Experten-Facharbeiter-Workshops als Instrument der ...

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Anhang C5<br />

Gemeinsamer Zwischenbericht<br />

Modellversuch »GAB«<br />

EXPERTEN-FACHARBEITER-WORKSHOPS ALS INSTRUMENT<br />

DER BERUFSWISSENSCHAFTLICHEN<br />

QUALIFIKATIONSFORSCHUNG<br />

BREMER, RAUNER, RÖBEN<br />

Bremen, Januar 2001


<strong>Experten</strong>–<strong>Facharbeiter</strong>–<strong>Workshops</strong><br />

Rainer Bremer; Felix Rauner; Peter Röben **<br />

<strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>-<strong>Workshops</strong> <strong>als</strong> <strong>Instrument</strong> <strong>der</strong><br />

berufswissenschaftlichen Qualifikationsforschung *<br />

Die Qualifikationsforschung hat es bis heute nicht vermocht, sich in <strong>der</strong> Berufsbildungsforschung<br />

zu einem die Entwicklung von Berufen, Ausbildungsordnungen und<br />

beruflichen Curricula begründenden Forschungszweig zu etablieren. „Ausbildungsordnungsforschung“<br />

ist <strong>als</strong> ein Aufgabenbereich im Bundesinstitut für Berufsbildung<br />

etabliert. Ihr obliegt es, die Entwicklung und Neuordnung von Berufen und Ausbildungsordnungen<br />

durch Forschungsvorhaben zu begleiten und zu unterstützen. Diese<br />

Forschung ist auf das engste verknüpft mit dem Berufsbildungsdialog zwischen den<br />

Sozialpartnern, welche die Berufsentwicklung ganz entscheidend interessengeleitet<br />

ausgestalten (vgl. Schmidt 1995). Bei diesem Aufgabenbereich des BIBB handelt es<br />

sich weniger um einen wissenschaftlich entfalteten Forschungsbereich <strong>als</strong> vielmehr<br />

um das Zusammenspiel bewährter Methoden <strong>der</strong> Berufsbildungsplanung, wie sie<br />

sich seit den 20er Jahren in <strong>der</strong> Berufsbildungsplanung herausgebildet haben (Heidegger<br />

u.a. 1991). Benner verweist in diesem Zusammenhang auf<br />

- Literatur- und Quellenstudium<br />

- Betriebsbegehungen<br />

- Fallstudien<br />

- repräsentative Tätigkeitsanalysen<br />

- <strong>Experten</strong>befragungen<br />

- Sachverständigenberatungen (Benner, 1996, 56).<br />

In dem durch die Ausbildungsordnungsforschung unterstützten Berufsbildungsdialog<br />

kommt bei <strong>der</strong> Identifizierung <strong>der</strong> beruflichen Arbeitsaufgaben sowie <strong>der</strong> Ausbildungsinhalte<br />

den Sachverständigen <strong>der</strong> Sozialpartner die entscheidende Rolle zu. Es<br />

wird unterstellt, dass diese Sachverständigen mit <strong>der</strong> Arbeitswelt in allen berufsbildungsrelevanten<br />

Details vertraut sind. Dazu würde auch die Fähigkeit gehören, berufsförmige<br />

Arbeit und darauf bezogene Berufsbildung in prospektiver Perspektive<br />

zu analysieren und zu bewerten.<br />

Bemerkenswert ist hier, dass die Ausbildungsordnungsforschung selbst vom Bundesinstitut<br />

für Berufsbildung in seiner Gründungsphase nicht <strong>als</strong> ein Teil <strong>der</strong> Qualifikationsforschung<br />

angesehen wurde. Dies zeigt die Bilanzierung <strong>der</strong> Qualifikationsforschung<br />

durch das BIBB Ende <strong>der</strong> 70er Jahre (Grünewald 1979). „Zweck dieser<br />

** An <strong>der</strong> Durchführung und Auswertung <strong>der</strong> Untersuchung waren außerdem beteiligt:<br />

H. Gerlach, W. Heise, M. Kleiner und H. Weinitschke.<br />

* Zur ausführlichen Beschreibung des Untersuchungsverfahrens siehe Rauner 1998.<br />

211


Rainer Bremer; Felix Rauner; Peter Röben<br />

wissenschaftlichen Veranstaltung war es, für die anwendungsbezogene Arbeit des<br />

Bundesinstituts Aufschluss über den Diskussions- und Ergebnisstand in den verschiedenen<br />

Arbeitsgebieten <strong>der</strong> Qualifikationsforschung zu erhalten“ (Vorwort des<br />

Gener<strong>als</strong>ekretärs). Die Separierung <strong>der</strong> sozialwissenschaftlich angeleiteten Qualifikationsforschung<br />

von <strong>der</strong> Ausbildungsordnungsforschung des BIBB hat dazu beigetragen,<br />

dass <strong>der</strong> Zusammenhang von Qualifikationsforschung und Curriculumentwicklung<br />

<strong>als</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Berufsbildungsforschung bis heute nicht etabliert<br />

wurde (Stratmann 1975; Rauner 2000). Erst mit Beginn einer berufswissenschaftlichen<br />

Methodendiskussion und <strong>der</strong> Umsetzung des Reformkonzeptes <strong>der</strong> Kernberufe 1<br />

hat die Qualifikationsforschung neue Impulse erhalten. Nach <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Einordnung dieses methodologischen Themas in die berufswissenschaftliche und sozialwissenschaftliche<br />

Diskussion im Rahmen <strong>der</strong> letzten drei HGTB-Konferenzen<br />

seit 1997 geht es nun um eine Ausdifferenzierung <strong>der</strong> Methodendiskussion und –<br />

Entwicklung im Zusammenhang mit<br />

- <strong>der</strong> Entwicklung und Analyse <strong>der</strong> Mensch-Maschine-Interaktion<br />

- <strong>der</strong> berufswissenschaftlichen Qualifikationsforschung zur Begründung beruflicher<br />

Curricula<br />

- <strong>der</strong> Analyse und Entwicklung des Lernens in Arbeitsprozessen 2 .<br />

In diesem Beitrag soll das methodische <strong>Instrument</strong> <strong>der</strong> <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>-<br />

<strong>Workshops</strong> <strong>als</strong> Beitrag zur berufswissenschaftlichen Qualifikationsforschung auf <strong>der</strong><br />

Grundlage einer umfangreichen empirischen Untersuchung vorgestellt und diskutiert<br />

werden 3 .<br />

1 Genese eines berufswissenschaftlichen Forschungskonzeptes zur Analyse<br />

beruflicher Arbeitsaufgaben<br />

Mitte <strong>der</strong> 90er Jahre wurden in zwei ITB-Forschungsprojekten ein erheblicher Reformbedarf<br />

in <strong>der</strong> Berufsentwicklung und in <strong>der</strong> Curriculumentwicklung im Bereich<br />

gewerblich-technischer Berufsbildung identifiziert.<br />

Die internationale ITB-FORCE-Sektorstudie „Automobil Dealership and Repair“<br />

(Kfz-Servicesektor-Studie) stellt <strong>als</strong> eine ihrer Schlussfolgerungen die Entwicklung<br />

1 Das Konzept Kernberufe wurde ansatzweise bereits bei den IT-Berufen realisiert und für<br />

die Neuordnung <strong>der</strong> industriellen Elektro- und Metallberufe vorgeschlagen (Drescher<br />

u.a. 1995); vgl. dazu auch das BLK/BIBB-Projekt GAB (Geschäfts- und arbeitsprozessorientierte<br />

Ausbildung in ausgewählten Industrieberufen).<br />

2 Vgl. dazu die Konferenzergebnisse in diesem Band und Pahl, Rauner 1998; Pahl, Rauner,<br />

Spöttl 2000.<br />

3 Im Rahmen des Projektes GAB wurden insgesamt 25 <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>-<strong>Workshops</strong><br />

zu fünf industriellen Kernberufen durchgeführt (Bremer u.a. 2000).<br />

212


Berufswissenschaftliche Qualifikationsforschung<br />

und Einführung eines Allroundberufes für den Kfz-Service heraus, <strong>der</strong> seither <strong>als</strong><br />

„Kfz-Mechatroniker“ die ordnungspolitische Diskussion anregt. In zwei LEO-<br />

NARDO-Folgeprojekten wurde dazu ein Berufsbild sowie ein integrierter Berufsbildungsplan<br />

entwickelt. Das „Car-Mechatronic-Curriculum“ (Rauner, Spöttl 1995) ist<br />

nicht nur entwicklungslogisch strukturiert, son<strong>der</strong>n basiert auf <strong>der</strong> Identifizierung<br />

charakteristischer Arbeitsaufgaben durch Exptertengespräche mit angehenden Kfz-<br />

