Protest und Scham, Verlust und Trauer

Protest und Scham, Verlust und Trauer Protest und Scham, Verlust und Trauer

03.03.2014 Aufrufe

Protest und Scham, Verlust und Trauer: Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege Das Problem Alter „Problem Alter“ aus sozialdemographischer Sicht… • Die so genannten „Alten“ werden immer jünger • Alt sein trifft in der Regel die allein stehenden Frauen • Im Alter kumulieren die Probleme „Problem Alter“ aus sozialdemographischer Sicht Seit Anfang der 90er Jahre werden die problembezogenen und problematisierenden Sichtweisen und Szenarien des Alters wieder hörbarer. Meldungen sind Rentenlast, Alterslast, ergraute Gesellschaft… das Altersbild wird durch historische junge Phänomene, wie Hochaltrigkeit und Langlebigkeit in sich noch einmal widersprüchlich, das Alter selbst scheint sich zu polarisieren. Diese Phänomene sind von Gerhard Naegele (1995) beschrieben wurden: Das Alter verjungt sich. Insbesondere die Arbeitslosigkeit von älteren Arbeitnehmern zieht nach sich, dass deren Alter teilweise schon in der Lebensmitte beginnt, da ihre Reintegration ins Erwerbsleben durch die Massenarbeitslosigkeit unwahrscheinlich ist. Das Alter feminisiert und singularisiert sich. Traditionelle Normen und Werte im Bezug auf das Heiratsverhalten, aber auch die höhere Lebenserwartung von Frauen münden in einen Frauenüberhang, der kohortenspezifisch durch Kriegswitwen noch verstärkt wird. Da Alter eine Aufschichtung von sozialen Ungleichheiten bedeutet, sind es gerade die Frauen, deren materielle und soziale Situation vergleichsweise ungünstig ist. Zu diesen ungünstigen Merkmalen gehört auch die Vereinsamung. Das Alter verdoppelt sich, d.h. überwunden geglaubte Phänomene wie Hochaltrigkeit, verbunden mit Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Traumatisierungen, werden bedeutsam. Jede Altersphase muss differenziert betrachtet werden: Sie erweitert sich zum einen intern (die 60jährigen haben andere Probleme als die 70 und 80jährigen) und zum anderen wird Alter als keine einheitliche Lebenslage dargestellt, sondern ist geprägt durch eine Vielfalt von sehr unterschiedlichen Lebenslagen. Diplom Pflegewirtin/ Sozialarbeiterin Sabine Müller 1

<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

Das Problem Alter<br />

„Problem Alter“ aus<br />

sozialdemographischer Sicht…<br />

• Die so genannten „Alten“ werden<br />

immer jünger<br />

• Alt sein trifft in der Regel die allein<br />

stehenden Frauen<br />

• Im Alter kumulieren die Probleme<br />

„Problem Alter“ aus sozialdemographischer Sicht<br />

Seit Anfang der 90er Jahre werden die problembezogenen <strong>und</strong> problematisierenden<br />

Sichtweisen <strong>und</strong> Szenarien des Alters wieder hörbarer. Meldungen sind Rentenlast,<br />

Alterslast, ergraute Gesellschaft… das Altersbild wird durch historische junge Phänomene,<br />

wie Hochaltrigkeit <strong>und</strong> Langlebigkeit in sich noch einmal widersprüchlich, das Alter selbst<br />

scheint sich zu polarisieren. Diese Phänomene sind von Gerhard Naegele (1995)<br />

beschrieben wurden:<br />

Das Alter verjungt sich. Insbesondere die Arbeitslosigkeit von älteren Arbeitnehmern zieht<br />

nach sich, dass deren Alter teilweise schon in der Lebensmitte beginnt, da ihre Reintegration<br />

ins Erwerbsleben durch die Massenarbeitslosigkeit unwahrscheinlich ist.<br />

Das Alter feminisiert <strong>und</strong> singularisiert sich. Traditionelle Normen <strong>und</strong> Werte im Bezug auf<br />

das Heiratsverhalten, aber auch die höhere Lebenserwartung von Frauen münden in einen<br />

Frauenüberhang, der kohortenspezifisch durch Kriegswitwen noch verstärkt wird. Da Alter<br />

eine Aufschichtung von sozialen Ungleichheiten bedeutet, sind es gerade die Frauen, deren<br />

materielle <strong>und</strong> soziale Situation vergleichsweise ungünstig ist. Zu diesen ungünstigen<br />

Merkmalen gehört auch die Vereinsamung.<br />

Das Alter verdoppelt sich, d.h. überw<strong>und</strong>en geglaubte Phänomene wie Hochaltrigkeit,<br />

verb<strong>und</strong>en mit Krankheit, Pflegebedürftigkeit <strong>und</strong> Traumatisierungen, werden bedeutsam.<br />

Jede Altersphase muss differenziert betrachtet werden: Sie erweitert sich zum einen intern<br />

(die 60jährigen haben andere Probleme als die 70 <strong>und</strong> 80jährigen) <strong>und</strong> zum anderen wird<br />

Alter als keine einheitliche Lebenslage dargestellt, sondern ist geprägt durch eine Vielfalt von<br />

sehr unterschiedlichen Lebenslagen.<br />

Diplom Pflegewirtin/ Sozialarbeiterin Sabine Müller 1


<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

Das Zusammenprallen gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse im Sinne der<br />

Entstandardisierung von Biographien auch im Alter <strong>und</strong> das Aufrechterhalten des<br />

Ruhestandes als Institution werfen Fragen nach dem Sinn, nach Leitbildern <strong>und</strong> nach dem<br />

Platz auf, den alte Menschen in der Gesellschaft einnehmen sollen <strong>und</strong> wollen. Auf alle diese<br />

Fragen sind bisher nur unzulängliche Antworten gef<strong>und</strong>en worden. Die Gesellschaft <strong>und</strong> die<br />

Institution reagieren eher diffus, wenn nicht gar überfordert oder mit latenter<br />

Altenfeindlichkeit. Gesellschaftliche Lösungen werden in der Politik zwar gesucht, ich nenne<br />

zwei Stichworte „Altersteilzeitarbeit“ <strong>und</strong> „Pflegeversicherung“, die Lösungen geben aber<br />

kein einheitliches Leitbild oder gar eine einheitliche Politik vor. Damit stellt sich mir die Frage:<br />

„Wie wichtig sind alte Menschen für unsere Gesellschaft?“<br />

Wie wichtig sind alte<br />

Menschen für unsere<br />

Gesellschaft ?<br />

…ist abhängig von den Normen<br />

<strong>und</strong> Werten der jeweiligen<br />

Epoche<br />

… wer alt wird, muss damit<br />

selbst zurecht kommen<br />

Peter Borscheid (1993)untersucht das gesellschaftliche Ansehen des Alters, festgemacht am<br />

