Seniorenpost 2011/1 - Stiftung Diakoniestation Kreuztal

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30.10.2012 Aufrufe

Frühe Neuzeit Die Karte des Philipp Ploennies aus dem Jahre 1727 vermittelt einen Eindruck von der Größe der Ortschaft. Neue Einwohner siedelten sich nach und nach im Umfeld der Laurentius-Kirche an. Schon 1572 wusste man von 32 Steuerzahlern in Ferndorf. Kurz vor Beginn des 30-jährigen Krieges wurde um 1612 das Wohnhaus „Meddeälse“ in der Dorfmitte errichtet und 1654 „Belje“ an der Ferndorfbrücke vorm Berge. An der Provinzialstraße (auch „Chaussee“ und später „Wittgensteiner Straße“ genannt - die heutige „Marburger Straße“) entstanden um 1660 das Haus von „Boochersch“ und direkt daneben das Doppelhaus „Dierijjes“ und „Lejje“. Im 17. Jahrhundert wurden die Häuser „Schdölersch“, „Alebörnersch“ und „Boochs“, „Vörn-Flännersch“ sowie „Backes“ erbaut (durch Holzuntersuchungen festgestellt). Im Jahr 1708, nach dem Ende von Kriegs- und Pestzeiten zählte man 46 Familien (rund 290 Einwohner). Die Gruben „Brüche“, „Glücksanfang“ und „Gottessegen“ wurden 1722 erstmals erwähnt, 1771 die Gruben „Jungermann, „Sonnenberg“ und „Kuhlenberg“. 19. Jahrhundert 1804 errichtet die Gemeinde das erste öffentliche Schulgebäude oberhalb der Kirche, die sog. „Alte Schule“ und 1850 gemeinsam mit der Nachbargemeinde Ernsdorf die „Kleine Schule“ an der Ecke Schlehdornstr. / Ferndorfer Straße. Gemessen daran, dass Friedrich II. (der Große) in Preußen die allgemeine Schulpflicht bereits 1767 befohlen hatte - diese aber erst 1835 in Sachsen eingeführt wurde - liegt Ferndorf, das damals zu Nassau Oranien gehörte, gar nicht schlecht. „Schurlmeißdersch“ (erbaut 1524) Nachdwächderhuss (erbaut 1581) 1815 kam Ferndorf im Rahmen des Wiener Kongress als Bestandteil der neuen Provinz Westfalen zu Preußen, es behielt jedoch die nassauischen Farben Blau und Orange in seinem Wappen. Von 1834 bis 1835 wurden durch den preussischen Geometer Voigt erstmals maßstäbliche Pläne der Gemeinde Ferndorf angefertigt. In diesem sogenannten „Urkataster“ wurden neben Berger Hammer, Aher Hammer, Kirche, Pastorat, Mühle, Alter Schule und Feuerwehr-Spritzenhaus inzwischen schon 91 Wohnhäuser verzeichnet. Das Dorf entwickelte sich gut, was auch daran lag, dass Ferndorfer wie Ludwig Karl Stahlschmidt, sich als Amtsbürgermeister und Mitbesitzer des Berger Hammers für die Interessen der Gemeinde sehr stark einsetzten. Von 1818 bis 1885 hatte sich die Einwohnerzahl von 508 Personen auf 1182 mehr als verdoppelt. Die Eisenbahn erreichte Ferndorf im Jahr 1884. Die Ferndorfer haben sie mehrheitlich wohl nicht gewollt. Gewollt haben sie aber ihren vier Jahre später gegründeten Turn- und Spielverein, der auch heute noch einer der wichtigsten Kristallisationspunkte in der Dorfgemeinschaft ist. 20. Jahrhundert Als ein herausragendes Ereignis der Ortsgeschichte gilt bis heute die 900-Jahr-Feier im Jahre 1967 mit einem unvergesslichen Festzug. Davor hatte sich in den 50er „Feldhof“ (um 1955) und 60er Jahren ein rascher Neuaufbau vollzogen - nach zwei verheerenden Weltkriegen, die auch über Ferndorf großes Leid brachten. Der wirtschaftliche Wiederaufbau nach dem Ersten Weltkrieg gestaltete sich auf Grund der politischen Verhältnisse äußerst schwierig. Wirtschaftskrisen, Inflation, Arbeitslosigkeit und Armut waren die vorherrschenden Themen. Ferndorf musste seinen Hirten entlassen, weil die Gemeinde nicht mehr in der Lage war, sein Essen und das Futter seines Hundes zu bezahlen. In der Zeit der Nationalsozialistischen Diktatur veränderten sich in Ferndorf Straßennamen. So wurde aus der heutigen Ferndorfer Straße die Hermann Göring Straße und der Dorfplatz wurde zum Adolf Hitler Platz umbenannt. Die Nazis bauten das Reichsarbeitsdienstlager in Irlenhecken und nutzten es, wie an vielen anderen Orten auch, zur vormilitärischen Ausbildung Jugendlicher. Bekennende Christen und Mitglieder des CVJM waren Schikanen und Gängeleien ausgesetzt. Ansonsten aber war wohl selbst der Ortsgruppenleiter in Ferndorf nicht fanatisiert genug, um den an anderen Orten üblichen Terror zu entfachen. Wieder mussten viele Ferndorfer Männer an irgendeiner Front mit ihrem Leben zahlen. Quelle: Mathias Döring, aus „Eisen und Silber – Wasser und Wald“ Dann, als fast alles vorbei war, kam im März 1945 noch der Luftangriff der Alliierten. Das Ziel war eigentlich der Kreuztaler Rangierbahnhof, aber durch viele falsch abgeworfene Bomben brachte er auch Unglück und Tod für viele Ferndorfer Familien. Nach dem Krieg ging es erst langsam, dann schneller aufwärts - auch Ferndorf hatte Teil am Wirtschaftswunder. Politisch war Ferndorf der Sitz des gleichnamigen Amtes, zu dem die Gemeinden Burgholdinghausen, Littfeld, Krombach, Eichen, Osthelden, Ober- Mittel- und Junkernhees, Buschhütten, Kredenbach und Kreuztal gehörten. 1967 feierte man die 900-Jahrfeier mit einem unvergesslichen Festzug. 1969 wurde Ferndorf im Rahmen der kommunalen Neugliederung ein Teil der neuen Stadt Kreuztal. Auch das haben die Ferndorfer eigentlich nicht gewollt - wenigstens hätte diese neue Stadt, als kleine Reminiszenz an das Ferndorfer Selbstverständnis, Ferndorf heißen sollen. Der Verlust der politischen Selbständigkeit war jedoch der Anfang des Vereins zur Pflege der Dorfgemeinschaft in Ferndorf, der damals von umsichtigen Ferndorfer Bürgern gegründet wurde. 30er Jahre, Jugendherberge 30er Jahre, Hauptstraße Luftangriff (18. März 1945) 14 Aktuelles - Die Geschichte von Ferndorf Aktuelles - Die Geschichte von Ferndorf 15