Meistern und einem „<strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>-Workshop“ mit Kfz-<strong>Facharbeiter</strong>n und<br />

-Meistern. Dieser <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>-Workshop wurde durch das Projektziel, ein<br />

arbeits- und arbeitsprozessbezogenes Curriculum zu entwickeln nahegelegt sowie<br />

durch eine Auswertung <strong>der</strong> am CETE 4 von Bob Norton weiterentwickelten Verfahren<br />

„Designing a Curriculum (DACUM)“. Mit dem in Kanada und in den USA in<br />

den 80er und 90er Jahren entwickelten DACUM-Verfahren werden Arbeitstätigkeiten<br />

in <strong>der</strong> Form von „Units“ (komplexe Arbeitsaufgaben) in <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>-<br />

<strong>Workshops</strong> (Expert-Worker-<strong>Workshops</strong>) identifiziert. Dieses Verfahren basiert auf<br />

drei Prämissen<br />

- „Expert workers can describe and define their job/occupation more accurately<br />

than anyone else.<br />

- An effective way to define job/occupation is to precisely describe the tasks that<br />

expert workers perform.<br />

- All tasks, in or<strong>der</strong> to be performed correctly demand the use of certain knowledges,<br />

skills, tools and positive worker behaviour“ (Norton 1997).<br />

Die Identifizierung <strong>der</strong> für einen Beruf charakteristischen Arbeitbeitsaufgaben erschien<br />

uns <strong>als</strong> ein in das Curriculumkonzept für den Kfz-Mechatroniker integrierbares<br />

Element. Abweichend von DACUM wurde dabei eine Reihe von berufspädagogisch<br />

begründeten konzeptionellen Festlegungen getroffen.<br />

An<strong>der</strong>s <strong>als</strong> bei DACUM war mit <strong>der</strong> ITB-FORCE-Sektorstudie eine internationale<br />

Sektorstudie vorausgegangen, die einen universellen Kernberuf nahelegte: den Kfz-<br />

Mechatroniker (Car-Mechatronic). Dieses Berufsbild wurde in einem sektorspezifischen<br />

europaweiten Berufsbildungsdialog, gestützt durch ein umfangreiches Forschungsvorhaben,<br />

entwickelt. Das Konzept <strong>der</strong> Kernberufe (Heidegger, Rauner<br />

1997) bot einen angemessenen Rahmen für die Durchführung von <strong>Experten</strong>-<br />

<strong>Facharbeiter</strong>-<strong>Workshops</strong>, mit <strong>der</strong>en Hilfe dann charakteristische berufliche Arbeitsaufgaben<br />

identifiziert werden konnten. Arbeitsaufgaben sind in diesem Kontext<br />

sinnvermittelnde Arbeitszusammenhänge, die in ihrer Summe berufliche Identität,<br />

Qualitätsbewusstsein und berufliche Verantwortlichkeit und damit auch Motivation<br />

stiften.<br />

4 Center on Education and Training for Employment, c/o College of Education (Ohio<br />

State University, USA).<br />

213


214<br />

Rainer Bremer; Felix Rauner; Peter Röben


Berufswissenschaftliche Qualifikationsforschung<br />

Eine Reduzierung auf beliebige „Units“ in <strong>der</strong> Tradition einer verhaltenswissenschaftlichen<br />

Aufgabenanalyse wird damit vermieden. Die beruflichen Arbeitsaufgaben<br />

werden entwicklungslogisch im Sinne zunehmen<strong>der</strong> beruflicher Kompetenz und<br />

Identität identifiziert (Abb. 1), so dass sich diese Aufgaben nicht nur zu einem Berufsbild<br />

zusammenfügen, son<strong>der</strong>n so, dass sie auch „reflektierte Meisterschaft“ vermitteln.<br />

Berufliche Arbeitsaufgaben, die schon ein Berufsanfänger ohne umfangreiche<br />

Berufserfahrung beherrschen kann, lassen sich danach im Curriculum dem Lernbereich<br />

Orientierungs- und Überblickswissen zuordnen. Während Aufgaben, die umfangreiches<br />

systematisches Wissen, gepaart mit ebenso umfangreicher Arbeitserfahrung<br />

voraussetzen, dem Lernbereich des erfahrungsgeleiteten und fachsystematischen<br />

Vertiefungswissens zugeordnet werden können (Rauner 1999). Für die mit<br />

dem DACUM-Verfahren identifizierten Arbeitsaufgaben kann dagegen kein Kriterium<br />

für eine irgendwie systematische Anordnung dieser Aufgaben in einem Curriculum<br />

angegeben werden. Hier liegt eine <strong>der</strong> zentralen Schwächen des DACUM-<br />

Verfahrens. In <strong>der</strong> DACUM-Praxis behelfen sich die Curriculumdesigner in <strong>der</strong> Regel<br />

damit, dass die Units (Arbeitsaufgaben) in eine Reihenfolge gebracht werden,<br />

wie sie sich aus <strong>der</strong> Bearbeitung komplexerer Arbeitsaufträge o<strong>der</strong> Geschäftsprozesse<br />

ergeben, nach dem Motto: Bevor die Mauer eines Hauses errichtet wird, müssen<br />

erst die Fundamente angelegt werden. Diese Logik ist eine Auftragslogik und keine<br />

Entwicklungslogik (vgl. auch Benner 1994).<br />

Lernbereiche<br />

Aufgabenbereiche<br />

Worum es im Beruf<br />

in <strong>der</strong> Hauptsache<br />

geht<br />

Berufsorientierte<br />

Arbeitsaufgaben<br />

Orientierungsund<br />

Überblickswissen<br />

Zusammenhangswissen<br />

Wie und warum die Dinge<br />

so und nicht an<strong>der</strong>s<br />

zusammenhängen<br />

Systematische<br />

Arbeitsaufgaben<br />

Detail- und<br />

Funktionswissen<br />

Worauf es in <strong>der</strong> Facharbeit<br />

im einzelnen<br />

ankommt und wie die<br />

Dinge funktionieren<br />

Problembehaftete<br />

spezielle<br />

Arbeitsaufgaben<br />

erfahrungsbasiertes,<br />

fachsystematisches<br />

Vertiefungswissen<br />

Wie sich die Dinge<br />

fachsystematisch erklären<br />

und Probleme<br />

situativ lösen lassen<br />

Nicht vorhersehbare<br />

Arbeitsaufgaben<br />

Abb. 1<br />

Aufgaben- und Lernbereiche für ein entwicklungslogisch strukturiertes<br />

Curriculum<br />

215


Rainer Bremer; Felix Rauner; Peter Röben<br />

(2) Die Evaluation <strong>der</strong> 1987 neu geordneten industriellen Elektroberufe legte eine<br />

weitreichende Rücknahme horizontaler Aufgabendifferenzierung in <strong>der</strong> Berufsbildung<br />

nahe. Mit dieser Studie (Drescher u.a. 1995) fand das Konzept <strong>der</strong> Kernberufe<br />

seine empirische Begründung. Die konzeptionelle und programmatische Begründung<br />

dieses Konzeptes wurde von Heidegger und Rauner (1997) mit dem Konzept <strong>der</strong><br />

„offenen, dynamischen Beruflichkeit“ für Kernberufe vorgelegt. Damit entstand die<br />

Notwendigkeit, für die Berufsentwicklung ein empirisches <strong>Instrument</strong>arium zu entwickeln,<br />

mit dem sich das Konzept <strong>der</strong> Kernberufe empirisch fundieren und umsetzen<br />

lässt.<br />

In den von <strong>der</strong> KMK formulierten Reformzielen für eine gestaltungsorientierte<br />

Berufsbildung (Rauner 1995) wurde das Konzept <strong>der</strong> Kernberufe aufgenommen. Die<br />

VW AG leitete daraus ein umfangreiches Reformprojekt ab, das darüber hinaus den<br />

Bedingungen einer Geschäftsprozess orientierten Organisationsstruktur genügen soll.<br />

Ziel des VW-Projektes „GAB“ (Geschäfts- und arbeitsprozessbezogene Ausbildung<br />

in ausgewählten Industrieberufen) ist es unter an<strong>der</strong>em, entwicklungslogisch<br />

aufgebaute berufliche Curricula in <strong>der</strong> Form „integrierter Berufsbildungspläne“ für<br />

eine deutlich reduzierte Zahl industrieller Kernberufe in den Berufsfel<strong>der</strong>n Elektrotechnik<br />

und Metalltechnik sowie im Bereich industrieller Dienstleistungen zu entwickeln<br />

