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Prof. Dr. Alexander Proelß Wintersemester 2009/2010<br />

Übung im Öffentlichen Recht für Anfängerinnen und Anfänger<br />

Lösung <strong>Fall</strong> 7<br />

Aufgabe 1<br />

In Betracht kommt eine Verletzung des M in seinen Grundrechten aus Art. 4, Art. 12 und<br />

Art. 2 Abs. 1 GG.<br />

I. Verstoß gegen Art. 4 GG<br />

M würde durch die verwaltungsgerichtliche Entscheidung in seiner Religionsfreiheit verletzt,<br />

wenn die Entscheidung einen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff in den<br />

Schutzbereich des Art. 4 GG verkörperte.<br />

1. Eingriff in den Schutzbereich<br />

a) Die Ablehnung der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für das Schächten müsste den<br />

Schutzbereich der Religionsfreiheit betreffen. Das wäre dann nicht der <strong>Fall</strong>, wenn Art. 4 GG,<br />

wie in den Presseberichten behauptet, grundsätzlich nur die innere Glaubensvorstellung<br />

(„forum internum“) schützen und hiervon in Abs. 2 eine Ausnahme nur für rein kultische<br />

Handlungen anerkennen würde.<br />

Art. 4 Abs. 1 GG dient dem Schutz religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen und<br />

gewährleistet unter dem Gesichtspunkt der Glaubensfreiheit auch das Recht, entsprechend<br />

seiner inneren Überzeugung nach außen zu handeln. Als Unterfall der so verstandenen<br />

Glaubensfreiheit (str.; nach a.A. enthält Abs. 2 lediglich die deklaratorische Feststellung, dass<br />

die Religion und Weltanschauung betreffenden Freiheiten des Abs. 1 auch Gemeinschaften<br />

zustehen: Ausübungsfreiheit als Kollektivgrundrecht) gewährleistet die Religionsausübungsfreiheit<br />

jede spezifische Äußerung religiösen oder weltanschaulichen Lebens. Umstritten ist<br />

allerdings, ob dazu nur kultische Handlungen im engeren Sinne zählen, oder ob die Freiheit<br />

der Religionsausübung sämtliches Verhalten umfasst, sofern es nur religiös oder weltanschaulich<br />

motiviert ist. Diese Frage ist im Hinblick auf vorliegenden <strong>Fall</strong> von Bedeutung, da das<br />

Schächten, sofern es nicht im Rahmen religiöser Riten an Festtagen durchgeführt wird,<br />

schwerlich zu den kultischen Handlungen im engeren Sinne gezählt werden kann. Für ein<br />

weites Verständnis des Schutzbereichs von Art. 4 GG spricht bereits die grundrechtsdogmatische<br />

Erkenntnis, dass die Notwendigkeiten der Einschränkung nicht bereits bei der Bestimmung<br />

des Schutzbereichs, sondern erst bei der Anwendung der Schranken zum Tragen<br />

kommen. Zudem lassen sich Beschränkungen auf einen bestimmten Kern- oder Kultbereich<br />

religiös-weltanschaulich neutral nicht begründen, da Religion stets darauf abzielt, die religiösen<br />

Überzeugungen auch jenseits eines Kultes praktisch werden zu lassen (vgl. nur Morlok,<br />

in: Dreier [Hrsg.], Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 4 Rndr. 62 f.). Der hier<br />

1


einschlägige Erlaubnisvorbehalt des § 4a Abs 2 Nr. 2 TierSchG wurde denn auch gerade im<br />

Hinblick auf die Religionsfreiheit in das Gesetz aufgenommen. Die Verweigerung einer<br />

Ausnahmegenehmigung für das Schächten betrifft daher den Schutzbereich der Religionsfreiheit<br />

(a.A. vertretbar).<br />

Hieran ändert nichts, dass M das Schächten in seiner Metzgerei auch in Gewinnerzielungsabsicht<br />

ausübt und insofern wirtschaftlich tätig wird. Wirtschaftliche Betätigung, auch in<br />

größerem Ausmaß, schadet nicht dem Charakter als Religion. Maßgeblich ist allein, ob die<br />

wirtschaftliche Tätigkeit von religiösen oder weltanschaulichen Motiven bestimmt wird. Das<br />

ist vorliegend schon deshalb der <strong>Fall</strong>, weil sich das Schächtgebot unmittelbar aus dem Koran<br />

ergibt und dort auch die Art und Weise des Schächtens genauer bestimmt sind. Zudem<br />

unterscheidet sich das Schächten von einem gewöhnlichen Schlachtvorgang insofern, als<br />

