit der Klassenlage ein gemeinsames<br />

Klassenbewusstsein <strong>und</strong> daraus folgend solidarische Handlungsweisen<br />

verb<strong>und</strong>en sind, wird die Klasse zu einer auch subjektiv bestehenden Klasse<br />

für sich. Der objektive Interessengegensatz, der mit den gegensätzlichen Klassenlagen<br />

verb<strong>und</strong>en ist (die Bourgeoisie will die bestehenden Verhältnisse bewahren,<br />

das Proletariat will sie überwinden), führt im Laufe der Entwicklung zu<br />

einem verschärften Klassenkonflikt, weil die schrumpfende Bourgeoisie immer<br />

reicher wird <strong>und</strong> das wachsende Proletariat immer mehr verelendet. Der Klassenkonflikt<br />

ist also keine kurzfristige Übergangserscheinung im Entwicklungsprozess<br />

der Industriegesellschaft. Die Klassengegensätze laufen dann – als immanente<br />

Tendenz der kapitalistischen Produktionsweise – auf die Revolution des<br />

Proletariats hinaus, das zu diesem Zeitpunkt eine Klasse für sich geworden ist. In<br />

diesem Szenario wird das Privateigentum an Produktionsmitteln abgeschafft,<br />

eine gerechte soziale Ordnung, die klassenlose Gesellschaft, entsteht. Der Klassenkonflikt<br />

fungiert damit als Motor des gesellschaftlichen Wandels insgesamt.<br />

Die Prinzipien des Klassenbegriffs nach der Klassentheorie von Marx, die<br />

für spätere Klassenmodelle einflussreich waren, sollen nun noch einmal zusammengefasst<br />

werden:<br />

� Sein Klassenbegriff hat eine ökonomische Basis. Der Besitz oder Nichtbesitz<br />

von Produktionsmitteln ist entscheidend für die Klassenzugehörigkeit<br />

<strong>und</strong> damit für die soziale Lage in einem umfassenden Sinne sowie für<br />

Machtverhältnisse in der Gesellschaft. <strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong> lässt sich so<br />

mittels des Klassenbegriffs erklären.<br />

� Klassen stehen sich antagonistisch gegenüber: Aufgr<strong>und</strong> gegensätzlicher<br />

Interessen besteht ein Klassenkonflikt, wobei sich das Hauptaugenmerk auf<br />

zwei relevante Klassen richtet, die sich im Klassenkampf dichotom gegenüberstehen.<br />

Allgemein kommt der Betrachtung der Beziehungen zwischen<br />

den Klassen in der Klassentheorie damit große Bedeutung zu.


18 2 Die Entstehung der Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

� Unter bestimmten Bedingungen zeichnen sich die Mitglieder einer Klasse<br />

auch durch ein gemeinsames (Klassen-) Bewusstsein aus, das solidarisches<br />

Handeln ermöglicht. Klassen sind damit keinesfalls nur sozialstatistische<br />

Kategorien, sondern „Akteure im gesellschaftlichen Kräftespiel“ (Kreckel<br />

1990: 55).<br />

� Die Analyse der Dynamik des Klassenkonflikts kann sozialen Wandel<br />

erklären.<br />

Marx’ Klassenmodell ist in allen erwähnten Punkten Basis für Auseinandersetzungen<br />

<strong>und</strong> Kritik geworden. Zunächst ist eine Beschäftigung mit seinem<br />

Klassenbegriff schon aus dem Gr<strong>und</strong>e nicht einfach, weil Marx keine eindeutige<br />

formale Definition des Begriffs liefert (z.B. bricht ein Kapitel über „die Klassen“<br />

bereits nach wenigen Zeilen ab; Marx 1974 (zuerst 1894): 892f.) <strong>und</strong> weil seine<br />

Klassentheorie laut Dahrendorf „das problematische Bindeglied zwischen soziologischer<br />

Analyse <strong>und</strong> philosophischer Spekulation [bildet]“ (Dahrendorf<br />

1957: 6). Inhaltlich stellen Kritiker in Frage, ob ökonomische Bestimmungsgründe<br />

allein die Phänomene der Lebenslage sowie der Machtverhältnisse in der<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> in gesellschaftlichen Teilbereichen erklären. Sie bezweifeln<br />

weiterhin, dass die Berücksichtigung von zwei Hauptklassen ausreiche, um eine<br />

sinnvolle Sozialstrukturanalyse durchzuführen. Ein Kritikpunkt lautet ferner,<br />

dass Marx zwar die kapitalistische Gesellschaft des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts in ihrer<br />

Struktur erkläre, dass sich aber die weitere Entwicklung nicht mehr mit dem<br />

Marxschen Modell vereinbaren lasse: Unter anderem begründen die Kritiker dies<br />

mit der Existenz „neuer“ Mittelklassen, die sich z.B. mit der Ausweitung des<br />

Dienstleistungssektors <strong>und</strong> damit der Gruppe der Angestellten herausgebildet<br />

haben. Der Hinweis auf soziale Mobilität <strong>und</strong> auf die allgemeine Wohlstandszunahme<br />

zeigt, dass die Verelendung breiter Massen nicht stattgef<strong>und</strong>en hat. Geiger<br />

formuliert beispielsweise:<br />

„Offenbar ist im Gegenteil die Lage <strong>und</strong> Stellung des Arbeiters innerhalb der kapitalistischen<br />

Gesellschaft erheblich günstiger geworden. Die Verelendungstheorie<br />

wurde daher schon vor dem Ersten Weltkrieg von den sozialdemokratischen Revisionisten<br />

(E. Bernstein) preisgegeben … Marx [hat] die Verelendungstheorie rein deduktiv<br />

dem Kapitalismus angedichtet. Sie liegt nicht in der Wirklichkeit des Kapitalismus,<br />

sondern in Marx’ Idee des Kapitalismus“ (Geiger 1975 (zuerst 1949): 58f.,<br />

Hervorhebung i. O.).<br />

Ein anderes Argument lautet: Nicht nur durch die ausgebliebene Verelendung,<br />

sondern auch dadurch, dass Klassenkonflikte institutionalisiert wurden, sind sie<br />

insgesamt stark abgeflaut (z.B. regeln heute meist Tarifverträge das Lohnniveau).<br />

Die Prognosen – die der proletarischen Revolution <strong>und</strong> der daraus folg-


2.1 Karl Marx: Das „klassische“ Klassenmodell 19<br />

enden klassenlosen Gesellschaft – bieten eine besondere Angriffsfläche, weil<br />

man Jahrzehnte später leicht diagnostizieren konnte, die klassenlose Gesellschaft<br />

sei nicht realisiert worden, <strong>und</strong> zwar auch nicht in den „sozialistischen <strong>Länder</strong>n“,<br />

in denen eine formale (weitgehende) Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln<br />

nicht zur Überwindung von Herrschaft <strong>und</strong> Unterdrückung geführt<br />

hatte. Schließlich hat auch die Annahme des entstehenden Klassenbewusstseins<br />

<strong>und</strong> damit des solidarischen Klassenhandelns zu Diskussionen geführt.<br />

Damit einher ging die Frage, ob man sich unter Klassen überhaupt eine konkrete<br />

Menschengruppe vorstellen dürfe oder ob sie nicht eher als theoretisches Konstrukt<br />

anzusehen seien. Elster bezweifelt, dass die Klassenstruktur in allen Gesellschaften<br />

die Haupterklärung für soziale Konflikte zwischen organisierten<br />

Gruppen darstelle (Elster 1985).<br />

A. Giddens begegnet einigen dieser Probleme – z.B. der Frage nach der Anzahl<br />

der Klassen – mit dem Hinweis darauf, dass bei Marx ein abstraktes <strong>und</strong> ein<br />

konkretes Klassenmodell nebeneinander existieren. Es gibt nach seiner Darstellung<br />

auch bei Marx mehrere Klassen (z.B. Klassen, die in einer Übergangszeit<br />

bestehen oder Untergruppen von Hauptklassen), die zwar für die Beschreibung<br />

einer bestimmten Gesellschaft wichtig sein können, in dem abstrakten Modell<br />

der Klassengesellschaft <strong>und</strong> ihrer Entwicklung jedoch keine zentrale Rolle spielen<br />

(1979: 34 f.). Damit kann man Marx nicht vorwerfen, gesellschaftliche Phänomene<br />

wie Zwischenklassen einfach übersehen zu haben. Ähnlich argumentiert<br />

T. Geiger, der seiner Kritik an Marx einige „unbegründete Einwände gegen die<br />

Lehre des Marxismus“ voranstellt (1975 (zuerst 1949): Kap. III). Dazu gehört<br />

die Konzentration auf zwei Klassen, durch die Marx das dominante Schichtungsprinzip<br />

(vgl. dazu Geigers Ansatz in Kap. 2.3) abbildet, aber nicht den<br />

Anspruch erhebt, eine vollständige Zustandsbeschreibung mit weiteren Trennungslinien<br />

<strong>und</strong> inneren Konflikten zu liefern. Dies ist auch deshalb der Fall,<br />

weil Marx einen Schwerpunkt auf die dynamische Analyse von Gesellschaftsentwicklungen<br />

legt.<br />

Zusammenfassung<br />

Nach Marx bestimmt der Besitz von Produktionsmitteln die konflikthaften<br />

Machtverhältnisse in einer Gesellschaft. Die Analyse des Klassenkampfs <strong>und</strong><br />

seiner Rolle für den sozialen Wandel ist ein wichtiges Element des Ansatzes.<br />

Trotz verschiedener Kritikpunkte an Marx’ Modell (z.B. es sei zu <strong>und</strong>ifferenziert<br />

<strong>und</strong> seine Prognose sei nicht eingetreten) ist es in der Folgezeit nicht einfach „ad<br />

acta“ gelegt worden. Die Vorstellung späterer <strong>Ungleichheit</strong>sansätze zeigt, dass<br />

sich andere Forscher mit seinen Argumenten auseinandergesetzt <strong>und</strong> einzelne


20 2 Die Entstehung der Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

Elemente aufgenommen oder verworfen haben. Somit spielen Klassen auch in<br />

der späteren Diskussion eine bedeutsame Rolle.<br />

Lesehinweise: 4<br />

� Marx, Karl; Friedrich Engels (1848): Manifest der kommunistischen Partei,<br />

Stuttgart: Reclam 1974, Kap. I (S. 23-37)<br />

� Dahrendorf 1957, Kap I: Das Modell der Klassengesellschaft bei Karl<br />

Marx, S. 1-33, unter anderem fasst Dahrendorf die Hauptgedanken Marx’<br />

zur Klassentheorie zusammen, indem er das Kapitel für Marx anhand vieler<br />

Zitate von ihm „zu Ende“ schreibt (S. 7-16).<br />

2.2 Max Weber: Klassen <strong>und</strong> Stände<br />

Auf das Konzept von Max Weber (1864-1920) stützen sich später Vertreter einer<br />

„gemäßigten“ Klassentheorie (Kreckel 1990), aber auch Vertreter von Schicht-<br />

<strong>und</strong> Lebensstilansätzen. Es ist also für die weitere Konzeptionierung sozialer<br />

<strong>Ungleichheit</strong> stark anschlussfähig.<br />

Ein zentraler Unterschied zu Marx besteht darin, dass Weber ein differenziertes,<br />

mehrdimensionales Modell vorlegt, das heißt er betont nicht allein den<br />

ökonomischen Aspekt <strong>und</strong> gibt auch die Beschränkung auf zwei relevante Klassen<br />

– Bourgeoisie <strong>und</strong> Proletariat – auf. Weber spricht nicht allein von „Klassen“,<br />

sondern zieht zur Charakterisierung der Sozialstruktur, der Machtverteilung<br />

in einer Gesellschaft, zusätzlich „Stände“ <strong>und</strong> „Parteien“ heran. Zudem teilt<br />

er Klassen auf: Er unterscheidet verschiedene Besitz-, Erwerbs- <strong>und</strong> soziale<br />

Klassen.<br />

Klassen<br />

Weber spricht dann von Klassen, wenn<br />

„1. einer Mehrzahl von Menschen eine spezifische ursächliche Komponente ihrer<br />

Lebenschancen gemeinsam ist, soweit 2. diese Komponente lediglich durch ökonomische<br />

Güterbesitz- <strong>und</strong> Erwerbsinteressen <strong>und</strong> zwar 3. unter den Bedingungen des<br />

4<br />

Verschiedene der unter den Lesehinweisen genannten Texte finden sich (gekürzt) auch in dem<br />

Reader von Solga et al. (2009).


2.2 Max Weber: Klassen <strong>und</strong> Stände 21<br />

(Güter- oder Arbeits-) Markts dargestellt wird (‚Klassenlage’)“ (1980 (zuerst 1922):<br />

531).<br />

Eine Klasse ist also gekennzeichnet durch die Art der Verfügung über Besitz <strong>und</strong><br />

des Erwerbs von Gütern sowie die Chancen, die sie dadurch auf dem Markt hat.<br />

Klassenlage heißt dann<br />

„die typische Chance 1. der Güterversorgung, 2. der äußeren Lebensstellung, 3. des<br />

inneren Lebensschicksals ..., welche aus Art <strong>und</strong> Maß der Verfügungsgewalt (oder<br />

des Fehlens solcher) über Güter <strong>und</strong> Leistungsqualifikationen <strong>und</strong> aus der gegebenen<br />

Art ihrer Verwertbarkeit über die Erzielung von Einkommen oder Einkünften<br />

innerhalb einer gegebenen Wirtschaftsordnung folgt“ (a.a.O.: 177).<br />

Und weiter heißt es: „‚Klassenlage’ ist in diesem Sinn letztlich: ‚Marktlage’.“<br />

(a.a.O.: 532). 5<br />

Auch bei Weber basieren Klassen nach diesen Ausführungen zentral auf<br />

Besitz. T. Herz betont, dass Weber mit dem Merkmal der Verfügungsgewalt<br />

auch über Leistungsqualifikationen (nicht allein über Güter) die Basis der Klassenbildung<br />

erweitere (1983: 34).<br />

Weitere Differenzierungen ergeben sich nun dadurch, dass Weber Klassen<br />

unterteilt in Besitz-, Erwerbs- <strong>und</strong> soziale Klassen. Bei Besitzklassen bestimmen<br />

primär Besitzunterschiede die Klassenlage (Weber a.a.O.: 177). „Positiv privilegierte<br />

Besitzklassen“ (a.a.O.: 178) sind z.B. Besitzer von Arbeitsanlagen <strong>und</strong><br />

Apparaten, Bergwerken etc., negativ privilegierte z.B. Verschuldete <strong>und</strong> Arme.<br />

Dazwischen gibt es „Mittelstandsklassen“ (ebd.). Diese Durchbrechung der Dichotomie<br />

ist auch bei den Erwerbsklassen zu finden, in denen primär „die Chancen<br />

der Marktverwertung von Gütern oder Leistungen“ die Klassenlage bestimmen<br />

(a.a.O.: 177). Als entgegengesetzte Beispiele führt Weber hier Unternehmer<br />

(z.B. Händler) bzw. Arbeiter an.<br />

<strong>Soziale</strong> Klassen, so lautet die Definition, „soll die Gesamtheit derjenigen<br />

Klassenlagen heißen, zwischen denen ein Wechsel a) persönlich, b) in der Generationenfolge<br />

leicht möglich ist <strong>und</strong> typisch stattzufinden pflegt.“ (a.a.O.: 177)<br />

<strong>Soziale</strong> Klassen bündeln also die Klassenlagen, innerhalb derer man wechseln<br />

kann, über die hinaus Mobilität jedoch typischerweise weniger stattfindet. Für<br />

seine Zeit führt Weber vier soziale Klassen an: die Arbeiterschaft, das Kleinbürgertum,<br />

die besitzlose Intelligenz <strong>und</strong> Fachgeschultheit sowie die Klassen der<br />

Besitzenden <strong>und</strong> durch Bildung Privilegierten (a.a.O.: 179).<br />

5 Ritsert macht darauf aufmerksam, dass sich Webers Begriffsbestimmungen von „Klasse“ an den<br />

verschiedenen Stellen in „Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft“ nicht völlig entsprechen. So werde in der<br />

zweiten Definition (Weber 1980: 531f.) die Bedeutung des Marktes als definiens für Klasse noch<br />

stärker hervorgehoben (Ritsert 1998: 77, 82).


22 2 Die Entstehung der Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

<strong>Soziale</strong> Klassen weisen zum einen auf das Phänomen der sozialen Mobilität hin,<br />

zum anderen bündelt dieser Begriff in gewisser Weise die unübersichtliche<br />

Vielfalt der unterschiedlichen Besitz- <strong>und</strong> Erwerbsklassen.<br />

Im Unterschied zu Marx führt die Zugehörigkeit zu einer Klasse (bzw. zu<br />

einer sozialen Klasse) im Zuge sozialen Wandels nicht notwendig zu einem<br />

Klassenbewusstsein oder gemeinsamem Handeln: „Eine universelle Erscheinung<br />

ist das Herauswachsen einer Vergesellschaftung oder selbst eines Gemeinschaftshandelns<br />

aus der gemeinsamen Klassenlage keineswegs.“ (a.a.O.: 532 f.)<br />

Die Entwicklung zu einer „Klasse für sich“ (in Marx’ Terminologie) ist nur eine<br />

potentielle, nicht einmal besonders wahrscheinliche Möglichkeit. Klassenlagen<br />

<strong>und</strong> daran anknüpfende Interessenlagen sind bei Weber insgesamt weitaus vielfältiger<br />

<strong>und</strong> uneindeutiger als bei Marx (vgl. Kreckel 1982). Bedingungen, die<br />

Klassenhandeln begünstigen, sind z.B. eine massenhaft ähnliche Klassenlage,<br />

räumliche Nähe, Führung auf einleuchtende Ziele <strong>und</strong> ein Handeln gegen einen<br />

unmittelbaren Interessengegner, z.B. einen konkreten Unternehmer im Gegensatz<br />

zu Aktionären (Weber a.a.O.: 179).<br />

Stände<br />

Wie lassen sich nun nach Weber Stände von diesem Verständnis der Klassen<br />

absetzen? Während Klassen in der Sphäre der Wirtschaft angesiedelt sind, geben<br />

Stände eher eine „soziale“ Ordnung im engeren Sinne wider. Weber definiert<br />

„ständische Lage“ als<br />

„jede typische Komponente des Lebensschicksals von Menschen, welche durch eine<br />

spezifische, positive oder negative, soziale Einschätzung der ‚Ehre’ bedingt ist, die<br />

sich an irgendeine gemeinsame Eigenschaft vieler knüpft.“ (a.a.O.: 534)<br />

Der Stand basiert also auf Ehre, auf sozialem Prestige <strong>und</strong> drückt sich primär in<br />

einer bestimmten Lebensführung 6 aus. Dazu gehören unter anderem die<br />

Personenkreise, mit denen man Umgang pflegt (was auch zur „Schließung“ gegenüber<br />

anderen Gruppen führt; zu diesem Begriff vgl. Weber a.a.O.: 23-25,<br />

weiterführend die Beiträge in Mackert 2004) oder die Befolgung spezifischer<br />

Werte. Durch das Element der Lebensführung berücksichtigt Weber eine subjektive<br />

Komponente für die Erklärung der Sozialstruktur. Stände sind in der Regel<br />

Gemeinschaften, allerdings amorphe Gemeinschaften, das heißt die Mitglieder<br />

müssen sich nicht persönlich kennen (a.a.O.: 534). Stände können beispielsweise<br />

Berufsstände (Offiziere, Ärzte etc.), Geburtsstände (aufgr<strong>und</strong> der Abstammung,<br />

6 Dies ist ein Element in Webers Konzept, an das spätere Lebensstilansätze anknüpfen, vgl. Kap. 5.1.


2.2 Max Weber: Klassen <strong>und</strong> Stände 23<br />

z.B. der Adel) oder politische Stände sein (a.a.O.: 180). Im Unterschied zur sozialen<br />

Klasse gibt Weber keine bestimmte Anzahl charakteristischer Stände für<br />

seine Zeit an.<br />

Giddens stellt zum Verhältnis von Klasse <strong>und</strong> Stand fest, dass es sich nicht<br />

allein um eine Unterscheidung zwischen objektiven <strong>und</strong> subjektiven Aspekten<br />

der Differenzierung handelt, sondern dass auch der Unterschied zwischen Produktion<br />

(Klassen) <strong>und</strong> Konsumtion (in Form einer spezifischen Lebensführung<br />

bei den Ständen) relevant ist (1979: 49; Weber a.a.O.: 538). Kann man so einerseits<br />

von zwei getrennten Prinzipien, dem Markt- <strong>und</strong> dem ständischen Prinzip,<br />

sprechen, die jeweils für sich die Struktur sozialer <strong>Ungleichheit</strong> beeinflussen <strong>und</strong><br />

quer zueinander liegen können, so sind andererseits Verknüpfungen keinesfalls<br />

ausgeschlossen:<br />

„Ständische Lage kann auf Klassenlage ... ruhen. Aber sie ist nicht durch sie allein<br />

bestimmt: Geldbesitz <strong>und</strong> Unternehmerlage sind nicht schon an sich ständische<br />

Qualifikationen, – obwohl sie dazu führen können.“ (Weber a.a.O.: 180).<br />

Verknüpfungen zwischen Klasse <strong>und</strong> Stand sind insgesamt weder unmöglich<br />

noch zwangsläufig. Offiziere, Beamte <strong>und</strong> Studenten können z.B. dem gleichen<br />

Stand angehören, ohne sich in der gleichen Klassenlage zu befinden. Oft ist jedoch<br />

eine bestimmte ständische Lebensführung doch ökonomisch mit bedingt,<br />

weil sie sich zumindest unter anderem im Konsum ausdrückt. Wenn man Webers<br />

begrifflichen Differenzierungen folgt, ließe sich zudem hinzufügen, dass soziale<br />

Klassen den ständischen Gemeinschaften näher kommen als z.B. die Erwerbsklassen.<br />

Die möglichen Beziehungen zwischen Klasse <strong>und</strong> Stand behandelt Weber<br />

jedoch nicht eingehend im Einzelnen.<br />

Hradil betont das Spannungsverhältnis beider Prinzipien, wenn er darauf<br />

hinweist, dass ausgeprägte Ständebildungen die freie Marktkonkurrenz, eine<br />

Gr<strong>und</strong>lage der Klassengliederung, behindern (Hradil 1987: 75; vgl. Weber<br />

a.a.O.: 538). Über die Dominanz eines der beiden Prinzipien sagt Weber, dass<br />

eine „(relative) Stabilität der Gr<strong>und</strong>lagen von Gütererwerb <strong>und</strong> Güterverteilung“<br />

(a.a.O.: 539) eine ständische Gliederung begünstigt, während in Zeiten technisch-ökonomischer<br />

Erschütterung <strong>und</strong> Umwälzung die Klassenlage in den Vordergr<strong>und</strong><br />

rückt (ebd.). Kreckel ist der Ansicht, dass das ständische Prinzip zwar<br />

„ein Erbe aus vorkapitalistischer Zeit“ sei (1982: 623), aber nicht mit ihr zusammen<br />

sterbe, sondern weiter bestehe. Wenn Jahrzehnte später <strong>Ungleichheit</strong>sforscher<br />

darauf hinweisen, dass nicht nur ökonomische Faktoren für soziale<br />

<strong>Ungleichheit</strong> maßgeblich seien (vgl. Kap. 3.6, Teil II), können sie sich damit auf<br />

Webers Ausführungen berufen, die bereits zu Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts entstanden<br />

sind.


24 2 Die Entstehung der Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

Parteien<br />

Eine weitere Differenzierung trifft Weber mit dem Begriff der „Partei“. Parteien<br />

sind<br />

„primär in der Sphäre der ‚Macht’ zu Hause. Ihr Handeln ist auf soziale ‚Macht’,<br />

<strong>und</strong> das heißt: Einfluss auf ein Gemeinschaftshandeln gleichviel welchen Inhalts<br />

ausgerichtet: es kann Parteien prinzipiell in einem geselligen ‚Klub’ ebensogut geben<br />

wie in einem ‚Staat’. Das ‚parteimäßige’ Gemeinschaftshandeln enthält, im Gegensatz<br />

zu dem von ‚Klassen’ <strong>und</strong> ‚Ständen’, bei denen dies nicht notwendig der<br />

Fall ist, stets eine Vergesellschaftung.“ (Weber 1980: 539)<br />

Man kann sagen, dass mit „Partei“ eine institutionalisierte Interessengruppe<br />

gemeint ist.<br />

Hradil stellt „Partei“ gleichrangig neben „Klasse“ <strong>und</strong> „Stand“, weil sie<br />

nach der ökonomischen <strong>und</strong> sozialen nun die politische Dimension sozialer <strong>Ungleichheit</strong><br />

vertrete (1987: 62f.). Kreckel sowie Giddens machen aber auch darauf<br />

aufmerksam, dass man Macht nicht als dritte Dimension oder drittes Prinzip<br />

sozialer <strong>Ungleichheit</strong> sehen dürfe. Macht sei eher Oberbegriff, weil sowohl<br />

Klassen als auch Stände <strong>und</strong> Parteien Phänomene der Machtverteilung sind.<br />

Macht ist somit weder auf ökonomische, noch soziale oder politische Aspekte<br />

beschränkt (Kreckel 1982: 620; Giddens 1979: 49).<br />

Als Unterschied zu Marx kann man aus den Differenzierungen, die Weber vorgenommen<br />

hat, folgern, dass nach Webers Verständnis nicht der Klassencharakter<br />

das entscheidende Merkmal des modernen Kapitalismus darstellt, sondern die<br />

wachsende Bedeutung der Zweckrationalität mit bürokratischen Organisationen<br />

als ihrem Rahmen. Wenn man (wie Marx) den Klassenkampf als wichtigsten<br />

dynamischen gesellschaftlichen Prozess ansieht, vernachlässigt man nach Weber<br />

die Bedeutung der ständischen Lage (wenngleich die Klassenlage im modernen<br />

Kapitalismus der vorherrschende Faktor ist) <strong>und</strong> überschätzt gleichzeitig die<br />

Rolle der Ökonomie, wenn man aus ihr z.B. auch politische Konstellationen als<br />

sek<strong>und</strong>är ableitet (vgl. auch Giddens 1979: 58-60).<br />

Die Bedeutung von Webers Ausführungen wird häufig darin gesehen, dass<br />

er Wegbereiter war für mehrdimensionale (empirische) Analysen sozialer <strong>Ungleichheit</strong>.<br />

Einige heben sein Konzept als Etappe in der Entwicklung des<br />

Schichtkonzepts hervor, unter anderem durch die Berücksichtigung von Prestige<br />

(vgl. Kap. 3.3). Positiv werden ebenfalls seine präzisen begrifflichen Klärungen<br />

bewertet (z.B. von Giddens 1979: 50).<br />

Aber es gibt auch Kritik, die sich häufig auf den geringen Erklärungsbeitrag<br />

des Konzepts richtet. Hradil bemängelt beispielsweise, dass Weber keinen hin-


2.2 Max Weber: Klassen <strong>und</strong> Stände 25<br />

reichenden Zusammenhang zwischen objektiven <strong>und</strong> subjektiven Aspekten,<br />

zwischen sozio-ökonomischen, -kulturellen <strong>und</strong> -politischen Phänomenen sozialer<br />

<strong>Ungleichheit</strong> herstellt (1987: 64). Ein weiterer Kritikpunkt richtet sich auf<br />

eine mangelnde Ursachenhinterfragung. Giddens weist darauf hin, dass Weber<br />

keine systematischen Hinweise auf die Bedingungen gibt, die z.B. Klassenbewusstsein<br />

hervorrufen (1979: 95). Webers abstrakte begriffliche Erörterungen<br />

sind lediglich unfertige Entwürfe, denen er eher in seinen historischen Arbeiten<br />

weiter nachgeht (a.a.O.: 50). Solche Entwürfe setzen sich damit weniger der<br />

Kritik aus als systematische Modelle eines <strong>Ungleichheit</strong>sgefüges mit seinen<br />

Ursachen <strong>und</strong> Dynamiken. G. Berger fasst zusammen: Weber habe weniger das<br />

Ziel, „eine Theorie über Ursachen <strong>und</strong> Formen der <strong>Ungleichheit</strong> im sozialen<br />

Wandel (vorzulegen), sondern eher einen konzeptionellen Rahmen für deren<br />

multidimensionale Analyse.“ (1989: 336).<br />

Zusammenfassung<br />

Weber entwickelt einen differenzierten Ansatz, in dem er vornehmlich ökonomisch<br />

definierte Klassen (Besitz-, Erwerbs- <strong>und</strong> soziale Klassen) <strong>und</strong> auf sozialer<br />

Ehre beruhende Stände, daneben Parteien unterscheidet. Diese Differenzierungen<br />

stellen den Ausgangspunkt für viele spätere mehrdimensionale Analysen<br />

sozialer <strong>Ungleichheit</strong> dar.<br />

Neuere Ansätze zur sozialen <strong>Ungleichheit</strong> sind jedoch nicht nur von den<br />

klassischen Theorien Marx’ <strong>und</strong> Webers beeinflusst, sondern müssen sich ebenfalls<br />

mit der Schichtungsforschung auseinandersetzen, die zunehmend an Bedeutung<br />

gewann. Zwei Ansätze dazu aus der ersten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

werden daher im Folgenden vorgestellt.<br />

Lesehinweis:<br />

Weber, Max (1922): Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft. Gr<strong>und</strong>riss der verstehenden<br />

Soziologie, besorgt von Johannes Winckelmann, Tübingen, 5., revidierte Auflage<br />

1980 (14.-18. Tsd), S. 177-180 („Stände <strong>und</strong> Klassen“); 531-540 („Klassen,<br />

Stände, Parteien“)


26 2 Die Entstehung der Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

2.3 Das Schichtmodell Theodor Geigers<br />

Die Themen Klassen- <strong>und</strong> Schichtstruktur sowie Mobilität bildeten einen<br />

Schwerpunkt der Arbeit Theodor Geigers (1891-1952), weitere Felder waren<br />

z.B. die Rechtssoziologie, die Ideologiekritik <strong>und</strong> die Analyse von Werbung <strong>und</strong><br />

Propaganda (vgl. als Überblick Geißler/Meyer 1999, ausführlicher Meyer<br />

2001b).<br />

Geiger grenzt sich ausführlich gegen Marx ab, am Rande gegen Weber <strong>und</strong><br />

setzt bisherigen Klassenbegriffen <strong>und</strong> -modellen (auch anderer Autoren, z.B. W.<br />

Sombart oder G. Schmoller) ein eigenes Schichtmodell entgegen, das S. Hradil<br />

als „nicht-marxistisches Klassenmodell“ einordnet (1999: 118). Was versteht<br />

Geiger unter einer Schicht?<br />

„Jede Schicht besteht aus vielen Personen (Familien), die irgendein erkennbares<br />

Merkmal gemein haben <strong>und</strong> als Träger dieses Merkmals einen gewissen Status in<br />

der Gesellschaft <strong>und</strong> im Verhältnis zu anderen Schichten einnehmen. Der Begriff<br />

des Status umfasst Lebensstandard, Chancen <strong>und</strong> Risiken, Glücksmöglichkeiten,<br />

aber auch Privilegien <strong>und</strong> Diskriminationen, Rang <strong>und</strong> öffentliches Ansehen.“<br />

(1955: 186, Hervorhebungen im Original).<br />

Eine Schicht beschreibt damit eine bestimmte soziale Lage <strong>und</strong> dient bei Geiger<br />

als Oberbegriff, der die Sozialstruktur einer Gesellschaft kennzeichnet. Andere<br />

Begriffe, z.B. Kaste, Stand oder Klasse, sind nur Beispiele für historische Sonderfälle<br />

einer Schichtung. Auch die Klasse ist also eine spezielle Form der<br />

Schichtung, <strong>und</strong> zwar eine Form, bei der die Produktionsverhältnisse das „dominante<br />

Schichtungsprinzip“ darstellen.<br />

Zwei Aspekte dieser Sichtweise sollen für ein genaueres Verständnis weiter<br />

erläutert werden:<br />

a. Stellt Geiger eine Verbindung her von Schichten, also von den sozialen<br />

Lagen, zu bestimmten subjektiven Haltungen bzw. zu einem gemeinsamen<br />

Bewusstsein?<br />

b. Was ist mit dem „dominanten Schichtungsprinzip“ gemeint?<br />

Ad a) Geiger nimmt eine Unterscheidung auf, die differenziert zwischen „objektiven“<br />

<strong>und</strong> „subjektiven“ Schichtbegriffen (z.B. 1930: 213; 1955: 192-194).<br />

„Objektive“ Begriffe richten sich ausschließlich auf äußere Merkmale der sozialen<br />

Lage, z.B. das Einkommen. Geiger kritisiert eine solche Vorgehensweise als<br />

sozialstatistische Klassifikation, die kaum eine soziologische Aussagekraft hat,<br />

weil man recht beliebig Personengruppen nach Kriterien gruppieren kann. Die<br />

„subjektive“ Ausrichtung konzentriert sich auf eine bestimmte gemeinsame


2.3 Das Schichtmodell Theodor Geigers 27<br />

Haltung oder Denkweise, eine psychische Verfassung der Mitglieder, die nicht<br />

an Merkmale der sozialen Lage geb<strong>und</strong>en wird. „Gemischte“ Begriffe schließlich<br />

stellen einen Zusammenhang zwischen Lage <strong>und</strong> Haltung her, doch in einer<br />

aus Geigers Sicht ebenfalls unbefriedigenden Weise, weil zu den Schichten nur<br />

solche Personen einer gemeinsamen sozialen Lage gehören würden, die sich<br />

auch solidarisch fühlen <strong>und</strong> so verhalten. Wie sieht Geigers Lösung demgegenüber<br />

aus? „Indem man Lagen <strong>und</strong> Haltungen zuerst getrennt erfasst, dann aber<br />

die Verteilung der Lagen <strong>und</strong> die der Haltungen miteinander vergleicht, wird<br />

man gewisse Haltungen als typisch für gewisse Lagen erkennen. Man hat dann<br />

die Haltung in einer Schicht lokalisiert.“ (1955: 194).<br />

Die Haltung oder – in Geigers Terminologie – die „Mentalität“ ordnet er einer<br />

Schicht also quasi im Nachhinein zu. Solch eine Zuordnung ist nicht deterministisch,<br />

sondern sagt eher aus, dass viele, aber nicht alle Schichtmitglieder<br />

eine bestimmte Mentalität haben (es wäre zu diskutieren, ob es immer eine „vorherrschende“<br />

Mentalität in einer Schicht gibt). Eine andere Mentalität ist nicht<br />

„falsches Bewusstsein“ <strong>und</strong> führt auch nicht dazu, die Betreffenden der Schicht<br />

nicht mehr zuzuordnen, sie ist lediglich nicht der Normaltypus. Diese Mentalität,<br />

die durch die soziale Lebenswelt geprägte „geistig-seelische Disposition“ (1967<br />

(zuerst 1932): 77) wiederum ist eine „bewegende Kraft in der Entwicklung des<br />

Wirtschaftslebens“ (a.a.O.: 4).<br />

Abbildung 2: Verknüpfung von Schicht <strong>und</strong> Mentalität nach Geiger<br />

Schicht ( = Lagemerkmale)<br />

Zuordnung<br />

im Nachhinein<br />

Vorherrschende bzw. typische Mentalität<br />

Dieses Konzept von Schichten <strong>und</strong> ihren Mentalitäten hat Geiger in einer Studie<br />

umgesetzt, in der er Daten der Volkszählung von 1925 analysiert: „Die soziale<br />

Schichtung des deutschen Volkes“ von 1932. Dort stellt er ein Fünf-Schichten-<br />

Modell auf, zu dem folgende Schichten gehören:<br />

� Kapitalisten (0,9% der Berufszugehörigen)<br />

� mittlere <strong>und</strong> kleinere Unternehmer („alter Mittelstand“, 17,8%)<br />

� Lohn- <strong>und</strong> Gehaltsbezieher höherer Qualifikation („neuer Mittelstand“,<br />

17,9%)


28 2 Die Entstehung der Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

� Tagewerker für eigene Rechnung („Proletaroide“, 12,7%) sowie<br />

� Lohn- <strong>und</strong> Gehaltsbezieher minderer Qualifikation („Proletariat“, 50,7%;<br />

Geiger a.a.O.: 24, 73)<br />

Eine exakte Erforschung der zugehörigen Mentalitäten kann Geiger nicht vornehmen,<br />

dazu hätte er eine große Fülle empirischen Materials über das Alltagsleben<br />

der Menschen benötigt, z.B. über ihre Freizeitverwendung, den Lesegeschmack,<br />

die Formen der Geselligkeit etc. (Geiger a.a.O.: 80). 7 Dennoch macht<br />

er einige Bemerkungen zu den Charakteristika der Schichten. So ist – dies sei<br />

nur als ein Beispiel herausgegriffen – für die mittleren <strong>und</strong> kleinen Unternehmer,<br />

also für Bauern, Handwerker <strong>und</strong> Händler, die hohe Zahl mithelfender Familienangehöriger<br />

bezeichnend, damit bestimmt die „Familien- <strong>und</strong> Heimkultur …<br />

noch weitgehend den gesamten Lebensduktus“, was sich beispielsweise in einer<br />

religiösen Haltung äußert (1967 (zuerst 1932): 85). Diese Unternehmer befinden<br />

sich im „Verteidigungszustand“ nicht allein gegen wirtschaftliche Bedrängnis,<br />

sondern auch gegen drohenden Prestigeverlust (a.a.O.: 87). In ähnlicher Weise<br />

charakterisiert Geiger auch die anderen, in sich differenzierten Schichten <strong>und</strong><br />

berücksichtigt dabei kritisch, welche Schichten anfällig für die Ideologie des<br />

Nationalsozialismus sind (beispielsweise gehören die kleineren Händler dazu;<br />

a.a.O.: 86).<br />

Ad b) Was ist mit dem „dominanten Schichtungsprinzip“ gemeint? Geiger stellt<br />

sich den Begriff der Schichtung zunächst so allgemein vor, dass man unterschiedliche<br />

Schichten nach unterschiedlichen Merkmalen bilden kann. So würde<br />

sich eine andere Schichtung nach dem Einkommen als nach dem Beruf oder nach<br />

der Religionszugehörigkeit ergeben. Diese Schichtstrukturen „überkreuzen,<br />

durchdringen <strong>und</strong> überdecken einander“ (1967 (zuerst 1932): 5). Es sind jedoch<br />

nicht alle Schichtmerkmale gleichermaßen in einer Gesellschaft wichtig. In einer<br />

Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt ist vielmehr eine Schichtung dominant,<br />

andere sind subsidiär. In einer ständischen Gesellschaft ist dann etwa die<br />

Schichtung nach der Berufsart dominant. Mit Hilfe dieser Trennung von dominanter<br />

<strong>und</strong> subsidiärer Schichtung gelingt es auch, das Schichtmodell zu einem<br />

dynamischen zu machen, das heißt Prozesse zu analysieren, denn eine dominante<br />

Schichtung muss im Zeitverlauf nicht gleich bleiben, sondern kann in den Hintergr<strong>und</strong><br />

treten, während andere an Bedeutung gewinnen. Nach dieser Sichtweise<br />

könnte man z.B. sagen, die ständische Gesellschaft mit einer Schichtung nach<br />

Berufsarten sei abgelöst worden von einer Klassengesellschaft mit einer Schich-<br />

7<br />

So geht später Bourdieu vor, doch erforscht er nach seiner Terminologie nicht Mentalitäten, sondern<br />

Lebensstile (vgl. Kap. 6).


2.3 Das Schichtmodell Theodor Geigers 29<br />

tung durch das Produktionsverhältnis <strong>und</strong> wandelte sich von da aus wiederum<br />

weiter.<br />

Diese Sichtweise Geigers stellt eine wichtige Abgrenzung zu Marx dar. R.<br />

Geißler stellt fest, dass Geiger im Laufe seines wissenschaftlichen Arbeitens<br />

immer größere Distanz zu Marx gewonnen habe. Während Geiger in den allerersten<br />

Arbeiten noch das Zweiklassenmodell vertreten habe, stellt er in der genannten<br />

Studie von 1932 das Fünf-Schichten-Modell vor, in dem Buch „Die<br />

Klassengesellschaft im Schmelztiegel“ von 1949 äußert er schließlich starke,<br />

teilweise auch recht polemisch formulierte Kritik an Marx’ Theorie; Geißler<br />

bezeichnet das Buch daher als „den ‚Anti-Marx’ Geigers“ (Geißler 1985: 390,<br />

398-401). Geiger kritisiert dort beispielsweise, dass eine Verelendung der Arbeiterklasse<br />

nicht eingetreten sei, dass die Klassen sich zunehmend differenziert<br />

<strong>und</strong> schon gar nicht ein kollektives Klassenbewusstsein entwickelt hätten. Er<br />

schließt daraus: „Das marxistische Modell der industriellen Klassengesellschaft<br />

war vermutlich der Periode des Hochkapitalismus nicht unangemessen … Es ist<br />

nun aber zu bedenken, dass die Gesellschaft seit dem Durchbruch des Industrialismus<br />

von tiefer Unrast ergriffen ist“ (Geiger 1975 (zuerst 1949): 156). Abgesehen<br />

von einigen prinzipiellen Einwänden gegen Marx hat dieser aus Geigers<br />

Sicht also ein recht angemessenes Bild einer bestimmten Epoche entworfen,<br />

doch führt der soziale Wandel dahin, dass man nun andere Schichtungen als<br />

dominant herausarbeiten muss, um die Sozialstruktur der Gesellschaft zu charakterisieren.<br />

Stellt Geigers Ansatz die Lösung der Sozialstrukturanalyse dar? Obwohl er für<br />

einige spätere Modelle einflussreich war, gibt es auch an seinem Modell Kritikpunkte.<br />

Unter anderem stellt sich die Frage, wie man denn die bedeutsamsten<br />

Unterscheidungsmerkmale, die dominante Schichtung unter allen anderen<br />

Schichtungen einer Gesellschaft erkennen kann. Bei Geiger hört es sich so an,<br />

als ob sich, falls der Forscher nur genügend unvoreingenommen sei, die dominante<br />

Schichtung fast naturwüchsig herausschäle, z.B. möchte er zunächst alle<br />

Erscheinungen gesellschaftlicher Schichtung beschreiben, „wie sie sind“ (1955:<br />

199). 8 Seiner Meinung nach drängen sich gewisse Unterschiede der Lage als<br />

schicksalsbestimmend auf (1955: 195) – <strong>und</strong> dies sagt er, obwohl er andererseits<br />

zwei Schwierigkeiten selbst benennt:<br />

„Je näher der Betrachter insbesondere seiner eigenen Zeit kommt, desto schwerer<br />

fällt ihm die Unterscheidung zwischen typischen Perioden <strong>und</strong> den Übergangszuständen<br />

zwischen ihnen … ein anderer Umstand aber dürfte weit wichtiger sein. Die<br />

8 Im Gegensatz dazu bestimmt z.B. Weber Mobilität als Kriterium für die Bündelung zahlreicher<br />

Besitz- <strong>und</strong> Erwerbsklassen zu „sozialen Klassen“.


30 2 Die Entstehung der Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

neuzeitlichen Gesellschaften sind tatsächlich in höherem Grade labil, sind hektischeren<br />

Veränderungen unterworfen als die Gesellschaften der Vorzeit“ (1975 (zuerst<br />

1949): 151f.).<br />

Daher findet er es auch<br />

„zweifelhaft, ob der Augenblick für die Durchführung solcher Untersuchungen [zur<br />

gesellschaftlichen Struktur, N.B.] günstig wäre. Alles scheint heute im Gleiten zu<br />

sein, eine klar sich abzeichnende Struktur ist kaum zu finden. Wohl aber lassen gewisse<br />

Tendenzen einer Schichtverlagerung sich aufzeigen.“ (a.a.O.: 147).<br />

Es stellt sich die Frage, ob angesichts der oben genannten Schwierigkeiten der<br />

Augenblick überhaupt einmal wieder günstig werden kann, ob man das Modell<br />

angesichts des schnellen sozialen Wandels nicht modifizieren muss. So stellt<br />

auch Geißler fest, dass es Geiger insgesamt nicht gelingt, einen Begriff für das<br />

dominante Schichtungsprinzip seiner Zeit zu prägen <strong>und</strong> damit „den Kern des<br />

Wandels begrifflich <strong>und</strong> theoretisch zu erfassen“ (1985: 399). Eine Anwendung<br />

auf Geigers Gegenwartsgesellschaft ist diesem selbst also nicht gelungen, der oft<br />

positiv bewertete Hinweis auf dynamische Aspekte bleibt damit recht vage.<br />

Trotz dieser Kritik ist Geigers Modell nicht ohne Einfluss geblieben. Zwar<br />

wirkte er nicht schulbildend, <strong>und</strong> es gibt keine umfassende systematische Weiterentwicklung<br />

seines Werkes (Geißler/Meyer 1999: 290). Jedoch beruft sich<br />

beispielsweise R. Dahrendorf (dessen Konzept in Kap. 3.2 behandelt wird) auf<br />

ihn, <strong>und</strong> auch R. Geißler betont, dass viele Punkte, die Kritiker gegen spätere<br />

Schichtmodelle vorbrachten, auf Geigers Konzept nicht zuträfen, <strong>und</strong> nimmt<br />

daher Gesichtspunkte aus Geigers Modell auf (Kap. 4.1). Zudem betont Geißler<br />

1985, dass sich die <strong>Ungleichheit</strong>sforschung nicht wesentlich weiterentwickelt<br />

habe. Bisher sei es „nicht gelungen, die Strukturen <strong>und</strong> die Dynamik der sozialen<br />

<strong>Ungleichheit</strong> in spätkapitalistischen Gesellschaften auf den Begriff zu bringen.<br />

Der Marx der zweiten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts ist nicht in Sicht.“ (1985:<br />

407). Daher möchte er den Schichtbegriff, insbesondere den Schichtbegriff Geigers,<br />

nicht voreilig verabschieden. Auch Schroth betont Geigers Aktualität, er<br />

liege „voll im Trend der gegenwärtigen Sozialstrukturforschung“ (1999: 32) <strong>und</strong><br />

erfülle in jeder Hinsicht die Anforderungen, die an eine gegenwärtige Schichtanalyse<br />

zu stellen seien (1999: 34).<br />

Zusammenfassung<br />

In Abgrenzung insbesondere zu Marx entwirft T. Geiger ein Schichtmodell, das<br />

aus mehreren Schichten besteht. Das „dominante Schichtungsprinzip“, das für


2.4 Die funktionalistische Schichtungstheorie 31<br />

die Einteilung der Schichten, der spezifischen sozialen Lagen, besonders bedeutsam<br />

ist, kann sich allgemein je nach Gesellschaft <strong>und</strong> auch im Zeitverlauf wandeln.<br />

Zudem bleibt Geigers Ansatz nicht bei der begründeten Klassifikation sozialer<br />

Lagen stehen, sondern verknüpft diese im nächsten Schritt mit typischen<br />

Mentalitäten. Allerdings ist es Geiger nicht gelungen, die Schichtungsstruktur<br />

seiner Gesellschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts auf den Begriff zu<br />

bringen, das dominante Schichtungsprinzip herauszuarbeiten, das historisch laut<br />

Geiger die Klassengesellschaft abgelöst hat.<br />

Lesehinweise:<br />

� Geiger, Theodor (1955 erschienen): Theorie der sozialen Schichtung; in:<br />

ders. (1962): Arbeiten zur Soziologie, hg. von Paul Trappe, Neuwied/Berlin:<br />

Luchterhand, S. 186-205<br />

� Als Überblick in der Sek<strong>und</strong>ärliteratur: Geißler, Rainer (1985): Die Schichtungssoziologie<br />

von Theodor Geiger. Zur Aktualität eines fast vergessenen<br />

Klassikers; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie <strong>und</strong> Sozialpsychologie 37,<br />

S. 387-410<br />

2.4 Die funktionalistische Schichtungstheorie<br />

Die funktionalistische Sicht der sozialen Schichtung nimmt eine ganz andere<br />

Perspektive auf soziale <strong>Ungleichheit</strong> ein. Sie wurde in den Gr<strong>und</strong>lagen in den<br />

USA von T. Parsons (1902-1979) entwickelt (z.B. 1940, 1949). Die deutsche<br />

Rezeption hat sich zudem auch auf einen Aufsatz von K. Davis <strong>und</strong> W.E. Moore<br />

von 1945 konzentriert, der 1967 in deutscher Sprache erschien. Diese Perspektive<br />

fragt nicht, wie man möglicherweise Ungerechtigkeit oder Unterdrückung<br />

beseitigen könnte, sondern sie denkt darüber nach, wofür soziale Schichtung<br />

wohl nützlich sein könnte, ob sie für ein geordnetes gesellschaftliches Zusammenleben<br />

einen – vielleicht sogar notwendigen – Beitrag leistet.<br />

In der deutschen Diskussion um soziale <strong>Ungleichheit</strong> nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg war insbesondere ab Anfang der sechziger Jahre der Strukturfunktionalismus<br />

einflussreich, aber auch die Auseinandersetzung mit der Klassentheorie<br />

verschwand nicht ganz, so dass die funktionalistische Schichtungstheorie schnell<br />

auch Kritik hervorrief (z.B. Mayntz 1961). Ein Kritikpunkt bestand gerade darin,<br />

dass Elemente wie Macht <strong>und</strong> soziale Konflikte in der Theorie vernachlässigt<br />

würden. Doch sollen vor der Kritik einige Gr<strong>und</strong>züge der funktionalistischen<br />

Sichtweise sozialer <strong>Ungleichheit</strong> dargestellt werden.


32 2 Die Entstehung der Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

T. Parsons<br />

T. Parsons versteht in seiner strukturfunktionalistischen Theorie Gesellschaft als<br />

ein System mit verschiedenen Subsystemen, die für die Gesellschaft bestimmte<br />

Funktionen erfüllen, um die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten. Beispielsweise<br />

ist, wenn man gesellschaftliche Institutionen betrachtet, die Politik unter anderem<br />

dafür zuständig, gemeinsame Handlungsorientierungen, z.B. in Form von<br />

Gesetzen, zu formulieren <strong>und</strong> zwischen verschiedenen Interessengruppen zu<br />

vermitteln (vgl. als einführende Sek<strong>und</strong>ärliteratur zu Parsons z.B. Münch 2007).<br />

Im Zusammenhang mit sozialer Schichtung fragt Parsons entsprechend, inwiefern<br />

sie dazu beiträgt, dass gesellschaftliches Zusammenleben funktioniert.<br />

<strong>Soziale</strong> Schichtung bedeutet für Parsons<br />

„die differentielle Rangordnung …, nach der die Individuen in einem gegebenen sozialen<br />

System eingestuft werden <strong>und</strong> die es bedingt, dass sie in bestimmten, sozial<br />

bedeutsamen Zusammenhängen als einander über- <strong>und</strong> untergeordnet behandelt<br />

werden“ (Parsons 1940: 180).<br />

Stabile soziale Systeme brauchen Normen, die diese Beziehungen der Über- <strong>und</strong><br />

Unterordnung regeln, <strong>und</strong> die soziale Schichtung stellt ein solches Regelsystem,<br />

eine solche Ordnung dar, trägt damit zur Systemstabilität bei. An diese Aussage<br />

schließen sich zwei Fragen an. Erstens: Warum sollten sich die Menschen in eine<br />

solche Ordnung einfügen (anstatt sich, wie in den Vorstellungen von Marx, zusammenzuschließen<br />

<strong>und</strong> gegen Höhergestellte aufzubegehren)? Und zweitens:<br />

Nach welchen Merkmalen erfolgt eine Bewertung als über- oder untergeordnet?<br />

Zum ersten Punkt: Hierzu lautet Parsons’ These, grob gesagt, dass sich die<br />

Motive <strong>und</strong> Bewertungsmaßstäbe Einzelner einerseits <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />

Normen andererseits im Wesentlichen entsprechen: „Wenn das Individuum also<br />

den institutionellen Normen nicht entspricht, so handelt es damit seinem eigenen<br />

Interesse entgegen.“ (Parsons 1940: 185). Diese Übereinstimmung kommt dadurch<br />

zustande, dass man bestimmte moralische Muster bereits in der Kindheit<br />

verinnerlicht, außerdem gibt es Sanktionen durch die soziale Umwelt, die das<br />

Handeln kontrollieren (was andeutet, dass keine vollkommenen Harmonievorstellungen<br />

angebracht sind über die Verknüpfung zwischen Individuum <strong>und</strong><br />

„Gesellschaft“). Ein wichtiges Handlungsmotiv besteht darin, die Anerkennung<br />

anderer zu erlangen, was durch die Befolgung sozialer Normen gelingen kann.<br />

Schichtung ist daher auch ein wichtiges Mittel zur Handlungsorientierung: „Die<br />

soziale Schichtung bildet also einen der Zentralpunkte für die Strukturierung des<br />

Handelns in sozialen Systemen“ (a.a.O.:186).


2.4 Die funktionalistische Schichtungstheorie 33<br />

An welchen Merkmalen können sich die Individuen nun orientieren, um sich <strong>und</strong><br />

andere in einer Schichtungsskala einzuordnen? Parsons nennt sechs Gr<strong>und</strong>elemente:<br />

� Die Mitgliedschaft in einer Verwandtschaftsgruppe (das heißt eine Position,<br />

die man durch die Herkunftsfamilie innehat oder durch Heirat erlangt)<br />

� Persönliche Eigenschaften (z.B. das Geschlecht oder das Alter)<br />

� Leistungen (im Unterschied zu den Eigenschaften Ergebnisse von Handlungen,<br />

z.B. beruflicher Erfolg)<br />

� Eigentum (wobei z.B. Reichtum selten ein primäres Statuskriterium darstellt,<br />

sondern eher ein Symbol für den Leistungserfolg ist)<br />

� Autorität (das institutionell anerkannte Recht auf Einfluss, z.B. als Inhaber<br />

eines Richteramtes oder als Eltern)<br />

� Macht (im Unterschied zur Autorität handelt es sich hier um nicht institutionell<br />

anerkannten Einfluss).<br />

„Der Status eines jeden Individuums im Schichtungssystem einer Gesellschaft kann<br />

als Resultante der gemeinsamen Wertungen betrachtet werden, nach denen ihm sein<br />

Status in diesen sechs Punkten zuerkannt wird“ (a.a.O.: 189).<br />

Jemand ist also z.B. ledig, männlich <strong>und</strong> Krankenpfleger mit einem bestimmten<br />

Einkommen etc. <strong>und</strong> wird entsprechend eingeordnet. Welche Merkmale besonders<br />

gewichtet werden, wie sie im Einzelnen bewertet werden, ist je nach Gesellschaft<br />

<strong>und</strong> Zeitpunkt verschieden. Beispielsweise wäre der erste Punkt, die Mitgliedschaft<br />

in einer Verwandtschaftsgruppe, in einer Kastengesellschaft das eindeutig<br />

dominierende Rangkriterium. Für die Schichtungsskala der USA, also<br />

einer modernen, industrialisierten Gesellschaft, hält Parsons (1940, 1949) zwei<br />

Gr<strong>und</strong>elemente fest: zum einen Leistungen im Berufssystem (was ein Mindestmaß<br />

an Chancengleichheit voraussetzt) <strong>und</strong> zum anderen bestimmte Verwandtschaftsbande,<br />

<strong>und</strong> zwar Solidarität in einer Kernfamilie mit klarer Geschlechtsrollentrennung,<br />

in der vor allem der Mann den beruflichen Status der gesamten<br />

Familie festlegt.<br />

Über die offensichtliche zeitliche Geb<strong>und</strong>enheit des konkreten Beispiels<br />

hinaus will Parsons durch die sechs Bewertungskriterien ein analytisches Instrument<br />

entwerfen, mit dem man die Schichtung verschiedener Gesellschaften zu<br />

unterschiedlichen Zeitpunkten beschreiben kann. Diese Sichtweise betrachtet er<br />

als eine Weiterentwicklung von Marx’ Ansatz, dem er zwar eine wichtige Rolle<br />

in der soziologischen Theorieentwicklung zugesteht, der aber


34 2 Die Entstehung der Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

„die Tendenz [hatte], die sozioökonomische Struktur der kapitalistischen Wirtschaft<br />

als eine einzige, unteilbare Einheit zu behandeln, statt analytisch zwischen einer<br />

Reihe verschiedener Variablen zu unterscheiden“ (Parsons 1949: 207).<br />

So dürfe eine zeitgemäße Sozialstrukturanalyse nicht allein die Gewinnorientierung<br />

<strong>und</strong> die Ausbeutung durch kapitalistische Unternehmer berücksichtigen,<br />

sondern an zentraler Stelle z.B. auch die Berufsrollenstruktur. Auch der Klassenkonflikt<br />

erscheine so nicht mehr unvermeidlich, sondern sei an bestimmte Bedingungen<br />

geb<strong>und</strong>en.<br />

K. Davis/W.E. Moore<br />

Auch K. Davis <strong>und</strong> W. E. Moore stellen in ihrer Arbeit von 1945 deutlich heraus,<br />

dass aus ihrer Sicht die Schichtung jeder Gesellschaft eine funktionale Notwendigkeit<br />

darstellt. Schichtung ist also gr<strong>und</strong>sätzlich aus gesellschaftlichem<br />

Blickwinkel etwas Positives, nicht etwas, das man überwinden müsste. Da sich<br />

die Argumente auf das allgemeine System der Positionen in einer Gesellschaft<br />

richten <strong>und</strong> nicht auf die einzelnen Individuen, sagen sie in keiner Weise, wie die<br />

Autoren selbst betonen, etwas darüber aus, ob die Lebenslage eines Einzelnen<br />

beispielsweise gerecht oder beklagenswert ist <strong>und</strong> wie er seine Chancen gegebenenfalls<br />

verbessern kann. Nach einer Unterscheidung von R.K. Merton könnte<br />

man sagen: Trotz manifester Unzufriedenheit mit bestehenden <strong>Ungleichheit</strong>en<br />

gibt es eine latente Funktionalität sozialer Schichtung. Analytisch trennt diese<br />

theoretische Perspektive dadurch zwischen Motiven <strong>und</strong> objektiven Folgen sozialen<br />

Handelns (Merton 1995: Kap. 1). Mit den Worten von Davis/Moore ist<br />

soziale <strong>Ungleichheit</strong><br />

„ein unbewusst entwickeltes Werkzeug, mit dessen Hilfe die Gesellschaft sicherstellt,<br />

dass die wichtigsten Positionen von den fähigsten Personen gewissenhaft ausgefüllt<br />

werden“ (1973 (zuerst 1945): 398).<br />

Was bedeutet das genauer? Eine Gesellschaft muss bestimmte Positionen besetzen,<br />

als wichtige Hauptfunktion nennen die Autoren beispielsweise die Aufgaben<br />

von Staat <strong>und</strong> Regierung, die Normen durchsetzen, Entscheidungen treffen,<br />

insgesamt planen <strong>und</strong> lenken sollen, oder die Integrationsfunktion, der z.B.<br />

die Religion dient. Geeignete Personen müssen nun dazu motiviert werden, diese<br />

Positionen zu besetzen <strong>und</strong> die Aufgaben zu erfüllen, daher sind die Positionen<br />

mit entsprechenden Belohnungen verknüpft (z.B. Einkommen oder Ansehen).<br />

Wann hat nun eine Position welchen Rang inne? Die zwei Determinanten, die<br />

Davis <strong>und</strong> Moore nennen, sind erstens die Bedeutung oder die Funktion der


2.4 Die funktionalistische Schichtungstheorie 35<br />

Position für die Gesellschaft <strong>und</strong> zweitens die erforderliche Begabung <strong>und</strong>/oder<br />

Ausbildung, die zur angemessenen Ausübung der Position notwendig ist.<br />

Abbildung 3: Einflussfaktoren für den Rang einer Position nach Davis/Moore<br />

Funktionale Bedeutung einer Position �<br />

Relative Knappheit des Personals �<br />

(da Begabung/Ausbildung erforderlich)<br />

Rang einer Position<br />

Die Bedeutung der Position ist dabei eine notwendige, aber nicht allein hinreichende<br />

Bedingung. Beispielsweise ist es ganz sicherlich eine notwendige gesellschaftliche<br />

Aufgabe, den Hausmüll regelmäßig zur Entsorgung abzutransportieren,<br />

aber die Posten bei der Müllabfuhr rangieren im Belohnungssystem nicht<br />

gerade besonders weit oben. Die Autoren erklären dies so: Die Gesellschaft<br />

„muss diese Positionen lediglich mit so starken Anreizen ausstatten, dass eine angemessene<br />

Besetzung gewährleistet ist … wenn eine Position ohne Schwierigkeiten<br />

besetzt werden kann, braucht sie trotz ihrer Bedeutung nicht hoch belohnt zu werden.“<br />

(1973 (zuerst 1945): 399).<br />

Weil die meisten wichtigen Positionen spezielle Fähigkeiten erfordern, sieht der<br />

Normalfall so aus, dass geeignete Personen dafür knapp sind, weil nicht jeder die<br />

gleichen Begabungen hat <strong>und</strong> Ausbildungen Zeit, Geld <strong>und</strong> Mühe erfordern. Um<br />

die entsprechend Begabten z.B. für eine technische Expertenposition zu „locken“<br />

<strong>und</strong> für eine langwierige Ausbildung zu interessieren, sind mit solchen Positionen<br />

dann relativ hohe Belohnungen verb<strong>und</strong>en.<br />

Auch Davis <strong>und</strong> Moore beanspruchen, auf diese Weise ein allgemeines Modell<br />

aufzustellen, das nicht nur für eine bestimmte Gesellschaft zu einem bestimmten<br />

Zeitpunkt gilt. Die beiden Determinanten für den Rang einer Position<br />

halten sie für universal, aber einer Position kann in verschiedenen Gesellschaften<br />

(etwa mit unterschiedlichem Spezialisierungsgrad) unterschiedliche Bedeutung<br />

zukommen. So könnte z.B. die Integrationskraft der Religion im Vergleich<br />

zweier Gesellschaften unterschiedlich wichtig sein.<br />

Wie oben bereits angedeutet, gab es zu diesem Ansatz verschiedene Kritikpunkte.<br />

In der Kontroverse, die hier nicht nachvollzogen werden kann (vgl. z.B.<br />

die Beiträge in Bendix/Lipset 1966: 47-96, unter anderem von M. Tumin), mischen<br />

sich dabei Gesichtspunkte, die sich speziell auf die funktionalistische<br />

Schichtungstheorie richten, <strong>und</strong> solche, die den Strukturfunktionalismus generell<br />

betreffen. Hier sei beispielhaft auf zwei wichtige Kritikpunkte hingewiesen.