(Abb. 2). Diese Berufsbil<strong>der</strong> und integrierten Berufsbildungspläne sollen<br />

nach dem für das Berufsbild des Kfz-Mechatronikers erstm<strong>als</strong> erprobten Konzept <strong>der</strong><br />

<strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>-<strong>Workshops</strong> empirisch fundiert werden.<br />

Konzentration auf den Kernprozess mit 5 industriellen Berufen<br />

Industrieelektroniker/in<br />

Kommunikatioselektroniker/in<br />

Industrieelektroniker/in<br />

FR<br />

Informationstechnik<br />

Produktions-<br />

FR<br />

Energieelektroniker/itechnik<br />

FR<br />

Betriebstechnik<br />

Industriemechaniker/in<br />

Anlagenmechaniker/inFR<br />

FR<br />

Maschinen- und<br />

Versorgungstechnik<br />

Industriemechaniker/in<br />

systemtechnik<br />

Industriemechaniker/in<br />

FR<br />

FR<br />

Betriebstechnik<br />

Produktionstechnik<br />

Industriemechaniker/in<br />

Werkzeugmechaniker/in<br />

Kauffrau/-mann<br />

für Bürokommunikation<br />

FR<br />

Formentechnik<br />

Zerspanungsmechaniker/in<br />

FR<br />

Drehtechnik<br />

Werkzeugmechaniker/in<br />

FR<br />

Stanz- und<br />

Umformtechnik<br />

Automobilkauffrau/-mann<br />

Speditionskauffrau/-mann<br />

Zerspanungsmechaniker/in<br />

FR<br />

Frästechnik<br />

Kraftfahrzeugelektriker/in<br />

Werkzeugmechaniker/in<br />

Industriekauffrau/<br />

Automobil-<br />

-mann<br />

mechaniker/in<br />

Industriekauffrau/mann<br />

Automobilmechaniker/in<br />

Abb. 2<br />

Industrielle Kernberufe im Automobilsektor am Beispiel des Projektes<br />

„Geschäfts- und arbeitsprozessbesogene Ausbildung in ausgewählten Industrieberufen<br />

(GAB)“<br />

216


Berufswissenschaftliche Qualifikationsforschung<br />

2 Anfor<strong>der</strong>ungen an das Konzept <strong>der</strong> <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>-<strong>Workshops</strong><br />

sowie seine Einbettung in die Entwicklung entwicklungslogischer<br />

beruflicher Curricula für offene, dynamische Berufsbil<strong>der</strong><br />

Mit <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>-<strong>Workshops</strong> (EFW) lassen sich rationell und mit einer<br />

sonst nicht erreichbaren Validität die für einen Beruf charakteristischen Arbeitsaufgaben<br />

identifizieren. Das dieses empirische Verfahren nicht voraussetzungslos angewendet<br />

werden kann, wurde oben bereits erwähnt. Berufe lassen sich nicht empirisch<br />

ermitteln, Berufe sind Konstrukte, die zutiefst verwurzelt sind in den verschiedenen<br />

Industriekulturen und die damit den national unterschiedlich organisierten<br />

Aushandlungsprozesses zwischen Politik, Wirtschaft und dem Bildungssystem entspringen<br />

(vgl. Ruth 1995; Laske 1995). Sehr wohl kann <strong>der</strong> auf die Berufsbildungsentwicklung<br />

zielende Berufsbildungsdialog von <strong>der</strong> Forschung, die sich auch des<br />

Konzepts <strong>der</strong> <strong>Facharbeiter</strong>-<strong>Workshops</strong> bedient, erheblich profitieren. Hier sollen zunächst<br />

die Anfor<strong>der</strong>ungen und Kriterien skizziert werden, die den EFW zugrunde<br />

liegen.<br />

Der Weg zu entwicklungslogischen beruflichen Curricula führt über drei Schritte:<br />

A Ausgang von <strong>der</strong> Berufsarbeit <strong>als</strong> <strong>der</strong> Zielgröße des Lernweges einschließlich<br />

seiner Organisation – Verlaufsziel.<br />

B Aufschlüsselung des Verlaufs nach Stufen <strong>der</strong> Entwicklung vom Berufsanfänger<br />

zum berufsfähigen <strong>Experten</strong> – Verlaufstiefe.<br />

C Interpretation und Deutung <strong>der</strong> Stufen nach den ihnen zugrunde liegenden Mustern<br />

<strong>der</strong> Bewältigung – Verlaufsbreite.<br />

Im Schritt A werden die beruflichen Arbeitsaufgaben erhoben. Im Schritt B geht es<br />

darum, Komplexität und Interferenz <strong>der</strong> Aufgaben mit <strong>der</strong> Perspektive desjenigen zu<br />

beschreiben, <strong>der</strong> die Aufgaben noch nicht beherrscht. Die Beherrschung vieler Techniken<br />

und Verfahren sowie die Aneignung zahlreicher Wissensbestandteile dürfte<br />

kontinuierlich anwachsend verlaufen – die artefaktische, asystematische Charakteristik<br />

beruflichen Wissens äußert sich im Zuwachs an Wissen und Können. Allerdings<br />

wird <strong>der</strong> Gesamtverlauf kein bloßes Kontinuum sein, vielmehr ein strukturierter Zusammenhang<br />

von diskreten Sektoren beruflichen Handelns und Wissens. Von strukturiert<br />

ist immer dann zu sprechen, wenn sich aus dem Vorhandensein eines Sektors<br />

<strong>der</strong> Zugang zum nächsten ergibt, <strong>der</strong> im gegenteiligen Fall entsprechend den Zugang<br />

verwehrt. Bei <strong>der</strong> Untersuchung des Schrittes B bereitet <strong>der</strong> Ausgang von entwikkelter<br />

Kompetenz gewisse Schwierigkeiten, die einen methodischen Perspektivenwechsel<br />

nahe legen: Die ermittelte berufliche Kompetenz <strong>der</strong> <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong><br />

muss im Licht <strong>der</strong> Entwicklung – vom Anfänger her – betrachtet und beschrieben<br />

werden, da nicht <strong>der</strong> Stand <strong>der</strong> Entwicklung, son<strong>der</strong>n ihr Verlauf Gegenstand <strong>der</strong><br />

Forschung wird. Dem Verlauf liegt eine Logik, sozusagen die Intention <strong>der</strong> Vollendung<br />

<strong>der</strong> Entwicklung, zu Grunde. Daher sprechen wir im Zusammenhang mit be-<br />

217


Rainer Bremer; Felix Rauner; Peter Röben<br />

ruflichen Arbeitsaufgaben <strong>als</strong> Grundlagen <strong>der</strong> Curriculumentwicklung auch von „intentionaler<br />

Deskription“.<br />

Dies gilt ebenso für den Schritt C, <strong>der</strong> auf Erkenntnisse zum Entwicklungsverlauf<br />

aufbaut und sie mit empirischen Typen <strong>der</strong> beobachteten Lernzugänge verbindet.<br />

Diese Zugänge werden aus <strong>der</strong> Überwindung von identifizierten Diskontinuitäten <strong>der</strong><br />

Entwicklung sichtbar, sie geben dann den Ausschlag für die Möglichkeit des unterstützenden<br />

pädagogischen Eingriffs in den Lernverlauf. Die eigentliche berufspädagogische<br />

Ausrichtung <strong>der</strong> auf entwicklungshermeneutische Einsichten beruhenden<br />

Ausbildungsorganisation ist dem wie<strong>der</strong>um intentional vorgelagert, sie bestimmt die<br />

unter den Schritten A bis C genannten, sowohl empirischen <strong>als</strong> auch theoretischen<br />

Forschungen.<br />

<strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong><br />

Die Auswahl von <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>n erfolgt nach einer Reihe von Kriterien, die<br />

sich aus dem Ziel des Verfahrens ergeben.<br />

- <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong> repräsentieren durch ihre berufliche Biographie, ihre berufliche<br />

Kompetenz und ihre aktuellen Arbeitsaufgaben einen Erfahrungs- und<br />

Wissenshintergrund, <strong>der</strong> sich zur Bestimmung von in die Zukunft weisenden<br />

Arbeitszusammenhängen, gut nutzen lässt. Die <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong> sollten in<br />

den letzten Jahren einige Stationen ihrer Karriere durchlaufen haben, verschiedene<br />