Prestige, welches eine Altersgruppe in einer Epoche geniest. Interessant ist, dass die Alten<br />

immer wieder Symbolträger <strong>und</strong> Repräsentanten bestimmter kollektiver Ängste <strong>und</strong><br />

Bewältigungsstrategien bzw. Bewältigungsmechanismen sind. Die Achtung gegenüber der<br />

Alten geht einher mit dem gesellschaftlichen Fortschritt, Krankheit <strong>und</strong> Tod, <strong>und</strong> wird durch<br />

rationale Lebensführung bewältigt <strong>und</strong> kontrolliert.<br />

Im Sinne der Professionalisierungsdebatte der Pflege <strong>und</strong> der Pflegewissenschaft, aber auch<br />

in der sozialen Arbeit zeigt Borscheid zwei bedeutende Dinge auf:<br />

Zum einen ist es ein Tatbestand, dass Generationen in Spannungen zueinander stehen, zum<br />

anderen sind alte Menschen verletzbar <strong>und</strong> verletzlich, um so mehr sie abhängig sind von<br />

anderen Generationen. Der Spannungszustand ergibt sich durch einen gemeinsamen<br />

historischen Erfahrungszusammenhang, der die Generationen konstituiert.<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

Das Alter wird immer wieder als ein Niedergang von einem Höhepunkt beschrieben. Die<br />

Herausforderung, die das Alter an den einzelnen stellt, besteht nun darin, diesen Niedergang<br />

möglichst zu bewältigen, das heißt die Umwelt nicht mit Angst <strong>und</strong> Anarchie zu stören.<br />

Die heutige Umwelt verlangt von den einzelnen alten Menschen, dass er die zur Bewältigung<br />

seines Alters notwendigen Kräfte selbst aufbringt <strong>und</strong> gleichzeitig die mit seinem<br />

Alterungsprozess einhergehenden Spannungen <strong>und</strong> Konflikte für sich behält. Dies kann man<br />

als Konsequenz eines Prozesses, den die Soziologen als Individualisierungsdebatte<br />

beschreiben, begreifen. Diese Auffassung findet sich meines Erachtens auch im aktuellen<br />

Altersbild wieder.<br />

Gedanken zum Altersbild<br />

„Man ist so alt, wie man sich<br />

fühlt“<br />

„Alter ist, was der Einzelne<br />

daraus macht“<br />

Gedanken zum Altersbild<br />

Dies sind Stichworte, die alltäglich sind, dienen aber auch als Bewältigungsversuch des<br />

eigenen Alters. Die Entwicklung einer individualisierten Sichtweise zum Altersbild dient nach<br />

Auffassung einiger Autoren aber auch für Bewältigungsversuche des eigenen Alters.<br />

Alter wird als persönliches <strong>und</strong> individuelles Problem verstanden.<br />

In der Gerontologie, besonders der Interventionsgerontologie wird konstatiert, dass es sich<br />

beim Problem des Alters um die Übernahme eines negativen Altersstereotyps handle. Das<br />

Selbstbild des alten Menschen sei deshalb so negativ, weil er lerne sich so zu sehen, wie die<br />

„Jungen“ ihn definieren. Die Ablehnung eines solch negativen Alterstereotyps führte zu einer<br />

speziellen Entwicklungsaufgabe für den einzelnen alten Menschen.<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

Paradoxien des Alters<br />

Das Altersleitbild in der gegenwärtigen Gesellschaft führt dazu, dass es nicht einfach leicht<br />

ist, sich mit dem Alter zu identifizieren <strong>und</strong> es positiv zu besetzen, sondern dass eine Menge<br />

Widersprüche diesen Prozess erschweren oder Verunmöglichen. Dies soll kein Klagegesang<br />

sein, aber das Hohelied soll dazu auch nicht gesungen werden. Wir müssen davon<br />

ausgehen, dass es das Bestreben alter Menschen ist, dem Altersleitbild der Nicht-Alten so<br />

sehr wie möglich zu entsprechen, was bedeutet: Dem Altersbild der eigenen Generation oder<br />

der eigenen Jahrgänge möglichst nicht zu entsprechen. Dies soll als erstes Paradoxon im<br />

Altersbild bezeichnet werden.<br />

Erstes Paradoxon<br />

Die Allgemeinheit der Person<br />

ist nicht mehr gesichert, man<br />

muss anders sein, als die<br />

anderen Alten, als der alte<br />

Mensch an sich.<br />

Erstes Paradoxon<br />

Die Allgemeinheit der Person ist nicht mehr gesichert, man muss anders sein, als die<br />

anderen Alten, als der alte Mensch an sich.<br />

Man muss sich unterscheiden von den „anderen“ Alten, indem man es den jungen<br />

nachmacht. Dass heißt, dass man sich Trends der nachkommenden Generationen anpasst,<br />

um akzeptiert zu werden, dass heißt die Allgemeinheit der Person ist damit nicht mehr<br />

gesichert. Es entsteht das Gefühl: „Ich bin wie alle anderen auch, ich bin ein ganz normaler<br />

Mensch“. Dies könnte im Alter gefährlich werden, da es beispielsweise aufgr<strong>und</strong> der<br />

körperlichen Vergänglichkeit gar nicht bzw. kaum möglich ist. In der Forderung an den alten<br />

Menschen, sich nicht alt fühlen zu dürfen, um dem Klischee des „Alten“ nicht zu entsprechen<br />

liegt das Paradoxon. Neben dieser Art der individuellen Bewältigung des „negativen“<br />

Altersbildes trat eine sich in den 70er Jahren eigene Kultur des Alters. Dies wurde im<br />

zunehmenden Maße durch die Entstehung der Gerontologie forciert. Altern wird nicht als<br />

Ablaufen der Lebensuhr verstanden, sondern als Phase der Belohnung für geleistete<br />

Lebensarbeit. Dies ist insofern gefährlich, da die Forderung nach einem nicht erlaubtem<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

gefühlten tatsächlichem Alter besteht, das Krankheit, Pflegebedürftigkeit <strong>und</strong> Tod beinhaltet.<br />