36 2 Die Entstehung der Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

1. R. Mayntz führt an, dass das Modell stillschweigend von Voraussetzungen<br />

ausgeht, die die Autoren (sie bezieht sich vorwiegend auf Davis bzw. Davis/Moore)<br />

nicht explizit genug machen <strong>und</strong> deren Gültigkeit anzuzweifeln<br />

ist. Diese Voraussetzungen lauten, „dass erstens Talent angeboren <strong>und</strong><br />

knapp ist, dass zweitens niemand ohne Aussicht auf besondere Belohnung<br />

nach schwierigeren Aufgaben strebt, <strong>und</strong> dass drittens soziale Positionen im<br />

freien Wettbewerb errungen werden“ (1961: 13). Wenn dagegen beispielsweise<br />

Führungsqualitäten im politischen Bereich gar nicht so knapp wären<br />

oder diejenigen mit entsprechenden Fähigkeiten solche Aufgaben auch ohne<br />

besondere Belohnungen gern, etwa aus sachlichem Interesse oder sozialem<br />

Pflichtgefühl übernähmen, wäre das Modell von Davis <strong>und</strong> Moore weit weniger<br />

plausibel. Selbst wenn man z.B. das Handeln aus sozialem Pflichtgefühl<br />

als unwahrscheinlich oder illusionär annimmt, zeigt sich an diesem<br />

Sachverhalt doch, dass hinter dem funktionalistischen Modell ein ganz bestimmtes<br />

Menschenbild steht (Mayntz: ebd.).<br />

2. Auf den ersten Blick scheint es nicht unlogisch, unter der Voraussetzung<br />

von weitgehender Chancengleichheit vielleicht auch gerecht, wenn bedeutsamere<br />

Leistungen höher belohnt werden (teilweise hat sich diese Vorstellung<br />

eines Leistungsprinzips ja bis heute erhalten). Bei genauerem Nachdenken<br />

tauchen dann aber doch einige Fragen auf, die die Bewertung von<br />

Positionen betreffen: Nach welchem Maßstab beurteilt man, ob eine Position<br />

funktional bedeutsam ist? Gibt es Maßstäbe oder zumindest Einigkeit<br />

darüber, welche Funktionen für das Bestehen des Systems relevant sind,<br />

welcher Zielzustand für das System anzustreben ist? Wer wertet überhaupt<br />

<strong>und</strong> teilt Positionen zu? Kommt man zu der Antwort, dass die herrschenden<br />

Gruppen in einer Gesellschaft solche Bewertungen vornehmen oder zumindest<br />

großen Einfluss darauf haben, setzt sich der theoretische Ansatz dem<br />

Vorwurf aus, bestehende <strong>Ungleichheit</strong>sverhältnisse nicht nur hinsichtlich<br />

Macht <strong>und</strong> Ungerechtigkeiten zu ignorieren (ganz im Gegensatz zu Klassentheorien),<br />

sondern diese Verhältnisse sogar zu legitimieren.<br />

G. Lenski<br />

In einer Veröffentlichung von 1966 (im amerikanischen Original) versucht Gerhard<br />

Lenski, von „konservativen“ <strong>und</strong> „radikalen“ <strong>Ungleichheit</strong>stheorien ausgehend,<br />

man könnte in der hier verwendeten Terminologie sagen: von funktionalistischer<br />

Schichtungstheorie <strong>und</strong> Klassentheorie ausgehend, einen Schritt in<br />

Richtung einer Synthese zu unternehmen. Dies tut er dadurch, dass er zunächst<br />

Schichtung umdefiniert als „den Verteilungsprozess in menschlichen Gesell-


2.4 Die funktionalistische Schichtungstheorie 37<br />

schaften, den Prozess, durch den knappe Werte verteilt werden“ (Lenski 1977:<br />

12). Im nächsten Schritt stellt er dann zwei Prinzipien dieses Verteilungsprozesses<br />

zur Klärung der Ursachen sozialer <strong>Ungleichheit</strong> heraus: Bedürfnis <strong>und</strong><br />

Macht. Diese Prinzipien konkretisiert er in zwei Verteilungsgesetzen. Das erste<br />

lautet: Die Menschen teilen das Produkt ihrer Arbeit insoweit, als es zur Sicherung<br />

ihres Überlebens <strong>und</strong> der kontinuierlichen Produktivität jener notwendig ist,<br />

deren Handlungen für sie selbst notwendig oder nützlich sind. Dieses Gesetz<br />

beruht auf der Annahme, dass Menschen in erster Linie aus Eigeninteresse handeln,<br />

dieses aber meist nur durch Kooperation realisieren können. Die Verteilung<br />

der Güter auf dieser Stufe verursacht, so Lenskis Annahme, keine bedeutsamen<br />

Verteilungskonflikte, denn an einer weiteren Kooperation zur Überlebenssicherung<br />

ist jeder interessiert. Das ändert sich mit der Produktion eines Mehrwerts,<br />

also von Gütern, die nicht unmittelbar zum Überleben dienen. Dadurch dass<br />

erstrebenswerte Güter immer knapp sind, kommt es zu Konflikten. Das zweite<br />

Verteilungsgesetz sagt entsprechend aus: „Macht [bestimmt] weitgehend darüber,<br />

wie der Surplus einer Gesellschaft verteilt wird“ (a.a.O.: 71). Macht ist in<br />

der Folge auch ein bedeutsamer Einflussfaktor, die „Schlüsselvariable“, für Privilegien<br />

(der Besitz oder die Kontrolle eines Teils des Surplus) <strong>und</strong> für Prestige<br />

(a.a.O.: 73). Die Bedeutung des Verteilungsprinzips durch Macht wächst indes<br />

mit dem technologischen Fortschritt einer Gesellschaft (a.a.O.: 74).<br />

Lenskis Schwerpunkt liegt auf diesen dynamischen Aspekten von <strong>Ungleichheit</strong>,<br />

doch macht er auch Aussagen über die Struktur von Verteilungssystemen.<br />

Mitglieder einer Klasse befinden sich im Hinblick auf Macht (<strong>und</strong> auch<br />

im Hinblick auf Privilegien <strong>und</strong> Prestige) in einer ähnlichen Position, sie haben<br />

ähnliche Interessen, die jedoch nicht zu einem gemeinsamen Bewusstsein führen<br />

müssen (a.a.O.: 109-112). Das Verteilungssystem einer Gesellschaft insgesamt<br />

besteht aus mehreren Klassensystemen mit unterschiedlicher Gewichtung, denen<br />

jeweils ein bestimmtes Klassenkriterium zugr<strong>und</strong>e liegt, z.B. aus einem politischen<br />

Klassensystem <strong>und</strong> nachrangig aus einem Besitz-, Berufs- <strong>und</strong> ethnischen<br />

Klassensystem. Jedes Klassensystem teilt sich in verschiedene Klassen auf. Ein<br />

Individuum hat in jedem Klassensystem eine Position, erhält so ein spezifisches<br />

Profil, ist z.B. unpolitisch, Kaufmann aus dem Mittelstand <strong>und</strong> spanischer Herkunft<br />

(a.a.O.: 116f.). Wenn man nun noch die Klassensysteme unter verschiedenen<br />

Gesichtspunkten vergleicht – Lenski nennt z.B. Bedeutung, Spannweite,<br />

Mobilitätsgrad, Gegnerschaft etc. (a.a.O.: 118-120) – ergibt sich ein komplexes<br />

Gefüge, das zwar viele Dimensionen berücksichtigt, aber auch Gefahr läuft,<br />

unübersichtlich zu werden.<br />

Kritische Stimmen haben sich jedoch eher auf Lenskis Schwerpunkt, den<br />

Syntheseversuch, gerichtet. Beispielsweise bezweifelt Wiehn, dass es eine Gesellschaft<br />

ohne Mehrwert geben könne. Viele Gesichtspunkte bleiben unklar,


38 2 Die Entstehung der Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

z.B. wie teilen die Menschen in einer Gesellschaft ohne Mehrwert (Gleichverteilung?),<br />

oder wo kommt mit dem Mehrwert die Macht her? (z.B. Wiehn 1968:<br />

132, 136f.). Wiehn hält die Synthese letztlich für misslungen, doch habe Lenski<br />

auf wichtige Punkte aufmerksam gemacht, die über bisherige Ansätze hinausführen<br />

(z.B. Macht als Zentralkriterium; 1968: 137). Es sind also eher einzelne<br />

Aspekte als der Gesamtansatz Lenskis, die für spätere Ansätze Anregungen gaben<br />

(z.B. auch bei Dahrendorf 1966a: 346), doch ist er ein vergleichsweise frühes<br />

Beispiel für einen Versuch, durch ein mehrdimensionales Modell Einseitigkeiten<br />

anderer Theorien zu überwinden.<br />

Zusammenfassung<br />

Der funktionalistische Schichtungsansatz geht davon aus, dass die soziale<br />

Schichtung dazu beiträgt, dass Gesellschaft „funktioniert“, dass eine stabile soziale<br />

Ordnung möglich ist. Je mehr eine Position solche Leistungen erbringt, desto<br />

höher ist sie in der Rangordnung angesiedelt. Wenngleich konkrete Schichtungen<br />

je nach Gesellschaft variieren können, stehen doch bestimmte Elemente fest,<br />

die die Einordnung in die Schichtungsskala bedingen (s. die sechs Punkte bei<br />

Parsons) bzw. die den Rang einer Position beeinflussen (Davis/Moore). Einen im<br />

Versuch positiv zu würdigenden, im Ergebnis jedoch fraglichen Ansatz zur Verbindung<br />

von funktionalistischer Schichtungstheorie <strong>und</strong> konfliktorientierter<br />

Klassentheorie hat Lenski vorgelegt.<br />

Der funktionalistische Ansatz hat mit Geigers Schichtungsmodell gemeinsam,<br />

dass beide von mehrdimensionalen Schichtungen ausgehen, deren zentrale<br />

Merkmale nach Gesellschaft <strong>und</strong> Zeit variieren können. Ein Klassenkonflikt ist<br />

bei beiden keineswegs zwingend. Darüber hinaus haben sie jedoch ein unterschiedliches<br />

Erkenntnisinteresse: Bei Geiger ist es die Verknüpfung von<br />

Schichtung <strong>und</strong> Mentalität, beim funktionalistischen Ansatz der Beitrag der<br />

Schichtung zur Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Ordnung.<br />

Sowohl Klassen- als auch Schichtmodelle in ihren unterschiedlichen Ausführungen<br />

sahen sich nach wie vor jeweils verschiedenen Kritikpunkten ausgesetzt.<br />

Sie bildeten aber in der folgenden Zeit – noch bis etwa Anfang der achtziger<br />

Jahre – die Gr<strong>und</strong>lage, auf der theoretische Modelle <strong>und</strong> Kontroversen zur<br />

sozialen <strong>Ungleichheit</strong> <strong>und</strong> Sozialstrukturanalyse aufbauten, wie das folgende<br />

Kapitel zeigt.


2.4 Die funktionalistische Schichtungstheorie 39<br />

Lesehinweis:<br />

Davis, Kingsley; Wilbert E. Moore (1945): Einige Prinzipien der sozialen<br />

Schichtung; in: Heinz Hartmann (Hg.) (1967): Moderne amerikanische Soziologie.<br />

Stuttgart: Enke, 2., umgearbeitete Auflage 1973, S. 396-410


3.1 Helmut Schelsky: Die nivellierte Mittelstandsgesellschaft 41<br />

3 Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Diskussion<br />

Die Konkurrenz verschiedener Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle von den fünfziger<br />

Jahren bis in die siebziger Jahre<br />

Zwischen den 1950er <strong>und</strong> 1970er Jahren gab es keine eindeutige Vorherrschaft<br />

eines bestimmten Autors oder Modells (wenngleich Autoren immer wieder auf<br />

das unten beschriebene „Zwiebelmodell“ als für die sechziger Jahre angemessen<br />

verweisen), aber mit wenigen Ausnahmen betrachten die verschiedenen Modelle<br />

einen der Begriffe Klasse oder Schicht als angemessen. Eine Auswahl von in<br />

Westdeutschland stärker diskutierten Ansätzen soll hier vorgestellt werden.<br />

3.1 Helmut Schelsky: Die nivellierte Mittelstandsgesellschaft<br />

In den fünfziger Jahren entstand eine These, die sowohl den Klassen- <strong>und</strong><br />

Schichtbegriff ablehnte als auch überhaupt Modelle der vertikalen Strukturierung<br />

zur Charakterisierung der Sozialstruktur. Laut dieser These war die Gesellschaft<br />

nämlich auffällig „nivelliert“. Obwohl diese Perspektive bald ihre Kritiker fand,<br />

ist das Schlagwort von der nivellierten Mittelstandsgesellschaft eines, das nicht<br />

in seiner Geltung, wohl aber in seinem Bekanntheitsgrad bis heute erhalten<br />

geblieben ist.<br />

In einem Aufsatz von 1953 stellt Schelsky seine Auffassung in einigen Thesen<br />

vor:<br />

1. In den letzten zwei Generationen hat es umfangreiche Auf- <strong>und</strong> Abstiegsprozesse<br />

gegeben, insbesondere Aufstiege von Industriearbeitern <strong>und</strong> zum<br />

Teil von Verwaltungsangestellten in den „neuen Mittelstand“ <strong>und</strong> andererseits<br />

Abstiege des ehemaligen Besitz- <strong>und</strong> Bildungsbürgertums (z.B. durch<br />

Vertreibungen). Diese Mobilität führte „zu einem relativen Abbau der Klassengegensätze,<br />

einer Entdifferenzierung der alten, noch ständisch geprägten<br />

Berufsgruppen <strong>und</strong> damit zu einer sozialen Nivellierung in einer verhältnismäßig<br />

einheitlichen Gesellschaftsschicht, die ebenso wenig proletarisch<br />

wie bürgerlich ist, d.h. durch den Verlust der Klassenspannung <strong>und</strong> sozialen<br />

Hierarchie gekennzeichnet wird.“ (1953: 332). Staatliche Regulierungen<br />

wie die Sozial- <strong>und</strong> Steuerpolitik unterstützen diese Nivellierung.<br />

N. Burzan, <strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong>, DOI 10.1007/978-3-531-93154-8_3,<br />

© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011


42 3 Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Diskussion<br />

2. Der Nivellierung folgt weitgehend eine Vereinheitlichung der sozialen <strong>und</strong><br />

kulturellen Verhaltensformen, die Schelsky als „kleinbürgerlich-mittelständisch“<br />

bezeichnet.<br />

3. <strong>Soziale</strong> Mobilität ist damit kein Umschichtungsvorgang mehr, sondern<br />

vorrangig eine Entschichtung. Schelsky ist nicht so naiv anzunehmen, dass<br />

alle Unterschiede eingeebnet wären: „Selbstverständlich bleibt eine Analyse<br />

der sozialen Schichtung auch in der nivellierten Mittelstandsgesellschaft<br />

nach den alten Kriterien möglich, da deren Kennzeichen ja nicht ganz verwischt<br />

sind.“ (1953: 333). Allerdings glaubt er nicht, dass man aus solchen<br />

Gruppierungen einheitliche Interessen <strong>und</strong> Bedürfnisse ableiten könne.<br />

Schon gar nicht stehen sich zwei große feindliche Klassen gegenüber, wie<br />

es als Betrachtungsweise der frühindustriellen Gesellschaft im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

noch angemessener war. Eher schon gibt es im Produktionssystem<br />

Konflikte der Arbeiter mit einem anonymen bürokratischen System oder<br />

zwischen organisierten Interessenvertretungen (vgl. auch Schelsky 1956:<br />

339-342).<br />

4. Das Bewusstsein der Menschen hält dagegen noch oft an der Rangfolge der<br />

Prestigeschichtung fest, wie sie der früheren Klassengesellschaft entsprach,<br />

oder betont sie sogar besonders. Die Ursache sieht Schelsky in Sicherheits-<br />

<strong>und</strong> Geltungsbedürfnissen, die eine in hohem Maße mobile Gesellschaft<br />

nicht befriedigen kann. Auch Organisationen wie Gewerkschaften oder<br />

Unternehmerverbände erhalten die Ideologie eines Klassenkonflikts zu ihrer<br />

Legitimierung teilweise aufrecht (1956: 343f., 1961).<br />

5. In der nivellierten Gesellschaft sind den Aufstiegsbedürfnissen definitionsgemäß<br />

relativ enge Grenzen gesetzt, weil die „soziale Leiter“ insgesamt<br />

kürzer geworden ist. <strong>Soziale</strong> Unsicherheiten bleiben so bestehen, auch können<br />

daraus soziale Spannungen erwachsen. Die Nivellierung bedeutet also<br />

nicht ein harmonisches Zusammenleben.<br />

6. Das so genannte „Mittelstandsproblem“ einer unklaren Klassenzuordnung<br />

mittlerer Schichten (insbesondere Angestellter) stellt sich kaum mehr, weil<br />

es in der nivellierten Gesellschaft zu einer Problematik der Gesamtgesellschaft<br />

geworden ist.<br />

Obwohl Schelskys These fast einhellig abgelehnt wurde, diente sie oft als willkommene<br />

Folie, um sich abzugrenzen. Beispielsweise kann Dahrendorf die Behauptung<br />

der Angleichung wirtschaftlicher Positionen (welcher Maßstab liegt<br />

hier zugr<strong>und</strong>e?) nicht nachvollziehen, auch große Mobilität hält er für fraglich,<br />

wenn allenfalls jedes zehnte Arbeiterkind Aufstiegschancen habe (Dahrendorf<br />

1965: 148). Ebenso halten Bolte et al. (1967) die Nivellierungstendenzen für<br />

„zweifellos überbetont“ (1967: 284). Zudem bleibt wie beim funktionalistischen


3.2 Ralf Dahrendorf: Ausbau der Konflikt-Perspektive 43<br />

Schichtungsansatz die Frage nach Konflikten unterbelichtet, Dahrendorf spricht<br />

die Gefahr der Zementierung von Herrschaftsverhältnissen durch eine solche<br />

Sichtweise an (1965: 148). Sein eigenes Modell (s.u.) hält Konflikte dagegen für<br />

zentral.<br />

Über dreißig Jahre später stellte sich erneut die Frage, inwiefern es überhaupt<br />

noch Schichten gebe <strong>und</strong> ob soziale Lagen mit spezifischen Interessen<br />

verknüpft seien. Es handelt sich jedoch nicht um eine Reaktualisierung<br />

Schelskys, weil das (weiterhin kontrovers diskutierte) Thema unter veränderten<br />

<strong>Ungleichheit</strong>sbedingungen aufkam (vgl. dazu insbesondere Kap. 8).<br />

Lesehinweis:<br />

Schelsky, Helmut (1953): Die Bedeutung des Schichtungsbegriffes für die Analyse<br />

der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft; in: Schelsky, Helmut: Auf der<br />

Suche nach Wirklichkeit. Gesammelte Aufsätze, Düsseldorf/Köln: Diederichs<br />

1965, S. 331-336<br />

3.2 Ralf Dahrendorf: Ausbau der Konflikt-Perspektive<br />

Wenn R. Dahrendorf in den sechziger Jahren nach dem Ursprung der <strong>Ungleichheit</strong><br />

unter den Menschen sucht, findet er natürlich bereits mehrere Antworten auf<br />

diese Frage: das Privateigentum, die Arbeitsteilung <strong>und</strong> die funktionale Notwendigkeit<br />

der Schichtung. Dahrendorf selbst bietet eine andere Lösung an:<br />

„Der Ursprung der <strong>Ungleichheit</strong> unter den Menschen liegt also in der Existenz von<br />

mit Sanktionen versehenen Normen des Verhaltens in allen menschlichen Gesellschaften“<br />

(1966b: 370).<br />

Was bedeutet das genauer? Dahrendorf geht davon aus, dass jedes gesellschaftliche<br />

Zusammenleben mit der Regelung des Verhaltens durch verfestigte Erwartungen<br />

(Normen) verb<strong>und</strong>en ist, die durch Sanktionen verbindlich werden.<br />

Daraus folgt für ihn,<br />

„dass es stets mindestens jene <strong>Ungleichheit</strong> des Ranges geben muss, die sich aus der<br />

Notwendigkeit der Sanktionierung von normgemäßem <strong>und</strong> nicht-normgemäßem<br />

Verhalten ergibt“ (a.a.O.: 368).<br />

Er betont, dass er damit keine zufällige individuelle <strong>Ungleichheit</strong> je nach persönlichen<br />

Fähigkeiten <strong>und</strong> dem Willen zur Normerfüllung meint, sondern eine


44 3 Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Diskussion<br />

<strong>Ungleichheit</strong> sozialer Positionen. Normenkonformität wird belohnt, 9 die Fähigkeit<br />

dazu hängt von der Position ab. Hradil nennt als Beispiel, dass – angenommen,<br />

Verhaltensautonomie <strong>und</strong> Grad der „Geistigkeit“ einer Arbeit seien zentrale<br />

Bewertungsmaßstäbe – ein Landarbeiter auch dann, wenn er seine Arbeit gut<br />

verrichtet, nicht hoch in der gesellschaftlichen Wertung stehen wird, weil diese<br />

Arbeit zu unselbständig <strong>und</strong> zu ungeistig ist (Hradil 1999: 120). 10 Mit den<br />

Worten Dahrendorfs:<br />

„Derjenige [wird] die günstigste Stellung in einer Gesellschaft erringen, dem es kraft<br />

sozialer Position am besten gelingt, sich den herrschenden Normen anzupassen –<br />

<strong>und</strong> umgekehrt … [sind] die geltenden oder herrschenden Werte einer Gesellschaft<br />

an ihrer Oberschicht ablesbar“ (1966b: 376).<br />

Der letzte Teil des Zitats weist darauf hin, dass in dem zentralen Begriffs-Dreigespann<br />

Norm – Sanktion – Herrschaft (a.a.O.: 375) die Herrschaft den Strukturen<br />

sozialer Schichtung logisch vorausgeht. Die Herrschenden setzen die geltenden<br />

Normen fest, die durch entsprechende Sanktionen durchgesetzt werden.<br />

Schichtung bildet daher mindestens prinzipiell die Herrschaftsstruktur ab (nicht<br />

im Detail, weil z.B. auch Traditionen eine Rolle spielen; 1966a: 347).<br />

Im Zusammenhang mit der Herrschaftsstruktur spricht Dahrendorf zwar wie<br />

Marx von herrschenden <strong>und</strong> beherrschten Klassen, die im Konflikt zueinander<br />

stehen. In Abgrenzung zu Marx argumentiert er aber, dass der Klassenkonflikt in<br />

der Industrie an Intensität <strong>und</strong> Schärfe verloren habe, unter anderem durch die<br />

Institutionalisierung der Interessengegensätze. Zudem stellt er fest, dass<br />

„der industrielle Klassenkonflikt in entwickelten Industriegesellschaften zunehmend<br />

nicht mehr die gesamte Gesellschaft [beherrscht], sondern … auf den Bereich der<br />

Industrie beschränkt [bleibt]“ (1957: 234f.).<br />

Daraus folgt, dass<br />

„herrschende <strong>und</strong> beherrschte Klassen der Industrie nicht mehr Teil der entsprechenden<br />

Klassen im politischen Bereich sein müssen. Die Klassentheorie erlaubt<br />

den Schluss, dass in einer Gesellschaft so viele diskrete herrschende bzw. beherrschte<br />

Klassen bestehen können, wie es Herrschaftsverbände gibt“ (a.a.O.: 238).<br />

9 Die Normenkonformität verweist auf das allgemeine Modell des homo sociologicus, in dem der (in<br />

Rollen) Handelnde seine Handlungsorientierungen zentral durch Normen erhält (vgl. Dahrendorf<br />

1958, Schimank 2000).<br />

10 Ein Problem besteht laut Hradil allerdings dann, wenn eine Position nicht konsistent bewertet wird,<br />

wenn mit ihr z.B. ein hohes Einkommen, aber wenig Ansehen verb<strong>und</strong>en ist (1999: 120).


3.2 Ralf Dahrendorf: Ausbau der Konflikt-Perspektive 45<br />

Vielfältige Herrschaftsverbände haben also den einen ausschlaggebenden Herrschaftsverband,<br />

der sich bei Marx aus dem Besitz an Produktionsmitteln ergab,<br />

abgelöst. Trotz dieser Modifikation von Marx grenzt sich Dahrendorf selbst aber<br />

dadurch, dass die Konfliktperspektive allgemein für ihn wichtig ist, von einer<br />

funktionalistischen „Integrationstheorie“ der Sozialstruktur (1957: 159, 218)<br />

ab. 11 Aus der Sicht dieser Konfliktperspektive ist soziale <strong>Ungleichheit</strong> dann<br />

beispielsweise auch der „Stachel, der soziale Strukturen in Bewegung hält“<br />

(1966b: 379). Bei diesen sozialen Konflikten geht es um die Verteidigung oder<br />

Vergrößerung von Lebenschancen. Darunter versteht Dahrendorf eine Funktion<br />

aus Optionen <strong>und</strong> Ligaturen. Das heißt, dass die Lebenschancen nicht allein aus<br />

einer spezifischen Kombination aus Angeboten <strong>und</strong> Anrechten (z.B. beruflichen<br />

Möglichkeiten) bestehen, sondern auf der anderen Seite auch aus kulturellen<br />

Bindungen (etwa in der Familie oder in der Gemeinde), die dem Einzelnen Orientierung<br />

bieten (Dahrendorf 1979, 1992). Etwas unklar bleibt allerdings, wie<br />

sich durch den sozialen Konflikt ein Wandel von herrschenden Gruppen <strong>und</strong><br />

Normen vollzieht. Wie kommen neue Gruppen in eine herrschende Position,<br />

wenn die Konformität mit geltenden Normen belohnt wird?<br />

Insgesamt lässt Dahrendorf sich so einordnen, dass er – mit den genannten<br />

Modifikationen – einerseits vom Marxismus beeinflusst ist (auch in späteren<br />

Arbeiten betont er, dass man den sozialen Wandel durch Klassenkonflikt als<br />

einen der stärksten makrosoziologischen Ansätze nicht leichtfertig aufgeben<br />

solle (1987: 27)), abgesehen von seinen Kritikpunkten an der funktionalistischen<br />

Sichtweise andererseits aber auch etwas von dieser übernimmt, indem er <strong>Ungleichheit</strong><br />

durch die Existenz von Normen <strong>und</strong> daran geknüpfte Sanktionen erklärt.<br />

Seine allgemeine Argumentation zur Schichtung hat Dahrendorf durch ein<br />

konkretes Modell der Schichtung in Deutschland (mit dem Anspruch auf Übertragungsmöglichkeiten<br />

für andere westliche Gesellschaften) ergänzt (1965).<br />

Dazu lehnt er sich an die Studie Geigers von 1932 an, die er für „lebendiger“<br />

(1965: 104) hält als einige zeitgenössische Schichtungsmodelle (z.B. Moore/<br />

Kleining 1960, Scheuch 1961). Allerdings müsse man die Studie für die gegenwärtige<br />

Schichtung modifizieren. Der Rückgriff auf Geiger erklärt auch, dass<br />

Dahrendorf im Kontext seines Modells von Schichten (ohne eingehende Abgrenzung<br />

zu Klassen) spricht. Dahrendorfs eigenes Modell sieht so aus:<br />

11 Zur Einordnung <strong>und</strong> (relativ negativen) Beurteilung der „gegenwärtigen Lage der Theorie der<br />

sozialen Schichtung“ vgl. auch den so lautenden Aufsatz Dahrendorfs (1966a).


46 3 Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Diskussion<br />

Abbildung 4: Die soziale Schichtung in Deutschland nach Dahrendorf<br />

Quelle: Dahrendorf 1965: 105<br />

Die Eliten sind eine heterogene Gruppe führender Positionen (die Idee der vielfältigen<br />

Herrschaftsverbände findet sich hier wieder). Die Dienstklasse bilden<br />

Beamte <strong>und</strong> Verwaltungsangestellte aller Ränge, die im „Dienst“ der Herrschenden<br />

stehen <strong>und</strong> für die individuelle Konkurrenz prägender ist als kollektive Solidaritäten.<br />

Der Mittelstand besteht aus Selbständigen, die aufgr<strong>und</strong> ihrer defensiven<br />

Haltung keine prägende Schicht (mehr) sein können. Letzteres gilt auch für<br />

die Arbeiterelite (z.B. Meister). Im „falschen“ Mittelstand findet man ausführende<br />

Berufe im Dienstleistungsbereich, z.B. Kellner oder Chauffeure, deren<br />

Angehörige sich von ihrem Selbstbewusstsein her jedoch eher zur Mittelschicht<br />

zählen. Die Arbeiter sind in sich vielfach gegliedert (z.B. nach Branche oder<br />

Qualifikation), haben aber eine eigene Mentalität, was für die Unterschicht (z.B.<br />

Dauererwerbslose, Kriminelle) nicht gilt (1965: 105-115).<br />

Das Modell beansprucht nicht, Schichtung im Detail abzubilden, z.B. beruhen<br />

die Größenangaben auf „informierter Willkür“ (1965: 104). Sieht man das<br />

Modell als Gebäude an, finden sich in jedem „Zimmer“ noch Ecken <strong>und</strong> Nischen,<br />

Wände zwischen den Zimmern sind verstellbar <strong>und</strong> durchlässig (a.a.O.:<br />

114). Doch ist es ein Versuch, eine absichtlich recht allgemein gehaltene Argu-


3.3 Schichtmodelle in Verbindung mit Prestige <strong>und</strong> Status 47<br />

mentation zur Schichtungstheorie durch ein konkretes Modell zu ergänzen (das<br />

allerdings zu dieser Argumentation in keinem sehr engen Zusammenhang steht).<br />

Dieses Modell bildete Anfang der neunziger Jahre die Vorlage für eine modernisierte<br />

Variante durch R. Geißler (vgl. Kap. 4.1). Den Prototyp für die Schichtung<br />

der sechziger Jahre bildete allerdings ein anderes Modell: die „Zwiebel“ von<br />

Bolte et al. (1967), die im folgenden Abschnitt erläutert wird.<br />

Lesehinweis:<br />

Dahrendorf, Ralf (1966b): Über den Ursprung der <strong>Ungleichheit</strong> unter den Menschen;<br />

in: ders. (1974): Pfade aus Utopia, München: Piper, S. 352-379; 2., überarbeitete<br />

<strong>und</strong> erweiterte Auflage des Aufsatzes von 1961 (Abschnitt I-VI: theoriehistorische<br />

Skizze, danach eigener Ansatz)<br />

3.3 Schichtmodelle in Verbindung mit Prestige <strong>und</strong> Status<br />

In den fünfziger <strong>und</strong> sechziger Jahren wurde das <strong>Ungleichheit</strong>sgefüge häufig<br />

durch Prestigemodelle charakterisiert. Unter „Prestige“ ist laut Lexikon zur Soziologie<br />

die<br />

„Bezeichnung für die Wertschätzung, die eine Person oder eine Gruppe (z.B. eine<br />

Berufsgruppe) bzw. die Inhaber eines sozialen Status genießen“ zu verstehen (Klima<br />

2007: 506).<br />

Prestige ist damit dem Status recht nahe, der die Stellung eines Positionsinhabers<br />

ausdrückt. Der Status z.B. einer Berufsposition wie der des Polizisten kann beispielsweise<br />

auf Prestige (also auf der Wertschätzung) beruhen, aber z.B. auch auf<br />

der Qualifikation oder dem Einkommen.<br />

Das Prestige ist das soziale Ansehen, das man nicht verwechseln darf mit<br />

einem Ansehen aufgr<strong>und</strong> persönlicher Merkmale. Das Prestige des Polizisten ist<br />

also unabhängig davon, ob ein einzelner, mir bekannter Polizist besonders fleißig,<br />

fähig usw. ist oder nicht.<br />

Ein weiteres begriffliches Problem ist die Einordnung von „Prestige“ als<br />

objektives oder subjektives <strong>Ungleichheit</strong>smerkmal. Einerseits kann man Prestige<br />

als objektive Ressource ansehen, die ebenso wie z.B. das Einkommen in der<br />

Gesellschaft ungleich verteilt ist. Andererseits ist Prestige immer das Ergebnis<br />

einer subjektiven Wertung, ist nicht nach einem festen Maßstab zählbar wie z.B.<br />

das monatliche Einkommen in Euro. Für Wegener sind beide Aspekte des Be-


48 3 Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Diskussion<br />

griffs „Prestige“ untrennbar verknüpft: „Sein Spezifikum ist, dass es sowohl<br />

subjektive Meinungsbildung als auch Abbild einer sozialen Strukturkomponente<br />

ist“ (Wegener 1988: 22).<br />

Exkurs zum „Status“<br />

Auf die Nähe zwischen dem Status <strong>und</strong> dem Prestige wurde bereits hingewiesen.<br />

Das Lexikon zur Soziologie definiert „Status“ als „mehr oder minder hohe Position<br />

in der Schichtungshierarchie … hinsichtlich eines beliebigen hierarchiebildenden<br />

Schichtkriteriums“ (Laatz 2007: 632).<br />

Der Autor fügt jedoch hinzu, dass der Begriff überwiegend auf Hierarchien<br />

sozialer Wertschätzung angewandt werde (anhand eines Kriteriums, z.B. Besitz,<br />

Beruf oder Macht; ebd.). Hradil ergänzt, der Bezug auf die Stellung im Prestigegefüge<br />

sei vor allem für die – in diesem Kapitel behandelte – ältere Schichtungsforschung<br />

charakteristisch, die neuere Literatur sehe Status als bessere oder<br />

schlechtere Stellung im Oben oder Unten verschiedener Dimensionen sozialer<br />

<strong>Ungleichheit</strong> an. Dies ist indes nicht immer ganz unproblematisch, etwa bei vieldimensionalen<br />

Aspekten wie „Arbeitsbedingungen“ oder Beziehungsungleichheiten,<br />

z.B. anhand von „Sozialintegration“. Hinzu kommt, wie später noch zu<br />

zeigen sein wird, das Problem einer zunehmenden Statusinkonsistenz, dass also<br />

beispielsweise jemand mit einem hohen Einkommen eine niedrige Bildung hat,<br />

dass allgemein sein Status nach verschiedenen <strong>Ungleichheit</strong>smerkmalen keine<br />

ähnlichen Ausprägungen aufweist (Hradil 1999: 29).<br />

Auch unabhängig von dieser Entwicklung variieren Statuskriterien je nach<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> innerhalb einer Gesellschaft nach Milieu, Zeitpunkt etc. So<br />

kann in einem Milieu der Besitz eines besonders schnellen <strong>und</strong> teuren Autos als<br />

Statussymbol fungieren, was Mitglieder eines anderen Milieus vielleicht höchstens<br />

milde belächeln. Die Variation von Statuskriterien im Zeitverlauf hat wiederum<br />

etwas damit zu tun, dass sich Statussymbole, die die soziale Umwelt als<br />

solche wahrnehmen <strong>und</strong> anerkennen muss, wandeln. Wenn sich viele Menschen<br />

einen Mittelklassewagen leisten können oder das Abitur machen, verliert das<br />

Statussymbol durch diese „Inflation“ an Exklusivität, an Wert.<br />

In den bisher dargestellten Ansätzen ist der Status, mindestens indirekt, bereits<br />

bei Weber zur Sprache gekommen in dem Begriff des Standes, der eine<br />

soziale Statusgruppe beschreibt (allerdings berücksichtigt der Begriff des Standes<br />

Beziehungen zwischen Gruppen noch etwas stärker als die oft auf<br />

Verteilungsungleichheiten konzentrierten Statusgruppen). Parsons nennt ausdrücklich<br />

Kriterien (Eigentum, Leistungen, Autorität etc.), aus denen der Gesamtstatus<br />

eines Individuums im Schichtungssystem einer Gesellschaft resultiert.


3.3 Schichtmodelle in Verbindung mit Prestige <strong>und</strong> Status 49<br />

Auch spätere Ansätze thematisieren den Status zumindest implizit. Abels bemerkt<br />

beispielsweise, dass man Bourdieu (vgl. Kap. 6) auch als „Schilderung<br />

eines Klassenkampfes um den sozialen Status“ lesen könne (a.a.O.: 252). Status<br />

spielt schließlich eine Rolle in theoretischen Ansätzen, die sich nicht in erster<br />

Linie mit sozialer <strong>Ungleichheit</strong> beschäftigen. Beispielsweise sieht der Symbolische<br />

Interaktionismus die wechselseitige Statusbestimmung als ein Element zur<br />

Definition der Situation an. In der Rollentheorie ist die Rolle der dynamische<br />

Aspekt eines Status, also eines Platzes, den ein Individuum zu einer bestimmten<br />

Zeit in einem bestimmten System einnimmt (Linton 1973 (zuerst 1945)). Dabei<br />

kann man zwischen zugeschriebenem (z.B. aufgr<strong>und</strong> von Alter oder Geschlecht)<br />

<strong>und</strong> erworbenem Status (aufgr<strong>und</strong> von Leistung) unterscheiden (vgl. Abels 2001:<br />

Kap. 7).<br />

Vor weiteren begrifflichen <strong>und</strong> kritischen Anmerkungen soll nun an einigen<br />

Beispielen gezeigt werden, wie Prestigemodelle das gesellschaftliche <strong>Ungleichheit</strong>sgefüge<br />

in den fünfziger/sechziger Jahren darstellten. Dieses Gefüge verstehen<br />

die Autoren als Schichtung (nicht etwa als Klasse).<br />

Für einige dieser Studien dienten US-amerikanische Forschungen als Vorbild,<br />

z.B. von W.L. Warner et al., die in den dreißiger <strong>und</strong> vierziger Jahren vor<br />

allem <strong>Gemeinden</strong> – als eine Art Mikrokosmos der Gesellschaft – auf ihre <strong>Ungleichheit</strong>sstrukturen<br />

untersuchten (vgl. z.B. Warner et al. 1963). Warner verwendet<br />

den Begriff „class“ recht offen im Sinne von Schichten, die sich durch<br />

bewertende Einstufungen konstituieren:<br />

„By social class is meant two or more orders of people who are believed to be, and<br />

are accordingly ranked by the members of the community, in socially superior and<br />

inferior positions“ (1963: 36).<br />

Prestige ist damit das zentrale Kriterium. An die Schicht sind weitere Merkmale<br />

geb<strong>und</strong>en, z.B. Heiratskreise oder allgemein Vor- <strong>und</strong> Nachteile für die Mitglieder.<br />

Nach der Verwendung von zunächst aufwändigeren Erhebungsmethoden<br />

arbeiteten Warner et al. mit einem Index zur Feststellung von Prestige, der die<br />

Merkmale Beruf, Art des Einkommens, Haustyp <strong>und</strong> Wohngegend enthielt. Im<br />

Ergebnis fand Warner drei übereinander liegende Schichten, die jeweils zweigeteilt<br />

sind. Die Mehrheit der Bevölkerung ist dabei in der unteren Mitte/dem<br />

oberen Unten angesiedelt (in der Gemeinde „Yankee City“ z.B. zusammen über<br />

60%; Warner 1963: 43). Herzog betont, dass Warner auf diese Weise „reale“<br />

Schichten voneinander abgrenzen will, mit denen entsprechende Verhaltensmuster<br />

<strong>und</strong> ein Bewusstsein von den sozialen Unterschieden einhergehen (1965:<br />

79).


50 3 Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Diskussion<br />

Wie kam es dazu, dass gerade diese amerikanischen Forschungen als Vorbild für<br />

deutsche Untersuchungen ab den fünfziger Jahren dienten? Hradil nennt mehrere<br />

Gründe (1987: 80f.): Abgesehen von finanziellen Hilfen der USA für empirische<br />

Erhebungen gab es nach dem Zweiten Weltkrieg ein Klima des Strebens nach<br />

gleichen Wettbewerbschancen in der sozialen Marktwirtschaft, zu dem die<br />

relativ „konfliktfreien“ Prestigemodelle besser passten als z.B. den Konflikt oder<br />

die ökonomischen <strong>Ungleichheit</strong>en betonenden Klassenmodelle. Zudem spielte<br />

eine allgemeine Hegemonie des Strukturfunktionalismus eine Rolle (vgl. Kap.<br />

2.4), mit dem Prestigekonzepte verb<strong>und</strong>en sind, unter anderem, weil sie einen<br />

relativen Wertekonsens (z.B. Prestigeeinstufungen betreffend) unterstellen. Auch<br />

bei der funktionalistischen Schichtungstheorie geht es darum, gesellschaftliche<br />

Bewertungen von Positionen als Gr<strong>und</strong>lage für ein hierarchisches Belohnungssystem,<br />

das Schichtgefüge, anzusehen.<br />

Nach dieser Einordnung von Prestigemodellen im weiteren Sinne zu amerikanischen<br />

Vorbildern sollen folgende Beispiele genauer dargestellt werden:<br />

1. H. Moore / G. Kleining (1960): Gesellschaftsschichten nach sozialer Selbsteinstufung<br />

2. E.K. Scheuch (unter Mitarbeit von H. Daheim) (1961): Prestigeschichten<br />

durch Indexbildung<br />

3. K.M. Bolte et al. (1967): Das „Zwiebel“-Modell<br />

H. Moore / G. Kleining<br />

In dem Ansatz von Moore <strong>und</strong> Kleining ist – wie in vielen Untersuchungen – der<br />

Beruf für die Schichteinstufung zentral, <strong>und</strong> zwar wählten sie als methodisches<br />

Verfahren die soziale Selbsteinstufung (SSE). Die Befragten erhielten eine Liste<br />

mit neun Gruppen zu je vier Berufen als Beispiel <strong>und</strong> sollten sich selbst in die<br />

Gruppe einordnen, die dem eigenen Beruf am nächsten kam. Die Forscher<br />

schlossen dann von dieser Eingruppierung auf die soziale Schicht (die Zuordnungen<br />

hatten sie zuvor durch eine Reihe von Tests <strong>und</strong> durch Anlehnung an die<br />

Untersuchungen von Warner et al. entwickelt).<br />

Die Schichteinstufung, die sich ergibt, hat nach dem Anspruch der Autoren<br />

einen Erkenntnisgewinn über die Berufsgliederung hinaus. Anhand der Berufe<br />

<strong>und</strong> ihrer Rangfolge lässt sich die Schicht bestimmen, diese wiederum hat Einfluss<br />

auf andere Lebensbereiche:<br />

„Wir finden ganz ähnliche Differenzierungen [wie für den Berufsaspekt, N.B.] auch<br />

auf vielen anderen Gebieten, zum Beispiel im Sektor der Familie (etwa der Kinder-


3.3 Schichtmodelle in Verbindung mit Prestige <strong>und</strong> Status 51<br />

erziehung), des Konsums, der Meinungen … der Kleidung, der Sprache <strong>und</strong> so<br />

weiter“ (1960: 92).<br />

Für die obersten <strong>und</strong> die untersten Schichten gelte dies allerdings nur eingeschränkt,<br />

weil sich diese Menschen nicht in erster Linie durch ihre berufliche<br />

Tätigkeit definierten. Außerdem gilt für die Schichteinstufung, dass sie vom<br />

Mann <strong>und</strong> seinem Beruf ausgeht <strong>und</strong> dann auf seine Familie übertragen wird,<br />

weil man davon ausgeht, dass die Familie die kleinste Einheit der Gesellschaftsordnung<br />

<strong>und</strong> daher einheitlich einer Schicht zuzuordnen ist. Danach ist die Einstufung<br />

des Mannes auch auf die Frau <strong>und</strong> gegebenenfalls Kinder übertragbar.<br />

Das Ergebnis lautet, dass es eine breite Mitte gibt: Die untere Mittelschicht<br />

<strong>und</strong> die obere Unterschicht machen insgesamt 58% der Bevölkerung aus, die<br />

übrigen verteilen sich gleichermaßen darunter <strong>und</strong> darüber. Sowohl die untere<br />

Mittelschicht als auch die obere Unterschicht untergliedern die Autoren nochmals<br />

in einen industriellen <strong>und</strong> einen nicht-industriellen Teil. Die Charakterisierung<br />

der einzelnen Schichten umfasst nicht allein die Angabe zugehöriger<br />

Berufe, sondern auch weitere Charakteristika (die die Forscher durch offene<br />

Befragungen ermittelten). So gehören etwa zur mittleren Mittelschicht „mittlere“<br />

Angestellte wie Bürovorsteher, Fachschullehrer oder Inhaber mittelgroßer Geschäfte.<br />

Typisch ist beispielsweise ihre „bürgerliche“ Einstellung, sie sehen sich<br />

als über dem Durchschnitt der Bevölkerung platziert <strong>und</strong> sind gewissenhafte<br />

Spezialisten, die die bestehende Ordnung stützen. Insgesamt fanden Moore <strong>und</strong><br />

Kleining eine recht große Übereinstimmung mit den Ergebnissen Warners, was<br />

sie so erklären, dass es sich in beiden Fällen um die Untersuchung einer typisch<br />

industriellen Gesellschaft handele. Der Schichtenaufbau in Deutschland sei allerdings<br />

noch differenzierter (a.a.O.: 90). Im Überblick verteilen sich die<br />

Schichten wie folgt:


52 3 Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Diskussion<br />

Abbildung 5: Schichtenaufbau in Deutschland nach Moore/Kleining<br />

Schicht Anteil<br />

Oberschicht 1%<br />

Obere Mittelschicht 5%<br />

Mittlere Mittelschicht 15%<br />

Untere Mittelschicht:<br />

- nicht industriell 17%<br />

- industriell 13%<br />

Obere Unterschicht:<br />

- nicht-industriell 10%<br />

- industriell 18%<br />

Untere Unterschicht 17%<br />

Sozial Verachtete 4%<br />

Quelle: Moore/Kleining 1960: 91<br />

Bis in die siebziger Jahre gab es Folgestudien mit Hilfe der Selbsteinstufung; die<br />

Resultate erwiesen sich dabei als relativ stabil (Kleining/Moore 1968: 546f.;<br />

Kleining 1975: 273).<br />

E.K. Scheuch<br />

Eine andere Methode zur Messung von Prestige ist die Verwendung von Indizes<br />

(wie z.B. auch bei Warner et al.). Dabei sucht man nach Kriterien, nach Indikatoren,<br />

die in gebündelter Form das Prestige anzeigen. Wiederum ist der Beruf<br />

bzw. ist die Berufsgruppe (z.B. anhand der Internationalen Standardklassifikation<br />

der Berufe ISCO) ein zentrales Kriterium. Teilweise berücksichtigt man<br />

jedoch auch mehrere Kriterien. Dabei ordnet der Forscher z.B. je nach Einkommenshöhe,<br />

Nationalität usw. Punktwerte zu <strong>und</strong> addiert diese mit entsprechender<br />

Gewichtung zu einem Gesamtwert, der das Prestige anzeigt. Wie man die<br />

Punktwerte <strong>und</strong> Gewichtungen vergibt, ergibt sich aus Bewertungen, die man<br />

z.B. zuvor durch Befragungen erhoben hat (z.B. erhielten in der Untersuchung<br />

von Scheuch Personen für ihre Schulbildung bei mittlerer Reife 9 Punkte <strong>und</strong> bei<br />

einem Hochschulabschluss 20 Punkte). Bei der Entwicklung des Instruments<br />

orientierte sich Scheuch ebenso wie Moore <strong>und</strong> Kleining an einigen amerikanischen<br />

Vorbildern, ohne diese ungeprüft zu übertragen.<br />

Scheuch verwendete in einer ersten Fassung einen Index mit neun Variablen,<br />

reduzierte sie aber später auf drei Merkmale, die als „die“ Merkmale<br />

schlechthin zur deskriptiven Bestimmung einer Schichtzugehörigkeit gelten:<br />

Schulbildung, Beruf <strong>und</strong> Einkommen (1961: 68).


3.3 Schichtmodelle in Verbindung mit Prestige <strong>und</strong> Status 53<br />

Ausdrücklich betont auch Scheuch, dass das Sozialprestige „ein besonders guter<br />

Zugang zur Erklärung der sozialen Schichtung“ ist oder auch „ein Symptom für<br />

Prinzipien des hierarchischen Aufbaus der Gesellschaft“ (a.a.O.: 66).<br />

Seine Einteilung ähnelt, wenngleich methodisch auf einem etwas anderen<br />

Weg erhoben, den Ergebnissen von Moore <strong>und</strong> Kleining. Auch im Modell von<br />

Scheuch konzentrieren sich die meisten Menschen in der unteren Mittelschicht<br />

bzw. oberen Unterschicht.<br />

Abbildung 6: <strong>Soziale</strong> Schichtung nach Scheuch<br />

Schicht Anteil der<br />

Eingeordneten*<br />

Oberschicht 2,5%<br />

Obere Mittelschicht 6,1%<br />

Mittlere Mittelschicht 14,6%<br />

Untere Mittelschicht 20,7%<br />

Obere Unterschicht 36,6%<br />

Untere Unterschicht 19,5%<br />

* 18% ließen sich aufgr<strong>und</strong> unvollständiger Angaben nicht einordnen.<br />

Quelle: Scheuch 1961: 103, Hradil 1999: 287<br />

K.M. Bolte<br />

Wenn man sich die beiden Tabellen zur Verteilung der Schichten anschaut, kann<br />

man sich durchaus das Bild einer Zwiebel mit schmalen Bereichen oben <strong>und</strong><br />

unten sowie einer breiten „unteren Mitte“ vorstellen. Bolte et al. ziehen diese<br />

Schlussfolgerung nach der Betrachtung auch weiterer Untersuchungen zum<br />

Thema (z.B. untersuchte Mayntz (1958) den Statusaufbau in Euskirchen 12 mit<br />

Hilfe eines multiplen Index, legte jedoch keine Schichtgrenzen fest, vgl. Bolte et<br />

al. 1967: 294f.). Zudem hatte Bolte selbst eine Untersuchung zu Sta-<br />

tusunterschieden in norddeutschen Wohngemeinden durchgeführt (Bolte 1963).<br />

Dort stellte er verschiedene Typen von Statusdifferenzierungen auf, die sich<br />

insbesondere danach unterschieden, ob Schichten, soziale „Ballungen“ oder eher<br />

Kontinua das Statusgefüge prägten. Der Begriff der Schichten war hier für<br />

Gruppierungen vorbehalten, die sich hinsichtlich ihres Ranges als eigenständige<br />

Gruppe empfanden (anderen gegenüber also als höher oder tiefer stehend), sich<br />

entsprechend verhielten <strong>und</strong> daher klar abgegrenzt werden konnten. Solche<br />

Abgrenzungen verlaufen bei sozialen „Ballungen“ fließend <strong>und</strong> sind bei einem<br />

12 Zur Struktur Euskirchens im Zeitvergleich s.a. Friedrichs et al. 2002.


54 3 Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Diskussion<br />

Kontinuum gar nicht bestimmbar (1963: 157; Typen auch in Bolte et al. 1967:<br />

285-293).<br />

Dadurch, dass das Zwiebelmodell eine zusammenfassende Sichtweise aus<br />

den Resultaten mehrerer Untersuchungen ist, verschwimmt der Unterschied, ob<br />

es sich hier um einen Statusaufbau oder – wie es in späteren Auflagen des Buches<br />

unpräziser <strong>und</strong> nichts ausschließend heißt – einen „Prestigestatusaufbau“<br />

(z.B. Bolte/Hradil 1988: 220) handelt. Prestige geht in die Betrachtung des Status<br />

jedenfalls ein. Statusgruppen bilden allein noch nicht „reale“ Schichten, sondern<br />

diese werden im von Bolte benutzten Wortsinn verwendet. Daraus ergibt<br />

sich, dass die „Zwiebel“ nicht in vertikal übereinander liegende Bereiche gegliedert<br />

ist, sondern es entstehen Überlappungen, die Abbildung 7 wiedergibt.<br />

Bolte et al. gehen davon aus, dass der Beruf in bestimmten Grenzen das<br />

Einkommen, den Lebensstil, den Umgang mit anderen etc. prägt. Es gibt aber<br />

keine eindeutige Verknüpfung des Berufsstatus mit anderen Statuslagen. Entsprechend<br />

gilt:<br />

„In unserer Gesellschaft gibt es vielfältige Statusdifferenzierungen, aber der Statusaufbau<br />

der Gesellschaft ist nicht in klar abgegrenzte Schichten unterteilt. Am<br />

stärksten sind Schichtungstendenzen oben <strong>und</strong> vor allem ganz unten im Statusaufbau.<br />

Zwischen diesen … gibt es einen weitgehend fließenden Übergang vom Höher<br />

zum Tiefer, in dem viele Gesellschaftsmitglieder nicht einmal einen präzise bestimmbaren<br />

gesellschaftlichen Status haben … Insgesamt ist die Mitte … eine Art<br />

Sammelbecken der differenziertesten Bevölkerungsgruppen, die nicht nur über- <strong>und</strong><br />

untereinander, sondern auch nebeneinander erscheinen“ (1967: 313f.).


3.3 Schichtmodelle in Verbindung mit Prestige <strong>und</strong> Status 55<br />

Abbildung 7: Das <strong>Ungleichheit</strong>sgefüge Deutschlands in den 60er Jahren nach<br />

Bolte<br />

Quelle: Bolte et al. 1967: 316<br />

Diese Nicht-Bestimmbarkeit von Status deutet zum einen auf das Problem des<br />

Ansatzes hin, wie mit (zunehmenden) Statusinkonsistenzen umzugehen ist, wenn<br />

jemand also z.B. eine niedrige Bildung, aber ein mittleres Einkommen <strong>und</strong> ein<br />

hohes Ansehen als ehrenamtlicher Vereinsvorsitzender hat. Die Unschärfe des<br />

Bildes zeigt aber auch, dass sich bereits in den sechziger Jahren die Diskussion<br />

andeutete, die etwa ab dem Ende der siebziger Jahre intensiver geführt wurde<br />

<strong>und</strong> in der man eine (rein) vertikale Gliederung der Gesellschaft in Schichten als<br />

nicht mehr angemessen ablehnte.


56 3 Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Diskussion<br />

Hradil schreibt zum Stellenwert von Prestigemodellen, dass diese bis weit in die<br />

sechziger Jahre hinein so dominierten, dass „soziale Schichtung“ weitgehend mit<br />

Prestigedifferenzierung gleichgesetzt wurde (1987: 81). Auch in den siebziger<br />

Jahren gab es noch weitere Untersuchungen zum Prestige, die dabei jedoch teilweise<br />

nicht allein auf allgemeine Merkmale (wie z.B. den Schulabschluss), sondern<br />

auf konkretere Kriterien zurückgriffen. So fand Pappi in einer Gemeindeuntersuchung<br />

drei Schichten dadurch, dass er nach dem Beruf <strong>und</strong> dem der drei<br />

engsten Fre<strong>und</strong>e fragte (Pappi 1973). Reuband (1975) untersuchte, wie eng Befragte<br />

mit bestimmten Berufsgruppen verkehren wollten. K.U. Mayer (1977)<br />

ordnete Prestigegruppen anhand des Heiratsverhaltens. Heiratsbarrieren zwischen<br />

Berufsgruppen wiesen auf Prestigeabstufungen der Berufe hin, im Gegensatz<br />

zu Pappi schließt Mayer von den Statusgruppierungen jedoch nicht auf klar<br />

abgegrenzte Schichten:<br />

„Sie [die Statusgruppen; N.B.] sind jedoch eher durch graduelle Distanzen <strong>und</strong><br />

kleine Zwischengruppen als durch wenige hohe Schichtbarrieren voneinander getrennt.“<br />

(1977: 224).<br />

In den siebziger Jahren ging jedoch insgesamt die Verwendung von Prestigemodellen<br />

zurück. Die letzte umfassende Studie zu Berufsschichtungsskalen z.B.<br />

wurde 1979/80 durchgeführt (in dieser Skala stand der Arztberuf an erster Stelle<br />

vor dem des Richters <strong>und</strong> des Professors; lt. Hradil 1999: 283). Verschiedene<br />

Kritikpunkte an den Modellen <strong>und</strong> auch soziale Wandlungsprozesse sind dafür<br />

verantwortlich. Zentrale Kritikpunkte richten sich auf<br />

a. die Unschärfe des Begriffs „Prestige“,<br />

b. den Erklärungswert des Prestigeaufbaus für gesellschaftliche <strong>Ungleichheit</strong>sstrukturen.<br />

Ad a): Der Begriff „Prestige“ bleibt über die Alltagsbedeutung der Wertschätzung<br />

hinaus oft unklar, so dass nicht immer deutlich wird, was die Forscher<br />

messen. Es wurde bereits erwähnt, dass Prestige ein subjektives oder ein objektives<br />

<strong>Ungleichheit</strong>smerkmal sein kann. Oft ist beides verknüpft, wenn Ansätze<br />

davon ausgehen, dass subjektive Bewertungen einen Reflex auf objektive soziale<br />

<strong>Ungleichheit</strong>en darstellen, wenn also etwa die Bewertung des Polizistenberufes<br />

auch etwas über die Qualifikation oder die Einflusschancen aussagt. O.D. Duncan<br />

zeigte beispielsweise, dass Prestige in hohem Maße mit der Einkommenslage<br />

<strong>und</strong> dem Schulabschluss einhergeht (lt. Wegener 1985: 210). Daraus schlossen<br />

Kritiker allerdings, dass man in dem Fall besser diese Merkmale selbst als ein<br />

Ersatzmerkmal messen sollte, sie sprechen dem Bewertungsprozess also keine


3.3 Schichtmodelle in Verbindung mit Prestige <strong>und</strong> Status 57<br />

eigenständige Bedeutung zu (vgl. Herz 1983: 145). Etwas vage bleibt oft auch<br />

die Abgrenzung zum Status als eher „objektiver“ Dimension <strong>und</strong> insgesamt, wie<br />

die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge von Prestige, Statusmerkmalen, Lebenslagen<br />

<strong>und</strong> Lebensführung aussehen.<br />

Die Begriffsunschärfe kommt auch zum Ausdruck, wenn kritische Stimmen<br />

vorbringen, dass Prestigemodelle die eigenständige Bedeutung „objektiver“<br />

Mermale jenseits ihrer Bewertung zu wenig berücksichtigen (unter anderem als<br />

Reaktion darauf, dass sich in den sechziger Jahren erste wirtschaftliche Rezessionen<br />

ankündigten <strong>und</strong> damit der Glaube an Chancengleichheit <strong>und</strong> das dazu<br />

„passende“, relativ konfliktfreie Bild des Prestigeaufbaus hinterfragt wurden).<br />

Als „objektive“ Kriterien wurden dann aber oft genau die gleichen Merkmale<br />

gemessen wie in den vorigen Modellen, also z.B. die Bildung oder das Einkommen.<br />

Einerseits ist Prestige vom persönlichen Ansehen getrennt. An anderen<br />

Stellen geht dieses Ansehen aber doch mit ein, wenn die relationale Bedeutung<br />

von Prestige, also sein Ausdruck in konkreten Interaktionen hervorgehoben wird.<br />

Orientiert man sich in Untersuchungen an solchen konkreteren Interaktionen<br />

(z.B. in Gemeindestudien), kann dies den Vorteil haben, eine „lebensnähere“<br />

Beschreibung zu liefern, andererseits lassen sich entsprechende Ergebnisse teilweise<br />

schlecht auf die gesellschaftliche Ebene übertragen.<br />

Ad b): Gibt es eine Verbindung vom Prestigeaufbau (z.B. der Berufe) zu „realen“<br />

Schichten mit spezifischen Verhaltensmustern <strong>und</strong> Einstellungen, vielleicht<br />

auch einem Wir-Gefühl? Die Abgrenzung von (dazu oft nur vertikalen) Unterteilungen<br />

empfinden Kritiker häufig als künstliche <strong>und</strong> willkürliche Unterscheidung,<br />

die mit realen Abgrenzungen nichts zu tun hat.<br />

Hier spielt auch das Unbehagen am methodischen Vorgehen eine Rolle:<br />

Wenn z.B. Berufe bewertet werden sollen, trifft der Forscher eine – möglicherweise<br />

verzerrende – Auswahl an Berufen, die er als bekannt <strong>und</strong> eindeutig bewertbar<br />

voraussetzt. Bei einer Indexbildung ist möglicherweise die Vergabe von<br />

Punkten <strong>und</strong> Gewichtungen zur Ermittlung einer Gesamtzahl recht beliebig. Ist<br />

es zudem vergleichbar, wenn etwa hohes Einkommen <strong>und</strong> niedrige Bildung die<br />

gleiche Gesamtzahl ergeben wie umgekehrt hohe Bildung <strong>und</strong> niedriges Einkommen?<br />

Es ist also bereits schwierig, die Prestigeabstufung selbst zu ermitteln.<br />

Es ist im nächsten Schritt noch problematischer, Einschnitte in dieser Skala festzulegen,<br />

die eigenständige Einheiten (Schichten) bilden. Entsprechend wurde oft<br />

die Kritik geäußert, dass für solche Entscheidungen ein theoretischer Ansatz<br />

notwendig sei.