Abteilungen des Unternehmens kennen und an innovativen Projekten beteiligt<br />

gewesen sein.<br />

- <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong> sind damit keine Repräsentanten, die durch die gegebene<br />

Berufsstruktur geformt wurden, son<strong>der</strong>n sie verkörpern eine für ein Berufsfeld<br />

innovative und zukunftsweisende Berufspraxis (Prospektivität). Je nach<br />

Berufsfeld sind bei <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong> bzw. bei <strong>der</strong> Zahl<br />

<strong>der</strong> <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong> die Branchenstrukturen so zu berücksichtigen, dass<br />

ein Beruf in seinen Kern- und Randaufgaben erfasst werden kann.<br />

- <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>-Kompetenz basiert ganz wesentlich auf reflektierter<br />

Erfahrung. Die reflexive Kompetenz bezieht sich auch auf die Fähigkeit einer<br />

prospektiven Abschätzung <strong>der</strong> Entwicklung beruflicher Arbeit und die darin<br />

eingeschlossenen beruflichen Arbeitsaufgaben.<br />

- In <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> EFW hat sich eine Teilnehmerzahl von etwa 10 bis 12 <strong>als</strong> eine<br />

günstige Gruppengröße herauskristallisiert. 2/3 <strong>der</strong> Teilnehmer sollten <strong>der</strong><br />

<strong>Facharbeiter</strong>-Ebene und 1/3 <strong>der</strong> Vorgesetzten-Ebene zugeordnet sein. Die Repräsentanten<br />

<strong>der</strong> aufgestiegenen <strong>Facharbeiter</strong> (Vorarbeiter, Meister und Werkstattleiter)<br />

vertreten in diesem Verfahren die arbeitsnahe Managementperspektive.<br />

Sie sind es vor allem, die die beruflichen Arbeitsaufgaben in Beziehung<br />

zur Aufgabenorganisation des Unternehmens einschätzen können.<br />

218


Berufswissenschaftliche Qualifikationsforschung<br />

Berufliche Arbeitsaufgaben<br />

Berufliche Arbeitsaufgaben, mit denen ein Beruf charakterisiert wird, fassen berufliche<br />

Handlungen <strong>als</strong> Arbeitszusammenhänge zusammen. Berufliche Arbeitsaufgaben<br />

beherrscht <strong>der</strong> Fachmann im Kontext betrieblicher Geschäftsprozesse und kann ihren<br />

Sinn im Zusammenhang des betrieblichen Kontextes einschätzen und benennen. Tätigkeiten<br />

und Verrichtungen wie Drehen, Bohren, Montieren usw. sind nach unserer<br />

Auffassung keine beruflichen Arbeitsaufgaben, son<strong>der</strong>n Teile von ihnen, <strong>der</strong>en isolierte<br />

Betrachtung dazu führen kann, dass das Wissen um ihre Zweckhaftigkeit verloren<br />

geht. Dieser Zustand ist häufig bei tayloristischen Teilarbeiten anzutreffen, <strong>der</strong>en<br />

Sinnhaftigkeit durch von <strong>der</strong> Ausführungsebene getrennten Organisationseinheiten<br />

(z.B. <strong>der</strong> Arbeitsvorbereitung) hergestellt und gesichert werden muss. Im Zuge <strong>der</strong><br />

Flexibilisierung erweist sich das Fehlen des Wissens um die Sinnhaftigkeit von Tätigkeiten<br />

<strong>als</strong> großer Hemmschuh.<br />

Berufliche Arbeitsaufgaben stehen <strong>als</strong> sinnvermittelnde Arbeit für sich selbst.<br />

Dies unterscheidet sie von Teilaufgaben, die immer nur im Kontext <strong>der</strong> gesamten<br />

Aufgabe <strong>als</strong> sinnvermittelnde erscheinen. Berufliche Arbeitsaufgaben in diesem Sinne<br />

setzen Berufe voraus, die in ihrem Aufgabenspektrum nicht auf ein weitgehend<br />

abstraktes Tätigkeitsfeld eingeschränkt sind. Zahlreiche traditionelle Industrieberufe,<br />

die entwe<strong>der</strong> eine berufliche Verrichtung zum Beruf erheben o<strong>der</strong> auch fachsystematisch<br />

<strong>als</strong> quasi semi-akademische Berufe ausgestaltet sind, wie <strong>der</strong> Industriekaufmann<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Prozessleitelektroniker, erfüllen nicht o<strong>der</strong> kaum das hier formulierte<br />

Kriterium für berufliche Arbeitsaufgaben. Hier können <strong>als</strong>o die Kriterien für berufliche<br />

Arbeitsaufgaben in Wi<strong>der</strong>spruch zu einer Aufgabenanalyse für existierende Berufe<br />

geraten. Berufliche Arbeitsaufgaben, die für ein entwicklungslogisch strukturiertes<br />

Curriculum analysiert werden sollen, werden mit Blick auf ihre Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

an den Entwicklungsverlauf untersucht. So wird etwa danach gefragt, welche<br />

Aufgaben ein <strong>Facharbeiter</strong> bereits <strong>als</strong> Novize (Anfänger) beherrscht o<strong>der</strong> – umgekehrt<br />

– was ihm erst nach einer umfangreichen Arbeitserfahrung und vertieften theoretischen<br />

Einsicht fachgerecht gelingt.<br />

Berufliche Arbeitsaufgaben lassen sich einerseits in ihrer qualifikatorischen und<br />

beruflichen Qualität ermitteln, wenn die befragten <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong> die Gelegenheit<br />

erhalten, über ihre je konkrete Ausführung zu berichten. An<strong>der</strong>erseits sind<br />

berufliche Arbeitsaufgaben nur solche, die sich zugleich dekontextualisert <strong>als</strong> charakteristische<br />

und damit repräsentative Arbeitsaufgaben für einen Beruf erweisen<br />

und sich <strong>als</strong> gültige berufliche Arbeitsaufgaben bestätigen lassen.<br />

Berufliche Arbeitsaufgaben zielen nicht auf die Oberfläche beruflicher Handlungen,<br />

wie sie zahlreich im Bereich <strong>der</strong> Bedienung von Werkzeugen und Geräten z. B.<br />

mit sich rasch wandelnden Bedieneroberflächen auftreten. Der Bezugspunkt ist vielmehr<br />

<strong>der</strong> sehr viel stabilere Arbeitsprozess in seiner Einbettung in betriebliche Geschäftsprozesse.<br />

219


Rainer Bremer; Felix Rauner; Peter Röben<br />

3 Ergebnisse<br />

3.1 Charakteristische Arbeitsaufgaben<br />

Die von Bob Norton formulierte Prämisse, dass diejenigen, die einen Beruf ausüben,<br />

auch besser <strong>als</strong> irgend jemand sonst beschreiben und definieren können, welche beruflichen<br />

Aufgaben ihren Beruf ausmachen, konnte eindrucksvoll bestätigt werden.<br />

Wir geben hier das Beispiel <strong>der</strong> beruflichen Arbeitsaufgaben des Industriemechanikers<br />

wie<strong>der</strong>, die sich auf die Kernarbeitsprozesse beziehen.<br />

Die Beson<strong>der</strong>heit dieser, sowohl die Breite <strong>als</strong> auch die Tiefe <strong>der</strong> Berufsarbeit<br />

von Industriemechanikern erfassenden Zusammenstellung seiner Arbeitsaufgaben,<br />

liegt in <strong>der</strong> Abstraktion von Tätigkeiten zugunsten <strong>der</strong> Formulierung von Aufgaben<br />

im engeren Sinne. Diese Liste schließt die Kompetenzen dadurch ein, dass <strong>der</strong> Kontext<br />

<strong>der</strong> Arbeit in den drei, die mo<strong>der</strong>ne Facharbeit insgesamt beschreibenden Dimensionen<br />

<strong>der</strong> Werkzeuge bzw. Verfahren, <strong>der</strong> fachgerechten Ausführung und <strong>der</strong><br />

sozialen Organisation jeweils berücksichtigt wurde.<br />

Worauf ursprünglich Polanyi und später Dreyfus sowie aus dem Bereich <strong>der</strong> gesundheitswissenschaftlichen<br />

Qualifikationsforschung Patricia Benner hingewiesen<br />

haben, besteht eine grundlegende Schwierigkeit darin, dass charakteristische Arbeitsaufgaben<br />

nicht einfach durch bloßes Nachfragen bei <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>n zu<br />

ermitteln sind. Die Schwierigkeiten resultieren zunächst aus <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Klärung dessen, was man unter einer beruflichen Arbeitsaufgabe verstehen will.<br />