Angestrebt ist das Projekt der so genannten „Leidensfreihen“ Gesellschaft. Dieser Trend wird<br />

in den Medien gerne durch die Darstellung des aktiven <strong>und</strong> zufriedenen, glücklichen Alten<br />

propagiert.<br />

Zweites Paradoxon<br />

Wer dem Wunschbild des<br />

aktiven Seniors entspricht,<br />

kann keine Akzeptanz<br />

erwarten, da er angeblich die<br />

öffentlichen Kassen strapaziert.<br />

Zweites Paradoxon<br />

Wer dem Wunschbild des aktiven Seniors entspricht, kann keine Akzeptanz erwarten, da er<br />

angeblich die öffentlichen Kassen strapaziert.<br />

Wer nach diesem Leitbild lebt, macht sich unbeliebt: Aussagen wie „Sie leben immer länger,<br />

doch wer soll dass bezahlen?“ oder „Generationen im Clinch“ oder „jung gegen alt“ werden<br />

in der Presse gerne propagiert. Einerseits werden die „Alten“ durch die Medien aufgefordert<br />

am Konsum teilzunehmen <strong>und</strong> sind als Zielgruppe gefragt, andererseits wird ihr Verbrauch<br />

an Sozialleistungen als ruinöses Unterfangen bezeichnet.<br />

Drittes Paradoxon<br />

„Wo Krankheit <strong>und</strong><br />

Pflegebedürftigkeit Grenzen<br />

einer konsumorientierten <strong>und</strong><br />

individualisierten Lebensweise<br />

aufzeigen, wird die Leistung<br />

der Familie moralisch<br />

eingeklagt.“<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

Drittes Paradoxon im Altersleitbild<br />

Die zu Beginn benannte Spannung der Generationen besteht u.a. in dem Problem der<br />

Einstellung der alten Menschen gegenüber ihrer Familie, Kindern <strong>und</strong> Enkelkindern <strong>und</strong><br />

umgekehrt.<br />

Die Liebe zur nächsten Generation, die Freude am Aufwachsen von Kindern, zeigt<br />

entwicklungspsychologisch betrachtet die Bewältigung einer Entwicklungsaufgabe. Nach<br />

Erikson (1982) wird die Endlichkeit des eigenen Daseins akzeptiert, ohne die Liebe am<br />

Leben zu verlieren. Allerdings scheint diese Liebe, auf wenig Gegenliebe zu stoßen.<br />

Ulrich Beck (Soziologe 1986) hat in seiner Gesellschaftsdiagnose zur Risikogesellschaft die<br />

Individualisierung als umfassendes Phänomen moderner Identitäten festgestellt. Er<br />

beschreibt darin die Freisetzung der Person aus tradierten Rollen bzw. als Entpflichtung von<br />

Konventionen <strong>und</strong> gleichzeitig als Verpflichtung des Einzelnen gegenüber sich selbst. Diese<br />

Art der Individualisierung wirkt doppelgesichtig, da sie mit größerer Freiheit <strong>und</strong> dem Recht<br />

auf sich selbst verb<strong>und</strong>en scheint, aber in der Praxis mit Vereinsamung gleich zu setzen ist.<br />

Im Alter betrifft das Individualisierungsphänomen nicht nur die Partnerbeziehung, sondern<br />

auch die Generationenbeziehung. Hier gilt die Regel der Generationentrennung. Dies wird<br />

meines Erachtens in der Haushaltsstatistik bestätigt, da in der heutigen Zeit kaum noch<br />

Mehrgenerationenhaushalt existieren. Darüber hinaus ist aber noch eine andere Tendenz<br />

erkennbar - die Familie als Gefühlsgemeinschaft -. Um gewünschte positive Gefühlskontakte<br />

zu erhalten, verzichten die Älteren auf Abhängigkeiten gegenüber ihren Kindern. Rosenmayr<br />

(1978) hat diese Haltung auf die Formeln „innere Nähe bei äußerer Distanz“ <strong>und</strong> „Intimität<br />

auf Abstand“ gebracht. Die Vermeidung von Abhängigkeit, ist der Versuch emotional<br />

geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> verb<strong>und</strong>en zu bleiben. Die „Familialisierung“ des Alters ist endgültig in den<br />

Hintergr<strong>und</strong> geraten.<br />

Fasse ich die Paradoxa noch einmal zusammen, so ergibt sich als erster Widerspruch die<br />

Anforderung an alte Menschen, einem Altersbild der Nicht-Alten zu entsprechen. Der zweite<br />

Widerspruch bezieht darauf in welchem Maße es gelingt, aktiv zu sein – sich selbst zu<br />

verwirklichen - <strong>und</strong> sich im Ruhestand für Entbehrungen zu entschädigen. Dies stimuliert den<br />

Generationenneid, dessen größter Ausdruck die Forderung ist, die im Generationenvertrag<br />

fest geschriebene Solidaritätsbeziehung zu kündigen. Das dritte Paradoxon zeigt sich als<br />

doppelte Bestimmung vor allem des hohen Alters zwischen einem familialisierten <strong>und</strong> einem<br />

individualisierten Leitbild.<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

Umgang mit erlebten<br />

Grenzsituationen<br />

In der beruflichen Reflexion, Praxisberatung, Supervision <strong>und</strong> Coaching stehen die Gefühle<br />

die Mitarbeiter mit einbringen, immer wieder im Mittelpunkt <strong>und</strong> tauchen in den vielfältigsten<br />

Variationen auf: Für diesen Vortrag habe ich das Praxisfeld der Altenhilfearbeit ausgewählt,<br />

um exemplarisch anhand von Beispielen aus der stationären Altenpflege die<br />

Grenzsituationen im pflegerischen Alltag aufzuzeigen<br />

Umgang mit erlebten<br />

Grenzsituationen<br />

…aus der Sicht der Institution:<br />

• Wirtschaftliche Bedeutung des<br />

Helfens<br />

•Die professionelle Beziehung ist<br />

formal geregelt<br />

Aus der Sicht der Institution geht es um eine funktionale Interaktion, die darauf ausgerichtet<br />

ist die K<strong>und</strong>enbeziehung in Bezug auf die wirtschaftliche Bedeutung des Helfens/Helferrolle<br />

darzustellen. Die professionelle Beziehung ist hier formal geregelt, es gibt für jegliche<br />

Interaktionen Formen des Umgangs, so genannte Standards, Verfahrensregelungen oder<br />

gesetzliche Gr<strong>und</strong>lagen.<br />

Gefühle spielen hier eine eher eine depersonale Rolle. Es wird beispielsweise mit Gefühlen<br />

geworben „Hier fühlen sie sich zu Hause“ oder „Bei uns wird die Individualität besonders<br />

beachtet“ wie in vielen Leitbildern gerne geworben wird. Die Darstellung negativer Bilder wird<br />

vermieden.<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

Umgang mit erlebten Grenzsituationen<br />

… aus der Sicht der Betroffenen<br />

• Auseinandersetzen mit allen<br />

Gefühlsebenen<br />

• Verstehen <strong>und</strong> Deuten von<br />

Gefühlen<br />

•Umgang mit Gefühlen<br />

In der Interaktion mit dem Bewohner ist der professionell Pflegende aufgefordert, sich mit<br />

allen Gefühlsebenen auseinanderzusetzen- auch <strong>und</strong> gerade mit höchst unangenehmen<br />

Gefühlen. Meiner Ansicht nach, scheint es den meisten Mitarbeitern unterschiedlich gut zu<br />

gelingen, sich in die Gefühle der Bewohner hineinzuversetzen – Ängste, Wut, Aggression<br />