Frühe Neuzeit<br />

Die Karte des Philipp Ploennies aus dem Jahre 1727 vermittelt<br />

einen Eindruck von der Größe der Ortschaft.<br />

Neue Einwohner siedelten sich nach und nach im Umfeld<br />

der Laurentius-Kirche an. Schon 1572 wusste man von 32<br />

Steuerzahlern in Ferndorf.<br />

Kurz vor Beginn des 30-jährigen Krieges wurde um 1612<br />

das Wohnhaus „Meddeälse“ in der Dorfmitte errichtet<br />

und 1654 „Belje“ an der Ferndorfbrücke vorm Berge. An<br />

der Provinzialstraße (auch „Chaussee“ und später „Wittgensteiner<br />

Straße“ genannt - die heutige „Marburger<br />

Straße“) entstanden um 1660 das Haus von „Boochersch“<br />

und direkt daneben das Doppelhaus „Dierijjes“ und „Lejje“.<br />

Im 17. Jahrhundert wurden die Häuser „Schdölersch“,<br />

„Alebörnersch“ und „Boochs“, „Vörn-Flännersch“ sowie „Backes“<br />

erbaut (durch Holzuntersuchungen festgestellt).<br />

Im Jahr 1708, nach dem Ende von Kriegs- und Pestzeiten<br />

zählte man 46 Familien (rund 290 Einwohner).<br />

Die Gruben „Brüche“, „Glücksanfang“ und „Gottessegen“<br />

wurden 1722 erstmals erwähnt, 1771 die Gruben „Jungermann,<br />

„Sonnenberg“ und „Kuhlenberg“.<br />

19. Jahrhundert<br />

1804 errichtet die Gemeinde das erste öffentliche Schulgebäude<br />

oberhalb der Kirche, die sog. „Alte Schule“ und<br />

1850 gemeinsam mit der Nachbargemeinde Ernsdorf die<br />

„Kleine Schule“ an der Ecke Schlehdornstr. / Ferndorfer<br />

Straße. Gemessen daran, dass Friedrich II. (der Große) in<br />

Preußen die allgemeine Schulpflicht bereits 1767 befohlen<br />

hatte - diese aber erst 1835 in Sachsen eingeführt wurde<br />

- liegt Ferndorf, das damals zu Nassau Oranien gehörte,<br />

gar nicht schlecht.<br />

„Schurlmeißdersch“<br />

(erbaut 1524)<br />

Nachdwächderhuss<br />

(erbaut 1581)<br />

1815 kam Ferndorf im Rahmen des Wiener Kongress als<br />

Bestandteil der neuen Provinz Westfalen zu Preußen, es<br />

behielt jedoch die nassauischen Farben Blau und Orange<br />

in seinem Wappen.<br />

Von 1834 bis 1835 wurden durch den preussischen Geometer<br />

Voigt erstmals maßstäbliche Pläne der Gemeinde<br />

Ferndorf angefertigt. In diesem sogenannten „Urkataster“<br />

wurden neben Berger Hammer, Aher Hammer, Kirche,<br />

Pastorat, Mühle, Alter Schule und Feuerwehr-Spritzenhaus<br />

inzwischen schon 91 Wohnhäuser verzeichnet. Das Dorf<br />

entwickelte sich gut, was auch daran lag, dass Ferndorfer<br />

wie Ludwig Karl Stahlschmidt, sich als Amtsbürgermeister<br />

und Mitbesitzer des Berger Hammers für die Interessen<br />

der Gemeinde sehr stark einsetzten.<br />

Von 1818 bis 1885 hatte sich die Einwohnerzahl von 508<br />

Personen auf 1182 mehr als verdoppelt. Die Eisenbahn erreichte<br />

Ferndorf im Jahr 1884. Die Ferndorfer haben sie<br />

mehrheitlich wohl nicht gewollt. Gewollt haben sie aber<br />

ihren vier Jahre später gegründeten Turn- und Spielverein,<br />

der auch heute noch einer der wichtigsten Kristallisationspunkte<br />

in der Dorfgemeinschaft ist.<br />

20. Jahrhundert<br />

Als ein herausragendes Ereignis der Ortsgeschichte gilt<br />

