Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)

Streikkämpfe iri der BRD 1971 bis 1974 375
hatte seine klare Solidarität mit den betroffenen Belegschaften zum
Ausdruck gebracht. Und wahrscheinlich hatte nicht zuletzt die Einberufung
einer internationalen Funktionärskonferenz westeuropäischer
Chemie-Gewerkschaften für den 25. 9., auf der das Vorgehen
gegen den multinationalen AKZO-Konzern koordiniert werden
sollte, die Konzernleitung, die jetzt mit einer Ausweitung des Streiks
auf weitere Länder rechnen mußte, zur Vernunft gebracht. — Der
Streik der ENKA-Arbeiter in der BRD und Holland war von beispielhafter
Bedeutung, denn das schnelle Vordringen multinationaler
Konzerne in den kapitalistischen Ländern verstärkt die Gefahr von
Stillegungen, der allein im Rahmen eines Landes kaum noch zu begegnen
ist. In Breda und Wuppertal hat die Arbeiterklasse gezeigt,
daß sie sich in gemeinsamen Aktionen über Ländergrenzen hinweg
erfolgreich gegen die Machenschaften multinationaler Konzerne zur
Wehr setzen kann. Diese Erfahrung der Kraft des proletarischen
Internationalismus wird in den künftigen Klassenauseinandersetzungen
von großem Wert sein.
IV. Die Streikbewegung des Jahres 1973
1. Die Lohn- und Tarifbewegung bis Mitte 1973
Trotz eines geschlossenen und langen Streikkampfes hatte der Tarifabschluß
der IG Metall zum Jahresende 1971 keine Reallohnsteigerung
erbracht. Durch die Preissteigerungen (1972 etwa 6,5 %>),
durch die Progression der Lohnsteuer und die Erhöhung der Sozialabgaben
wurden die Tariflohnerhöhungen aufgezehrt.
Verlauf und Inhalt der Tarifbewegung 1972/73 für die Metall- und
Stahlindustrie waren wiederum wesentlich durch die Existenz einer
sozialdemokratisch geführten Bundesregierung bestimmt, deren Autorität
durch den klaren Wahlsieg des November 1972 gestärkt worden
war. Aufgrund ihrer engen Verbindung zu den Gewerkschaften
konnte sie deren tarifpolitisches Verhalten wirkungsvoll beeinflussen.
Und die Führung der IG Metall begriff sich in dieser Situation
in erster Linie als Bündnispartner der Regierung, somit als gesellschaftlicher
„Ordnungsfaktor" 14 . Das entsprechende Verhalten der
IG Metall-Führung stand in klarem Gegensatz zur Stimmung in der
gewerkschaftlichen Mitgliedschaft, deren tiefe Illusionen über die
SPD sich gerade nach den Bundestagswahlen in konkreten Hoffnungen
auf merkliche Einkommensverbesserungen niederschlugen.
Der von der IG Metall-Führung anvisierte 8,5 °/o-Abschluß bedeutete
demgegenüber angesichts der Geldentwertung, der Progression der
Lohnsteuer und der Erhöhung der Sozialabgaben erneut einen Verzicht
auf Reallohnerhöhungen. Ihre Unzufriedenheit hierüber und
14 Zu den Streikkämpfen und zur ökonomischen Entwicklung 1973/74
vgl. Zur Einschätzung der Sommersitreiks 1973, hrsgg. v. Bezirkssekretariat
Ruhr-Westfalen d. DKP; Nachrichten, lfde. Nrn.; Informationen zur Wirtschaftsentwicklung
und Lage der Arbeiterklasse (vierteljährl. Beilage zu
„Nachrichten", hrsgg. v. IMSF), lfde. Nrn.; Unsere Zeit, lfde. Nrn.