Benner geht in diesem Zusammenhang von „paradigmatischen Fällen und persönlichem<br />

Wissen“ aus: Spezielle Erfahrungen sind manchmal so aussagekräftig, dass sie<br />

die Rolle von paradigmatischen Fällen einnehmen können. Solche zurückliegenden<br />

Arbeitssituationen zeichnen sich nach Benner dadurch aus, „dass sie die Wahrnehmung<br />

<strong>der</strong> Schwester o<strong>der</strong> des Pflegers verän<strong>der</strong>t haben. Erfahrungen aus <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

leiten <strong>als</strong>o die Expertin o<strong>der</strong> den <strong>Experten</strong> in ihren Wahrnehmungen und<br />

in ihren Handlungen und ermöglichen ihnen eine schnelle Erfassung <strong>der</strong> Situation“<br />

(Benner, Wrubel 1982). Paradigmatische Aufgaben werden <strong>als</strong> Fälle unmittelbar in<br />

das Curriculum für Gesundheitsberufe aufgenommen. Einen an<strong>der</strong>en Akzent hebt<br />

Havighurst mit seinem Konzept <strong>der</strong> „Entwicklungsaufgaben“ hervor. Für die Qualifikationsforschung<br />

und für die Entwicklung beruflicher Curricula ist das Konzept <strong>der</strong><br />

Entwicklungsaufgaben von Havighurst von beson<strong>der</strong>em Interesse, da es nicht eingebettet<br />

ist in konventionelle kognitive Entwicklungstheorien, nach denen die Entwicklung<br />

des Menschen mit dem Erreichen <strong>der</strong> Phase <strong>der</strong> Adoleszenz (bei Piaget <strong>der</strong><br />

Stufe <strong>der</strong> formaloperativen Intelligenz) abgeschlossen ist. Havighurst geht von <strong>der</strong><br />

Überlegung aus, dass es bei Erwachsenen an<strong>der</strong>e Antriebe und Anlässe sein müssen,<br />

die die Entwicklung des Menschen in Gang halten. Es sind dies die „Entwicklungsaufgaben“,<br />

die jeweils neue inhaltlich komplexe Problemlösungssituationen für den<br />

Menschen aufwerfen. Sie entscheiden darüber, ob er sich in seinem Lebenszyklus<br />

anlässlich <strong>der</strong> Aufgaben weiterentwickelt und individuiert (Gruschka 1985, S. 45).<br />

220


Berufswissenschaftliche Qualifikationsforschung<br />

Die Identifizierung beruflicher Arbeitsaufgaben im Rahmen von <strong>Experten</strong>-<br />

<strong>Facharbeiter</strong>-<strong>Workshops</strong> setzt <strong>als</strong>o voraus, das Konzept <strong>der</strong> Arbeitsaufgabe zu klären<br />

und so zu explizieren, dass es für die empirische Forschung fruchtbar gemacht werden<br />

kann (s.o.).<br />

An<strong>der</strong>s <strong>als</strong> das DACUM-Verfahren schreiben wir den beruflichen Aufgaben Intentionalität<br />

zu. Unterstellt wird damit, dass mit den Arbeitsaufgaben auch <strong>der</strong>en<br />

Sinn verstehbar ist. Verstehen aber setzt bei den Forschern entsprechend tiefe und<br />

umfassende Einsichten in die objektiven Gegebenheiten voraus, die die Arbeitsprozesse<br />

und Arbeitshandlungen determinieren bzw. für die Handelnden Handlungsund<br />

Gestaltungsspielräume eröffnen. Es konnte empirisch die Annahme bestätigt<br />

werden, dass die Ermittlung von beruflichen Arbeitsaufgaben mit dem <strong>Instrument</strong>arium<br />

<strong>der</strong> <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>-<strong>Workshops</strong> nicht nur eine entsprechend hohe kommunikative,<br />

son<strong>der</strong>n eine hohe fachliche Kompetenz voraussetzt. Ersteres ist seit jeher<br />

in <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung unstrittig, letzteres wurde erst in <strong>der</strong> berufswissenschaftlichen<br />

Methodendiskussion in den Vor<strong>der</strong>grund gerückt (Rauner 1998).<br />

Die Fachkompetenz <strong>der</strong> Forscher vermittelt sich nicht schon automatisch im Dialog<br />

mit den Facharbeit-<strong>Experten</strong>. Erst die methodisch angeleitete fachliche Expertise<br />

führt zur Identifizierung <strong>der</strong> Inhalte von Facharbeit (Drescher u.a. 1995; Schreier<br />

1998).<br />

3.2 Kontextfreie versus kontextbezogene Deskription von Arbeitsaufgaben<br />

Es geht bei <strong>der</strong> berufswissenschaftlichen Qualifikationsforschung darum, die für einen<br />

Beruf charakteristischen Arbeitsaufgaben zu identifizieren. Berufe und Berufsbil<strong>der</strong><br />

zeichnen sich aber gerade dadurch aus, dass sie unabhängig von <strong>der</strong> einzelbetrieblichen<br />

Arbeitswirklichkeit Gültigkeit beanspruchen. Das selbe gilt um so mehr<br />

für ein berufliches Curriculum. Zugleich ist ebenso richtig, dass berufliche Arbeit<br />

immer an Subjektivität und Situativität gebunden und damit einmalig ist. Erschließen<br />

lässt sich die subjektbezogene Qualität beruflicher Arbeitsprozesse und -aufgaben<br />

daher nur kontextbezogen. Unsere Untersuchungen zeigen, dass je<strong>der</strong> Versuch, die<br />

<strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong> einseitig <strong>als</strong> <strong>Experten</strong> zu definieren, die Auskunft über die beruflichen<br />

Aufgaben geben, die den Beruf – und nicht ihre berufliche Arbeit – ausmachen,<br />

zum Scheitern verurteilt ist. <strong>Facharbeiter</strong> werden damit in die Forscherrolle<br />

gedrängt. Der Prozess <strong>der</strong> wissenschaftlichen Reduktion empirischer Daten und <strong>der</strong><br />

damit verbundenen Inhaltsanalyse würde den <strong>Facharbeiter</strong>n zugeschoben, ohne dass<br />

diese die Möglichkeit hätten, sich auf einen solchen Prozess einzulassen. <strong>Experten</strong>-<br />

<strong>Facharbeiter</strong> sind <strong>Experten</strong> für die Facharbeit, nicht für ihre eigene Entwicklung, daher<br />

können sie nicht umstandslos dazu befragt werden. Der Entwicklungsgedanke ist<br />

vielmehr im Sinne intentionaler Deskription an die Aufgaben <strong>der</strong> Facharbeit zurückzubinden,<br />

da die Faktoren, die die Entwicklung fachlicher Kompetenz und Identität<br />

auslösen, steuern o<strong>der</strong> auch behin<strong>der</strong>n, genau dort liegen, in den Anfor<strong>der</strong>ungen von<br />

Arbeit und Technik, genauer in den Kernarbeitsprozessen <strong>der</strong> identifizierten Berufe.<br />

221


Rainer Bremer; Felix Rauner; Peter Röben<br />

Für die Curriculumentwicklung ist das Ergebnis von <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>-<br />

<strong>Workshops</strong> geeignet, wenn <strong>der</strong> Curriculumentwickler den Prozess <strong>der</strong> Dekontextualisierung<br />

nachvollziehen kann bzw. wenn berufliche Arbeitsaufgaben so beschrieben<br />

werden, dass sie einen beruflichen Entwicklungsweg beschreiben und exemplifizieren<br />

und Aufschluss darüber geben, was sich hinter den Aufgaben konkret verbirgt.<br />

3.3 Ausgewählte Befunde und Resultate <strong>der</strong> <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>-<strong>Workshops</strong><br />

Hier soll an einigen wenigen Beispielen aus dem Material <strong>der</strong> zahlreichen <strong>Workshops</strong><br />

aufgezeigt werden, wie die Methode <strong>der</strong> <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>-<strong>Workshops</strong><br />

genutzt wurde (ausführliche Darstellungen siehe Bremer, Jagla 2000, Bremer 2000).<br />

