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Das Argument

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Fanons Lehre von der befreienden Gewalt 421<br />

kann. Wie aber soll das geschehen? Fanon antwortet darauf mit der<br />

Forderung, die ländlichen Massen zu organisieren und zu politisieren,<br />

sie in einen rasanten Bildungsprozeß einzubeziehen. Anknüpfend<br />

an bestehende Institutionen des Landes, wie z. B. Dorfversammlungen,<br />

sollen die Massen in einer demokratischen Organisation von<br />

einem undifferenzierten Nationalismus zu sozialem und wirtschaftlichem<br />

Bewußtsein gelangen. Fanons Vision ist ebenso einleuchtend<br />

wie nichtssagend. Denn daß eine demokratische Organisierung der<br />

bäuerlichen Massen allein eine diktatorische Manipulation verhindern<br />

kann, ist auch dann eine Binsenweisheit, wenn man sie mit dem<br />

schillernden Begriff „dialektisch" auf ein vorgeblich sozialistisches<br />

Begriffsniveau hebt. Es leuchtet nicht ein, daß diese in magischen Riten<br />

und uralten Stammestraditionen erzogenen ländlichen Massen z. B.<br />

Afrikas innerhalb kurzer Zeit, wie lange auch der Revolutionsprozeß<br />

im einzelnen dauern mag, in der Lage wären, auf der Grundlage<br />

rationaler Einsicht demokratisch zu agieren. Daß Fanon das Problem<br />

der Führung der Massen nicht eingehend reflektiert, macht sein Buch<br />

fast gefährlich. Die revolutionäre Mobilisierung der Massen ist ohne<br />

Zweifel als notwendig nachgewiesen, doch wozu kann sie führen,<br />

wenn das Problem ihrer rationalen Führung bei nur bedingter demokratischer<br />

Kontrolle durch allgemeine Phrasen der Demokratisierung<br />

des Volkes beiseitegeschoben wird!? Die schnell herbeigezauberte<br />

Formel des „Dialektischen Widerspruchs" sollte nicht darüber<br />

hinwegtäuschen, daß nur eine detaillierte ökonomische wie sozialpsychologische<br />

Analyse und Theorie die Garantie dafür liefern kann,<br />

daß die revolutionäre Praxis auch das intendierte Ergebnis zeitigt.<br />

Im Anhang trägt Fanon einige Beispiele psychischer Störungen im<br />

Kolonialkrieg (nicht in der vorrevolutionären Kolonialepoche!) zusammen.<br />

Fanon stellt hier an einer einzigen Stelle die Frage, die<br />

Europäer vielleicht mehr bewegt, als die, für die Fanon geschrieben<br />

hat: Welchen Preis zahlt der Revolutionär oder hat er nur zu gewinnen?<br />

Der durch die Revolution zum „Menschen" gewordene<br />

Halbmensch leidet nun z. B. periodisch an Schwindelanfällen. Fanon<br />

beschließt diesen Abschnitt mit dem Satz: „Wer wagte zu behaupten,<br />

daß das Schwindelgefühl nicht jede Existenz heimsucht? (193)" Diese<br />

Anthropologisierung kommt uns ihrerseits gewagt vor. Sie ist ein<br />

wesentliches Element in Fanons Theorie der Menschwerdung durch<br />

Gewalt. Wo bleibt aber dann die neue Qualität eines „totalen Menschen"?<br />

— Trotzdem bleibt diese Theorie die große geistige Herausforderung<br />

der von Europa geprägten Zivilisation. Vietnam und „Black<br />

Power" sind heute die Parallelen der Realität.

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