<strong>und</strong> Verzweiflung wahrzunehmen. Aber diese auch zu verstehen <strong>und</strong> sie nicht als einen<br />

Angriff auf die eigene Person zu interpretieren, scheint meines Erachtens schwieriger zu<br />

sein. Eben das interaktive Moment dieser beruflichen Beziehung, nämlich die Fähigkeit mit<br />

diesen „Gefühlen“ verstehend umgehen zu können <strong>und</strong> adäquate Formen dafür zu finden ist<br />

an dieser Stelle eindeutig begrenzt. Die Frage die sich mir stellt: „woran liegt das?“ Zum<br />

einen kann es daran liegen, dass es unangenehme <strong>und</strong> angenehme Gefühle gibt. Solche,<br />

die eher zugelassen werden können als andere, <strong>und</strong> gar Gefühle, die abgewehrt müssen,<br />

um sich selbst zu schützen. Ursächlich dafür könnten gesellschaftlich akzeptierte <strong>und</strong> nicht –<br />

akzeptierte Normen <strong>und</strong> Werte sein. Zudem kann man davon ausgehen, dass Gefühle die<br />

sich stark negativ auf das Selbst der betroffenen Akteure beziehen, einerseits für den alten<br />

Menschen – der sie erlebt - schwer zu ertragen sind, andererseits für den Helfenden schwer<br />

zu verstehen sind. Zu diesen Gefühlen gehört vor allem <strong>Scham</strong>.<br />

Fallbeispiel: Pflegepersonal duscht eine demente Bewohnerin. Die Pflegekraft denkt, ich tu<br />

der Bewohnerin jetzt was besonders gutes, da Duschen sehr zeitaufwendig ist <strong>und</strong> von der<br />

Pflegekraft selbst als besonders wohltuend empf<strong>und</strong>en wird. Die demente Bewohnerin<br />

hingegen empfindet das Duschen situativ aber als Angriff „da will mir jemand an die Wäsche,<br />

ich schäme mich, wenn ich nackt bin (nicht mal mein Mann durfte mich nackt sehen)“ <strong>und</strong><br />

reagiert eigentlich normal - mit <strong>Protest</strong> - schlägt nach der Pflegekraft. Die Pflegekraft ist<br />

persönlich gekränkt <strong>und</strong> getroffen, hat es doch nur gut gemeint. Sie fühlt sich abgelehnt <strong>und</strong><br />

ihr Angebot nicht entsprechend gewürdigt. Eine Konsequenz könnte sich im künftigen<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

Verhalten der Pflegekraft gegenüber der Bewohnerin<br />

Umgang mit erlebten Grenzsituationen<br />

<strong>Scham</strong> ein Gefühl<br />

Wir wollen in den Boden versinken, oder<br />

wir erröten vor <strong>Scham</strong>, wir suchen wie die<br />

Maus das Loch <strong>und</strong> schlagen die Augen<br />

nieder.<br />

ausdrücken.<br />

Wer sich schämt, verachtet sich <strong>und</strong> ist sich<br />

selbst fremd geworden.<br />

Was bedeutet eigentlich <strong>Scham</strong>? Das Wort <strong>Scham</strong> stammt ursprünglich von einer alten<br />

germanischen Wurzel <strong>und</strong> bedeutet soviel wie Zudecken oder Verbergen. Neckel sagt:<br />

<strong>Scham</strong> ist eine Empfindung von großer Profanität. Weil wir uns nicht nur mit den eigenen<br />

Augen sehen, sondern immer auch mit den Augen der anderen sehen, sind wir über uns<br />

erstaunt, befremdet, peinlich berührt.<br />

„Sich Schämen“ ist eine existenzielle Gr<strong>und</strong>erfahrung, die jeder kennt. Man möchte am<br />

liebsten in den Boden versinken. Man schlägt die Augen nieder, wagt sich nicht den anderen<br />

anzuschauen. Wer sich schämt, ist sich fremd geworden, er verachtet sich selbst, er ist in<br />

seinem Stolz, in seiner Würde gekränkt.<br />

Eine der wichtigsten Quellen der <strong>Scham</strong> ist häufig mangelnde Kontrolle – über sich selbst,<br />

über eine Situation -<strong>und</strong> wenn man dies auf das Alter <strong>und</strong> Krankheit bezieht, sind diese<br />

Gefühle fast ständig immanent. Auch die Befürchtung „unehrenhaft“ zu sein, lässt ein Gefühl<br />

von <strong>Scham</strong> entstehen. Diese Gefühle, die an die Person <strong>und</strong> an die Würde oder Ehre eines<br />

Menschen gehen - die aus einem beschädigten Körper oder gar aus dem Verstand kommen<br />

- sind die Gefühle, welche besonders stark abgewehrt werden müssen!<br />

Was bedeutet <strong>Scham</strong> im Alter?<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

<strong>Scham</strong> im Alter bedeutet …<br />

‣ Ausgeliefert sein<br />

‣ Abhängig sein<br />

‣ Kontrollverlust<br />

‣ Preisgeben von Intimität<br />

Ein besonders <strong>Scham</strong> besetztes Thema im Alter ist die Inkontinenz. Harninkontinenz kann<br />

im Alter <strong>und</strong> im Zusammenhang mit traumatischen <strong>und</strong> beängstigenden Situationen<br />

auftreten.<br />

Nach Max Scheler, entsteht <strong>Scham</strong> überall dort, wo sich Menschen ihrer Naturhaftigkeit<br />

bewusst werden bzw. mit ihrer Naturhaftigkeit konfrontiert werden. Diese Konfrontationen, im<br />

Menschen das Tierische <strong>und</strong> das Tier zu entdecken, gefährdet ihren gesellschaftlichen<br />

Status <strong>und</strong> als Folge dessen ein <strong>Verlust</strong> des eigenen Status - die Selbstachtung.<br />

Was heißt es für einen – alten – Menschen, inkontinent zu werden? „Ich verliere die Kontrolle<br />

über meinen Körper. Ich kann es nur begrenzt vor anderen verbergen. Ich bin anders als die<br />

Anderen. Ich traue mich nicht mehr unter Menschen zu gehen, ich habe Angst unangenehm<br />

zu riechen…“<br />

Differenziert man den <strong>Scham</strong>effekt, so teilt er sich zunächst in die Angst vor Bloßstellung<br />

<strong>und</strong> vor dem Erniedrigt werden, die in ein depressives Gefühl übergeht, welches das<br />

Bewusstsein über die Bloßstellung begleitet. Dieses depressive Gefühl, das eigentlich<br />

unerträgliche - die <strong>Scham</strong> - entsteht in der Angst vor der Verachtung durch Andere,<br />

gleichzeitig auch in der Wahrnehmung der Verachtung der Anderen <strong>und</strong> dadurch schwindet<br />

die Selbstachtung.<br />

Nach Wurmser(1993) ist <strong>Scham</strong> die Hüterin unserer Würde. Würde ist eine Grenze, an der<br />