Industrieelektroniker<br />

<strong>Facharbeiter</strong> gehen bei <strong>der</strong> Beurteilung ihrer beruflichen Aufgaben von dem aus, was<br />

sie in ihrem Arbeitsalltag bewältigen müssen. Die Arbeit im Berufsfeld Elektrotechnik<br />

wird bei VW durch die Instandhaltungsarbeit in Produktion und Werkstatt geprägt<br />

und damit ist auch <strong>der</strong> Rahmen gesetzt, in dem sich die empirisch ermittelten<br />

betrieblichen Befunde bewegen.<br />

Aus <strong>der</strong> zentralen Aufgabe <strong>der</strong> Elektrofachkräfte – Instandhaltung und Reparatur<br />

von Maschinen und Anlagen – werden im Arbeitsalltag situationsgerecht und sehr<br />

differenziert Folgeaufgaben von den <strong>Facharbeiter</strong>n generiert. Für die Beurteilung <strong>der</strong><br />

für die Bewältigung <strong>der</strong> beruflichen Arbeitsaufgaben notwendigen Kompetenzen, ist<br />

die situative Urteilskraft des Instandhalters von zentraler Bedeutung. Die Fähigkeit<br />

selbständig in komplexen Situationen ein sicheres Urteil über die angemessenen beruflichen<br />

Handlungen zu fällen, erwächst aus einer langjährigen Entwicklung in <strong>der</strong><br />

es dem <strong>Facharbeiter</strong> gelingen muss, sein reichhaltiges Erfahrungswissen mit dem für<br />

die berufliche Kompetenz unerlässlichen Fachwissen zu verknüpfen und auf diese<br />

Weise ein <strong>der</strong> Arbeit angemessenes Arbeitsprozesswissen zu entwickeln.<br />

Das Fehlen eines expliziten Arbeitsauftrages und die Gewohnheit, eigenständig<br />

Aufgaben zu erkennen und zu bearbeiten, führt bemerkenswerterweise dazu, dass die<br />

Elektroinstandhalter sich auf dem Workshop mit <strong>der</strong> Ermittlung ihrer Arbeitsaufgaben<br />

zunächst schwer getan haben. Die Ursache liegt darin, dass im Arbeitsalltag die<br />

einzelne Aufgabe selten explizit kommuniziert wird und damit Gegenstand <strong>der</strong> Reflexion<br />

wird. Gegenstand <strong>der</strong> Kommunikation sind diejenigen <strong>der</strong> gerade bearbeiteten<br />

konkreten Fälle, die aus eigener Kraft nicht o<strong>der</strong> nicht schnell genug bearbeitet<br />

werden können. Das charakteristische Ensemble von beruflichen Arbeitsaufgaben<br />

lässt sich erst im Kommunikationsprozess zwischen Berufswissenschaftler und <strong>Facharbeiter</strong><br />

herausarbeiten.<br />

Die globale berufliche Arbeitsaufgabe des Elektroinstandhalters – Reparatur und<br />

Instandsetzung <strong>der</strong> Anlagen und Maschinen – haben wir in den <strong>Workshops</strong> zusammen<br />

mit den Teilnehmern weiter ausdifferenziert. So zeigte sich z.B., dass die <strong>Facharbeiter</strong><br />

reichhaltige Erfahrungen in einem Bereich (z.B. <strong>der</strong> Schmiede o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

222


Berufswissenschaftliche Qualifikationsforschung<br />

Schweißerei) gesammelt haben müssen, um Fehler in <strong>der</strong> Steuerung <strong>der</strong> dortigen<br />

Automaten zu erkennen. Die allgemeine Kenntnis des Aufbaus und <strong>der</strong> Funktionen<br />

einer SPS bedarf <strong>der</strong> Ergänzung durch Erfahrungen im Umgang mit konkreten Anlagen<br />

und Maschinen, die mit ihr gesteuert werden, wenn die Fehlersuche im Berufsalltag<br />

erfolgreich sein soll. Die Erfahrungen in bestimmten Bereichen des Betriebes<br />

korrespondieren auf einer höheren Abstraktionsstufe mit bestimmten Typen von instandzusetzenden<br />

Maschinen und Anlagen.<br />

An einem konkreten Beispiel für eine charakteristische berufliche Arbeitsaufgabe<br />

des Industrieelektronikers sollen <strong>der</strong> Verlauf <strong>der</strong> Auswertung <strong>der</strong> empirischen Ergebnisse<br />

dargestellt werden:<br />

„Aufgabe: Instandsetzung von Elektromotoren, bzw. Antrieben<br />

Viele Arbeitsgegenstände <strong>der</strong> Instandhalter weisen Bauteile auf, die in mehreren<br />

Arbeitsgegenständen vorkommen. Der Elektromotor soll hier <strong>als</strong> typisches Bauteil<br />

herausgegriffen werden, weil er einerseits geradezu prototypisch für das Berufsfeld<br />

ist, an<strong>der</strong>erseits in seiner Bedeutung in Bezug auf Anfor<strong>der</strong>ungen an das Fachwissen<br />

häufig f<strong>als</strong>ch eingeschätzt wird, zumindest in Bezug auf das Arbeitshandeln <strong>der</strong><br />

Instandhalter. Die einfachste und häufigste Ausprägung dieser Arbeitsaufgabe, Abklemmen<br />

des Motors und Anklemmen eines neuen (identischen) Motors erfor<strong>der</strong>t<br />

vergleichsweise geringe Fachkenntnisse. Wenn es aber darum geht einen ähnlichen<br />

Motor so zu integrieren, dass alle Parameter, wie z.B. Geschwindigkeit, Beschleunigung,<br />

Drehmoment, etc. eingehalten werden, setzt dies eine genaue Kenntnis <strong>der</strong><br />

Steuerung voraus und die Anfor<strong>der</strong>ungen an das Fachwissen des Instandhalters<br />

können sehr groß werden. Die Teilnehmer schätzen die benötigten Kenntnisse über<br />

Steuerungen <strong>als</strong> wichtiger ein, <strong>als</strong> Kenntnisse über die Funktionsweisen verschiedener<br />

Elektromotoren. Bei <strong>der</strong> Parametrierung <strong>der</strong> Steuerungen beginnt <strong>der</strong> Arbeitsbereich<br />

des Spezialisten aus <strong>der</strong> Fachwerkstatt.“ (Aus einem <strong>Experten</strong>-<strong>Facharbeiter</strong>-<br />

Workshop-Protokoll für den Beruf des Industrieelektronikers, August 1998.)<br />

Die Arbeitsaufgabe „Instandsetzung von Elektromotoren“ ist gut geeignet einerseits<br />

den Wandel in <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> Instandhalter zu dokumentieren, da <strong>der</strong> Elektromotor<br />

immer seltener isolierter Gegenstand des Arbeitshandelns <strong>der</strong> <strong>Facharbeiter</strong> ist, an<strong>der</strong>seits<br />

lässt sich die Entwicklungslogik in <strong>der</strong> begreifenden Aneignung des Wissens<br />

über diesen Arbeitsgegenstand darstellen. Wie auf dem Workshop von den Teilnehmern<br />

berichtet wurde, ist <strong>der</strong> einfache Austausch eines Elektromotors durchaus eine<br />

Anfängeraufgabe. Die Aufgabe wird jedoch erheblich anspruchsvoller, wenn die Parameter<br />

eines an<strong>der</strong>en Elektromotortyps so angepasst werden müssen, dass die Leistungsdaten<br />

des ursprünglichen Motors erreicht werden. Zur vollständigen Bewältigung<br />

<strong>der</strong> Arbeitsaufgabe ist die Kenntnis <strong>der</strong> konkreten Umstände vor Ort unerlässlich.<br />

Die zunächst einfache Aufgabe kann durch Auffächerung weiterer Facetten für<br />

jede Station auf dem Weg vom Anfänger zum <strong>Experten</strong> zu einer Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

werden. Beginnend mit dem notwendigen Wissen über die oberflächlichen Gebrauchswerteigenschaften<br />

eines Elektromotors, das bei einem einfachen Austausch<br />

223


Rainer Bremer; Felix Rauner; Peter Röben<br />

gefor<strong>der</strong>t ist, über bereits schon in die Tiefe gehendes Wissens, das Verhältnis Motor<br />

zu Steuerung betreffend, erreicht ein entwicklungslogischer Lernweg durchaus auch<br />

die elektrophysikalischen Fachkenntnisse über den Elektromotor. Bemerkenswert ist<br />

allerdings, dass elektrophysikalische Fachkenntnisse auf keinem <strong>der</strong> durchgeführten<br />

<strong>Workshops</strong> zu dem von den <strong>Facharbeiter</strong>n <strong>als</strong> notwendig angesehenen Fachwissen<br />

