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Fahrräder, so denke ich oft, sollte es längst auf Rezept geben – wo sonst<br />
sind selbst die „Nebenwirkungen“ von etwas, das der Gesundheit dient, als positiv<br />
zu werten? Ich jedenfalls kann in einem leichten Brennen der Muskeln nach einer<br />
befreienden Tour nichts Negatives finden, und meinen Arzt oder Apotheker muss<br />
ich auch nicht erst um Rat fragen…<br />
Das Radfahren bringt den Körper in Einklang mit sich selbst und mit der Natur. Es<br />
beugt per gesundem Work-Out einem sonst drohenden Burn-Out vor, man macht<br />
unterwegs neue Bekanntschaften und genießt die freie Zeit in der Natur dann gern<br />
gemeinsam. Und vor allem steckt man sich immer wieder neue Ziele. Der Radfahrer<br />
hat glücklicherweise stets die Wahl, welche Dosis dieser „sportlichen Medizin“ ihm<br />
nützt: Ein kleiner Reiz spornt an, doch eine zu schwere Aufgabe kann einem auch<br />
einmal den Spaß verderben. Das bedeutet nichts anderes, als dass eine kurze<br />
Fahrt zum Waldcafé für den einen ebenso beglückend und erfüllend sein kann wie<br />
für den anderen eine grandiose „Tour des Grandes Alpes“.<br />
Mir persönlich hat es der Jakobsweg mit seinen zahlreichen Varianten angetan.<br />
Der Nordweg entlang des Atlantiks fordert mit seinen zahlreichen Steigungen die<br />
eigene Physis und belohnt dafür immer wieder mit traumhaften Blicken übers<br />
Meer. Der Via de la Plata, der Silberweg, führt von Sevilla aus über Städte wie<br />
Merida – wo die Römer heute noch derart präsent sind, als wären sie erst gestern<br />
ausgezogen – an Cacéres oder Salamanca vorbei bis hin nach Santiago de<br />
Compostella ganz im Nordwesten der iberischen Halbinsel.<br />
Dieses Jahr habe ich mit meinem Freund Reimund Dietzen den Caminho<br />
Português per Mountainbike befahren. Ausgehend von Lissabon standen uns 900<br />
zunächst ziemlich staubige Kilometer vor dem Lenker, die dann aber Richtung Ziel<br />
immer lieblicher und grüner wurden. Ja, und es war mal wieder sportlich: Abends<br />
brannten die Muskeln.<br />
Die Natur<br />
braucht sich nicht<br />
anzustrengen,<br />
bedeutend zu sein.<br />
Sie ist es.<br />
Robert Walser, 1878 - 1956<br />
Und doch – oder vielleicht: gerade deshalb? – war es genau das Richtige nach all<br />
den aufreibenden Vorbereitungen zur Eurobike und den turbulenten Messetagen.<br />
Unser Ziel, die grandiose Kathedrale in Santiago, überstrahlte die Etappen, ließ<br />
alle Anstrengungen nebensächlich werden und öffnete zugleich den Blick für die<br />
persönlichen Begegnungen auf unserem Pilgerweg. An einem Tag trafen wir zwei<br />
Allgäuer auf ihren Rennrädern. Einer ganz jung, der andere deutlich älter. Er sei 76,<br />
verriet er mit leuchtenden Augen – woraufhin wir spontan beschlossen, in einigen<br />
Jahren erneut zu pilgern und dabei auch so gesund und sportlich auszusehen wie<br />
unser Freund!<br />
Das alles ermöglicht das Fahrrad, oder vielmehr: der, der auf dem Sattel eines guten<br />
Fahrrads sitzt. Er definiert seine Ziele, steuert, pedaliert und erreicht sie letzten<br />
Endes – um sich sogleich neue, darüber hinaus gehende Ziele zu setzen. So geht<br />
es dahin in einem erfüllten und gesunden Leben. Es gibt nichts, das schöner oder<br />
sinnvoller wäre.<br />
In diesem Sinne<br />
Wolfgang Renner