„unser besseres Selbst“ beginnt. In jeder Kultur gelten bestimmte Verhaltensmerkmale als<br />

unehrenhaft <strong>und</strong> als beschämend. Dazu zählt insbesondere all das, was mit mangelnder<br />

Umweltkontrolle <strong>und</strong> mangelnder Körperkontrolle einhergeht.<br />

Das Schämen, die <strong>Scham</strong> geht über die Körperlichkeit <strong>und</strong> Verhaltensweisen hinaus, betrifft<br />

im Alter häufig auch das soziale Umfeld <strong>und</strong> die Lebenssituation in der sich der jeweilig alte<br />

Mensch befindet.<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

„Soziale <strong>Scham</strong>“ im Alter<br />

hervorgerufen durch:<br />

• geringer Marktwert/‐Chancen<br />

• Statusverlust<br />

Der Begriff der „sozialen <strong>Scham</strong>“ wurde von Sighardt Neckel bereits 1991 geprägt.<br />

Neckel sagt, die Würde der Person ist in unserer Zeit meist an Marktchancen geb<strong>und</strong>en. In<br />

Ermangelung von Marktchancen bedingt durch Alter, körperliche Gebrechlichkeit, <strong>und</strong><br />

Geschlecht würde mit dem <strong>Verlust</strong> an Ansehen (Ehre) auch ein <strong>Verlust</strong> an Würde unterstellt<br />

werden. „Wer alt ist, verursacht nur Kosten, hat keinen Nutzen mehr für die Gesellschaft“<br />

Das Problem werde in den Auswirkungen des Alterungsprozesses <strong>und</strong> nicht in den<br />

Lebensumständen des Einzelnen gesehen. Die Gesellschaft habe nicht hinreichend für das<br />

Alter vorgesorgt <strong>und</strong> entsprechende Netzwerke organisiert.<br />

Der Begriff der „Sozialen <strong>Scham</strong>“ ist an spezielle moralische Maßstäbe geknüpft. Das heißt,<br />

„wer sein Leben lang hart gearbeitet hat, der hat ich sich den Ruhestand verdient“. Allerdings<br />

erlaube sich hier die Gesellschaft, zu prüfen, inwieweit diese voran gestellte Moral des<br />

verdienten Ruhestandes durch lebenslange Arbeit tatsächlich erfüllt <strong>und</strong> eingelöst wurde.<br />

Ebenso versäume es die Gesellschaft zu prüfen, wer schuldlos in eine Notlage gerät bzw.<br />

zwischen Schuld <strong>und</strong> Unschuld bei der Armut zu unterscheiden. Es gelte nach wie vor das<br />

Stereotyp „wer im Alter arm ist, hat in der Jugend nicht entsprechend gearbeitet“. Hierbei<br />

seien ganz deutlich, die Frauen benachteiligt, die eine Reihe von Kindern groß gezogen<br />

haben <strong>und</strong> dadurch dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung standen.<br />

Eine durch die Benachteiligung hervorgerufene Soziale Gefährdung könne in soziale<br />

Schwäche umschlagen. Die Faktoren der sozialen Gefährdung sind laut Neckel zum Bespiel:<br />

Schichtzugehörigkeit <strong>und</strong> Geschlechtsrolle, die es trotz eines arbeitsreichen Lebens nicht<br />

erlauben, die Früchte der Arbeit zu genießen, weil Engagement, Zuverlässigkeit, Disziplin<br />

<strong>und</strong> Einsatz eben nicht in eine gesicherte Existenz, sondern in Armut münden. Altersarmut<br />

<strong>und</strong> soziale Schwäche entwerten das gelebte Leben <strong>und</strong> erlauben es dem ICH nicht, dem<br />

gelebten Leben einen Sinn zu geben.<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

Die Überlegungen Neckels lassen sich meiner Auffassung nach gut auf Situationen in der<br />

stationären Altenpflege am Beispiel der Selbstzahler <strong>und</strong> Soziahilfeempfänger übertragen.<br />

Einem Einzug ins Altersheim können verschiedene Ursachen zugr<strong>und</strong>e liegen: Die Eine<br />

kann den Haushalt nicht mehr alleine bewältigen, die Andere droht zu Hause zu isolieren<br />

oder aufgr<strong>und</strong> von Pflegebedürftigkeit <strong>und</strong> mangelnder baulicher Gegebenheiten in der<br />

Wohnung (Treppen) nicht mehr bleiben zu können etc.<br />

Viele Menschen entscheiden sich dennoch bewusst ihren Lebensabend im Altenheim zu<br />

verbringen. Eine der Ursachen hiefür, ist im Alter niemanden zur Last fallen wollen - vor<br />

allem nicht den Kindern oder Enkelkindern. Das könnte bestenfalls bedeuten einen Schritt in<br />

Richtung Autonomie <strong>und</strong> Status zu wählen. „Niemanden zur Last zu fallen, bedeutet<br />

gleichzeitig autonom zu sein“. In einem Seniorenheim zu Leben, indem andere schlechter<br />

dran sind als ich, bedeutet ein Zugewinn an Status im Vergleich zu Anderen. Zudem ist eine<br />

bessere Versorgung anzunehmen.<br />

Schwierig wird es, wenn ein Heimbewohner dadurch zum Sozialhilfefall wird. Die laufenden<br />

Kosten in der eigenen Wohnung waren längst nicht so hoch wie die Pauschale im Heim –<br />

bedingt durch allgemeine Heimkostenerhöhung oder höherer Pflegebedürftigkeit, oder nicht<br />

erwarteter höherer Lebenserwartung<br />

Fallbeispiel Fr. W<br />

Fr. W. ist 85 Jahre alt. Im November 2005 stellte sie gemeinsam mit ihren Angehörigen fest,<br />

dass sie zu Hause in der eigenen Wohnung alleine nicht mehr zu recht kommt. Nach einer<br />

entsprechenden Beratung <strong>und</strong> Information bezüglich der Kosten, entschied sie sich für den<br />

Umzug ins Heim. Nach ca. einem Jahr <strong>und</strong> einer allgemeinen Kostenerhöhung war der<br />

Heimplatz für Fr. W. alleine nicht mehr finanzierbar. Fr. W. hatte sich mittlerweile gut in den<br />

Heimalltag eingelebt, neue Fre<strong>und</strong>schaften geschlossen <strong>und</strong> ansprechende Aufgaben für<br />

sich im Heimbeirat gef<strong>und</strong>en. Die Kostenerhöhung stürzte sie in arge Verzweiflung. Sie<br />

stellte sich die Frage - Muss ich jetzt wieder ausziehen?. Sie wendete sich an die<br />

