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Alle machen mit. Die meisten wissen's nicht - Berliner Festspiele

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erlebnistouristisches Ausflugsziel; Ski fahren kann man dort oben auch (also!).<br />

Freilich verbrannten unlängst in der Gletscherbahn weitere 155 Menschen (oje).<br />

Auch die Erinnerung an sie ist naturgemäss und pünktlich wieder zur Stelle (oje) in<br />

diesem dritten Teil einer Trilogie, deren erster - «In den Alpen» - sich explizit <strong>mit</strong> ihr<br />

befasste.<br />

Sie nervt, die beste lebende Dramatikerin Österreichs <strong>mit</strong> dem Ehrentitel der<br />

Nestbeschmutzerin, wenn sie unermüdlich den Zeigfinger auf die bekannten (aber<br />

egal) Schandflecken des Vater- oder besser Mutterlandes richtet und in ihrer<br />

wasserfallartigen Schmährede jegliche Wiedergutmachungsversuche einerseits,<br />

anderseits sich selbst gleich auch noch verspottet. Absolut hinreissend nervt sie,<br />

unter Mithilfe von Dichtern und Denkern und Werbeagenturen - wie üblich collagiert<br />

und verballhornt ihr Text Zitate von hier und dort -; doch das kann jeder für sich<br />

nachlesen auf den 160 absatzlos bedruckten Seiten. Was Nicolas Stemann aus dem<br />

dramatischen Unding macht, muss man hingegen sehen.<br />

<strong>Die</strong> Inszenierung des 1968 geborenen Regisseurs ist <strong>nicht</strong> nur blitzgescheit und<br />

hochtheatralisch, sondern auch zum Totlachen. In lediglich zwei Stunden führt er<br />

«Das Werk» komplett auf unter Berücksichtigung des Texts (ausgewählte Passagen,<br />

die dafür mehrmals vorkommen), des ihm zugrunde liegenden trivialmythologischen<br />

Materials (Ausschnitte aus dem Kitschfilm «Das Lied von Kaprun»), der Jelinek-<br />

Rezeption («Schreiben Sie doch lieber mal was Persönliches! ») und der Widmung<br />

an Einar Schleef. Letzteres; gegen Schluss, folgendermassen: In den Vitrinen, die<br />

Karin Nottrodts Bühne links und rechts begrenzen (hinten die Staumauer, vorne ein<br />

Planschbecken), taucht plötzlich das Heer der Arbeiter auf, reihenweise Männer in<br />

staubig blauer Kluft, was sehr sowjetisch und realsozialistisch anmutet. Sie formieren<br />

sich im Hintergrund zur Front und rücken unter anschwellendem Gemurmel<br />

schrittweise vor. Unsere drei JelinekHeidis, jede unterstützt von einem Peter - den<br />

Hochleistungsredner der Ouverture ergänzen Philipp Hochmair und <strong>Die</strong>tmar König -,<br />

werden übertönt. Dabei wollten sie doch als Sprachrohr des Proletariats diesem ihre<br />

Stimme leihen! Vergebliche Liebesmüh, die Proleten protestieren selber: im Schleef<br />

schen Sprechchor gegen die Missachtung der «gesetzlichen Ruhezeiten der<br />

Bundestheater». (Wer 1998 dabei war, vergisst den Kniefall nie, <strong>mit</strong> dem Schleef den<br />

damaligen Burgtheaterdirektor Claus Peymann um Bewilligung von Überstunden bat<br />

- worauf die «Sportstück»-Uraufführung ihren sechsstündigen Marathonlauf nahm.)<br />

Der Arbeiter will, ohne sich um Ernst Jüngers dämonische Heroisierung zu kümmern,<br />

Feierabend, auch wenn er schon tot ist und nun, einsam zurückgeblieben in der<br />

Bergabgeschiedenheit vor der Flimmerkiste, plötzlich Martin Heidegger frappierend<br />

ähnelt.<br />

Leben im Stau<br />

Zu Rudolf Melchiar unter dem Lampenschirm gesellt sich Libgart Schwarz, die vorher<br />

als «Autorin» in Designerkleidern glorios über «den Stau» als Hauptproblem der<br />

modernen Menschheit (Alltag und Ferien) schwadronierte und sich jetzt auf der<br />

analytischen Couch schlafen legt. Gute Ruh, gute Ruh, die Augen zu, denn wo<br />

Elfriede weilt, darf der Schubert Franzl <strong>nicht</strong> fehlen.<br />

Für den unbeschreiblich inspirierten Rest zwischen Anfang und Ende müssen leider<br />

Stichworte genügen: Melchiar als Alpöhi, der den Mädchen grantelnd die Discomusik<br />

ausschaltet, als sie auf Waschmaschinen und Kühlschränken herumtollen, und ihnen

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