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Alle machen mit. Die meisten wissen's nicht - Berliner Festspiele

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Kopie des Vorhandenen. Manipulation der Realität. Verwendung von<br />

theatralisierten Readymades – die Methodik der Riminis zielt auf verschärfte<br />

Wahrnehmung und Reflexion von Welt. Schon in frühen Aufzeichnungen heißt<br />

es: „Es ist so. wie es ist. Und doch ist es anders: Es kommen Zweifel auf, in<br />

welcher Region die Inszenierung des Abends ansetzt, wo Realität aufhört und<br />

Theater beginnt." Oder: „<strong>Die</strong> Kriterien für Authentizität und Inszenierung<br />

werden nach und nach außer Kraft gesetzt. “<br />

Für Kreuzworträtsel Boxenstopp, 2000 am Frankfurter Mousonturm<br />

herausgebracht. requirieren sie vier 80jährige Damen aus dem benachbarten<br />

Altersheim. <strong>Die</strong> trainieren angeblich für ein Comeback auf dem Nürburgring<br />

und konfrontieren ihre Lebensumstände <strong>mit</strong> denen von Rennfahrern. Der Reiz<br />

liegt im Gegensatz von alt – jung, weiblich - männlich. lanfsam – schnell,<br />

öffentlich – verborgen. Zwei Jahre später zeigt dasselbe Team<br />

Haug/Kaegi/Wetzel das jugendliche Pendant zur Altensaga: Shooting<br />

Bourbaki. <strong>Die</strong>smal sind die Akteure 13- bis 15-jährige Schweizer, und das<br />

Thema ist das Knabenschießen- wie es auf dem gleichnamigen Zürcher<br />

Volksfest praktiziert wird. <strong>Die</strong> Jungen erzählen von der Faszination der Waffen<br />

im Kino wie im Leben, ein Video zeigt sie bei Schießübungen, und dann<br />

spielen sie Trainieren: „Beine breit - Augen schmal“. Wieder entsteht eine<br />

reale Welt <strong>mit</strong> fiktiven Einschüben: <strong>Die</strong> Menschen sind echt, ihre Bedürfnisse<br />

auch, nur wie sie sie ausdrücken, das ist natürlich inszeniert.<br />

<strong>Die</strong> Methode ist in beiden Fällen dieselbe: Ausgehend von der Umgebung des<br />

jeweiligen Theaters (Altersheim in Frankfurt, Polizeischießstand in Luzern),<br />

wird ein Stück Leben ausgestellt Lind gleichzeitig überhöht. <strong>Die</strong> Recherche<br />

zielt auf Bühnenpräsentation und wird zum Laien-Dokumentationstheater, doch<br />

die Bretter, die die Welt bedeuten, können sich jederzeit in Wald<br />

zurückverwandeln oder gegebenenfalls in Beton. So geschehen bei Projekten<br />

wie Ungunstraum <strong>Alle</strong>s zu seiner Zeit in Schloss und Park Rauischholzhausen<br />

oder bei der Aufführung der Marke Ungunstraum in der Netzstelle für die<br />

Frankfurter Stromversorgung (beide 1998 von Haug/Dross/Wetzel realisiert).<br />

Europa, ein Meerschweinidyll<br />

Meine Lieblingsstücke sind die begehbaren Hörspiele von Hygiene heute.<br />

System Kirchner in Gießen und Frankfurt (2000) und Kanal Kirchner beim<br />

Münchner Spiel-art-Festival 2001 sind Audiotouren, bei denen die Teilnehmer,<br />

<strong>mit</strong> einem Walkman versehen, auf einen höchst seltsamen Stadtparcours<br />

geschickt werden, jeder für sich allein, in zehnminütigem Abstand. Aus dem<br />

Kopfhörer tönen genaue Anweisungen, Richtung, Blickwinkel und Lauftempo<br />

des Weges betreffend, und alles, was man unterwegs sieht, wird als Teil einer<br />

gigantischen Verschwörung zur Auslöschung der Erinnerung interpretiert.<br />

Jeder Briefkasten, jede Straßenlaterne und Hausnummer wird doppelbödig,<br />

alles ist verdächtig, sogar die Maria <strong>mit</strong> Kind in der kleinen Kapelle. Überall<br />

wird gelauscht, überwacht, registriert, jede Eckkneipe kann Teil des Komplotts

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