Schlachtungen mit religiösen Handlungen wie der Anrufung Allahs verbunden werden. Etwas<br />

anderes würde lediglich dann gelten, wenn M ausschließlich wirtschaftliche Interessen<br />

verfolgen würde und der religiöse Charakter des Schächtens nur zur Maskierung seiner<br />

geschäftlichen Interessen diente. Hierfür ist nach Sachverhalt jedoch nichts ersichtlich.<br />

Anmerkung: In der dem <strong>Fall</strong> zugrunde liegenden Entscheidung BVerfGE 104, 337 geht das<br />

Bundesverfassungsgericht demgegenüber offenbar davon aus, dass das Schächten selbst<br />

nicht als Akt der Religionsausübung verstanden werden kann (346). Hierin liegt nicht nur<br />

eine Abkehr von der zuvor befürworteten weiten Auslegung des Schutzbereichs der Religionsfreiheit;<br />

vielmehr ist dogmatisch nicht sinnvoll zu begründen, weshalb das Bundesverfassungsgericht<br />

in der Folge den Schutzbereich des für einschlägig erachteten Art. 2 Abs. 1 GG<br />

durch den speziellen Freiheitsgehalt des Grundrechts der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG<br />

verstärken will.<br />

b) Da dem M für die Zeit ab Oktober 2007 eine Ausnahmegenehmigung für das Schächten<br />

verweigert wurde, wird ihm ein Verhalten, das in den Schutzbereich der Religionsfreiheit<br />

fällt, unmöglich gemacht. Es liegt daher ohne weiteres ein Eingriff in den Schutzbereich des<br />

Art. 4 GG.<br />

2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung<br />

Der Eingriff in die Religionsfreiheit des M wäre jedoch gerechtfertigt, wenn das verwaltungsgerichtliche<br />

Urteil, mit dem die Verweigerung der Genehmigung des Schächtens als<br />

rechtmäßig bestätigt wurde, verfassungsmäßige Konkretisierung der immanenten Grundrechtsschranken<br />

des Art. 4 GG wäre.<br />

a) Diesbezüglich ist zunächst erforderlich, dass der Eingriff in den Schutzbereich der Religionsfreiheit<br />

auf eine verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage gestützt wurde. Ungeachtet des<br />

Umstands, dass es sich bei der Religionsfreiheit entgegen der Auffassung des M nicht um ein<br />

uneinschränkbares, sondern lediglich um ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht<br />

handelt, das seine Schranken in den Grundrechten Dritter und anderen Werten von Verfassungsrang<br />

findet, ist aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes doch immer eine gesetzliche<br />

Grundlage für den Eingriff zu fordern (sog. ungeschriebener Gesetzesvorbehalt). Mit § 4a<br />

Abs. 2 Nr. 2 TierSchG liegt jedoch eine Schrankenbestimmung vor, auf die die zuständige<br />

Behörde die Ablehnung der Erteilung einer Ausnahmebewilligung stützen konnte. Anhalts-<br />

2


punkte dafür, dass die Norm selbst verfassungswidrig sein könnte, sind nicht ersichtlich, im<br />

Gegenteil, dient doch der Erlaubnisvorbehalt gerade der Berücksichtigung des Grundrechts<br />

aus Art. 4 GG.<br />

Anmerkung: Nach vereinzelt vertretener Auffassung lässt sich Art. 136 Abs. 1 Weimarer<br />

Reichsverfassung (WRV), der gem. Art. 140 GG als gültiges Verfassungsrecht neben dem<br />

Grundgesetz weiter besteht, ein auf die Religionsfreiheit bezogener einfacher Gesetzesvorbehalt<br />

entnehmen. Dieses Verständnis ist mit der grundsätzlich vorbehaltlosen Verbürgung der<br />

Rechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG unvereinbar, weshalb Art. 136 WRV vollständig von der<br />

Religionsfreiheit überlagert wird.<br />

b) Demgemäß stellt sich die Frage, ob Grundrechte Dritter oder andere Werte von Verfassungsrang<br />

einschlägig sind, die im Rahmen einer Güterabwägung zur Herstellung praktischer<br />

Konkordanz gegenüber der Religionsfreiheit des M im konkreten <strong>Fall</strong> vorrangig zu berücksichtigen<br />

sind. Diesbezüglich kommt nach Lage des Sachverhalts ausschließlich das Rechtsgut<br />

des ethischen Tierschutzes in Betracht, bei dem es sich um ein Rechtsgut von Verfassungsrang<br />

handeln müsste.<br />

(1) Der Tierschutz ist in Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG erwähnt, weshalb sich die Frage stellt, ob<br />

dieser Norm die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für den ethisch ausgerichteten<br />

Tierschutz entnommen werden kann. Diese Frage ist umstritten, aber wohl zu verneinen. Art.<br />

74 Abs. 1 Nr. 20 GG ist eine Kompetenznorm. Kompetenzvorschriften regeln grundsätzlich<br />

nur die Zuständigkeit des Bundes- oder Landesgesetzgebers für bestimmte Gesetzesmaterien<br />

und sind nicht in der Lage, Grundrechte zu beschränken. In der Übernahme verwaltungsrechtlicher<br />

Terminologie ist die Norm als Aufgabenzuweisungsnorm, nicht aber als Befugnisnorm<br />

hinsichtlich von Grundrechtsbeschränkungen zu qualifizieren.<br />

(2) Zwischenzeitlich ist das Staatsziel des Tierschutzes jedoch in Art. 20a GG normiert<br />

worden. Damit hat der Verfassungsgesetzgeber die Streitfrage geklärt, ob der Tierschutz<br />

Verfassungsrang hat. Im Hinblick auf Grundrechte hat die Staatszielbestimmung des Art. 20a<br />

GG die Bedeutung, dass sie Beschränkungen von Grundrechten legitimieren kann, ohne dass<br />

dem Tierschutz aber ein genereller Vorrang zukäme. Daher stellt sich die Frage, ob das<br />

Verwaltungsgericht die Religionsfreiheit des M gegenüber dem Rechtsgut des Tierschutzes<br />

offensichtlich zu gering bewertet hat (Güterabwägung zur Herstellung praktischer Konkordanz).<br />

Für einen Vorrang der Religionsfreiheit des M könnte sprechen, dass sich das<br />

Schächtgebot unmittelbar aus dem Koran ergibt und insofern der Zusammenhang mit der<br />

Grundlage des Islam ein unmittelbarer ist. Andererseits handelt es sich bei dem Bereich der<br />

Speisevorschriften lediglich um einen Randbereich der Religionsausübung. So ist ein Verzicht<br />

auf das Ritual des Schächtens nicht mit einem Verstoß gegen religiöse Pflichten<br />

verbunden, solange M an seine muslimischen Kunden kein Fleisch herkömmlich geschlachteter<br />

Tiere als geschächtetes Fleisch verkauft. Der Schlachtvorgang des Schächtens selbst ist,<br />

wie neuere wissenschaftliche Untersuchungen nahe legen, mit erheblichen Qualen für die<br />

Tiere verbunden. Anders als bei herkömmlichen Schlachtungen werden die Tiere ohne<br />

vorangehende Betäubung verletzt und bluten langsam aus. Anerkennt man die Notwendigkeit<br />

des Schlachtens für die Nahrungsbeschaffung des Menschen, darf den Tieren angesichts der<br />

verfassungsrechtlichen Normierung des ethischen Tierschutzes in Art. 20a GG jedenfalls kein<br />

überflüssiges Leiden bereitet werden. Dass die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung<br />

ausgerechnet im <strong>Fall</strong>e des M zwingend erforderlich ist, lässt sich dem Sachverhalt nicht<br />

3


eindeutig entnehmen. Im konkreten <strong>Fall</strong> überwiegt demzufolge das Verfassungsgut des<br />