über den Elektromotor gezählt werden. Im Arbeitshandeln des Instandsetzers dominiert<br />

die Kenntnis <strong>der</strong> Schnittstelle <strong>der</strong> Antriebssteuerung, die die Spezifik des verwendeten<br />

Elektromotors weitgehend auf seine reinen Leistungsdaten reduziert (Geschwindigkeit,<br />

Drehmoment, Beschleunigung etc.).<br />

224


Berufswissenschaftliche Qualifikationsforschung<br />

Beispiel einer Arbeitsaufgabe für den Beruf „Industrieelektroniker“<br />

Benennung <strong>der</strong> Arbeitsaufgabe<br />

Instandsetzung von Elektromotoren und Antrieben<br />

a) Erläuterung <strong>der</strong> Arbeitsaufgabe:<br />

Der Elektromotor ist ein Bauteil, das in zahlreichen Arbeitsgegenständen des Instandhalters<br />

zu finden ist. Er ist einerseits geradezu prototypisch für das Berufsfeld,<br />

an<strong>der</strong>erseits wird er in seiner Bedeutung in Bezug auf das Arbeitshandeln <strong>der</strong> Instandhalter<br />

stark überbewertet. Die einfachste und häufigste Ausprägung dieser Arbeitsaufgabe<br />

– Abklemmen des Motors und Anklemmen eines neuen (identischen)<br />

Motors – erfor<strong>der</strong>t fast keine Fachkenntnisse. Wenn es aber darum geht, einen ähnlichen<br />

Motor so zu integrieren, dass alle Parameter, wie z.B. Geschwindigkeit, Beschleunigung,<br />

Drehmoment, etc. eingehalten werden, setzt dies eine genaue Kenntnis<br />

<strong>der</strong> Steuerung voraus und die Anfor<strong>der</strong>ungen an das Fachwissen des Instandhalters<br />

können sehr groß werden. Die benötigten Kenntnisse über Steuerungen sind<br />

<strong>als</strong> wichtiger anzusehen <strong>als</strong> Kenntnisse <strong>der</strong> verschiedenen Funktionsweisen <strong>der</strong><br />

Elektromotoren. Bei <strong>der</strong> Parametrierung <strong>der</strong> Steuerungen beginnt <strong>der</strong> Arbeitsbereich<br />

des Spezialisten aus <strong>der</strong> Fachwerkstatt. Unter Umständen können auch mechanische<br />

Arbeiten notwendig werden, wenn es darum geht, an<strong>der</strong>e Bauformen o<strong>der</strong><br />

abweichende Befestigungen/Halterungen anzupassen.<br />

Defekte Elektromotoren werden in <strong>der</strong> Regel nicht von den Instandhaltern vor<br />

Ort repariert, son<strong>der</strong>n entwe<strong>der</strong> durch das Personal <strong>der</strong> Spezialwerkstätten o<strong>der</strong><br />

durch Fremdfirmen. Repariert wird entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> Motor selbst – Wicklungen, Bürsten<br />

etc. – o<strong>der</strong> seine Steuerung, d.h. die Elektronik. Im Verhältnis zur Technik <strong>der</strong><br />

eingesetzten Motoren, steigt die Bedeutung <strong>der</strong> Steuerungstechnik kontinuierlich.<br />

Damit verbunden ist auch ein Anstieg <strong>der</strong> Komplexität und Differenziertheit <strong>der</strong><br />

einzelnen Steuerungen.<br />

b) Betroffene Geschäftsfel<strong>der</strong>/Schnittstellen:<br />

Motoren und Antriebe sind in allen Bereichen <strong>der</strong> Fertigung bzw. Montage anzutreffen.<br />

Ferner werden Motoren in zentralen Werkstätten repariert. Auch die Ersatzteilbeschaffung<br />

über die entsprechenden Beschaffungskanäle ist typisch, wobei<br />

für die Instandsetzung auch Fremdfirmen herangezogen werden. Hinzu kommt, dass<br />

auch Mechanik-Werkstätten mit Motoren und vor allem Antrieben befasst sein können.<br />

c) Betriebsspezifik:<br />

Reparaturen an Motoren und Antrieben werden oft vor Ort vorgenommen bzw.<br />

<strong>der</strong>en Austausch durchgeführt. Dieses geschieht meistens in Zusammenarbeit mit<br />

Mechanikern o<strong>der</strong> Anlagenführern. Dabei werden meistens Motoren komplett gewechselt.<br />

Für die Reparatur von Motoren o<strong>der</strong> Motorsteuerungen sind je nach<br />

Standort werkseigene Fachwerkstätten o<strong>der</strong> externe Dienstleister vorgesehen.<br />

225


Rainer Bremer; Felix Rauner; Peter Röben<br />

Industriemechaniker (IM)<br />

<strong>Facharbeiter</strong> diskutieren nicht entlang von „Fachrichtungen (FR)“, son<strong>der</strong>n entlang<br />

von Aufgaben, die sie in üblicherweise vorgegebenen Abteilungsstrukturen und Organisationskonzepten<br />

alltäglich bewältigen müssen. Oberflächlich betrachtet, könnte<br />

mit <strong>der</strong> Abteilungsstruktur eine Ordnung <strong>der</strong> Fachrichtungen begründet werden: In<br />

dieser Logik wäre z.B. <strong>der</strong> Anlageninstandhalter ein IM mit <strong>der</strong> FR Produktionstechnik,<br />

ein Werkstattinstandhalter für Anlagenkomponenten ein IM mit <strong>der</strong> FR<br />

Maschinen- und Systemtechnik und ein Instandhalter für Transportsysteme und För<strong>der</strong>technik<br />

ein IM <strong>der</strong> FR Betriebstechnik. Was auf dem ersten Blick dem Bedürfnis<br />

nach Systematik befriedigend Rechnung trägt, muss schon bei <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong><br />

Zusammensetzung <strong>der</strong> Workshopteilnehmer und ihrer beruflichen Biographien einen<br />

herben Schlag Realität einstecken. Die scheinbare Ordnung in <strong>der</strong> Systematik <strong>der</strong><br />

Ausbildungsberufe ist eher geeignet berufliche Demarkationslinien aufzurichten <strong>als</strong><br />

die beruflichen Arbeitsaufgaben <strong>der</strong> metalltechnischen Instandhalter zu strukturieren.<br />

Der Befund lautete hier ähnlich wie bei den Berufen des Berufsfeldes Elektrotechnik:<br />

Die kunstvoll getrennten Fachrichtungen und Vertiefungen <strong>der</strong> Ausbildungsberufe<br />

werden im betrieblichen Geschäftsprozess munter durcheinan<strong>der</strong> gewirbelt.<br />

226


Berufswissenschaftliche Qualifikationsforschung<br />

1. Systematische und/o<strong>der</strong> erfahrungsgeleitete Fehler- und Störungsanalysen an<br />

Anlagen/Maschinen/Betriebsmitteln.<br />

2. Reparatur von Anlagen/Maschinen/Betriebsmitteln. Dies kann vor Ort geschehen<br />

o<strong>der</strong> durch Austausch des defekten Teils (Demontage/Montage). Liegt <strong>der</strong> Fehler<br />

nicht in <strong>der</strong> Mechanik, so sind die entsprechenden Kollegen/Abteilungen hinzu<br />

zu ziehen.<br />

3. Ersatzteil-/Materialbeschaffung erfolgt unter dem Gesichtspunkt <strong>der</strong> Funktionsgerechtigkeit<br />

<strong>der</strong> zu besorgenden Teile/des Materi<strong>als</strong>. Dabei ist die im Unternehmen<br />

festgelegte Prozedur zu beachten. Außerdem ist festzulegen, welche<br />

Teile/welches Material in welcher Anzahl im Lager vorhanden sein müssen.<br />

4. Neuanfertigung eines defekten Teils kann auf Grundlage <strong>der</strong> Anfertigung einer<br />

Skizze o<strong>der</strong> einer vorhandenen technischen Zeichnung geschehen. Je nach<br />

Schwierigkeitsgrad ist zu entscheiden, wer die Neuanfertigung durchführt.<br />

5. Reparatur defekter Teile von Anlagen/Maschinen/Betriebsmitteln.<br />

6. Überwachen einer Anlage/Maschine auf ihre volle Funktionstüchtigkeit während<br />

<strong>der</strong> Produktion o<strong>der</strong> nach einer fertiggestellten Reparatur/Störungsbeseitigung.<br />

7. Wartung von, für alle im Unternehmen vorhandenen, Anlagen/Maschinen/Betriebsmitteln,<br />

die direkt o<strong>der</strong> indirekt die Qualität und Quantität <strong>der</strong> hergestellten<br />