Heimleitung <strong>und</strong> trug ihr Problem vor. Von Seiten des Heimes wurde ihr angeraten, beim<br />

Sozialhilfeträger einen Antrag auf Kostenübernahme zu stellen, da die Pflegekasse in ihrer<br />

Situation keinen Beitrag zahlte – Fr. W. war einfach nicht pflegebedürftig genug für die<br />

Pflegekasse, aber nicht unabhängig genug für das Leben ohne Hilfe in der eigenen<br />

Wohnung. Nach entsprechender Prüfung der Sachlage durch den Sozialhilfeträger wurde<br />

entschieden, dass einer der Söhne von Fr. W. aufgr<strong>und</strong> seiner finanziellen Situation zur<br />

Kostenübernahme herangezogen wird. Fr. W. war daraufhin noch verzweifelter, da ihr Sohn<br />

ab diesem Tag den Kontakt zu seiner Mutter abbrach, ihr Vorwürfe machte dafür, dass er<br />

jetzt 50 Euro monatlich für den Unterhalt der Mutter aufbringen muss. Fr. W. war erschüttert,<br />

sie habe ihn doch schließlich groß gezogen, andererseits wollte sie ihren Kindern nicht zur<br />

Last fallen oder gar die Beziehung zu den Kindern durch die Unterhaltszahlung gefährden.<br />

Diplom Pflegewirtin/ Sozialarbeiterin Sabine Müller<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

Dieser innere <strong>und</strong> äußere Konflikt lösten große Gefühle des <strong>Scham</strong>s bei Fr. W. aus, so dass<br />

sie sich von gewohnten Aktivitäten <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en zurück zog, aus Angst, dass man es ihr<br />

ansehen oder mit dem Finger auf sie zeigen könnte. Verhandlungspartner war für sie das<br />

Sozialamt, die Bewohnerin wurde nicht nur zum Opfer sozialstaatlicher Leistungen, sondern<br />

auch der Akteure im Ges<strong>und</strong>heitswesen. Neben den subjektiven Statusverlusten wird die<br />

Bewohnerin auch auf ihren unterlegenen Status hingewiesen. Die Verletzungen bei den<br />

Bewohnern halten sehr lange an, <strong>und</strong> sind erst durch zahlreiche Gespräche mit dem<br />

Sozialdienst oder den Pflegekräften wieder zu relativieren.<br />

Der Beitrag der Psychoanalyse<br />

Abwehr von <strong>Scham</strong> als Bewältigung<br />

von unerfüllbaren Wünschen<br />

Die Anforderungen des Alters mit den beschriebenen sozialen <strong>und</strong> körperlichen<br />

Veränderungsprozessen lösen vielfältige mit <strong>Scham</strong> besetzte Gefühle aus, für die der alte<br />

Mensch nun Bewältigungsstrategien entwickeln muss.<br />

Das Problem hierbei ist, dass Altern eine physische Veränderung mit sich bringt, hingegen<br />

die Triebe <strong>und</strong> Wünsche nach Auffassung Freud´s keinem Veränderungsprozess<br />

unterliegen. Nimmt man die Erkenntnisse aus der Psychoanalytischen Theorie nach Freud<br />

findet sich im „Es“ nichts, was einer Zeitvorstellung entspricht, also keine Veränderung des<br />

seelischen Vorganges durch den Zeitablauf. Sowohl die Wünsche, aber auch die Konflikte<br />

bleiben bestehen sie sind unsterblich. Liebe, Eifersucht, Neid, sexuelles Begehren<br />

nehmen gar nicht oder nur in einem geringen Umfang ab. Das ist anders als es uns das<br />

Alttagsbewusstsein suggeriert. Die Spannungen zwischen den Wünschen des ES <strong>und</strong> der<br />

Wunscherfüllung <strong>und</strong> Befriedigung von Bedürfnissen sind im Alter größer, weil die realen<br />

Chancen der Wunscherfüllung geringer sind.<br />

Am Beispiel von Sexuellem Begehren eines 80 Jährigen Mannes, der aufgr<strong>und</strong> seines Alters<br />

unter einer Harninkontinenz leidet, könnte das bedeuten, dass der alte Mann sich wegen<br />

seiner Inkontinenz so sehr schämt <strong>und</strong> sich daher nicht traut diese Wünsche nach sexueller<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

Befriedung mit seiner Ehefrau in die Tat umzusetzen. Bewältigungsmöglichkeiten in seinem<br />

Fall sind sehr begrenzt, da er die Ursache schwer beheben kann. Er hat für sich nur die<br />

Option der Abwehr! Mögliche Abwehrreaktionen können sein: Aber vermeidet die Nähe zu<br />

seiner Ehefrau oder B er verleugnet das sexuelle Bedürfnis.<br />

Der Ehemann erlebt nicht nur die <strong>Scham</strong> vor seiner Frau bezogen auf seine Inkontinenz,<br />

sondern auch den <strong>Verlust</strong> der sexuellen Befriedigung, die daraus resultiert.<br />

<strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> Abwehr<br />

Alter wird als Trauma erlebt <strong>und</strong> um<br />

die eigene Autonomie zu sichern<br />

<strong>und</strong> <strong>Verlust</strong>e zu kompensieren,<br />

sind Abwehrmechanismen<br />

erforderlich.<br />

Hartmut Radebold (1979) macht darauf aufmerksam, dass die im Alter häufig zu<br />

beobachtende Rigidität (Starrheit) aber auch der (als Disengagement in die Alterstheorie<br />

eingegangene) beobachtete Rückzug, psychoanalytisch als verstärkte Abwehr betrachtet zu<br />

interpretieren ist. Das ICH als Repräsentant der Realität versucht, die Traumatisierungen des<br />

Alters zu verarbeiten –wo bei das aufgezeigte Altersbild die Möglichkeiten zur<br />

Triebbefriedigung einschränkt.<br />

Radebold hebt in seinen Ausführungen das Phänomen der <strong>Verlust</strong>e bei den alten Menschen<br />

besonders hervor. Insbesondere die unwiederbringlichen <strong>Verlust</strong>e <strong>und</strong> Trennungen - sowohl<br />

auf der Ebene wichtiger Objekte <strong>und</strong> Beziehungspersonen, als auch auf der Ebene des<br />

Selbstwertgefühls, des Narzissmus, wie Schönheit, Wohnung, Beruf – die das Verhältnis des<br />

alten Menschen zu sich selbst <strong>und</strong> zu seiner Umwelt kennzeichnen.<br />

Neben den objektiven Gegebenheiten tritt die subjektive <strong>und</strong> emotionale Bedeutung von<br />

Altersphänomenen in die Lebenswelt. Alter <strong>und</strong> Altern wird eben jenseits aller positiven<br />

