Klassenkämpfe in der BRD - Instituts für kritische Theorie (InkriT)
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Sprach- und Literaturwissenschaft 471<br />
welchem sie „sich gleichsam als Verbündete des Theaters gefühlt<br />
haben" (478). Die Geme<strong>in</strong>samkeit erstreckt sich nicht nur auf die<br />
Propagierung formal-funktionaler Aspekte e<strong>in</strong>er neuen Schaubühne<br />
(betreffend alle Fragen <strong>der</strong> Theaterreform), son<strong>der</strong>n auf die absolute<br />
Gleichschaltung <strong>der</strong> gesellschaftsdidaktischen Inhalte. In dem geme<strong>in</strong>samen<br />
Wurzelgrund des „prodesse et delectare" fußen Moralische<br />
Wochenschrift und Schaubühne als parallele, zwar formal unterschiedliche,<br />
funktional jedoch gleichlaufende gesellschaftsdidaktische<br />
Literaturgattungen.<br />
Die Parallelität zweier so sche<strong>in</strong>bar ästhetisch ungleichartiger<br />
Literaturformen unterstreicht nachdrücklich den auch von Martens<br />
vertretenen Standpunkt (vgl. E<strong>in</strong>leitung, passim), daß diese so spontan<br />
gesellschaftsdidaktische Literatur <strong>der</strong> deutschen Frühaufklärung<br />
ke<strong>in</strong>eswegs literaturimmanent, son<strong>der</strong>n als Reflexion auf ihre Gesellschaftswirklichkeit<br />
zu begreifen ist. Über die bloße Wi<strong>der</strong>spiegelung<br />
bzw. Repräsentation e<strong>in</strong>er führenden Gesellschaftsschicht h<strong>in</strong>aus<br />
greift sie unmittelbar und <strong>in</strong> sehr pragmatischer Weise <strong>in</strong> den<br />
gesellschaftlichen Erziehungsprozeß e<strong>in</strong>. Martens gel<strong>in</strong>gt es hier, aus<br />
dem Wust aller bisherigen (und <strong>für</strong> den benannten Zeitraum beson<strong>der</strong>s<br />
ungenau def<strong>in</strong>ierten) Bürgertumsbegriffe deutlich greifbar die<br />
Gestalt e<strong>in</strong>es sich selbst als repräsentativ empf<strong>in</strong>denden „besseren<br />
Bürgertums" hervortreten zu lassen, das sich ebenso scharf und<br />
rigoros von dem höfischen Adel wie von e<strong>in</strong>em Kle<strong>in</strong>bürgertum mit<br />
handwerklichem H<strong>in</strong>tergrund (391 ff.) unterschieden wissen will.<br />
Angesprochen und aufgefor<strong>der</strong>t s<strong>in</strong>d, wie <strong>der</strong> Spectator es ausdrückt,<br />
alle „well regulated families" (148), was sich unzweideutig auf die<br />
ökonomische und soziale Vorrangstellung eben dieses „besseren" Bürgertums<br />
bezieht. Es ist dieser konservative Elitismus (und nicht so<br />
sehr etwaige literarische Prätention <strong>der</strong> Wochenschriften), den<br />
Less<strong>in</strong>g, über die Hauptbeiträge zum Nordischen Aufseher, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />
,Litteraturbriefen' von 1759 so scharf angreift, wenn er von „seichten<br />
Homileten" spricht und von „abgedroschenen Wahrheiten, die<br />
mit aufgeblasenen Backen gepredigt" würden (1).<br />
Martens' Studie sche<strong>in</strong>t also <strong>in</strong> zweierlei H<strong>in</strong>sicht von größter Wichtigkeit<br />
<strong>für</strong> die Erforschung <strong>der</strong> Literatur <strong>der</strong> Frühaufklärung: Erstens<br />
als Plädoyer <strong>für</strong> e<strong>in</strong>en offenen, undogmatischen Literaturbegriff,<br />
<strong>in</strong> dem „Sympathie und Urteil" nicht „noch weitgehend von <strong>der</strong><br />
Goethezeit her bestimmt" s<strong>in</strong>d, beson<strong>der</strong>s, „was die E<strong>in</strong>stellung zum<br />
lehrhaften Element <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur anbelangt" (5), und zweitens,<br />
als gewichtiger Beitrag zum Thema ,Bürgertumsbegriff <strong>der</strong> Frühaufklärung',<br />
e<strong>in</strong>em Thema, das trotz beachtenswerter Teilstudien <strong>in</strong><br />
den letzten Jahren immer noch nach e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>gehenden Diskussion<br />
verlangt. Aus dem literarhistorischen Zusammenhang se<strong>in</strong>er Studie<br />
konnte Martens z. B. e<strong>in</strong>e Reihe von Fragen aufwerfen, <strong>der</strong>en Beantwortung<br />
vorbed<strong>in</strong>gend <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e fruchtbare Diskussion des obigen<br />
Themas ist. Beispielsweise bleibt die Anomalie zu klären, daß sich<br />
die Literatur <strong>der</strong> Frühaufklärung e<strong>in</strong>erseits formal eng an den französischen<br />
Klassizismus anlehnt, während ihre gesellschaftsdidaktische<br />
Zielsetzung sich an<strong>der</strong>erseits schon recht früh auf e<strong>in</strong>en stark