Tierschutzes die Religionsfreiheit des M (a.A. vertretbar).<br />

3. Zwischenergebnis<br />

Die Ablehnung der Genehmigung verstößt nicht gegen die Religionsfreiheit des M.<br />

II. Verstoß gegen Art. 12 GG<br />

Möglicherweise verletzt die Verweigerung der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung in<br />

ihrer durch das Verwaltungsgericht bestätigten Form den M aber in seiner Berufsfreiheit.<br />

1. Anwendbarkeit<br />

Eine Berufung des M auf sein Grundrecht aus Art. 12 GG scheitert nicht schon daran, dass<br />

die Verweigerung der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für das Schächten einen<br />

Eingriff in den Schutzbereich der Religionsfreiheit verkörpert. Die Grundrechte aus Art. 4<br />

und Art. 12 GG stehen zueinander im Verhältnis der Idealkonkurrenz. Von einem Anwendungsfall<br />

der Einzelfallspezialität könnte nur dann ausgegangen werden, wenn die Religionsfreiheit<br />

des M die engere sachliche Beziehung zu dem zu prüfenden Sachverhalt aufwiese.<br />

Hierfür ist vorliegend schon deshalb nichts ersichtlich, weil die muslimischen Kunden,<br />

hinsichtlich derer die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Schächtverbots zum Tragen<br />

kommt, lediglich 30% der gesamten Kundschaft des M ausmachen. In dogmatischer Hinsicht<br />

tritt hinzu, dass Art. 4 GG einerseits und Art. 12 GG andererseits unterschiedlichen Anforderungen<br />

im Hinblick auf die Möglichkeiten einer Beschränkung unterliegen.<br />

2. Eingriff in den Schutzbereich<br />

Ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG setzt einen Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit<br />

voraus. Hiervon ist im Hinblick auf die sachliche Dimension ohne weiteres auszugehen:<br />

Beruf ist jede auf Dauer angelegte, der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage<br />

dienende Betätigung, die nicht schlechthin gemeinschädlich ist. Der Metzgereibetrieb des M<br />

lässt sich unter diese Definition unschwer subsumieren.<br />

Anderes gilt freilich im Hinblick auf den personalen Schutzbereich. Bei Art. 12 GG handelt<br />

es sich um ein sog. Deutschengrundrecht, auf das sich ausländische Staatsangehörige grundsätzlich<br />

nicht berufen können. Da M vorliegend nicht über die Staatsangehörigkeit eines EU-<br />

Mitgliedstaats verfügt, könnte sich etwas anderes nur daraus ergeben, dass M seit über 20<br />

Jahren in Deutschland lebt, eine zeitlich wie räumlich unbeschränkte Aufenthaltsberechtigung<br />

besitzt, und insofern als „De-facto-Deutscher“ gelten könnte. Hiergegen spricht jedoch nicht<br />

nur die Entstehungsgeschichte des Art. 12 GG, sondern auch der insoweit eindeutige Wortlaut,<br />

der die äußerste Grenze jeder Auslegung bilden muss. Entgegen der Auffassung des M<br />

folgt hieraus gerade nicht, dass die Verfassung ihn in diesem Bereich schutzlos lassen würde.<br />

In berufsspezifischer Hinsicht wird M vielmehr durch die allgemeine Handlungsfreiheit des<br />

4


Art. 2 Abs. 1 GG, auf die sich auch ausländische Staatsangehörige berufen können, geschützt.<br />

Der Schutzbereich des Art. 12 GG ist vorliegend damit nicht betroffen.<br />

3. Zwischenergebnis<br />

M wurde nicht in seiner Berufsfreiheit verletzt.<br />

III. Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG<br />

1. Anwendbarkeit<br />

In berufsspezifischer Hinsicht wird M demnach durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Daraus<br />

folgt indes nicht, dass der Nichtdeutsche, dem die Berufung auf die Berufsfreiheit verwehrt<br />

ist, denselben Schutz über Art. 2 Abs. 1 GG beanspruchen könnte. Vielmehr können die<br />

strengeren Anforderungen, die im Rahmen von Art. 12 GG an Eingriffe in die Berufsfreiheit<br />

zu stellen sind, nicht auf Art. 2 Abs. 1 GG übertragen werden. Zu prüfen ist lediglich, ob der<br />

in der Verweigerung der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für das Schächten liegende<br />

Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit auf einer zur verfassungsmäßigen Ordnung<br />

gehörenden Rechtsnorm beruht, und ob der Eingriff verhältnismäßig ist. Von Relevanz<br />

könnten vorliegend ferner Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes sein.<br />

Anmerkung: Nicht vertretbar wäre es, dem M eine Berufung auf den Schutzbereich des Art. 2<br />

Abs. 1 GG unter Hinweis darauf zu versagen, dass die in der Sache gerügte Verweigerung<br />

der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung bereits vom Schutzbereich der Religionsfreiheit<br />

gem. Art. 4 GG erfasst wird. Hierin läge eine Überdehnung der Subsidiaritätsanforderungen,<br />

die im <strong>Fall</strong>e von Art. 2 Abs. 1 GG zur Anwendung gelangen, weil die allgemeine Handlungsfreiheit<br />

vorliegend nicht im Hinblick auf den religionsspezifischen Gehalt des<br />

Schächtverbots, sondern deshalb einschlägig ist, weil sich M als Ausländer nicht auf Art. 12<br />

GG berufen kann. Andernfalls würde M mit Blick auf die Ausübung seines Berufes in der Tat<br />

schutzlos gestellt.<br />

2. Eingriff in den Schutzbereich<br />

Von einem Eingriff in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit ist auszugehen,<br />

da M seinen Beruf nicht in gleicher Weise ausüben kann, wie dies vor der Verweigerung der<br />

Erteilung einer Ausnahmegenehmigung der <strong>Fall</strong> war.<br />

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung<br />

a) Es ist davon auszugehen, dass § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG verfassungsgemäß ist. Die<br />

einschlägige Schrankenbestimmung genügt daher den Anforderungen der verfassungsmäßigen<br />

Ordnung.<br />

b) Zu prüfen ist mithin, ob der konkrete Eingriff in den Schutzbereich der allgemeinen<br />

5


Handlungsfreiheit unter Gesichtspunkten der Beeinträchtigung der Berufsausübung verhältnismäßig<br />

ist.<br />

(1) Legitimes Ziel (Art. 20a GG!) der den Eingriff konstituierenden Verweigerung der<br />

Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für das Schächten ist der ethische Tierschutz.<br />

(2) Indem M ab Oktober 2009 das Schächten unmöglich gemacht wird, werden die betroffenen<br />

Schlachttiere vor größeren Schmerzen als bei konventioneller Schlachtung bewahrt. Die<br />

angegriffene behördliche Entscheidung ist daher unter Gesichtspunkten des Tierschutzes<br />

geeignet.<br />

(3) Da kein milderes Mittel zur Verringerung der Qualen der Schlachttiere erkennbar ist (eine<br />

solche ergibt sich insbesondere nicht aus der veterinärärztlichen Aufsicht), ist die angegriffene<br />

Entscheidung auch erforderlich.<br />

(4) Im Rahmen der Angemessenheit ist die allgemeine Handlungsfreiheit des M unter<br />

Gesichtspunkten der Berufsausübung mit dem Ziel des ethischen Tierschutzes in einen<br />

gerechten Ausgleich zu bringen. Da Muslime lediglich 30% der gesamten Kundschaft des M<br />

ausmachen und M im Übrigen nicht gehindert ist, geschächtetes Fleisch zu importieren, ist<br />

von einem Vorrang des Tierschutzes auszugehen (vgl. im Übrigen die Güterabwägung bei der<br />

Religionsfreiheit).<br />

4. Vertrauensschutz<br />

Etwas anderes könnte sich jedoch daraus ergeben, dass M in der Vergangenheit die begehrte<br />

Ausnahmegenehmigung für das Schächten erhalten hat. Soweit sein Vertrauen in die jährlich<br />

wiederkehrende Erteilung der Ausnahmegenehmigung schutzwürdig war, könnte hierin eine<br />

Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip<br />

(Art. 20 Abs. 3 GG) gesehen werden (vgl. BVerfGE 59, 128, 164). Aus § 4a Abs. 2 Nr. 2<br />

