Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)

Streikkämpfe iri der BRD 1971 bis 1974 371
bemängelt. Das betrifft insbesondere das offensichtliche Verzögern
der Urabstimmungen in anderen Bezirken, vor allem die Zurückstellung
der beantragten Urabstimmung in Hamburg durch den IG
Metall-Vorstand am 6. 12. Die eindeutige Bekundung der Kampfbereitschaft
— durch Urabstimmungen sowie durch umfassende
Warnstreiks in anderen Bezirken — hätte zweifellos das Großkapital
schneller zum Einlenken und wahrscheinlich auch zum Eingehen
auf einen besseren Abschluß bewegt. — Zum erreichten Ergebnis
ist folgendes zu sagen: Die Laufzeit des neuen Tarifvertrages
war nicht nur wegen der faktischen Dauer von 15 Monaten ungünstig,
sondern auch deshalb, weil der neue Auslauftermin wegen der
Nähe der Weihnachtszeit und wegen der winterlichen Witterungsbedingungen
eventuell notwendige Kampfmaßnahmen erschwert.
Unbefriedigend war auch die Höhe des Abschlusses, der angesichts
einer Inflationsraté von 6,5 % und einer zunehmenden Belastung
durch Lohnsteuerprogression sowie Sozialabgabenerhöhung keine
Reallohnerhöhung mit sich brachte. Die Tarifierung von Teilen eines
13. Monatseinkommens bedeutete für den Großteil der Arbeiter und
Angestellten keine Effektivlohnerhöhung, da die vereinbarten Prozentsätze
unterhalb dessen lagen, was in den meisten Betrieben bereits
effektiv gezahlt wurde. — Bei einer allgemeinen Beurteilung
muß aber auch die ungünstige ökonomische und politische Lage, in
der die Metallarbeiter diesen Abschluß erkämpften, berücksichtigt
werden. Von größter politischer und gewerkschaftspolitischer Bedeutung
ist die Tatsache, daß die von den Unternehmern bewußt
angestrebte Kraftprobe von Arbeiterklasse und Gewerkschaften bestanden
wurde. Der Versuch, den Metallarbeitern eine Niederlage
beizubringen und ihr Selbstbewußtsein zu erschüttern, ist gescheitert.
Statt dessen ist etwas ganz anderes geschehen: „In diesen Tagen
hat die Arbeiterklasse dieses Landes mehr gelernt, als sie in
Jahren auf Schulbänken erfahren hat. Die Praxis des brutalen Klassenkampfes
der Unternehmer ist ein vorzüglicher Lehrmeister für
sie gewesen. Sie wird diese Lehren auch in Zukunft nicht vergessen."
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III. Kampfaktionen der Arbeiterklasse 1972
Für das Jahr 1972 meldet das Statistische Bundesamt lediglich
54 Streiks mit 22 908 Teilnehmern und 66 045 verlorenen Arbeitstagen
11 . Man sollte jedoch den Kampf der Arbeiterklasse in jenem
Jahr nicht allein nach den Zahlen der amtlichen Statistik beurteilen.
Denn das Bild, das die Streikstatistik zeichnet, ist unvollständig, ja
verzerrt: Zwar gab es 1972 in der Tat keine Aktion vom Ausmaß des
baden-württembergisdhen Metallarbeiterstreiks 1971. Aber neben
verschiedenen betrieblichen Lohnkämpfen (vorwiegend in der Stahl-
10 Streik-Nachrichten, hrsgg. v. d. Bezirksleitung Stuttgart d. IG Metall,
26. 11. 1971.
11 Siehe Anm. 1.