bis heute die 900-Jahr-Feier im Jahre 1967 mit einem<br />

unvergesslichen Festzug. Davor hatte sich in den 50er<br />

„Feldhof“<br />

(um 1955)<br />

und 60er Jahren ein rascher Neuaufbau vollzogen - nach<br />

zwei verheerenden Weltkriegen, die auch über Ferndorf<br />

großes Leid brachten.<br />

Der wirtschaftliche Wiederaufbau nach dem Ersten Weltkrieg<br />

gestaltete sich auf Grund der politischen Verhältnisse<br />

äußerst schwierig. Wirtschaftskrisen, Inflation,<br />

Arbeitslosigkeit und Armut waren die vorherrschenden<br />

Themen. Ferndorf musste seinen Hirten entlassen, weil<br />

die Gemeinde nicht mehr in der Lage war, sein Essen und<br />

das Futter seines Hundes zu bezahlen.<br />

In der Zeit der Nationalsozialistischen Diktatur veränderten<br />

sich in Ferndorf Straßennamen. So wurde aus der<br />

heutigen Ferndorfer Straße die Hermann Göring Straße<br />

und der Dorfplatz wurde zum Adolf Hitler Platz umbenannt.<br />

Die Nazis bauten das Reichsarbeitsdienstlager in<br />

Irlenhecken und nutzten es, wie an vielen anderen Orten<br />

auch, zur vormilitärischen Ausbildung Jugendlicher. Bekennende<br />

Christen und Mitglieder des CVJM waren Schikanen<br />

und Gängeleien ausgesetzt. Ansonsten aber war<br />

wohl selbst der Ortsgruppenleiter in Ferndorf nicht fanatisiert<br />

genug, um den an anderen Orten üblichen Terror<br />

zu entfachen.<br />

Wieder mussten viele Ferndorfer Männer an irgendeiner<br />

Front mit ihrem Leben zahlen.<br />

Quelle: Mathias Döring, aus „Eisen und Silber – Wasser und Wald“<br />

Dann, als fast alles vorbei war, kam im März 1945 noch<br />

der Luftangriff der Alliierten.<br />

Das Ziel war eigentlich der <strong>Kreuztal</strong>er Rangierbahnhof,<br />

aber durch viele falsch abgeworfene Bomben brachte er<br />

auch Unglück und Tod für viele Ferndorfer Familien.<br />

Nach dem Krieg ging es erst langsam, dann schneller aufwärts<br />

- auch Ferndorf hatte Teil am Wirtschaftswunder.<br />

Politisch war Ferndorf der Sitz des gleichnamigen Amtes,<br />

zu dem die Gemeinden Burgholdinghausen, Littfeld,<br />

Krombach, Eichen, Osthelden, Ober- Mittel- und Junkernhees,<br />

Buschhütten, Kredenbach und <strong>Kreuztal</strong> gehörten.<br />

1967 feierte man die 900-Jahrfeier mit einem unvergesslichen<br />

Festzug.<br />

1969 wurde Ferndorf im Rahmen der kommunalen Neugliederung<br />

ein Teil der neuen Stadt <strong>Kreuztal</strong>. Auch das haben<br />

die Ferndorfer eigentlich nicht gewollt - wenigstens hätte<br />

diese neue Stadt, als kleine Reminiszenz an das Ferndorfer<br />

Selbstverständnis, Ferndorf heißen sollen.<br />

Der Verlust der politischen Selbständigkeit war jedoch<br />

der Anfang des Vereins zur Pflege der Dorfgemeinschaft<br />

in Ferndorf, der damals von umsichtigen Ferndorfer Bürgern<br />

gegründet wurde.<br />

30er Jahre, Jugendherberge 30er Jahre, Hauptstraße<br />

Luftangriff<br />

(18. März 1945)<br />

14 Aktuelles - Die Geschichte von Ferndorf Aktuelles - Die Geschichte von Ferndorf<br />

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