TierSchG ergibt sich freilich eindeutig, dass eine Ausnahmegenehmigung jährlich unter<br />

Vorlage veterinärärztlicher Unterlagen neu beantrag werden muss. Für einen Antragsteller<br />

folgt aus dem Charakter der Ausnahmegenehmigung als Einzelfallentscheidung, dass er<br />

jederzeit damit rechnen muss, dass die Erteilung der beantragten Genehmigung verweigert<br />

wird (§ 4a Abs. 2 TierSchG ist eine Ausnahmebestimmung). M durfte vor diesem Hintergrund<br />

nicht darauf vertrauen, dass er auch für den Zeitraum ab Oktober 2009 wieder eine<br />

Ausnahmegenehmigung erhalten würde. In einer solchen Situation könnte sich eine rügefähige<br />

Bindung der Verwaltung an eine frühere behördliche Praxis letztlich nur aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz<br />

des Art. 3 Abs. 1 GG ergeben. Für eine ungleiche Behandlung des M<br />

gegenüber anderen Personen in vergleichbarer Situation ist indes nichts ersichtlich. Eine<br />

Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG ergibt sich daher auch nicht aus dem Gedanken des Vertrauensschutzes.<br />

5. Zwischenergebnis<br />

M wurde nicht in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.<br />

6


Gesamtergebnis: M wurde nicht in seinen Grundrechten verletzt.<br />

Aufgabe 2<br />

I. Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts<br />

Gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG i.V.m. §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG ist das Bundesverfassungsgericht<br />

für die Entscheidung über Verfassungsbeschwerden zuständig.<br />

II. Beschwerdefähigkeit<br />

Grundsätzlich ist M als “Jedermann” fähig, eine Verfassungsbeschwerde zu erheben, vgl. §<br />

90 Abs. 1 BVerfGG. Allerdings fehlt es mit Blick auf die gerügte Verletzung von Art. 12<br />

Abs. 1 GG an der Grundrechtsfähigkeit, da M türkischer Staatsangehöriger und damit nicht<br />

Deutscher im Sinne von Art. 116 GG ist (s.o.). Bei der Religionsfreiheit und der allgemeinen<br />

Handlungsfreiheit handelt es sich hingegen um Menschenrechte, bzgl. derer auch Ausländer<br />

grundrechtsfähig und damit beschwerdefähig sind.<br />

III. Beschwerdegegenstand<br />

Mit seiner Verfassungsbeschwerde richtet sich M gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts,<br />

mit dem die behördliche Entscheidung, ihm für die Zeit ab Oktober 2009 keine Ausnahmegenehmigung<br />

für das Schlachten warmblütiger Tiere ohne vorangehende Betäubung zu erteilen,<br />

bestätigt wurde. Bei der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung handelt es sich um einen Akt<br />

der Judikative und damit um einen Akt der öffentlichen Gewalt i.S.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a<br />

GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG. Damit liegt ein zulässiger Beschwerdegegenstand vor.<br />

IV. Beschwerdebefugnis<br />

M müsste ferner beschwerdebefugt sein. Das wäre der <strong>Fall</strong>, wenn die Möglichkeit bestünde,<br />

dass er selbst, gegenwärtig und unmittelbar in Grundrechten verletzt wurde, vgl. § 90 Abs. 1<br />

BVerfGG. Diesbezügliche Zweifel könnten sich aus den Presseberichten ergeben, wonach<br />

sich die Beschwer des M letztlich erledigt habe, weil der Zeitraum, für den er seine Genehmigung<br />

beantragt habe, bereits seit mehreren Monaten laufe. Insofern könnte es an einer<br />

gegenwärtigen Beschwer fehlen. Gegenwärtig ist eine Beschwer, wenn der Beschwerdeführer<br />

schon oder noch von der angegriffenen staatlichen Maßnahme betroffen ist. In vorliegendem<br />

<strong>Fall</strong> ist die Ablehnung der Entscheidung der Behörde zwar bereits vor mehreren Monaten<br />

ergangen. Daraus folgt indes nicht, dass sich die Beschwer erledigt hätte, ist doch der Zeitraum,<br />

für den M das Schächten warmblütiger Tiere nicht gestattet ist, laut Sachverhalt noch<br />

nicht abgeschlossen. Somit ist M noch und damit gegenwärtig von der die Erteilung einer<br />