58 3 Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Diskussion<br />

Diese Kritikpunkte gelten für Prestigemodelle bereits unter den sozialstrukturellen<br />

<strong>und</strong> gesellschaftlichen Bedingungen der sechziger Jahre. Der soziale Wandel<br />

führt zusätzlich dazu, dass sich Wertmaßstäbe stärker ausdifferenzieren, eine<br />

einheitliche Prestigeskala also kaum mehr gemessen werden kann. Weiterhin<br />

stellen Statusinkonsistenzen nicht mehr nur eine Ausnahme dar, sondern kommen<br />

häufiger vor. Eine bestimmte Bildung geht also z.B. nicht unbedingt mit<br />

einem bestimmten Einkommen oder Wohntyp einher. Damit ist das allgemeine<br />

Sozialprestige weniger eindeutig am Beruf ablesbar als zuvor. Auf diesen Punkt<br />

der Bedeutung des sozialen Wandels wird später im Zusammenhang mit der<br />

Kritik an den Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodellen allgemein genauer zurückzukommen<br />

sein.<br />

Zunächst blieben in den siebziger Jahren jedoch Schichten ein vorherrschendes<br />

Modell zur Abbildung von <strong>Ungleichheit</strong>sstrukturen, außerdem gab es<br />

eine Renaissance von Klassenmodellen.<br />

Lesehinweis:<br />

Bolte, Karl Martin; Stefan Hradil (1988): <strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong> in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik<br />

Deutschland, Opladen: Leske + Budrich, 6. Auflage, Kap. 6.4: <strong>Ungleichheit</strong><br />

des Prestiges, S. 190-224<br />

3.4 Neomarxistische Ansätze in den siebziger Jahren<br />

In den siebziger Jahren gab es als eine Nebenströmung des „mainstreams“ der<br />

Schichtungsforschung ein Aufleben neomarxistischer Ansätze, die konträr zu<br />

Schichtansätzen die Sozialstruktur durch Klassenmodelle besser erfasst <strong>und</strong><br />

erklärt sahen. Diese Strömung ergab sich aus der Kritik an bestehenden gesellschaftlichen<br />

Verhältnissen ab den späten sechziger Jahren (eine Rolle als Träger<br />

von Kritik spielte z.B. der studentische Protest 1968, unter anderem gegen die<br />

Notstandsgesetze <strong>und</strong> für eine Hochschulreform; zudem gab es erstmals seit<br />

Beginn des „Wirtschaftsw<strong>und</strong>ers“ wieder sinkende ökonomische Wachstumsraten,<br />

1966/67 auch eine Rezession, vgl. Görtemaker 2002). Dieser allgemeinen<br />

Kritik entsprach eine Kritik an Schichtmodellen, die die nach wie vor bestehenden<br />

großen sozialen Gegensätze zwischen den Klassen vernachlässigen würden.<br />

Im Unterschied zu bisherigen theoretischen Positionierungen ordnen sich<br />

Vertreter dieser Ansätze meist eindeutig einer (linken) politischen Richtung zu.<br />

Leisewitz etwa beginnt sein Buch über „Klassen in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik<br />

Deutschland heute“ (1977) damit, dass die Klassengesellschaft als zutreffendes


3.4 Neomarxistische Ansätze in den siebziger Jahren 59<br />

Bild von Gesellschaft nicht nur von konservativen Publizisten, sondern auch von<br />

führenden Sozialdemokraten abgelehnt werde (1977: 7), etwas später stellt er die<br />

marxistische Klassentheorie einem „bürgerlichen Gesellschaftsbild“ gegenüber<br />

(a.a.O.: 17). In dieser Gegenüberstellung wird deutlich, worin Leisewitz die<br />

Unterschiede <strong>und</strong> damit – aus seiner Sicht – die Vorteile der Klassenanalyse<br />

auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts sieht:<br />

� Nur die Klassentheorie kann die Ursachen von Über- <strong>und</strong> Unterordnungen<br />

erklären, <strong>und</strong> zwar aus den gr<strong>und</strong>legenden Verhältnissen in der bürgerlichen<br />

Gesellschaft: aus der Stellung in der Wirtschaft <strong>und</strong> dem Eigentum an Produktionsmitteln.<br />

� Es gibt nicht nur unterschiedliche, sondern auch gegensätzliche Klasseninteressen,<br />

was notwendigerweise zu Konflikten führt.<br />

� Klassenmodelle liefern nicht allein eine beschreibende Momentaufnahme,<br />

sondern sehen dynamisch den Klassenkampf als zentrale Triebkraft der gesellschaftlichen<br />

Entwicklung. Dazu ist es allerdings notwendig, politische<br />

Unterstützung zu leisten, so müsse man die Tatsache, dass die <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik<br />

eine Klassengesellschaft sei, in der die Arbeiter <strong>und</strong> Angestellten ihre<br />

Interessen nur gegen die Unternehmer <strong>und</strong> ihren Staat durchsetzen könnten,<br />

unter den Arbeitern <strong>und</strong> Angestellten erst verbreiten (a.a.O.: 22).<br />

Zwei prominente Beispiele für neomarxistische Untersuchungen aus dieser Zeit<br />

sind die Analysen des Instituts für Marxistische Studien <strong>und</strong> Forschungen (IMSF<br />

1974, Leisewitz 1977) <strong>und</strong> des Projekts Klassenanalyse (PKA; 1973, 1974; Bischoff<br />

et al. 1982). Ihre Ansätze <strong>und</strong> Ergebnisse sollen hier kurz skizziert werden.<br />

Beiden Ansätzen ist gemeinsam, dass sie neben der Bourgeoisie <strong>und</strong> der<br />

Arbeiterklasse auch von der Existenz von Mittelklassen ausgehen.<br />

Die Untersuchungen des IMSF <strong>und</strong> des PKA<br />

Das IMSF zählt, wie bereits Marx, Produktionsmittelbesitzer oder z.B. Manager<br />

zur Bourgeoisie. Es unterteilt die mittleren Klassen in selbständige Mittelschichten<br />

(ihre Produktionsmittel sind so gering, dass sie auch ihre eigene Arbeitskraft<br />

einsetzen müssen <strong>und</strong> keine Kapitalakkumulation in großem Stil<br />

betreiben können), die lohnabhängigen Mittelschichten (Leitungs- <strong>und</strong> Aufsichtspersonal,<br />

der Verkauf ihrer Arbeitskraft hat weniger entfalteten Warencharakter<br />

als bei den Arbeitern) sowie die selbständige <strong>und</strong> lohnabhängige Intelligenz<br />

(z.B. Ärzte, Künstler, Spezialisten mit Hochschulabschluss). Leisewitz<br />

spricht ausdrücklich von Mittelschichten, weil es sich um Gruppierungen han-


60 3 Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Diskussion<br />

dele, die zwar in sozialen Beziehungen eine Rolle spielen können, beispielsweise<br />

als Bündnispartner für die beiden Klassen, die jedoch kaum selbst Initiative ergreifen<br />

oder eine eigenständige politische Position einnehmen, damit keinen<br />

Klassencharakter haben (Leisewitz 1977: 150).<br />

Zur Arbeiterklasse gehören schließlich Lohnabhängige, bei denen der Warencharakter<br />

der Arbeitskraft weitgehend entfaltet ist, die also nicht z.B. Spezialisten<br />

oder in einer leitenden Funktion sind, oder Arbeitslose. Zur Verteilung<br />

der Erwerbsbevölkerung auf die Klassen ergeben sich folgende Zahlen: 1950<br />

betrug das Verhältnis von Arbeiterklasse, Mittelschichten <strong>und</strong> Bourgeoisie 65%<br />

zu 32% zu 3%, 1974 dagegen 72% zu 22% zu 2% 13 (bei der Hochrechnung auf<br />

die Gesamtbevölkerung ergeben sich nur geringe Abweichungen, Leisewitz<br />

1977: 180-186, 193-196). Die ohnehin große Arbeiterklasse hat sich hiernach –<br />

im Wesentlichen auf Kosten der Mittelschichten – also nochmals erweitert.<br />

Erbslöh et al., die die Prinzipien des IMSF auf Zahlen von 1985 anwenden,<br />

kommen für diesen Zeitpunkt für die Erwerbsbevölkerung auf 73,5% zu 26,7%<br />

zu 0,8%, konstatieren also eine gleich bleibend sehr große Arbeiterklasse (Erbslöh<br />

et al. 1990: 70-72).<br />

Das Projekt Klassenanalyse (PKA) geht in erster Linie von „ökonomischen<br />

Formbestimmungen“ aus <strong>und</strong> definiert die Bourgeoisie ähnlich wie das IMSF als<br />

Produktionsmittelbesitzer (mit einem Mindestumfang an Produktionsmitteln,<br />

konkret bedeutet das, mindestens vier Beschäftigte zu haben). Die Kapitalisten<br />

setzen sich zusammen aus aktiven, fungierenden Kapitalisten <strong>und</strong> Kapitaleigentümern.<br />

In der Mitte gibt es Kleinunternehmer mit nur geringem Profit (ähnlich<br />

der selbständigen Mittelschicht beim IMSF) <strong>und</strong> die lohnabhängige Mittelklasse,<br />

zu der nach dieser Klassifizierung Arbeitnehmer gehören, deren Arbeitgeber<br />

nicht gewinnorientiert tätig ist (z.B. der Staat oder Wohlfahrtsverbände). Die<br />

Lohnabhängigen dieser Klasse verkaufen zwar auch ihre Arbeitskraft, jedoch<br />

nicht an einen Kapitalisten im obigen Sinne. Zur Arbeiterklasse gehören neben<br />

den Arbeitslosen Arbeiter mit gewinnorientierten Arbeitgebern, die sich aufteilen<br />

in kommerzielle Lohnarbeiter (die mit bereits produzierten Waren umgehen, also<br />

im „Zirkulationsprozess des Kapitals arbeiten“, PKA 1973: 263) <strong>und</strong> produktive<br />

Arbeiter, die direkt im Produktionsprozess tätig sind. Innerhalb der Arbeiter gibt<br />

es nochmals eine hierarchische Schichtung nach ihrer Qualifikation (von einfachen<br />

über technisch-wissenschaftliche Tätigkeiten bis zu Leitungsfunktionen).<br />

Diese Einteilung rechnet Personen mit höherer Qualifikation also nicht per se zur<br />

13 Dass sich die Zahlen für 1974 nicht zu 100% addieren, ist ein Fehler, der bereits in den Angaben<br />

bei Leisewitz besteht, die Hochrechnung auf die Gesamtbevölkerung summiert sich dagegen auf<br />

100%, hier ist das prozentuale Verhältnis von Arbeiter-, Mittelklasse <strong>und</strong> Kapitalisten 73:24:3<br />

(Leisewitz 1977: 180-186, 193-196).


3.4 Neomarxistische Ansätze in den siebziger Jahren 61<br />

Mittelklasse, was bei der Einteilung des IMSF durchaus ein bedeutsamer Faktor<br />

war.<br />

Die Zahlenverteilung zeigt hier für 1978 ebenfalls – wie beim IMSF – eine<br />

große Arbeiterklasse von fast zwei Dritteln der Erwerbsbevölkerung. 14 31%<br />

gehören zur Mittelklasse (20% lohnabhängige Mittelklasse, 11% Kleinbourgeoisie)<br />

<strong>und</strong> 3% zur Kapitalistenklasse (Bischoff et al. 1982: 72).<br />

Abbildung 8: Die Klassenstruktur der Erwerbsbevölkerung 1978 lt. Modell des<br />

PKA<br />

31%<br />

3%<br />

Quelle: Bischoff et al. 1982: 72<br />

66%<br />

Arbeiterklasse<br />

(kommerzielle <strong>und</strong><br />

produktive Arbeiter,<br />

Arbeitslose)<br />

Mittelklassen (kleine<br />

Selbständige oder<br />

Arbeitgeber ohne<br />

Gew innorientierung)<br />

Bourgeoisie<br />

Das PKA schätzt die Arbeiterklasse der siebziger Jahre etwas kleiner ein als das<br />

IMSF, <strong>und</strong> zwar zugunsten der Mittelklasse, während die Bourgoisie bei beiden<br />

Ansätzen etwa 2 bis 3% ausmacht. Der hohe Anteil der Arbeiterklasse setzt sich<br />

fort, wenn man die Fortschreibung der Kategorien des PKA durch Erbslöh et al.<br />

für 1985 betrachtet, allerdings expandiert auch die lohnabhängige Mittelklasse<br />

(Erbslöh et al. 1990: 78f.).<br />

Alle neomarxistischen Klassenmodelle gehen also (wie Marx über ein Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

zuvor) von einer großen Arbeiterklasse <strong>und</strong> einer nur sehr kleinen Bour-<br />

14 Einen noch höheren Anteil der Arbeiterklasse berechnen Tjaden-Steinhauer/Tjaden mit über 83%<br />

für 1970. Zur Arbeiterklasse gehören hier alle lohnabhängigen Arbeiter, Angestellten <strong>und</strong> Beamten<br />

außer einer Spitzengruppe, die Kapitalisten machen knapp 2% der Erwerbsbevölkerung aus, für<br />

Sondergruppen (z.B. kleine Selbständige) verbleiben etwa 15% (Tjaden-Steinhauer/Tjaden 1973:<br />

198-200).


62 3 Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Diskussion<br />

geoisie aus. Graphisch vorgestellt sind die Modelle damit weit entfernt von dem<br />

Zwiebelmodell der Schichtungsforschung, eher handelt es sich um eine Pyramide<br />

oder einen sehr bauchigen Regentropfen; dabei muss man allerdings berücksichtigen,<br />

dass die Modelle von unvereinbaren Interessengegensätzen der<br />

Klassen ausgehen, eine auch nur graphische Nähe damit dem Konzept möglicherweise<br />

nicht angemessen ist.<br />

Wie sind diese Ansätze zu bewerten? Die Bemerkung, dass es sich hier um eine<br />

Nebenströmung handelt, deutet Kritik von anderen Seiten bereits an.<br />

Spätestens, wenn man Mittelklassen im Modell hinzufügt <strong>und</strong> die Klassen<br />

in sich auch noch weiter differenziert, gibt es ein Problem, das auch Schichtkonzepte<br />

haben: Wo sind Grenzlinien zu ziehen? Die Klassenansätze wollen<br />

einerseits die theoretisch getroffene Vorannahme aufrechterhalten, dass die Produktionsverhältnisse<br />

der zentrale Faktor für die Klassenbildung sind, andererseits<br />

wollen sie durch Differenzierungen die Lebensnähe ihres Modells demonstrieren.<br />

Die Beispiele zeigen, dass die Lösungen dafür, wer in welche Klasse gehört,<br />

durchaus recht unterschiedlich sein können. Lohnabhängige mit höheren Qualifikationen<br />

können etwa laut PKA durchaus noch zur Arbeiterklasse zählen, während<br />

das IMSF sie zur Mittelschicht zählen würde. Im Modell des PKA befinden<br />

sich durch die sehr weite Definition der Arbeiterklasse ungelernte Arbeiter <strong>und</strong><br />

hochqualifizierte Angestellte in der Privatwirtschaft in der gleichen Klasse, während<br />

ein im öffentlichen Dienst Angestellter mit der gleichen Qualifikation zur<br />

Mittelklasse gehört. Ab wann die Arbeitskraft einen „weitgehend entfalteten“<br />

Warencharakter hat – dies ist eine Kategorie, nach der das IMSF einteilt –, ist<br />

kaum klar allgemein festzulegen. Die skeptische Frage, die sich ergibt, lautet, ob<br />

bei diesen – unterschiedlichen – Einteilungen der postulierte Interessengegensatz<br />

zwischen den Klassen deutlich zum Ausdruck kommt.<br />

Diese Frage untersuchen auch Erbslöh et al. anhand ihrer Fortschreibungen<br />

der Modelle. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Zuordnung zu einem Bewusstseinsindex<br />

(zwischen den Polen „pro Arbeit“ <strong>und</strong> „pro Kapital“) nicht<br />

vollständig stimmig ist (z.B. waren beim Modell des PKA die Mittelschichten<br />

weniger „kapitalistisch“ eingestellt als die Gesamtgruppe der Arbeiter, beim<br />

Modell des IMSF war die Systematik innerhalb der Mittelschichten nicht ganz<br />

stimmig; Erbslöh et al. 1990: 73, 81f.).<br />

Trotz der theoretischen Anbindung (deren Fehlen der Schichtungsforschung<br />

oft als Mangel vorgehalten wurde) gelingt es den neomarxistischen Klassenmodellen<br />

also anscheinend nicht, lebensnähere Modelle als die Schichtungsforschung<br />

zu entwickeln. Hradil betrachtet dies sogar als „das gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Dilemma marxistischer <strong>Ungleichheit</strong>stheoretiker, die zwischen der Marxschen<br />

Theorie einerseits <strong>und</strong> Lebensnähe andererseits zu wählen haben“ (1999: 356).


3.4 Neomarxistische Ansätze in den siebziger Jahren 63<br />

Zwar gibt es auch aus späterer Sicht Stimmen, die die Vorteile dieser Analysen<br />

hervorheben. So schreibt M. Koch 1994:<br />

„Der Ansatz des Projekts Klassenanalyse (PKA) gilt als der bislang gelungenste<br />

Versuch, ausgehend von den Kategorien des Verwertungsprozesses, den ökonomischen<br />

Formbestimmungen, zu einer auch empirisch f<strong>und</strong>ierten Differenzierung der<br />

Klassenstruktur vorzudringen“ (1994: 42).<br />

Doch sind solche Bewertungen die Ausnahme, eher betonen Autoren, wie unergiebig<br />

die Auseinandersetzungen zwischen Klassen- <strong>und</strong> Schichttheoretikern<br />

schon in den siebziger Jahren waren (Hradil 1999: 357) oder dass die neomarxistischen<br />

Modelle zumindest heute kaum noch vertreten würden, weil sie<br />

wenig überzeugend seien (z.B. Geißler 1992: 66).<br />

Dies heißt allerdings nicht, dass der Klassenbegriff in der heutigen <strong>Ungleichheit</strong>sforschung<br />

vollständig obsolet geworden ist (vgl. Kap. 4.2), sondern<br />

nur, dass er in dieser vergleichsweise engen Auslegung Marxscher Theorie weniger<br />

verwendet wird.<br />

Geißler macht zudem darauf aufmerksam, dass die Kontroverse zwischen<br />

Klassen <strong>und</strong> Schichten in den siebziger Jahren immerhin dazu geführt habe, dass<br />

auch Schichtungstheoretiker ökonomische Faktoren <strong>und</strong> die insgesamt weiterhin<br />

bestehenden markanten Unterschiede in den Lebensbedingungen verstärkt berücksichtigt<br />

hätten (1992: 66). Es ließe sich hinzufügen, dass die Klassenforscher<br />

die genannten Vorteile, die sie für sich beanspruchten (die theoretische Ausrichtung,<br />

keine Vernachlässigung der Konfliktperspektive <strong>und</strong> längerfristiger Verläufe),<br />

zwar nicht in ein alle überzeugendes Modell umsetzen konnten, diese<br />

Aspekte aber in der ungleichheitstheoretischen Debatte zumindest in der Diskussion<br />

blieben.<br />

In den siebziger Jahren gab es keine Lösung in der Kontroverse um Klassen<br />

<strong>und</strong> Schichten. Die Suche nach einer Lösung innerhalb dieser theoretischen<br />

Richtungen wurde dann ab den achtziger Jahren davon abgelöst, beide zu kritisieren<br />

<strong>und</strong> nach anderen Modellen zu suchen, die das <strong>Ungleichheit</strong>sgefüge in<br />

einer mittlerweile erheblich veränderten Gesellschaft angemessen abbilden<br />

konnten.<br />

Lesehinweis:<br />

Erbslöh, Barbara et al. (1990): Ende der Klassengesellschaft? Eine empirische<br />

Studie zu Sozialstruktur <strong>und</strong> Bewusstsein in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik, Regensburg:<br />

Transfer, S. 65-82


64 3 Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Diskussion<br />

3.5 Zusammenfassung: Charakteristika von Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodellen<br />

Die Diskussion um <strong>Ungleichheit</strong>smodelle in den fünfziger bis siebziger Jahren<br />

des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts umfasst verschiedene Ansätze. Schelsky lehnt in den fünfziger<br />

Jahren eine klare Schichtung zugunsten einer nivellierten Mittelstandsgesellschaft<br />

ganz ab. Dahrendorf geht davon aus, dass die Schichtstruktur von<br />

den Normen abhängt, die die Herrschenden mit Hilfe von Sanktionen durchsetzen.<br />

Dabei gibt es nicht nur eine Klasse von Herrschenden, sondern vielfältige<br />

Herrschaftsverbände. In seinem „Haus-Modell“ konkretisiert er die soziale<br />

Schichtung in Deutschland Mitte der sechziger Jahre. Prestigemodelle betonen,<br />

dass Schichtstrukturen durch das soziale Ansehen, durch die Wertschätzung von<br />

Positionen erkennbar seien. Insbesondere die Wertschätzung des Berufes, Bildung<br />

<strong>und</strong> Einkommen spielen dabei eine zentrale Rolle. In den siebziger Jahren<br />

stellen neomarxistische Ansätze eine Nebenströmung neben der Schichtungsforschung<br />

dar, die wiederum stärker auf Herrschafts- <strong>und</strong> Unterdrückungsverhältnisse<br />

aufmerksam machen will.<br />

Von den einzelnen Varianten <strong>und</strong> Entwicklungstendenzen abstrahierend,<br />

sind zusammenfassend folgende Merkmale für Klassenmodelle kennzeichnend:<br />

� Ökonomische Aspekte stehen im Vordergr<strong>und</strong>. Insbesondere die Stellung<br />

im Produktionsprozess <strong>und</strong> der Besitz oder der Nicht-Besitz von Produktionsmitteln<br />

sind für die Klassenlage der Individuen verantwortlich, so dass<br />

sich als Hauptklassen das Proletariat <strong>und</strong> die Bourgeoisie ergeben. Zwischenklassen<br />

können aber zusätzlich Berücksichtigung finden (z.B. bei Webers<br />

Verständnis von „Klasse“ oder bei den neomarxistischen Modellen).<br />

� Die Zugehörigkeit zu einer Klasse hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche,<br />

auf innere Haltungen der Individuen <strong>und</strong> ihr Handeln. Spezifische<br />

Klasseninteressen können unter Umständen zu einem gemeinsamen Klassenbewusstsein<br />

führen.<br />

� Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Relationen zwischen den Klassen,<br />

deren Interessen die Forscher als gegensätzlich ansehen: Die Modelle betonen<br />

den Klassenkonflikt, allerdings nicht überall in gleich scharfer Form<br />

(z.B. hebt Dahrendorf hervor, dass der Klassenkonflikt durch eine Institutionalisierung<br />

an Intensität verloren habe). Teilweise ergreifen die Autoren<br />

dabei die Partei der unterdrückten Arbeiterklasse.<br />

� Die Betrachtung dieser Relationen bringt es mit sich, dass das theoretische<br />

Interesse nicht nur auf eine Momentaufnahme gerichtet ist, sondern auf<br />

Prozesse. Damit sind weniger individuelle Mobilitätsprozesse gemeint (im<br />

Klassenmodell hat z.B. das Proletariat wenig Aufstiegschancen), sondern


3.5 Zusammenfassung: Charakteristika von Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodellen 65<br />

längerfristig der Klassenkonflikt als der Motor der gesellschaftlichen Entwicklung.<br />

� Klassenmodelle wollen in erster Linie anhand des theoretischen Modells die<br />

Ursachen der sozialen <strong>Ungleichheit</strong> <strong>und</strong> den sozialen Wandel analysieren.<br />

Weniger geht es um eine möglichst genaue Beschreibung der Lebensbedingungen.<br />

Demgegenüber lassen sich Schichtmodelle im engeren Sinne auf entsprechend<br />

allgemeiner Ebene quasi spiegelbildlich so kennzeichnen:<br />

� Die Beschreibung ungleicher Lebensbedingungen, damit ungleicher<br />

Lebenschancen, steht im Vordergr<strong>und</strong>. Auch Vertreter von Schichtmodellen<br />

gehen davon aus, dass die Zugehörigkeit zu einer – in sich relativ homogenen<br />

– Schicht Einfluss auf Einstellungen <strong>und</strong> Verhalten hat (z.B. auf Heiratskreise);<br />

eine Schicht stellt jedoch nicht automatisch eine Interessengruppe<br />

dar. Die Schichten müssen sich nicht antagonistisch gegenüber stehen.<br />

� Die Kriterien zur Zuordnung in eine bestimmte Schicht sind häufig, theoretisch<br />

aber nicht notwendigerweise, sozioökonomisch orientiert, gegebenenfalls<br />

mit bestimmten soziokulturellen Ergänzungen: Häufig zentral sind die<br />

äußeren Merkmale Beruf (bzw. Berufsprestige), Bildung <strong>und</strong> Einkommen<br />

(bei eindimensionalen Modellen ist meist die Stellung im Beruf das ausschlaggebende<br />

Kriterium; z.B. Hartfiel 1978: 99). Die Bedeutung der einzelnen<br />

Kriterien für die Schichtzugehörigkeit kann je nach Gesellschaft <strong>und</strong><br />

betrachtetem Zeitraum variieren.<br />

� Nach den ausgewählten Kriterien ergibt sich eine vorwiegend vertikale<br />

Abstufung von mindestens drei Schichten. Es handelt sich also um einen<br />

hierarchischen Aufbau mit Untergliederungen, nicht etwa um die Vorstellung<br />

eines Kontinuums. Wie die Ansätze die genaue Abgrenzung von<br />

Schichten vornehmen, ist nicht theoretisch vorbestimmt, <strong>und</strong> an den Übergängen<br />

können die an sich klar voneinander getrennten Schichten unscharf<br />

sein.<br />

� Eine Prozessbetrachtung meint in der Schichtungsforschung eher die<br />

Auswirkungen individueller Mobilität, die als durchaus möglich angesehen<br />

wird (indem z.B. der Einzelne mehr leistet <strong>und</strong> so beruflich aufsteigt).<br />

� Aufgr<strong>und</strong> der Mobilitätschancen geht es nicht in erster Linie darum, <strong>Ungleichheit</strong>en<br />

möglichst zu beseitigen, sondern die Ansätze sehen soziale<br />

<strong>Ungleichheit</strong> mindestens teilweise als notwendig für die Aufrechterhaltung<br />

der gesellschaftlichen Ordnung an (so der funktionalistische Schichtungsansatz).


66 3 Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Diskussion<br />

Im Vergleich dieser Charakteristika könnte ein Klassentheoretiker gegen<br />

Schichtungsansätze – vielleicht etwas überspitzt formuliert – argumentieren,<br />

diese seien zu statisch <strong>und</strong> zu wenig theoretisch angelegt. Sie seien lediglich<br />

beschreibend mit willkürlichen Abgrenzungen, ohne die Ursachen der <strong>Ungleichheit</strong><br />

<strong>und</strong> den sozialen Wandel angemessen zu berücksichtigen. Außerdem beachteten<br />

Schichtmodelle die sich aus den bedeutsamen sozialen <strong>Ungleichheit</strong>en<br />

ergebenden Konfliktpotentiale <strong>und</strong> Herrschaftsverhältnisse zu wenig, seien mehr<br />

auf Harmonie <strong>und</strong> Integration hin orientiert.<br />

Umgekehrt könnte ein Schichtungsforscher Klassenmodelle ablehnen mit<br />

dem Hinweis, diese seien zu <strong>und</strong>ifferenziert, weil sie mit dem Hauptkriterium<br />

des Eigentums an Produktionsmitteln zu wenige Merkmale berücksichtigten.<br />

Auch Mobilitätsprozesse würden vernachlässigt. Könnte die Analyse gerade<br />

noch für gesellschaftliche Verhältnisse im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert stimmig sein, so sei<br />

sie doch für die Gesellschaft im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert schlicht realitätsfern, sowohl<br />

hinsichtlich der Konstruktion <strong>und</strong> Abgrenzung der Klassen als auch hinsichtlich<br />

der Annahme eines unvereinbaren Interessengegensatzes.<br />

Dennoch gibt es auch Gemeinsamkeiten von Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodellen.<br />

Dazu gehört, dass beide Ansätze die Gesellschaft vertikal in ungleichheitsrelevante<br />

Gruppen unterteilen, meist anhand von ökonomisch ausgerichteten Dimensionen.<br />

Die Zugehörigkeit zu einer Klasse oder Schicht führt außerdem in<br />

der Regel zu typischen Handlungsorientierungen.<br />

3.6 Kritik an den „alten“ Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodellen<br />

Die Kritik, die <strong>Ungleichheit</strong>sforscher ab den achtziger Jahren an den Klassen-<br />

<strong>und</strong> Schichtmodellen äußerten, geht über die theoretischen Probleme hinaus, für<br />

die diese Modelle bis in die siebziger Jahre keine Lösung gef<strong>und</strong>en hatten. Einschneidende<br />

Prozesse sozialen Wandels (insbesondere in den sechziger <strong>und</strong> siebziger<br />

Jahren) ließen die traditionellen Herangehensweisen zur Erfassung <strong>und</strong><br />

Erklärung sozialer <strong>Ungleichheit</strong> noch weniger angemessen erscheinen. Ein<br />

wichtiger Aspekt des Wandels in Deutschland ist die soziale Differenzierung, die<br />

sich mit einem erhöhten Lebensstandard für die Mehrheit der Bevölkerung, mit<br />

der Absicherung durch den Wohlfahrtsstaat <strong>und</strong> der Bildungsexpansion immer<br />

weiter ausbildete. Einen (allein allerdings noch nicht hinreichenden) Hinweis auf<br />

die Ausdifferenzierung stellt beispielsweise die veränderte subjektive Zuordnung<br />

dar: Die wenigsten identifizieren sich heute noch mit einer sozialen Großgruppe<br />

wie z.B. der „Arbeiterklasse“. Und auch die Vielfalt der Familien- <strong>und</strong> Haushaltsformen<br />

weist auf die Differenzierungsprozesse hin, die Beck zusammenfassend<br />

als „Individualisierungsschub“ kennzeichnet (vgl. Kap. 8).


3.6 Kritik an den „alten“ Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodellen 67<br />

Verschiedene Autoren kritisieren die traditionelle <strong>Ungleichheit</strong>sforschung als<br />

unzureichend, weil sie eben diese Differenzierung <strong>und</strong> Pluralisierung von<br />

Lebensweisen nicht erfasse (als Beispiele Bolte 1990, Hradil 1999: 358f.). Pluralisierung<br />

schließt – so z.B. Hradil (1992) – ein, dass ähnliche objektive Lebensbedingungen<br />

(z.B. der gleiche Beruf) häufig mit sehr verschiedenen Lebensstilen<br />

<strong>und</strong> auch unterschiedlichen subjektiven Zuordnungen zu bestimmten Milieus<br />

(zu diesen Begriffen vgl. Kap 5) verb<strong>und</strong>en sind, wobei die Vielfalt von<br />

Gruppierungen mit je typischen Lebensweisen <strong>und</strong> Werthaltungen erheblich<br />

zugenommen hat. So könnte ein dreißigjähriger Schlossergeselle einen Teil seiner<br />

Freizeit im Schrebergarten verbringen, während sein gleichaltriger Kollege<br />

gerne Punkkonzerte besucht. Eine einfache Zuordnung von einigen wenigen<br />

„objektiven“ Merkmalen – wie z.B. dem formalen Bildungsabschluss – zu einer<br />

bestimmten Schicht oder Gruppierung oder zu subjektiven Zugehörigkeiten <strong>und</strong><br />

Verhaltensweisen trifft hiernach den Kern der Sozialstruktur heute nicht mehr.<br />

Durch die genannten sozialen Prozesse ergeben sich zudem „neue“ <strong>Ungleichheit</strong>en<br />

bzw. eine neue Aufmerksamkeit für bestimmte Aspekte sozialer<br />

<strong>Ungleichheit</strong> in der öffentlichen <strong>und</strong> wissenschaftlichen Diskussion. Viele Aspekte<br />

lassen sich nicht (mehr) auf die bislang üblichen Dimensionen wie Bildung<br />

oder den Beruf zurückführen. Dazu zählen z.B. Freizeit, soziale Sicherheit (z.B.<br />

Arbeitsplatzsicherheit) oder Wohnen. Allgemeiner gesagt treten die Lebensverhältnisse<br />

als Dimensionen neben Ressourcen (wie z.B. das Erwerbseinkommen).<br />

So kann man die Perspektive beispielsweise auch auf Nichterwerbstätige oder<br />

auf die Ungleichverteilung (wohlfahrts-)staatlicher Leistungen <strong>und</strong> Einrichtungen<br />

erweitern. Ein häufiges Stichwort im Zusammenhang mit der Erweiterung<br />

von <strong>Ungleichheit</strong>sdimensionen sind „horizontale“ <strong>Ungleichheit</strong>en. Hierbei handelt<br />

es sich um Merkmale, die für sich genommen keine Rangfolge implizieren,<br />

z.B. die Ausprägungen von Nationalität, Geschlecht, Region oder Kohorte (im<br />

Gegensatz zu vertikalen Merkmalen wie z.B. mehr oder weniger Einkommen,<br />

höhere oder niedrigere Bildung etc.). Diese <strong>Ungleichheit</strong>en sind nicht neu, die<br />

Merkmale erhalten aber in neueren Modellen sozialer <strong>Ungleichheit</strong> eine eigenständige<br />

Bedeutung. Auch sie lassen sich nicht umstandslos auf wenige andere<br />

Merkmale (z.B. die Bildung) zurückführen. Die Nationalität oder das Geschlecht<br />

beispielsweise könnten die beruflichen Aufstiegschancen auch bei sonst gleicher<br />

Qualifikation positiv oder negativ beeinflussen. Mit horizontalen <strong>Ungleichheit</strong>en<br />

ist auf der Ebene des <strong>Ungleichheit</strong>sgefüges aber damit zusammenhängend auch<br />

gemeint, dass sich mehrere Gruppen auf der gleichen vertikalen Stufe ausdifferenzieren<br />

können (z.B. bei Milieumodellen, die auf einer horizontalen Achse z.B.<br />

nach Altersgruppen oder Werten differenziert sind, vgl. Kap. 5.2).<br />

Mit der Berücksichtigung zahlreicher <strong>Ungleichheit</strong>smerkmale ist die Annahme<br />

verb<strong>und</strong>en, dass Statusinkonsistenzen häufiger werden, die traditionelle


68 3 Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Diskussion<br />

Modelle kaum in ihr Konzept integrieren können. Ging man früher eher davon<br />

aus, dass der Status einer Person in den verschiedenen Lebensbereichen gleich<br />

oder ähnlich sei (so dass z.B. eine Person mit einer bestimmten Bildung auch ein<br />

bestimmtes Einkommen hat, sich in einer entsprechenden Wohnsituation<br />

befindet etc.), so sind heute häufiger Inkonsistenzen festzustellen, nicht allein<br />

aufgr<strong>und</strong> der Existenz neuer Dimensionen, sondern auch aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />

vielfältigen Kombinationen (vgl. dazu die Konsistenzberechnung bei Schwenk<br />

1999: 24). In besonderem Ausmaß sind Personen in mittleren Statuszonen von<br />

Statusinkosistenzen betroffen, z.B. ein mittlerer Beamter mit einer hohen sozialen<br />

Sicherheit, aber relativ geringem Einkommen (s.a. Hradil 1987: Kap. 1; ders.<br />

1992: 160).<br />

Die Kritik lautet also: Herkömmliche Modelle konzentrieren sich zu stark<br />

auf wenige, meist ökonomische Ursachen <strong>und</strong> Dimensionen sozialer <strong>Ungleichheit</strong><br />

(zentral z.B. auf den Beruf) <strong>und</strong> berücksichtigen damit vorwiegend vertikale<br />

Abstufungen von Gruppen Erwerbstätiger (die Einordnung anderer Personen<br />

nehmen sie oft nur abgeleitet vor, über den „Haushaltsvorstand“ oder einen früheren<br />

Beruf). Von zusätzlichen Merkmalen nehmen diese Modelle – fälschlicherweise<br />

– an, dass sie typischerweise mit den Klassen oder Schichten einhergehen.<br />

Zu solchen Merkmalen zählen weitere Lebensbedingungen wie Umweltbedingungen<br />

oder die ethnische Zugehörigkeit, aber auch Denk- <strong>und</strong> Handlungsmuster.<br />

Zudem betrachten die Analysen meist nur einen Nationalstaat ohne<br />

Vergleiche mit anderen <strong>Länder</strong>n.<br />

Weitere Kritikpunkte an Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodellen, die mit der dargestellten<br />

Vernachlässigung von Differenzierung <strong>und</strong> ihren Konsequenzen zusammenhängen,<br />

lauten: Die Modelle sind zu abstrakt. Als künstliche Konstruktion<br />

mit künstlichen Abgrenzungen besitzen sie keine Entsprechung in der Erfahrungswelt<br />

oder im Bewusstsein der Individuen. Diese ordnen sich <strong>und</strong> andere im<br />

Alltag nicht nach den Schemata dieser Modelle ein. Mit Bolte ließe sich ergänzen,<br />

dass das Fehlen eines dominanten <strong>und</strong> sichtbaren Kriteriums sozialer <strong>Ungleichheit</strong><br />

(z.B. eindeutige Statussymbole) eine Einordnung in die Großgruppe<br />

einer Schicht zusätzlich erschwert (Bolte 1990: 40f.). Die Modelle (insbesondere<br />

der Schichtbegriff) sind zudem zu statisch. Den Wandel der Sozialstruktur <strong>und</strong><br />

Bewegungen der Individuen innerhalb der Sozialstruktur erfassen sie nur unzureichend.<br />

Aufgr<strong>und</strong> dieser Argumente fehlt den herkömmlichen Konzepten nach<br />

Meinung der Kritiker somit der notwendige theoretische Erklärungswert (vgl.<br />

auch Geißler 1994: 12-17).<br />

Diese Mängel führten unter anderem in der wissenschaftlichen Diskussion<br />

dazu, „Schichtung“ oft durch „<strong>Ungleichheit</strong>“ als neutraleren Oberbegriff für den<br />

zentralen Forschungsgegenstand zu ersetzen.


3.6 Kritik an den „alten“ Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodellen 69<br />

Als Zusammenfassung soll zur Beurteilung der bisherigen Modelle folgendes<br />

Zitat dienen:<br />

„Vielleicht stellt die mit der Berufshierarchie verknüpfte Schichtungsstruktur nach<br />

wie vor den ‚harten Kern’ des Gefüges sozialer <strong>Ungleichheit</strong> in fortgeschrittenen Industriegesellschaften<br />

dar. Insgesamt kann es aber kaum mehr als Schichtungsgefüge<br />

beschrieben werden. Dazu spielen außerökonomische Ursachen, außerberufliche<br />

Determinanten, ‚neue’ Dimensionen, komplexe Soziallagen <strong>und</strong> nichtdeterminierte<br />

Milieu- <strong>und</strong> Lebensstilbindungen eine zu wichtige Rolle“ (Hradil 1992: 162).<br />

Diese von fast allen <strong>Ungleichheit</strong>sforschern in dieser Zeit geäußerte Kritik führte<br />

dazu, nach der Aufkündigung des „Minimalkonsenses strukturierter sozialer<br />

<strong>Ungleichheit</strong>“ (H.-P. Müller 1992: 11) nach modifizierten oder neuen Modellen<br />

zur Darstellung <strong>und</strong> Erklärung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>sphänomene zu suchen. Die<br />

verschiedenen Lösungen sollen im folgenden Teil vorgestellt werden.


3.6 Kritik an den „alten“ Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodellen 71<br />

Teil II:<br />

Neuere Ansätze zur sozialen <strong>Ungleichheit</strong>


4.1 Neuere Schichtansätze 73<br />

4 Modifizierte Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

4.1 Neuere Schichtansätze<br />

Als Vertreter dieser Position ist insbesondere Rainer Geißler zu nennen. Er bestreitet<br />

keineswegs gesellschaftliche Veränderungen, die die Modifizierung <strong>und</strong><br />

Erweiterung bisheriger Schichtmodelle notwendig machen. Er ist aber andererseits<br />

der Ansicht, dass viele neuere Ansätze zur Erforschung sozialer <strong>Ungleichheit</strong><br />

(die in den folgenden Kapiteln näher dargestellt werden) über das Ziel<br />

hinausgeschossen seien <strong>und</strong> nun die durchaus fortbestehende <strong>und</strong> für die Lebenschancen<br />

relevante soziale Schichtung vernachlässigen würden, somit auch<br />

die sozialkritische Haltung einer solchen Theorieperspektive verloren gehe. Sein<br />

Haupteinwand gegen Modelle, die er als Mainstream der Sozialstrukturanalyse<br />

seit den achtziger Jahren ansieht, lautet zusammengefasst:<br />

„Mit der unkritischen Fokussierung auf die dynamische Vielfalt der Lagen, Milieus<br />

<strong>und</strong> Lebensstile wird der kritische Blick für weiterhin bestehende vertikale <strong>Ungleichheit</strong>sstrukturen<br />

getrübt. Es besteht die Tendenz, dass vertikale Strukturen<br />

wegdifferenziert, wegpluralisiert, wegindividualisiert <strong>und</strong> wegdynamisiert werden.“<br />

(Geißler 1996: 323).<br />

Er selbst vertritt demgegenüber die Position, dass „nicht die Auflösung der Klassen<br />

<strong>und</strong> Schichten ein Ergebnis des Modernisierungsprozesses [ist], sondern die<br />

Herausbildung einer dynamischeren <strong>und</strong> pluraleren Schichtstruktur“ (a.a.O.:<br />

332). Schicht versteht er im Sinne Geigers als Oberbegriff, der konkreter „Gruppierungen<br />

mit ähnlicher Soziallage <strong>und</strong> damit verknüpften typischen Subkulturen<br />

<strong>und</strong> Lebenschancen“ meint (Geißler 2002: 117 15 ).<br />

In fünf Thesen nennt er weitere Kennzeichen einer modernen Klassen- <strong>und</strong><br />

Schichtstruktur (1996: 332-335):<br />

1. Vertikale Strukturen sind nur eine Dimension in einem multidimensionalen<br />

Gefüge, in dem auch z.B. Geschlecht oder Ethnie eine Rolle spielen.<br />

15<br />

Die sechste Auflage des Buches von 2011 weist hinsichtlich des Schichtmodells keine<br />

wesentlichen Änderungen auf.<br />

N. Burzan, <strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong>, DOI 10.1007/978-3-531-93154-8_4,<br />

© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011


74 4 Modifizierte Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

2. Die vertikale Dimension ist in diesem Gefüge weiterhin dominant. Die<br />

Bildung <strong>und</strong> der Beruf beeinflussen in hohem Maße die Lebenschancen –<br />

definiert als Chancen auf die Verwirklichung von Lebenszielen, die in einer<br />

Gesellschaft im allgemeinen als erstrebenswert angesehen werden (Geißler<br />

1994: 4) (während z.B. die Lebensstilforschung das Alter als weiteren<br />

wichtigen Einflussfaktor hervorhebt, vgl. Kap. 5.1). Beispielsweise gibt es<br />

immer noch große schichtspezifische Unterschiede im schulischen Bildungsbereich,<br />

die die Reformen in den sechziger Jahren nicht beseitigt haben<br />

(weitere Beispiele zum Einfluss sozialer Schichtung auf verschiedene<br />

Lebensbereiche in Geißler (Hg.) 1994, 2002).<br />

3. Schichten sind nicht durch klare Grenzen getrennt. Mit bestimmten Bildungs-Berufs-Kombinationen<br />

sind typisch, aber nicht notwendigerweise,<br />

Ressourcen, Haltungen <strong>und</strong> Lebenschancen verknüpft.<br />

4. Die moderne Schichtstruktur ist eher latent <strong>und</strong> einer Alltagsbeobachtung<br />

oft entzogen. Jenseits dieser „lebensweltlichen Oberfläche“ (Geißler 1996:<br />

333) oder von Moden in der sozialwissenschaftlichen <strong>und</strong> öffentlichen Diskussion<br />

bestehen sie in der „Tiefenstruktur“ einer Gesellschaft jedoch weiter<br />

fort.<br />

5. Ein Kern von stark schichtspezifisch geprägten Segmenten der Sozialstruktur<br />

ist – wie in einem Modell konzentrischer Kreise – umgeben von Zonen<br />

mittlerer oder nur sehr schwach schichtspezifischer Segmente. Damit beeinflusst<br />

die Schichtzugehörigkeit bestimmte Handlungsweisen stärker als andere:<br />

Etwa ist die Teilnahme an <strong>B<strong>und</strong></strong>estagswahlen relativ schichtneutral,<br />

während aktive Parteiarbeit in hohem Maße durch die Schicht geprägt ist.<br />

Solche Modifizierungen stellen den schichtspezifischen Kern jedoch nicht<br />

in Frage.<br />

Gegenüber einem Klassenmodell sieht Geißler die Vorteile eines Schichtgefüges<br />

darin, dass Schichten (im engeren Sinne) weniger auf die Stellung des Menschen<br />

im Wirtschaftsprozess fixiert seien (1994: 23).<br />

Geißler weist darauf hin, dass bereits Theodor Geiger viele Kennzeichen einer<br />

modernen Sozialstruktur erkannte (vgl. Kap. 2.3), z.B. die multidimensionale<br />

Sichtweise mit einer Offenheit für neue Formen sozialer <strong>Ungleichheit</strong> oder die<br />

Erkenntnis, dass sich Schichten überlappen können <strong>und</strong> dass sie Mentalitäten<br />

typischerweise, aber nicht deterministisch prägen. Die Hauptströmungen der<br />

neueren Sozialstrukturanalyse hätten Geigers Erkenntnisse danach zu Unrecht<br />

vernachlässigt, sie hätten Einseitigkeiten durch eine Berücksichtigung Geigers<br />

vermeiden können (vgl. auch Geißler 1985: 404-406). Schroth stellt ebenfalls<br />

Geigers Aktualität heraus <strong>und</strong> nimmt eine empirische Untersuchung von Geigers<br />

Schichtmodell mit Daten von 1993 <strong>und</strong> 1996 vor (Schroth 1999: Kap. 5). Es


4.1 Neuere Schichtansätze 75<br />

zeigten sich unter anderem deutliche Mentalitätsunterschiede in einer unteren<br />

<strong>und</strong> in einer gehobenen Soziallage, weniger deutliche jedoch in den Mittellagen<br />

(a.a.O.: 103).<br />

Geißler beruft sich bei der Erarbeitung eines konkreten Modells der sozialen<br />

Schichtung neben Geiger auf Dahrendorf (der seinerseits auf Geiger zurückgreift<br />

<strong>und</strong> dessen Konzept ebenfalls den Begriff der Lebenschancen beinhaltet) <strong>und</strong><br />

möchte dessen Haus-Modell (vgl. Kap. 3.2) modernisieren. Eine wichtige Rolle<br />

bei der Schichteinteilung spielt der Beruf, der laut Geißler nach wie vor mit verschiedenen<br />

anderen Merkmalen einhergeht: Er „[bündelt] verschiedene Faktoren<br />

wie Funktion in der wirtschaftlich-gesellschaftlichen Arbeitsteilung, Qualifikation,<br />

Einkommen, Prestige <strong>und</strong> Einfluss“ (2002: 118). 16 Weiter zieht er Mentalitäten,<br />

Subkulturen, Lebenschancen <strong>und</strong> Ethnie heran (ohne dies genauer auszuführen).<br />

Es ergibt sich das in Abbildung 9 dargestellte Bild für die soziale Schichtung<br />

der westdeutschen Wohnbevölkerung im Jahr 2000.<br />

16 Demgegenüber hatte Geißler 1994 vermutet, dass die Berufsdimension langfristig an<br />

strukturprägender Kraft einbüße, die Bildungsdimension dafür an Bedeutung gewinne (1994: 24).


76 4 Modifizierte Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

Abbildung 9: Das Schichtmodell nach Geißler<br />

Quelle: Geißler 2002: 119<br />

Im Vergleich zu Dahrendorfs Modell für die sechziger Jahre „hat sich das vergleichsweise<br />

einfache Wohnhaus … inzwischen in eine ansehnliche Residenz<br />

mit Komfortappartements verwandelt … zum anderen sind die Decken <strong>und</strong><br />

Wände noch durchlässiger geworden“ (2002: 120). Im Vergleich zu den achtziger<br />

Jahren (Geißler 1992: 76) hat vor allem die höhere Dienstleistungsschicht<br />

an Bedeutung gewonnen, während sich der Anteil einiger anderer Schichten<br />

reduziert hat (z.B. sank der Anteil der Arbeiterelite von 12% auf 2%). Für Ostdeutschland<br />

fehlt bislang der Entwurf eines differenzierten Schichtmodells. Nach<br />

der subjektiven Schichteinstufung wandelte sich das ostdeutsche Selbstverständ-


4.1 Neuere Schichtansätze 77<br />

nis erst um die Jahrtausendwende in Richtung „Mittelschichtengesellschaft“, die<br />

Einordnung in die Arbeiterschicht fällt weiterhin stärker aus als im Westen<br />

(Geißler 2011: 102; vgl. auch Noll/Weick 2011). Allerdings ist eine subjektive<br />

Schichteinstufung allein kein Nachweis für die Existenz einer geschichteten<br />

Gesellschaft, Befragte hätten sich vielleicht ebenfalls z.B. in vorgegebene<br />

Milieus eingeordnet.<br />

Kritisch ist gegen Geißler einzuwenden, dass er andere Ansätze zur sozialen<br />

<strong>Ungleichheit</strong> (abgesehen von einigen Ausnahmen) relativ pauschal abwertet.<br />

Wie sich in den folgenden Kapiteln zeigen wird, geht es bei anderen neueren<br />

Ansätzen durchaus nicht allein darum, sich an der bunten Vielfalt sozialer Erscheinungsformen<br />

zu erfreuen, sondern ebenfalls darum, differenzierte Zusammenhänge<br />

zur Sozialstruktur festzustellen. Das schließt auch – aber nicht allein –<br />

die Prägung durch vertikale Merkmale ein. Einige Milieumodelle (z.B. die<br />

SINUS-Milieus, vgl. Kap. 5.2) sind sogar ausdrücklich eng mit einem Schichtmodell<br />

verb<strong>und</strong>en, erweitern es aber um einige Dimensionen. An anderer Stelle<br />

spricht Geißler zumindest von einer mittlerweile existierenden, aus seiner Sicht<br />

sinnvollen Paradigmen-Vielfalt, wobei verschiedene Ansätze unterschiedliche<br />

Ausschnitte einer komplexen Sozialstruktur erhellten (2011: 119).<br />

Den Entwurf seines eigenen, modernisierten Haus-Modells macht Geißler<br />

ferner nicht sehr transparent: Wie hat er die konstituierenden Merkmale miteinander<br />

verknüpft? Wie sind im Ergebnis Schichtzugehörigkeit <strong>und</strong> Mentalitäten<br />

miteinander verb<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> ist tatsächlich noch davon auszugehen, dass mit dem<br />

Beruf viele andere Merkmale einhergehen? Der früheren Schichtungsforschung<br />

war unter anderem ja gerade vorgeworfen worden, zunehmende Inkonsistenzen<br />

nicht erfassen zu können. Zudem gibt Geißler selbst an, die Schichtstruktur sei<br />

„latenter“ geworden (wodurch er sich der empirischen Prüfung seiner Thesen ein<br />

Stück weit entzieht). Auch die Zuordnung zu einer Schicht nach dem Status des<br />

Haushaltsvorstandes, die Geißler vornimmt, ist umstritten. Er sollte gegebenenfalls<br />

genauer herausstellen, worin die Modernisierung seines Konzeptes (bei aller<br />

Betonung der nach wie vor dominanten vertikalen Dimension) in dem konkreten<br />

Modell besteht.<br />

Die Betonung der gesellschaftskritischen Absicht durch die Verknüpfung<br />

mit Lebenschancen stellt schließlich einen wichtigen Aspekt in Geißlers Ansatz<br />

dar, den es im Laufe der Entwicklung der <strong>Ungleichheit</strong>smodelle bereits einmal<br />

gegeben hat. Warfen früher Klassentheoretiker den Verfechtern von Schichtansätzen<br />

vor, die Themen Macht, Herrschaft <strong>und</strong> soziale Ungerechtigkeiten zu<br />

vernachlässigen, wiederholt sich nun das Argument bei Geißler als Vertreter<br />

eines modernisierten Schichtmodells gegenüber anderen Ansätzen sozialer <strong>Ungleichheit</strong>,<br />

die z.B. andere Begriffe zur Kennzeichnung eines <strong>Ungleichheit</strong>sgefüges<br />

als Klasse oder Schicht benutzen.


78 4 Modifizierte Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

Zusammenfassung<br />

In Anlehnung an das Schichtungsmodell Geigers betont Rainer Geißler die<br />

Nützlichkeit eines dynamischen <strong>und</strong> pluralen Schichtmodells. Bei aller Modernisierung<br />

dürften für die Gegenwart angemessene Modelle sozialer <strong>Ungleichheit</strong><br />

die Bedeutung vertikaler Strukturen nicht vernachlässigen.<br />

Lesehinweis:<br />

Geißler, Rainer (1996): Kein Abschied von Klasse <strong>und</strong> Schicht. Ideologische<br />

Gefahren der deutschen Sozialstrukturanalyse; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie<br />

<strong>und</strong> Sozialpsychologie, 48. Jg., H. 2, S. 319-338<br />

4.2 Neuere Klassenmodelle<br />

So wie Schichtmodelle heben auch Klassenansätze hervor, dass man bisherige<br />

Strukturierungen sozialer <strong>Ungleichheit</strong> bei allen Veränderungen <strong>und</strong> trotz berechtigter<br />

Kritikpunkte an den älteren Ansätzen nicht leichtfertig aufgeben sollte.<br />

Dies beruht unter anderem auf der Ansicht, dass bestehende vertikale <strong>Ungleichheit</strong>saspekte<br />

<strong>und</strong> Herrschaftsverhältnisse in anderen Modellen schnell unterbelichtet<br />

sein könnten (so stellt etwa Hadler (2003) fest, dass die Bevölkerung in<br />

dreißig von ihm untersuchten <strong>Länder</strong>n nach wie vor vertikale Konflikte wahrnehme).<br />

Die Autoren versuchen in ihrer Argumentation daher, den weiterhin<br />

bestehenden Erklärungsbeitrag gerade von Klassenmodellen zu verdeutlichen.<br />

Klassenmodelle gibt es zum einen in der englischsprachigen Diskussion mit<br />

Einfluss auch auf deutsche Sozialstrukturansätze. Als international beachtete<br />

Beispiele – auch in Form empirischer Umsetzungen – werden in diesem Zusammenhang<br />

öfter z.B. die Ansätze aus den achtziger Jahren von E.O. Wright oder<br />

J.H. Goldthorpe genannt. Dabei ist Wright (USA) einer marxistisch orientierten<br />

Richtung zuzuordnen, während Goldthorpe (GB) eher eine Fortführung von<br />

Webers Konzept zugeschrieben wird. Beide Ansätze sollen in ihren Gr<strong>und</strong>zügen<br />

kurz dargestellt werden.<br />

Als Beispiel für deutsche Autorinnen <strong>und</strong> Autoren, die mit dem Klassenbegriff<br />

operieren, soll im Anschluss daran die Argumentation von W. Müller<br />

skizziert werden, der unter anderem auf eine differenzierte Variante des Klassenschemas<br />

von Goldthorpe zurückgreift. R. Kreckel benutzt eine andere Begrifflichkeit,<br />

die von „Zentrum“ <strong>und</strong> „Peripherie“, doch rückt er durch die Betonung


4.2 Neuere Klassenmodelle 79<br />

der primären Asymmetrie von Kapital <strong>und</strong> Arbeit ebenfalls in die Nähe von<br />

Klassenmodellen.<br />

Der Ansatz des französischen Soziologen P. Bourdieu wird in einem gesonderten<br />

Kapitel behandelt, weil er ein eigenes Klassenmodell mit einem anderen<br />

Ansatz (Lebensstilen) zu einem komplexen Theoriegefüge verknüpft (vgl. Kap.<br />

6).<br />

E.O. Wright<br />

Erik Olin Wright legte Ende der siebziger Jahre ein Klassenmodell vor, das er in<br />

der Mitte der achtziger Jahre zu einer neuen Version überarbeitete (Wright<br />

1985a, 1985b, 1989). Wie schon die neomarxistischen Ansätze der siebziger<br />

Jahre geht er nicht nur von Bourgeoisie <strong>und</strong> Proletariat, sondern auch von der<br />

Existenz von Mittelklassen aus. In dem „alten“ Modell fügt er den beiden<br />

Hauptklassen eine dritte hinzu, das Kleinbürgertum, <strong>und</strong> identifiziert zudem<br />

widersprüchliche Zwischenklassen (z.B. Manager oder „semi-autonome“ Arbeitnehmer).<br />

Die Notwendigkeit für eine neue Variante seines Modells sah er unter<br />

anderem deshalb gegeben, weil das bisherige Modell den Aspekt der Ausbeutung<br />

noch zu wenig berücksichtigte, zudem gab es theoretische <strong>und</strong> empirische Probleme<br />

beim Umgang mit den bisherigen Zwischenklassen.<br />

In der neueren Variante (1985a), die unter anderem auf spieltheoretische<br />

Anregungen (von J. Roemer) zurückgreift, beruhen die Klassenverhältnisse auf<br />

der Ausbeutung anhand von drei Ressourcen dazu: Produktionsmittelbesitz,<br />

daneben aber auch Organisationsmacht <strong>und</strong> Qualifikation. Ausbeuter verfügen<br />

über diese Mittel, Ausgebeutete nicht, dazwischen gibt es Klassen, die entweder<br />

eine geringe Menge dieser Ressourcen besitzen („alte“ Mittelklasse) oder zwar<br />

von einer Dimension viel, von anderen aber nichts („neue“ Mittelklasse; Wright<br />

1985b: 47). Das folgende Schaubild zeigt die zwölf Klassen, die sich nach diesem<br />

Konstruktionsprinzip ergeben:


80 4 Modifizierte Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

Abbildung 10: Das Klassenmodell nach Wright<br />

Ausbeuter<br />

weder<br />

Ausbeuter<br />

noch<br />

ausgebeutet <br />

ausgebeutet<br />

Besitz an<br />

Produktionsmitteln<br />

1) Bürgertum (Bourgeoisie)<br />

Diese haben genügend<br />

Kapital, um Arbeitnehmer<br />

zu beschäftigen <strong>und</strong> selbst<br />

nicht arbeiten zu müssen<br />

2) Kleine Arbeitgeber<br />

Diese haben genügend<br />

Kapital, um Arbeitnehmer<br />

zu beschäftigen, müssen<br />

aber selbst mitarbeiten<br />

3) Kleinbürger<br />

Diese haben genügend<br />

Kapital zur Selbständigkeit,<br />

aber nicht zur Beschäftigung<br />

von Arbeitnehmern<br />

Nichtbesitz an Produktionsmitteln<br />

(Lohnarbeit)<br />

Ausbeuter weder Ausbeuter<br />

noch ausgebeutet<br />

ausgebeutet<br />

4) fachlich<br />

qualifizierte<br />

Manager<br />

5) fachlich<br />

qualifizierteAufsichtspersonen<br />

6) fachlich<br />

qualifizierte<br />

Nicht-<br />

Manager<br />

7) fachlich<br />

teilweise qualifizierte<br />

Manager<br />

8) fachlich<br />

teilweise qualifizierteAufsichtspersonen<br />

9) fachlich<br />

teilweise qualifizierte<br />

Arbeiter<br />

10) fachlich<br />

nicht qualifizierte<br />

Manager<br />

11) fachlich<br />

nicht qualifizierteAufsichtspersonen<br />

12) „Proletarier“<br />

(Arbeiterklasse)<br />

Ausstattung mit Qualifikation<br />

Quelle: Hradil 1999: 114 (Übersetzung des Modells in Wright 1985a: 88)<br />

Ausstattung<br />

mit Organisationsmacht<br />

Damit legt Wright ein in recht hohem Maße differenziertes Klassenmodell vor,<br />

in dem die Asymmetrie zwischen Arbeit <strong>und</strong> Kapital jedoch weiter einen zentralen<br />

Stellenwert einnimmt (vgl. zur Quantifizierung der Klassen z.B. Wright<br />

1997). Dabei haben die Mittelklassen durchaus einen Einfluss auf den<br />

Klassenkonflikt:<br />

„It is no longer axiomatic that the proletariat is the unique, or perhaps even universally<br />

the central, rival to the capitalist class for class power in capitalist society“<br />

(Wright 1985a: 89).<br />

In einer empirischen Überprüfung für die <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland bescheinigen<br />

Erbslöh et al. (1990) Wrights Modell Erklärungskraft für Einkommensunterschiede<br />

<strong>und</strong> mit Einschränkungen auch für ein typisches Bewusstsein (das<br />

Modell erklärte diese Unterschiede besser als z.B. die Ansätze des PKA oder<br />

IMSF, auch stellte das neuere Modell Wrights tatsächlich eine Verbesserung<br />

gegenüber der älteren Variante dar). Die Autoren kommen zu einer insgesamt<br />

positiven Einschätzung von Wrights Ansatz <strong>und</strong> damit dem Klassenmodell.<br />

Zumindest ist „Klasse“ ihres Erachtens eine nützliche Kategorie für die Analyse<br />

sozialer <strong>Ungleichheit</strong>, wenngleich nicht unbedingt die einzige, etwa lassen sich<br />

askriptive Dimensionen wie das Geschlecht nur schwer in das Klassenmodell<br />

integrieren.


