Das Argument
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414 Dieter Hirschfeld<br />
Intellektueller hinkt hinter ihrer gesellschaftlichen Fixierung nach,<br />
es ist ein Spätprodukt angesichts ihrer vorgängigen, pejorativen<br />
Aussonderung und formalistisch wie die offizielle Soziologie. Zwei<br />
Aufsätze des „Kursbuches" 1 dokumentieren diese 'Tendenz. Sie sind<br />
durch eine schroffe Kritik der subjektivistischen und ästhetischen<br />
Wendung der kritischen Intelligenz in den westlichen Ländern gekennzeichnet.<br />
Die formale Kohärenz der Intelligenz als Schicht, die<br />
ihrer gesellschaftlichen Absonderung abgesehen ist, wird durch einen<br />
— schon von Mannheim beobachteten — Konkurrenzmechanismus<br />
aufgesplittert. Die Kritik gilt weniger den realen Machtverhältnissen<br />
als den ohnmächtigen Verfehlungen, der kritischen Intelligenz selber,<br />
deren subjektiv begriffene Schuldhaftigkeit bis hinunter zum begriffslosen<br />
Protest schonungslos aber audi hämisch deçouvriert wird.<br />
Es herrscht die Tendenz, nicht nur die vorgegebene Kategorie der<br />
Intelligenz unkritisch und undifferenziert zu übernehmen, d. h. sich<br />
ihre funktionalistische Deutung zu eigen zu machen, sondern auch<br />
die Bedingungen und die spezifische ratio des „Scheiterns" der in<br />
Intention und sozialer Lage kompakt vorgestellten Intelligenz zu<br />
verkennen.<br />
Eine besondere Art zu „scheitern" läßt auch das „Kursbuch" erkennen.<br />
Die freundliche Liberalität, mit der in der Gestalt des Aufsatzes<br />
„Zur Kritik der progressiven Intelligenz in Deutschland" der<br />
schonungslose Verriß des „Kursbuches" selber registriert wird, deutet<br />
auf die Nonchalance, unter der die Kritik der Kritik steht und verringert<br />
deren Schärfe, die die deutschen Intellektuellen mores lehren<br />
will, zum Bramarbarsieren der Konkurrenz: Die Radikalität ist<br />
scheinbar, sie ist für eine formalsoziologisch verstandene Intelligenz<br />
konstitutiv und fällt trotz der Kautele „aus der dritten Welt" sowenig<br />
heraus wie der antiintellektuelle Intellektualismus überhaupt.<br />
Die Kritik der „progressiven Intelligenz" ist dort formalistisch, wo<br />
die bloße Funktions- und Bewegungsanalyse von den theoretischen<br />
Inhalten abstrahiert oder, wie im Falle des zu Besprechenden, Aufsatzes,<br />
Theorieteile der inkriminierten „progressiven Intelligenz"<br />
festhält. Dies drückt sich etwa in Setzungen aus, die ihr Vorbild, die<br />
„Dialektik der Aufklärung", in eine Art linken Jargon der Eigentlichkeit<br />
überführen: „Vom deutschen Idealismus führt eine direkte<br />
Linie zu Maos Guerillastrategie" 2 . Schwer erträgliche, apodiktische<br />
Sätze von dieser Art sind im „Kursbuch", wo man unter sich ist,<br />
nicht bloß demonstrativ, sondern enthalten darüber hinaus einen zu<br />
erläuternden theoretischen Sinn.<br />
Den Kern der <strong>Argument</strong>ation bildet zunächst ein durchaus fami T<br />
liärer Gedanke, den man allerdings nach dem kritischen Zerfall mit<br />
seinen Vertretern am wenigsten erwartet hätte, nämlich der des<br />
„sich zementierenden Ganzen". Die theoretische tour de force, die in<br />
1 A. A., Zur Kritik der progressiven Intelligenz in Deutschland. Eine<br />
Stimme aus der dritten Welt. In: Kursbuch 9, Frankfurt/M. 1967 und K.<br />
M. Michel, „Die sprachlose Intelligenz", ebd., 1, 4, und 9.<br />
2 Ebd., 9, S. 184.