Alle machen mit. Die meisten wissen's nicht - Berliner Festspiele
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NZZ Online<br />
14. April 2003, Neue Zürcher Zeitung<br />
Arbeit macht vogelfrei<br />
«Das Werk» von Elfriede Jelinek - uraufgeführt in Wien<br />
Fünf Jahre darbte Österreich ohne Stücke von Elfriede Jelinek. Und jetzt, beim<br />
Beginn der Uraufführung ihres Werks <strong>mit</strong> dem schlichten, wenn auch mehrdeutigen<br />
Titel «Das Werk», muss das Publikum im Wiener Akademietheater eine Minute<br />
länger warten als geplant. Schon ist ein junger Mann vor den roten Vorhang getreten<br />
in Kampfanzughosen, Gummistiefeln und einer Skijacke, auf der ein Abzeichen <strong>mit</strong><br />
dem österreichischen Adler klebt; schon will er ansetzen zur Rede: Den Text hat er<br />
<strong>mit</strong>gebracht, ausserdem hält er eine Perücke, oder ist es ein Skalp?, <strong>mit</strong> zwei<br />
Zöpfchen in der Hand, Markenzeichen Jelinek - da huscht eine verspätete<br />
Zuschauerin in den Saal und findet erst nach längerem Suchen den letzten freien<br />
Platz. So. Endlich kann's losgehen. Und ob es losgeht!<br />
Wenn Philipp Hauss, der seine Kostümierung Esther Bialas verdankt, zu lesen<br />
beginnt, bricht er <strong>nicht</strong> nur den Bann, <strong>mit</strong> dem die Autorin Österreichs staatliche<br />
Bühnen belegt hatte (und den sie <strong>mit</strong> dieser Premiere wieder löste). Wie der<br />
Schauspieler liest und liest und liest, immer schneller, immer lauter und dabei immer<br />
häufiger sich verhaspelnd, scheint er im sprudelnden Fluss der - vormals<br />
angestauten - Worte auch das Hauptthema des Stücks zu exponieren: das Wasser.<br />
Jenes nämlich, das hoch oben in dem Staubecken des Tauernkraftwerks von Kaprun<br />
aufgefangen wird - oder gefangen genommen? Bei Jelinek weiss man nie - und<br />
dann, statt frei dahinzuströmen, Strom erzeugt. Es arbeitet; und auch die Sprache<br />
muss arbeiten in diesem Textwerk; was sie ratternd beweist.<br />
Verräterische Sprache<br />
<strong>Alle</strong>rdings lässt sie sich ungern zwingen, wenn sie an die damaligen Zwangsarbeiter<br />
erinnert, von denen einige (offiziell 160) das Leben liessen beim Wiederaufbau<br />
Österreichs bzw. beim Aufbau eines der wichtigsten nationalen Symbole der<br />
Nachkriegszeit. Wasser mag manches reinwaschen, notfalls <strong>mit</strong>tels (am Stromkabel<br />
hängender) Waschmaschinen, von denen bald einige die Bühne zieren. <strong>Die</strong> Sprache<br />
aber ist und bleibt dummerweise verschmutzt. Aus einem Versprechen macht sie<br />
flugs einen Versprecher und dann vielleicht grad noch einen Verbrecher, pardon: Sie<br />
kann <strong>nicht</strong>s dafür, schuld ist allein «Frau Jelinek», die immer wieder alles aufschreibt,<br />
was da so zusammengeredet wird landauf, landab und eben - unterdessen sind drei<br />
Heidis aufgetreten, quietschfidel-putzmuntere Mädels der PostJelinek-Generation:<br />
Alexandra Henkel, Elisa Maria Seydel <strong>mit</strong> «Stop Temelin»-T-Shirt, Juliane Werner -<br />
sogar im Theater. Sicher ist sich indessen die Schriftstellerin ihrer Sprache nie,<br />
weshalb sie ihr (und umgekehrt) andauernd ins Wort fällt <strong>mit</strong> verräterischen Partikeln,<br />
die den Diskurs stören wie Sand das Getriebe: «Oje», «aber egal», «und<br />
überhaupt», «also!» heisst es allüberall; oft folgt, nach irgendeiner Behauptung, die<br />
praktische Formel: «Oder auch <strong>nicht</strong>.» Referiert wird unter anderem, wie es war<br />
(oder auch <strong>nicht</strong>), damals zu Kaprun, wo erst Zwangsarbeiter der Nazis, dann Nazis<br />
als Kriegsgefangene der Amerikaner schufteten. In den i92oer Jahren geplant, <strong>mit</strong><br />
einem Spatenstich Görings im Jahr des Anschlusses als Baustelle eröffnet, <strong>mit</strong><br />
Geldern des Marschall- Plans 1955 vollendet: Heute ist das Werk ein