4.2 Neuere Klassenmodelle 81<br />

Dies weist auf Kritik auch an Wright hin: Zwar möchte er Klasse <strong>und</strong> Geschlecht<br />

weder als einheitliche, noch als vollkommen getrennte <strong>Ungleichheit</strong>sstrukturen<br />

ansehen, <strong>und</strong> er unternimmt mit der Kategorie von „mittelbaren Klassenbeziehungen“<br />

(durch Beziehungen zu Familienmitgliedern oder dem Staat)<br />

einen Vorstoß, beide zu verbinden (Wright 1998). Doch vernachlässigt sein<br />

Modell tendenziell nicht nur das Geschlecht, sondern auch andere – außerwirtschaftliche<br />

– Aspekte sozialer <strong>Ungleichheit</strong>.<br />

Auch weitere Aspekte, die für die Klassenanalyse traditionell bedeutsam<br />

sind, sind bei Wright weniger zentral. Zwar gibt es beispielsweise einen Hinweis<br />

auf verschiedene Kombinationen von relevanten Ausbeutungsressourcen je nach<br />

Gesellschaftstyp. Jedoch kritisiert z.B. Hradil, dass Wright ingesamt weniger<br />

Prozessen nachgehe, z.B. Prozessen der Bildung von Klassenbewusstsein oder<br />

von politischen Konflikten. Dies führt Hradil zu der Kritik, dass Wright mit<br />

seiner Ausdifferenzierung eher in die Breite als in die Tiefe gegangen sei (Hradil<br />

1999: 115). Erbslöh et al. (1990) sowie Koch (1994) führen zudem ein theoretisches<br />

Problem an: Die Dimensionen der Qualifikation <strong>und</strong> Organisationsmacht<br />

können zu mehr oder weniger Ausbeutung durch das Kapital führen, dass sie<br />

jedoch ein Ausbeutungsverhältnis zwischen den Arbeitnehmern begründen sollen,<br />

erscheint ihnen weniger plausibel. Erbslöh et al. finden es daher sinnvoller,<br />

von einem Modell mehrdimensionaler Handlungsressourcen als von Ausbeutung<br />

zu sprechen. Koch resümiert: Der Verdienst von Wrights Ansatz liege in einer<br />

empirischen F<strong>und</strong>ierung der Klassenanalyse, jedoch bleibe es unklar, „welche<br />

Probleme der Klassentheorie durch ihre ausbeutungs- <strong>und</strong> spieltheoretische Rekonstruktion<br />

eigentlich gelöst worden sind“ (Koch 1994: 87).<br />

J.H. Goldthorpe<br />

Wie oben angedeutet, ist John H. Goldthorpes Beitrag als nicht-marxistisches<br />

Klassenmodell einzustufen, das unter anderem auch in Deutschland bei der Allgemeinen<br />

Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) empirisch<br />

eingesetzt wurde (siehe z.B. im Datenreport des Statistischen <strong>B<strong>und</strong></strong>esamtes 2008:<br />

177). Hradil sieht es sogar als das derzeit international am meisten verwendete<br />

Schema an (1999: 363). Diese empirische Umsetzung entspricht Goldthorpes<br />

Vorstellung von der Klassenanalyse als Forschungsprogramm (Goldthorpe 1996:<br />

481). Das Modell fußt zentral auf dem Beruf, der die Arbeitssituation <strong>und</strong> die<br />

Marktlage reflektieren soll <strong>und</strong> damit Macht- <strong>und</strong> Marktorientierung (Marx <strong>und</strong><br />

Weber) verbindet. Goldthorpe entwickelte, ebenso wie Wright, mehrere Varianten<br />

des Modells. Nach der theoretischen Leitidee sind verschiedene Merkmale<br />

für die Klassen konstitutiv wie Einkommensquelle <strong>und</strong> -höhe, die Arbeitsplatz-


82 4 Modifizierte Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

sicherheit oder Beförderungschancen, faktisch erfolgt die Einteilung nach beruflicher<br />

Stellung <strong>und</strong> der internationalen Standardklassifikation von Berufen ISCO<br />

(Zerger 2000: 53). Charakteristisch sind für das Modell insbesondere die<br />

„Dienstklassen“ (die es z.B. auch im Modell von Dahrendorf gab). Für eine Zuordnung<br />

sind weniger die Arbeitsinhalte wichtig (dass man eine Dienstleistung<br />

erbringt), sondern das Dienstverhältnis, das eine relative Autonomie in dem<br />

Sinne meint, dass die Arbeit nur begrenzt einer Kontrolle unterliegt (<strong>und</strong> unterliegen<br />

kann). Dies gilt für die obere Dienstklasse noch ausgeprägter als für die<br />

untere Dienstklasse. Wenn man Klassenpositionen insgesamt als Positionen<br />

versteht, die durch Beschäftigungsverhältnisse definiert werden, so ist im<br />

„Dienstleistungsverhältnis“ sowohl die Überwachung der Arbeit schwierig als<br />

auch die Spezifität des Humankapitals (Qualifikation, Wissen) hoch, während es<br />

beim „Arbeitsvertrag“, z.B. von Arbeitern, umgekehrt ist. In der Realität kommen<br />

natürlich auch Mischformen vor, z.B. verfügen Routineangestellte über eher<br />

geringe spezifische Qualifikationen, doch ist die Kontrolle ihrer Tätigkeit<br />

vergleichsweise schwierig (Goldthorpe 2007).<br />

Die Klassen nach Goldthorpe (nach den Mitautoren eines Aufsatzes,<br />

Erikson <strong>und</strong> Portocarero, auch EGP-Klassenschema genannt) lauten in der<br />

häufiger benutzten Sieben-Klassen-Variante:<br />

1. (Obere <strong>und</strong> untere) Dienstklasse<br />

2. Nicht-manuelle Berufe mit Routinetätigkeiten (damit gehören also nicht alle<br />

Dienstleistenden zur „Dienstklasse“)<br />

3. Kleinbürgertum<br />

4. Landwirte<br />

5. Facharbeiter<br />

6. An-/Ungelernte<br />

7. Landarbeiter (Erikson/Goldthorpe 1992: 38f.).<br />

Im Jahr 2006 wurden in Deutschland laut Allbus etwa 36% (West) bzw.<br />

27% (Ost) der Befragten den Dienstklassen zugeordnet; leitende, Fach- <strong>und</strong><br />

einfache Arbeiter/innen machten 33% (West) bzw. 42% (Ost) aus (Statistisches<br />

<strong>B<strong>und</strong></strong>esamt 2008: 177). Forschungsergebnisse führen in dieser Perspektive insgesamt<br />

zur Schlussfolgerung:<br />

„What is revealed is a remarkable persistence of class-linked inequalities of classdifferentiated<br />

patterns of social action, even within periods of rapid change at the<br />

level of economic structure, social institutions, and political conjunctures” (Goldthorpe/Marshall<br />

1997: 61).


4.2 Neuere Klassenmodelle 83<br />

Mobilität (die für Goldthorpe insgesamt ein wichtiges Thema darstellt) in <strong>und</strong><br />

aus der Dienstklasse ist am ehesten als Auf- bzw. Abstieg interpretierbar, weitere<br />

Bewegungen zwischen den Klassen sind uneindeutiger, so dass nicht ganz deutlich<br />

wird, inwieweit das Modell als hierarchisch zu verstehen ist. Mit der Konzentration<br />

auf Berufsgruppen, so ein weiterer Kritikpunkt, erscheint die Grenzziehung<br />

zwischen Klassen ein wenig willkürlich. Ein Kritikpunkt an anderen<br />

Klassenmodellen gilt zudem auch hier: Die Konzentration auf die Wirtschaft <strong>und</strong><br />

damit die Vernachlässigung anderer <strong>Ungleichheit</strong>sbereiche <strong>und</strong> nicht-erwerbstätiger<br />

Personen.<br />

Zerger äußert anhand einer eigenen empirischen Überprüfung von<br />

Goldthorpes Modell Zweifel an dessen Leistungsfähigkeit, weil es nur bedingt<br />

klassenspezifische Einkommenslagen erkläre. Darüber hinaus sei die Klassenlage<br />

nur für bestimmte Einstellungen <strong>und</strong> selbst dann nicht für alle Klassen gleichermaßen<br />

einflussreich. Auch das Wahlverhalten sei eher von anderen Faktoren<br />

wie z.B. der Kohorte als von der Klassenlage abhängig (Zerger 2000: Kap. V).<br />

Aber es gibt auch positivere Einschätzungen. So kommt W. Müller mit einer<br />

differenzierten Variante des Goldthorpe-Schemas (ebenfalls für das Wahlverhalten)<br />

zu dem Ergebnis, dass alte Konfliktfronten der Klassenspaltung im Wesentlichen<br />

erhalten geblieben seien (1998a: 37-40).<br />

W. Müller<br />

Walter Müller kann damit als Beispiel unter deutschen Forscherinnen <strong>und</strong> Forschern<br />

genannt werden, die mit einer modernen Form von Klassenanalyse arbeiten.<br />

Auch an der älteren Diskussion um Modelle der Sozialstruktur nahm er<br />

bereits teil, beispielsweise schrieb er 1977 einen Beitrag zu „Klassenlagen <strong>und</strong><br />

sozialen Lagen in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik“ (Müller 1977). Müller lehnt sich an den<br />

Klassenbegriff Max Webers an, so dass neben dem Besitz z.B. die Qualifikation<br />

einen wichtigen Faktor darstellt. Müller nimmt Differenzierungen verschiedener<br />

Klassenlagen vor, unter anderem unterscheidet er die abhängig Erwerbstätigen in<br />

Personen mit manuellen <strong>und</strong> nicht-manuellen Tätigkeiten <strong>und</strong> weiterhin nach der<br />

Qualifikation.<br />

Auch in späteren Veröffentlichungen wendet er sich gegen eine Überbetonung<br />

von Tendenzen der Entstrukturierung, insbesondere gegen die Individualierungsthese<br />

(vgl. Kap. 8). Keinesfalls möchte er weitreichende Entwicklungen<br />

seit der Nachkriegszeit verleugnen, doch ist er der Meinung, dass man die Analyse<br />

der durch gesellschaftliche Bedingungen fortgesetzt produzierten sozialen<br />

<strong>Ungleichheit</strong> <strong>und</strong> ihrer Folgen nicht vernachlässigen dürfe (1996: 14). Auch<br />

heutzutage ist danach das Spannungsverhältnis zwischen Kapital <strong>und</strong> Arbeit


84 4 Modifizierte Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

einer der zentralen gesellschaftlichen Konflikte, der durch das Eingreifen des<br />

(Wohlfahrts-)Staates <strong>und</strong> durch Differenzierungen im Bereich der lohnabhängigen<br />

Arbeit neue Formen angenommen hat (a.a.O.: 16). Unter anderem sind verschiedene<br />

Konfliktarenen entstanden (so auch Kreckel, s.u.). Für Analysen der<br />

Sozialstruktur unter diesen Bedingungen sieht W. Müller – <strong>und</strong> das ohne eine<br />

„Wiederbelebung“ von Marx – den Klassenbegriff als am besten geeignet an.<br />

Dieser scheint ihm flexibler zu sein als der seines Erachtens einseitiger rein auf<br />

Hierarchien gerichtete Schichtbegriff (a.a.O.: 17). Sein Verständnis von Klasse<br />

schließt nicht ein, dass es sich um einen kollektiven Akteur handelt. Auch bestimmt<br />

nicht das Sein umstandslos das Bewusstsein. Müller möchte jedoch nicht<br />

als Folge den Klassenbegriff für die Mikroebene des Handelns <strong>und</strong> der Deutungen<br />

vollkommen abschreiben. Hinsichtlich der Kriterien für die Klassenlage<br />

sollen multivariate Modelle zeigen, welche <strong>Ungleichheit</strong>sdimensionen theoretisch<br />

<strong>und</strong> empirisch das überzeugendste Erklärungspotential haben. Eine Diagnose<br />

der abnehmenden Erklärungskraft von Klassenzugehörigkeit ist aus dieser<br />

Sicht auch eine Folge davon, dass die meisten Studien keine adäquaten Begriffe<br />

<strong>und</strong> Operationalisierungen verwenden würden (Müller 1998a: 6; zu einer ‚Europäischen<br />

Sozioökonomischen Klassifikation‘, EseC, s. Müller et al. 2006).<br />

Auf der Basis dieses modernisierten Klassenkonzeptes beschäftigt sich<br />

Müller mit verschiedenen Feldern sozialer <strong>Ungleichheit</strong>, z.B. mit der Erklärungskraft<br />

der Klassenzugehörigkeit für das Wahlverhalten (1997, 1998a) <strong>und</strong><br />

mit sozialen <strong>Ungleichheit</strong>en im Bereich der Bildung. Wie erwähnt, stellt er für<br />

das Wahlverhalten eine fortbestehende Strukturierung durch die Klassenzugehörigkeit<br />

fest (1998a: 37-40). Auch im Bildungsbereich gibt es nach wie vor <strong>Ungleichheit</strong>en<br />

in der Bildungsbeteiligung; die Mechanismen der sozialen Reproduktion<br />

von Bildungsungleichheit sind Müller zufolge sehr stark (1998b: 90).<br />

Ein relativer Abbau von <strong>Ungleichheit</strong>en in der Bildungsbeteiligung ist zudem ein<br />

langfristiger Prozess, in dem die Bildungsexpansion in den sechziger Jahren<br />

keine Hauptrolle spielte. Weiter gibt es keine Entkopplung von Bildungs- <strong>und</strong><br />

Beschäftigungssystem: „Die Bef<strong>und</strong>e weisen eher in Richtung der meritokratischen<br />

Logik“ (1998b: 100). Und an anderer Stelle heißt es ähnlich: „Das Ergebnismuster<br />

der langfristigen Veränderungen der Bildungserträge [ist] nicht das<br />

einer generellen Bildungsinflation, es ist eher eines, das als zunehmende bildungsbezogene<br />

Schließung der vorteilhaftesten Berufspositionen gekennzeichnet<br />

werden könnte“ (2001: 58). Es gibt also danach keinen generellen Rückgang der<br />

Bildungserträge oder eine zunehmende Heterogenität innerhalb einer Bildungsgruppe.<br />

Die Bef<strong>und</strong>e betreffen allerdings nicht die jüngsten Erwerbskohorten, für<br />

die einzelne Ergebnisse in eine andere Richtung weisen könnten (2001: 59).<br />

Insgesamt findet Müller durch die Bef<strong>und</strong>e jedoch sein Argument bestätigt, dass<br />

der Einfluss sozialstruktureller Merkmale – die er am ehesten als Klassenlage


4.2 Neuere Klassenmodelle 85<br />

fassen will – auch über gesellschaftliche Veränderungen hinweg groß ist. Dies ist<br />

jedoch kein konsensuelles Ergebnis, wie die Beschäftigung mit anderen neueren<br />

<strong>Ungleichheit</strong>sansätzen zeigen wird.<br />

R. Kreckel<br />

Reinhard Kreckel hat in einer Veröffentlichung zur „politischen Soziologie der<br />

sozialen <strong>Ungleichheit</strong>“ (1992) 17 ein Modell zur Erfassung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>en<br />

in modernen westlichen Gesellschaften vorgestellt, das neben anderen<br />

Einseitigkeiten herkömmlicher Modelle insbesondere die Konzentration auf die<br />

vertikale Ebene vermeiden soll. Dieses Modell zeigt eine gewisse Nähe zum<br />

Klassenansatz, daher wird es an dieser Stelle dargestellt, doch benutzt es an zentraler<br />

Stelle auch eigene Begrifflichkeiten. Laut Kreckel gibt es durchaus weiterhin<br />

einen Konflikt um Ressourcen (um distributive Ressourcen: Reichtum <strong>und</strong><br />

Wissen/Zeugnisse sowie um relationale Ressourcen: hierarchische Organisation<br />

bzw. Rang <strong>und</strong> Zugehörigkeit; Kreckel 1992: 94). Daher müsste man eher die<br />

Stabilität von Gesellschaften erklären als in ihr stattfindende Konflikte. Ansätze<br />

zu dieser Erklärung liefert Kreckel, indem er zum einen auf einen Konsensaspekt<br />

(durch die Akzeptanz einer Prestigeordnung) <strong>und</strong> zum anderen auf den Zwangsaspekt<br />

(durch die Rechtsordnung, das Gewaltmonopol des Staates) verweist.<br />

Kreckels Alternative zur begrifflichen Erfassung sozialer <strong>Ungleichheit</strong> hat<br />

den Anspruch, diese asymmetrischen Verhältnisse zu berücksichtigen, aber<br />

gleichzeitig über eine einseitig vertikale Perspektive hinaus zu gelangen. Dazu<br />

wählt er die Metapher von „Zentrum“ <strong>und</strong> „Peripherie“. Diese Begriffe gibt es<br />

z.B. bereits in Forschungen zur so genannten „Dritten Welt“, sie verweist auf<br />

Asymmetrien <strong>und</strong> zugleich auf eine Vielfalt von Interdependenzen. Periphere<br />

Lagen sind dabei „strukturell verankerte Bedingungskonstellationen, aus denen<br />

sich für die Betroffenen Benachteiligungen hinsichtlich ihrer Zugangsmöglichkeiten<br />

zu … Gütern <strong>und</strong> hinsichtlich ihres Spielraums für autonomes Handeln<br />

ergeben“ (a.a.O.: 43). Sie zeichnen sich durch geringere Organisations- <strong>und</strong><br />

damit Konfliktfähigkeit aus als zentralere Lagen. Mehrere Konfliktlinien sind in<br />

solch einem Modell denkbar, Zentrum-Peripherie-Kräftefelder können sich z.B.<br />

überlappen (in der Regel ergeben sich keine klaren Polarisierungen, beispielsweise<br />

gibt es auch Semiperipherien). Das Schichtmodell mit einer einheitlichen<br />

Hierarchisierung ist nach dieser Vorstellung dann nur als ein Sonderfall zu betrachten.<br />

17 Die Auflage von 2004 ist um die Aspekte <strong>Ungleichheit</strong> im vereinten Deutschland <strong>und</strong> in einer<br />

„globalisierten“ Weltgesellschaft erweitert.


86 4 Modifizierte Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

Anschaulich wird das Modell in einem Bild konzentrischer Kreise. Für die<br />

<strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland lässt es sich so konkretisieren: Der Arbeitsmarkt ist<br />

nach wie vor „die zentrale Drehscheibe sozialer <strong>Ungleichheit</strong>“ (a.a.O.: 153). Im<br />

Zentrum des Kräftefeldes steht – <strong>und</strong> damit geht Kreckel über eine rein ökonomische<br />

Betrachtung hinaus – das korporatistische Dreieck von Arbeit, Kapital<br />

<strong>und</strong> Staat. In den weiteren Kreisen befinden sich – in ihrer organisierten Interessenvertretung<br />

abnehmend – Verbände, neue soziale Bewegungen (z.B. die Umweltbewegung)<br />

<strong>und</strong> schließlich die sozial strukturierte Bevölkerung. Parteien<br />

sind Vermittlungsinstanzen, die quer zu den Kreisen liegen können. Es ergibt<br />

sich folgendes Modell:<br />

Abbildung 11: Das Zentrum-Peripherie-Modell nach Kreckel<br />

Quelle: Kreckel 1992: 164<br />

Innerhalb der primären Asymmetrie von Kapital <strong>und</strong> Arbeit haben die Arbeitgeber<br />

deutliche strategische Vorteile (durch ihre Ressourcenausstattung, Organisationsfähigkeit,<br />

homogenere Interessenlage), eine Analyse muss jedoch auch<br />

weitere Gegensätze berücksichtigen, etwa zwischen Arbeit <strong>und</strong> Nicht-Arbeit<br />

(z.B. Empfänger von Transferleistungen ohne organisatorische Interessenvertretung).<br />

Kreckel führt weiter sek<strong>und</strong>äre Asymmetrien innerhalb der von Arbeit


4.2 Neuere Klassenmodelle 87<br />

<strong>und</strong> Kapital an, die z.B. durch Segmentation <strong>und</strong> Schließungsstrategien auf dem<br />

Arbeitsmarkt entstehen. Illegale Einwanderer haben danach z.B. eine viel<br />

schlechtere arbeitsmarktstrategische Lage als Erwerbspersonen mit Leitungs-<br />

<strong>und</strong> Managementfunktionen.<br />

Diese Ausführungen deuten die mehrdimensionalen Asymmetrien an, die<br />

man noch ergänzen müsste durch askriptive Merkmale, z.B. das Geschlecht.<br />

Auch das (abstrakte) Geschlechterverhältnis bildet einen für <strong>Ungleichheit</strong> relevanten<br />

strukturellen Gegensatz (nicht von Arbeit <strong>und</strong> Kapital, sondern von Produktion<br />

<strong>und</strong> Reproduktion). Konkret wirkt sich das Geschlecht auf dem Arbeitsmarkt<br />

neben der nationalen <strong>und</strong> ethnischen Zugehörigkeit als Hauptkriterium<br />

für eine illegitime strukturelle Benachteiligung aus (a.a.O.: Kap. IV). Das<br />

Zentrum-Peripherie-Modell gerät bei der Berücksichtigung dieser Merkmale<br />

jedoch (ähnlich wie die Klassenmodelle) an seine Grenzen, Kreckel konnte sie,<br />

wie er selbst anmerkt, nur „mühsam einfangen“ (a.a.O.: 51).<br />

Zur Frage, ob sich die „sozial strukturierte Bevölkerung“ in Form von Klassen,<br />

Milieus oder anderen Gruppierungen fassen lässt, meint Kreckel, dass das<br />

komplexe Mischungsverhältnis von klassenspezifischen, milieuspezifischen <strong>und</strong><br />

atomisierten Erscheinungsformen sozialer <strong>Ungleichheit</strong> nicht theoretisch,<br />

sondern nur empirisch bestimmbar sei (a.a.O.: 137). Damit lässt sich von dem<br />

Gegensatz zwischen Arbeit <strong>und</strong> Kapital auch nicht umstandslos auf eine Klasse<br />

schließen, die einen kollektiven Akteur darstellt.<br />

Kritische Punkte, die andere Autoren gegen Kreckel äußern, lauten beispielsweise,<br />

sein Ansatz sei zu deskriptiv (H.-P. Müller 1992: 47f.). Hradil dagegen<br />

glaubt, dass Kreckel mehr als beabsichtigt der herkömmlichen Klassentheorie<br />

verpflichtet sei, weil er kulturelle Bestimmungsgründe sozialer <strong>Ungleichheit</strong><br />

<strong>und</strong> Ursachen im Bereich des Staates im engeren Sinne letztlich vernachlässige.<br />

Als Vorteil betont Hradil jedoch die Berücksichtigung von Organisationen<br />

(1999: 136). Insgesamt wird Kreckels Konzept an verschiedenen Stellen erwähnt<br />

als eigenständige Position zur sozialen <strong>Ungleichheit</strong> mit einer gewissen Nähe zu<br />

Klassenmodellen. Da jedoch bislang keine systematische Weiterentwicklung<br />

oder Konkretisierung des Modells vorliegt, ist es eher an der „Peripherie“ der<br />

<strong>Ungleichheit</strong>sdiskussion zu verorten.<br />

Die Diskussion um neuere Klassenmodelle erschöpft sich nicht in den hier<br />

genannten Ansätzen, sondern wird immer wieder mit Hilfe weiterer Konzepte<br />

oder neuer Varianten fortgesetzt. Ein Beispiel ist das Modell von D. Oesch<br />

(2006, 2007; vgl. auch Vester 2010), der neben Unternehmern/Arbeitnehmern<br />

<strong>und</strong> Qualifikationsstufen verschiedene berufliche Arbeitslogiken (organisatorische,<br />

technische, interpersonelle Tätigkeiten) unterscheidet sowie nach dem<br />

Geschlecht differenziert. In einem anderen Konzept schlagen Grusky/Weeden<br />

(2005) eine Untergliederung in mannigfache Mikroklassen aus Berufen/Berufs-


88 4 Modifizierte Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle<br />

gruppen vor, die Einstellungen <strong>und</strong> Lebensstile beeinflussen (vgl. auch Rössel<br />

2009: 121-124).<br />

Die Darstellung sowohl von neueren Schichtungsansätzen als auch von Klassenansätzen<br />

legt den Schluss nahe, dass diese in neueren Versionen ab den achtziger<br />

Jahren nur noch wenig voneinander entfernt liegen <strong>und</strong> daher keine ideologischen<br />

Gr<strong>und</strong>satzdebatten herausfordern. Beide greifen in hohem Maße auf die<br />

Berufsstruktur zurück <strong>und</strong> erarbeiten auf dieser Gr<strong>und</strong>lage mehrdimensionale<br />

Konzepte, die dadurch realitätsnah <strong>und</strong> erklärungskräftig sein sollen. Diesen<br />

Anspruch können sie jedoch oft nur zum Teil einlösen. Unter anderem bleibt der<br />

Kritikpunkt bestehen, der auch schon für die älteren Modelle galt, dass mit der<br />

Konzentration auf den wirtschaftlichen Bereich <strong>und</strong> auf Erwerbspersonen bereits<br />

auf der „objektiven“ Ebene bestimmte Aspekte leicht ausgeblendet bleiben (z.B.<br />

das Geschlecht). Im Rahmen von Erwerbsarbeit könnten zudem Folgen des<br />

Wandels von Arbeitsstrukturen (man denke z.B. an Stichworte wie den „Arbeitskraftunternehmer“,<br />

Pongratz/Voß 2001) in breiterer Form in die Modelle<br />

integriert werden. Die Mikroebene von Einstellungen <strong>und</strong> Handeln thematisieren<br />

die Ansätze eher in dem Sinne, dass sie einen angenommenen Einfluss von<br />

Klasse oder Schicht auf diese prüfen. Diesen Einfluss unterstellen sie gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

aber erst einmal, es erfolgt keine eingehende Konzeptionierung dieser<br />

„Mikro“-Ebene selbst. Dies stellt sich anders dar bei den Lebensstil- <strong>und</strong> Milieumodellen,<br />

die im Folgenden vorgestellt werden.<br />

Zusammenfassung<br />

Neuere Klassenmodelle heben die weiterhin bestehenden vertikalen Aspekte<br />

sozialer <strong>Ungleichheit</strong> hervor, berücksichtigen aber auch Differenzierungen <strong>und</strong><br />

wollen durch verschiedene Konzeptualisierungen von Mittelklassen ihre Modelle<br />

empirisch anschlussfähig machen. R. Kreckel fügt durch das Zentrum-Peripherie-Modell<br />

zudem eine neue Begrifflichkeit hinzu.<br />

Lesehinweise:<br />

� Wright, Erik O. (1985b): Wo liegt die Mitte der Mittelklasse? In: PROKLA:<br />

Zeitschrift für politische Ökonomie <strong>und</strong> sozialistische Politik 58, S. 35-62<br />

� Goldthorpe, John H. (2007): <strong>Soziale</strong> Klassen <strong>und</strong> die Differenzierung von<br />

Arbeitsverträgen; in: Nollmann, Gerd (Hg.): Sozialstruktur <strong>und</strong> Gesellschaftsanalyse,<br />

Wiesbaden: VS, S. 39-71


5.1 Lebensstile 89<br />

5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

5.1 Lebensstile<br />

Lebensstile <strong>und</strong> Milieus gehören, teilweise in enger Verbindung, zu den Begriffen,<br />

die im Zuge der Kritik an Klassen <strong>und</strong> Schichten in der Soziologie (wieder-)entdeckt<br />

wurden, um das <strong>Ungleichheit</strong>sgefüge in einer modernen Gesellschaft<br />

angemessen zu erfassen. Gestiegene Optionen von Menschen, die sich in<br />

den letzten Jahrzehnten nicht zuletzt materiell oft mehr leisten konnten, führten<br />

dazu, dass eine Verbindung von Klasse oder Schicht <strong>und</strong> der Lebensführung der<br />

Menschen weniger eng wurde, dass sich diesen Ansätzen zufolge vielfältigere<br />

Lebensstile <strong>und</strong> Milieus herausbildeten (häufig wird auch ein Zusammenhang<br />

von Individualisierungsprozessen <strong>und</strong> der Ausdifferenzierung von Lebensstilen<br />

<strong>und</strong> Milieus hergestellt, was aber nicht unumstritten ist, vgl. Kap. 8).<br />

Den Begriff des „Stils“ gibt es schon lange, bis in das 17. Jahrh<strong>und</strong>ert war<br />

er fast ausschließlich auf Sprache <strong>und</strong> Schrift gerichtet, dann verwendete man<br />

ihn auch für die bildende Kunst. Im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert vollzog sich ein Wandel von<br />

einer Sicht sehr eingegrenzter legitimer Epochalstile zu einer Perspektive von<br />

„stilistischem Pluralismus“, was der heutigen Bedeutung von Lebensstilen näher<br />

kommt (Drieseberg 1995: Kap. 1). Erste soziologische Zugänge gibt es bereits<br />

bei den Klassikern der Soziologie, etwa bei Max Weber, Georg Simmel oder<br />

Thorstein Veblen.<br />

M. Weber benutzt den Begriff der Lebensführung (englisch dann als „style<br />

of life“ übersetzt) als charakteristisches Merkmal eines Standes. Im Gegensatz<br />

zur ökonomisch geprägten Klasse basiert der Stand bei Weber auf dem sozialen<br />

Prestige, auf Ehre (vgl. Kap. 2.2). Ein Stand hat eine spezifische Lebensführung,<br />

z.B. typische Formen des Konsums, bestimmte Werte usw. So ist etwa das Prinzip,<br />

Zeit <strong>und</strong> Geld nicht müßig zu vergeuden <strong>und</strong> sich keinem unbefangenen<br />

Kunst- <strong>und</strong> Lebensgenuss hinzugeben, ein charakteristisches Lebensstil-Merkmal<br />

der asketisch-protestantischen Ethik (Weber 1980: 719 (zuerst 1922)). Die<br />

gemeinsame Lebensführung von Mitgliedern eines Standes ist damit gerade<br />

keine allein „moderne“ Erscheinung, sondern hat zumindest feudalistische Ursprünge.<br />

Ein wichtiges Merkmal auch neuerer Lebensstilansätze ist bereits bei<br />

Weber enthalten: Durch die Lebensführung versichert man sich der Zugehörig-<br />

N. Burzan, <strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong>, DOI 10.1007/978-3-531-93154-8_5,<br />

© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011


90 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

keit zu einer bestimmten Gruppe, deren Anspruch auf soziale Anerkennung man<br />

so auch nach außen demonstriert.<br />

G. Simmel betont, dass der Einzelne im Zuge der Modernisierung (im Sinne<br />

der Durchsetzung des Geldverkehrs, zunehmender Arbeitsteilung, Industrialisierung<br />

etc.) durch seinen Lebensstil versucht, Identität zu finden. Die Modernisierungsprozesse<br />

bringen Wahlmöglichkeiten mit sich, doch unter anderem dadurch,<br />

dass sich die Lebenswelt nicht mehr einheitlich darstellt, gibt es auch eine<br />

Identitätsgefährdung (Simmel spricht auch von einem Übergewicht der objektiven<br />

gegenüber der subjektiven Kultur, s. z.B. 1977 (zuerst 1900): Kap. 6; 1983<br />

(zuerst 1911)). Die zunehmenden Wahlmöglichkeiten haben also nicht allein<br />

positive Seiten für das Individuum. Daher:<br />

„Was den modernen Menschen so stark zum Stil treibt, ist die Entlastung <strong>und</strong> Verhüllung<br />

des Persönlichen, die das Wesen des Stiles ist. Der Subjektivismus <strong>und</strong> die<br />

Individualität hat sich bis zum Umbrechen zugespitzt, <strong>und</strong> in den stilisierten Formgebungen,<br />

von denen des Benehmens bis zur Wohnungseinrichtung, liegt eine Milderung<br />

<strong>und</strong> Abtönung dieser akuten Personalität zu einem Allgemeinen <strong>und</strong> seinem<br />

Gesetz“ (1993 (zuerst 1908): 382).<br />

Veblen (1997, zuerst 1899) behandelt den spezifischen Stil der „feinen Leute“<br />

(„leisure class“) im späten 19. Jahrh<strong>und</strong>ert. Auch bei ihm klingt bereits die<br />

Funktion eines Lebensstils an, durch expressive Handlungspraktiken (z.B. im<br />

Konsumbereich) soziale Anerkennung zu erlangen <strong>und</strong> sich nach „unten“ abgrenzen<br />

zu wollen. Demonstrativer Müßiggang symbolisiert z.B., dass sich die<br />

„feinen Leute“ freie Zeit leisten können.<br />

Heutige soziologische Lebensstilansätze folgen jedoch oft weniger in systematischer<br />

Form diesen Traditionen – wenngleich Autoren häufig die Klassiker<br />

erwähnen –, sondern entwickelten sich eher aus Lebensstilansätzen, die in der<br />

Marktforschung Anwendung fanden (vgl. im Überblick: Kramer 1991). Das Ziel<br />

von Lebensstil- oder „lifestyle“-Analysen besteht dort beispielsweise darin,<br />

Produkte <strong>und</strong> Produktwerbung auf einzelne Käufertypen abstimmen zu können.<br />

In der „outfit“-Studie (Spiegel-Dokumentation 1994) etwa ist eine „geltungsbedürftige<br />

Frau“ eine Person, für die aktuelle modische Trends wichtig sind, die<br />

ruhig etwas extravagant sein können, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie<br />

neigt zu Spontankäufen, bestimmte Marken würde sie allerdings nie kaufen. Es<br />

handelt sich meist um Jüngere mit einfacher Bildung <strong>und</strong> einer „Fun&Action“-<br />

Orientierung (a.a.O.: 54). Auch die allgemeinere Konsum- <strong>und</strong> zum Teil die<br />

Wahlforschung (z.B. Gluchowski 1987) wenden Lebensstile ähnlich an.<br />

Dieses Vorgehen kommt einer alltagssprachlichen Bedeutung von Lebensstilen<br />

entgegen. Mit Hilfe des Lebensstils lassen sich zusammenfassende Aussagen<br />

über einen Einzelnen in der heutigen Zeit treffen, jemand ist z.B. „abge-


5.1 Lebensstile 91<br />

dreht“ oder „konventionell“. Auch ist es oft bereits positiv assoziiert, wenn etwas<br />

„stilvoll“ ist (mit leichter Tendenz zur Einseitigkeit, was man an der Werbung<br />

einer Möbelfirma für ein Sofa ablesen kann: „Kann man gleichzeitig Stil haben<br />

<strong>und</strong> lebendig sein?“).<br />

Aber was ist ein Lebensstil? Wo hört eine einzelne Vorliebe auf, wo fängt<br />

der Lebensstil an? Ist der Lebensstil nicht gerade etwas Persönliches, was mit<br />

sozialen Zusammenhängen weniger zu tun hat? (Was hat beispielsweise die<br />

Gesellschaft damit zu tun, wenn jemand gern Pfirsiche isst?) Wenn jemand modische<br />

Jeans trägt <strong>und</strong> gerne GEO-Hefte liest, ist das dann schon ein Lebensstil?<br />

Welche Begründung berechtigt dazu, bestimmte Kombinationen von Aktivitäten,<br />

Eigenschaften, Einstellungen etc. zu einem Lebensstil zusammenzufassen, so<br />

dass es nicht unendlich viele individuelle Lebensstile gibt, sondern Lebensstilgruppen?<br />

Diese Klärung, was ein Lebensstil ist <strong>und</strong> wovon er abhängt, ist dabei für<br />

ungleichheitstheoretische Zwecke in einer anderen Form vorzunehmen als etwa<br />

in der Marktforschung. Es reicht nicht aus, Beschreibungen darüber zu liefern,<br />

welche Merkmale häufig gemeinsam auftreten, z.B. eine bestimmte Wohnungseinrichtung<br />

<strong>und</strong> ein bestimmter Musikgeschmack. Der soziologische Zugang<br />

stellt sich zwar auch die Fragen, was ein Lebensstil ist, durch welche Dimensionen<br />

er konstituiert wird <strong>und</strong> wovon Lebensstile abhängen. Diese Fragen stehen<br />

jedoch in einem weiteren Rahmen z.B. der Fragen, wie das <strong>Ungleichheit</strong>sgefüge<br />

in der Gesellschaft aufgebaut ist, welche Lebenschancen mit den einzelnen<br />

Lebensstilen verb<strong>und</strong>en sind, in welchem Verhältnis die Lebensstilgruppen<br />

zueinander stehen <strong>und</strong> möglicherweise auch, wie Entwicklungen von Lebensstilen<br />

aussehen (hinsichtlich individueller Wechsel oder Veränderungen im Gefüge<br />

verschiedener Lebensstile). Dies ist vor dem Hintergr<strong>und</strong> zu betrachten,<br />

dass der Anspruch der Lebensstilmodelle darin besteht, soziale <strong>Ungleichheit</strong><br />

differenzierter <strong>und</strong> insgesamt angemessener analysieren zu können als allein<br />

(zumindest die älteren) Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle.<br />

Im Folgenden soll nun zunächst gezeigt werden, was unter Lebensstilen im<br />

soziologischen Sinne verstanden wird <strong>und</strong> welche Vorteile eine Lebensstilanalyse<br />

nach Meinung ihrer Vertreter hat. Zwei Beispiele konkretisieren die Vorstellung<br />

des Ansatzes. Einige ungeklärte Fragen <strong>und</strong> Probleme der Lebensstilforschung<br />

sollen schließlich im Anschluss an die Vorstellung der Milieukonzepte<br />

für beide Ansätze gemeinsam thematisiert werden.<br />

Stellte H. Lüdtke Ende der achtziger Jahre noch fest, dass es fast so viele<br />

Klassifikationen für Lebensstile wie Forschungsansätze gebe (1989: 103), zeichnete<br />

sich einige Jahre später doch bei allen Unterschieden im Detail ein gewisser<br />

Konsens darüber ab, worum es geht. Einige Beispiele verdeutlichen dies. Das<br />

Wörterbuch der Soziologie spricht sehr allgemein von „Ausdrucksformen der


92 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

alltäglichen Daseinsgestaltung“ in ganzheitlich-umfassender Weise (Hillmann<br />

2007: 489), H.-P. Müller von raum-zeitlich strukturierten Mustern der Lebensführung,<br />

die von materiellen <strong>und</strong> kulturellen Ressourcen, der Familien- <strong>und</strong><br />

Haushaltsform <strong>und</strong> Werthaltungen abhängen. Als wichtige Dimensionen von<br />

Lebensstilen nennt er verschiedene Verhaltensformen, <strong>und</strong> zwar expressives<br />

Verhalten (z.B. Freizeitaktivitäten <strong>und</strong> Konsummuster), interaktives Verhalten<br />

(wie Geselligkeit oder das Heiratsverhalten), evaluatives Verhalten (Werte,<br />

Wahlverhalten usw.) <strong>und</strong> schließlich kognitives Verhalten (z.B. subjektive Zugehörigkeiten)<br />

(Müller 1992: 376-378). Allerdings ist dabei zu berücksichtigen,<br />

dass die Stilisierungsneigung, das heißt etwa seinen Geschmack <strong>und</strong> die Art der<br />

Lebensführung nach außen zu demonstrieren, in verschiedenen sozialen Gruppen<br />

unterschiedlich ist.<br />

Das Verhalten, vor allem im Konsum-, Freizeit <strong>und</strong> sozialen Bereich, nennt<br />

auch Hradil (1992: 28) als kleinsten gemeinsamen Nenner von Lebensstilkonzepten.<br />

Später drückt er allgemeiner aus: „Der Lebensstilbegriff … konzentriert<br />

sich auf die Prinzipien, Ziele <strong>und</strong> Routinen, nach denen die Einzelnen ihr Leben<br />

relativ beständig ausrichten“ (2001a: 273).<br />

Bedeutsam ist nun zusätzlich für die Lebensstilanalyse, dass der aus spezifischen<br />

Haltungen <strong>und</strong> Verhaltensweisen bestehende Lebensstil bestimmte<br />

Funktionen erfüllt, die teilweise schon bei den kurz skizzierten Ansätzen der<br />

soziologischen Klassiker erwähnt wurden.<br />

� Er sichert Verhaltensroutine, allgemein eine Handlungsorientierung im<br />

Alltag, ständige Gr<strong>und</strong>satzentscheidungen über Verhaltensweisen sind nicht<br />

notwendig.<br />

� Dadurch, dass man einen Lebensstil mehr oder weniger demon-<br />

strativ zum Ausdruck bringt, kann der Lebensstil Zugehörigkeiten zu sozialen<br />

Gruppen <strong>und</strong> andererseits die Abgrenzung von anderen Gruppen durch<br />

diese Distinktion betonen.<br />

� Durch diese Kennzeichen fördert der Lebensstil neben der sozialen ebenfalls<br />

die persönliche Identität (ähnlich auch Lüdtke 2000: 118).<br />

Welche Vorteile beanspruchen nun Lebensstilmodelle gegenüber den früheren<br />

Klassen- <strong>und</strong> Schichtungsansätzen? Man kann sie quasi spiegelbildlich aus der<br />

Kritik an diesen älteren Modellen herauslesen:<br />

Lebensstile sind in ihrer Bestimmung weniger einseitig auf „objektive“<br />

Merkmale (z.B. ein bestimmtes Einkommen) festgelegt, sondern setzen einen<br />

Schwerpunkt bei kulturellen <strong>und</strong> symbolischen Faktoren, auf das Verhalten einer<br />

Person, also etwa, was jemand in seiner Freizeit mit wem tut. Die Erweiterung<br />

besteht damit in der im weiteren Sinne kulturellen Komponente <strong>und</strong> auch darin,


5.1 Lebensstile 93<br />

dass man nicht unhinterfragt von bestimmten objektiven Merkmalen auf das<br />

Verhalten <strong>und</strong> die Einstellungen einer Person schließt, sondern fragt, wie jemand<br />

mit bestimmten Ressourcen <strong>und</strong> Restriktionen umgeht. Beispielsweise ist eine<br />

Zuordnung durch den Besitz von Statussymbolen nicht mehr so einfach möglich,<br />

sie zeigen viel weniger eindeutig als noch vor einigen Jahrzehnten die soziale<br />

Stellung einer Person an. Die gestiegenen Wahlfreiheiten finden also systematisch<br />

Berücksichtigung (allerdings in unterschiedlichem Ausmaß, wie die Debatte<br />

um Strukturierungs- versus Entstrukturierungsansätze zeigt, s.u.). So beachten<br />

Lebensstilansätze die subjektive Seite stärker. Gleichzeitig nehmen sie<br />

eine ganzheitlichere Sicht ein als es etwa der Fall in Ansätzen war, die sich vorrangig<br />

auf Merkmale Berufstätiger konzentrierten. Dadurch beanspruchen Lebensstilkonzepte,<br />

ein lebensnahes Modell zu entwerfen, das die Makroebene der<br />

Struktur mit der Mikroebene der Handlungen verknüpft.<br />

Wenn es darum geht, verschiedene Lebensstile zu einem Modell des <strong>Ungleichheit</strong>sgefüges<br />

zusammenzufassen, ist dieses dem Anspruch nach differenzierter<br />

als Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle, weil es vielfältige Einflussfaktoren<br />

berücksichtigt, die dazu führen, dass Lebensstile nicht nur vertikal strukturiert<br />

sind, sondern auch nebeneinander liegen können. Beispielsweise könnten Menschen<br />

mit der gleichen Qualifikation (einem vertikalen Merkmal), aber unterschiedlichem<br />

Alter (einem „horizontalen“ <strong>Ungleichheit</strong>smerkmal) unterschiedliche<br />

Lebensstile haben, die jedoch nicht mit unterschiedlich großen Lebenschancen<br />

verb<strong>und</strong>en sind. Zudem müssen sich Lebensstilgruppen nicht feindlich<br />

gegenüberstehen, Relationen zwischen ihnen können jedoch zum Thema werden,<br />

indem man die distinktive Funktion der Lebensstile hervorhebt.<br />

Teilweise unterscheiden Autoren, unter anderem zu Abgrenzungszwecken,<br />

zwei Richtungen innerhalb der Lebensstilforschung. So spricht Konietzka (1994)<br />

von Strukturierungs- gegenüber Entstrukturierungsmodellen (ähnlich unterscheiden<br />

Funke/Schroer eine strukturtheoretische <strong>und</strong> ein kulturalistische Sichtweise;<br />

1998: 220). Im Strukturierungsmodell sind Lebensstilgruppen durch<br />

strukturelle Kriterien, wie z.B. das Alter, das Geschlecht, aber auch durch<br />

vertikale Merkmale der sozialen Lage wie das Bildungsniveau geprägt. Solche<br />

Modelle liefern eine differenzierte Darstellung (mit dem Anspruch auf die<br />

genannten Vorteile gegenüber der Schichtungsforschung), die die bisherige<br />

Sozialstrukturanalyse ergänzt, aber nicht ersetzt. Konietzka ordnet hier z.B. die<br />

Arbeiten von P. Bourdieu (1997 (zuerst 1979)), H.-P. Müller (1992) oder W.<br />

Zapf (Zapf et al. 1987) ein. Diese Hauptströmung lässt sich abgrenzen von<br />

Entstrukturierungsmodellen. Aus dieser Perspektive sind Lebensstile ein<br />

gr<strong>und</strong>legend alternatives Konzept sozialer <strong>Ungleichheit</strong>, in dem nicht mehr<br />

durch Ressourcen oder allgemein: strukturelle Kriterien definierte soziale<br />

Gruppen bedeutsam sind, sondern solche, die durch Lebensstiltypen konstituiert


94 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

sind. Lebensstile werden dann selbst zum Einflussfaktor, zum erklärenden<br />

Merkmal, etwa für Handlungsorientierungen oder für die empf<strong>und</strong>ene<br />

Lebensqualität. Damit stellen sie einen eigenständigen Modus sozialer<br />

Differenzierung dar, der im soziokulturellen Bereich angesiedelt ist. Eine relative<br />

Loslösung von strukturellen Merkmalen betonen solche Modelle also zugunsten<br />

der tendenziell nach ihren Präferenzen handelnden Individuen. Zu dieser Richtung<br />

zählt Konietzka beispielsweise die Ansätze von Karl H. Hörning et al. <strong>und</strong><br />

von H. Lüdtke.<br />

Hörning et al. sehen bei einer ähnlichen Dichotomisierung von Ansätzen (in<br />

Struktur- vs. Kulturansätze) Lüdtke dagegen als Vertreter des Strukturansatzes<br />

an (Hörning et al. 1996). Dies deutet darauf hin, dass insgesamt eher von graduellen<br />

Unterschieden auszugehen ist, bei denen Extrempositionen kaum besetzt<br />

sind. Von einer völligen Entstrukturierung des Verhältnisses zwischen sozialer<br />

Lage <strong>und</strong> Bewusstsein dürfte kaum jemand ausgehen. Bereits generell ist die<br />

Lebensstilanalyse ein Mittelweg zwischen relativ stark hierarchisch strukturierter<br />

sozialer <strong>Ungleichheit</strong> <strong>und</strong> einer bunten Vielfalt an <strong>Ungleichheit</strong>sformen, die auf<br />

vergleichsweise großen Wahlmöglichkeiten der Einzelnen beruhen. Innerhalb<br />

der Lebensstilanalyse sind dann wiederum Ansätze erkennbar, die von der Tendenz<br />

her ein wenig in die eine oder die andere Richtung ausschlagen.<br />

Aus dieser Perspektive könnte man Hörning et al. tendenziell dann in die<br />

Richtung der Entstrukturierung einordnen, wenn sie schreiben:<br />

„Es geht darum, den Lebensstil als eine eigenständige Kategorie in seinem theoretischen<br />

Gehalt voranzutreiben. In Absetzung von bisherigen Lebensstilen [das heißt<br />

Lebensstilkonzepten, N.B.] gehen wir von der Autonomie der Lebensstile aus … der<br />

Lebensstil ist nicht als abhängige Variable struktureller Bedingungen zu verstehen.<br />

Diese finden vielmehr erst im Lebensstil ihre je unterschiedlichen Ausformulierungen.“<br />

(1996: 34f.; Hervorhebungen i. O.).<br />

Die Lebensstile selbst strukturieren hiernach, nicht andere Merkmale.<br />

Lüdtke gibt einen Hinweis auf die recht großen individuellen Wahlfreiheiten,<br />

wenn er als Ergebnis einer empirischen Analyse feststellt: „Lebensstile sind<br />

nicht stärker kontextabhängig als präferenzengesteuert“ (1990: 451). Diese insgesamt<br />

doch noch recht vorsichtige Aussage ist allerdings in dem Kontext zu<br />

sehen, dass er die Lebensstilanalyse als Instrument sieht, um Mikro- <strong>und</strong> Makroperspektiven<br />

in der <strong>Ungleichheit</strong>stheorie verknüpfen zu können. Eine völlige<br />

Lösung von Strukturen ist nicht erkennbar, wofür z.B. auch die Argumentation<br />

Lüdtkes spricht, dass Lebensstile eher (aber immerhin) mit komplexen Milieus<br />

als mit sozioökonomischen Lagen verb<strong>und</strong>en seien, die in der vertikalen<br />

Schichtungsdiskussion üblicherweise thematisiert wurden (a.a.O.: 450).


5.1 Lebensstile 95<br />

Zwei deutsche Beiträge aus den neunziger Jahren, in denen Lebensstiluntersuchungen<br />

am häufigsten durchgeführt wurden, sollen die Darstellung der Lebensstilanalyse<br />

hier weiter konkretisieren, <strong>und</strong> zwar die Beiträge von W. Georg<br />

<strong>und</strong> von A. Spellerberg. 18 Der viel beachtete Ansatz P. Bourdieus wird später in<br />

einem eigenen Kapitel näher vorgestellt (Kap. 6).<br />

Lebensstile nach W. Georg<br />

W. Georg möchte die Lebensstile nicht zur Ablösung, sondern ausdrücklich zur<br />

Ergänzung der Sozialstrukturanalyse durch Klassen- <strong>und</strong> Schichtenmodelle nutzen.<br />

Und zwar ordnet er die Thematik ungleicher Ressourcen weiterhin der Klassen-<br />

<strong>und</strong> Schichtungsforschung zu, während sich die Lebensstilanalyse mit den<br />

symbolischen Ausdrucksformen der <strong>Ungleichheit</strong> <strong>und</strong> im weiteren Schritt ihren<br />

Auswirkungen, das heißt Prozessen sozialer Schließung bzw. der Sozialintegration,<br />

beschäftigt.<br />

Im Einklang mit der obigen Begriffsbestimmung definiert Georg Lebensstile<br />

als „relativ stabile, ganzheitliche <strong>und</strong> routinisierte Muster der Organisation<br />

von expressiv-ästhetischen Wahlprozessen“ (1998: 92). Gr<strong>und</strong>voraussetzung für<br />

diese Wahlprozesse ist das Vorhandensein von Wahloptionen <strong>und</strong> Gestaltungsspielräumen<br />

der Akteure, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte erheblich<br />

vergrößert haben. Im Vordergr<strong>und</strong> der Bestimmung der Lebensstile stehen bei<br />

ihm „expressiv-ästhetische“ Aspekte, die auf die Betonung von Geschmack <strong>und</strong><br />

Verhalten als Dimensionen für einen Lebensstil hindeuten. Bei ihm macht also<br />

die „wahrnehmbare, klassifizierbare <strong>und</strong> prestigeträchtige Stilisierungspraxis“<br />

(a.a.O.: 93) im Alltag einen Lebensstil aus, mit der die Menschen auch eine „gewisse<br />

repräsentative Außenwirkung“ erzielen möchten (a.a.O.: 98). Zu dieser<br />

Praxis gehören konkret z.B. die Freizeitaktivitäten, der Musikgeschmack, die<br />

Wohnungseinrichtung, die Kleidung, der Kulturkonsum, Lesegewohnheiten,<br />

Mitgliedschaften <strong>und</strong> das Interaktionsverhalten.<br />

Von den Dimensionen, die einen Lebensstil ausmachen, sollte man klar die<br />

Einflussfaktoren unterscheiden, die zu einem bestimmten Lebensstil führen.<br />

Diese Einflussfaktoren bestimmt Georg auf zwei Ebenen: die soziale Lage <strong>und</strong><br />

die mentale Ebene. Die soziale Lage umfasst sowohl vertikal verteilte Handlungsressourcen<br />

(z.B. Einkommen, Bildung, soziale Netzwerke) als auch hori-<br />

18 Die Ansätze wurden ausgewählt, weil sie Lebensstile allgemein untersuchen (nicht nur z.B.<br />

Wohnstile, Lebensstile von Musikern oder „nachhaltige“ Lebensstile im Sinne der Förderung eines<br />

ökologischen Bewusstseins, siehe dazu z.B. Brand 2002, Lange 2005). Darüber hinaus ist die<br />

Auswahl natürlich relativ willkürlich, weitere Ansätze könnten genannt werden, z.B. von Konietzka<br />

(1995), Wahl (1997/2003), Hartmann (1999), Schroth (1999) etc.


96 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

zontal differenzierte Lebensbedingungen wie Alter, Kohortenzugehörigkeit oder<br />

Region. Die mentale Ebene schließt gemeinsame Wertorientierungen, Einstellungen<br />

<strong>und</strong> Lebensziele ein. Diese Ebene richtet sich insbesondere auf identitätsstiftende<br />

bzw. distinktive Funktionen von Lebensstilen über symbolische Zugehörigkeiten<br />

<strong>und</strong> Abgrenzungen. Georg unterstellt nicht vorab einen Zusammenhang<br />

zwischen sozialer Lage <strong>und</strong> mentaler Ebene einerseits <strong>und</strong> Lebensstilen<br />

andererseits, sondern dieser ist empirisch zu prüfen. Dabei soll sich auch herausstellen,<br />

welche Merkmale der sozialen Lage gegebenenfalls besonders bedeutsam<br />

für die Ausbildung von Lebensstilen sind. Graphisch lässt sich Georgs Konzept<br />

so darstellen:<br />

Abbildung 12: Das Lebensstilkonzept nach W. Georg<br />

<strong>Soziale</strong> Lage: Mentale Ebene:<br />

Ressourcen, Restriktionen, z.B. Werte <strong>und</strong> Ziele<br />

horizontale Merkmale<br />

Quelle: nach Angaben in Georg 1998: 98<br />

Verknüpfung:<br />

empirische<br />

Frage<br />

Lebensstile:<br />

Ästhetisch expressives Verhalten<br />

Was findet Georg nun empirisch heraus? Er analysiert Daten einer Werbeagentur<br />

in Zusammenarbeit mit dem SINUS-Institut von 1990 (Lifestyle ’90, repräsentativ<br />

für die westdeutsche Bevölkerung ab 14 Jahren) <strong>und</strong> ermittelt anhand einer<br />

Clusteranalyse sieben Lebensstile:<br />

Typ 1: Hedonistisch-expressiver Lebensstil (10,2%)<br />

Typ 2: Familienzentrierter Lebensstil (19,2%)<br />

Typ 3: Kulturbezogen-asketischer Lebensstil (11,3%)<br />

Typ 4: Konservativ-passiver Lebensstil (14,9%)<br />

Typ 5: „Prestigebezogene Selbstdarstellung“ (11,1%)<br />

Typ 6: Zurückhaltend-konventioneller Lebensstil (16,1%)<br />

Typ 7: „Selbstdarstellung, Genuss <strong>und</strong> Avantgardismus“ (11,6%)


5.1 Lebensstile 97<br />

Die Charakteristika der einzelnen Stile sollen in diesem Rahmen nicht im Einzelnen<br />

geschildert werden, zur Veranschaulichung dient ein Beispiel: Der konservativ-passive<br />

Lebensstil ist unauffällig (z.B. bei der Kleidung) <strong>und</strong> traditionell<br />

(z.B. bei der Ernährung), der Wohnstil lässt sich als „konventionelle Gemütlichkeit“<br />

charakterisieren. Das Alter dieser Menschen liegt über dem Stichprobendurchschnitt,<br />

die soziale Lage kennzeichnet unterdurchschnittliches Einkommen<br />

<strong>und</strong> niedrige Bildung. Zur Mentalität lassen sich unter anderem ein relativ<br />

rigides Festhalten an stereotypen Geschlechtsrollen <strong>und</strong> konservative Werte<br />

feststellen (1996: 170f.).<br />

Die Merkmale der sozialen Lage, die die Lebensstile insgesamt am stärksten<br />

beeinflussten, waren Alter (wobei Georg einen Kohorteneffekt vermutet, das<br />

heißt er nimmt generationstypische Lebensstile an, weniger einen Alterseffekt),<br />

die Lebenszyklusvariable „mit Partner zusammenlebend oder verheiratet (beides<br />

mit Kind)“, Bildungsniveau <strong>und</strong> Geschlecht noch vor dem Einkommen <strong>und</strong> dem<br />

beruflichen Status (1996: 175-179). Damit unterscheidet sich das Modell deutlich<br />

von Schichtmodellen, die dem beruflichen Status eine besondere Bedeutung<br />

beimessen. Regressionsmodelle mit verschiedenen Mentalitätsskalen zeigen,<br />

dass auch die mentale Ebene eine eigenständige Prädiktionskraft für Lebensstile<br />

besitzt. Als einzelner Mentalitätsskala kommt der „traditionellen Wertorientierung“<br />

die größte Bedeutung für den Lebensstil zu (1998: 230-235).<br />

Einige der Einflussfaktoren (z.B. das Geschlecht oder das Alter als Kohorteneffekt)<br />

sowie der Hinweis in der Definition des Begriffs „Lebensstil“ auf<br />

„relative Stabilität“ deuten darauf hin, dass sich nach Georgs Verständnis ein<br />

Gr<strong>und</strong>muster des Lebensstils relativ früh in der Biographie herausbildet. Andererseits<br />

schließt Georg lebenszyklische Veränderungen nicht aus, gerade wenn<br />

man die Bedeutung des Merkmals „mit Partner <strong>und</strong> Kind zusammenlebend“<br />

betrachtet. Doch ist die Entwicklungsdynamik von Lebensstilen insgesamt kein<br />

Thema, das Georg in besonderem Maße weiter verfolgt. Dies trifft auch auf viele<br />

andere Lebensstilanalysen zu.<br />

Lebensstile nach A. Spellerberg<br />

A. Spellerberg bezeichnet Lebensstile als „individuelle Organisation <strong>und</strong> expressive<br />

Gestaltung des Alltags“ (1995: 230), stimmt also mit anderen Definitionen<br />

überein <strong>und</strong> betont dabei die expressive Komponente. Die Dimensionen leitet sie<br />

aus dem Konzept von H.-P. Müller ab, indem sie interaktive (z.B. das Freizeitverhalten),<br />

expressive (z.B. Musik- <strong>und</strong> Einrichtungsgeschmack oder Lesegewohnheiten)<br />

<strong>und</strong> evaluative Dimensionen (z.B. Lebensziele) unterscheidet. Eine<br />

Variante zu dem Konzept von Georg besteht übrigens darin, dass bei Spellerberg


98 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

Werte zu den Merkmalen gehören, die einen Lebensstil ausmachen, während<br />

Georg die mentale Ebene zu den Einflussfaktoren zählt.<br />

Das Konzept soll hier nicht im Detail dargestellt werden, spezifisch für den<br />

Ansatz ist unter anderem, dass er auf der Datenbasis des Wohlfahrtssurveys<br />

(1993) ost- <strong>und</strong> westdeutsche Lebensstile vergleicht <strong>und</strong> Zusammenhänge zur<br />

Lebensqualität herstellt.<br />

Die Lebensstilgruppen teilt Spellerberg nach dem Aktionsradius (häuslicher<br />

Umkreis vs. außerhäuslich) <strong>und</strong> nach kulturellen Vorlieben (ähnlich den alltagsästhetischen<br />

Schemata bei G. Schulze) ein <strong>und</strong> findet für Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland<br />

jeweils neun Lebensstilgruppen heraus, die sich in einigen Punkten durchaus<br />

auffällig unterscheiden, z.B. gibt es einen „erlebnisorientierten Häuslichen“<br />

nur in Ostdeutschland; die Vorliebe für Hochkultur differenziert sich im Westen<br />

Deutschlands in drei Stile, während sich hierzu im Osten nur ein Typus findet<br />

etc. (1996: 122, 145). Hinsichtlich der wichtigsten Einflussfaktoren gibt es Übereinstimmungen<br />

mit anderen Untersuchungen: Das (als Kohorteneffekt gedeutete)<br />

„Alter, Bildung <strong>und</strong> Geschlecht weisen die stärksten Zusammenhänge zum Lebensstil<br />

auf“ (1996: 192).<br />

In einer zweiten Untersuchung von 1996 (Schneider/Spellerberg 1999,<br />

Kap. 4) ergeben sich leicht andere Ergebnisse, teilweise bedingt durch die<br />

Berücksichtigung auch Älterer (über 61 Jahre). Insgesamt zeigt sich eine<br />

Tendenz zur Angleichung von Lebensstilen in Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland:<br />

Unterhaltung, Geselligkeit <strong>und</strong> Genussorientierung haben jeweils an Bedeutung<br />

gewonnen; traditionelle Lebensstile sind in Ostdeutschland weniger verbreitet als<br />

noch 1993; im Westen hat der Anteil hochkulturell Interessierter leicht<br />

abgenommen (Schneider/Spellerberg 1999: 119).<br />

Die Einflussfaktoren sind ähnlich geblieben: Im Westen weisen Alter,<br />

Bildung, Einkommen <strong>und</strong> Geschlecht (in dieser Reihenfolge) die größte<br />

Bedeutung für die Lebensstilzuordnung auf, im Osten sind es ähnlich Alter,<br />

Geschlecht, Bildung <strong>und</strong> Kinder im Haushalt (a.a.O.: 120-123).