Altersbilder - doch als traumatisch, d.h. verw<strong>und</strong>end <strong>und</strong> bedrohlich erlebt. Besonders die<br />

<strong>Verlust</strong>e <strong>und</strong> Trennungen erfordern vom ICH eine erhöhte Abwehr, um auch das<br />

Autonomiegefühl zu sichern. Das heißt, die Abwehr verstärkt sich zunächst, dass bedeutet<br />

die Lebensstile müssen so umorganisiert werden, dass sie die Kontinuität des ICH –<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

Gefühles gewährleisten. Abwehrmechanismen sind beispielsweise, Vermeidung,<br />

Verleugnung, Rigidität <strong>und</strong> Ungeschehen machen. Erst wenn diese Abwehrmechanismen<br />

versagen, greift das ICH zu tieferen bzw. früheren Abwehrformen, in der Regel auf<br />

Regression zurück. Es ist schwer möglich, eine Kette von eigenen erlebten<br />

Benachteiligungen rational zu verstehen <strong>und</strong> mit Sinn auszustatten. Wenn dem ICH die<br />

Möglichkeit der Sinnbildung genommen ist -entsteht Angst <strong>und</strong> in der Folge einfachere<br />

Abwehr. Diese einfachere Abwehr wird wiederum verstärkt genutzt, wodurch alte Menschen<br />

auffällig <strong>und</strong> andersartig erscheinen.<br />

So kommt es beispielsweise in Supervisionen immer wieder vor, dass Pflegende <strong>und</strong><br />

Sozialarbeiter hilflos sind, weil die Bewohner ihre Angebote nicht wahrnehmen. Bewohner<br />

werten Festlichkeiten oder Angebote der Einrichtungen ab, wollen nicht daran teilnehmen.<br />

Bei Fallbesprechungen zeigt sich dann am Ende, dass das Verhalten von den Bewohnern<br />

eine Form der Abwehr ist. Eine Teilnahme würde eine Wunschproduktion in Gang setzen<br />

<strong>und</strong> somit auch die Unerfüllbarkeit verschiedener Wünsche verdeutlichen. Das Wissen,<br />

darüber wie viel Wünsche offen bleiben werden <strong>und</strong> wie viel vermisst wird, lässt die<br />

Vermeidung als einzigen Ausweg erscheinen. Das heißt, sich nicht mit dem Zirkel von<br />

Wünschen <strong>und</strong> mangelnden Möglichkeiten ihrer Befriedigung auseinanderzusetzen.<br />

<strong>Trauer</strong> –eine Reaktion auf<br />

<strong>Verlust</strong>e<br />

<strong>Trauer</strong>arbeit zur Kompensation<br />

erlebter negativer Gefühle<br />

Radebold (1992) zeigt Möglichkeiten auf, über die das ICH bei unterschiedlicher Ausstattung<br />

verfügt um auf <strong>Verlust</strong>e, Kränkungen, Traumatisierungen, Bedrohungen <strong>und</strong> Angst zu<br />

reagieren:<br />

Das ICH des Erwachsenen verfügt über die Fähigkeit, überfordernde Konflikte mittels<br />

Abwehrmechanismen zu bewältigen. Verlorenes kann durch <strong>Trauer</strong>arbeit kompensiert<br />

werden. Im Laufe des Lebens kumulieren diese Anforderungen im Sinne von<br />

Traumatisierungen, entsprechend reagiert das ICH zunehmend rigider. ICH Beschädigungen<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

im Alter münden in regressive Muster. Dies ist auch immer ein Selbstheilungsversuch auf<br />

einer psychosexuellen Stufe oder auf einer psychosozialen Stufe. Die Regression auf der<br />

Basis von <strong>Verlust</strong>en ist damit eine der bedeutendsten Entwicklungsdeterminanten vor allem<br />

des hohen, insbesondere aber noch einmal des negativen Alters.<br />

<strong>Scham</strong> resultiert aus dem<br />

<strong>Verlust</strong> von Körperlichkeit,<br />

Rollen <strong>und</strong> Prestige<br />

… Entfremdung der<br />

gewohnten Identität<br />

Jean Amery (1979) sagt in seinen Studien: Altern bedeutet sich fremd zu werden. Warum<br />

erkennen sich alte Menschen auf aktuellen Fotos nicht? Warum zerreißen sie aktuelle Bilder<br />

<strong>und</strong>/oder beschimpfen die, die darauf zu sehen sind?<br />

Amery beschreibt dieses Fremdheitsgefühl anhand des Blickes in den Spiegel, d.h. er stellt<br />

das „Sehen“ in den Mittelpunkt des Entfremdungsgefühls. Der Blick in den Spiegel hat nicht<br />

mehr etwas Bestätigendes, Widerkennendes sondern etwas Fremdes, Entblößendes. Die<br />

Selbstrepräsentanz, dass innere Bild wird brüchig. Der Körper insbesondere der alte Körper<br />

lässt sich schlecht zivilisieren.<br />

Die Selbstrepräsentanzen bleiben bestehen, <strong>und</strong> die Schere zwischen dem inneren von sich<br />

selbst <strong>und</strong> dem tatsächlichen (Eben-) Bild geht auseinander – häufig geht der Kontakt zum<br />

realen Selbstbild verloren.<br />

Ein Entfremdungs- <strong>und</strong> Depersonalisationsgefühl bedeutet eine Störung des<br />

Identitätsgefühls. Das Gefühl sich selbst fremd zu sein, ist wie ein Vorhang der das<br />

schmerzliche Gefühl des Bloßgestelltseins überdeckt.<br />

Wurmer (1993) ordnet dieses Gefühl von depressiver Taubheit, welches den genannten<br />

Vorhang ausmacht, der sich zwischen das reale ICH <strong>und</strong> das ideale ICH schiebt, der <strong>Scham</strong><br />

zu. Der Vorhang dient dazu, das schmerzliche Gefühl des Bloßgestelltseins zu überdecken.<br />

Das <strong>Scham</strong>gefühl lässt sich übersetzen mit: „Ich will Dich nicht mehr sehen“ <strong>und</strong> umgekehrt<br />

„Ich will mich nicht mehr sehen“<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

Ein ähnliches Entfremdungsgefühl wird auch entstehen, wenn die soziale Person <strong>und</strong> die<br />

innere Person, beispielsweise durch die im Alter typischen Rollen- <strong>und</strong> Funktionsverluste in<br />

Disparität (Ungleichheit) zueinander geraten. Für das Alter ist es beschreibend, dass die<br />

Schere zwischen sozialer <strong>und</strong> innerer Person, also zwischen dem Herrn Dr. Schmidt <strong>und</strong><br />

Herrn Schmidt <strong>und</strong> letztlich dem dementen Bewohner Horst auseinander geht. Das bedeutet,<br />

dass alte Menschen sehr viel mehr psychische Energie zur Aufrechterhaltung ihres<br />

