Das Argument
Das Argument
Das Argument
- Keine Tags gefunden...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
422<br />
Bassam Tibi<br />
Leopold Senghors „Négritude" *<br />
Bücher, die Geschwätz enthalten, legt man nach Lektüre der ersten<br />
Seiten beiseite. Jedoch kann man nicht immer auf diese Weise<br />
verfahren, denn am Einfluß mancher Bücher kommt man einfach<br />
nicht vorbei. Senghors Publikation gehört zu dieser Kategorie. Ohne<br />
Kenntnis seiner „Négritude" ist vieles, was heute in Afrika geschieht,<br />
nicht zu begreifen.<br />
Gewiß: der Ansatz der Négritude ist progressiv. Négritude meint<br />
Wiedererlangung der durch das Kolonialsystem zerstörten kulturellen<br />
Identität. So verstand sie zumindest Aimé Césaire, der Begründer.<br />
Bei Senghor wird sie aber zu „einem antirassistischen Rassismus"<br />
(Sartre). Sie wird zum unreflektierten Prinzip allen Tuns und<br />
Denkens. Und wozu auch braucht Senghor die Reflektion, wo er doch<br />
— die Rassenideologie reproduzierend — hervorhebt, daß „die Emotion<br />
... negerhaft wie die Vernunft griechisch ist" (11).<br />
Négritude ist „die negro-afrikani$che Kollektivpersönlichkeit" (6).<br />
Nordafrika wird ausgeklammert, denn Négritude ist nur „die Gesamtheit<br />
der kulturellen Werte der schwarzen Welt..." (7). Dennoch:<br />
„Négritude ist kein Rassismus... In Wahrheit ist Négritude ein<br />
Humanismus" (Ebd.). Senghor rechtfertigt die Ausklammerung Nordafrikas<br />
mit dem Hinweis auf Frobenius' These von der Einheitlichkeit<br />
der afrikanischen Kultur südlich der Sahara. Solches hatte<br />
Frobenius jedoch nie behauptet. Der Herausgeber Jahn bemerkt,<br />
daß sich in die französische Übersetzung ein Fehler eingeschlichen<br />
habe; der deutsche Originaltext von Frobenius besage anderes (Cf.<br />
10, Fußnote).<br />
Die vorliegende Ausgabe enthält Senghors Aufsätze und Reden<br />
aus den Jahren 1939—63. In der Sammlung zeichnet sich zwar eine<br />
Entwicklung ab, aber Senghor geht nicht wesentlich über seine frühen<br />
Positionen hinaus. Vielleicht nur in der Frage der Assimilation.<br />
Bekanntlich versuchte das französische Kolonialsystem, eine afrikanische<br />
Elite zu ,züchten' und an die französische Kultur zu assimilieren.<br />
Diese Elite sollte dann als Vermittler des Kolonialsystems<br />
fungieren. Sékou Touré definierte daher mit Recht die Assimilation<br />
als Deafrikanisation. Der chevalereske Senghor plädierte schon sehr<br />
früh für eine „modifizierte Assimilation". Nach ihm ist es ein „weitverbreiteter<br />
Irrtum zu glauben, daß die einheimische Elite dem Volk<br />
* Senghor, Léopold S. : Négritude und Humanismus, (Négritude et humanisme,<br />
Paris 1964) ins Deutsche übertragen und herausgegeben von<br />
J. Jahn, Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf-Köln 1967 (324 S., Ln.,<br />
25,— DM).