5.1 Lebensstile 99<br />

Abbildung 13: Lebensstile in West- <strong>und</strong> Ostdeutschland nach<br />

Schneider/Spellerberg


100 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

Quelle: Schneider/Spellerberg 1999: 106, 113<br />

Für einen Zusammenhang mit der Lebensqualität dienen die Lebensstile als<br />

unabhängige Variable, sind in dem Fall also selbst ein möglicher erklärender<br />

Faktor. Zunächst lässt sich dazu als aufschlussreich feststellen, dass man mit<br />

Hilfe von Lebensstilen Gruppen ermitteln kann, die sich nach ihren Bewertungsmaßstäben<br />

für Lebensqualität unterscheiden. Weitergehende Aussagen sind<br />

weniger eindeutig: „Es hat sich gezeigt, dass Lebensstile im Westen eine hohe<br />

Erklärungskraft für das Wohlbefinden haben, während in Ostdeutschland häufiger<br />

die materielle Situation im Vordergr<strong>und</strong> steht.“ (Spellerberg 1996: 221).<br />

Immer, wenn Lebensstile als erklärendes Merkmal dienen, muss man insgesamt<br />

darauf achten, dass man Zirkelschlüsse vermeidet. Wenn der Forschende z.B.<br />

Stile durch Werte konstituiert <strong>und</strong> gleichzeitig (allerdings andere) Werte durch<br />

Lebensstile erklären möchte, sollte er sich einer gewissen Gratwanderung bewusst<br />

sein. Dies gilt auch für die Erklärung von Wohnverhalten durch Lebens-


5.1 Lebensstile 101<br />

stile (Spellerberg/Schneider 1999), wozu die Autorinnen feststellen, dass sich<br />

das Lebensstilkonzept <strong>und</strong> die Klassifikation nach Lebensphasen als Erklärungsfaktor<br />

tragfähiger zeigten als ein Schichtindex (a.a.O.: 285).<br />

Exkurs zu Methoden in der Lebensstilforschung<br />

Da die Lebensstil- <strong>und</strong> Milieuanalyse einen starken empirischen Bezug hat,<br />

sollen an dieser Stelle einige Hinweise zu den Erhebungs- <strong>und</strong> Auswertungsmethoden<br />

gegeben werden. Als Erhebungsinstrument dient häufig die<br />

Befragung (bzw. die Sek<strong>und</strong>äranalyse früherer Befragungen), stellenweise kombiniert<br />

mit Beobachtungen (Garhammer merkt hierzu kritisch an, dass Zeitbudgetstudien<br />

fragwürdige subjektive Häufigkeitseinschätzungen von Verhaltensweisen<br />

ergänzen sollten; 2000: 309 – jedoch haben Zeitbudgetstudien wiederum<br />

eigene Nachteile bzw. Grenzen). Hinsichtlich der Methoden zur Auswertung<br />

erhobener Daten verwenden sowohl Georg als auch Spellerberg in ihrer Untersuchung<br />

die Clusteranalyse zur Bestimmung von Lebensstilgruppen. Es handelt<br />

sich hier um ein multivariates Verfahren (das heißt man betrachtet mehr als zwei<br />

Merkmale gleichzeitig). Angenommen, man hat bei 1.000 Personen die Häufigkeit<br />

von 20 Freizeitbeschäftigungen erhoben: Nun geht es nicht um die Verschiedenartigkeit<br />

von 1.000 Varianten, sondern man versucht, ähnliche Kombinationen<br />

zu „Klumpen“, zu Clustern, zusammenzufassen. Statistische Maßzahlen<br />

geben hierbei Regeln vor, wann Fälle als ähnlich zu betrachten sind (durch Ähnlichkeits-<br />

oder Distanzmaße) <strong>und</strong> auch dafür, wie viele Cluster sinnvollerweise<br />

gebildet werden sollen. Im nächsten Schritt kann man die Cluster, z.B. auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage von Freizeitbeschäftigungen, auf mögliche Einflussfaktoren prüfen.<br />

Sind z.B. in einem Cluster mit auffallend vielen außerhäuslichen Freizeitbeschäftigungen<br />

mehr Männer oder mehr Frauen oder Menschen einer bestimmten<br />

Altersgruppe vertreten? (vgl. ausführlicher zur Clusteranalyse Weltner 1976;<br />

Backhaus et al. 2011: Kap. 8). Ein anderes multivariates Verfahren in der Lebensstilforschung<br />

ist unter anderem durch die Untersuchungen P. Bourdieus<br />

bekannt: die Korrespondenzanalyse. Charakteristisch ist die graphische Darstellung<br />

als Koordinatensystem, auf diese Weise lassen sich in einem Schritt abhängige<br />

Merkmale (z.B. Freizeitbeschäftigungen) mit möglichen Einflussfaktoren<br />

verknüpfen, nicht erst im Nachhinein, wie bei der Clusteranalyse (s. zur Veranschaulichung<br />

Abbildung 21 in Kap. 6). Als grobe Faustregeln für eine Interpretation<br />

können unter anderem gelten: Räumlich nah beieinander liegende Merkmale<br />

symbolisieren zwar tatsächliche Ähnlichkeiten <strong>und</strong> Zusammenhänge (entsprechend<br />

ist es bei den Distanzen), aber dadurch, dass es sich um ein Vektormodell<br />

handelt, sind keine einfachen Distanzaussagen möglich. Wenn beispiels-


102 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

weise eine der Achsen das Geschlecht abbildet, wird niemand „männlicher“ oder<br />

„weiblicher“ mit einer Eintragung höher oder niedriger auf der Achse. Eher ist es<br />

so, dass die Freizeitbeschäftigungen <strong>und</strong> die Einflussfaktoren jeweils eine Eintragung<br />

im Koordinatensystem erhalten; räumliche Nähe weist dann auf einen<br />

Zusammenhang hin (wenn z.B. eine Vorliebe für Bungee-Jumping, Rudern <strong>und</strong><br />

Kneipenbesuche mit Fre<strong>und</strong>en in der Nähe von männlichen Fachhochschulabsolventen<br />

anzutreffen wären). Je weiter dabei die Eintragungen vom Nullpunkt<br />

des Achsenkreuzes entfernt sind, desto mehr Aussagekraft kommt dem Einflussfaktor<br />

zu (genauer zur Korrespondenzanalyse Blasius 2001, zum Vergleich von<br />

Cluster- <strong>und</strong> Korrespondenzanalyse in der Lebensstilforschung Blasius/Georg<br />

1992, zu Problemen beider Methoden auch Stein 2006: 136-140). Eine weitere<br />

multivariate Methode, die die Lebensstilforschung benutzt, ist die Faktorenanalyse<br />

(Backhaus et al. 1990: Kap. 3; zu multivariaten Verfahren bei der Auswertung<br />

mit SPSS Fromm 2007).<br />

Die „Konjunktur“ zahlreicher Lebensstiluntersuchungen hat nach den 1990er<br />

Jahren nachgelassen. Dies steht im Kontext eines verschiedentlich konstatierten<br />

generellen Umschwungs der <strong>Ungleichheit</strong>sforschung angesichts von Prozessen<br />

wie zunehmender Arbeitslosigkeit, Deregulierung von Erwerbsarbeit, Krise des<br />

Sozialstaats etc. hin zu wieder stärkerer Betonung vertikal strukturierter sozialer<br />

<strong>Ungleichheit</strong> (siehe auch Kap. 7.2) bzw. angesichts der Erkenntnis, dass ein<br />

Schwarz-Weiß-Bild von strukturiert („früher“) vs. pluralisiert („heute“) der Realität<br />

zu keinem Zeitpunkt angemessen war. Dennoch bedeutet dies nicht, dass<br />

Lebensstile keinen Stellenwert mehr als <strong>Ungleichheit</strong>sansatz hätten. Es gibt zum<br />

einen weiterhin empirische Untersuchungen zu <strong>und</strong> Spezifizierungen von Lebensstilen<br />

wie auch von Milieus. 19 Als ein Beispiel kann die Studie von P. Stein<br />

(2006) genannt werden, die den Einfluss der sozialen Position, der sozialen Herkunft<br />

<strong>und</strong> der sozialen Mobilität auf Lebensstile, insbesondere auf kulturelle<br />

Orientierungen, analysiert. In einer anderen Untersuchung überprüft Otte (2004)<br />

mit Hilfe einer dem eigenen Anspruch nach theoriegeleiteten, auf einer Synthese<br />

früherer Modelle beruhenden Typologie mit den Dimensionen Ausstattungsniveau<br />

<strong>und</strong> Modernität bzw. biographischer Perspektive die Erklärungskraft von<br />

Lebensstilen, z.B. für Partizipation in städtischen Szenen <strong>und</strong> Urlaubszielwahlen.<br />

Die statistische Erklärungskraft der Typen ist zwar mäßig <strong>und</strong> zeigt sich am<br />

ehesten in multivariaten Modellen; für einige Anwendungsbereiche, z.B. die<br />

Wohngebietswahl, sieht Otte auch nach wie vor eine Strukturierung durch „klassische“<br />

Sozialstrukturmerkmale. Trotz dieser differenzierten Ergebnisse bildet<br />

die Studie jedoch ein Beispiel für die fortgesetzte Anwendung von Lebensstil-<br />

19<br />

Zu weiteren Publikationen über Milieus s. z.B. Hradil 2006b, die Beiträge in Bremer/Lange-Vester<br />

2006 oder Vester et al. 2007.


5.2 Milieus 103<br />

analysen. In einem weiteren Sinne gilt dies auch für Rössels Plädoyer für eine<br />

„plurale Sozialstrukturanalyse“ (Rössel 2005), wobei er betont, dass sich Klasse,<br />

Milieu <strong>und</strong> Lebensstile nicht gegenseitig substituieren ließen <strong>und</strong> er zudem<br />

(handlungs-)theoretische Neuorientierungen vorschlägt, indem er etwa im Kontext<br />

von Lebensstilen lieber von kulturellen Präferenzen sprechen möchte (näher<br />

dazu in Rössel 2004, 2005, 2006b, 2009: 329-332).<br />

Zum anderen deuten verschiedene Bilanzierungen von Lebensstilanalysen<br />

(z.B. Meyer 2001a, Hermann 2004, Otte 2005, Rössel 2006b) auf eine fortbestehende<br />

Diskussion des Ansatzes hin – selbst wenn diese Bilanzen teilweise<br />

skeptisch ausfallen (siehe Kap. 5.3). Vor einer Abwägung der Kritikpunkte sollen<br />

nun jedoch zunächst die Spezifika von Milieumodellen erläutert werden.<br />

5.2 Milieus<br />

Im Zuge der Einsicht, dass äußere Einflüsse (<strong>und</strong> nicht etwa z.B. allein Vererbung)<br />

das menschliche Dasein prägen, wurden bereits bei Comte, Durkheim <strong>und</strong><br />

später z.B. bei Lepsius Überlegungen zum Milieu angestellt (Hradil 1992: 21-<br />

25). Als Entwicklungstrends des Begriffs bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

stellt Hradil neben einem allgemeinen Aufschwung des Begriffs die<br />

zunehmende Betonung sozialer gegenüber natürlichen Umweltfaktoren <strong>und</strong> die<br />

Öffnung für subjektive Aspekte fest (das heißt für die Frage, welche Faktoren<br />

subjektiv bedeutsam sind). Aufgr<strong>und</strong> der Bevorzugung von Schichtmodellen mit<br />

deren Betonung objektiver Aspekte in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

gewannen Milieukonzepte dann aber erst wieder in den achtziger Jahren an<br />

Bedeutung, unter anderem durch die Untersuchungen des SINUS-Instituts.<br />

Das Lexikon zur Soziologie definiert „Milieu“ als Gesamtheit der äußeren,<br />

natürlichen (z.B. Klima) <strong>und</strong> der sozialen Umwelt (z.B. Gesetze) des Einzelnen<br />

bzw. einer Gruppierung, die auf die Entwicklung, Entfaltungsmöglichkeit <strong>und</strong><br />

die Modalität sozialen Handelns Einfluss nimmt (Rammstedt 2007: 432). Hradil<br />

bestimmt den Begriff so: Milieus sind<br />

„Gruppen Gleichgesinnter, die gemeinsame Werthaltungen <strong>und</strong> Mentalitäten aufweisen<br />

<strong>und</strong> auch die Art gemeinsam haben, ihre Beziehungen zu Menschen einzurichten<br />

<strong>und</strong> ihre Umwelt in ähnlicher Weise zu sehen <strong>und</strong> zu gestalten“ (1999: 41).<br />

Kleinere Milieus, z.B. Stadtviertelmilieus, sind zudem häufig durch ein Wir-<br />

Gefühl verb<strong>und</strong>en (ebd.). Im weiteren Sinne sind Milieus aber durchaus größere<br />

gesellschaftliche Gruppen, die Angehörigen müssen sich nicht unbedingt gegenseitig<br />

kennen oder räumlich nah (z.B. im „Rotlichtmilieu“) zusammenleben.


104 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

Unterschiedliche Werte zu haben kann z.B. heißen, dass materielle Sicherheit<br />

Angehörigen eines „alternativen“ Milieus weniger wichtig ist als einem<br />

Beamten, oder Erfolg für Aufstiegsorientierte ein bedeutenderes Ziel ist als für<br />

„Hedonisten“.<br />

Milieus sind keinesfalls unabhängig von sozioökonomischen <strong>und</strong> soziodemographischen<br />

Bedingungen. Aber die Milieuangehörigen „filtern“ die „objektiven“<br />

Bedingungen in milieuspezifischer Weise. Je nach Ansatz ist die Verknüpfung<br />

mit den „objektiven“ Merkmalen der sozialen Lage sogar recht eng,<br />

z.B. gibt es bei den SINUS-Milieus (s.u.) innerhalb von sozialen Schichten jeweils<br />

mehrere Milieus nebeneinander, die sich durch ihre Werte bzw. Gr<strong>und</strong>orientierungen<br />

unterscheiden. Grenzen zwischen den einzelnen Milieus verlaufen<br />

dabei mit fließenden Übergängen. Schichten werden also nach diesem Ansatz<br />

differenziert oder ergänzt durch das Modell von Milieus, die nicht (allein) hierarchisch<br />

angeordnet sind.<br />

Welche Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> Unterschiede bestehen zwischen Lebensstil-<br />

<strong>und</strong> Milieukonzepten? Zunächst zu den Gemeinsamkeiten:<br />

Lebensstil- <strong>und</strong> Milieumodelle dienen als Alternative zu Klassen- <strong>und</strong><br />

Schichtkonzepten der traditionellen Art. Sie unterstellen keine einfache Kausalbeziehung<br />

von Handlungsbedingungen zu ihrer Wahrnehmung <strong>und</strong> Nutzung<br />

sowie zu Werten <strong>und</strong> Verhaltensweisen. Vielmehr kommen dem Handeln <strong>und</strong><br />

den Entscheidungen sowie der Lebensweise der Akteure selbst relativ große<br />

Bedeutung zu. Die Modelle können mehrere Dimensionen integrieren <strong>und</strong> dadurch<br />

Realitätsnähe anstreben. Jedoch gibt es keine vollständige Loslösung von<br />

„objektiven“ Lebensbedingungen.<br />

Die Modelle ordnen den Lebensstilen <strong>und</strong> Milieus bestimmte Personengruppen<br />

zu oder fassen sie zu Typen zusammen. Milieus können sich teilweise<br />

sogar durch bestimmte Lebensstile konstituieren (z.B. bei Nowak/Becker 1985),<br />

es besteht also auch eine Ergänzungsmöglichkeit beider Konzepte (so auch bei<br />

Schulze 1992, s.u.). Bei dieser engen Verknüpfung beider Begriffe ist eine Abgrenzung<br />

nicht ganz einfach. Tendenziell lässt sich aber festhalten:<br />

Verhalten ist ein wichtiges Moment für Lebensstilkonzepte; dabei stehen<br />

die Aspekte der (zumindest teilweise bestehenden) Wahlfreiheit <strong>und</strong> der Expression<br />

im Vordergr<strong>und</strong>. Diese Wahlfreiheiten (<strong>und</strong> auch die Expressivität) unterstellt<br />

der Milieubegriff nur in begrenzterer Form, dort geht es stärker um milieuspezifische<br />

Wahrnehmungen <strong>und</strong> Nutzungen gegebener Bedingungen. Milieu ist<br />

also in einigen Begriffsbestimmungen (z.B. Hofmann/Rink 1996, Strasser/Dederichs<br />

2000: 91) etwas näher an den „objektiven“ Gegebenheiten orientiert<br />

als Lebensstile, etwas mehr Meso- als Mikroebene (dennoch erhebt auch die<br />

Lebensstilforschung den Anspruch, gerade Makro- <strong>und</strong> Mikroebenen zu verbinden).


5.2 Milieus 105<br />

Hradil unterscheidet zwischen „tiefsitzenden“ Werthaltungen als kennzeichnend<br />

für Milieus <strong>und</strong> demgegenüber typischen Verhaltens- <strong>und</strong> Meinungsroutinen von<br />

Lebensstilen (1999: 42). Eine klare Abgrenzung bedeutet dies allerdings nicht,<br />

wenn etwa Mentalitäten ihrerseits wiederum Verhaltensweisen prägen (a.a.O.:<br />

430). Auch das Argument, Lebensstile würden sich schneller ändern <strong>und</strong> seien<br />

stärker Moden unterworfen als Milieuzugehörigkeiten (a.a.O: 42), ist zumindest<br />

nicht für alle Lebensstilansätze plausibel. Beispielsweise liegt bei Bourdieu dem<br />

Lebensstil ein sicherlich ebenfalls „tiefsitzender“ Habitus zugr<strong>und</strong>e (vgl. Kap. 6).<br />

Auch andere Begriffsbestimmungen von Lebensstil weisen auf die relative<br />

Stabilität hin, weil es beim Lebensstil nicht darum geht, ob man – etwa beim<br />

Kleidungsstil – enge oder weite Hosen je nach Mode trägt, sondern um dahinter<br />

stehende Prinzipien wie z.B. „modische“ oder „solide“ Kleidung tragen.<br />

Otte sieht Lebensstile als den „expressiven Kern“ von Milieus an, zu denen<br />

zusätzlich die Zuordnung von Kontextbedingungen (z.B. die soziale Lage oder<br />

Netzwerke) gehört (1997: 306). Allerdings bleiben auch Lebensstilanalysen<br />

meist nicht auf einer individuellen Ebene stehen, sondern verknüpfen Lebensstile<br />

mit sozialstrukturellen Trägergruppen.<br />

Es lässt sich festhalten, dass die Rolle von Werten in den einzelnen Konzepten<br />

unterschiedlich ist: Bei Lebensstilmodellen sind sie manchmal konstituierendes<br />

Merkmal, manchmal ein Einflussfaktor; bei einigen Milieumodellen<br />

sind sie eine zentrale Dimension, aber bei dem unten beschriebenen Ansatz von<br />

Schulze ist die „Lebensphilosophie“ nur ein Merkmal unter mehreren. Die<br />

Kennzeichen von Milieumodellen erschließen sich noch deutlicher, wenn im<br />

Folgenden einige konkrete Ansätze vorgestellt werden.<br />

Die SINUS-Milieus<br />

Der Ausgangspunkt einer Studie von U. Becker <strong>und</strong> H. Nowak (1985) im Auftrag<br />

des SINUS-Institutes bestand darin, Lebenswelten über subjektive Lebenslagen<br />

<strong>und</strong> -stile zu erfassen. Dementsprechend definieren sie soziale Milieus:<br />

„<strong>Soziale</strong> Milieus fassen ... Menschen zusammen, die sich in Lebensauffassung <strong>und</strong><br />

Lebensweise ähneln, die also subkulturelle Einheiten in der Gesellschaft bilden.“<br />

(Nowak/Becker 1985: 14)<br />

Die Untersuchung dieser Lebensweisen ist eng an die Interessen der Marktforschung<br />

geknüpft, anhand der Milieus (<strong>und</strong> entsprechend typischer Konsumstile<br />

ihrer Angehörigen) sollen Produzenten von Konsumgütern ihre Zielgruppen<br />

erkennen <strong>und</strong> die Werbung darauf abstimmen können.


106 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

Nach qualitativen Interviews Ende der siebziger Jahre gab es 1982 die erste<br />

quantitative Überprüfung. Es ergaben sich laut Becker/Nowak acht Milieus in<br />

einem Koordinatensystem, dessen waagrechte Achse nach traditionellen bis<br />

postmateriellen Wertorientierungen 20 geordnet war <strong>und</strong> dessen senkrechte Achse<br />

eine Schichteinteilung darstellte. Das Modell wurde seither in repräsentativen<br />

Erhebungen auf Veränderungen der Milieugrößen untersucht, teilweise wurden<br />

die Milieus neu zugeschnitten <strong>und</strong>/oder umbenannt. Nach einer spezifischen<br />

Systematik für Ostdeutschland 1991 gab es ab 2000 ein gesamtdeutsches<br />

Milieumodell. Das Modell wird auch auf andere Zielgruppen als die<br />

Bevölkerung Deutschlands angewandt, z.B. auf Migrant/innen in Deutschland<br />

oder auf die Bevölkerung anderer <strong>Länder</strong>. Die Achsen des Modells bilden<br />

weiterhin horizontal die Gr<strong>und</strong>orientierungen (2010 lauten die Ausprägungen<br />

„Tradition“, „Modernisierung/Individualisierung“ <strong>und</strong> „Neuorientierung“) <strong>und</strong><br />

vertikal soziale Lagen auf der Basis von Bildung, Beruf <strong>und</strong> Einkommen. Die<br />

Anpassung der Milieukonstruktion erfolgt fortlaufend (z.B. dominierten noch<br />

2007 die „Konsum-Materialisten“ die modernisierte Orientierung in der unteren<br />

Mittelschicht bzw. Unterschicht, 2010 findet man hier das Milieu der<br />

„Prekären“; www.sinus-institut.de/loesungen/sinus-milieus.html). Für das Jahr<br />

2010 sind die sich teilweise überlagernden Milieus wie folgt verteilt:<br />

20 „Traditionelle“ Werte sind z.B. Pflichterfüllung oder materielle Sicherheit, „postmaterielle“ Werte<br />

z.B. Selbstverwirklichung oder Partizipation; vgl. zum Wertewandel Inglehart 1977, 1995;<br />

Meulemann 1996; Gensicke 1996; Klages/Gensicke 1999; Oesterdieckhoff/Jegelka 2001.


5.2 Milieus 107<br />

Abbildung 14: Die Sinus-Milieus 2010<br />

Quelle: Sinus Institut<br />

(http://www.sinus-institut.de/uploads/tx_mppress/Modellwechsel_2010_neue_Charts.pdf)<br />

Am Beispiel der „Expeditiven“ soll angedeutet werden, welche (schlagwortartigen)<br />

Merkmale sich hinter einer Milieubezeichnung verbergen: Sie sind die<br />

unkonventionelle, kreative Avantgarde, hyperindividualistisch, mental <strong>und</strong><br />

geografisch mobil, digital vernetzt <strong>und</strong> immer auf der Suche nach Veränderungen<br />

(das Modell geht somit davon aus, dass sich die Wertorientierungen auch in<br />

typischem Verhalten ausdrücken).<br />

Nach einem ähnlichen Schema identifiziert das Institut auch länderübergreifende,<br />

so genannte „Meta-Milieus“. Dem liegt die Annahme zugr<strong>und</strong>e, dass<br />

Menschen verschiedener <strong>Länder</strong>, aber vergleichbarer Milieus oft mehr miteinander<br />

verbindet als mit ihren Landsleuten, die anderen Milieus zugehören. Zu<br />

solchen gemeinsamen Gr<strong>und</strong>orientierungen gehören in Westeuropa laut Sinus<br />

traditionelle, etablierte, intellektuelle, moderne Mainstream-, konsum-materialistische,<br />

sensationsorientierte <strong>und</strong> „modern performing“-Milieus. Die sowohl<br />

vertikal als auch horizontal in der Mitte angesiedelte „modern mainstream“-Orientierung<br />

beispielsweise zeichnet sich durch den Wunsch nach einem angenehmen<br />

<strong>und</strong> harmonischen Leben sowie durch das Streben nach materieller <strong>und</strong><br />

sozialer Sicherheit aus (vgl. Hradil 2006b: 10).


108 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

Kritisch wendet G. Schulze zu den Sinus-Milieus ein, dass subjektive Dimensionen<br />

(über Werthaltungen) nur eindimensional erfasst würden <strong>und</strong> die<br />

Aufnahme von Kategorien der Schichtungsforschung verw<strong>und</strong>ere, nachdem<br />

doch gerade der Zweifel an empirisch auffindbaren Schichten die Forschenden<br />

geleitet hätte (1990: 421). H.-P. Müller führt an, dass die Determinanten z.B. der<br />

Milieubildung <strong>und</strong> des Milieuwechsels ausgeblendet bleiben <strong>und</strong> dass das Modell<br />

zwar individuellen Wertewandel, aber nicht ausreichend den Zusammenhang<br />

zum sozialstrukturellen <strong>und</strong> institutionellen Wandel berücksichtige (Müller<br />

1989: 63).<br />

Milieus nach Vester et al.<br />

Vester et al. (1993, 2001) untersuchen aus einer enger soziologischen Perspektive<br />

ausdrücklich „soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel“. Sie<br />

bezeichnen Milieus, auch mit Verweis auf Bourdieu, als Gruppen mit ähnlichem<br />

Habitus <strong>und</strong> ähnlicher Alltagskultur (2001: 24) <strong>und</strong> stellen fest:<br />

„Die sozialen Milieus … haben sich seit der Entstehung der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik erheblich<br />

verändert. Als fest gefügte politische Großgruppen, die sich als kämpfende Lager<br />

scharf gegeneinander abgrenzen, bestehen sie nicht mehr. Als lebensweltliche<br />

Traditionslinien, die sich nach dem Stil <strong>und</strong> den Prinzipien ihrer alltäglichen Lebensführung<br />

unterscheiden, wirken sie fort … Gleichwohl sind diese großen Traditionslinien<br />

heute immer noch durch erhebliche Kulturschranken <strong>und</strong> gegenseitige<br />

Vorurteile voneinander getrennt.“ (Vester et al. 2001: 13).<br />

Die Veränderungen der Milieus kennzeichnen die Autoren so, dass die historischen<br />

Traditionslinien der Milieus fortbestehen, sich aber differenziert <strong>und</strong> modernisiert<br />

haben. Sie haben sich, wie Familienstammbäume, in neue Zweige mit<br />

stärkeren „postmateriellen“ oder „individualisierten“ Einzelzügen aufgefächert<br />

(a.a.O.: 16, 33). Die sozialen Milieus nach Vester et al. in Westdeutschland sehen<br />

dann 2003 so aus:


5.2 Milieus 109<br />

Abbildung 15: Die sozialen Milieus in Westdeutschland 2003<br />

Quelle: Bremer/Lange-Vester 2006: 14


110 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

Dabei bildet die vertikale Achse wiederum Herrschaft ab, das Mehr oder Weniger<br />

von sozialen Chancen, Wohlstand, Macht <strong>und</strong> Einfluss. Horizontal machen<br />

die Autoren Unterschiede an den Einstellungen zur Autorität fest, von autoritärer<br />

bis zu avantgardistischer Gr<strong>und</strong>einstellung. Auch dieses Milieumodell geht also<br />

von unterschiedlichen Werteinstellungen auf der horizontalen Ebene aus. Die<br />

Veränderungen der letzten 25 Jahre, das war bereits zwischen 1982 <strong>und</strong> 1995 zu<br />

erkennen (Vester et al. 2001: 48/49) <strong>und</strong> zeigt sich im Modell von 2003 wieder,<br />

bewegen das <strong>Ungleichheit</strong>sgefüge dabei nicht in seinen Gr<strong>und</strong>prinzipien, sondern<br />

demonstrieren langsame Veränderungen meist innerhalb der größeren<br />

Trennlinien.<br />

So waren beispielsweise das bildungsbürgerliche <strong>und</strong> das gehobene Dienstleistungsmilieu<br />

1995 noch zusammengefasst zum „liberal-intellektuellen Milieu“,<br />

das zu der Zeit circa 10% ausmachte. Ein Novum der Milieudarstellung<br />

2003 gegenüber 1995 besteht zudem in der Hervorhebung von „Trennlinien“ der<br />

Distinktion <strong>und</strong> der Respektabilität (siehe auch Bremer/Lange-Vester 2006: 15).<br />

Wenn Vester – ohne die horizontale Differenzierung von Milieus aufzugeben –<br />

eine verstärkte vertikale Dreiteilung der Gesellschaft feststellt, in der unterprivilegierte<br />

Verliergruppen zunehmend von den „respektablen“ Standards sozialer<br />

Teilhabe ausgeschlossen würden (Vester 2005: 28), so verknüpft er den mehrdimensionalen<br />

Milieuansatz mit einer wiedergekehrten Aufmerksamkeit für<br />

prekäre soziale Lagen <strong>und</strong> Ausgrenzung (siehe Kap. 7.2). Milieumodelle weisen<br />

in diesem Kontext unter anderem darauf hin, dass die Akteure sich nicht passiv<br />

äußeren Verhältnissen anpassen, sondern ihre bisherigen Lebensweisen <strong>und</strong><br />

Haltungen mit veränderten Bedingungen immer wieder – auf milieuspezifische<br />

Weise – neu abstimmen. So erläutert Vester, dass zumindest ein Teil der unterprivilegierten,<br />

besonders von Arbeitslosigkeit betroffenen Milieus trotz der<br />

schwierigen äußeren Bedingungen nicht resigniert, sondern z.B. informelle Gelegenheitsarbeiten<br />

annimmt <strong>und</strong> auf die damit einhergehenden Unsicherheiten<br />

teilweise besser vorbereitet ist als Menschen in den „mittleren“ Milieus, für die<br />

Beständigkeit <strong>und</strong> Zuverlässigkeit wichtige Werte darstellen (Vester 2006: 269-<br />

273).<br />

Die Erlebnisgesellschaft<br />

Gerhard Schulze leistete insbesondere mit seiner Veröffentlichung „Die Erlebnisgesellschaft“<br />

von 1992 einen populär gewordenen Beitrag zum Thema. Die<br />

Individuen in der Erlebnisgesellschaft, die er für Deutschland ab den achtziger<br />

Jahren konstatiert, sind erlebnisorientiert im Sinne einer unmittelbaren Form der<br />

Suche nach Glück (sie wollen es möglichst sofort), das Projekt des „Schönen


5.2 Milieus 111<br />

Lebens“ tritt als ein Massenphänomen auf, <strong>und</strong> der Erlebniswert von Gütern<br />

gewinnt gegenüber dem Gebrauchswert an Bedeutung (z.B. möchte man vielleicht<br />

lieber einen schicken Geländewagen fahren statt „irgendein“ gegebenenfalls<br />

sparsameres Auto). Das erlebnisorientierte (synonym: innenorientierte)<br />

Handeln hat also das Ziel, schöne Erlebnisse für sich selbst herbeizuführen. Was<br />

Menschen jeweils als schön empfinden, ist dabei milieuabhängig, jedoch gibt es<br />

letztlich keine Festlegungen für ein „schönes“ Erlebnis: Unsicherheiten, welche<br />

Entscheidung man treffen soll, <strong>und</strong> Enttäuschungen (eine besuchte Veranstaltung<br />

war z.B. nicht das erhoffte „Event“) bleiben typische Begleiterscheinungen der<br />

Erlebnisorientierung. Nicht jede Handlung muss zudem innenorientiert sein,<br />

sondern diese Haltung ist graduell zu verstehen. Beispielsweise zieht man seine<br />

Kleidung gegebenenfalls nicht nur an, um sich schön zu fühlen, sondern auch –<br />

das wäre außenorientiert –, um einen guten Eindruck zu erzielen. Als Tendenz<br />

gilt aber in der Erlebnisgesellschaft:<br />

„Handelt man erlebnisrational, wird man andere Entscheidungen treffen, als wenn es<br />

etwa darum geht, das Überleben sicherzustellen, kollektiven Zielen zu dienen oder<br />

göttlichen Geboten zu folgen“ (Schulze 1992: 41; zur fortgesetzten Erlebnisorientierung<br />

auch Schulze 2000).<br />

Dies deutet an: Auch für die Erlebnisgesellschaft gilt als Vorbedingung, dass die<br />

Gesellschaft eine relative Wohlstandsgesellschaft ist, die den Individuen vergleichsweise<br />

große Wahloptionen eröffnet.<br />

Das erlebnisorientierte Handeln formt sich nun nach Schulze im persönlichen<br />

Stil zu einem stabilen, situationsübergreifenden Muster. Der persönliche<br />

Stil ist ein deutliches Zeichen bei der Konstitution sozialer Milieus, was zeigt,<br />

dass Lebensstil- <strong>und</strong> Milieukonzepte eng miteinander verb<strong>und</strong>en sein können, in<br />

diesem Fall sogar innerhalb eines Ansatzes. Nach Schulzes Terminologie lassen<br />

sich Stiltypen durch alltagsästhetische Schemata zum Ausdruck bringen. Diese<br />

sind zum einen durch bestimmte Zeichen charakterisiert (wie gehabt: z.B. Kleidung,<br />

Möbel, besuchte Veranstaltungen, bevorzugte Fernsehsendungen), zum<br />

anderen durch bestimmte Bedeutungsebenen, die Schulze durch Genuss, Distinktion<br />

<strong>und</strong> Lebensphilosophie näher bestimmt. Es gibt nach Schulze drei<br />

hauptsächliche alltagsästhetische Schemata, <strong>und</strong> zwar das Hochkultur-, das Trivial-<br />

<strong>und</strong> das Spannungsschema (vgl. Schulze 1992, besonders Kap. 2 <strong>und</strong> 3).<br />

Der Musikgeschmack ist ein Beispiel, um die Schemata näher zu konkretisieren.<br />

Im Hochkulturschema interessiert man sich – etwas pauschal kategorisiert<br />

– für klassische Musik, im Trivialschema hört man Schlager <strong>und</strong> bei einer<br />

Nähe zum Spannungsschema Rockmusik.<br />

Mit einem Wort lässt sich das Hochkulturschema als „schöngeistig“ charakterisieren,<br />

schließt dabei aber eine gewisse Selbstironie ein. Auf der Genuss-


112 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

ebene ist die Kontemplation kennzeichnend. Dazu gehört auch eine Zurücknahme<br />

des Körpers, z.B. sind laute Heiterkeitsausbrüche verpönt. Auf der<br />

Distinktionsebene wählt Schulze die Kennzeichnung „anti-barbarisch“, kulturelle<br />

Feindbilder sind insbesondere der Bier trinkende Viel-Fernseher oder der Bildzeitungsleser.<br />

Überspitzt gesagt, liest man zudem ein Buch oder besucht ein<br />

Museum nicht für den Genuss, sondern weil man etwas auf sich hält. Die Lebensphilosophie<br />

zeichnet sich durch eine relative Neutralität gegenüber Inhalten<br />

aus, es gibt eher eine Begeisterung für Perfektion.<br />

Das Trivialschema wird häufig abfällig beurteilt, die Inkarnation dieser<br />

Vorstellung bildet der Gartenzwerg. Das hervorstechende Merkmal auf der<br />

Ebene des Genusses ist hier die Gemütlichkeit. Erlebnisse sollen nicht anstrengen,<br />

man ist eher auf der Suche nach dem Gewohnten. Hinsichtlich der Distinktion<br />

gab es lange eher eine Abgrenzung anderer von dem Trivialschema als eine<br />

eigene distinktive Position, die sich aber mittlerweile entwickelt hat, <strong>und</strong> zwar ist<br />

sie anti-exzentrisch. Die Lebensphilosophie des Schemas lautet Harmonie als<br />

Kultur der schönen Illusion (wie sie etwa Happy Ends in Erzählungen repräsentieren).<br />

Das Spannungsschema schließlich ist das historisch jüngste Schema, für das<br />

Unruhe, Abwechslung <strong>und</strong> Bewegung typisch sind. Dies drückt sich auch auf der<br />

Genussebene als Suche nach Action, nach immer Neuem aus, der Körper wird<br />

dabei expressiv eingesetzt, z.B. in der Disco oder beim Sport. Die Distinktionsweise<br />

ist anti-konventionell, Feindbilder sind z.B. biedere Familienväter oder<br />

„Sonntagsfahrer“. Die Lebensphilosophie ist hier schließlich eine des Narzissmus:<br />

Im Hochkulturschema wird das Ich an den Ansprüchen gemessen, im Trivialschema<br />

an der Ordnung, im Spannungsschema jedoch ist das Ich nur mit sich<br />

selbst konfrontiert. Der Maßstab ist hier die subjektiv erfolgreiche Unterhaltung<br />

oder Selbstverwirklichung.


5.2 Milieus 113<br />

Abbildung 16: Alltagsästhetische Schemata nach Schulze<br />

Alltags-<br />

ästhetische<br />

Schemata<br />

Hochkulturschema<br />

Typische<br />

Zeichen<br />

(3 Beispiele)<br />

Klassische Musik,<br />

Museumsbesuch,<br />

Lektüre „guter<br />

Literatur“<br />

Trivialschema Deutscher Schlager,<br />

Fernsehquiz,<br />

Arztroman<br />

Spannungsschema<br />

Rockmusik,<br />

Thriller, Ausgehen<br />

(Kneipen, Discos,<br />

Kinos usw.)<br />

Quelle: Schulze 1992: 163<br />

Genuss<br />

Bedeutungen<br />

Distinktion Lebensphilosophie<br />

Kontemplation Anti-barbarisch Perfektion<br />

Gemütlichkeit Anti-exzentrisch<br />

Action Anti-konventionell<br />

Harmonie<br />

Narzissmus<br />

Es gibt nun keine einseitige Zuordnung zu nur einem Schema, die Affinität zu<br />

einem Schema allein macht noch kein Milieu aus, sondern die Position eines<br />

Individuums bestimmt sich durch Nähe bzw. Distanz zu allen Schemata:<br />

Abbildung 17: Milieus <strong>und</strong> alltagsästhetische Schemata nach Schulze<br />

Milieuspezifische Varianten<br />

der Erlebnisorientierung<br />

Streben nach Rang<br />

(Niveaumilieu)<br />

Streben nach Konformität<br />

(Integrationsmilieu)<br />

Streben nach Geborgenheit<br />

(Harmoniemilieu)<br />

Streben nach Selbstverwirklichung<br />

(Selbstverwirklichungsmilieu)<br />

Streben nach Stimulation<br />

(Unterhaltungsmilieu)<br />

Quelle: Schulze 1992: 165<br />

Übersetzung in den dimensionalen Raum alltagsästhetischer<br />

Schemata (Stiltypen)<br />

„+“ bedeutet Nähe, „-“ bedeutet Distanz<br />

Hochkulturschema Trivialschema Spannungsschema<br />

+ - -<br />

+ + -<br />

- + -<br />

+ - +<br />

- - +


114 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

Fünf typische Kombinationen (eine gleichzeitige Nähe von Trivial- <strong>und</strong> Spannungsschema<br />

ist eher untypisch) bilden schließlich die sozialen Milieus. Diese<br />

definiert Schulze als „Personengruppen, die sich durch gruppenspezifische Existenzformen<br />

<strong>und</strong> erhöhte Binnenkommunikation voneinander abheben“ (1992:<br />

174). Dabei meint Binnenkommunikation innerhalb einer sozialen Großgruppe<br />

natürlich nicht, dass jeder jeden kennt, sondern dass Angehörige desselben Milieus<br />

mit größerer Wahrscheinlichkeit aufeinander treffen, z.B. im Fre<strong>und</strong>eskreis<br />

oder in Vereinen (ebd.).<br />

Die spezifischen Nähe-Distanz-Kombinationen zu den alltagsästhetischen<br />

Schemata beschreiben also die Milieus:<br />

Abbildung 18: Das Milieumodell von Schulze<br />

Bildung<br />

Selbstverwirklichungs<br />

milieu<br />

Unterhaltungsmilieu<br />

Quelle: Schulze 1992: 384<br />

Niveaumilieu<br />

Integrationsmilieu<br />

Harmoniemilieu<br />

Alter<br />

So weist das Selbstverwirklichungsmilieu die gleichzeitige Affinität zum Hochkultur-<br />

<strong>und</strong> zum Spannungsschema auf. Dort sind Menschen zu finden, die sich<br />

unter anderem für Kleinkunst, aber auch für klassische Musik <strong>und</strong> Rock <strong>und</strong> Pop<br />

interessieren, einen großen Fre<strong>und</strong>eskreis haben sowie Individualtourismus <strong>und</strong>


5.2 Milieus 115<br />

Naturkostläden mögen (ausführliche Milieubeschreibungen in Schulze 1992,<br />

Kap. 6). 21<br />

Wer zu welchem Milieu gehört, ist jedoch nicht zufällig, sondern insbesondere<br />

durch zwei Dimensionen festgelegt, die für Interaktionspartner vergleichsweise<br />

leicht erkennbar sind: Alter <strong>und</strong> Bildung, wobei das Alter dichotom unterteilt<br />

ist in jünger <strong>und</strong> älter als etwa 40 Jahre (Schulze legt sich nicht fest, ob es<br />

sich um einen Alters- oder Kohorteneffekt handelt). Bildung ist in niedrigere <strong>und</strong><br />

höhere, bei den älteren Milieus zudem in mittlere Bildung gegliedert, so dass die<br />

fünf Milieus vergleichsweise klar zuzuordnen sind (ohne dass es einen Determinismus<br />

gibt). Eine hierarchische Struktur durch das Bildungsniveau wird dabei<br />

gebrochen durch die Altersdimension, was Schulze mit „gespaltener Vertikalität“<br />

bezeichnet:<br />

„Eindeutig überlagert eine moderne, fast ausschließlich erlebnisorientierte Altersschichtung<br />

die traditionelle Bildungs- <strong>und</strong> Berufsschichtung, deren soziale Interpretation<br />

als hierarchische <strong>Ungleichheit</strong> dadurch immer mehr verdrängt wird … Der<br />

Vertikalisierungseffekt der Bildung wird durch den Horizontalisierungseffekt des<br />

Lebensalters konterkariert“ (a.a.O.: 401).<br />

Der Gesamtzusammenhang von sozialer Lage <strong>und</strong> Milieus sieht wie folgt aus:<br />

„Jedes Milieu enthält eine Mehrzahl von sozialen Lagen; bestimmte soziale Lagen<br />

treten in mehreren Milieus auf; gleichzeitig ist aber auch eine deutliche milieuübergreifende<br />

Abstufung zu erkennen – nicht nur für Sozialwissenschaftler, sondern<br />

auch für die Menschen im Alltag“ (ebd.).<br />

Dieses Erkennen führt jedoch nicht zu einer hierarchischen Einordnung oder gar<br />

einem Milieukonflikt entsprechend einem Klassenkonflikt:<br />

„Zwischen den Milieus herrscht ein Klima von Indifferenz oder achselzuckender<br />

Verächtlichkeit, nicht geregelt <strong>und</strong> hierarchisiert durch eine umfassende Semantik<br />

des Oben <strong>und</strong> Unten“ (a.a.O.: 405).<br />

Zwar gibt es nach wie vor eine stabile vertikale Ordnung etwa von Berufen nach<br />

dem Prestige, doch ist das Berufsprestige für den Gesamtstatus einer Person, für<br />

ihre Einschätzung durch andere weniger wichtig geworden.<br />

Ein Kritikpunkt, den manche Autoren an Schulzes Modell (<strong>und</strong> gelegentlich<br />

an Lebensstilanalysen allgemein) äußern, lautet, dass es nur in Phasen relativ<br />

21 Die Ergebnisse beruhen auf einer Befragung von etwa 1000 Personen zwischen 18 <strong>und</strong> 70 Jahren<br />

in Nürnberg von 1985. Die alltagsästhetischen Schemata bestimmten die Forscher anhand von<br />

Faktorenanalysen <strong>und</strong> Verfahren der klassischen Testtheorie.


116 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

großen Wohlstands gültig sei (im Deutschland der achtziger Jahre also gerade<br />

noch zutreffend gewesen sein mag), bei zunehmender Knappheit jedoch an Geltungskraft<br />

verliere. Beispielsweise schreibt Neckel: „Gerhard Schulze indes<br />

entwirft eine Kultursoziologie über Leute, die Geld ausgeben, aber keines verdienen<br />

müssen“ (1998: 211). H.-P. Müller betont die wieder zunehmende Bedeutung<br />

von Bildung, Beruf <strong>und</strong> Einkommen in der „neub<strong>und</strong>esdeutschen<br />

Knappheitsgesellschaft“ (1995: 933f.). Dagegen ist einzuwenden, dass man Erlebnisorientierung<br />

auch weiter fassen kann <strong>und</strong> dann z.B. Genuss eine Pflicht<br />

sein kann, um die eigene Stellung im sozialen Raum zu legitimieren (so geht es<br />

dem neuen Kleinbürgertum nach Bourdieu), oder dass Gewalt bei Jugendlichen<br />

Folge einer Erlebnisorientierung sein kann, die dann gerade eine soziale Reaktionsform<br />

auf Krisensituationen ist (so etwa Funke 1997: 324-326). Auch Müller-Schneider<br />

ist der Meinung, dass sich die innenorientierte Erlebniskultur nicht<br />

allein (möglicherweise sogar immer weniger) auf Konsum richtet, sondern auch<br />

auf andere Bereiche, z.B. auf die Gestaltung des Liebeslebens <strong>und</strong> anderer Kontakte<br />

oder auf die Freizeit, für deren Erweiterung manche Menschen Einkommenseinbußen<br />

in Kauf nehmen. Außerdem seien die gegenwärtigen Einkommenseinbußen<br />

angesichts der Wohlstandsentwicklung der vorangegangenen<br />

Jahrzehnte zu relativieren (1998: 148-154). Als Ergebnis eines Zeitvergleichs der<br />

Daten aus dem Jahr 1985 mit Daten aus den Jahren 1993 <strong>und</strong> 1998 resümiert er,<br />

dass sowohl die alltagsästhetischen Schemata als Stilmuster als auch die Prägung<br />

durch Bildung <strong>und</strong> Lebensalter, nicht jedoch durch die Einkommensstärke, stabil<br />

geblieben seien (Müller-Schneider 2000: 37). Schnierer warnt demgegenüber,<br />

die Werte der erlebnisorientierten Akteure könnten auch ein ideologischer<br />

Schleier sein, der Schulze wie auch den Akteuren selbst den Blick auf den Wettbewerb<br />

um begehrte soziale Positionen in seiner Härte verstelle. Die Nicht-Erreichbarkeit<br />

dieser Positionen bekommt dann z.B. dadurch ein Ventil, dass man<br />

sagt: „Ich habe ohnehin keine Lust, mich für den beruflichen Aufstieg ‚kaputtzumachen’<br />

“ (Schnierer 1996: 80f.).<br />

Eine empirische Bestätigung der Erlebnisgesellschaft wiederum liefert<br />

Lechner (2003). Nach seinen Bef<strong>und</strong>en ist eine alltagsästhetisch dominierte<br />

Milieustruktur Mitte der neunziger Jahre auch in Ostdeutschland (konkret in<br />

Chemnitz) festzustellen.<br />

Hinsichtlich einer vor allem in den USA ausgearbeiteten These des „kulturellen<br />

Allesfressers“ (cultural omnivore), wonach die Orientierung an Hochkultur<br />

von einer Vorliebe für kulturelle Vielfalt abgelöst worden sei, kommt<br />

Rössel anhand einer Untersuchung von Kinobesucherinnen <strong>und</strong> -besuchern in<br />

Leipzig zu dem Schluss, dass dieses Konzept nicht umstandslos auf die deutsche<br />

Situation zu übertragen sei. Anstelle eine „Hochkultursnobismus“ (dies auch mit<br />

Bezug auf Bourdieus Ansatz, siehe Kap. 6) sei eher eine „dosierte Grenzüber-


5.2 Milieus 117<br />

schreitung zwischen einem hochkulturellen <strong>und</strong> einem populären Geschmack“<br />

erkennbar (Rössel 2006a: 270). Danach ist die Aussagekraft alltagsästhetischer<br />

Schemata nicht als überholt anzusehen.<br />

Allgemein lässt sich zu Milieu- <strong>und</strong> Lebensstilansätzen anhand dieser Kontroverse<br />

nochmals festhalten: Sie unterstellen keine Loslösung von sozialstrukturellen<br />

Merkmalen, aber der Zusammenhang zwischen diesen Strukturen <strong>und</strong> dem<br />

typischen Handeln der Akteure ist komplexer geworden.<br />

Alltägliche Lebensführung<br />

An dieser Stelle soll noch ein weiteres Konzept dargestellt werden, das durch<br />

den Anspruch einer ganzheitlichen Betrachtung auch ungleichheitstheoretische<br />

Fragen behandelt <strong>und</strong> das konzeptionell in der Nähe von Milieu- <strong>und</strong> Lebensstiluntersuchungen<br />

(allerdings mit einem etwas anderen Schwerpunkt) liegt: Der<br />

Ansatz der Alltäglichen Lebensführung. Ab Mitte der achtziger Jahre haben<br />

verschiedene Forscher, ausgehend vom Sonderforschungsbereich „Entwicklungsperspektiven<br />

von Arbeit“ der Universität München, das Konzept der Alltäglichen<br />

Lebensführung entwickelt (vgl. z.B. Projektgruppe Alltägliche Lebensführung<br />

1995, Kudera/Voß 2000, Voß/Weihrich 2001, Weihrich/Voß 2002,<br />

www.arbeiten<strong>und</strong>leben.de/alf-start.htm). Die Ausgangsüberlegung besteht darin,<br />

dass im Zuge des gesellschaftlichen Strukturwandels die Beziehung zwischen<br />

Arbeit <strong>und</strong> „Leben“ komplizierter wird, dass zunehmende Entscheidungsmöglichkeiten<br />

auch Aushandlungsprozesse mit sich bringen, dass jeder in seinem<br />

Alltag viele Dinge <strong>und</strong> Rollen „unter einen Hut“ bekommen muss. Die Akteure<br />

sind den Strukturbedingungen nicht ausgesetzt, sondern konstruieren ihre<br />

Lebensführung (der Begriff orientiert sich grob an Webers Überlegungen) auch<br />

selbst. Unter Lebensführung verstehen die Forscher dabei, „was Personen immer<br />

wieder tagaus tagein in ihren verschiedenen Lebensbereichen (Beruf, Haushalt,<br />

Familie, Fre<strong>und</strong>eskreis, Vereine u.a.m.) tun.“ (Rerrich/Voß 2000: 150). Das<br />

Konzept betont das Gesamtarrangement der Handlungspraxis im Alltag der<br />

Akteure (wenngleich auch ihre subjektiven Deutungen nicht unerheblich sind)<br />

<strong>und</strong> richtet sich dabei zum einen auf deren aktive Konstruktionsleistung<br />

zwischen äußeren Bedingungen <strong>und</strong> eigenen Präferenzen, zum anderen aber auch<br />

auf die Entwicklung einer gewissen Eigenlogik der Lebensführung gegenüber<br />

den Akteuren (Voß 1995, Rerrich/Voß 2000). Eine häufig erwähnte Basis der<br />

Analyse ist eine „subjektorientierte“ Perspektive (vgl. Voß/Pongratz 1997), doch<br />

beansprucht das Konzept auch, eine Verbindung zwischen Mikro- <strong>und</strong><br />

Makroperspektive herzustellen, weil es Vergesellschaftungen, den Rahmen<br />

sozialer Bedingungen andererseits nicht unterschlägt. Bolte sieht Lebensführung


118 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

als „zentrales Kupplungssystem“ zwischen Individuum <strong>und</strong> Gesellschaft (Bolte<br />

2000: 145).<br />

Nicht zu verwechseln ist dieses Konzept der Alltäglichen Lebensführung<br />

übrigens mit Ottes Begriff der Lebensführung, den er verwendet, um in der<br />

Lebensstilanalyse neue Akzente zu setzen (2004). 22 Das hier charakterisierte<br />

Konzept der Alltäglichen Lebensführung haben Forscher in verschiedenen<br />

empirischen Untersuchungen angewandt. Sie kamen dabei zu Typisierungen der<br />

Alltäglichen Lebensführung spezifischer Untersuchungsgruppen, die daher nicht<br />

unbedingt vergleichbar sind. Bolte (2000) arbeitet übergreifende Typen mit den<br />

Dimensionen Außengeleitetheit vs. Eigeninitiative, gleichförmig vs. variabel<br />

sowie kurzfristig vs. dauerhaft heraus. Es ergeben sich verschiedene Varianten<br />

„außen geleitet konstanter“ Lebensführung, „mitbestimmter“ Lebensführung <strong>und</strong><br />

„selbst bestimmter“ Lebensführung, außerdem die „resignative“ <strong>und</strong> die<br />

„chaotische“ Lebensführung. Die Form der Lebensführung sagt dabei noch<br />

nichts über die subjektive Zufriedenheit aus.<br />

Das allgemeine Konzept der Alltäglichen Lebensführung stellt also eine<br />

Verbindung zwischen individuellem Handeln <strong>und</strong> gesellschaftlichen Strukturen<br />

her, ein Anspruch, den vergleichbar auch die Milieu- <strong>und</strong> Lebensstilanalysen<br />

formulieren. Die Mikro-Makro-Verknüpfung der Alltäglichen Lebensführung ist<br />

dabei nicht per se auf soziale <strong>Ungleichheit</strong> gerichtet. Dieser Zusammenhang ist<br />

jedoch herstellbar. Rerrich/Voß (2000) zeigen etwa an zwei Fallbeispielen, dass<br />

die betrachteten Männer gleichen Alters aus der Perspektive von Dimensionen<br />

„klassischer“ <strong>Ungleichheit</strong>sforschung unterschiedlich einzuordnen sind. Der<br />

eine, angelernter Arbeiter im Schichtsystem mit bäuerlicher Herkunft, hat es<br />

schlechter getroffen als der andere, Sohn eines Landarztes <strong>und</strong> qualifizierter<br />

Journalist. Auf den zweiten Blick, wenn man auch die Lebensführung berücksichtigt,<br />

wird das Bild mindestens ambivalenter. Der vermeintliche „Underdog“<br />

präsentiert sich zufrieden, er hat ein Eigenheim, seine Frau verrichtet die Hausarbeit,<br />

einen großen Teil seiner arbeitsfreien Zeit widmet er seinen Hobbys. Der<br />

freiberufliche Journalist hingegen ist ständig auf der Suche nach neuen Aufträgen,<br />

das Preisniveau ist in der Großstadt zudem recht hoch, er empfindet seine<br />

Lebenssituation wesentlich prekärer. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass<br />

die Alltägliche Lebensführung die soziale Lage relativieren kann, unter anderem<br />

durch die aktive Aneignung der äußeren Bedingungen. In ihren Worten:<br />

22 Otte fügt in seinem Verständnis von Lebensführung manifeste Lebensstile mit latenten Wertorientierungen<br />

zusammen (2004: 57). Dabei geht es gerade nicht um das Gesamtarrangement, durch<br />

das der Akteur den Alltag „unter einen Hut“ bekommt, wenngleich es im Detail Überschneidungen<br />

geben kann (z.B. bei Ausdrucksformen einer offenen vs. geschlossenen biographischen Perspektive).


5.2 Milieus 119<br />

„In der alltäglichen Lebensführung laufen die verschiedenen ungleichheitsrelevanten<br />

Faktoren aus dem sozialen Lebensumfeld von Personen zusammen, woraus nicht direkt<br />

daraus ableitbare, sondern relativ kontingente Interferenzaspekte für soziale Benachteiligungen<br />

oder Privilegierungen der Betroffenen entstehen“ (Rerrich/Voß<br />

2000: 158).<br />

Jürgens (2002) stellt eine andere Lesart der Bef<strong>und</strong>e vor. Wenn man die Lebensbedingungen<br />

differenzierter sieht als Rerrich <strong>und</strong> Voß in ihrem ersten Schritt der<br />

Fallanalyse, haben die beiden Personen unterschiedliche Positionen im sozialen<br />

Raum (gemäß Bourdieus Konzept) bzw. sind einem anderen Milieu (mit Verweis<br />

auf Vester et al.) zuzuordnen. Bereits auf der – differenziert betrachteten – „objektiven“<br />

Ebene würden die Unterschiede der beiden Männer also deutlich werden,<br />

nicht erst die Alltägliche Lebensführung macht den Unterschied aus. Damit<br />

ist das Konzept der Alltäglichen Lebensführung aus Jürgens’ Sicht für die <strong>Ungleichheit</strong>sforschung<br />

jedoch nicht obsolet geworden. Die Lebensführung kann<br />

durchaus eine Ressource oder eine Restriktion darstellen, z.B. kann sich der<br />

Journalist leichter an veränderte Rahmenbedingungen anpassen (er hat eine „offenere“<br />

Lebensführung). Milieu- oder Lebensstilstudien erfassen zudem weniger<br />

die alltäglichen Koordinations- <strong>und</strong> Synchronisationsleistungen der Individuen.<br />

Ein weiteres Potential der Alltäglichen Lebensführung liegt in der Untersuchung<br />

verschränkter Lebensführung, z.B. in Paarbeziehungen (Ansätze dazu in Jürgens<br />

2001) oder auch im Erwerbsleben. Daher können die Forschungsrichtungen<br />

gegenseitig füreinander anregend sein: „Genese <strong>und</strong> sozialstrukturelle Verortung<br />

von Lebensführung sind ebenso zentral wie die systematische Aufdeckung<br />

alltäglicher Vereinbarkeitsleistungen, in denen sich soziale <strong>Ungleichheit</strong>en<br />

widerspiegeln <strong>und</strong> reproduzieren“ (Jürgens 2002: 88).<br />

Mit der dichten Beschreibung typischer Alltäglicher Lebensführungen kann<br />

das Konzept einen wichtigen Bestandteil für weitere Untersuchungen liefern, den<br />

andere Ansätze in dieser Form bislang nicht berücksichtigten (die „sozialen<br />

Lagen“ etwa streben eher komplexe Beschreibungen auf der „anderen“, der objektiven<br />

Seite, an, Lebensstile <strong>und</strong> Milieus sind zwar ebenfalls ganzheitlich orientiert,<br />

doch fehlen ihnen die erwähnten Elemente, insbesondere legen sie weniger<br />

Gewicht auf das Gesamtarrangement der Lebensführung im Alltag). Eine<br />

Aggregation der Ergebnisse des Konzepts Alltägliche Lebensführung zu einem<br />

Modell sozialer <strong>Ungleichheit</strong> bzw. eine systematische Verknüpfung z.B. mit<br />

Milieumodellen gibt es jedoch bislang nicht.<br />

Auf eine weitere mögliche Ergänzung macht Nollmann (2003) aufmerksam.<br />

Er weist – ohne ausdrückliche Abgrenzung zu bestimmten Lebensstil- oder Milieumodellen<br />

– darauf hin, dass die empirische Analyse der Transformationsprozesse<br />

von „Verschiedenheit“ in soziale, bewertete <strong>Ungleichheit</strong>en noch in den<br />

Kinderschuhen stecke. Er spricht somit durch die Betonung von Konstruktions-


120 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

leistungen einer „Kultur“ der sozialen <strong>Ungleichheit</strong> einen noch höheren Stellenwert<br />

zu als dies viele Lebensstil- <strong>und</strong> Milieumodelle tun. Inhaltlich argumentiert<br />

er unter diesem Blickwinkel, dass soziale <strong>Ungleichheit</strong> zugenommen habe, weil<br />

z.B. Geschlechterungleichheiten unabhängig vom Ausmaß der Ungleichverteilungen<br />

in den letzten Jahrzehnten stärker als soziale <strong>Ungleichheit</strong>en wahrgenommen<br />

<strong>und</strong> öffentlich thematisiert würden. Diese Sichtweise ist sicherlich<br />

selbst wieder diskussionswürdig, doch thematisiert auch sie eine möglicherweise<br />

sinnvolle Erweiterung der <strong>Ungleichheit</strong>sperspektive.<br />

5.3 Kritische Fragen, Zusammenfassung<br />

Wieder zurück zum „mainstream“ der Lebensstil- <strong>und</strong> Milieuanalyse: Ist sie das<br />

analytische Instrument der Wahl zur Beschreibung <strong>und</strong> Erklärung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>?<br />

Dass dies umstritten ist, deuten Kritikpunkte <strong>und</strong> offene Fragen<br />

ebenso an wie die Wiederbetonung vertikaler Strukturen in der <strong>Ungleichheit</strong>sdebatte<br />

der letzten Jahre. Die Kritiker beziehen sich dabei häufig auf Lebensstile,<br />

durch die Nähe <strong>und</strong> Überschneidungen zu Milieustudien richten sich die Argumente<br />

jedoch oft auch auf diese.<br />

� Ein Vorwurf lautet, die Lebensstilforschung gehe zu beschreibend vor ohne<br />

genügend Theorieanbindung. Dies ändere sich auch nicht durch einen pauschalen<br />

Verweis auf soziologische Klassiker oder die Individualisierungsthese<br />

Becks (Bourdieu kann man diesen Vorwurf am wenigsten machen, in<br />

diesem Fall tritt eher die Kritik auf den Plan, dass er den Einfluss ökonomischer<br />

Aspekte auf den Lebensstil letztlich als zu groß ansetze, vgl. das folgende<br />

Kapitel). Garhammer formuliert den Einwand so: „Kaum eine der<br />

Arbeiten … stellt … die Frage, die doch erst mal zu klären wäre: Was bedeutet<br />

es für die moderne Gesellschaft, wenn das Leben zu einer Stilfrage<br />

wird?“ (2000: 297). Und im Weiteren: „Der Nachweis durch Hartmann,<br />

Georg <strong>und</strong> Wahl [Arbeiten, die er zu einer Sammelbesprechung heranzieht,<br />

N.B.], wie viel Varianz des Freizeitverhaltens durch Bildung <strong>und</strong> Alter,<br />

durch Geschlecht <strong>und</strong> Lebensform, durch Berufsstatus <strong>und</strong> Einkommen<br />

aufgeklärt wird, ist eindrucksvoll. Er greift aber zu kurz, insofern er konkurrierende<br />

Erklärungen immer nur durch die Brille des Empirikers bespricht,<br />

d.h. als Methode zur Aufklärung von Varianz. So wird der Diskurs über das<br />

‚Warum’ der Zusammenhänge von sozialer Lage ebenso verstellt wie darüber,<br />

ob die Diagnose der ‚Erlebnisgesellschaft’ überzeugend ist.“ (2000:<br />

301). Der Empiriker kann dann fast beliebig viele unterschiedliche Lebensstile<br />

feststellen. Zwar wird immer wieder auf gr<strong>und</strong>sätzliche Überschnei-


5.3 Kritische Fragen, Zusammenfassung 121<br />

dungen der empirischen Ergebnisse hingewiesen, z.B. von Schulze – unter<br />

anderem zu den Sinus-Milieus (1992: 393) – oder in der Zusammenstellung<br />

von Typenvergleichen bei Hartmann (1999: Kap. 5). Es bleibt aber letztlich<br />

offen, ob eher die Brille der Forscher schärfer, differenzierter geworden ist,<br />

oder ob sich tatsächlich mehr Gruppen ausdifferenziert haben, die für die<br />

Handlungsorientierungen <strong>und</strong> das soziale Zusammenleben von Bedeutung<br />

sind. Einige Autoren weisen darauf hin, dass die Erklärungskraft von Lebensstilen<br />

möglicherweise je nach Anwendungsbereich variiert. So äußert<br />

sich Hermann (2004) positiv hinsichtlich der Erklärung von Mortalitätsrisiken<br />

durch Lebensstile, Rössel spricht die Relevanz von Lebensstilen vor<br />

allem in „ästhetisierbaren“ Handlungsbereichen (2006b: 463) wie Konsum<br />

<strong>und</strong> Freizeit an. Es ist dabei jedoch darauf zu achten, ob die Spezifizierung<br />

dazu führt, dass ungleichheitstheoretische Fragestellungen auf der Makroebene<br />

dann nicht mehr im Zentrum der Analyse stehen (ähnlich Otte 2005:<br />

24). Solga et al. kritisieren einen theoretischen Mangel auch bei Milieukonzepten.<br />

Es sei unklar, ob Milieus überhaupt Determinanten, Ursachen oder<br />

Dimensionen sozialer <strong>Ungleichheit</strong> seien (2009: 40).<br />

� Wenn man die Vielfalt von Lebensstilgruppen betont, die teilweise nebeneinander<br />

liegen <strong>und</strong> die sich oft eher indifferent als antagonistisch gegenüberstehen,<br />

geht damit zudem die Gefahr einher, dass Herrschaftsstrukturen<br />

unterbelichtet bleiben (ein möglicher blinder Fleck, den bereits die<br />

Klassentheorie gegen die Schichtungsforschung vorgebracht hatte). Meyer<br />

befürchtet einen Verlust des kritischen Impetus <strong>und</strong> entsprechend eine legitimatorische<br />

Rückendeckung für die bestehende <strong>Ungleichheit</strong>sordnung<br />

(2001a: 265f.). Allerdings könnte man dagegen argumentieren, dass man<br />

bei einer Berücksichtigung der integrativen bzw. distinktiven Funktion von<br />

Lebensstilen zumindest potentiell durchaus kritisch Verhältnisse zwischen<br />

den Lebensstilgruppen an zentraler Stelle diskutieren könnte.<br />

� Auch zwei weitere Kritikpunkte weisen Befürworter der Lebensstilanalyse<br />

als eher einseitige Sichtweise zurück: Erstens spricht gegen die Kritik an einer<br />

zu großen Vielfalt von Ansätzen mit unterschiedlichem Gegenstand,<br />

Operationalisierungen <strong>und</strong> herausgef<strong>und</strong>enen, allenfalls bedingt vergleichbaren<br />

Lebensstilen der immer wieder zu lesende Hinweis auf einen gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Konsens darüber, was ein Lebensstil ist (s.o. zur Begriffsklärung),<br />

welche es gibt (Parallelen sind trotz der unterschiedlichen Benennungen<br />

<strong>und</strong> Klassifikationen festzustellen) <strong>und</strong> wovon sie abhängen (<strong>und</strong> zwar<br />

in nennenswertem Ausmaß vom Alter, der Bildung <strong>und</strong> dem Geschlecht).<br />

� Der zweite Aspekt besteht in der möglicherweise zu starken Betonung von<br />

individuellen Wahlfreiheiten <strong>und</strong> einer Präferenzensteuerung, die sich kaum<br />

nach strukturellen Kriterien richte. Die Diskussion um Strukturierungs- vs.