Ausnahmegenehmigung ablehnenden Entscheidung betroffen und insofern beschwerdebefugt.<br />

7


V. Rechtswegerschöpfung<br />

Gem. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG müsste M ferner den Rechtsweg erschöpft haben. Dies ist<br />

nicht geschehen. M selbst macht geltend, er wolle sich nicht länger mit der „grundrechtsresistenten“<br />

Verwaltungsgerichtsbarkeit befassen. Er hat daher die – vorhandenen – Rechtsmittel<br />

gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht eingelegt.<br />

Gem. § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG wäre dies nur dann nicht erforderlich gewesen, wenn die<br />

Verfassungsbeschwerde des M von allgemeiner Bedeutung wäre, oder wenn ihm in Folge des<br />

Gebots der Rechtswegerschöpfung ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde.<br />

Eine Verfassungsbeschwerde ist von allgemeiner Bedeutung, wenn die Entscheidung des<br />

Bundesverfassungsgerichts die Klärung grundsätzlicher Fragen erwarten lässt und es über den<br />

<strong>Fall</strong> des Beschwerdeführers hinaus zahlreiche gleich gelagerte Fälle praktisch mit entscheidet.<br />

M selbst ist bekannt, dass sich das Bundesverfassungsgericht bereits eingehend mit einer<br />

ähnlichen Konstellation beschäftigt hat. Soweit insofern bereits eine Klärung grundsätzlicher<br />

Fragen erzielt wurde, könnte nur dann von einer Verwirklichung des Ausnahmetatbestandes<br />

des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG ausgegangen werden, wenn der <strong>Fall</strong> des M in einer Reihe<br />

mit einer Vielzahl gleich gelagerter Fälle stünde. Auch hierfür ist jedoch nichts ersichtlich. Im<br />

Gegenteil ist davon auszugehen, dass mit der verfassungsgerichtlichen Entscheidung zum<br />

Schächten die das Verhältnis von Religionsfreiheit und Tierschutz betreffenden Rechtsfragen<br />

in grundsätzlicher Art und Weise geklärt wurden.<br />

Ein schwerer und unabdingbarer Nachteil im Sinne von § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG liegt nur<br />

dann vor, wenn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Erschöpfung des<br />

Rechtsweges keinen effektiven Grundrechtsschutz mehr herbeiführen kann, weil sie wegen<br />

(irreparabler) Grundrechtsverletzungen zu spät käme. Auch dieser Ausnahmetatbestand ist im<br />

vorliegenden <strong>Fall</strong> nicht erfüllt. M hat seine Verfassungsbeschwerde erst nach Verstreichen<br />

der Frist für die Beantragung einer Ausnahmegenehmigung erhoben. Von einer irreparablen<br />

Grundrechtsverletzung kann ferner schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil M für den<br />

Zeitraum ab Oktober 2010 wiederum eine Ausnahmegenehmigung beantragen kann.<br />

Soweit M schließlich geltend macht, allein das Bundesverfassungsgericht sei für den Grundrechtsschutz<br />

zuständig, weshalb es ihm nicht zugemutet werden könne, zunächst Rechtsmittel<br />

gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts einzulegen, schlägt auch dieser Einwand nicht<br />

durch. Gem. Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte vielmehr Gesetzgebung, vollziehende<br />

Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Hieraus folgt, dass die Grundrechte<br />

auch von den Fachgerichten zu beachten sind. Sinn und Zweck der Rechtswegerschöpfung<br />

ist es gerade, das Bundesverfassungsgericht zu entlasten, und der Fachgerichtsbarkeit<br />

die Möglichkeit zu geben, einer Grundrechtsverletzung selbst abzuhelfen. Da mithin kein<br />

Ausnahmetatbestand zur Anwendung gelangt, hätte M den Rechtsweg vor Erhebung einer<br />

Verfassungsbeschwerde erschöpfen müssen.<br />

VI. Ergebnis: Eine Verfassungsbeschwerde des M wäre unzulässig.<br />

8

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