Identitätsgefühls benötigen <strong>und</strong> sie in einer ständigen, wenigstens latenten Beschädigung<br />

ihres Identitätsgefühls ausgesetzt sind, welche in engem Zusammenhang mit <strong>Scham</strong> steht.<br />

Fallbeispiel: Eine 89jährige Frau muss gegen ihren Willen mittels richterl. Beschluss nach<br />

einem Krankenhausaufenthalt in ein Pflegeheim umziehen. Im Krankenhaus wurde ihr<br />

aufgr<strong>und</strong> von Verwirrtheitszuständen <strong>und</strong> Mangelernährung eine Magensonde gelegt.<br />

Problematisch erwies sich für die Dame der Umgang <strong>und</strong> die Akzeptanz der Sonde, obwohl<br />

sie dennoch in der Lage war, kleine Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Im Pflegeheim wurde sie<br />

auf dem Dementenbereich im Doppelzimmer untergebracht. Die neue Umgebung <strong>und</strong><br />

Situation war für die Frau nicht ertragbar. Sie lebte bislang allein in ihrer Wohnung <strong>und</strong><br />

sorgte für sich selbst. Sie erlebte die neue Situation als traumatisierend. Sie konnte plötzlich<br />

nicht mehr für sich sorgen <strong>und</strong> spürte die deutlichen körperlichen Veränderungen. Das<br />

Doppelzimmer nahm ihr die gewohnte Intimität <strong>und</strong> der Dementenbereich sorgte für den<br />

ständigen Besuch von fremden Bewohnern in ihrem Zimmer. Diese für sie schwer<br />

einzuordnende Situation stürzten sie in tiefe Verzweiflung. Sie bat ihre Tochter, sie wieder<br />

nach Hause mitzunehmen, diese lehnte das ab. So resignierte sie, zog sich mehrfach die<br />

Magensonde <strong>und</strong> drohte mit Suizid.<br />

Interpretation: Dieser Fall stellt einen typischen Kampf um Identität dar - wenn Körper <strong>und</strong><br />

Selbst nicht mehr zueinander passen wollen. Der kranke Körper repräsentiert zunächst die<br />

Verletzlichkeit, die Schwäche den nicht akzeptierten ICH-Anteil. Das<br />

Depersonalisationsgefühl ist offenbar so groß, dass der eigene Tod beschlossen wird, d.h.<br />

das Versagen des Körpers wird als Ehrverletzung des ICH durch den Körper erlebt. Für die<br />

Pflegemitarbeiter wird nur der Wunsch nach dem Sterben sichtbar. Das Nicht-Funktionieren<br />

des Körpers ist für die Bewohnerin mit <strong>Scham</strong> besetzt. Sie wählt die letzte Alternative, sie<br />

zieht den Tod dem Leben mit diesem Körper, dieser Situation vor. Ihr wurde keine<br />

Gelegenheit zur Bewältigung gegeben, das Pflegepersonal hat den Veränderungsprozess<br />

mit ihr aus eigener <strong>Scham</strong>, Angst, etc. nicht verbalisiert. Sie wurde abrupt aus einem<br />

gewohnten Umfeld gerissen <strong>und</strong> musste sich ohne gefragt zu werden an eine fremde<br />

Umgebung mit geringer bis keiner Intimsphäre anpassen. Sie verleugnete vor ihrer Tochter<br />

die Tatsache zu Hause ohne Hilfe nicht zurecht zu kommen.<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

Die Entfremdung ihrer bislang gewohnten Identität durch die Veränderungsprozesse ihres<br />

Körpers <strong>und</strong> ihrer Umgebung wurden verdrängt, um sich selbst vor der <strong>Scham</strong> <strong>und</strong> der Angst<br />

zu schützen. Der Wunsch „nach Hause“ zu gehen sind gleich zu setzen mit dem Wunsch,<br />

dass der Körper dann wieder hergestellt ist – alles wieder so ist wie früher.<br />

<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>,<br />

<strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong><br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

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In diesem Vortrag wurden die Schwierigkeiten des Alters <strong>und</strong> Grenzsituationen der Pflege<br />

dargestellt. Mit einem „verstehenden Zugang“ haben Pflegende <strong>und</strong> Sozialarbeiter die<br />

Chance, Möglichkeiten <strong>und</strong> Hinweise zum professionellen Umgang mit dem Phänomen Alter<br />

zu entwickeln. Der alte Mensch sollte nicht anhand seines Verhaltens beurteilt <strong>und</strong> darauf<br />

abzielende Maßnahmen getroffen werden, sondern im Kontext der jeweiligen Biographie <strong>und</strong><br />

des Lebensabschnittes, sowie des sozialen Umfeldes <strong>und</strong> der persönlichen Betroffenheit<br />

eine Analyse voran gestellt werden. Mit meinen Ausführungen möchte ich zu Gedanken<br />

anregen, keine pauschalen Lösungen vorgeben, da es sich um sehr subjektiv erlebte <strong>und</strong><br />

individuelle Einzelinterpretationen handelt.<br />

Abschließend gebe ich einen Ausblick in Form eines Fazit für die drei Ebenen der<br />

betroffenen Akteure: Institution – professionelle Helfer – betroffene alten Menschen<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

Fazit: Auf der Ebene des alten<br />

Menschen:<br />

Die Wertschätzung des Alters wird in in der<br />

Gesellschaft erhöht<br />

Der alte Mensch findet Anerkennung <strong>und</strong><br />

Respekt durch seine Umgebung<br />

Der alte Mensch gelangt zu zu Selbstbewusstsein<br />

<strong>und</strong> Selbstwertgefühl, trotz seiner<br />

altersbedingten Veränderungsprozesse<br />

Fazit: Auf der Ebene der<br />

professionellen Helfer<br />

Es wird ein Verständnis für das Verhalten<br />

älterer Menschen entwickelt<br />

In Form von Haltung <strong>und</strong><br />

Verhalten wird dem alten Menschen<br />

Wertschätzung <strong>und</strong> Anerkennung<br />

entgegen gebracht<br />

Professionelle Helfer finden gemeinsam<br />

mit den betroffenen alten Menschen<br />

Lösungen, ihre Situation förderlich zu<br />

gestalten<br />

Fazit: Auf der Ebene der Institution<br />

Die Institution trägt der<br />

Altersproblematik mehr<br />

Rechnung, auf starre<br />

Regelungen wird zugunsten der<br />

alten Menschen verzichtet<br />

Es wird eine gemeinsame<br />

Strategie zum Umgang<br />

entwickelt<br />

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<strong>Protest</strong> <strong>und</strong> <strong>Scham</strong>, <strong>Verlust</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>:<br />

Umgang mit Grenzsituationen in der Pflege<br />

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