122 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

Entstrukturierungsmodelle innerhalb der Lebensstilanalyse, bei der Entstrukturierungsmodelle<br />

seltener sind <strong>und</strong> teilweise von anderen zusätzlich<br />

radikalisiert werden, zeigt, dass „Entstrukturierung“ keine Position der Lebensstilanalyse<br />

allgemein ist, <strong>und</strong> dies noch weniger in den letzten Jahren.<br />

Auch Hradil relativiert dieses Argument recht heftig: „Lebensstile [bestehen]<br />

keineswegs unabhängig von äußeren Bestimmungsgründen. Anders als<br />

Thomas Meyer kenne ich auch niemanden, der das behauptet“ (2001a: 275).<br />

An verschiedenen Stellen, unter anderem in mehreren Bilanzierungen der<br />

Lebensstilforschung (Hermann 2004, Otte 2005, Rössel 2006b) wird teilweise<br />

mit etwas bedauerndem Unterton konstatiert, dass Lebensstile lediglich<br />

als Ergänzung zur klassischen <strong>Ungleichheit</strong>sforschung fungieren<br />

könnten, nicht als deren Ersatz (z.B. Rössel 2006: 454/455, Otte 2005: 22).<br />

Der weggefallene oder ohnehin fehlende Anspruch, Lebensstile als etwas<br />

gänzlich Neues, eine vertikale Gesellschaftsstruktur ablösendes Modell<br />

postulieren zu müssen, kann für Aussagen mittlerer theoretischer<br />

Reichweite allerdings durchaus konstruktiv sein, sofern die Konstatierungen<br />

nicht dabei stehen bleiben, bereits das Phänomen eines Mischungsverhältnisses<br />

von Struktureinflüssen <strong>und</strong> Optionen als entscheidenden Erkenntnisgewinn<br />

anzusehen. Die Postulierung einer „Lebensstilgesellschaft“ als<br />

Gegenwartsdiagnose (Richter 2005) dürfte, zumal als Aussage jüngeren<br />

Datums, dagegen eher eine Minderheitenposition im ungleichheitstheoretischen<br />

Kontext darstellen. In Zusammenhang mit Lebensstilen, sofern diese<br />

als Erklärungsmerkmal dienen sollen, ist jedenfalls ein Hinweis notwendig:<br />

Immer, wenn Forscher Lebensstile selbst als erklärenden Faktor einsetzen,<br />

müssen sie darauf achten, Zirkelschlüsse zu vermeiden. So ist es nicht ganz<br />

unproblematisch, etwa Konsumverhalten aus Lebensstilen zu erklären, die<br />

unter anderem durch ähnliche Merkmale konstituiert sind (z.B. stellt Klocke<br />

(1994) die Erklärungskraft von Lebensstilen für Käufertypen auf dem Second-Hand-Markt<br />

heraus). Zwar relativiert Hradil auch hier plausibel, dass<br />

es nicht per se tautologisch sei, wenn man aus allgemeinen Handlungstypen<br />

konkretes – auch ungleichheitsrelevantes – Verhalten erkläre (2001a: 279),<br />

z.B. findet Otte heraus, dass sich Wahlverhalten teilweise besser durch Lebensstile<br />

als durch ein Klassenmodell erklären lässt (1997). Doch ist hier<br />

zumindest Vorsicht für den Forscher geboten, der den soziologischen Erklärungswert<br />

nicht aus dem Auge verlieren sollte. Wenn man einen Mann bestimmten<br />

Alters mit einem bestimmten Outfit im CD-Geschäft vor bestimmten<br />

Regalen antrifft, kann man nicht sicher sagen, ob er gern Spinat<br />

isst. Vielleicht kann man etwas über Tendenzen oder Wahrscheinlichkeiten<br />

sagen, nur wäre das soziologisch nicht gerade spannend, es sei denn, das<br />

Spinat-Essen hätte eine (z.B. distinktive) Bedeutung. Interessanter wäre die


5.3 Kritische Fragen, Zusammenfassung 123<br />

Verbindung zu Lebenschancen oder Handlungsorientierungen. Somit zeigt<br />

sich: Man muss eine erklärende Verknüpfung verschiedener Ebenen herstellen,<br />

z.B. zwischen Handlungstypen <strong>und</strong> ungleichheitsrelevantem konkreten<br />

Verhalten oder zwischen Handlungstypen <strong>und</strong> Lebenschancen, um<br />

über eine für Marktforscher interessante Aussage hinaus zu gelangen. Damit<br />

ist wiederum die Herausarbeitung von Erklärungsmechanismen auf einer<br />

theoretischen Ebene angesprochen.<br />

� Eine weitere Frage an die Lebensstilforschung richtet sich schließlich auf<br />

die Entstehung <strong>und</strong> die Entwicklungsbedingungen von Lebensstilen. Unter<br />

welchen Umständen <strong>und</strong> in welche Richtung können sich Lebensstile verändern?<br />

Ohne diesen Aspekt hätte man lediglich ein statisches Modell entworfen.<br />

Auch bedürfte es einer Begründung, wenn gerade ein Modell, das<br />

insgesamt von vergleichsweise großen Wahlmöglichkeiten der Individuen<br />

ausgeht, Kontinuität von Lebensstilen unterstellen würde. Verschiedentlich<br />

streifen Forscher diesen Punkt, indem sie z.B. auf die Rolle des Alters oder<br />

der Lebensphase als Einflussfaktor für den Lebensstil hinweisen. Vester et<br />

al. (2001) stellen zudem Milieus im Zeitvergleich vor (<strong>und</strong> untersuchen damit<br />

unter anderem Kohorteneffekte). Doch gibt es insgesamt eher ansatzweise<br />

als systematisch Überlegungen dazu zu erklären, wann gegebenenfalls<br />

einzelne Menschen ihren Lebensstil in eine bestimmte Richtung<br />

ändern. Dies spricht nicht gegen die Lebensstilanalyse im Gr<strong>und</strong>satz, doch<br />

ist hier zumindest weiterer Forschungsbedarf festzustellen bzw. eine stärkere<br />

Verknüpfung mit der Lebenslaufforschung sinnvoll.<br />

Zusammenfassung<br />

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Verschiedene Milieu- <strong>und</strong> Lebensstilkonzepte<br />

suchen einen Mittelweg zwischen einer Strukturiertheit nach dem nicht<br />

mehr adäquaten Muster traditioneller Klassen <strong>und</strong> Schichten auf der einen Seite<br />

<strong>und</strong> einer vollkommen entstrukturierten Vielfalt individuellen Wahlhandelns auf<br />

der anderen Seite. Objektive Bedingungen <strong>und</strong> subjektive Wahrnehmungs- <strong>und</strong><br />

Handlungsweisen sind verknüpft, aber auf komplexe Art <strong>und</strong> Weise. In der Konzeptionalisierung<br />

dieses Mittelweges bzw. dieser Ergänzung bisheriger <strong>Ungleichheit</strong>smodelle<br />

ist der gemeinsame Nenner von sonst im Detail recht unterschiedlichen<br />

Modellen zu sehen. Neben dem Vorteil, viele Aspekte in dem Modell<br />

berücksichtigen <strong>und</strong> damit das <strong>Ungleichheit</strong>sgefüge einer modernen<br />

Gesellschaft angemessen erfassen zu können, sind die Ansätze jedoch auch der<br />

Kritik ausgesetzt: Sie könnten z.B. Gefahr laufen, einen theoretischen, erklärenden<br />

Anspruch aufzugeben, bestehende vertikale <strong>Ungleichheit</strong>en bzw. sogar


124 5 Lebensstile <strong>und</strong> Milieus<br />

zunehmende Restriktionen nicht genügend zu beachten oder Entwicklungen <strong>und</strong><br />

Beziehungen sozialer Gruppen zu vernachlässigen.<br />

Lesehinweise<br />

� Die Lebensstilforschung in den 1990er Jahren bilden z.B. die Sammelbände<br />

von Dangschat/Blasius (Hg.) 1994, Schwenk (Hg.) 1996, Hillebrandt et al.<br />

(Hg.) 1998 ab.<br />

� Bilanzierungen des Lebensstilkonzepts finden sich etwa bei T. Meyer<br />

(2001a), Hradil (2001a), Otte (2005) <strong>und</strong> Rössel (2006b).<br />

� Das Konzept von Schulze gibt es zusammengefasst in: Schulze, Gerhard<br />

(1990): Die Transformation sozialer Milieus in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik<br />

Deutschland; in: Berger, Peter A.; Stefan Hradil (Hg.) (1990): Lebenslagen,<br />

Lebensläufe, Lebensstile; <strong>Soziale</strong> Welt Sonderband 7, Göttingen, S. 409-<br />

432<br />

� Weitere Texte zu Lebensstilen <strong>und</strong> Milieus finden Sie im Reader von Heike<br />

Solga et al. (Hg.) (2009): <strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong>. Klassische Texte zur Sozialstrukturanalyse,<br />

Frankfurt am Main: Campus, Kapitel III.


6.1 <strong>Soziale</strong> Positionen <strong>und</strong> Klassen 125<br />

6 Klassen <strong>und</strong> Lebensstile in einem Modell: Der<br />

soziale Raum bei Bourdieu<br />

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu (1930-2002) hat ein Modell entwickelt,<br />

das sowohl Klassenmodelle in einer eigenständigen Form weiterführt als<br />

auch Lebensstile als einen zentralen Bestandteil integriert. Die Elemente seines<br />

Konzepts sollen an dieser Stelle im Zusammenhang vorgestellt werden.<br />

6.1 <strong>Soziale</strong> Positionen <strong>und</strong> Klassen<br />

Pierre Bourdieu entwirft ein Modell des sozialen Raums, dessen erste Ebene er<br />

als Raum objektiver sozialer Positionen konstruiert. 23 Bedeutsam ist hier vor<br />

allem die Ausweitung des Kapitalbegriffs. An zentraler Stelle berücksichtigt<br />

Bourdieu nicht allein ökonomisches, sondern auch kulturelles <strong>und</strong> soziales Kapital<br />

(Bourdieu 1983). Eine soziale Position ist dann abhängig vom Kapitalvolumen,<br />

der Kapitalstruktur <strong>und</strong> schließlich einem zeitlichen Faktor, der sozialen<br />

Laufbahn. Diese Gedanken sollen nun etwas genauer erläutert werden.<br />

Kapital in dem weit gefassten Verständnis ist zentral für die Stellung im sozialen<br />

Raum:<br />

„Die zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebene Verteilungsstruktur verschiedener<br />

Arten <strong>und</strong> Unterarten von Kapital entspricht der immanenten Struktur der gesellschaftlichen<br />

Welt, d.h. der Gesamtheit der ihr innewohnenden Zwänge, durch die<br />

das dauerhafte Funktionieren der gesellschaftlichen Wirklichkeit bestimmt <strong>und</strong> über<br />

die Erfolgschancen der Praxis entschieden wird.“ (Bourdieu 1983: 183).<br />

Das Kapital setzt sich im Einzelnen aus folgenden Arten zusammen:<br />

Das ökonomische Kapital bezeichnet das Kapital, das im engeren Sinne<br />

bislang als solches verstanden wurde, also etwa Eigentum <strong>und</strong> Vermögen. Es ist<br />

relativ direkt in Geld konvertierbar.<br />

23 In diesem Rahmen kann nur ein kleiner Ausschnitt von Bourdieus theoretischem Gesamtkonzept<br />

vorgestellt werden. Vgl. zu Bourdieus Werk im weiteren Rahmen z.B. Eder (Hg.) 1989, Fuchs-<br />

Heinritz/König 2005, Barlösius 2006, Rehbein 2006, Bohn/Hahn 2007, Schwingel 2009; zum<br />

Zusammenhang zwischen Klasse <strong>und</strong> Feld z.B. Kieserling 2008.<br />

N. Burzan, <strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong>, DOI 10.1007/978-3-531-93154-8_6,<br />

© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011


126 6 Klassen <strong>und</strong> Lebensstile in einem Modell: Der soziale Raum bei Bourdieu<br />

Das kulturelle Kapital nimmt drei Formen an:<br />

a. Das inkorporierte Kulturkapital meint Bildung, Wissen (allerdings nicht<br />

allein in der Schule erworbenes Wissen, auch z.B. die Erziehung in der Familie<br />

spielt eine Rolle). Der Erwerb erfordert (Lern-) Zeit, man kann es<br />

nicht kurzfristig kaufen oder verschenken. Die Umstände der ersten Aneignung<br />

dieses Kapitals prägen die Person in hohem Maße, z.B. ihre Sprechweise.<br />

b. Objektiviertes Kulturkapital hat die Form von kulturellen Gütern, die man<br />

besitzt, z.B. Bücher, Gemälde, Instrumente. Sie sind leichter auf andere<br />

übertragbar, gewinnen aber nur dann als Aktivposten an Bedeutung, wenn<br />

der Handelnde es sich aneignet <strong>und</strong> strategisch einsetzt (er braucht z.B. inkorporiertes<br />

Kapital, um ein Gemälde auch als hochwertig erkennen zu<br />

können).<br />

c. Institutionalisiertes Kulturkapital bezeichnet (schulische) Titel. Der Inhaber<br />

hat ein Zeugnis kultureller Kompetenz mit einem relativ dauerhaften <strong>und</strong><br />

rechtlich garantierten Wert, der Titel ist also institutionell anerkannt <strong>und</strong> sichert<br />

eine gewisse Übertragbarkeit in ökonomisches Kapital, die sich im<br />

Zeitverlauf allerdings ändern kann. Ein Abiturient kann heutzutage beispielsweise<br />

weniger sicher aufgr<strong>und</strong> seines Abschlusses davon ausgehen,<br />

eine gut bezahlte Arbeitsstelle zu finden, als dies noch vor einigen Jahrzehnten<br />

der Fall war.<br />

Mit sozialem Kapital meint Bourdieu Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu<br />

einer Gruppe beruhen (z.B. Absolventen einer exklusiven Schule), man hat ein<br />

Netzwerk von Beziehungen. Jemand kennt die entscheidenden Leute <strong>und</strong> kann<br />

an bestimmten Fäden ziehen, um seine Ziele zu erreichen, er ist in einem weiten<br />

Wortsinn „kreditwürdig“. Dieses Kapital ist erheblich von der familiären Herkunft<br />

abhängig, es bedarf aber auch einer dauerhaften Beziehungsarbeit, um<br />

dieses Kapital aufrechtzuerhalten. (vgl. zur Verknüpfung des sozialen Kapitals<br />

mit der Netzwerkanalyse bzw. einer relationalen Soziologie z.B. Fuhse 2010).<br />

Am Beispiel des sozialen Kapitals zeigt sich besonders, dass ökonomisches<br />

Kapital nicht ohne „Transformationsarbeit“ (Bourdieu 1983: 195) in andere<br />

Kapitalarten übertragbar ist (<strong>und</strong> auch umgekehrt). Beim Aufbau des sozialen<br />

Kapitals handelt es sich um „eine scheinbar kostenlose Verausgabung von Zeit,<br />

Aufmerksamkeit, Sorge <strong>und</strong> Mühe“ (a.a.O.: 196), die gerade nicht ausdrücklich<br />

dadurch gekennzeichnet sein darf, dass nur finanzielle Interessen die Beziehung<br />

herstellen. Nichtsdestoweniger stehen die Kapitalarten in einem engen Zusammenhang.<br />

Das ökonomische Kapital in einer Familie beeinflusst z.B., wie viel<br />

Zeit <strong>und</strong> Geld Eltern in die Ausbildung ihrer Kinder investieren können.


6.1 <strong>Soziale</strong> Positionen <strong>und</strong> Klassen 127<br />

Bourdieu nennt zudem noch eine weitere Kapitalart, die eine andere Ebene betont<br />

als die bisherigen Arten: das symbolische Kapital bezeichnet das Prestige<br />

oder Renommee einer Person, es ist die „wahrgenommene <strong>und</strong> als legitim anerkannte<br />

Form der drei vorgenannten Kapitalien“ (Bourdieu 1985: 11). Hierzu<br />

gehören z.B. das institutionalisierte kulturelle Kapital (Titel) oder generell das<br />

soziale Kapital. Dadurch, dass das symbolische Kapital soziale Anerkennung<br />

widerspiegelt, hat es eine wichtige Funktion bei der alltäglichen Legitimation<br />

gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse (Schwingel 1995: 89).<br />

Um die Position einer Person im sozialen Raum zu bestimmen, genügt es<br />

nun nicht, das Volumen, also die quantitative Menge des Kapitals insgesamt in<br />

den drei genannten Formen zu bestimmen. Eine Klasse ist laut Bourdieu nicht<br />

durch ein Merkmal, eine Summe oder eine Kette von Merkmalen definiert, sondern<br />

„durch die Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten Merkmalen“<br />

(Bourdieu 1997 (zuerst 1979): 182). Bedeutsam ist neben dem Kapitalvolumen<br />

als zweiter Faktor die Kapitalstruktur, das heißt das Verhältnis der<br />

Kapitalarten (insbesondere von ökonomischem <strong>und</strong> kulturellem Kapital). Überwiegt<br />

also etwa das kulturelle Kapital das ökonomische Kapital einer Person<br />

oder umgekehrt? Der erfolgreiche Profifußballer mit niedrigem Bildungsabschluss<br />

würde nach diesem zweiten Kriterium anders eingeordnet als die promovierte<br />

Historikerin, die in Teilzeitanstellung in einem Museum Ausstellungen<br />

organisiert, der Ingenieur (mit einem größeren Anteil an ökonomischem Kapital)<br />

anders als der Lehrer (mit einem größeren Anteil an kulturellem Kapital). Ein<br />

dritter Faktor kommt schließlich hinzu, bei der sozialen Laufbahn wird die<br />

Kombination der Kapitalarten im Zeitverlauf betrachtet. Handelt es sich z.B. bei<br />

einer Person um einen „Aufsteiger“ oder einen „Absteiger“ (unter anderem gibt<br />

es das „absteigende Kleinbürgertum“, s.u.) oder sind in einer Gruppierung heterogene<br />

Lebensverläufe typisch? Eder (1989) versucht, Bourdieus Modell (s.<br />

Diagramm 1997 (zuerst 1979): 212f.) auf deutsche Verhältnisse zu übertragen<br />

<strong>und</strong> trägt folgende Berufsgruppen in vier Felder ein, die sich (anhand einer Korrespondenzanalyse)<br />

ergeben, wenn das Kapitalvolumen die senkrechte Achse<br />

<strong>und</strong> die Kapitalstruktur die waagrechte Achse eines Koordinatensystems bilden.


128 6 Klassen <strong>und</strong> Lebensstile in einem Modell: Der soziale Raum bei Bourdieu<br />

Abbildung 19: Der Raum objektiver Klassenlagen in Deutschland<br />

Quelle: Eder 1989: 21<br />

Laut Bourdieu ergaben sich in der französischen Gesellschaft der sechziger Jahre<br />

anhand von Korrespondenzanalysen drei Hauptklassen (das Modell an sich beansprucht<br />

jedoch Gültigkeit für Klassengesellschaften allgemein):<br />

a. Die herrschende Klasse lässt sich in zwei Gruppen unterteilen, diejenigen,<br />

die über besonders hohes ökonomisches Kapital verfügen (z.B. Unternehmer<br />

aus der Handelsbranche) <strong>und</strong> solche mit hohem kulturellen Kapital<br />

(z.B. Künstler oder Hochschullehrer); dazwischen (der Anteil von ökonomischem<br />

<strong>und</strong> kulturellem Kapital ist ausgeglichener) finden sich freiberuflich<br />

Tätige (Bourdieu 1997 (zuerst 1979): Kap. 5, insbesondere Diagramm<br />

S. 409).<br />

b. Die Mittelklasse ist dreigeteilt in:<br />

� das absteigende Kleinbürgertum, z.B. Handwerker <strong>und</strong> kleine Händler:<br />

Sie sind durch objektive Merkmale sowie durch ihre Verhaltensweisen<br />

<strong>und</strong> Meinungen an eine überholte Vergangenheit geb<strong>und</strong>en; teilweise<br />

stammen sie selbst von kleinen Handwerkern <strong>und</strong> Händlern ab <strong>und</strong><br />

sind mangels ökonomischen <strong>und</strong> vor allem kulturellen Kapitals dazu<br />

verurteilt, in einer gefährdeten Branche, z.B. dem kleinen<br />

Lebensmittelhandel, zu bleiben (Bourdieu a.a.O.: 541-549);


6.2 Der Raum der Lebensstile 129<br />

� das exekutive Kleinbürgertum (ausführende berufliche Tätigkeiten,<br />

z.B. Büroangestellte, Volksschullehrer) (a.a.O.: 549-560);<br />

� <strong>und</strong> das neue Kleinbürgertum (Berufe in Branchen mit starkem<br />

Wachstum, unter anderem Verkaufs- <strong>und</strong> Vertreterberufe, Berater,<br />

Kulturverbreitung, z.B. Werbeagenten, Eheberater, Journalisten;<br />

heterogene Laufbahnen sind charakteristisch; a.a.O: 561-572).<br />

c. Die Volksklasse oder die Beherrschten, in der Arbeiter eingeordnet sind, im<br />

untersten Bereich etwa angelernte Arbeiter, Hilfsarbeiter <strong>und</strong> Landarbeiter.<br />

(a.a.O: 212f., Kap. 7).<br />

Diese Darstellung soll jedoch nicht den Eindruck einer statischen Perspektive<br />

vermitteln. Die Menschen im sozialen Raum sind<br />

„ausgehend von ihrer Stellung in ihm, in einen fortwährenden Kampf untereinander<br />

verwickelt – um die Veränderung dieses Raums. Der gesellschaftliche Raum ist –<br />

wie der geographische – im höchsten Maße determinierend; wenn ich sozial aufsteigen<br />

möchte, habe ich eine enorme Steigung vor mir, die ich nur mit äußerstem<br />

Kraftaufwand erklettern kann; einmal oben, wird mir die Plackerei auch anzusehen<br />

sein, <strong>und</strong> angesichts meiner Verkrampftheit wird es dann heißen: ‚Der ist doch nicht<br />

wirklich distinguiert!’ … Dieser Raum ist also von einer penetranten Realität <strong>und</strong><br />

wir kämpfen unablässig gegen ihn an … allerdings ist dieser Raum veränderbar.“<br />

(Bourdieu 1992a: 37).<br />

Wie sind die sozialen Positionen, die Klassen mit Lebensstilen verb<strong>und</strong>en? Darauf<br />

geht der nun folgende Abschnitt ein.<br />

6.2 Der Raum der Lebensstile<br />

In einer Radiosendung des ORF zum Werk Bourdieus (Titel: „Die verborgenen<br />

Mechanismen der Macht“ vom 24.10.1998) fragt sich der Sprecher, warum<br />

Pierre Bourdieus Buch „Die feinen Unterschiede“ von 1982 (französisch 1979:<br />

„La Distinction“) ein Bestseller werden konnte (<strong>und</strong> übrigens bei Kaesler/Vogt<br />

2000 zu den Hauptwerken der Soziologie zählt) trotz zahlreicher soziologischer<br />

Fachbegriffe, langer Sätze, einer verschlungenen Argumentation <strong>und</strong> nicht auf<br />

den ersten Blick völlig erschließbarer Darstellungen multivariater Analysen. Die<br />

Antwort lautet: Das Thema trifft den Nerv einer „abgeklärten Erlebnisgesellschaft“.<br />

Glaubte man bisher, der persönliche Geschmack sei ein Mittel gegen die<br />

bedrohte Einzigartigkeit des Individuums, dem allgemeinen Zwang zur Konformität<br />

erfolgreich abgerungen, so widerspricht Bourdieu hier ganz ausdrücklich:


130 6 Klassen <strong>und</strong> Lebensstile in einem Modell: Der soziale Raum bei Bourdieu<br />

Der Lebensstil ist gesellschaftlich geprägt durch die Klassenzugehörigkeit, man<br />

wählt ihn keinesfalls so frei, wie man es vielleicht angenommen hatte.<br />

Bourdieu verknüpft also sein Klassenmodell eng mit Lebensstilen, die Klassenzugehörigkeit<br />

drückt sich am ehesten in den verschiedenen Lebensstilen, also<br />

in einer typischen Handlungspraxis aus. Erst durch die Verbindung von den<br />

sozialen Positionen als Strukturebene mit der Praxisebene der Lebensstile ergibt<br />

sich dabei ein vollständiges Bild des sozialen Raums.<br />

Der Zusammenhang zwischen sozialer Position <strong>und</strong> Lebensstil ist aber weder<br />

deterministisch noch mechanisch. Wenn man beispielsweise feststellt, dass<br />

Menschen in Mittel- <strong>und</strong> Oberschichten mehr Reis essen als Menschen in Unterschichten,<br />

dann heißt das nicht, dass wirklich jede(r) Oberschichtsangehörige<br />

Reis vorzieht, sondern dass es typischerweise so ist. Zudem handelt es sich nicht<br />

nur um einzelne Praktiken wie „Reis essen“ (als Beispiel für Ernährungsgewohnheiten),<br />

sondern um Handlungsweisen, die oft subtiler sind <strong>und</strong> die man<br />

sich im Zuge der Sozialisation angeeignet hat, die dafür auch deutlicher die soziale<br />

Position, in den oberen Klassen die Abgrenzung nach „unten“ zum Ausdruck<br />

bringen. Dazu gehört etwa die Selbstgewissheit der oberen Klassen, die Spielregeln<br />

des Umgangs miteinander zu kennen, eine lässige Distanz zu Kultur <strong>und</strong><br />

Bildung, die die Mittelklassen nicht haben (diese nehmen etwa Bildung viel<br />

ernster). Das Beispiel deutet an, inwiefern der Zusammenhang zwischen sozialer<br />

Position <strong>und</strong> Lebensstil nicht mechanisch ist: Der Raum der sozialen Positionen<br />

<strong>und</strong> der Raum der Lebensstile sind durch den Habitus miteinander verknüpft, das<br />

Modell erhebt damit auch einen erklärenden Anspruch.<br />

Was ist mit dem Habitusbegriff gemeint? Der Habitus ist keinesfalls nur<br />

eine Gewohnheit, sondern eine allgemeine Gr<strong>und</strong>haltung gegenüber der Welt<br />

<strong>und</strong> meint bestimmte kollektive Wahrnehmungs-, Denk- <strong>und</strong> Handlungsschemata,<br />

die den Einzelnen nur zu einem kleinen Teil bewusst sind. In Bourdieus<br />

Worten:<br />

„Der Habitus ist Erzeugungsprinzip objektiv klassifizierbarer Formen von Praxis<br />

<strong>und</strong> Klassifikationssystem … dieser Formen. In der Beziehung dieser beiden den<br />

Habitus definierenden Leistungen: der Hervorbringung klassifizierbarer Praxisformen<br />

<strong>und</strong> Werke zum einen, der Unterscheidung <strong>und</strong> Bewertung der Formen <strong>und</strong><br />

Produkte (Geschmack) zum anderen, konstituiert sich die repräsentierte soziale<br />

Welt, mit anderen Worten der Raum der Lebensstile (Bourdieu 1997 (zuerst 1979):<br />

277f., Hervorhebungen im Original).<br />

Und an anderer Stelle heißt es in etwas einfacherer Formulierung:<br />

„Wer den Habitus einer Person kennt, der spürt oder weiß intuitiv, welches Verhalten<br />

dieser Person verwehrt ist. Mit anderen Worten: Der Habitus ist ein System von


6.2 Der Raum der Lebensstile 131<br />

Grenzen … Deshalb sind für ihn [jemanden mit einem kleinbürgerlichen Habitus,<br />

N.B.] bestimmte Dinge einfach <strong>und</strong>enkbar, unmöglich; es gibt Sachen, die ihn aufbringen<br />

oder schockieren. Aber innerhalb dieser seiner Grenzen ist er durchaus erfinderisch,<br />

sind seine Reaktionen keineswegs immer schon im Voraus bekannt“<br />

(1992a: 33). 24<br />

Abbildung 20: Der soziale Raum nach Bourdieu<br />

<strong>Soziale</strong> Position - Habitus - Lebensstil<br />

(Struktur) (Praxis)<br />

Herrschende Klasse � Legitimer Geschmack<br />

Mittelklasse, Klein- � Mittlerer / prätentiöser<br />

bürgertum Geschmack<br />

Volksklasse, beherrschte � Populärer/„Notwendig-<br />

Klasse keitsgeschmack“<br />

Den erklärenden Anspruch des Modells mit Hilfe des Habitus formuliert auch<br />

Eder:<br />

„Unterschichten essen mehr Kartoffeln, Mittelschichten <strong>und</strong> Oberschichten eher<br />

mehr Reis. Was hat man erklärt? Nichts, weil man nicht unterscheiden kann, was<br />

Reis Essen für unterschiedliche Schichten bedeutet.“ (Eder 1989: 26).<br />

Und etwas später resümiert er:<br />

„Es interessieren nicht die Meinungen, ihre Inhalte, sondern die Struktur, die der<br />

Selektion von möglichen Meinungen ... zugr<strong>und</strong>e liegt. Es geht darum, die<br />

kollektiven Erfahrungs- <strong>und</strong> Wahrnehmungsschemata zu identifizieren, die die<br />

klassenspezifische Reproduktion von Meinungen regulieren.“ (Eder 1989: 28,<br />

Hervorhebung i. O.).<br />

Wie sind soziale Positionen <strong>und</strong> Lebensstile konkret verb<strong>und</strong>en? Die genannte<br />

Studie „Die feinen Unterschiede“ gelangt auf der Basis von Interviews (die in<br />

den sechziger Jahren geführt wurden), Beobachtungen (z.B. der Wohnungseinrichtung<br />

<strong>und</strong> Kleidung der Befragten) sowie von Sek<strong>und</strong>äranalysen<br />

zusammengefasst zu folgenden Ergebnissen:<br />

Der „legitime Geschmack“ der oberen Klassen zeichnet sich durch Sinn für<br />

Distinktion <strong>und</strong> teilweise durch Vorliebe für Luxusartikel aus. Die Gruppe in-<br />

24 Vgl. zum Habitus auch Krais/Gebauer 2002 sowie Barlösius 2004: Kap. 5.2.


132 6 Klassen <strong>und</strong> Lebensstile in einem Modell: Der soziale Raum bei Bourdieu<br />

nerhalb der herrschenden Klasse mit einem hohen Anteil an ökonomischem<br />

Kapital (z.B. Unternehmer) zeigt z.B. eine Vorliebe für Boulevardtheater <strong>und</strong><br />

Varieté, Boutiquen, Luxuswagen, Aufenthalte in Drei-Sterne-Hotels in Badeorten<br />

etc. Diejenigen mit höherem kulturellem Kapital (z.B. Lehrer) dagegen<br />

bevorzugen im Theater klassische oder avantgardistische Stücke, außerdem Museen,<br />

klassische Musik, Flohmärkte <strong>und</strong> Wandern (1997 (zuerst 1979): 442). Die<br />

vergleichsweise geringeren ökonomischen Mittel lassen bei ihnen einen „asketischen<br />

Ästhetizitismus“ (a.a.O.: 449) entstehen. Den Bourgeois kennzeichnet<br />

insgesamt eine „Ungezwungenheit aus Vertrautheit“ im Umgang mit Kultur <strong>und</strong><br />

Bildung, die bereits in der familiären Erziehung entstanden ist (a.a.O: 121).<br />

Charakteristisch für den mittleren oder „prätentiösen Geschmack“ ist der<br />

Versuch, den oberen Klassen nachzueifern, unter anderem durch Bildungsbeflissenheit.<br />

Die Selbstsicherheit der oberen Klassen fehlt den Kleinbürgern dabei<br />

jedoch. Während nur die herrschende Klasse „ihre Lebensform zu einer Kunstform<br />

erheben“ kann, ist<br />

„der Eintritt des Kleinbürgers in dieses Spiel der Distinktion <strong>und</strong> Unterscheidung<br />

demgegenüber nicht zuletzt durch die Furcht gekennzeichnet, anhand von Kleidung<br />

oder Mobiliar … sichere Hinweise auf den eigenen Geschmack zu liefern <strong>und</strong> sich<br />

so deren Klassifizierung auszusetzen“ (a.a.O.: 107).<br />

Der (etwas gezwungene) Bildungseifer zeigt sich unter anderem in der Anhäufung<br />

von Zeugnissen „bedingungsloser kultureller Beflissenheit“ (a.a.O.: 503),<br />

wozu z.B. der Besuch „lehrreicher“ Aufführungen gehört. Bourdieu spricht sogar<br />

von „Ergebenheit“ gegenüber der Kultur (a.a.O.: 503). Kleinbürger sind typische<br />

Abnehmer von Massenkultur, die vergleichsweise leicht zugänglich ist, aber<br />

auch die äußeren Anzeichen der legitimen Kultur aufweist. Die einzelnen Varianten<br />

des kleinbürgerlichen Geschmacks (Bourdieu differenziert ein absteigendes,<br />

exekutives <strong>und</strong> neues Kleinbürgertum, s.o.) können hier nicht ausführlich<br />

beschrieben werden (a.a.O.: Kap. 6), als Beispiele seien nur genannt: Das absteigende<br />

Kleinbürgertum bevorzugt eine ordentliche <strong>und</strong> pflegeleichte Wohnungseinrichtung,<br />

in der Musik „die deklassierten Stücke der bürgerlichen Kultur“<br />

(a.a.O.: 541), z.B. „An der schönen blauen Donau“. Das exekutive Kleinbürgertum<br />

kennzeichnet der Bildungseifer in besonderem Maße. Seine Angehörigen<br />

kaufen ihre Möbel in Kaufhäusern <strong>und</strong> interessieren sich des Öfteren für Fotografie<br />

<strong>und</strong> Filme. Eine phantasiereiche Wohnungseinrichtung <strong>und</strong> schicke Kleidung<br />

sind für das neue Kleinbürgertum (<strong>und</strong> zwar eher in Paris als in der Provinz)<br />

typisch.<br />

Der populäre oder „Notwendigkeitsgeschmack“ der unteren Klassen<br />

schließlich orientiert sich am Praktischen. Dabei ist immer zu berücksichtigen,<br />

dass es Bourdieu nicht etwa darum geht, eine angeborene Unfähigkeit z.B. zu


6.2 Der Raum der Lebensstile 133<br />

einer ästhetischen Wahrnehmung festzustellen, sondern die distinktiven Strategien<br />

der höheren Klassen zu betonen, die die Macht haben, ihren Geschmack als<br />

den legitimen zu definieren <strong>und</strong> gegen einen allgemeinen Zugang zu verteidigen.<br />

Schaffen es bereits die Kleinbürger bei allem Eifer nicht, die lässige Selbstsicherheit<br />

der herrschenden Klasse zu erreichen, fehlt es der Volksklasse noch<br />

stärker an materiellem <strong>und</strong> kulturellem Kapital. Sie passt sich an den Mangel an.<br />

Beispielsweise geben Arbeiter häufiger als alle anderen Klassen an, dass sie eine<br />

pflegeleichte Wohnungseinrichtung <strong>und</strong> preiswerte Kleidung (die nicht ausgefallen,<br />

dafür haltbar sein soll) bevorzugen (a.a.O.: 592f.).<br />

„Aus den Gr<strong>und</strong>einstellungen des Habitus geht die Anpassung an die objektiven<br />

Möglichkeiten hervor, die zu all den realistischen Entscheidungen führt, die, den<br />

Verzicht auf ohnehin unzugängliche symbolische Gewinne voraussetzend, Verhalten<br />

<strong>und</strong> Objekte auf ihre technische Funktion reduzieren: ‚sauberer’ Haarschnitt, ‚nettes<br />

einfaches Kleid’, ‚stabile’ Möbel usw.“ (a.a.O.: 594).<br />

Am Beispiel des Nahrungsmittelkonsums veranschaulicht die folgende Abbildung<br />

nochmals die Geschmacksrichtungen der verschiedenen sozialen Positionen:<br />

Abbildung 21: Die Verteilung des Nahrungsmittelkonsums im sozialen Raum<br />

nach Bourdieu<br />

Quelle: Bourdieu 1997 [1979]: 306


134 6 Klassen <strong>und</strong> Lebensstile in einem Modell: Der soziale Raum bei Bourdieu<br />

Wenngleich „die feinen Unterschiede“ eine wichtige Untersuchung im Rahmen<br />

eines theoretischen Zugangs zu sozialer <strong>Ungleichheit</strong> bei Bourdieu markieren,<br />

gibt es natürlich auch in seinen anderen Schriften Beiträge zum Thema, die sich<br />

gegenseitig ergänzen. Als Beispiel einer etwas jüngeren Studie dient an dieser<br />

Stelle „La misère du monde“ von 1993 (deutsch: Das Elend der Welt, 1997) von<br />

Bourdieu <strong>und</strong> Mitarbeitern. Im Zentrum stehen Passagen aus offenen Interviews<br />

mit Befragten, die deren Perspektive ihrer „Misere“ (der Begriff ist weniger eng<br />

als die Übersetzung) in den Vordergr<strong>und</strong> stellen. Es gibt keine übergreifende<br />

theoretische Interpretation, sondern knappe Zusammenfassungen <strong>und</strong> Kommentare.<br />

Dennoch ist der soziologische Anteil nicht zu verkennen, nicht allein z.B.<br />

durch die Auswahl der Interviews, sondern etwa auch durch Wechselbezüge zu<br />

theoretischen Konzepten Bourdieus (dies betont auch Schultheis 1997: 833). In<br />

durchaus politischer Positionierung wendet sich Bourdieu gegen (unter anderem<br />

durch neoliberalistische Strömungen Anfang der achtziger Jahre entstandene)<br />

Miseren, z.B. von Arbeitslosen oder (mittelbar leidenden) Sozialarbeitern.<br />

Wichtig im ungleichheitstheoretischen Zusammenhang ist auch hier: Das Elend<br />

der sozialen Stellung leitet sich nicht allein aus objektiven Bedingungen her,<br />

sondern aus subjektiven Wahrnehmungen <strong>und</strong> Bewertungen. Der Habitus betont<br />

hier nicht in erster Linie die Verknüpfung von Positionen <strong>und</strong> Lebensstilen, sondern<br />

von Positionen <strong>und</strong> subjektiven Perspektiven. Barlösius unterstreicht die im<br />

Gegensatz zu den „feinen Unterschieden“ andere erklärende Herangehensweise:<br />

„Während er [Bourdieu, N.B.] in ‚La Distinction’ die Wechselwirkung zwischen<br />

beiden Räumen [Sichtweisen <strong>und</strong> Positionen, N.B.] im Wesentlichen von den Positionen<br />

her reproduziert, geht er in der späteren Studie umgekehrt vor: Er reproduziert<br />

die Sichtweisen <strong>und</strong> Standpunkte, um von diesen aus die Spezifika der distinktiven<br />

Habitus zu rekonstruieren“ (1995: 6).<br />

Schultheis <strong>und</strong> Schulz haben 2005 – ebenfalls mit dem dezidierten Anspruch<br />

einer Gesellschaftsdiagnose – eine Replikationsstudie für Deutschland unter dem<br />

Titel „Gesellschaft mit begrenzter Haftung“ herausgegeben, die ähnlich wie das<br />

„Elend der Welt“ im Kern aus Interviews besteht, unter anderem mit Betroffenen<br />

einer „brüchigen Arbeitswelt“ oder mit Menschen „jenseits der Mitte“ hinsichtlich<br />

ethnischer, regionaler oder sozialer Merkmale. Letztlich sind die makrotheoretischen<br />

Bezüge hier allerdings größtenteils recht implizit.<br />

6.3 Einordnung <strong>und</strong> Kritik<br />

Inwiefern ist Bourdieus Ansatz ein Klassenmodell in der Tradition von Marx <strong>und</strong><br />

Weber, inwiefern gibt es charakteristische Unterschiede, die Müller im positiven


6.3 Einordnung <strong>und</strong> Kritik 135<br />

Sinne für eine radikale Revision der „Marx-Weberschen Melange“ hält (1994:<br />

127)?<br />

� Das verfügbare Kapital spielt für die Klassenzugehörigkeit eine große Rolle<br />

(so auch in anderen Klassenmodellen), dabei ist das ökonomische Kapital<br />

von Bedeutung, darüber hinaus jedoch auch andere Kapitalarten: das kulturelle<br />

<strong>und</strong> das soziale Kapital. Eine Erweiterung erfährt die Konstitution von<br />

Klassen auch dadurch, dass die soziale Position nicht allein ein Resultat aus<br />

der Summe der Kapitalien ist (das wäre einem Schichtmodell ähnlich), sondern<br />

auch ihre Struktur <strong>und</strong> soziale Laufbahnen sind relevant. Empirisch<br />

lassen sich nach diesen Prinzipien drei nochmals in sich differenzierte Klassen<br />

identifizieren.<br />

� Der soziale Raum umfasst nicht allein die sozialen Positionen, sondern auch<br />

– vermittelt durch den Habitus – Lebensstile. Das Konzept integriert auf<br />

diese Weise kulturelle Momente der Lebensführung (bei Weber bereits angedeutet<br />

durch den „Stand“), ohne dass Bourdieu die ungleichen Lebenschancen<br />

aus dem Auge verliert. Eder spricht in diesem Zusammenhang von<br />

der „kulturtheoretischen Wendung“ der Klassenanalyse (1989: 15). Verschiedentlich<br />

weisen Autoren darauf hin, dass Bourdieu damit implizit auch<br />

die Konzepte von Geiger (Schichtmentalitäten, vgl. Kap 2.3) oder Veblen<br />

(der sich mit dem Stil der „feinen Leute“ beschäftigte; s. den Hinweis in<br />

Kap. 5.1) weiter führt. Klassen <strong>und</strong> Lebensstile sind in einem Ansatz eng<br />

verknüpft.<br />

� Von den sozialen Positionen kann man aufgr<strong>und</strong> eines klassenspezifischen<br />

Habitus einen Zusammenhang zu den Lebensstilen, also zu Handlungspraktiken<br />

herstellen. Auch bei Bourdieu hat somit die Klassenzugehörigkeit<br />

Auswirkungen auf andere Lebensbereiche. Der Zusammenhang ist allerdings<br />

nicht deterministisch zu verstehen. Ferner ergibt sich dadurch, dass<br />

der Habitus keineswegs vollständig bewusst ist, aus der Klassenlage nicht<br />

automatisch ein Klassenbewusstsein oder gar ein revolutionäres Potential<br />

(Eder spricht von einem „kollektiven Klassenunbewusstsein“, 1989: 17).<br />

Bourdieu bezeichnet es explizit als Fehler (etwa von Marx), „Klassen auf<br />

dem Papier“ als reale Klassen zu behandeln, also von einer objektiven Homogenität<br />

der Bedingungen auf eine vereinigte Gruppe zu schließen<br />

(1992b: 141).<br />

� Den Relationen zwischen den Klassen trägt Bourdieu Rechnung, indem er<br />

beispielsweise Distinktionsstrategien der herrschenden Klasse oder die Aufstiegsbestrebungen<br />

der Kleinbürger herausarbeitet. Es handelt sich dabei<br />

weniger um einen offenen Kampf, eine größere Rolle spielen subtile Strate-


136 6 Klassen <strong>und</strong> Lebensstile in einem Modell: Der soziale Raum bei Bourdieu<br />

gien, z.B. der Machterhaltung. Zu einem ökonomischen Klassenkonflikt tritt<br />

somit verstärkt ein symbolischer um Werte <strong>und</strong> legitime Standards.<br />

� Wie in anderen Klassenmodellen ist es auch für Bourdieu wichtig, Ursachen<br />

<strong>und</strong> Prozesse sozialer <strong>Ungleichheit</strong> zu analysieren.<br />

Am Schluss dieses Abschnitts sollen nun noch einige kritische Fragen an Bourdieus<br />

Modell genannt werden:<br />

� Ist das Modell auf andere Gesellschaften als Frankreich zu anderen Zeitpunkten<br />

als für die sechziger/siebziger Jahre übertragbar? Blasius <strong>und</strong><br />

Winkler (1989) finden beispielsweise in einer Überprüfung für Deutschland<br />

Bestätigungen („grobe Unterschiede“ zwischen den Klassen), aber auch Ergebnisse,<br />

die Fragen aufwerfen. So äußern sie methodische Kritik am Vorgehen<br />

bei der Korrespondenzanalyse, bezweifeln Unterschiede einzelner<br />

Gruppen innerhalb der Klassen <strong>und</strong> machen nicht berufstätige Gruppen,<br />

z.B. von Hausfrauen, aus, die Bourdieu nicht berücksichtigt habe.<br />

� Ist das Modell nicht letztlich doch, trotz des Verbindungsgliedes des Habitus,<br />

deterministisch angelegt, wobei insbesondere die ökonomischen Faktoren<br />

als prägend gelten? Hradil z.B. schreibt: „Für Pierre Bourdieu sind es<br />

die homogenen Lebensbedingungen einer sozialen Klasse, welche wiederum<br />

zu ‚homogenen Konditionierungen <strong>und</strong> Anpassungsprozessen’ führen<br />

<strong>und</strong> so die Handlungsdisposition ‚Habitus’ hervorbringen. Bourdieu<br />

verfolgt somit, trotz seiner unkonventionellen Wortwahl, die ganz konventionellen<br />

deterministischen Vorstellungen, die in der Klassentheorie schon<br />

immer ... vorherrschen“ (Hradil 1987: 164). Honneth kritisiert ebenfalls den<br />

„utilitaristischen Rahmen“ (1984: 162) Bourdieus als zu eng: „Die ökonomischen<br />

Zentralbegriffe ... zwingen ihn, alle Formen sozialer Auseinandersetzungen<br />

nach dem Typus von Verteilungskämpfen zu begreifen, obwohl<br />

doch der Kampf um die soziale Geltung von Moralmodellen ganz offensichtlich<br />

einer anderen Logik gehorcht.“ (a.a.O.: 161). A. Weiß stellt in<br />

Frage, warum heterogene soziale <strong>Ungleichheit</strong>en in eine einheitliche<br />

Struktur des sozialen Raums münden sollten (2004: 217).<br />

� Berücksichtigt das Modell sozialen Wandel in ausreichendem Maße? Einerseits<br />

gibt es ja beispielsweise den Aspekt der sozialen Laufbahnen. Andererseits<br />

schließt das Konzept zwar nicht aus, dass sich der Habitus wandeln<br />

kann (insbesondere in differenzierten, modernen Gesellschaften), doch<br />

schließt er auch Momente der Stabilität <strong>und</strong> Trägheit ein, ein Habitus ändert<br />

sich gerade nicht von heute auf morgen gr<strong>und</strong>legend. Wie kann das Modell<br />

dann den Wandel genau erklären? (vgl. dazu auch den Abschnitt zu Bourdieu<br />

in Kap. 9)


6.3 Einordnung <strong>und</strong> Kritik 137<br />

� H.-P. Müller weist auf einige Unklarheiten des Modells <strong>und</strong> weitere Kritikpunkte<br />

hin, z.B. sei der Zusammenhang zwischen Klassen <strong>und</strong> Berufsgruppen<br />

recht locker ohne nähere Begründungen (ist z.B. der Habitus klassen-,<br />

klassenfraktions- oder berufsgruppenspezifisch?). Bourdieu nennt die Bedeutung<br />

der Familie, ohne in der Konsequenz Sozialisationsprozesse genauer<br />

zu untersuchen. Weil zumindest „Die feinen Unterschiede“ wenig auf<br />

qualitativem Material beruhen, erfährt man in dieser Untersuchung wenig<br />

über die Gebrauchsweisen der Kultur. Funktionieren kulturelles <strong>und</strong> soziales<br />

Kapital nach der Logik des ökonomischen Kapitals oder gibt es nicht<br />

doch größere Wesensunterschiede? etc. (Müller 1992: 342-351).<br />

Obwohl einige Kritikpunkte hier lediglich angedeutet werden konnten, wird<br />

doch deutlich, dass andere Autoren Bourdieus Konzept durchaus ernst nehmen<br />

<strong>und</strong> Anregungen kritisch aufnehmen. Ein wichtiger Anwendungsbereich ist die<br />

Analyse in Deutschland nach wie vor ausgeprägter Bildungsungleichheiten (vgl.<br />

z.B. Becker/Lauterbach 2010), für die etwa die Konzepte der differenzierten<br />

Kapitalarten <strong>und</strong> des Habitus genutzt werden (vgl. z.B. Engler/Krais 2004,<br />

Georg 2006, Kramer/Helsper 2010, Schmitt 2010).<br />

Lesehinweise:<br />

� Bourdieu, Pierre (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales<br />

Kapital; in: Kreckel, Reinhard (Hg.): <strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong>en, <strong>Soziale</strong><br />

Welt Sonderband 2, Göttingen: Schwartz, S. 183-198<br />

� Bourdieu, Pierre (1982): Die feinen Unterschiede, Frankfurt am Main:<br />

Suhrkamp, 9. Auflage 1997 (frz. 1979), Kap. 5-7<br />

� Sprachlich etwas einfacher: Bourdieu, Pierre (1992a): Die verborgenen<br />

Mechanismen der Macht, hg. von Margareta Steinrücke, Hamburg: VSA<br />

(Taschenbuchausgabe 2005)<br />

� Als Sek<strong>und</strong>ärliteratur siehe die Hinweise in Fußnote 23 sowie als<br />

Hintergr<strong>und</strong>information auch die DVD „Soziologie ist ein Kampfsport.<br />

Pierre Bourdieu im Porträt“ von Pierre Carles, filmedition suhrkamp, Frankfurt<br />

am Main: Suhrkamp 2008


7.1 <strong>Soziale</strong> Lagen als <strong>Ungleichheit</strong>skonzept 139<br />

7 <strong>Soziale</strong> Lagen<br />

7.1 <strong>Soziale</strong> Lagen als <strong>Ungleichheit</strong>skonzept<br />

Das Konzept sozialer Lagen hat das Ziel, alternativ zu Klassen <strong>und</strong> Schichten ein<br />

Modell zu entwickeln, das mehr Dimensionen der sozialen <strong>Ungleichheit</strong> erfasst<br />

<strong>und</strong> das damit für alle (erwachsenen) Gesellschaftsmitglieder alle relevanten<br />

Merkmale berücksichtigen kann. Es soll auf diese Weise die Berufszentriertheit,<br />

die z.B. auch erweiterten Schichtmodellen noch als verengte Sichtweise vorgeworfen<br />

wird, überwinden. Hradil definiert „soziale Lagen“ allgemein wie folgt:<br />

Es sind „typische Kontexte von Handlungsbedingungen, die vergleichsweise<br />

gute oder schlechte Chancen zur Befriedigung allgemein anerkannter Bedürfnisse<br />

gewähren“ (1987: 153). Charakteristische Merkmale eines Lagemodells<br />

sind:<br />

� Es ist mehrdimensional. Als Oberdimensionen schließt es neben ökonomischen<br />

<strong>Ungleichheit</strong>en z.B. auch wohlfahrtsstaatlich erzeugte (z.B. soziale<br />

Absicherung, Arbeits- <strong>und</strong> Freizeitbedingungen) <strong>und</strong> soziale <strong>Ungleichheit</strong>en<br />

(z.B. soziale Beziehungen, Privilegien/Diskriminierungen) mit ein. Hradil<br />

erläutert: „So mag beispielsweise die Lebenslage eines Menschen durch geringe<br />

Einkünfte, viel Freizeit, eine billige, ges<strong>und</strong>heitlich <strong>und</strong> ökologisch<br />

gut gelegene Wohnung, hohe Integration in die Gemeinde, schlechte Arbeitsbedingungen<br />

im Schichtdienst <strong>und</strong> geringe Qualifikation gekennzeichnet<br />

sein.“ (1999: 40). Statusinkonsistenzen können Forscher auf diese<br />

Weise berücksichtigen.<br />

� Die Dimensionen sind nicht additiv miteinander verb<strong>und</strong>en. Hradil unterscheidet<br />

zwischen primären oder dominierenden Ressourcen (wenn jemand<br />

z.B. sehr viel oder sehr wenig Geld zur Verfügung hat, ist dies ein wichtiger<br />

Hinweis auf die Dominanz dieses Merkmals) <strong>und</strong> weniger wichtigen Dimensionen<br />

für jeweils bestimmte Lagen. In einer Lage könnte also das Geld<br />

primäre Ressource sein, in einer anderen dagegen die formale Bildung (die<br />

„dominante“ Ressource erinnert an T. Geigers dominantes Schichtungsprinzip,<br />

das anstatt für eine Epoche nun jeweils für eine soziale Lage angewandt<br />

wird). Der Ansatz will Kontexteffekte <strong>und</strong> Kompensationsmöglichkeiten<br />

von Dimensionen untereinander durch diese nicht additive Verknüpfung der<br />

N. Burzan, <strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong>, DOI 10.1007/978-3-531-93154-8_7,<br />

© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011


140 7 <strong>Soziale</strong> Lagen<br />

Dimensionen berücksichtigen. Schwenk (1999) hält es in einer empirischen<br />

Umsetzung für schwierig, Gewichtungen einzelner Merkmale im Vorhinein<br />

festzulegen. Er will daher die Dimensionen vorläufig gleichgewichtig behandeln,<br />

eine spätere Untersuchung von Lage-Konstellationen kann dann<br />

gegebenenfalls die Dominanz bestimmter Lebensbedingungen herausstellen<br />

(1999: 92f.). Das Ziel, charakteristische Lage-Profile mit lebensweltlicher<br />

Nähe zu entwickeln, behält er bei.<br />

� Lagen bilden in erster Linie die „objektiven“ Lebensbedingungen ab. Wie<br />

die Menschen die ungleichen Lebensbedingungen wahrnehmen <strong>und</strong> in einer<br />

konkreten Handlungspraxis mit ihnen umgehen, müsste ein weiterer Untersuchungsschritt<br />

klären (Hradil schlägt beispielsweise vor, die Lagen mit<br />

Milieus zu verknüpfen, welche als Filter oder Verstärker der ungleichen<br />

Lebensbedingungen wirken können; 1987: Kap. 4.3). Während etwa die<br />

Lebensstilforschung einen Schwerpunkt auf die Handlungspraxis legt <strong>und</strong><br />

oft auf dieser Basis gebildete Typen auf mögliche Einflussfaktoren prüft,<br />

setzen die sozialen Lagen auf der „anderen“ Seite an. Eine sorgfältige Beschreibung<br />

der komplexen Lebenslage ist danach für weitere Forschungen<br />

nützlicher als ein Arbeiten mit einzelnen Merkmalen (z.B. Bildungsabschluss)<br />

oder sozialen Schichten (so auch B. Geissler 1994).<br />

� Aus der Konstruktion der Lagen ergibt sich, dass diese nicht notwendig<br />

hierarchisch übereinander angeordnet sein müssen. Zwar geben die Vertreter<br />

die Vorstellung eines Strukturmodells nicht auf, es lassen sich etwa eindeutig<br />

vorteilhafte bzw. nachteilige Lebensbedingungen identifizieren. 25<br />

Von einer strikt vertikalen Anordnung gehen sie jedoch nicht aus.<br />

Obwohl Hradil den Begriff der sozialen Lage nicht „erf<strong>und</strong>en“ hat (z.B. gibt es<br />

ihn schon bei F. Engels, M. Weber <strong>und</strong> in einem sozialpolitischen Kontext bei G.<br />

Weisser <strong>und</strong> O. Neurath; s. Hradil 1999: 40; Schwenk 1999: Kap. II.1), hat er ihn<br />

innerhalb neuerer Konzepte zur sozialen <strong>Ungleichheit</strong> vor allem durch seine<br />

Veröffentlichung von 1987: „Sozialstrukturanalyse in einer fortgeschrittenen<br />

Gesellschaft. Von Klassen <strong>und</strong> Schichten zu Lagen <strong>und</strong> Milieus“ bekannt gemacht.<br />

Der Gedanke der Mehrdimensionalität (hier insbesondere auf der Strukturebene)<br />

ist dabei charakteristisch, aber ebenfalls nicht neu, wenn man sich die<br />

vorigen Kapitel in Erinnerung ruft (z.B. Weber, Geiger, Lenski; bei den neueren<br />

Ansätzen z.B. Bourdieu). Bereits die früheren Autoren standen vor der Schwierigkeit,<br />

die vielfältigen Dimensionen in ein (noch übersichtliches) Strukturmodell<br />

sozialer <strong>Ungleichheit</strong> umzusetzen. Hradil konkretisiert seine Überlegungen<br />

25 Letzteres Phänomen (wenn also nachteilige Lebensbedingungen kumulieren) beschreiben andere<br />

Autoren (unter anderem in der Armutsforschung) auch mit dem Begriff der „Exklusion“ (vgl. Kap.<br />

7.2 in diesem Buch; Kronauer 2010).


7.1 <strong>Soziale</strong> Lagen als <strong>Ungleichheit</strong>skonzept 141<br />

in einem Modell sozialer Lagen mit primären <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>ären Dimensionen. Die<br />

Lagebezeichnungen rücken dabei die Stellung im oder zum Erwerbsleben<br />

weiterhin in den Vordergr<strong>und</strong> (Abbildung 22).<br />

Abbildung 22: <strong>Soziale</strong> Lagen nach Hradil<br />

Ungleiche Lebensbedingungen <strong>und</strong> ihre Ausprägungen<br />

Name der Lage<br />

Primäre<br />

Dimensionen<br />

Sek<strong>und</strong>äre Dimensionen<br />

Macht-Elite Formale Macht 1 Geld 1-2, Formale Bildung 1-2, Prestige 1-2<br />

Reiche Geld 1 Formale Bildung 1-3, Prestige 1-2, Formale Macht 1-3<br />

Bildungselite Formale Bildung 1 Geld 2-3, Prestige 1-2, Formale Macht 2-3<br />

Manager Formale Macht 2<br />

Geld 1-2, Formale Bildung 1-2, Prestige 2, Arbeitsbedingungen<br />

2-4, Freizeitbedingungen 3-4<br />

Experten<br />

Geld 1-3, Prestige 2-3, Formale Macht 2-4, Arbeits-<br />

Formale Bildung 2<br />

bedingungen 2-4, Freizeitbedingungen 2-4<br />

Studenten<br />

Geld 3-5, Arbeitsbedingungen 1-3, Freizeitbedin-<br />

Formale Bildung 3<br />

gungen 1-3<br />

„Normalverdiener“<br />

mit geringen Risiken<br />

„Normalverdiener“<br />

mit mittleren<br />

Risiken<br />

„Normalverdiener“<br />

mit hohen Risiken<br />

Rentner<br />

Arbeitslose<br />

(langfristig)<br />

Arme<br />

(keine<br />

Erwerbspersonen)<br />

Randgruppen<br />

Geld 3-4<br />

Risiken 1-2<br />

Geld 3-4<br />

Risiken 3-4<br />

Geld 3-4<br />

Risiken 5-6<br />

Geld 2-4<br />

<strong>Soziale</strong> Rollen 5-6<br />

Geld 4-5<br />

Risiken 5-6<br />

Geld 6<br />

Diskriminierung 5-<br />

6<br />

Formale Bildung 3-4, Prestige 3-4, Formale Macht 3-4,<br />

Arbeitsbedingungen 1-3, Freizeitbedingungen 1-2,<br />

Wohnbedingungen 2-3<br />

Formale Bildung 3-4, Prestige 3-4, Formale Macht 3-4,<br />

Arbeitsbedingungen 2-4, Freizeitbedingungen 2-4,<br />

Wohnbedingungen 2-4, <strong>Soziale</strong> Absicherung 2-4<br />

Formale Bildung 4-5, Prestige 4-5, Formale Macht 4-5,<br />

Arbeitsbedingungen 3-5, Freizeitbedingungen 2-4,<br />

Wohnbedingungen 3-4, <strong>Soziale</strong> Absicherung 3-5<br />

Prestige 4, <strong>Soziale</strong> Absicherung 3-5, Freizeitbedingungen<br />

3-4, Wohnbedingungen 2-5, Demokratische Institutionen<br />

4-5, <strong>Soziale</strong> Beziehungen 3-5<br />

Formale Bildung 4-5, Prestige 4-5, <strong>Soziale</strong> Absicherung<br />

4, Wohnbedingungen 2-5, Demokratische Institutionen<br />

4-5, <strong>Soziale</strong> Beziehungen 3-5, <strong>Soziale</strong> Rollen 4-<br />

5<br />

Prestige 5, <strong>Soziale</strong> Absicherung 4-5, Freizeitbeziehungen<br />

3-5, Wohnbedingungen 4-5, Demokratische Institutionen<br />

4-5, <strong>Soziale</strong> Beziehungen 3-5<br />

Geld 3-5, Formale Bildung 4-5, <strong>Soziale</strong> Absicherung 3-<br />

5, Wohnbedingungen 3-6, Demokratische Institutionen<br />

4-6, <strong>Soziale</strong> Rollen 4-6<br />

Quelle: Hradil 1987 bzw. Schwenk 1999: 82. Die Ausprägungen der Dimensionen reichen<br />

von 1=sehr gut bis 6=sehr schlecht.


142 7 <strong>Soziale</strong> Lagen<br />

Schwenk hat eine systematische <strong>und</strong> umfassende empirische Anwendung des<br />

Modells von Hradil zum Ziel (1999: 87). Er zieht in einer Sek<strong>und</strong>äranalyse<br />

sieben Merkmale (die jeweils einen Index aus mehreren Variablen darstellen) für<br />

eine Clusteranalyse sozialer Lagen heran (zu seinen Methoden im Einzelnen<br />

Schwenk 1999: III 1.3). Für die sozialen Lagen ergeben sich typische Profile.<br />

Beispielsweise bildet „W6“ eine Lage mit meist unterdurchschnittlichen<br />

Ausprägungen der Merkmale, z.B. bei der Bildung, dem Einkommen <strong>und</strong><br />

insbesondere bei der Wohnungsausstattung. Diese Lage umfasst oft ältere Nicht-<br />

Erwerbstätige oder Arbeiter, häufig Frauen mit geringer Bildung, die in<br />

großstädtischen Gebieten leben, schlecht sozial eingeb<strong>und</strong>en, häufig katholisch<br />

sind, selten SPD wählen <strong>und</strong> insgesamt eine benachteiligte soziale Lage bilden<br />

(1999: 154f.).<br />

Abbildung 23: Profil einer sozialen Lage nach Schwenk<br />

Quelle: Schwenk 1999: 154<br />

Auf bestimmte andere (soziodemographische) Merkmale wie Alter, Geschlecht<br />

oder Erwerbstätigkeit untersucht allerdings auch Schwenk die soziale Lage erst<br />

im Nachhinein. Eine andere Abweichung gegenüber dem abstrakten Modell<br />

besteht darin, dass nicht allein „objektive“ Merkmale in die Konstruktion der<br />

Lagen eingehen. So gehört zum Merkmal „Anomie“ auch die Einschätzung, ob<br />

man sich oft einsam fühle (Schwenk 1999: 107). Daraus lässt sich schließen,<br />

dass Lagemodelle zwar komplexer <strong>und</strong> weniger auf Berufstätigkeit konzentriert


7.1 <strong>Soziale</strong> Lagen als <strong>Ungleichheit</strong>skonzept 143<br />

sind als Schichtmodelle, dass man sie im Einzelnen auf ihre Konsequenz im<br />

Hinblick auf ihre Ansprüche jedoch jeweils überprüfen sollte.<br />

Schwenk fasst die Lagen (neun für Ost- <strong>und</strong> zehn für Westdeutschland)<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer Komplexität nicht zu einem einzigen <strong>Ungleichheit</strong>smodell für<br />

Deutschland zusammen; er unterscheidet vorteilhafte, nachteilige <strong>und</strong> kombinierte<br />

Lebensbedingungen. Solch eine Struktur dient damit eher als Basis für weitere<br />

Analysen, z.B. für die Gegenüberstellung von sozialen Lagen <strong>und</strong> Lebensstilen<br />

oder Milieus (diese müsste man dann allerdings – so ist zu ergänzen –<br />

trennscharf von den sozialen Lagen abgegrenzt konstruieren).<br />

Den Begriff der sozialen Lagen verwenden außerdem etwa auch Habich/Noll<br />

(2008). Sie verstehen soziale Lagen in einem weiteren Sinne als Schichten oder<br />

Klassen, insofern sie<br />

„weitere <strong>Ungleichheit</strong>sdimensionen [umfassen], darunter auch so genannte neue soziale<br />

<strong>Ungleichheit</strong>en, die alte <strong>Ungleichheit</strong>en überlagern, verstärken oder abschwächen<br />

können. Daher werden neben objektiven Merkmalen der Benachteiligung zum<br />

Teil auch subjektive Merkmale betrachtet“ (Habich/Noll 2008: 173).<br />

Unter anderem wird nach dem Erwerbsstatus (inklusive einiger nicht<br />

erwerbstätiger Gruppen, z.B. Rentner), dem Geschlecht, der Region (Ost-/Westdeutschland)<br />

<strong>und</strong> dem Alter differenziert (Abbildung 24). 26<br />

26 Vgl. zur begrifflichen Abgrenzung der Lagemodelle von Hradil bzw. Schwenk einerseits <strong>und</strong><br />

Habich/Noll andererseits Hradil 1999: 367-369, Schwenk 1999: 47-50, 59.