Produkte beeinflussen. Dazu gehört auch die Erstellung von Wartungsplänen.<br />

8. Vorbeugende Instandhaltung für alle im Unternehmen vorhandenen Anlagen/<br />

Maschinen/Betriebsmittel, die direkt o<strong>der</strong> indirekt die Qualität und Quantität <strong>der</strong><br />

hergestellten Produkte beeinflussen. Diese muss geplant und so dokumentiert<br />

werden, dass je<strong>der</strong>zeit eine Überprüfung und Nachvollziehbarkeit möglich ist.<br />

Sie sind auch zustandsorientiert durchzuführen.<br />

9. Optimierung von Anlagen/Maschinen/Betriebsmitteln. Sie kann schon während<br />

des Aufbaus einer Neuanlage geschehen o<strong>der</strong> je<strong>der</strong>zeit an alten Anlagen/<br />

Maschinen/Betriebsmitteln notwendig sein.<br />

10. Schwachstellenanalyse von Anlagen/Maschinen/Betriebsmitteln.<br />

11. Einrichten von Anlagen/Maschinen.<br />

12. An- und Abfahren <strong>der</strong> Anlage/Maschine nach Behebung <strong>der</strong> Störungsursache.<br />

13. Fahren <strong>der</strong> Anlage/Maschine. Dazu gehört das Versorgen <strong>der</strong> Anlage mit den<br />

notwendigen Teilen und die Qualitätskontrolle <strong>der</strong> gefertigten Teile.<br />

14. Mechanische Herstellung von Produkten, die für das jeweilige Endprodukt benötigt<br />

werden.<br />

Nicht nur sind Werkstatt und Anlagen in <strong>der</strong> Praxis vielfältig vernetzt, son<strong>der</strong>n<br />

scheint <strong>der</strong> „Karriereweg“ <strong>der</strong> <strong>Facharbeiter</strong> geradewegs durch Produktion, Anlageninstandhaltung,<br />

Werkstatt und wie<strong>der</strong> zurück zu führen. So ergibt sich aus <strong>der</strong> Analyse<br />

<strong>der</strong> Aufgabenbearbeitung durch die <strong>Facharbeiter</strong>, dass auch für die Anlageninstandhalter<br />

Werkstatterfahrung notwendig ist, da in <strong>der</strong> Anlage die erste Entschei-<br />

227


Rainer Bremer; Felix Rauner; Peter Röben<br />

dung darüber fällt, ob ein Bauteil vor Ort repariert o<strong>der</strong> zur späteren Reparatur ausgetauscht<br />

wird o<strong>der</strong> an welchem Punkt im Verlauf <strong>der</strong> Störungsbehebung eine Werkstatt<br />

hinzugezogen werden muss. Die kompetente Entscheidung basiert nicht darauf,<br />

dass drei IM‘s <strong>der</strong> Fachrichtungen Betriebs-, Produktions- und Systemtechnik sich<br />

über die Störung austauschen – die mo<strong>der</strong>nen Instandhaltungskonzepte verlangen die<br />

Kompetenz in einer Hand und machen auch vor den tradierten Schranken zwischen<br />

den Berufsfel<strong>der</strong>n nicht Halt. Gleichwohl ist die Fülle <strong>der</strong> charakteristischen beruflichen<br />

Aufgaben in beiden Berufsfel<strong>der</strong>n eine im Lernvermögen <strong>der</strong> einzelnen Person<br />

liegende Schranke für die vollständige Integration von Mechanik und Elektronik in<br />

einem Beruf. Die zunehmende Integration und Wechselwirkung mechanischer und<br />

elektronischer Teile in mo<strong>der</strong>nen Maschinen und Anlagen führt aber zusammen mit<br />

dem Organisationswandel in <strong>der</strong> Instandhaltung dazu, dass ebenso, wie Industrieelektroniker<br />

die Kompetenz für einfache mechanische Arbeiten erwerben müssen,<br />

Industriemechaniker nicht den Schlüssel aus <strong>der</strong> Hand legen können, wenn einfache<br />

elektrische Aufgaben im Fortgang <strong>der</strong> mechanischen Instandsetzung bewältigt<br />

werden müssen.<br />

4 Schlussfolgerungen<br />

Die Umrisse eines Konzeptes beruflicher Arbeitsaufgaben <strong>als</strong> Bezugspunkt für die<br />

Entwicklung beruflicher Curricula, z.B. in <strong>der</strong> Form integrierter Berufsbildungspläne,<br />

werden durch die empirischen und konzeptionellen Arbeiten im GAB-Projekt<br />

deutlich. Zugleich wird durch die berufswissenschaftliche Forschung im Kontext des<br />

GAB-Projektes die wissenschaftliche Diskussion zur entwicklungslogischen Strukturierung<br />

beruflicher Curricula und die daraus resultierende intentionale Deskription<br />

beruflicher Arbeitsaufgaben angeregt. Dies wie<strong>der</strong>um verweist auf die Notwendigkeit<br />

einer theoretischen Klärung <strong>der</strong> Differenzen und Gemeinsamkeiten in den theoretischen<br />

Grundlagen <strong>der</strong> berufswissenschaftlichen Qualifikationsforschung. Dies<br />

trifft vor allem die Kategorie <strong>der</strong> beruflichen Arbeitsaufgabe. Hier hilft die traditionelle<br />

erziehungswissenschaftliche Entwicklungsforschung ebenso wenig weiter wie<br />

die an psychologischen Entwicklungstheorien angelehnte Lehr-Lernforschung (siehe<br />

Tabelle).<br />

228


Berufswissenschaftliche Qualifikationsforschung<br />

Tabelle 1<br />

Differenzierungen in <strong>der</strong> entwicklungslogischen Analyse und Gestaltung von<br />

Bildungsprozessen<br />

An<strong>der</strong>s <strong>als</strong> das DACUM-Verfahren wird in <strong>der</strong> berufswissenschaftlichen Forschung<br />

das Konzept einer mo<strong>der</strong>nen Beruflichkeit zugrunde gelegt, ein Konzept, das durch<br />

die Berufsbildungsforschung gestützt, über dessen Ausgestaltung zuletzt jedoch nur<br />

normativ im Dialog zwischen Politik und Wirtschaft entschieden werden kann. Das<br />

interessengeleitete Aushandeln von Berufen wird ohne eine entwickelte Qualifikationsforschung<br />

unter dem Einfluss vielfältiger Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeiten und Partialinteressen<br />

in eine Berufs- und Berufsbildungslandschaft einmünden, in <strong>der</strong> sich die<br />

Berufsform <strong>der</strong> Arbeit <strong>als</strong> konstituierendes Moment für einen europäischen Arbeitsmarkt<br />

nicht entwickeln kann. Die ITB-FORCE-Sektorstudie zum Kfz-Service (siehe<br />

z.B. Moritz, Rauner, Spöttl 1997; Spöttl, Rauner, Moritz 1997) ist ein Beispiel von<br />

‚best practise‘, an dem studiert werden kann, dass das Zusammenspiel zwischen<br />

- technologischer Innovation (Kfz-Technologie)<br />

- Organisation von Arbeitsprozessen im Kfz-Servicesektor<br />

- Qualifizierung <strong>der</strong> Beschäftigten<br />

unter den Bedingungen des internationalen Qualitätswettbewerbes nur im Zusammenwirken<br />

zwischen Berufsbildungsforschung und einem europäischen Berufsbildungdialog<br />

im Kfz-Servicesektor eine wegweisende Berufsbildungsreform auf den<br />

Weg gebracht werden konnte. Den EFW <strong>als</strong> einem <strong>Instrument</strong> berufswissenschaftlicher<br />

Qualifikationsforschung kommt dabei eine zentrale Funktion zu. Die Berufsbildungsforschung<br />

ist herausgefor<strong>der</strong>t, eine auf alle Berufsfel<strong>der</strong> ausstrahlende Qualifikationsforschung<br />

zu etablieren, mit <strong>der</strong> die wissenschaftlichen Grundlagen für die<br />

Entwicklung von Berufen und beruflichen Curricula gelegt werden können.<br />

229


Rainer Bremer; Felix Rauner; Peter Röben<br />

Literatur<br />

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PAHL, J.-P.; RAUNER, F. (Hrsg.): Betrifft: Berufsfeldwissenschaften. Beiträge zur Forschung<br />

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230


Berufswissenschaftliche Qualifikationsforschung<br />

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231

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