144 7 <strong>Soziale</strong> Lagen<br />

Abbildung 24: <strong>Soziale</strong> Lagen in West- <strong>und</strong> Ostdeutschland 2006, in %<br />

Quelle: Habich/Noll 2008: 174<br />

Kritisch lassen sich, ohne auf die Details der Modelle einzugehen, an dieser<br />

Stelle zwei Punkte anführen: Zum einen verweist z.B. H.-P. Müller darauf, dass<br />

Hradils Modell sozialer Lagen für eine einfühlsame Deskription von empirischen<br />

Lebensverhältnissen gut geeignet sein möge, jedoch keinen Erklärungsbeitrag<br />

leiste, also z.B. nichts darüber aussage, wie Lagen mit Milieus verknüpft sind<br />

(Müller 1992: 48). Geißler formuliert noch schärfer, dass die Milieus frei über<br />

den Lagen schwebten <strong>und</strong> Hradil den Zusammenhang zwischen Struktur- <strong>und</strong><br />

Handlungsebene nicht herstelle (1998: 222). Hradil sieht dagegen den<br />

deskriptiven Anspruch nicht einseitig als Nachteil. Um die Vielfalt der<br />

Bestimmungsgründe sozialer <strong>Ungleichheit</strong> zu erfassen, komme den<br />

beschreibenden Modellen „logische <strong>und</strong> zeitliche“ Priorität zu (1987: 71).<br />

Ebenso ist Noll der Ansicht, dass verallgemeinernde Aussagen über die<br />

gegenwärtige Struktur sozialer <strong>Ungleichheit</strong> nicht angemessen sind, sondern dass<br />

detaillierte komparative Studien unter der Berücksichtigung mehrerer Staaten<br />

benötigt werden (Noll 2001: 426). Als einen zweiten kritischen Punkt gegen<br />

(Hradils) Lagemodell sieht Müller, dass sich gerade die nichts ausschließende<br />

Komplexität empirisch schwer umsetzen lasse (1992: 48). Schwenks Arbeit ist<br />

ein Versuch, dieses mögliche Manko zu widerlegen, doch zeigt sich an seiner<br />

Umsetzung des Konzepts, dass er empirisch einige Eingrenzungen machen<br />

musste. Beispielsweise konnte er keine primären Ressourcen oder andere


7.1 <strong>Soziale</strong> Lagen als <strong>Ungleichheit</strong>skonzept 145<br />

systematische Gewichtungen festlegen. Auch muss man eine Auswahl<br />

konstituierender Merkmale treffen (z.B. berücksichtigt Schwenk – dies übrigens<br />

im Unterschied zu Geißlers Schichtmodell (Kap. 4.1) – die Nationalität nicht als<br />

Merkmal). Der Unterschied, den Hradil zwischen Lagemodellen macht, die die<br />

unmittelbar erfahrbaren Lebensbedingungen eines Menschen erfassen <strong>und</strong><br />

solchen (z.B. vom WZB), die Bestimmungsgründe von Lebensbedingungen<br />

festlegten, von denen man nur mittelbar auf die Lebensbedingungen schließen<br />

könne (1999: 368f.), wird in einer konkreten Umsetzung dann schnell relativ.<br />

Zum Einfluss so genannter „neuer“ oder „horizontaler“ Merkmale sozialer <strong>Ungleichheit</strong><br />

soll an dieser Stelle noch eine Anmerkung gemacht werden. Weil sich<br />

die Ausführungen in diesem Rahmen vor allem darauf konzentrieren, wie die<br />

einzelnen Konzepte soziale <strong>Ungleichheit</strong> als Modell erfassen <strong>und</strong> welche theoretischen<br />

Ansprüche damit verb<strong>und</strong>en sind, kann nicht im Einzelnen darauf eingegangen<br />

werden, welche dieser Merkmale der eine oder andere Ansatz besonders<br />

oder nur nachrangig/gar nicht berücksichtigt <strong>und</strong> wie genaue empirische Ergebnisse<br />

dazu aussehen (vgl. zu sozialstrukturellen Informationen im Überblick z.B.<br />

Hradil 2001b, Schäfers 2004, Klein 2005, Geißler 2011, Statistisches <strong>B<strong>und</strong></strong>esamt<br />

2008, Huinink/Schröder 2008, Rössel 2009; zur Sozialstrukturanalyse im<br />

europäischen Vergleich einführend Hradil 2006a, Mau/Verwiebe 2009).<br />

Auf die Rolle des Wohlfahrtsstaates etwa als <strong>Ungleichheit</strong>sdimension hat<br />

unter anderem bereits Lepsius (1979) aufmerksam gemacht, der Webers Klassen<br />

durch „Versorgungsklassen“ ergänzt (die <strong>Ungleichheit</strong>en durch wohlfahrtsstaatiche<br />

Leistungen <strong>und</strong> Zugang zu öffentlichen Gütern <strong>und</strong> Dienstleistungen abbilden).<br />

Esping-Andersen (1990) unterscheidet mehrere Typen des Wohlfahrtsstaates,<br />

die soziale <strong>Ungleichheit</strong> beeinflussen. Der Stellenwert von Merkmalen<br />

wie z.B. Alter, Geschlecht, Wohnort oder Ethnie ist in neueren Modellen (<strong>und</strong><br />

zwar nicht nur in Lagemodellen!) generell höher, als es bei traditionellen Klassen-<br />

<strong>und</strong> Schichtkonzepten der Fall war – die selbstverständliche Entsprechung<br />

von Klassen- <strong>und</strong> Schichtmerkmalen einerseits <strong>und</strong> anderen <strong>Ungleichheit</strong>smerkmalen<br />

andererseits oder deren völlige Vernachlässigung war ja gerade auch ein<br />

Kritikpunkt an den älteren Modellen gewesen (vgl. Kap. 3.6).<br />

Lebensstil- <strong>und</strong> Milieumodelle betonen beispielsweise oft den prägenden<br />

Einfluss von Alter <strong>und</strong> Geschlecht. In Schwenks Lagemodell gehen Wohn(umwelt)-Bedingungen<br />

ein, in das Lagemodell von Habich/Noll mögliche Ost-West-<br />

Unterschiede, <strong>und</strong> R. Geißler unterscheidet in seinem Schichtmodell in- <strong>und</strong><br />

ausländische Gruppen. Weitere <strong>Ungleichheit</strong>sfaktoren sind etwa der mit dem<br />

Geldwohlstand konkurrierende Zeitwohlstand (Rinderspacher 2002), die „längst<br />

tot geglaubte Dimension“ des Unterschieds zwischen städtischen <strong>und</strong> peripheren<br />

ländlichen Gebieten (Barlösius/Neu 2002: 1) oder auch die Berücksichtigung der


146 7 <strong>Soziale</strong> Lagen<br />

subjektiven Wahrnehmung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>en (z.B. Faik/Becker 2009,<br />

Sachweh 2010).<br />

Die Berücksichtigung des Geschlechts wird in <strong>Ungleichheit</strong>skontexten seit<br />

längerer Zeit eingefordert (vgl. z.B. Beer 1987, Frerichs/Steinrücke 1993, Cyba<br />

2000, Gottschall 2000, Schäfgen 2000, Aulenbacher et al. 2010). Eine ausdrücklich<br />

Mehrdimensionalität anstrebende Richtung mit besonderer Berücksichtigung<br />

des Geschlechts ist dabei die Intersektionalitätsforschung (Klinger et al.<br />

2007, Winker/Degele 2009, Lutz et al. 2010). Wie bei einer Straßenkreuzung<br />

überschneiden sich Diskriminierungsformen wie Klasse, Geschlecht <strong>und</strong> Ethnie,<br />

sind also nicht nur additiv miteinander verb<strong>und</strong>en – wenn beispielsweise USamerikanische<br />

schwarze Jugendliche aus der Unterschicht ihre Männlichkeit hervorheben,<br />

um einen Statusgewinn zu erzielen oder wenn (teilweise illegalisierte)<br />

Migrantinnen als günstige Pflegekräfte tätig sind (zu Letzterem s. Lutz 2007).<br />

Winker/Degele (2009) unterscheiden als zentrale Kategorien neben Geschlecht,<br />

Klasse <strong>und</strong> Ethnie/Rasse zudem den Körper, wozu Aspekte wie (zugeschriebene)<br />

Attraktivität, eine Behinderung, das Alter etc. zählen, dies zudem auf den<br />

drei Ebenen der Sozialstruktur, der Repräsentationen <strong>und</strong> der Identität. Wieder<br />

zeigt sich: Ein umfassendes Modell sozialer <strong>Ungleichheit</strong> steht vor der Aufgabe,<br />

relevante Merkmale auszuwählen <strong>und</strong> ihren Stellenwert zu gewichten (zur Gewichtung<br />

von <strong>Ungleichheit</strong>sdimensionen vgl. auch Berger/Schmidt 2004).<br />

Schließlich ist im Kontext einer mehrdimensionalen Erfassung von <strong>Ungleichheit</strong><br />

auf die internationale Perspektive aufmerksam zu machen. Ansätze,<br />

soziale <strong>Ungleichheit</strong> auch in einem europäischen Rahmen zu sehen, gibt es z.B.<br />

bei M. Heidenreich (2006). Er selbst äußert sich zurückhaltend optimistisch zu<br />

einer Europäisierung von <strong>Ungleichheit</strong>sdiskursen <strong>und</strong> Sozialpolitiken, ohne dass<br />

er nationale Blickrichtungen der <strong>Ungleichheit</strong>sforschung damit als überholt ansähe<br />

(2006: 14/15). Kreckel geht in seinem Plädoyer für eine internationale <strong>Ungleichheit</strong>sforschung<br />

weiter, er spricht von einer nicht nur <strong>Länder</strong> vergleichenden,<br />

sondern staatenübergreifenden Perspektive, z.B. wenn der Zusammenhang<br />

von Weltökonomie <strong>und</strong> globaler <strong>Ungleichheit</strong> analysiert wird. Und selbst<br />

„wenn die soziologische <strong>Ungleichheit</strong>sforschung ihr empirisches Augenmerk auf<br />

lokale oder nationale <strong>Ungleichheit</strong>sverhältnisse konzentriert, darf sie deren …<br />

globale Bedingtheit nicht außer Acht lassen“ (Kreckel 2006: 32). Diese<br />

übergreifende Sichtweise eines „transnationalen“ Raums findet sich beispielsweise<br />

auch bei Berger/Weiß (2008) oder Pries (2010). U. Beck (s. Kap. 8) ist<br />

ebenfalls ein prominenter Vertreter einer kosmopolitischen Perspektive „jenseits<br />

des methodologischen Nationalismus“ (Beck/Grande 2010; vgl. auch Beck 2008,<br />

Beck/Beck-Gernsheim 2010).


7.2 Prekäre Lagen <strong>und</strong> Exklusion 147<br />

Zusammenfassung<br />

Kennzeichnend für mehrdimensionale <strong>Ungleichheit</strong>smodelle wie dem der<br />

sozialen Lagen oder der Intersektionalität ist zusammenfassend, dass sie durch<br />

die Berücksichtigung vielfältiger <strong>Ungleichheit</strong>smerkmale eine differenzierte Beschreibung<br />

von („objektiven“) Lebensbedingungen anstreben <strong>und</strong> somit einen<br />

Vorteil auch gegenüber neueren Schichtmodellen beanspruchen, die nach wie<br />

vor auf die Berufstätigkeit <strong>und</strong> vorrangig auf die vertikale Ebene sozialer <strong>Ungleichheit</strong><br />

konzentriert seien.<br />

7.2 Prekäre Lagen <strong>und</strong> Exklusion<br />

Im Zusammenhang mit Lebensstilen <strong>und</strong> Milieus wurde angesprochen, dass die<br />

<strong>Ungleichheit</strong>sdiskussion in den letzten Jahren (wieder) dazu neigt, vertikale<br />

<strong>Ungleichheit</strong>en zu betonen <strong>und</strong> somit gelegentlich z.B. Lebensstilanalysen, die<br />

eine gewisse – nicht vollständige – Lösung individueller Handlungsmuster von<br />

Klassen- oder Schichtzugehörigkeiten postulieren, als begrenzte Phase im <strong>Ungleichheit</strong>sdiskurs<br />

anzusehen. Barlösius etwa konstatiert, die Strukturierungsthese<br />

habe seit Ende der 1990er Jahre an Plausibilität zurückgewonnen (2004:<br />

19), Vester geht mit recht großer Selbstverständlichkeit von einer „Wiederkehr<br />

sozialer Klassenunterschiede“ aus (2005: 21), in vielen Veröffentlichungen findet<br />

man weitere Beispiele. 27 Eine vorläufige Zuspitzung, die auch die öffentliche<br />

Diskussion über <strong>Ungleichheit</strong> in den Massenmedien erreichte, ist in Begriffen<br />

wie Prekariat (als Wortkombination von prekär <strong>und</strong> Proletariat) bzw. Prekarität<br />

oder „Prekarisierung“ (Castel/Dörre 2009; Manske/Pühl 2010), Exklusion,<br />

Ausgrenzung von „Überflüssigen“, „Ausgeschlossenen“ (Bude/Willisch 2006,<br />

2008, Bude 2008, Kronauer 2010) oder auch einer „neuen Unterschicht“ (Chassé<br />

2009) zu sehen. Gemeinsam ist diesen Begrifflichkeiten, dass sie den Blick auf –<br />

teilweise extrem – benachteiligte soziale Lagen richten, wobei soziale Lage hier<br />

in einem weiten Sinne gemeint ist, nicht als spezifisches, im vorigen Abschnitt<br />

erläutertes Modell. Diese Perspektive auf Benachteiligungen wirkt jedoch auch<br />

27 Dass damit nicht zwingend eine eindimensional gefasste Restrukturierung verb<strong>und</strong>en sein muss,<br />

zeigen beispielhaft Lessenich/Nullmeier, die in den von ihnen diskutierten multiplen Spaltungen<br />

innerhalb der Gesellschaft, z.B. zwischen Arm <strong>und</strong> Reich oder sicheren <strong>und</strong> prekären Lagen, „kein<br />

eindeutig-eindimensionales Muster sozialer Über- <strong>und</strong> Unterprivilegierungslagen erkennen“ (2006:<br />

15) Dies gilt auch dann, wenn im Weiteren festgestellt wird, dass sich sicherlich keine Wiederkehr<br />

der Klassengesellschaft vollziehe, dass aber „die Diagnose bloß nebeneinander existierender<br />

Spaltungen, die nicht kumulieren …, die potentiellen Wirkungen wachsender sozialer <strong>Ungleichheit</strong><br />

eher zu unterschätzen [scheine]“ (a.a.O.: 15/16).


148 7 <strong>Soziale</strong> Lagen<br />

auf allgemeine Vorstellungen von sozialer <strong>Ungleichheit</strong> in einer Gesellschaft<br />

zurück.<br />

Bedingungsfaktoren dieser Veränderungen im Diskurs sind unter anderem –<br />

dies kann hier nur in Stichworten angedeutet werden – in der gestiegenen Arbeitslosigkeit<br />

zu sehen, damit im Zusammenhang in Prozessen der Flexibilisierung<br />

<strong>und</strong> Deregulierung von Erwerbsarbeit, was sich z.B. auf die Arbeitszeit,<br />

die Arbeitsplatzsicherheit, atypische Beschäftigungsverhältnisse wie Leiharbeit<br />

etc. richtet. „Prekär“ bezog <strong>und</strong> bezieht sich zu einem Teil insbesondere auf die<br />

Prekarität von Arbeitsverhältnissen in diesem Sinne (vgl. Dörre 2005,<br />

Brinkmann/Dörre/Röbenack 2006). Schließlich ist die Krise des Wohlfahrtsstaats,<br />

der sozialen Sicherungssysteme, zu nennen.<br />

Bei der Verwendung von Begriffen wie Ausgrenzung <strong>und</strong> Exklusion richtet<br />

sich der Blick nicht auf Benachteiligungen im Allgemeinen, sondern die Begriffe<br />

deuten darauf hin, dass eine Grenze überschritten worden ist, hinter der es den<br />

Benachteiligten nicht allein deutlich schlechter geht als einem – wie auch immer<br />

bestimmten – Durchschnitt der Bevölkerung, sondern hinter der sie nicht mehr<br />

eindeutig zur Gesellschaft hinzugehören, in dem Sinne, dass sie ausgeschlossen<br />

sind von vielen Konsummöglichkeiten <strong>und</strong> von gesellschaftlicher Teilhabe. Umgekehrt<br />

werden sie für ein Funktionieren des gesellschaftlichen Ganzen scheinbar<br />

auch nicht zwingend benötigt, wenn z.B. ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt<br />

dauerhaft keine Nachfrage findet (zu „Überflüssigen“ siehe auch Hark<br />

2005). Exklusion zielt in der Armutsforschung (vgl. Barlösius/Ludwig-Mayerhofer<br />

2001) außerdem oft darauf ab, kumulierende Benachteiligungen zu erfassen,<br />

wenn z.B. der Verlust der Arbeitsstelle dazu führt, dass man weniger konsumieren<br />

kann, in eine kleinere Wohnung umziehen muss, sein Auto verkauft <strong>und</strong><br />

schließlich weniger soziale Kontakte hat, was wiederum eine schlechte Ausgangsbedingung<br />

dafür darstellt, eine neue Arbeitsstelle zu finden. Schließlich<br />

bildet Exklusion im Begriffspaar Inklusion – Exklusion innerhalb der Differenzierungstheorie<br />

eine Möglichkeit, die vorrangige Perspektive einer funktionalen<br />

Differenzierung von Gesellschaft in verschiedene Teilsysteme mit Aspekten der<br />

(vertikalen) sozialen <strong>Ungleichheit</strong> zu verknüpfen (Luhmann 1997: 618-634,<br />

Göbel/Schmidt 1998, Schimank 1998, Barlösius 2004: 186-210, Schwinn 2004,<br />

2007, Farzin 2006, Stichweh/Windolf 2009, Münch 2009). Exklusion bedeutet<br />

differenzierungstheoretisch im engeren Sinne zunächst, dass Personen aus der<br />

Blickrichtung von Teilsystemen nur in einer ganz bestimmten Weise<br />

wahrgenommen, inkludiert, werden, nämlich hinsichtlich ihres binären Codes.<br />

Dies bedeutet für das Ges<strong>und</strong>heitssystem etwa, dass jemand nur danach beurteilt<br />

wird, ob er krank oder ges<strong>und</strong> ist. Seine Bildungsqualifikation oder ob er<br />

zugleich in einen Rechtsstreit verwickelt oder Wähler ist, spielt hier keine Rolle.<br />

Richtet sich das Teilsystem allerdings in seiner spezifischen Ausrichtung nicht


7.2 Prekäre Lagen <strong>und</strong> Exklusion 149<br />

an alle Gesellschaftsmitglieder, so ist dies begründungspflichtig, daher wurden in<br />

modernen Gesellschaften solche prinzipiellen Exklusionen reduziert (Marshall<br />

1992). Beispielsweise wurde im Zeitverlauf immer mehr Gruppen das Wahlrecht<br />

zuerkannt, der Ausschluss unter 18jähriger auch heutzutage stützt sich darauf,<br />

dass Kinder <strong>und</strong> Jugendliche unter 18 Jahren noch nicht wahlmündig seien.<br />

Diese Sicht von Exklusion als noch nicht inkludiert im historischen Verlauf ist<br />

zu unterscheiden von Ausgrenzungen dort, wo Zugangsrechte prinzipiell gewährt<br />

waren, z.B. beim dauerhaften Verlust des Arbeitsplatzes. Da es diese<br />

Exklusionsformen aber real gibt, bietet es sich über die Begriffe der Exklusion<br />

<strong>und</strong> Inklusion an, nach Verbindungen zwischen der gesellschaftlichen<br />

Strukturierung durch funktionale Differenzierung <strong>und</strong> durch soziale <strong>Ungleichheit</strong><br />

zu suchen. Solche Verbindungen werden sowohl theoretisch hergestellt (z.B.<br />

durch Schwinn 2005 oder Stichweh 2005: 163-196) als auch teilweise empirisch<br />

hinterfragt (z.B. Burzan/Schimank 2004 <strong>und</strong> Burzan et al. 2008, dort werden<br />

Inklusionsprofile als Muster der Inklusion in die verschiedenen gesellschaftlichen<br />

Teilsysteme <strong>und</strong> deren Prägung durch die soziale Lage untersucht).<br />

Exklusion als Ausgrenzung aus zentralen gesellschaftlichen Zusammenhängen<br />

ist also Thema der allgemeinen <strong>Ungleichheit</strong>s- <strong>und</strong> der Armutsforschung<br />

ebenso wie der Diskussion über Schnittstellen zwischen <strong>Ungleichheit</strong>s- <strong>und</strong> Differenzierungstheorie.<br />

Ein Problem besteht darin, dass der Exklusionsbegriff an<br />

Schärfe verlieren kann, wenn er sehr heterogen verwendet wird, andererseits in<br />

Teilen nur eine dichotome Unterteilung von „drin“ <strong>und</strong> „draußen“ kennt. R.<br />

Castel etwa macht auf die „Fallstricke des Exklusionsbegriffs“, der sich – in<br />

Frankreich bereits seit Beginn der 1990er Jahre – zum Allzweckwort entwickelt<br />

habe, aufmerksam (2000a). Er sieht die Gefahren,<br />

� dass Exklusion zu unspezifisch <strong>und</strong> <strong>und</strong>ifferenziert verwendet wird, wenn<br />

sie vorrangig „einen Mangel bezeichnet, ohne zu sagen, worin er besteht<br />

<strong>und</strong> woher er kommt“ (Castel 2000a: 12);<br />

� dass die Sicht auf den Zustand des Ausgeschlossenseins bzw. auf die<br />

Ausgeschlossenen den Blick auf Prozesse, die zu Exklusion führen, versperrt.<br />

Angesichts dessen, dass Exklusion heutzutage meist eine Degradierung,<br />

einen Abstieg gegenüber einer früheren sozialen Position bedeute <strong>und</strong><br />

feste Grenzziehungen z.B. zwischen Prekarisierung <strong>und</strong> Exklusion unmöglich<br />

seien, sei es umso bedeutsamer, Exklusion als „Auswirkung von Prozessen<br />

[zu] sehen, die die gesamte Gesellschaft durchqueren <strong>und</strong> ihren Ursprung<br />

im Zentrum <strong>und</strong> nicht an der Peripherie des sozialen Lebens haben.<br />

Zum Beispiel in der Entscheidung von Unternehmen, die Karte der Flexibilität<br />

ganz auszuspielen, oder in der Entscheidung des Finanzkapitals, anderswo<br />

zu investieren“ (a.a.O.: 14; Hervorhebung im Original).


150 7 <strong>Soziale</strong> Lagen<br />

� dass schließlich daraus eine sozialpolitisch einseitige Konzentration auf<br />

Ausgeschlossene erwachsen könnte. Anstelle eines solchen Fokus auf vermeintliche<br />

Randgruppen <strong>und</strong> damit einer eher technischen Problembehandlung<br />

müssten gr<strong>und</strong>sätzlichere Maßnahmen ergriffen werden, um bei<br />

den gesellschaftlichen Ursachen von Ausgrenzungsprozessen statt allein bei<br />

den Symptomen anzusetzen (a.a.O.). M. Kronauer schließt an, dass der<br />

Kampf gegen Exklusion – überdies ein erklärtes Ziel der Europäischen<br />

Union – als Wiedereingliederung Ausgegrenzter verstanden auch deshalb zu<br />

kurz greife, weil die Verantwortung für Erfolg oder Misserfolg zunehmend<br />

auf die Betroffenen verschoben werde, wenn beispielsweise sozialstaatliche<br />

Leistungen verstärkt an Vorleistungen geb<strong>und</strong>en würden (Kronauer 2006:<br />

42/43).<br />

Gegen die unter Umständen wenig komplexe Unterscheidung, exkludiert oder<br />

nicht exkludiert zu sein, setzen einige Autoren, wiederum in Anschluss an Castel<br />

(2000a/b), ein Modell dreier Zonen sozialer Kohäsion: Es handelt sich dabei um<br />

die Zone der Integration – hier sind gefestigte Arbeitsverhältnisse <strong>und</strong> stabile<br />

soziale Beziehungen charakteristisch –, die Zone der Verw<strong>und</strong>barkeit mit Arbeitsplatzunsicherheit<br />

<strong>und</strong> wenig tragfähigen sozialen Netzen in einer insgesamt<br />

von Unkalkulierbarkeit geprägten Situation <strong>und</strong> schließlich die Zone der Abkoppelung<br />

oder Entkoppelung, in der sowohl die Beteiligung an Erwerbsarbeit als<br />

auch soziale Beziehungen in hohem Maße problematisch sind <strong>und</strong> es zu sozialer<br />

Isolation kommen kann (Castel 2000b: 13, siehe auch z.B. Kronauer 2006: 35-<br />

38, Vogel 2006: 344/345). Solch eine Zoneneinteilung, die hier nicht im Einzelnen<br />

diskutiert werden kann, vermittelt eine andere Vorstellung von einer<br />

Mittelkategorie als solche, in der die „Mitte“ eine Normalität in dem Sinne darstellt,<br />

dass hier eine materiell abgesicherte Lebensführung möglich ist – wie es<br />

etwa die Vorstellung von Mittelschichten tut. Sondern hier ist bereits die Mittelkategorie<br />

systematisch mit prekären Lebenslagen verb<strong>und</strong>en, was ja auch wiederum<br />

anknüpft an den oben angesprochenen Gedanken, dass Exklusionsprozesse<br />

im Zentrum der Gesellschaft <strong>und</strong> ihren Institutionen ihren Ursprung haben.<br />

Brisanz erhält diese Aussage vor allem durch die These, dass sich die Zone der<br />

Verw<strong>und</strong>barkeit, etwa durch den Rückgang unbefristeter Arbeitsverhältnisse,<br />

durch hohe Arbeitslosigkeit etc., ausweite. (zur Öffnung der <strong>Ungleichheit</strong>sschere<br />

<strong>und</strong> der These einer schrumpfenden Mittelschicht Grabka/Frick 2008, Goebel et<br />

al. 2010, zur Diskussion der gesellschaftlichen Mitte z.B. Herbert-Quandt-<br />

Stiftung 2007, Vogel 2009, Münkler 2010, Burzan/Berger 2010)<br />

Hier schließt nun auch der Begriff der Prekarität oder Prekarisierung an. Prekäre<br />

Arbeitsbedingungen <strong>und</strong> weiter gefasst prekäre Lebensverhältnisse stehen dabei<br />

im Blickpunkt. Prekär als unsicher oder heikel deutet darauf hin, dass es um


7.2 Prekäre Lagen <strong>und</strong> Exklusion 151<br />

Menschen in Lebensverhältnissen geht, die – noch – etwas zu verlieren haben,<br />

die also zumindest aktuell nicht am unteren Ende des <strong>Ungleichheit</strong>sgefüges<br />

stehen, deren soziale Position jedoch gefährdet ist. Die Begrifflichkeit des<br />

„prekären Wohlstandes“ ist sogar in sozialstatistische Kategorien eingegangen,<br />

bezeichnet etwa im Datenreport des Statistischen <strong>B<strong>und</strong></strong>esamtes die Spanne von<br />

50-75% des durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens (während unterhalb<br />

der 50%-Grenze relative Armut besteht; der Anteil derjenigen in einer prekären<br />

Wohlstandssituation betrug demzufolge nach Daten des SOEP 25% im Jahr<br />

2006, Statistisches <strong>B<strong>und</strong></strong>esamt 2008: 165). B. Vogel weist darauf hin, dass prekärer<br />

Wohlstand – zusammen mit sozialer Verw<strong>und</strong>barkeit – auf<br />

Zugleich<br />

„uneindeutige <strong>und</strong> spannungsreiche soziale Lagen zielt … Denen, die in dieser Zone<br />

der Gesellschaft leben, darf in ihrem sozialen <strong>und</strong> beruflichen Alltag nichts ‚dazwischenkommen’<br />

– nicht der Verlust des Arbeitsplatzes, keine chronische Krankheit,<br />

keine Ehescheidung oder andere familiäre Probleme … die eigene Lebens- <strong>und</strong><br />

Haushaltsführung [gleicht] einem fragilen Kartenhaus, das nur geringer Erschütterungen<br />

bedarf, um in sich zusammenzustürzen.“ (Vogel 2006: 346).<br />

„[setzt] die Prekarität des Wohlstands Wohlstand voraus, <strong>und</strong> das Gefühl der Verw<strong>und</strong>barkeit<br />

kennen nur diejenigen, denen soziale Sicherheit <strong>und</strong> Stabilität nicht<br />

fremd ist“ (ebd.).<br />

P. Böhnke (2006a/b) grenzt ebenfalls dezidiert Ausgrenzung oder Marginalisierung<br />

einerseits von Verunsicherung andererseits ab. Ausgrenzungsrisiken<br />

wie Armut oder Langzeitarbeitslosigkeit<br />

„stehen nach wie vor in erster Linie mit Qualifikationsmangel <strong>und</strong><br />

Ausbildungslosigkeit in Verbindung. Die Ergebnisse bestätigen die These nicht,<br />

dass sich prekäre Lebenslagen sprunghaft ausbreiten <strong>und</strong> sich von<br />

schichtspezifischen Risikofaktoren lösen“ (Böhnke 2006a: 214; eine ähnliche<br />

Diagnose eines starken Zusammenhangs von Armut bzw. Prekarität <strong>und</strong> sozialer<br />

Klassenlage findet sich bei Groh-Samberg 2004, 2009; Groh-Samberg/Hertel 2010).<br />

Also: Keine dramatische Zunahme von Bevölkerungsanteilen in stark<br />

benachteiligten Lebenslagen, aber auf der anderen Seite reichen Verlustängste<br />

<strong>und</strong> Verunsicherungen bis in mittlere soziale Lagen hinein, z.B. Angst vor<br />

Arbeitslosigkeit oder zunehmende Konfliktwahrnehmungen, etwa zwischen Arm<br />

<strong>und</strong> Reich (Böhnke 2006b: 119). Diese Aussage zieht nun nicht die<br />

Schlussfolgerung nach sich, die Verunsicherung sei nur eingebildet <strong>und</strong> entbehre<br />

objektiver Gr<strong>und</strong>lagen, sondern Böhnke will zwischen Verunsicherung <strong>und</strong>


152 7 <strong>Soziale</strong> Lagen<br />

Ausgrenzung deshalb unterscheiden, „um auf beide Formen von Benachteiligungen<br />

angemessen reagieren zu können“ (2006b: 120). 28 Hinzufügen ließe sich,<br />

dass es in Längsschnittbetrachtungen interessant wäre zu untersuchen, wie sich<br />

Abstiegsängste auf der Handlungsebene zu späteren Zeitpunkten auswirken, zu<br />

welchen Lebenslaufereignissen sie typischerweise führen, um die<br />

Zusammenhänge zwischen „objektiven“ sozialen Lagen <strong>und</strong> „subjektiver“<br />

Verunsicherung nicht zuletzt theoretisch genauer zu analysieren (zur<br />

Unsicherheit in mittleren Lagen vgl. z.B. Kämpf 2008, Burzan/Berger 2010; zur<br />

Unsicherheit in einem allgemeinen Rahmen etwa Böhle/Weihrich 2009, Soeffner<br />

2010).<br />

Popularität in der öffentlichen Wahrnehmung erlangte der Begriff der Prekarität<br />

außerdem im Zusammenhang mit den Ergebnissen einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung<br />

zu politischen Milieus aus dem Jahr 2006, insofern dort eines<br />

der Milieus als „abgehängtes Prekariat“ bezeichnet wurde (Neugebauer 2007).<br />

Hierin zeigt sich eine Überschneidung von <strong>Ungleichheit</strong>skonzepten: Zum einen<br />

baut die Studie auf einem Milieukonzept auf, wobei die Milieus durch Werte<br />

konstituiert sind, die für den dort fokussierten politischen Zusammenhang wichtig<br />

sind (es handelt sich um die Positionierung anhand der Wertekonflikte Libertarismus<br />

– Autoritarismus, soziale Gerechtigkeit – Marktfreiheit <strong>und</strong> Religiosität<br />

– Säkularität). Allerdings hat die Studie keine Abbildung des <strong>Ungleichheit</strong>sgefüges<br />

im engeren Sinne zum Ziel, sondern ein spezifisches Interesse, das<br />

sich auf politische Einstellungen <strong>und</strong> das Wahlverhalten richtet. Zum anderen ist<br />

durch die Bezeichnung des „abgehängten Prekariats“ die in diesem Abschnitt<br />

beschriebene Diskussionslinie integriert, auch in dem Sinne, dass Perspektiven<br />

<strong>und</strong> Verunsicherungen berücksichtigt werden – es gibt etwa ein weiteres Milieu,<br />

das als „bedrohte Arbeitnehmermitte“ charakterisiert wird.<br />

Das „abgehängte Prekariat“ macht nach diesen Bef<strong>und</strong>en 8% der Bevölkerung<br />

aus, ist in Ostdeutschland deutlich stärker vertreten als in Westdeutschland,<br />

insbesondere bei Männern, <strong>und</strong> entstammt nach Schichtkriterien der Unter- bzw.<br />

unteren Mittelschicht; der Arbeitslosenanteil ist in diesem Milieu am höchsten.<br />

Vielfach waren die hier Zugeordneten bereits mit Abstiegserfahrungen konfrontiert.<br />

Ihren Einstellungen nach empfinden sie ihre Lebenssituation auch selbst als<br />

prekär <strong>und</strong> machen sich große Sorgen um die Zukunft. Politischen Reformen<br />

stehen sie skeptisch gegenüber, was mit einem hohen Nichtwähleranteil, aber<br />

auch mit Stimmen für linke <strong>und</strong> rechte Randparteien einhergeht (Neugebauer<br />

28 Bude/Lantermann (2006) bekräftigen mit Hilfe von Daten aus einer Befragung Erwerbstätiger,<br />

dass „objektiver“ Ressourcenmangel nicht einlinig zu einem Gefühl des Ausgeschlossenseins führt.<br />

Vergleichsweise prekäre Lagen wurden nicht unbedingt als solche empf<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> umgekehrt<br />

konnte ein Exklusionsempfinden bei pessimistischer Zukunftsperspektive auch dann entstehen, wenn<br />

die aktuelle Lebenslage nicht prekär war (2006: 244).


7.2 Prekäre Lagen <strong>und</strong> Exklusion 153<br />

2007: 69, 82-84; vgl. auch die Aufnahme eines „prekären Milieus“ innerhalb der<br />

Sinus-Milieus, Kapitel 5.2 in diesem Band).<br />

Es ist nicht die Größenordnung dieser Gruppe (8%), die Aufmerksamkeit<br />

erregt, auch sind nicht alle Milieus im sozialstrukturell „unteren“ Bereich hier zu<br />

verorten, es gibt außerdem „selbstgenügsame Traditionalisten“ (11%, darunter<br />

viele Rentner) <strong>und</strong> „autoritätsorientierte Geringqualifizierte“ (7%, ebenfalls mit<br />

höherem Durchschnittsalter; a.a.O.: 79-82). 29 Kennzeichnend ist vielmehr die<br />

Problemperspektive, nach teilweise bereits erfahrenen Abstiegen auch in Zukunft<br />

voraussichtlich von Ressourcen <strong>und</strong> gesellschaftlicher Teilhabe „abgehängt“ zu<br />

sein. Weniger akut <strong>und</strong> von einer besseren Versorgungslage ausgehend sind<br />

diese Sorgen <strong>und</strong> Verunsicherungen dann auch für die „bedrohte Arbeitnehmermitte“<br />

charakteristisch. Die Studie ist ein Beispiel dafür, dass sich neuere<br />

<strong>Ungleichheit</strong>smodelle – hier Milieumodelle – nicht der vertikalen <strong>Ungleichheit</strong>sachse<br />

sowie Ausgrenzungsprozessen <strong>und</strong> verfestigten Benachteiligungen verschließen<br />

müssen, sondern sie umgekehrt zumindest potentiell durch ihre mehrdimensionale<br />

Anlage berücksichtigen können. Anders formuliert: Der soziale<br />

Wandel, auf den die ungleichheitstheoretische Diskussion reagiert, muss nicht zu<br />

einem vorrangigen Blick auf allein vertikale Abgrenzungen oder – zur Verdeutlichung<br />

etwas überspitzt – zur reumütigen Rückkehr zu „alten“ Schichten- <strong>und</strong><br />

Klassenmodellen führen, sondern <strong>Ungleichheit</strong>smodelle können mehrdimensional<br />

sein, ohne damit die Beliebigkeit sozialer Lagen zu postulieren. Die Anforderungen<br />

an mehrdimensionale Modelle, verschiedene <strong>Ungleichheit</strong>smerkmale zu<br />

gewichten, das Verhältnis vertikaler <strong>und</strong> horizontaler Dimensionen zu bestimmen<br />

<strong>und</strong> eine Aussage über die Relationen zwischen den Lagen zu treffen, bleiben<br />

allerdings auch hierbei bestehen.<br />

Die Sicht auf <strong>Ungleichheit</strong> nimmt mit einer Perspektive auf Prekarisierung<br />

<strong>und</strong> Verunsicherung stärker zeitliche Aspekte in den Blick, als es ein <strong>Ungleichheit</strong>smodell<br />

tut, das seinen Schwerpunkt auf <strong>Ungleichheit</strong>sverteilungen zu einem<br />

bestimmten Zeitpunkt setzt. Dies schließt Lebensverläufe ebenso ein wie (möglicherweise<br />

fehlende) Zukunftsperspektiven <strong>und</strong> subjektive Aufstiegschancen/Abstiegsängste<br />

mit ihren Auswirkungen auch auf die „objektive“ Ebene von<br />

Mobilitätsprozessen. Begriffe wie Verunsicherung in der Gesellschaftsmitte<br />

können damit Chancen bieten, nicht nur eine sachliche, sondern auch eine zeitliche<br />

Aspekte betreffende Erweiterung der <strong>Ungleichheit</strong>sdebatte anzuregen,<br />

29 Zur Vervollständigung des Bildes seien auch die anderen Milieus genannt: In der Mitte befinden<br />

sich neben der bedrohten Arbeitnehmermitte (16%) die zufriedenen Aufsteiger (13%), im oberen<br />

Bereich (insgesamt 45%) sind Leistungsindividualisten (11%), etablierte Leistungsträger (15%),<br />

kritische Bildungseliten (9%) sowie das engagierte Bürgertum (10%) angesiedelt (Neugebauer 2007:<br />

68-79).


154 7 <strong>Soziale</strong> Lagen<br />

sofern sie sich auf das <strong>Ungleichheit</strong>sgefüge als Ganzes beziehen <strong>und</strong> damit einen<br />

auch ungleichheitstheoretischen Anspruch haben.<br />

Zusammenfassung<br />

Prekäre Lagen <strong>und</strong> Exklusion richten sich auf auffällige Benachteiligungen in<br />

der Gesellschaft, die jedoch auch in die Mitte der Gesellschaft verweisen, sowohl<br />

hinsichtlich der zugr<strong>und</strong>e liegenden Ausgrenzungsprozesse als auch im Sinne der<br />

Betroffenheit durch Verunsicherung <strong>und</strong> Abstiegsangst. Damit trifft diese Perspektive<br />

auch Aussagen über die Vorstellung von sozialer <strong>Ungleichheit</strong> in einer<br />

Gesellschaft insgesamt <strong>und</strong> bietet Potential für die Betonung zeitlicher Aspekte.<br />

Ein in sich geschlossenes Modell sozialer <strong>Ungleichheit</strong> auf dieser Basis, gegebenenfalls<br />

in Verbindung mit z.B. Klassen- oder Milieuansätzen, liegt allerdings<br />

bislang nicht vor.<br />

Lesehinweise:<br />

� Hradil, Stefan (1987): Sozialstrukturanalyse in einer fortgeschrittenen<br />

Gesellschaft. Von Klassen <strong>und</strong> Schichten zu Lagen <strong>und</strong> Milieus, Opladen:<br />

Leske + Budrich, insbesondere Kap. 4.2: <strong>Soziale</strong> Lagen (S. 145-158)<br />

� Bude, Heinz; Willisch, Andreas (Hg.) (2006): Das Problem der Exklusion.<br />

Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige. Hamburg: Hamburger Edition<br />

� Castel, Robert; Klaus Dörre (Hg.) (2009): Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung.<br />

Die soziale Frage zu Beginn des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts, Frankfurt am Main:<br />

Campus


8 Individualisierung – Entstrukturierung soler <strong>Ungleichheit</strong>? 155<br />

8 Individualisierung – Entstrukturierung sozialer<br />

<strong>Ungleichheit</strong>?<br />

8. Individualisierung – Entstrukturierung soler <strong>Ungleichheit</strong>?<br />

Die Individualisierungsthese (insbesondere von U. Beck) ist eine Position zur<br />

sozialen <strong>Ungleichheit</strong>, die weder die Begriffe Klasse oder Schicht für gewandelte<br />

gesellschaftliche Verhältnisse modifiziert noch andere Begriffe wie z.B. Milieu<br />

verwendet, um auf diese Art ungleichheitsrelevante Gruppen zu identifizieren.<br />

Sie behauptet vielmehr, so der provokante Titel eines Aufsatzes Becks von 1983,<br />

dass wir uns „jenseits von Klasse <strong>und</strong> Stand“ (bzw. „Schicht“, Beck 1986: 121)<br />

befinden, womit gemeint ist, dass überhaupt keine gesellschaftlichen Großgruppen<br />

mehr existieren, die nicht nur rein statistische Zusammenfassungen, z.B.<br />

ähnlicher Einkommensgruppen, darstellen. „Objektive“ Bedingungen <strong>und</strong> „subjektive“<br />

Lebensweise fallen danach recht stark auseinander.<br />

Einige Autoren sehen Beck daher als prominentesten Vertreter von Richtungen,<br />

die man als Entstrukturierungsansätze oder Auflösungsthesen bezeichnen<br />

könnte.<br />

R. Geißler beispielsweise, der selbst für die Beibehaltung des Schichtbegriffs<br />

plädiert (s. Kap. 4.1), deutet <strong>und</strong> kritisiert die Individualisierungsthese<br />

als Übersteigerung von Pluralisierung, wenn Beck „nicht nur eine Pluralisierung,<br />

sondern sogar eine Individualisierung der Lebensbedingungen zu erkennen“<br />

meine (Geißler 2002: 137). Auch H.-P. Müller spricht von „radikalen Strategien“,<br />

die das Paradigma strukturierter sozialer <strong>Ungleichheit</strong> in eine „Phänomenologie“<br />

sozialer <strong>Ungleichheit</strong> überführen wollen (1992: 45), oder von der Vorstellung<br />

eines „Patchworks“ sozialer Unterschiede (a.a.O.: 38). Er führt Beck als<br />

ein Beispiel für solche Strategien an, die angesichts Pluralisierung <strong>und</strong> Individualisierung<br />

eher eine Beschreibung der Vielfalt sozialer <strong>Ungleichheit</strong> liefern. Sie<br />

versuchen laut Müller,<br />

„die verschiedenen Formen <strong>und</strong> Fragmente sozialer Unterschiede detailliert empirisch<br />

zu ermitteln <strong>und</strong> die Ergebnisse in Einzelbeobachtungen zusammenzufassen,<br />

ohne noch den Anspruch eines einheitlichen theoretischen Bezugsrahmens zu erheben.<br />

Gerade die Unmöglichkeit, Formen <strong>und</strong> Wirkungsweisen verschiedener <strong>Ungleichheit</strong>sfaktoren<br />

in einen allgemeinen Rahmen zu integrieren, wird als Ausdruck<br />

der Komplexität der Gesellschaft <strong>und</strong> der Pluralität ungleichheits-bedeutsamer Differenzierungen<br />

angesehen.“ (Müller 1992: 45).<br />

N. Burzan, <strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong>, DOI 10.1007/978-3-531-93154-8_8,<br />

© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011


156 8 Individualisierung – Entstrukturierung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>?<br />

Wie viel Radikalität man Becks These unterstellt, liegt an der Deutung des<br />

mehrdimensionalen <strong>und</strong> damit missverständlichen Begriffs der Individualisierung.<br />

Der folgende Abschnitt wird daher die Individualisierungsthese in ihren<br />

Gr<strong>und</strong>zügen zunächst darstellen, bevor nochmals darauf eingegangen wird, was<br />

sie im ungleichheitstheoretischen Rahmen bedeutet.<br />

Die Individualisierungsthese ist nicht allein eine Position zu <strong>Ungleichheit</strong>sverhältnissen,<br />

sondern zugleich eine Gegenwartsdiagnose für westliche Gesellschaften<br />

seit etwa den sechziger Jahren des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts (Individualisierungsschübe<br />

gibt es auch in anderen Zeiträumen, zur Individualisierung bei soziologischen<br />

Klassikern <strong>und</strong> anderen Autoren vgl. z.B. Kippele 1998, Bauman<br />

2001, Schroer 2001, 2008, Howard 2007, Kron/Horá�ek 2009; hier soll vor<br />

allem auf die Diagnose Becks für den genannten Zeitraum eingegangen werden).<br />

Die These bündelt gesellschaftliche Entwicklungen in einem charakteristischen<br />

Begriff, eben in der Individualisierung, locker verb<strong>und</strong>en mit weiteren<br />

Schlagworten, der „Risikogesellschaft“ bzw. der „Weltrisikogesellschaft“ sowie<br />

der „Reflexiven Moderne“. 30<br />

Beck stellt sich die Frage, welche gesellschaftlichen Entwicklungen sich vor<br />

allem seit den sechziger Jahren <strong>und</strong> insbesondere in Deutschland vollzogen haben,<br />

verallgemeinert seine Gedanken aber auch generell auf moderne Gesellschaften.<br />

Er stellt fest, dass es einen Individualisierungsschub gegeben hat, der<br />

durch drei Dimensionen gekennzeichnet ist (1986: 206):<br />

1. Freisetzung aus traditionellen Bindungen, z.B. aus Ständen oder sozialen<br />

Klassen, aber auch traditionellen Geschlechtsrollen. Durch die Freisetzung<br />

gibt es mehr Mobilität <strong>und</strong> Wahlfreiheiten als vorher. Ein Beispiel ist, dass<br />

man seinen Beruf unabhängiger davon wählen kann, welchen Beruf die Eltern<br />

haben, Arbeiterkinder müssen nicht unbedingt wieder Arbeiter werden.<br />

Auch kann man in höherem Maße selbst entscheiden, ob man z.B. heiratet<br />

oder nicht <strong>und</strong> Kinder hat oder nicht. Man wird etwa als vierzigjährige unverheiratete<br />

Frau ohne Kinder nicht mehr gesellschaftlich diskriminiert,<br />

man sagt nicht, die Frau habe keinen Mann „abbekommen“. Allgemein sind<br />

30 Zur Individualisierung als Gegenwartsdiagnose vgl. z.B. Schroer 1997, 2000, Volkmann 2000, zur<br />

Reflexiven Moderne Beck/Lau 2005, zur Weltrisikogesellschaft Beck 2007b – dort geht er weniger<br />

auf Individualisierung ein, wenngleich er biographische Risiken als Dimension neben den dort<br />

behandelten ökologischen, Finanz- <strong>und</strong> Terrorrisiken nennt, sondern verweist auf künftige Forschungen<br />

zum Zusammenhang z.B. zwischen Individualisierung <strong>und</strong> Kosmopolitisierung im Rahmen<br />

einer Theorie der reflexiven Modernisierung, a.a.O.: 37; zur Kosmopolitisierung etwa auch Beck<br />

2008, Beck/Beck-Gernsheim 2010, Beck/Grande 2010.


8 Individualisierung – Entstrukturierung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>? 157<br />

Handlungsorientierungen, die dadurch entstehen, dass man in eine bestimmte<br />

Familie <strong>und</strong> soziale Lage hineingeboren wurde oder ein bestimmtes<br />

Geschlecht hat, geringer geworden. Diese Freiheit hat aber nicht nur positive<br />

Seiten, was die zweite Dimension ausdrückt:<br />

2. Entzauberung: Dadurch, dass es keine festen Handlungsorientierungen<br />

mehr gibt, muss man selbst entscheiden, ohne sicher zu wissen, was die<br />

richtige Wahl ist. Die Freiheit bringt also auch Unsicherheiten <strong>und</strong> Risiken<br />

mit sich. Heute kann man sich z.B. eher wieder von einem Partner trennen,<br />

aber diese Freiheit bringt auch das Risiko mit sich, dass man von seinem<br />

Partner verlassen wird <strong>und</strong> sein Leben dann neu ohne ihn organisieren<br />

muss. Eine Frau könnte sich z.B. weniger denn je darauf verlassen, durch<br />

eine Heirat lebenslang ökonomisch abgesichert zu sein. Auch bei der beruflichen<br />

Wahl ist man auf sich gestellt, es ist unsicher, ob man später eine<br />

gute Arbeitsstelle bekommen wird etc. Welchen Beruf der Vater hatte, ist<br />

heute kaum noch ein zuverlässiges Kriterium, um eine Wahl zu treffen. In<br />

Becks Worten: „Die handlungsleitenden ‚Meso-Sicherheiten’ sozialer Milieus<br />

schmelzen weg, <strong>und</strong> die Individuen müssen auch innerhalb weiter bestehender<br />

Einkommenshierarchien <strong>und</strong> innerhalb weiter existierender Familien<br />

ihre Biographie durch aufbrechende Entscheidungszwänge <strong>und</strong><br />

Entscheidungsrisiken hindurch selbst planen, organisieren, zusammenhalten,<br />

in einem kontinuierlichen Versuch-<strong>und</strong>-Irrtum-Verfahren“ (Beck/Beck-<br />

Gernsheim 1993: 179). Die Risiken werden außerdem verstärkt den einzelnen<br />

Individuen zugeschrieben: Wenn jemand z.B. arbeitslos wird, liegt es<br />

nahe, dass er sich Mühe geben muss <strong>und</strong> dass er vielleicht früher eine falsche<br />

Berufsentscheidung getroffen hat. Selbst wenn man weiß, dass es<br />

strukturelle Ursachen der wirtschaftlichen Entwicklung gibt, führen sie<br />

nicht mehr z.B. zur Solidarisierung einer Klasse von Arbeitslosen, es sind<br />

individualisierte Arbeitslose. Individualisierung kann somit auch als gesellschaftlicher<br />

Zurechnungsmodus verstanden werden, der die Selbstverantwortung<br />

<strong>und</strong> Selbststeuerung akzentuiert (so auch Wohlrab-Sahr 1997).<br />

Insgesamt bedeutet Individualisierung also mehr Freiheit, aber auch mehr<br />

Unsicherheit für das Individuum. Eine dritte Dimension kommt hinzu:<br />

3. Reintegration in die Gesellschaft: Die Freiheit des Individuums ist nach der<br />

Individualisierungsthese nicht unendlich. Es gibt eine neue Art der Wiedereinbindung,<br />

nur nicht mehr z.B. durch Klassen vermittelt. Individuum <strong>und</strong><br />

Gesellschaft stehen sich unmittelbarer gegenüber. Nicht nur gibt es jetzt einen<br />

Zwang, sich zu entscheiden (z.B. ob <strong>und</strong> welchen Beruf jemand ergreift),<br />

sondern die Entscheidungen sind begrenzt, vor allem durch Institutionen,<br />

also z.B. den Arbeitsmarkt, rechtliche <strong>und</strong> sozialstaatliche Regelungen<br />

usw. Z.B. gibt es die Schulpflicht, wenn man Ärztin werden will,


158 8 Individualisierung – Entstrukturierung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>?<br />

muss man dafür eine bestimmte Ausbildung an der Universität durchlaufen,<br />

der Arbeitsmarkt bietet bestimmten Personen (je nach Qualifikation, Branche,<br />

räumlicher Mobilität, Wunsch nach Teilzeit etc.) weniger Chancen als<br />

anderen etc. Institutionelle Anerkennung von Pluralität (z.B. im<br />

Familienrecht) <strong>und</strong> die Adressierung von (politischen <strong>und</strong> sozialen)<br />

Gr<strong>und</strong>rechten sowie Reformen (z.B. Arbeitsmarktreformen) an das<br />

Individuum anstatt an ein Kollektiv sind Bestandteile der von Beck des<br />

Öfteren hervorgehobenen „institutionellen Individualisierung“ (z.B. Beck<br />

2008: 303). Neben der Integration durch Institutionen spielt zudem der<br />

Modus der Selbstintegration, das heißt das Eingehen freiwilliger Bindungen,<br />

eine Rolle (Beck 1997).<br />

Beck spricht im Zusammenhang mit Freisetzung <strong>und</strong> Reintegration auch von<br />

Doppelgesichtern der Individualisierung. Die Freiheit ist nur die eine Seite, Restriktionen<br />

in neuer Form sind die andere Seite. Ein Beispiel: Frauen sind heute<br />

oft qualifizierter als früher <strong>und</strong> möchten gern einer entsprechenden Erwerbsarbeit<br />

nachgehen, aber andererseits lässt der Arbeitsmarkt dies nicht immer zu.<br />

Dabei entsteht – wie geschildert – der Eindruck, die Entscheidungen des Individuums<br />

hätten zu seiner Situation geführt. Spätestens auf den zweiten Blick sieht<br />

man aber die Institutionenabhängigkeit daran, dass es bei zehn Millionen Menschen<br />

nicht zehn Millionen ganz unterschiedliche Lebensverläufe gibt. Natürlich<br />

hat im Detail jeder ein einzigartiges Leben <strong>und</strong> es gibt weniger „Normallebensläufe“<br />

als z.B. Ende der fünfziger Jahre. Zu der Zeit gab es eher das bürgerliche<br />

Ideal, dass der Mann für die Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> die Frau (gegebenenfalls neben<br />

einer Erwerbstätigkeit) in erster Linie für den Haushalt <strong>und</strong> die Kinder zuständig<br />

ist. Aber auch in einer individualisierten Gesellschaft gibt es Standardisierungen,<br />

z.B. von Ausbildungsverläufen oder Freizeitbeschäftigungen (wie Fernsehen).<br />

Soweit zum Begriff der Individualisierung nach Beck: Eine Freisetzung aus<br />

bestimmten sozialen Bindungen wird dabei also begleitet durch Risiken, Unsicherheiten<br />

<strong>und</strong> zudem neue Einbindungen. In diesem Prozess ändert sich das<br />

Verhältnis von Individuum <strong>und</strong> Gesellschaft. Das Verhältnis wird direkter, es ist<br />

nicht mehr in erster Linie vermittelt durch soziale Instanzen wie die soziale<br />

Schicht oder Klasse.<br />

Individualisierung hat zum einen Folgen für das Individuum, es darf <strong>und</strong><br />

muss wählen <strong>und</strong> Entscheidungen treffen, dabei muss es auch Handlungsweisen<br />

mit anderen abstimmen <strong>und</strong> auf Risiken gefasst sein. In längerfristiger Perspektive<br />

ergibt sich durch diese Wahlfreiheiten der einzelnen eine „Bastelbiographie“,<br />

die mehr Varianten aufweist als frühere „Normalbiographien“. Jeder bastelt<br />

sich seinen Lebenslauf aus den (nicht unendlichen) Möglichkeiten zusammen.<br />

Auf der Makroebene bestehen Folgen in der erwähnten Standardisierung


8 Individualisierung – Entstrukturierung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>? 159<br />

<strong>und</strong> Pluralisierung (z.B. von Formen des Zusammenlebens: verheiratet oder<br />

nicht, Kinder oder nicht oder aus einer früheren Beziehung, Alleinerziehende,<br />

homosexuelle Paare etc.).<br />

Welche Ursachen hatte dieser Individualisierungsprozess? Eine wichtige<br />

Ursache ist der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg. Die Menschen konnten sich mehr Dinge leisten. Beck nennt dies den<br />

„Fahrstuhleffekt“: Nicht die ökonomischen Unterschiede sind verschw<strong>und</strong>en,<br />

sondern die Reicheren sind noch ein bisschen reicher geworden, die Menschen in<br />

schlechteren ökonomischen Lagen haben ebenfalls hinzugewonnen. Die meisten<br />

haben also ein wenig mehr Geld, die Unterschiede zwischen ihnen sind aber<br />

ungefähr gleich geblieben, alle (jedenfalls viele) sind mit dem Fahrstuhl eine<br />

Etage höher gefahren. Gestiegenes Einkommen wird bei diesem Effekt noch<br />

dadurch begleitet, dass man bei insgesamt gestiegener Lebenserwartung eine<br />

geringere Arbeitszeit (auch Lebensarbeitszeit) hat. Inwiefern bewirkte dieser<br />

ökonomische Aufschwung Individualisierung? Zwar sind Unterschiede zwischen<br />

arm <strong>und</strong> reich relativ gleich geblieben, aber dadurch, dass sich auch die Ärmeren,<br />

etwa die Arbeiter, mehr leisten können, z.B. ein Auto, Reisen, eine hübsche<br />

Wohnung, sind die <strong>Ungleichheit</strong>en subjektiv weniger wichtig geworden, der<br />

potentielle Konflikt zwischen verschiedenen Gruppen sozialer Lage ist weniger<br />

wichtig, die individuelle Bindung an eine Klasse verliert an Bedeutung. Für diesen<br />

Bedeutungsverlust ist außerdem der Einflussfaktor „Mobilität“ relevant:<br />

Durch verstärkte räumliche <strong>und</strong> soziale Mobilität verbringt man nicht mehr sein<br />

ganzes Leben in dem gleichen sozialen Umfeld (man zieht z.B. in eine andere<br />

Stadt <strong>und</strong>/oder wechselt die Arbeitsstelle), auch in diesem Sinne verlieren also<br />

traditionelle Bindungen an ihrer unbedingten Bedeutung. Ein zweiter Gr<strong>und</strong><br />

neben dem wirtschaftlichen Aufschwung ist die wohlfahrtsstaatliche Absicherung,<br />

z.B. wird das Studieren durch Bafög möglicherweise erleichtert. Eine Frau,<br />

die mit einem Kind ihren Mann verlassen will, muss dadurch vielleicht ökonomische<br />

Einbußen hinnehmen, wenn der Mann bisher Haupternährer war <strong>und</strong> sie<br />

auch in Zukunft wegen des Kindes keine Vollzeitstelle annehmen könnte. Sie<br />

fällt aber nicht ins finanzielle Nichts, es gibt Unterhaltsregelungen <strong>und</strong> im Notfall<br />

die Sozialhilfe. Solche Umstände können Entscheidungen (z.B. den Partner<br />

zu verlassen) erleichtern. Ein dritter Gr<strong>und</strong> ist schließlich die Bildungsexpansion<br />

in den sechziger Jahren, von der vor allem die Frauen profitiert haben. Mit mehr<br />

Ausbildung stehen ihnen mehr Entscheidungsfreiheiten offen, auch ihre Werte<br />

verändern sich zum Teil (z.B. weg von traditionellen Idealen oder der Hinnahme<br />

von <strong>Ungleichheit</strong>en). Hinzu kommen gerade für die Situation von Frauen weitere<br />

Faktoren, z.B. mehr technische Hilfen bei der Hausarbeit oder eine erleichterte<br />

Familienplanung durch die Antibabypille. Ein Ergebnis dieser Entwicklungen<br />

<strong>und</strong> vor allem der Bildungsexpansion ist, dass Frauen <strong>und</strong> Männer stärker als


160 8 Individualisierung – Entstrukturierung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>?<br />

Paar aushandeln müssen, wer geht wie viel arbeiten, wer macht die Hausarbeit<br />

<strong>und</strong> passt auf die Kinder auf etc. Die Arbeitsteilung ist nicht mehr selbstverständlich,<br />

auch wenn sie häufig noch in etwa geschlechtsspezifisch abläuft (zumindest<br />

ist die Frau meist noch hauptsächlich für den Haushalt <strong>und</strong> die Kinder<br />

zuständig, ob sie erwerbstätig ist oder nicht, vgl. z.B Dressel/Cornelißen/Wolf<br />

2005 oder Mühling et al. 2006). Die Option, sich einen anderen Partner zu suchen<br />

anstatt weitere Kompromisse einzugehen, beeinflusst die Diskussionen<br />

stärker als es etwa noch in den fünfziger Jahren der Fall war. Beck prägte für<br />

diesen Sachverhalt das griffige Schlagwort der „Verhandlungsfamilie auf Zeit“.<br />

Es gibt durch die vielen Dimensionen des Begriffs (<strong>und</strong> auch durch Becks<br />

Darstellungsweise) verschiedene Missverständnisse, jeder versteht unter Individualisierung<br />

etwas anderes, kritisiert dann wiederum die anderen, nicht präzise<br />

genug zu sagen, was sie meinen usw., auch empirische Überprüfungen sind nicht<br />

einfach zu konzeptionieren. Wichtige Kritikpunkte richten sich neben oder im<br />

Kontext der Mehrdeutigkeit des Konzepts z.B. auf die Frage des Vergleichszeitraums,<br />

die Universalität der Geltung von Individualisierung oder auf die Frage,<br />

inwiefern Individualisierung tatsächlich mit Pluralisierung zusammenhängt beziehungsweise<br />

zusammenhängen muss. 31 Beck wehrt sich gegen einige Deutungen<br />

des Begriffs. Auf individueller Ebene heißt Individualisierung beispielsweise<br />

nicht unbegrenzte Freiheit oder Autonomie, Selbstverwirklichung oder Emanzipation.<br />

Er bedeutet aber auch nicht Einsamkeit (nachdem Beck die Existenz von<br />

Großgruppen wie der Klasse oder die bestimmende Bedeutung der Familie für<br />

alle Lebensentscheidungen verneint, könnte man auf die Idee kommen, das Individuum<br />

sei nun einsam). Individualisierung meint „nicht Atomisierung, nicht<br />

Vereinzelung, nicht Vereinsamung, nicht das Ende jeder Art von Gesellschaft ...<br />

nicht Netzwerklosigkeit“ (Beck/Beck-Gernsheim 1993: 179, Hervorhebungen i.<br />

O.). Es gibt die oben genannten Wiedereinbindungen, <strong>und</strong> es gibt auch Bindungen<br />

an Personen <strong>und</strong> Personengruppen, nur nicht so unbedingt feststehende (z.B.<br />

lebenslang zum Ehepartner) oder solche zu Großgruppen wie der Klasse, wie es<br />

in der Vergangenheit eher der Fall war. Trotz dieser Entgegnungen bleibt jedoch<br />

die Anforderung bestehen, Begriffe (z.B. Wahlfreiheit, Entscheidung, Wiedereinbindung)<br />

im Rahmen der Individualisierungsthese zu präzisieren <strong>und</strong> damit<br />

einer empirischen Überprüfung zugänglich zu machen.<br />

31 Vgl. zu theoretisch oder empirisch angelegter Prüfung <strong>und</strong> Kritik der Individualisierungsthese z.B.<br />

Hondrich 1997, Friedrichs 1998, Hartmann 2001, Simonson 2004, Kohler 2005, Scherger 2007,<br />

Atkinson 2007 (s. auch Beck 2007a), Berger/Hitzler 2010; Konkretisierungen <strong>und</strong> Auseinandersetzungen<br />

mit ‚Individualisierung’ finden sich zudem z.B. in einigen von Beck herausgegebenen Sammelbänden:<br />

Beck/Beck-Gernsheim 1994, Beck 1997, Beck/Sopp 1997; als Gesamtdarstellung des<br />

Konzepts vgl. auch Junge 2002, Schroer 2008.


8 Individualisierung – Entstrukturierung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>? 161<br />

Weiterhin gibt es das Argument, nur besser verdienende, junge qualifizierte<br />

Menschen seien individualisiert, weil nur sie die Entscheidungsspielräume hätten,<br />

die Beck beschreibt (z.B. Burkart 1993). Solch eine Einschätzung beruht<br />

aber ebenfalls auf der Deutung, Individualisierung meine in erster Linie Entscheidungsfreiheit.<br />

Man muss aber auch die andere Seite, die Wiedereinbindung<br />

(z.B. durch Institutionen) im Blick haben, dann kann man das Argument nicht so<br />

stehen lassen. Eine Person mit Hauptschulabschluss etwa hat vielleicht weniger<br />

Ausbildungswege zur Verfügung als eine Person mit Abitur. Aber erstens hat<br />

auch der Abiturient nicht unendliche Möglichkeiten (z.B. Studienbeschränkungen<br />

durch einen numerus clausus), andererseits geht es auch beim Hauptschüler<br />

nicht darum, ohne langes Nachdenken wie vielleicht der Vater Arbeiter zu werden,<br />

eventuell sogar beim gleichen Großunternehmen, er muss ebenfalls unter<br />

einigen Möglichkeiten abwägen, kann dabei nicht auf traditionell feststehende<br />

Wege zurückgreifen, hat aber andererseits zumindest theoretisch die Möglichkeit,<br />

sich weiter zu qualifizieren <strong>und</strong> die beruflichen Möglichkeiten damit zu<br />

verbessern. Nollmann <strong>und</strong> Strasser verstehen Individualisierung ohnehin vor<br />

allem als Deutungsmuster (welches den Einzelnen als Entscheidungszentrum<br />

seines Lebens ansieht), das man nicht ohne weiteres auf die Sozialstruktur, etwa<br />

auf Entstandardisierung oder auch Desintegration, „hochrechnen“ könne (2004:<br />

99). Folglich widersprechen aus dieser Perspektive Phänomene, die z.B. eher die<br />

Restriktionen des Handelns anzeigen, der Individualisierungsthese nicht. Insgesamt<br />

kann man für die gesellschaftliche Ebene sagen, dass Individualisierung<br />

nicht eine vollkommene Entstrukturierung oder die Aufhebung der sozialen<br />

<strong>Ungleichheit</strong> bedeutet.<br />

Zu Becks Perspektive auf <strong>Ungleichheit</strong> lässt sich nun nochmals auf der Basis<br />

dieser Erläuterungen sagen: Nicht Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle in neuer<br />

Form, nicht Modelle mit anderen Begriffen, sondern die Verneinung von Großgruppen<br />

überhaupt scheint angemessen. Da die <strong>Ungleichheit</strong>srelationen ähnlich<br />

bleiben, wie beim Fahrstuhleffekt erklärt, handelt es sich nicht um eine Entstrukturierung<br />

der Gesellschaft, nicht um eine Auflösung von <strong>Ungleichheit</strong>en<br />

<strong>und</strong> damit auch nicht um eine Neuauflage von Schelskys „nivellierter Mittelstandsgesellschaft“<br />

(vgl. Kap. 3.1), aber man kann laut Beck die Sozialstruktur<br />

mit Großgruppen nicht mehr angemessen beschreiben:<br />

„Wir leben trotz fortbestehender <strong>und</strong> neu entstehender <strong>Ungleichheit</strong>en heute in der<br />

<strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik bereits in Verhältnissen jenseits der Klassengesellschaft … Auf der<br />

einen Seite sind die Relationen sozialer <strong>Ungleichheit</strong> in der Nachkriegsentwicklung<br />

der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik weitgehend konstant geblieben. Auf der anderen Seite haben<br />

sich die Lebensbedingungen der Bevölkerung radikal verändert [durch den Fahrstuhleffekt,<br />

N.B.] … In der Konsequenz werden subkulturelle Klassenidentitäten<br />

<strong>und</strong> -bindungen ausgedünnt oder aufgelöst. Gleichzeitig wird ein Prozess der Indivi-


162 8 Individualisierung – Entstrukturierung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>?<br />

dualisierung <strong>und</strong> Diversifizierung von Lebenslagen <strong>und</strong> Lebensstilen in Gang gesetzt,<br />

der das Hierarchiemodell sozialer Klassen <strong>und</strong> Schichten unterläuft <strong>und</strong> in seinem<br />

Wirklichkeitsgehalt in Frage stellt“ (1986: 121f., Hervorhebung i. O.).<br />

In einer späteren Veröffentlichung verdeutlicht er zudem:<br />

„Individualisierung ist allerdings kein bloß subjektiver Sachverhalt, demgegenüber<br />

eine objektive ‚Sozialstruktur’ der ‚Klassen’ <strong>und</strong> ‚Schichten’ fortbesteht, die für das<br />

Denken der Individuen verschlossen ist. Individualisierung ‚verflüssigt’ die ‚Sozialstruktur’<br />

der modernen Gesellschaft“ (2001: 3).<br />

Diese Position steht im Gegensatz z.B. zu der These Geißlers, dass die moderne<br />

Schichtstruktur durchaus weiterhin besteht, jedoch in weiten Teilen latent <strong>und</strong><br />

der Alltagsbeobachtung schwerer zugänglich ist (1996: 333; vgl. Kap. 4.1).<br />

Beck nimmt hier allerdings nur die Position dazu ein, was es nicht mehr gibt<br />

(nämlich z.B. Klassen), bestreitet dabei auch <strong>Ungleichheit</strong> nicht. Beck legt jedoch<br />

mit der Individualisierungstheorie kein eigenes Modell dafür vor, wie man<br />

<strong>Ungleichheit</strong> in der Gesellschaft dann heute noch erfassen kann. Er spricht davon,<br />

dass es zeitlich begrenzte Zusammenschlüsse geben kann, es gibt also noch<br />

Bindungen <strong>und</strong> Interessengruppen, z.B. bei Bürgerinitiativen. Dies ist aber nur<br />

ein spezielles Beispiel. Es sagt nichts darüber aus, wie die <strong>Ungleichheit</strong>sstruktur<br />

einer Gesellschaft insgesamt soziologisch zu erfassen wäre.<br />

Individualisierung wird mit anderen Konzepten der <strong>Ungleichheit</strong>sforschung<br />

teilweise verknüpft. So beruft sich insbesondere die Lebensstilforschung der<br />

1980er <strong>und</strong> 1990er Jahre oft auf die Individualisierung. In Einleitungen etwa ist<br />

dort häufig zu lesen, Individualisierung <strong>und</strong> Pluralisierung hätten dazu geführt,<br />

dass Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle an Erklärungskraft verloren <strong>und</strong> sich dafür<br />

differenzierte Lebensstiltypen oder Milieus herausgebildet hätten, die über- <strong>und</strong><br />

nebeneinander liegen, sich zum Teil auch überlappen. Trotz der vielfältigen<br />

Kritik an Becks Ausführungen stellen die meisten Autoren einige Gr<strong>und</strong>züge des<br />

beschriebenen Prozesses kaum in Frage. Einige Autoren bezweifeln jedoch den<br />

oft selbstverständlich hergestellten Zusammenhang von Individualisierung als<br />

Ursache einerseits <strong>und</strong> Pluralisierung <strong>und</strong> Ausbildung von Lebensstilen als Folge<br />

andererseits. Huinink <strong>und</strong> Wagner beispielsweise sind der Ansicht, dass „Individualisierung<br />

weder eine notwendige, noch eine hinreichende Voraussetzung für<br />

Pluralisierung von Lebensformen ist“ (1998: 92). Nicht nur werde die Homogenität<br />

von Lebensformen in stratifikatorisch differenzierten Gesellschaften oft<br />

überschätzt <strong>und</strong> die homogenisierende Wirkung von Reintegrationsmechanismen<br />

nach einem Abbau traditionaler Selbstverständlichkeiten gleichzeitig unterschätzt.<br />

Es käme hinzu, dass (insbesondere in Teilgruppen der Bevölkerung)<br />

auch bei normativ schwachen Vorgaben homogenes Verhalten entstehen kann,


8 Individualisierung – Entstrukturierung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>? 163<br />

wenn es sich als erfolgreich im Rahmen der Lebenslage dieser Teilgruppe erwiesen<br />

hat (a.a.O.: 91f.). Das Zusammenleben als Verheiratete mit Kindern etwa<br />

erfolgt dann weniger, weil es immer schon so war oder Abweichungen diskriminiert<br />

würden, sondern weil man sich im Rahmen institutioneller Vorgaben für<br />

diese Lebensform entschieden hat (diese Kausalzusammenhänge sind natürlich<br />

komplexer, als sie hier dargestellt werden können). Beck selbst schreibt dazu:<br />

„Nonkonformismus schließt die Möglichkeit ein, konventionell <strong>und</strong> traditionell<br />

zu leben“ (2001: 4).<br />

Konietzka bezweifelt die Verknüpfbarkeit von Individualisierung (soweit<br />

belegbar) <strong>und</strong> der Ausbildung von Lebensstilen. Becks Argumentation richte<br />

sich eher auf die Rahmenbedingungen des Handelns, auf die Lebenslage, als auf<br />

das Handeln selbst, wie dies bei Lebensstilen der Fall sei. Zudem könne man<br />

sich entweder dafür entscheiden, Lebensstile oder stattdessen Individualisierung<br />

als neue Vergesellschaftungsform anzusehen. Beides gleichzeitig schließe sich<br />

aus, weil Individualisierung das Individuum als „Reproduktionseinheit des <strong>Soziale</strong>n“<br />

ansehe <strong>und</strong> damit jede gruppenspezifische Sicht ablehne. Schließlich<br />

sieht Konietzka einen Widerspruch zwischen den neuen Kontrollstrukturen, der<br />

Institutionenabhängigkeit <strong>und</strong> Standardisierung bei Beck einerseits <strong>und</strong> andererseits<br />

den Lebensstilen, die trotz bestimmter Strukturbindungen die Präferenzen<br />

der Individuen (man müsste hinzufügen: teilweise) stärker betonen (Konietzka<br />

1994: 153-158).<br />

Zusammenfassung der Individualisierungsthese<br />

Individualisierung ist ein Prozess, der laut U. Beck in modernen Gesellschaften<br />

(zumindest in westlichen Gesellschaften) seit den sechziger Jahren des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

festzustellen ist. Es handelt sich um einen gesellschaftlichen Prozess, in<br />

dem die Individuen aus traditionellen Bindungen (z.B. Klasse <strong>und</strong> Schicht) freigesetzt<br />

werden, was neue Freiheiten, aber auch Unsicherheiten mit sich bringt.<br />

Neue Formen der Wiedereinbindungen sind nicht mehr in erster Linie durch<br />

Großgruppen wie die Klasse vermittelt, die Einbindung (<strong>und</strong> damit die Grenze<br />

der Wahlfreiheiten) erfolgt unter anderem über Institutionen wie den Arbeitsmarkt.<br />

Das bedeutet nicht, dass der Einzelne keine Bindungen mehr hat, sie sind<br />

nun aber anderer Art, insbesondere in einer längerfristigen Perspektive. Auch<br />

bestehen bestimmte <strong>Ungleichheit</strong>en, z.B. zwischen Einkommensgruppen, durchaus<br />

fort oder können sich sogar verschärfen. Ein <strong>Ungleichheit</strong>sgefüge aus stabilen<br />

gesellschaftlichen Großgruppen, deren Mitglieder eine identitätsstiftende<br />

Bindung zur Gruppe haben oder die sich aufgr<strong>und</strong> ihrer Zugehörigkeit ähnlich<br />

verhalten, gibt es nach dieser Auffassung jedoch nicht mehr. Dann werden die


164 8 Individualisierung – Entstrukturierung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>?<br />

„in allen möglichen ‚Soziotopen’ sich entwickelnden habituellen Eigen- <strong>und</strong><br />

Besonderheiten, die speziellen Praktiken <strong>und</strong> Riten, die identitätsstiftenden<br />

Emblematiken <strong>und</strong> Symboliken, die Relevanzsysteme <strong>und</strong> Wissensbestände, die<br />

Deutungsschemata <strong>und</strong> Distinktionsmarkierungen … zu zentralen Gegenständen<br />

einer individualisierungstheoretisch orientierten Diagnose des Wandels der modernen<br />

Gegenwartsgesellschaft“ (Hitzler 1999: 244f.). Eine solche Position ist<br />

jedoch auch dann, wenn man Individualisierung nicht als vollständige Entstrukturierung<br />

versteht, aus theoretischer <strong>und</strong> empirischer Sicht umstritten.<br />

Individualisierung als vollständige Entstrukturierung wird insgesamt nicht<br />

nur von kritischen Stimmen abgelehnt, sondern ist gar nicht zwingend eine Aussage<br />

der Individualisierungsthese selbst. Folglich kann es nicht darum gehen, im<br />

Zuge von Re-Strukturierungsdiskussionen Individualisierung (wie auch einige<br />

Lebensstilanalysen, siehe Kap. 5.1 <strong>und</strong> 5.3) als einseitig die Vielfalt von Unterschieden<br />

betonend <strong>und</strong> damit als – zumindest mittlerweile – überholt abzulehnen,<br />

sondern die Integration sozialer Wandlungsprozesse mit ihren Folgen für<br />

Lebensläufe seit den 1960er Jahren, wie sie unter anderem Beck beschrieben hat,<br />

bleibt auch für neuere <strong>Ungleichheit</strong>smodelle eine Herausforderung.<br />

Verzeitlichung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>en bei P.A. Berger<br />

Eine ähnliche Betonung instabiler Strukturen wie bei Beck <strong>und</strong> zumindest von<br />

Tendenzen der Entstrukturierung findet man bei Peter A. Berger. Insbesondere<br />

macht er auf die Bedeutung einer verzeitlichten oder dynamisierten Perspektive<br />

sozialer <strong>Ungleichheit</strong> aufmerksam, darauf also, dass Personen ihren Status im<br />

Lebenslauf zunehmend häufiger wechseln. Zu dieser Bewegung in Strukturen<br />

tritt noch die Bewegung von sozialen Strukturen (in geraffter Form z.B. Strukturen<br />

Ostdeutschlands nach der Vereinigung).<br />

Diese Perspektive bedeutet auch bei Berger nicht die Annahme einer vollkommenen<br />

Entstrukturierung oder die Auflösung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>en überhaupt.<br />

An verschiedenen Stellen seiner Veröffentlichungen finden sich Hinweise<br />

darauf, z.B. heißt es: Die<br />

„inter- <strong>und</strong> intragenerationellen Auflockerungstendenzen im westdeutschen Mobilitätsregime<br />

sind freilich nicht gleichbedeutend mit einer Außerkraftsetzung hergebrachter<br />

Mechanismen der Statusvererbung oder gar einem ‚Ende’ der Reproduktion<br />

sozialer <strong>Ungleichheit</strong>en“ (1996: 245).<br />

Dennoch sieht er es als Mangel der bisherigen Sozialstrukturanalyse, die Verzeitlichung<br />

von <strong>Ungleichheit</strong>en <strong>und</strong> die Dauer des Verbleibs in einer bestimmten<br />

Lage zu wenig zu beachten. Selbst bei mehreren betrachteten Zeitpunkten neige


8 Individualisierung – Entstrukturierung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>? 165<br />

sie dazu, Stabilität zu überschätzen <strong>und</strong> Fluktuationen zu unterschätzen. Die<br />

Armutsforschung kann beispielsweise zeigen, dass eine relative Konstanz von<br />

Armutsanteilen zu zwei Zeitpunkten mit erheblichen Zu- <strong>und</strong> Abgangsbewegungen<br />

innerhalb dieses Zeitraums verb<strong>und</strong>en sein kann (1996: 20/21). Berger<br />

kommt zu dem Schluss, dass es zwar einerseits in bestimmten Hinsichten durchaus<br />

ausgeprägte „meritokratische“ Züge der gegenwärtigen „Erwerbsgesellschaft“<br />

gebe, dass es aber andererseits „wachsende Instabilitäten <strong>und</strong> Unsicherheiten“<br />

gibt, „die die strukturprägende <strong>und</strong> legitimierende Kraft der meritokratischen<br />

Triade aushöhlen“ – <strong>und</strong> dies nicht nur am unteren Ende der Statushierarchie<br />

(Berger/Konietzka 2001: 22). Diese Instabilitäten, allgemein die<br />

Dauer des Verbleibs in sozialen Lagen (in einem weiten Wortsinn) müsste die<br />

<strong>Ungleichheit</strong>sforschung konsequent als Element der objektiven Lebensbedingungen<br />

berücksichtigen (Berger 1990: 324). Hinzu kommt Bergers Hinweis,<br />

dass man beim Schluss von objektiven <strong>Ungleichheit</strong>smustern auf die „kulturelle“<br />

oder „subjektive“ Ebene, also auf Werte, Mentalitäten, Stile etc., durchaus die<br />

wissenssoziologischen <strong>und</strong> konstruktivistischen Untertöne etwas ernster nehmen<br />

solle als dies (auch neuere) sozialstrukturelle Arbeiten tun. Die genannte Verknüpfung<br />

solle daher sorgfältig konzeptionell überlegt sein (Berger 2001: 210).<br />

Auf jeden Fall impliziert dieser Gedanke den Vorschlag, nicht abgehoben von<br />

Positionen auszugehen, die zu besetzen sind, sondern von den Personen, die<br />

(ungleichheitsrelevante) Lebensläufe haben, Statusbiographien erleben.<br />

Zunehmende Instabilitäten <strong>und</strong> Diskontinuitäten sieht Berger nicht einseitig<br />

als Gefahr für die soziale Integration an. Kurze Verbleibsdauern in einem Status<br />

können zwar zu einer Schwächung der Integration führen, möglich ist aber auch<br />

eine flexiblere Haltung gegenüber vormals fremden Normen <strong>und</strong> Lebensstilen<br />

als Basis für eine andere Form der Integration als zuvor. So ist nicht a priori<br />

entscheidbar, ob sich eher eine Statusunsicherheit oder Erfahrungsvielfalt ergibt.<br />

Diese Ambivalenz entspricht auf einer kollektiven Ebene dem Doppelgesicht<br />

von Individualisierung für die Einzelnen, die als Chance, aber auch als Risiko<br />

zum Ausdruck kommen kann (Berger 1996). Eine empirische Prüfung von Häufigkeitsverteilungen<br />

zwischen den beiden Polen nimmt er allerdings nicht vor.<br />

Berger versucht jedoch, hinsichtlich von Erwerbsverläufen eine Bündelung von<br />

Bef<strong>und</strong>en zu sozialstrukturellen Bewegungen vorzunehmen, indem er „Bewegungstypen“<br />

ausmacht: Aufsteiger, Stetige, Unstetige <strong>und</strong> Absteiger (1996: 232-<br />

236). Diese verbindet er in einem nächsten Schritt mit Formen der Alltäglichen<br />

Lebensführung (vgl. Kap. 5), so dass sich folgendes Schema ergibt:


166 8 Individualisierung – Entstrukturierung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>?<br />

Abbildung 25: Bewegungstypen <strong>und</strong> Formen alltäglicher Lebensführung nach<br />

Berger<br />

Quelle: Berger 1996: 240<br />

Berger ist sich dabei allerdings bewusst, dass man bei der Berücksichtigung<br />

weiterer Faktoren (als nur von Erwerbsverläufen) <strong>und</strong> weiteren Untersuchungszeitpunkten<br />

Stabilitätsquoten fast beliebig „klein rechnen“ kann (1996: 242). Das<br />

Schema ist somit eher als ein heuristischer Schritt zu werten, um die Forderung<br />

nach einer dynamischen Sicht nicht im luftleeren Raum enden zu lassen.<br />

Mit dem Hinweis auf die zentrale Rolle von Personen <strong>und</strong> ihren Statusverläufen<br />

setzt Berger sich von mehr die Makroebene betonenden Ansätzen wie<br />

Klassenmodellen ab. Andererseits nimmt er mit der konsequenten Berücksichtigung<br />

von <strong>Ungleichheit</strong>sdynamiken (<strong>und</strong> zwar nicht nur in, sondern auch von<br />

Strukturen) eine zentrale Forderung der Klassenansätze auf, die diese von<br />

Schichtmodellen <strong>und</strong> teilweise auch anderen neueren Ansätzen sozialer <strong>Ungleichheit</strong><br />

unterscheiden. Die Konsequenz, mit der Berger auf die Instabilität von<br />

(andererseits nicht vollkommen negierten) <strong>Ungleichheit</strong>sstrukturen hinweist,<br />

bringt seinen Ansatz in die Nähe der Argumente von Becks Individualisierungsthese.<br />

Dass übrigens eine Berücksichtigung von Lebensläufen nicht unbedingt<br />

zum Konzept Bergers führen muss, zeigen beispielsweise die Arbeiten von Karl<br />

Ulrich Mayer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin (vgl.


8 Individualisierung – Entstrukturierung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>? 167<br />

z.B. Mayer/Blossfeld 1990). Weniger „radikal“ als Berger schreibt er z.B., „dass<br />

soziale <strong>Ungleichheit</strong>en auf mehrfache Weise im Verlauf des individuellen Lebens<br />

entstehen <strong>und</strong> sich kumulativ verfestigen … Ressourcen der Herkunftsfamilie<br />

[müssen] während des eigenen Lebens erst in sichere Statuspositionen<br />

<strong>und</strong> Klassenlagen umgesetzt werden“ (Mayer/Blossfeld 1990: 297). Zwar<br />

schreibt auch er, dass sich Personen während ihres Lebenslaufs unterschiedlich<br />

lange in verschiedenen Klassenlagen aufhalten können (ebd.) <strong>und</strong> plädiert für<br />

einen „diachronen Klassenbegriff“ (a.a.O.: 302), aber bereits das stärkere Festhalten<br />

am Klassenbegriff unterscheidet ihn von Berger. Thesen, die er anhand<br />

von Untersuchungen untermauert, zeigen dann auch eher eine fortbestehende<br />

Prägung von „Klasse <strong>und</strong> Schicht“ unter Berücksichtigung des Lebenslaufs.<br />

Beispielsweise bestimmt die soziale Herkunft nach wie vor die Qualität der beruflichen<br />

Ausbildung (vergleichbar mit den Ergebnissen von W. Müller, vgl.<br />

Kap. 4.2). Entstrukturierung <strong>und</strong> Individualisierung lehnen diese Autoren insgesamt<br />

als zu einseitiges (<strong>und</strong> auch nicht direkt empirisch prüfbares) Ergebnis von<br />

<strong>Ungleichheit</strong>sanalysen ab (Mayer/Blossfeld 1990).<br />

Wie oben angesprochen, bleibt es nach wie vor eine Aufgabe der<br />

Lebenslaufforschung (Hillmert/Mayer 2004, Blossfeld et al. 2007, Mayer/Schulze<br />

2009, Mayer/Solga 2010, Solga et al. 2009: Kapitel IV) zum einen <strong>und</strong> der<br />

<strong>Ungleichheit</strong>sforschung zum anderen, ihre Konzepte <strong>und</strong> Bef<strong>und</strong>e über die<br />

Dynamik sozialer <strong>Ungleichheit</strong>en unter Berücksichtigung des Lebenslaufs aufeinander<br />

zu beziehen.<br />

Lesehinweise:<br />

� Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne,<br />

Frankfurt a.M.: Suhrkamp, insbesondere: Zweiter Teil;<br />

� Zur Diskussion <strong>und</strong> Kritik: Berger, Peter A.; Ronald Hitzler (Hg.) (2010):<br />

Individualisierungen. Ein Vierteljahrh<strong>und</strong>ert „jenseits von Stand <strong>und</strong><br />

Klasse“? Wiesbaden: VS


9 Zum Wandel sozialer <strong>Ungleichheit</strong>en<br />

9. Zum Wandel sozialer <strong>Ungleichheit</strong>en<br />

Der Schwerpunkt der bisherigen Darstellung lag auf den Fragen, wie die einzelnen<br />

Ansätze soziale <strong>Ungleichheit</strong> verstehen, welche Struktur sie postulieren, wie<br />

sie soziale <strong>Ungleichheit</strong> erklären <strong>und</strong> teilweise auch, welche Folgen diese für das<br />

gesellschaftliche Zusammenleben hat. Dabei ist immer auch das Thema angeklungen,<br />

wie sich soziale <strong>Ungleichheit</strong>en wandeln, entweder durch die Mobilität<br />

von Individuen oder durch die Veränderung des gesamten <strong>Ungleichheit</strong>sgefüges.<br />

Die Analyse des Wandels ist bedeutsam, um über eine rein statische Sicht hinaus<br />

zu gelangen <strong>und</strong> um die theoretischen Ansätze zur sozialen <strong>Ungleichheit</strong> auch<br />

angesichts zukünftiger Entwicklungen anschlussfähig zu halten (was nicht bedeutet,<br />

dass die Ansätze eine Prognose vornehmen). Dieser Abschnitt soll in<br />

komprimierter Form die bisher dargestellten Ansätze nochmals zusammenfassend<br />

<strong>und</strong> vergleichend unter der Fragestellung durchgehen, ob <strong>und</strong> in welcher<br />

Weise sie den Gesichtspunkt der Veränderung sozialer <strong>Ungleichheit</strong>en berücksichtigen.<br />

Dabei wird jedoch nicht der Anspruch erhoben, die Rolle des sozialen<br />

Wandels in den einzelnen Ansätzen umfassend zu diskutieren (vgl. Weymann<br />

1998, Jäger/Meyer 2003) oder einen Überblick über die Mobilitätsforschung zu<br />

geben (vgl. Breen 2004, Groß 2008, Pollak 2008).<br />

� Marx: Es wird üblicherweise als ein Vorteil marxistischer Klassenmodelle<br />

angesehen, dass sie explizit eine dynamische Analyse intendieren. Dabei<br />

steht weniger die individuelle Mobilität im Vordergr<strong>und</strong> (Marx nimmt an,<br />

dass das Proletariat zu Lasten der Bourgeoisie wächst, Aufstiegschancen<br />

sind relativ gering). Der Ansatz konzentriert sich stärker auf gesamtgesellschaftlichen<br />

Wandel, dessen Motor hiernach der Klassenkonflikt ist. Mit einer<br />

relativ präzisen Festlegung darauf, wie die Entwicklungsgesetzlichkeiten<br />

der kapitalistischen Gesellschaft aussehen, setzt sich das Modell aber<br />

auch gleichzeitig verstärkt Kritik aus, weil die weitere Entwicklung zumindest<br />

im Nachhinein die Prognose widerlegen kann. Vertreter <strong>und</strong> Kritiker<br />

der Klassentheorie sind uneinig darüber, ob man Marx’ Ansatz im Hinblick<br />

auf den Wandel nun verwerfen sollte (höchstens also die Diagnose für das<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>ert Erklärungskraft habe) oder ob bestimmte Nebenbedingungen<br />

die Entwicklung zwar anders verlaufen ließen, verschiedene Aspekte<br />

N. Burzan, <strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong>, DOI 10.1007/978-3-531-93154-8_9,<br />

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170 9 Zum Wandel sozialer <strong>Ungleichheit</strong>en<br />

(wie der Klassenkonflikt) jedoch nach wie vor zentrale Faktoren für sozialen<br />

Wandel bleiben.<br />

� Weber: Weber setzt seinen konzeptionellen Rahmen mit nur wenigen systematischen<br />

Konkretisierungen in geringerem Maße der Gefahr aus, durch<br />

zukünftige Entwicklungen falsifiziert zu werden. Auch er deutet jedoch zumindest<br />

Wandlungsaspekte an, wenn er z.B. schreibt, dass je nach Stabilität<br />

oder Umwälzung der technisch-ökonomischen Situation die Stände- oder<br />

die Klassengliederung in den Vordergr<strong>und</strong> rückt. Die Definition der „sozialen<br />

Klassen“ berücksichtigt ausdrücklich Mobilität. Zwischen verschiedenen<br />

(Besitz- <strong>und</strong> Erwerbs-)Klassen ist durchaus Mobilität möglich, für einen<br />

bestimmten untersuchten Zeitpunkt grenzen die sozialen Klassen die<br />

Vielfalt ein auf solche Klassenlagen, über die hinaus Mobilität jeweils wenig<br />

typisch ist. <strong>Soziale</strong> Klassen scheinen dann sogar ein recht behäbiges<br />

Konstrukt zu sein, weil man erst dann von ihnen spricht, wenn über sie hinaus<br />

nicht nur persönliche, sondern auch Intergenerationenmobilität untypisch<br />

ist.<br />

� Geiger: Geigers Modell beinhaltet einen dynamischen Aspekt durch den<br />

Begriff des „dominanten Schichtungsprinzips“, das sich im Laufe der historischen<br />

Entwicklung ändern kann. Allerdings ist es schwierig, gerade für die<br />

eigene Gegenwart <strong>und</strong> unter Bedingungen schnellen sozialen Wandels ein<br />

dominantes Schichtungsprinzip konkret zu identifizieren. In seinem Spätwerk<br />

nimmt Geiger zudem konkretere Mobilitätsanalysen vor (z.B. für die<br />

dänische Stadt Aarhus). Geißler kommentiert hierzu kritisch, dass das Mehr<br />

an Präzision, Differenzierung <strong>und</strong> Realitätsnähe seinen Tribut an Relevanz<br />

gefordert habe, weil Geiger bestimmte theoretische Fragen, z.B. nach dem<br />

dominanten Schichtungsprinzip, hier gar nicht mehr stellt (Geißler 1985:<br />

401f.).<br />

� Funktionalistische Schichtungstheorie: So wie Marx’ Modell für die dynamische<br />

Analyse steht, wird dem funktionalistischen Ansatz oft der Fokus<br />

auf Ordnung zugeschrieben aufgr<strong>und</strong> der Fragestellung, inwiefern Schichtung<br />

zur Systemstabilität beiträgt. Im Einzelnen lassen sich jedoch auch hier<br />

Wandlungsaspekte finden. Parsons nennt etwa verschiedene Merkmale zur<br />

Einordnung in die Schichtungsskala (z.B. Eigentum oder Leistung), deren<br />

Gewichtung im Zeitverlauf variieren kann. Ebenso verhält es sich mit der<br />

funktionalen Bedeutung einer Position, die deren Rang festlegt (Davis/Moore).<br />

Für moderne Gesellschaften deutet der Ansatz an, dass Leistung<br />

ein wichtiger Einflussfaktor für den Rang einer Position ist. Mobilität<br />

scheint damit in hohem Maße der individuellen Eigenverantwortung zu unterliegen,<br />

was vielfach kritisiert wurde. Die Ausführungen im Kapitel 2.4


9 Zum Wandel sozialer <strong>Ungleichheit</strong>en 171<br />

haben jedoch auch gezeigt, dass Pauschalurteile hierzu nicht angemessen<br />

sind.<br />

� Verschiedene Klassen- <strong>und</strong> Schichtmodelle (fünfziger bis siebziger Jahre):<br />

Nach Schelsky hat eine massenhafte Mobilität zu einer bestimmten neuen<br />

Struktur geführt, nämlich zu der nivellierten Mittelstandsgesellschaft. Er<br />

macht jedoch kaum Angaben zu allgemeinen Entwicklungsbedingungen,<br />

höchstens schließt er soziale Spannungen aufgr<strong>und</strong> der definitionsgemäß<br />

geringen Aufstiegsmöglichkeiten in einer nivellierten Gesellschaft nicht<br />

aus. Laut Dahrendorf setzen – grob formuliert – die Herrschenden die geltenden<br />

Normen fest, deren Befolgung sie durch eine vergleichsweise hochrangige<br />

Position belohnen. Zur Frage, wie sich Strukturen unter diesen Bedingungen<br />

ändern, gibt er einige Hinweise, z.B. sieht er die <strong>Ungleichheit</strong> als<br />

„Stachel“ an, der Strukturen in Bewegung hält, <strong>und</strong> nach einer Institutionalisierung<br />

des Klassenkonflikts haben vielfältige Herrschaftsverbände einen<br />

zentralen Herrschaftsverband aufgr<strong>und</strong> des Produktionsmittelbesitzes abgelöst.<br />

Doch könnten Antworten auf die Frage nach dem Wandel von Normen<br />

<strong>und</strong> damit von <strong>Ungleichheit</strong> ausführlicher <strong>und</strong> systematischer sein. Die<br />

Prestigemodelle im weiteren Sinne ähneln hinsichtlich der Aussagen zum<br />

Wandel dem funktionalistischen Schichtungsmodell, weil sie das Schichtgefüge<br />

tendenziell als hierarchisches Belohnungssystem ansehen. Zudem steht<br />

in den Schichtmodellen die Beschreibung einer bestimmten Gesellschaft zu<br />

einem bestimmten Zeitpunkt im Vordergr<strong>und</strong>. Auf der Basis von teilweise<br />

durchgeführten Folgestudien ergeben sich eher Änderungen im Detail (damit<br />

höchstens ein Wandel von Häufigkeitsverteilungen in den Schichten<br />

aufgr<strong>und</strong> von individueller Mobilität, nicht größere Strukturveränderungen).<br />

Für neomarxistische Ansätze gilt im Wesentlichen, was über das marxistische<br />

Klassenmodell gesagt wurde.<br />

� Schichtung nach Geißler: Geißler berücksichtigt sozialen Wandel durch die<br />

Betonung, dass sich eine dynamischere <strong>und</strong> pluralere Schichtstruktur herausgebildet<br />

habe. In der Nachfolge früherer Schichtungsanalysen meint er<br />

damit jedoch eher das Ergebnis eines Dynamisierungs- <strong>und</strong> Pluralisierungsprozesses,<br />

das sich in einem modernisierten Schichtmodell aufzeigen lässt,<br />

als konkrete Entwicklungsbedingungen. Das modernisierte Schichtmodell<br />

ist zudem vergleichsweise durchlässig, was auf die Möglichkeiten individueller<br />

Mobilität verweist.<br />

� Neuere Klassenmodelle: Eine durchgängige Fokussierung auf Wandlungsprozesse<br />

lässt sich hier nicht feststellen, was nicht heißt, dass sie vollständig<br />

ausgeblendet bleiben (z.B. beschäftigt sich Goldthorpe mit Mobilität,<br />

Wright thematisiert verschiedene zentrale Ausbeutungsressourcen im Zeitverlauf).<br />

Insgesamt steht jedoch der Entwurf eines mehrdimensionalen Mo-


172 9 Zum Wandel sozialer <strong>Ungleichheit</strong>en<br />

dells tendenziell stärker im Vordergr<strong>und</strong> als eine Theorie zur Entwicklung<br />

von Gesellschaft. Einige Autoren thematisieren Klassenstrukturen allerdings<br />

nach wie vor im Kontext gesellschaftlicher Entwicklung (z.B. Eder<br />

2001).<br />

� Lebensstile <strong>und</strong> Milieus: In den Untersuchungen gehen die Autoren oft von<br />

einer relativen Stabilität des Lebensstils aus. Die Aspekte der relativen<br />

Wahlfreiheit von Lebensstilen <strong>und</strong> wichtige Einflussfaktoren wie Alter<br />

(nicht nur, aber auch als Kohorteneffekt) <strong>und</strong> lebenszyklische Veränderungen<br />

relativieren die Stabilitätsvorstellung aber andererseits <strong>und</strong> zeigen Anknüpfungspunkte<br />

für die Berücksichtigung von Veränderungen auf. Lebenszyklische<br />

Veränderungen (z.B. die Geburt des ersten Kindes) können<br />

z.B. horizontale Mobilität zu einem anderen Lebensstil bewirken, <strong>und</strong> wenn<br />

man die Milieus von Schulze als Kohorteneffekt begreift, müssten sich<br />

spätestens nach einigen Jahrzehnten die (gegebenenfalls modifizierten)<br />

„jungen“ Milieus horizontal auf der Abszisse verschieben, während „neue<br />

Milieus“ nachrücken. Teilweise gibt es Betrachtungen im Längsschnitt, die<br />

einen Wandel im Gefüge von Lebensstiltypen oder Milieus aufzeigen (z.B.<br />

Spellerberg; Vester et al.). Doch könnten die Ansätze insgesamt noch systematischer<br />

nach allgemeinen Entwicklungsbedingungen forschen, z.B.<br />

durch eine engere Verknüpfung mit der Lebenslaufforschung.<br />

� Bourdieu: Bourdieu konzipiert den Raum sozialer Positionen durch das<br />

Kapitalvolumen, die Kapitalstruktur <strong>und</strong> die soziale Laufbahn. Durch das<br />

letztgenannte Kriterium rücken Veränderungsmöglichkeiten an eine zentrale<br />

Stelle. In der Analyse konkreter gesellschaftlicher Klassen findet sich dieses<br />

Kriterium wieder, wenn Bourdieu beispielsweise das „absteigende Kleinbürgertum“<br />

beschreibt. So kann er Mobilitätserscheinungen in diesem<br />

Rahmen nicht nur diagnostizieren, sondern konzeptionell einordnen. Weiter<br />

ist die Konfliktperspektive der Klassenmodelle auch bei ihm erkennbar,<br />

wenn er schreibt, dass die Menschen in einem fortwährenden Kampf um die<br />

Veränderung des sozialen Raums verwickelt sind. Der zentrale Begriff des<br />

Habitus deutet bei allen prinzipiellen Wandlungsmöglichkeiten (insbesondere<br />

in hoch differenzierten Industriegesellschaften) auch auf eine gewisse<br />

Stabilität (positiv formuliert: die die Identifizierung von Strukturen erst ermöglicht)<br />

<strong>und</strong> Trägheit hin. Wie vollzieht sich der Wandel sozialer <strong>Ungleichheit</strong>en<br />

genau, wenn der Habitus sich gerade nicht in rasantem Tempo<br />

ändert? Ansätze Bourdieus zu dieser Frage sind zumindest vorhanden, wie<br />

etwa Ebrecht (2002) hervorhebt: Die Handlungspraxis entspricht nur dann<br />

dem Habitus ganz genau, wenn Entstehungs- <strong>und</strong> Anwendungsbedingungen<br />

des Habitus zusammenfallen (was in einer modernen Gesellschaft nicht<br />

mehr den Regelfall darstellt). Als Beispiel für die Entstehung eines innova-


9 Zum Wandel sozialer <strong>Ungleichheit</strong>en 173<br />

tiven Habitus nennt Ebrecht die Kombination zweier alter, nacheinander inkorporierter<br />

Habitusformen, z.B. in der Kindheit <strong>und</strong> in der Jugend (Ebrecht<br />

2002: 234f.). So verknüpft er das Habituskonzept konkret mit Wandlungsaspekten.<br />

� <strong>Soziale</strong> Lagen: Ein wichtiges Stichwort lautet hier die nicht-additive Verknüpfung<br />

der <strong>Ungleichheit</strong>sdimensionen. Die Gewichtung verschiedener<br />

Dimensionen kann prinzipiell nicht nur von Lage zu Lage, sondern auch im<br />

Zeitverlauf variieren. Eine empirische Umsetzung ist jedoch mit Problemen<br />

verb<strong>und</strong>en. Im Vordergr<strong>und</strong> des Ansatzes steht zudem eher das Ziel, eine<br />

sorgfältige Beschreibung komplexer Lebenslagen in einer modernen Gesellschaft<br />

zu liefern, weniger die Analyse von Veränderungsmechanismen. Der<br />

Blick speziell auf prekäre Lagen bietet ein Potential zur Berücksichtigung<br />

zeitlicher Aspekte, z.B. hinsichtlich der Wechselwirkungen von bisherigem<br />

Lebenslauf <strong>und</strong> Zukunftsperspektiven einerseits <strong>und</strong> Mobilitätsprozessen<br />

andererseits. Zur theoretischen Ausarbeitung dieses Potentials besteht allerdings<br />

noch erheblicher Forschungsbedarf. Dies gilt auch für die Theorie-<br />

Empirie-Verknüpfung im Kontext der Intersektionalitätsforschung.<br />

� Individualisierung: Die Darstellung von gesellschaftlichen Wandlungsprozessen<br />

bildet einen Kern der Individualisierungsthese <strong>und</strong> weiterer Annahmen<br />

zur gesellschaftlichen Entwicklung von Ulrich Beck (etwa zur reflexiven<br />

Moderne oder zur Risikogesellschaft; Beck 1986; kritisch z.B. Münch<br />

2002). Ein Teil der Diagnose lautet: Stetiger Wandel mit einer komplizierten<br />

Kombination aus Pluralisierung <strong>und</strong> Standardisierung. Neben der<br />

Postulierung der Auflösung von Klassen <strong>und</strong> Schichten finden auch einige<br />

hypothetische Zukunftsszenarien darin Platz. Dadurch, dass ein bestimmtes<br />

<strong>Ungleichheit</strong>sgefüge mit einer bestimmten Struktur jedoch nicht Bestandteil<br />

der Individualisierungsthese ist, kann eine solche auch nicht auf konkrete<br />

Veränderungen <strong>und</strong> Veränderungsmechanismen untersucht werden. In Bergers<br />

Ansatz bilden <strong>Ungleichheit</strong>sverläufe ein wichtiges Thema, auf dem die<br />

Argumentation insgesamt basiert.


10 Fazit 10. Fazit<br />

Der Wandel von <strong>Ungleichheit</strong>en ist nur ein (wichtiges) Thema ungleichheitstheoretischer<br />

Ansätze. Wenn man sich die zu Anfang gestellten Leitfragen in<br />

Erinnerung ruft, wird nun nach der Darstellung <strong>und</strong> Diskussion sowohl der älteren<br />

als auch der neueren Ansätze deutlich, dass diese nach wie vor unterschiedliche<br />

theoretische Schwerpunktsetzungen vornehmen. Auch die neueren Ansätze<br />

sehen es entweder nicht als ihre Aufgabe an oder sind meist nicht – zumindest<br />

nicht konsensfähig – in der Lage, die theoretischen Anforderungen oder auch die<br />

komplexe Realität in ein einziges theoretisches Modell zu integrieren, das zudem<br />

noch empirisch umsetzbar wäre.<br />

Unter den neueren Ansätzen setzen Lage- <strong>und</strong> tendenziell Schichtmodelle<br />

beispielsweise einen Schwerpunkt auf die (mehrdimensionale) Beschreibung von<br />

<strong>Ungleichheit</strong>. Die „kulturelle“ Ebene sozialer <strong>Ungleichheit</strong> (die Lebensweise,<br />

Verhalten <strong>und</strong> Einstellungen) beleuchten insbesondere Milieu- <strong>und</strong> Lebensstilansätze.<br />

Nicht aus allen Lebensstil- <strong>und</strong> Lagemodellen <strong>und</strong> ebenfalls nicht aus<br />

dem Individualisierungskonzept lässt sich ein Strukturmodell des gesellschaftlichen<br />

<strong>Ungleichheit</strong>sgefüges ablesen (welche Gruppen liegen wie über-, neben-<br />

oder gegeneinander?), was bei Klassen-, Schicht- <strong>und</strong> Milieumodellen eher der<br />

Fall ist. Gesellschaftliche Wandlungsprozesse finden, wie das vorige Kapitel<br />

zeigte, überall ihren Niederschlag, dem Anspruch der Konzepte nach aber insbesondere<br />

bei Klassenmodellen <strong>und</strong> bei der Individualisierungsthese, was in beiden<br />

Fällen mit der Zielsetzung einhergeht, diese Prozesse auch in ihren Ursachen zu<br />

erklären. Die Aspekte aus den Leitfragen, die sich auf die Beziehungen zwischen<br />

ungleichheitsrelevanten Gruppen (also auf eine Mesoebene) oder auf die Folgen<br />

sozialer <strong>Ungleichheit</strong> für die Integration richten, sind weiterführende Fragen, die<br />

kein Ansatz in das Zentrum seiner Überlegungen stellt. Zwar liegen Konzepte<br />

zur Beantwortung dieser Fragen vor, auf die z.B. Stichworte wie Distinktion,<br />

Indifferenzklima zwischen Milieus, Klassenkonflikt oder die Reintegrationsdimension<br />

in einer individualisierten Gesellschaft hinweisen können. Doch gibt<br />

es hier <strong>und</strong> bei einigen weiteren Aspekten (z.B. mahnt Levy an, meso-soziale<br />

Strukturen wie die Rolle von Institutionen bei der Sozialstrukturanalyse stärker<br />

zu berücksichtigen, Levy 2002) sicherlich weiteren Forschungsbedarf.<br />

Die Komplexität der <strong>Ungleichheit</strong>sverhältnisse bringt es mit sich, dass<br />

selbst entgegengesetzte modellhafte Abstraktionen empirische Belege für ihr<br />

N. Burzan, <strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong>, DOI 10.1007/978-3-531-93154-8_10,<br />

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176 10 Fazit<br />

Vorgehen anführen können. So können die Klassenansätze auf der Ebene einzelner<br />

empirischer Phänomene durchaus plausibel machen, dass soziale Herkunft<br />

<strong>und</strong> Bildungsabschlüsse das (Berufs-)Leben auch heutzutage gravierend beeinflussen.<br />

Genauso können Autoren, die auf Individualisierung, Statusinkonsistenzen<br />

oder die recht kurze Verbleibdauer in einem bestimmten Status aufmerksam<br />

machen wollen, empirische Phänomene finden, die ihre Thesen stützen. Seit<br />

etwa Mitte der neunziger Jahre neigt die <strong>Ungleichheit</strong>sdiskussion dabei wieder<br />

mehr der Tendenz zu, die strukturellen Ressourcen <strong>und</strong> Restriktionen zu betonen,<br />

ohne jedoch die kulturellen (bzw. subjektiven, symbolischen etc.) Aspekte<br />

völlig zu vernachlässigen. Stichworte wie Knappheit, Re-Stratifizierung, Prekarisierung<br />

<strong>und</strong> vertikale <strong>Ungleichheit</strong> zu Zeiten hoher Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> einer<br />

angespannten Finanzlage des Staates erlangten wieder eine höhere Bedeutung,<br />

was jedoch nicht zu größerer konzeptioneller Einmütigkeit geführt hat.<br />

Es geht also bei der theoretischen Modellierung nicht um eine möglichst<br />

naturgetreue Abbildung detaillierter Verhältnisse (ohne den Anspruch der Realitätsnähe<br />

andererseits aufzugeben). In früheren sowie späteren Ansätzen zeigt<br />

sich, dass die Berücksichtigung von Multidimensionalität an ihre Grenzen stößt<br />

(z.B. bei Lenski oder bei den sozialen Lagen Hradils), insbesondere, wenn die<br />

Ansätze nicht allein die „objektive“ Ebene von Lebensbedingungen, sondern<br />

auch die „subjektive“ Ebene typischer Handlungspraxen <strong>und</strong> Haltungen einschließen<br />

sollen. Ebenfalls zeigt sich, dass die Modelle, die in Teilen auch bestimmten<br />

„Moden“ unterliegen (z.B. der Betonung oder der Abschwächung<br />

sozialer Gegensätze), nie vollständig „objektive“ Abbildungen von Strukturen<br />

<strong>und</strong> deren Entwicklung sein können. Sie tragen damit auch selbst dazu bei, gesellschaftliche<br />

Vorstellungen sozialer <strong>Ungleichheit</strong> zu (re-)produzieren. So<br />

könnten beispielsweise Vorstellungen von oben <strong>und</strong> unten oder verschiedene<br />

Funktionen horizontal zueinander liegender Gruppen unter anderem auch durch<br />

entsprechende Modelle mit manifestiert werden (siehe zum Themenfeld der<br />

Repräsentationen sozialer <strong>Ungleichheit</strong> auch Barlösius 2004: insbesondere 229-<br />

245, dies. 2005).<br />

Die genannten Grenzen ziehen fast zwangsläufig Schwerpunktsetzungen<br />

nach sich, die anhand der skizzierten Stärken <strong>und</strong> Kritikpunkte der einzelnen<br />

Ansätze deutlich geworden sein sollten. Neuere Ansätze stehen dabei ausnahmslos<br />

vor der nicht einfachen Aufgabe, Differenzierungsprozesse <strong>und</strong> den<br />

Einfluss fortbestehender (auch vertikaler) <strong>Ungleichheit</strong>sfaktoren zu integrieren<br />

<strong>und</strong> dabei Mechanismen von Zusammenhängen (etwa von Sozialstruktur <strong>und</strong><br />

Lebensführung) herauszuarbeiten, die auch Hinweise auf Entwicklungsprinzipien<br />

der <strong>Ungleichheit</strong>sverhältnisse geben. Es wird eine – sicherlich interessante<br />

– Diskussion für die Zukunft bleiben, welche (verfeinerten) Lösungsansätze für<br />

dieses Problem entwickelt werden.


10 Fazit 177<br />

Zuletzt sei ein Punkt angesprochen, der den Blick ein wenig über Fragen sozialer<br />

<strong>Ungleichheit</strong> im engeren Sinne hinausführt: Die <strong>Ungleichheit</strong>sforschung<br />

thematisiert zweifellos zentrale soziologische Fragen des Wechselverhältnisses<br />

zwischen Handeln <strong>und</strong> Strukturen. Ist sie damit auch anschlussfähig für andere<br />

soziologische Theorien? In einigen Fällen kann diese Frage sicherlich bejaht<br />

werden, insbesondere für einige Ansätze mittlerer Reichweite (z.B. Gender-Forschung,<br />

Netzwerkanalyse, Lebenslaufmodelle, Organisationssoziologie, sozialer<br />

Wandel, Bezüge zur Rational-Choice-Theorie, letzteres z.B. bei Lüdtke 1990<br />

oder Friedrichs 1998). Andere Verbindungen könnten noch systematischer verfolgt<br />

werden, etwa die zur Differenzierungstheorie. Ungleichartigkeit (unter<br />

anderem gesellschaftlicher Teilsysteme) mit Fragen nach der Systemintegration<br />

steht hier der <strong>Ungleichheit</strong> mit Fragen insbesondere der Sozialintegration angesichts<br />

von Verteilungskonflikten gegenüber (vgl. z.B. Schwinn 2004).<br />

Es muss nicht darum gehen, die eine integrierte Gesellschaftstheorie zu<br />

entwickeln, die alle Fragen nicht nur der sozialen <strong>Ungleichheit</strong>, sondern der<br />

Soziologie insgesamt beantworten kann, aber Forscherinnen <strong>und</strong> Forscher können<br />

darauf abzielen, die jeweils „blinden Flecken“ ihrer Perspektive mitzudenken<br />

<strong>und</strong> ihr Konzept für andere Theorierichtungen anschlussfähig zu halten.<br />

Auch in diesem Punkt darf man auf die weitere Diskussion gespannt sein.


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Vester, Michael; Peter von Oertzen, Heiko Geiling, Thomas Hermann, Dagmar Müller<br />

(2001): <strong>Soziale</strong> Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration<br />

<strong>und</strong> Ausgrenzung, vollständig überarbeitete <strong>und</strong> aktualisierte Fassung der Ausgabe<br />

von 1993, Frankfurt am Main: Suhrkamp<br />

Vester, Michael; Christel Teiwes-Kügler; Andrea Lange-Vester (2007): Die neuen<br />

Arbeitnehmer. Zunehmende Kompetenzen – wachsende Unsicherheit, Hamburg:<br />

VSA<br />

Vogel, Berthold (2006): <strong>Soziale</strong> Verw<strong>und</strong>barkeit <strong>und</strong> prekärer Wohlstand. Für ein verändertes<br />

Vokabular sozialer <strong>Ungleichheit</strong>; in: Bude, Heinz; Andreas Willisch (Hg.):<br />

Das Problem der Exklusion. Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige, Hamburg:<br />

Hamburger Edition, S. 342-355<br />

Vogel, Berthold (2009): Wohlstandskonflikte. <strong>Soziale</strong> Fragen, die aus der Mitte kommen,<br />

Hamburg: Hamburger Edition<br />

Volkmann, Ute (2000): Das schwierige Leben in der Zweiten Moderne – Ulrich Becks<br />

„Risikogesellschaft“; in: Schimank, Uwe; Ute Volkmann (Hg.): Soziologische Gegenwartsdiagnosen<br />

I. Eine Bestandsaufnahme, Opladen: Leske + Budrich, S. 23-40<br />

Voß, G. Günter (1995): Entwicklung <strong>und</strong> Eckpunkte des theoretischen Konzepts; in:<br />

Projektgruppe „Alltägliche Lebensführung“ (Hg.): Alltägliche Lebensführung. Arrangements<br />

zwischen Traditionalität <strong>und</strong> Modernisierung, Opladen: Leske +<br />

Budrich, S. 23-44<br />

Voß, G. Günter; Hans J. Pongratz (Hg.) (1997): Subjektorientierte Soziologie, Opladen:<br />

Leske + Budrich<br />

Voß, G. Günter; Margit Weihrich (Hg.) (2001): tagaus - tagein. Neue Beiträge zur Soziologie<br />

alltäglicher Lebensführung, München/Mering: Hampp<br />

Wahl, Anke (1997): Strukturierte Pluralität. Lebensstile zwischen vertikalen Strukturbedingungen<br />

<strong>und</strong> intervenierenden Faktoren, Frankfurt am Main u.a.: Lang


200 Literaturverzeichnis<br />

Wahl, Anke (2003): Die Veränderung von Lebensstilen. Generationenfolge, Lebenslauf<br />

<strong>und</strong> sozialer Wandel, Frankfurt am Main/New York: Campus<br />

Warner, William Lloyd (Hg.) (1963): Yankee City, one volume, abridged edition, New<br />

Haven/London: Yale University Press<br />

Weber, Max (1980): Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft: Gr<strong>und</strong>riss der verstehenden Soziologie,<br />

besorgt von Johannes Winckelmann, 5. rev. Aufl. (14-18 Tsd.), Tübingen: Mohr<br />

(zuerst 1922, hg. von Marianne Weber)<br />

Wegener, Bernd (1985): Gibt es Sozialprestige? in: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 14, S.<br />

209-235<br />

Wegener, Bernd (1988): Kritik des Prestiges, Opladen: Westdeutscher Verlag<br />

Weihrich, Margit, G. Günter Voß (Hg.) (2002): tag für tag. Alltag als Problem – Lebensführung<br />

als Lösung? Neue Beiträge zur Soziologie alltäglicher Lebensführung 2,<br />

München/Mering: Hampp<br />

Weiß, Anja (2004): Unterschiede, die einen Unterschied machen. Klassenlagen in den<br />

Theorien von Pierre Bourdieu <strong>und</strong> Niklas Luhmann; in: Nassehi, Armin; Gerd<br />

Nollmann (Hg.): Bourdieu <strong>und</strong> Luhmann. Ein Theorienvergleich, Frankfurt am<br />

Main: Suhrkamp, S. 208-232<br />

Weltner, Klaus (1976): Elementare Darstellung der Clusteranalyse; in: Rollett, Brigitte;<br />

Mathias Bartram (Hg.): Einführung in die hierarchische Clusteranalyse: für Psychologen,<br />

Pädagogen <strong>und</strong> Soziologen, Stuttgart: Klett, S. 13-18<br />

Weymann, Ansgar (1998): <strong>Soziale</strong>r Wandel. Theorien zur Dynamik der modernen Gesellschaft,<br />

Weinheim/München: Juventa<br />

Wiehn, Erhard (1968): Theorien der sozialen Schichtung. Eine kritische Diskussion, 2.<br />

Aufl. 1974, München: Piper<br />

Winker, Gabriele; Nina Degele (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer<br />

<strong>Ungleichheit</strong>en, Bielefeld: transcript<br />

Wohlrab-Sahr, Monika (1997): Individualisierung: Differenzierungsprozess <strong>und</strong> Zurechnungsmodus;<br />

in: Beck, Ulrich; Peter Sopp (Hg.): Individualisierung <strong>und</strong> Integration.<br />

Neue Konfliktlinien <strong>und</strong> neuer Integrationsmodus? Opladen: Leske + Budrich, S.<br />

23-36<br />

Wright, Erik Olin (1985a): Classes, London: Verso<br />

Wright, Erik Olin (1985b): Wo liegt die Mitte der Mittelklasse? in: PROKLA, Jg. 15, S.<br />

35-62<br />

Wright, Erik Olin (1997): Class Counts. Comparative Studies in Class Analysis,<br />

Cambridge: Cambridge University Press<br />

Wright, Erik Olin (1998): Frauen in der Klassenstruktur; in: Bader, Veit-Michael et al.<br />

(Hg.): Die Wiederentdeckung der Klassen, Argument-Sonderband AS 247, Hamburg:<br />

Argument, S. 167-192<br />

Wright, Erik Olin et al. (1989): The debate on classes, London/New York: Verso<br />

www.arbeiten<strong>und</strong>leben.de/alf-start.htm, Zugriff am 14.2.2011<br />

www.sinus-institut.de/loesungen/sinus-milieus.html, Zugriff am 14.2.2011<br />

www.sinus-institut.de/uploads/tx_mppress/Modellwechsel_2010_neue_Charts.pdf, Zugriff<br />

am 14.2.2011


Literaturverzeichnis 201<br />

Zapf, Wolfgang; Sigrid Breuer, Jürgen Hampel, Peter Krause, Hans-Michael Mohr, Erich<br />

Wiegand (1987): Individualisierung <strong>und</strong> Sicherheit. Untersuchungen zur<br />

Lebensqualität in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland, München: Beck<br />

Zerger, Frithjof (2000): Klassen, Milieus <strong>und</strong> Individualisierung, Frankfurt am Main/New<br />

York: Campus


Abbildungsverzeichnis<br />

Abbildung 1: Überblick über Ansätze zur sozialen <strong>Ungleichheit</strong> ................ 12<br />

Abbildung 2: Verknüpfung von Schicht <strong>und</strong> Mentalität nach Geiger.......... 27<br />

Abbildung 3: Einflussfaktoren für den Rang einer Position nach<br />

Davis/Moore........................................................................... 35<br />

Abbildung 4: Die soziale Schichtung in Deutschland nach Dahrendorf ...... 46<br />

Abbildung 5: Schichtenaufbau in Deutschland nach Moore/Kleining ......... 52<br />

Abbildung 6: <strong>Soziale</strong> Schichtung nach Scheuch .......................................... 53<br />

Abbildung 7: Das <strong>Ungleichheit</strong>sgefüge Deutschlands in den 60er Jahren<br />

nach Bolte .............................................................................. 55<br />

Abbildung 8: Die Klassenstruktur der Erwerbsbevölkerung 1978 lt.<br />

Modell des PKA..................................................................... 61<br />

Abbildung 9: Das Schichtmodell nach Geißler ............................................ 76<br />

Abbildung 10: Das Klassenmodell nach Wright ............................................ 80<br />

Abbildung 11: Das Zentrum-Peripherie-Modell nach Kreckel ...................... 86<br />

Abbildung 12: Das Lebensstilkonzept nach W. Georg .................................. 96<br />

Abbildung 13: Lebensstile in West- <strong>und</strong> Ostdeutschland nach<br />

Schneider/Spellerberg ............................................................ 99<br />

Abbildung 14: Die Sinus-Milieus 2010........................................................ 107<br />

Abbildung 15: Die sozialen Milieus in Westdeutschland 2003.................... 109<br />

Abbildung 16: Alltagsästhetische Schemata nach Schulze .......................... 113<br />

Abbildung 17: Milieus <strong>und</strong> alltagsästhetische Schemata nach Schulze ....... 113<br />

Abbildung 18: Das Milieumodell von Schulze ............................................ 114<br />

Abbildung 19: Der Raum objektiver Klassenlagen in Deutschland............. 128<br />

Abbildung 20: Der soziale Raum nach Bourdieu......................................... 131<br />

Abbildung 21: Die Verteilung des Nahrungsmittelkonsums im sozialen<br />

Raum nach Bourdieu............................................................ 133<br />

Abbildung 22: <strong>Soziale</strong> Lagen nach Hradil ................................................... 141<br />

Abbildung 23: Profil einer sozialen Lage nach Schwenk............................. 142<br />

Abbildung 24: <strong>Soziale</strong> Lagen in West- <strong>und</strong> Ostdeutschland 2006, in %...... 144<br />

Abbildung 25: Bewegungstypen <strong>und</strong> Formen alltäglicher Lebensführung<br />

nach Berger .......................................................................... 166<br />

N. Burzan, <strong>Soziale</strong> <strong>Ungleichheit</strong>, DOI 10.1007/978-3-531-93154-8,<br />

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